1.Fastensonntag Predigt Endfassung
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1.Fastensonntag Predigt Endfassung
Predigt zum 1. Fastensonntag, Lesejahr C, Dtn 26,4-10; Röm 10,8-13; Lk 4,1-13 Von Hildegard Wustmans, Professorin für Pastoraltheologie an der Katholisch-Theologischen Privatuniversität Linz Liebe Schwestern und Brüder im Glauben! Wir stehen am Beginn der Fastenzeit. Stehen wir damit auch am Beginn einer neuen Zeit – sie und ich als Gläubige und die Kirche als Religionsgemeinschaft? Werden die nächsten Wochen eine Zeit der Zäsur? Wird diese Fastenzeit die Basis eines Aufbruchs sein? Aber soll sich überhaupt etwas verändern? Wäre es nicht auch reizvoll, wenn alles noch einmal festgeschrieben und rückversichert werden könnte, in einer Zeit, in der Verunsicherung Raum greift? Wo doch vieles schon nicht mehr ist, wie es war, wieso dann ein Aufbruch in der Fastenzeit? Vielleicht haben die Fragen vor der Einberufung des Konzils ähnlich geklungen. Wir wissen inzwischen, dass vor mehr als 50 Jahren nicht alle von der Idee eines neuen Konzils begeistert waren. Und unter den Befürwortern gab es auch welche, die das abgebrochene Vaticanum I beschließen und damit eine antimoderne Position der Kirche festschreiben wollten. Aber das waren bei Gott nicht die Ideen von Johannes XXIII. Er wollte nicht die Fortsetzung eines abgebrochenen Konzils. Er wollte etwas Neues und das wird schon in dem Titel Vatikanum II deutlich. Mehr noch. Er setzt sich damit deutlich von den Vorgängern im Amt, Pius XI. und Pius XII. ab. Doch bis er in diesem Punkt eine eigene Gewissheit hatte, hat auch er sich diesem Gedanken tastend genähert. Das belegen Manuskripte aus der Zeit vor dem II. Vatikanischen Konzil. Dabei fällt auf, dass er schon seit 1953 immer wieder vom Aggiornamento spricht, einer Wortschöpfung, die er auch in der Konzilsrede Gaudet Mater Ecclesia verwenden wird.1 Für dieses italienische Wort gibt es keine 100% Übersetzung ins Deutsche. Es meint so viel wie „Vergegenwärtigung“, „Anpassung an heutige Verhältnisse“. Vergleicht man jedoch den Duktus in den Reden so fällt auf, dass es in der Konzilsansprache nicht mehr um binnenkirchliche Handlungen in der Zeit geht, sondern um die grundsätzliche Bezugnahme der Kirche zu der Welt, zu ihrer Verortung.2 In der Eröffnungsrede klingt das so: „Es ist unsere feste Zuversicht: Durch ein angemessenes Aggiornamento und durch eine kluge Organisation der gegenseitigen Zusammenarbeit wird die Kirche erreichen, dass die einzelnen Menschen, die Familien, die Völker mit grösserer Aufmerksamkeit die himmlischen Dinge beachten werden.“3 Sander, Hans-Joachim:‘ Aggiornamento‘ – Kennzeichen des Konzils? Der spatial turn des Glaubens durch das Zweite Vatikanische Konzil, in: ThGl 102(2012)4,510-525, 517 2 Vgl. Sander, Hans-Joachim:‘ Aggiornamento‘ – Kennzeichen des Konzils? Der spatial turn des Glaubens durch das Zweite Vatikanische Konzil, in: ThGl 102(2012)4,510-525, 118 3 Kaufmann, Ludwig/Klein, Nikolaus: Johannes XXIII. Prophetie im Vermächtnis, Fribourg/Brig 1990, 116-150, 124 1 1 Es geht um nicht mehr und nicht weniger, als die Gegenwart Gottes im Leben vom Menschen. Und vor diesem Hintergrund lässt sich auch der Bogen zu den Lesungen des heutigen Fastensonntags ziehen. Auch in ihnen wird von der Gegenwart Gottes berichtet. Von den Taten, die er für sein Volk vollbringt. Die Israeliten hat er aus der Knechtschaft befreit. Dieses Eingreifen Gottes in die Geschichte mündet in ein fortdauerndes Gottesbekenntnis und in dankbare Erinnerung. In diese Linie kann auch der Text aus dem Römerbrief gestellt werden. Auch in ihm ist von der Erlösungstat Gottes die Rede. „Gott hat Jesus von den Toten auferweckt“, „er ist der Herr“. Wer das bekennen kann und danach lebt, der darf auf Rettung hoffen, auf überraschende Veränderung in seinem Leben und in der Gemeinschaft mit anderen Menschen. Durch dieses Heilshandeln Gottes wird alles neu. Ein Beleg dafür ist auch das heutige Evangelium. Wer an Gott glaubt, auf ihn vertraut, kann Verführungen widerstehen. Jesus werden Herrschaft und Reichtum angeboten, aber das ist es nicht, was er will. Er bleibt bei Gott. Lässt ihn Maß und Richtschnur sein. Er bekommt deswegen keine Macht im üblichen Sinn, wohl aber Autorität, die auch der Teufel akzeptieren muss. Im Text heißt es ja, dass er von ihm ablässt, zunächst einmal. Jesus weiß, dass der Weg mit Gott ein risikoreicher Weg ist. Aber an diesem Risiko führt kein Weg vorbei. Würde er das Risiko scheuen, hätte seine Mission keine Chance. Auch Johannes XXIII. hatte eine Mission. Die hat er entschieden und widerständig verfolgt, dabei Mut bewiesen und das Risiko nicht gescheut. Dieser Habitus und das Bestreben, immer mehr Kirche in der Welt zu werden, um Gottes und der Menschen willen lassen sich klar in der Eröffnungsansprache identifizieren. Darin heißt es: „In der täglichen Ausübung unseres Hirtenamtes verletzt es uns, wenn wir manchmal Vorhaltungen von Leuten anhören müssen, die zwar voller Eifer, aber nicht gerade mit Takt begabt sind. In der jüngsten Vergangenheit bis zur Gegenwart nehmen sie nur Missstände und Fehlentwicklungen zur Kenntnis. Sie sagen, dass unsere Zeit sich im Vergleich zur Vergangenheit nur zum Schlechteren hin entwickle. Sie tun so, als ob sie nichts aus der Geschichte gelernt hätten, die doch eine Lehrmeisterin des Lebens ist […]. Wir müssen diesen Unglückspropheten widersprechen, die immer nur Unheil voraussagen, als ob der Untergang der Welt unmittelbar bevorstehen würde.“4 Anfragen und Bedrängnis von außen führen dazu, dass sich der Glaube bewähren muss. Es muss sich erweisen, wofür dieser Glaube steht. Welchen Beitrag er leistet, damit Leben gelingen kann. Das, was geglaubt wird und das, was einem begegnet, stehen bisweilen in einem scharfen Kontrast. Und wir wissen wohl alle, dass man diesem nur bedingt ausweichen kann. Man kann solche Kontraste verdrängen, zunächst ignorieren, aber das führt dazu, dass sie sich dann viel gravierender zeigen. Das gilt für die Existenz von Menschen und auch für die Religionsgemeinschaft. Aber wie ist dann mit solchen Situationen umzugehen? Das Aggiornamento des Papstes bietet einen Lösungsweg. Ausgangspunkt ist dabei nicht die Dogmatik und deren pastorale Umsetzung, sondern das Wechselverhältnis zwischen Pastoral und Dogmatik, Dogmatik und Pastoral. In der Eröffnungsrede beschreibt der Papst diese neue Zuordnung von Dogmatik und Pastoral so: 4 Kaufmann, Ludwig/Klein, Nikolaus: Johannes XXIII. Prophetie im Vermächtnis, Fribourg/Brig 1990, 125f 2 „Aber von einer wiedergewonnenen, nüchternen und gelassenen Zustimmung zur umfassenden Lehrtradition der Kirche, wie sie in der Gesamttendenz und in ihren Akzentsetzungen in den Akten des Trienter Konzils und auch im Ersten Vatikanischen Konzil erkennbar ist, erwarten jene, die sich auf der ganzen Welt zum christlichen, katholischen und apostolischen Glauben bekennen, einen Sprung nach vorwärts, der einem vertieften Glaubensverständnis und der Gewissensbildung zugute kommt. Dies soll zu je grösserer Übereinstimmung mit dem authentischen Glaubensgut führen, indem es mit wissenschaftlichen Methoden erforscht und mit den sprachlichen Ausdrucksformen des modernen Denkens dargelegt wird. Denn eines ist die Substanz der tradierten Lehre, d. h. des depositum fidei; etwas anderes ist die Formulierung, in der sie dargelegt wird. Darauf ist – allenfalls braucht es Geduld – grosses Gewicht zu legen, indem alles im Rahmen und mit den Mitteln eines Lehramtes von vorrangig pastoralem Charakter geprüft wird.“5 Der Habitus des Aggiornamentos schließt ein offensives Vertreten des eigenen Standpunktes nicht aus, aber er wird nicht im Modus des Ressentiments formuliert. Andere Standpunkte werden respektiert. Das ist Glaubenskommunikation ohne jede Form vom Dogmatismus und Ausschluss. Diese Glaubenskommunikation ist pastoral, weil sie den Glauben nicht mehr nur einfach wie ein Erbe weitergibt. Es geht vielmehr um passgenaue Glaubensweitergabe, die von bloßer Anpassung an die Zeit zu unterscheiden ist. Es geht darum, in der Sprache der Menschen in der Welt von heute, vom Glauben zu sprechen, von den machtvollen Taten Gottes, von dem Leben, dass er schenken kann. Es geht darum aufzuzeigen, dass der Glaube auch heute noch im Leben von Menschen eine Bedeutung haben kann. Glaubensbekenntnisse sind Ausdruck religiöser Sprachkompetenz, gerade in der Konfrontation mit Lebenserfahrungen von Menschen, die sprachlos machen. Das gilt auch für die Glaubensbekenntnisse in den Texten aus dem Buch Deuteronomium, dem Römerbrief und dem Lukasevangelium. Das Aggiornamento führt die Christinnen und Christen, die Kirche gerade in solche bedrängenden Kontexte hinein. Nicht, damit sie darin untergehen, sondern um sich zu finden. An diesen Konstellationen gibt es kein Vorbeikommen, wenn wir den Glauben in der Welt von heute zur Sprache bringen wollen. In den prekären Zusammenhängen unserer Zeit muss sich die Rede von Gott bewähren. Muss sich zeigen, dass sie mehr ist als ein frommes Sprachspiel. Mehr ist, als eine vertröstende Utopie. Im Aggiornamento finden wir und die Kirche nicht nur zu passenden Worten, sondern auch zu angemessenen Taten. Dann zeigt sich durch unser Sprechen und Tun die Menschenfreundlichkeit Gottes in der liebenden, heilenden, tröstenden, bestärkenden, herausfordernden Begegnung. In den nächsten Wochen können wir uns in die Haltung des Aggiornamentos einüben, damit die Fastenzeit zur Basis für einen Neubeginn werden kann, zu einer Zeit des Aufbruchs, zu unserem Sprung nach vorne, um der Menschen und um Gottes willen. Amen. 5 Kaufmann, Ludwig/Klein, Nikolaus: Johannes XXIII. Prophetie im Vermächtnis, Fribourg/Brig 1990, 135f 3