Volltext - Herbert-Quandt
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Sinclair-Haus-Gespräche 18 Brücken in die Zukunft – Museen, Musik und darstellende Künste im 21. Jahrhundert © Herbert-Quandt-Stiftung Bad Homburg v. d. Höhe September 2002 ISSN 1438 -7875 ISBN 3-00-009922-0 18. Sinclair-Haus-Gespräch Brücken in die Zukunft – Museen, Musik und darstellende Künste im 21. Jahrhundert Bad Homburg v. d. Höhe 19.–20. April 2002 Inhalt Editorial 7 Wolfgang R. Assmann Geschäftsführender Vorstand Herbert-Quandt-Stiftung Auftakt 10 Hans Graf von der Goltz Ehrenvorsitzender des Stiftungsrates Herbert-Quandt-Stiftung Seismografen der Veränderung: Vom Nutzen künstlerischer Arbeit für die Gesellschaft 14 Prof. Dr. Hilmar Hoffmann Ehemaliger Präsident des Goethe-Instituts Mäzene, Sponsoren oder staatliche Subventionskultur? Rahmenbedingungen für die künstlerische Avantgarde 19 The Rt. Hon. the Baroness Blackstone Britische Staatsministerin für Kunst und Musik PODIUMSGESPRÄCH: Kultur im 21. Jahrhundert – Chancen und Zwänge 24 The Rt. Hon. the Baroness Blackstone William Forsythe Sir Peter Jonas Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann Prof. Dr. Friedhelm Mennekes SJ Jenseits des kulturellen Gedächtnisses: Neue Perspektiven für Museen im beginnenden Jahrhundert 40 Norman Rosenthal Ausstellungsdirektor Royal Academy of Arts Jenseits des Etablierten: Neue Perspektiven für die Musik im beginnenden Jahrhundert 45 Prof. Dr. Enjott Schneider Komponist, Hochschule für Musik und Theater München Jenseits der Eventkultur: Neue Perspektiven für die darstellenden Künste im beginnenden Jahrhundert 57 Patrick Guinand Regisseur Interview Sir Peter Jonas Staatsintendant Bayerische Staatsoper 62 Dr. Thomas Gauly Mitglied des Vorstandes Herbert-Quandt-Stiftung Teilnehmer 70 80 Biografien Übersicht Rückblick 82 Sinclair-Haus-Gespräche Hintergrund 86 Herbert Quandt und Isaak von Sinclair Impressum Achtzehntes Gespräch Maler in der Schirn, Frankfurt a. M. „Muss Kunst eine gesellschaftliche Funktion haben oder liegt in dieser Annahme schon eine unzulässige Vereinnahmung und Instrumentalisierung der Kunst?“ 6 Editorial Wolfgang R. Assmann Künstler – Therapeuten der Wirklichkeit? „Kunst und Therapie haben ein Ziel: Befähigung zum eigenen Leben (…) Beide arbeiten am Gleichgewichtssinn einer sich selbst bedrohenden Menschheit.“ So beschrieb Adolf Muschg 1980 im Rahmen seiner Frankfurter Poetikvorlesung die gesellschaftliche Funktion der Künste. Das leuchtet auf den ersten Blick ebenso ein wie Julian NidaRümelins Feststellung, künstlerische Arbeit sei Teil der Selbstreflexion einer Gesellschaft. Und doch sei die Vorfrage erlaubt: Muss Kunst eine gesellschaftliche Funktion haben oder liegt in dieser Annahme schon eine unzulässige Vereinnahmung und Instrumentalisierung der Kunst? 1 Nur wenn man der Kunst eine gesamtgesellschaftliche Bedeutung zuspricht, ist es gerechtfertigt, sie mit öffentlichen Mitteln zu fördern. Und wenn man dies tut, stellen sich neue Fragen: Zum Beispiel nach welchen Kriterien das Geld verteilt werden soll – nach den Vorlieben einer demokratischen Mehrheitsgesellschaft, nach wissenschaftlich untermauerten Erkenntnissen von Experten, nach vorab (von wem ausgearbeiteten und verabschiedeten?) Förderrichtlinien? Die Themen, mit denen sich die Teilnehmer des 18. Sinclair-Haus-Gespräches beschäftigten, sind sperriger, als man auf den ersten Blick vermutet. Denn rasante technische, wirtschaftliche und politische Veränderungen haben lange Zeit sicher Geglaubtes infrage gestellt. Kultur im 21. Jahrhundert wird erlebt im Spannungsfeld • zwischen Globalisierung 2 und der Suche nach kultureller Identität, • zwischen Bewahrung des Ererbten und der notwendigen Offenheit für das Neue und ganz Andere, • zwischen der „Ernsthaftigkeit“ der Kunst und dem Unterhaltungsbedürfnis des Publikums, • zwischen der Verlockung des Geldes und der Freiheit der Gedanken und • zwischen dem professionellen Anspruch des Künstlers und der Aufnahmefähigkeit des Publikums. 1 So nachdenklich Graf Goltz bei seiner Begrüßung, S. 10 2 Vertiefend dazu Hilmar Hoffmann: „Seismografen der Veränderung: Vom Nutzen künstlerischer Arbeit für die Gesellschaft“, S. 14 7 Editorial Wolfgang R. Assmann Hilmar Hoffmann 3 sieht den gesellschaftlichen Nutzen künstlerischer Arbeit darin, dass die Künste „Möglichkeitsräume“ für die Überwindung von Denkblockaden und gesellschaftspolitischen Sackgassen schaffen. Dies geschieht, indem die Künstler ganz unterschiedliche Möglichkeiten der Interpretation von Welt und Mensch durchspielen und vorleben, es stellvertretend für alle wagen, Spielräume auszuloten und die Wirklichkeit neu zu interpretieren. Sie machen so öffentlich eine veränderte Welt begreiflich und erlebbar. Diese Rolle eines aktiven gesellschaftlichen Seismografen können die Künstler nur spielen, wenn ihnen die Gesellschaft Freiräume gibt und sie ohne Vorgaben experimentieren lässt. Die Freiheit der ergebnisoffenen Recherche und künstlerischen Reflexion ist Grundvoraussetzung für eine gesellschaftlich nützliche künstlerische Arbeit. Würden Geldgeber, gleichgültig ob öffentliche Hand oder private Unternehmen, versuchen, die Künste für ihre Interessen zu instrumentalisieren, wären die „seismografischen Messergebnisse“ verfälscht und für die Gesellschaft wertlos. Gottlob sind in der Praxis solche Versuche der Einflussnahme von öffentlichen oder privaten Förderern kein Problem.4 Wie die Kultur vor sachfremder Einflussnahme im politischen Alltag geschützt werden kann, schildert Baroness Tessa Blackstone am „arm’s-length priniciple“, an das sich alle britischen Kulturminister – unabhängig von ihrer politischen Überzeugung – gehalten hätten. Mit dem Finanzminister ringe der jeweilige Kulturminister um einen möglichst großen Anteil am Budget; die so erstrittenen Mittel gebe er dann, versehen mit einigen allgemeinen Zielvorgaben, weiter an ein Expertengremium (zurzeit das „Arts Council of England), das sachverständig und ohne politische Einflüsse entscheide, in welchem Umfang welche Theater, Orchester, Schriftsteller usw. unterstützt werden. Eine ebensolche Selbstbeschränkung und Zurückhaltung erwarte man auch vom privaten Sektor. Die Motive, warum ein Unternehmen, ein Mäzen oder ein Sponsor die Künste fördere, seien gleichgültig, solange es keine Einmischung in die künstlerische Arbeit gebe. Eine ausgewogene Partnerschaft bei der Förderung der Kultur zwischen öffentlichem und privatem Sektor diene der Freiheit und der Entwicklung der Kunst am besten. Aufgabe des Staates „Nur wenn man sei es, durch attraktive Rahmenbedingungen (z. B. steuerlider Kunst eine cher Art) Unternehmen und Privatpersonen zur Förderung gesamtgesellschaftder Künste anzureizen. Die britischen Unternehmen würden liche Bedeutung sich zunehmend auch ihrer Verantwortung für das Gemeinzuspricht, ist es wesen bewusst, der „Corporate Social Responsibility (CSR)“. gerechtfertigt, Und je enger Wirtschaftsunternehmen und künstlerische Ins i e m i t ö f f e n tstitutionen zusammenarbeiteten, umso stärker erkenne man, lichen Mitteln dass jede Seite über Fertigkeiten und Potenziale verfüge, zu fördern.“ die der anderen Seite nützlich seien. Nach solch grundsätzlichen Überlegungen werden anhand praktischer Erfahrungen in Museen, Theatern und im Musikbetrieb Spannungen und Kräfte beschrieben, die zu Beginn des 21. Jahrhunderts auf die Kultur einwirken. Norman Rosenthal 5 zeigt am Beispiel des Guggenheim Museums in Bilbao, dass Museen heute nicht nur Lagerhäuser eines kulturellen Gedächtnisses, Orte der Bildung und Besinnung sind, sondern zunehmend auch Stätten des Entertainments, der Regionalpolitik, der städtischen Selbstdarstellung. Seit die Politik erkennt, dass ein Museum ein Standortvorteil sein kann, ein Touristenmagnet, ein Imagefaktor, lässt sich öffent- 3 Hoffmann, S. 14 ff. 4 So Sir Peter, im Interview mit Dr. Thomas Gauly, S. 62 5 Norman Rosenthal: „Jenseits des kulturellen Gedächtnisses: Neue Perspektiven für Museen im beginnenden Jahrhundert“, S. 40 8 Wolfgang R. Assmann liches Geld für den Bau von Museen leicht beschaffen. Gleichzeitig wird es immer schwieriger, das für die Deckung der laufenden Kosten notwendige Geld zu bekommen. Deshalb müssten die Museen immer wieder beweisen, dass sie trotz aller technischen Errungenschaften wie Internet, DVD und CD ihre Existenzberechtigung behalten haben. Die Aura des Realen und Gegenwärtigen fasziniere die Menschen nach wie vor. Aufgabe von Museumsleitern sei es, den Menschen diese Faszination zu vermitteln, sie erleben zu lassen, wie Vergangenes mit der Gegenwart verknüpft ist, ihnen zu zeigen, dass eine Welt mit Kultur besser ist als eine Welt ohne Kultur. Auch in der zeitgenössischen Musik sollten die Künstler sich auf den Empfängerhorizont der Menschen besinnen, „Die Freiheit der für die sie arbeiten. Für Enjott Schneider 6 ist die vor allem ergebnisoffenen in Deutschland gebräuchliche strenge Trennung zwischen Recherche und der meist öffentlich subventionierten, intellektuell anspruchskünstlerischen vollen Musik für ein Bildungsbürgertum („E-Musik“) und Reflexion ist der kommerziellen, unterhaltsamen Musik für die Massen Grundvoraus(„U-Musik“) ein Irrweg, der im Musikleben einen Zug zum setzung für eine Musealen und Restaurativen verursachte. Der „Kundenferne“ gesellschaftlich moderner Komponisten begegnen viele Konzertveranstalter n ü t z l i c h e k ü n s t l emit der Programmentscheidung, die Musiker lieber weiter rische Arbeit.“ alte Meister spielen zu lassen, als einen modernen Komponisten, den die meisten Abonnenten nicht hören wollen. Das Ergebnis ist, dass die neue zeitgenössische Musik unpopulär bleibt und im etablierten Konzertbetrieb nur einen marginalen Stellenwert hat. Wollen die heutigen Komponisten aus diesem selbstgewählten Ghetto heraus, müssen die Qualitätsbefunde von „U-“ und „E“-Musik integriert und zu einer zeitgemäßen „Neuen Musik“ zusammengeführt werden, die durchaus tänzerische, sangliche, folkloristische Elemente enthalten kann, ohne in Massen-Ästhetik und Kitsch abzugleiten. 7 Als Perspektive des 21. Jahrhunderts sieht Schneider 8 eine Visualisierung von Musik, durch die eine weit größere Hörerschaft angesprochen werden kann als durch die Form der „reinen Musik“, deren Rezeption dem musikalischen Laien zunehmend schwerer fällt. Es versteht sich von selbst, dass solche Visionen bei Musikkennern, die von Theodor W. Adorno und Arnold Schönberg geprägt wurden, auf heftigen Widerstand stoßen. Passend zum Veranstaltungsort, dem Bad Homburger Landgrafenschloss, dessen Bibliothekar Friedrich Hölderlin einst war, fragt Patrick Guinand ein Wort des Dichters abwandelnd: „Wozu Theater in dürftiger Zeit?“ Seine Antwort: Das Theater solle sich auf seine heilende Kraft besinnen, sich in die Politik einmischen, gegen das Vergessen kämpfen und dem Rückzug auf die eigene Identität den Imperativ der Internationalität entgegensetzen. Der am Abend um ca. 100 Gäste erweiterte Kreis des Sinclair-Haus-Gespräches erlebte unter der souveränen und zugleich fordernd fragenden Leitung von Sir Peter Jonas ein anregendes, erhellendes und unterhaltsames Podiumsgespräch zum Thema „Kultur im 21. Jahrhundert – Chancen und Zwänge“. 9 Auch wenn dabei nicht alle Probleme gelöst werden konnten, eines wurde deutlich: Zwänge fördern die Kreativität und schaffen Chancen. Für Verzagtheit besteht kein Anlass. William Forsythe, der Frankfurter Ballettchef, brachte dies so auf den Punkt: „Selbst wenn alle Theater der Welt schlössen, gäbe es immer noch genug Tanz für die gesamte Menschheit.“ J 6 7 8 9 Enjott Schneider: „Jenseits des Etablierten: Neue Perspektiven für die Musik im beginnenden Jahrhundert“, S. 45 Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Antwort von Sir Peter im Interview, S. 62 ff. Schneider, S. 45 ff. Podiumsgespräch, S. 24 9 Auftakt Diskussionsrunde zum 18. Sinclair-Haus-Gespräch im Landgrafensaal des Bad Homburger Schlosses „W a s v e r b i n d e t F ö r d e r e r und Künstler heute, ein Zweckbündnis mit Kosten-Nutzen-Analyse? Oder ist es auch noch immer die Lust an dem ganz und gar Zwecklosen eines Schöpfungsprozesses, der heimliche Wunsch, den Erben des Prometheus anzugehören?“ 10 Hans Graf von der Goltz Achtzehntes Sinclair-HausGespräch Meine sehr verehrten Damen und Herren, im Namen des Stiftungsrats der HerbertQuandt-Stiftung darf ich Sie sehr herzlich zum 18. Sinclair-Haus-Gespräch im Bad Homburger Landgrafenschloss begrüßen. Gerne hätte ich dies im Sinclair-Haus selbst getan, doch leider haben uns notwendig gewordene Umbaumaßnahmen gezwungen, den Tagungsort kurzfristig zu wechseln. Isaak von Sinclair, dem Freund und Förderer Friedrich Hölderlins, entfremden wir uns damit aber keineswegs. Sinclair wirkte am Hofe der Landgrafen von Hessen-Homburg nicht nur als Erster Minister, sondern wurde, wie wir durch neuere Forschungen wissen, auch hier im Schloss geboren. An seine dem freien Gedankenaustausch verpflichteten Gesprächsrunden mit führenden Denkern der Aufklärung wie Hegel, Schelling und Fichte knüpfen unsere Sinclair-HausGespräche an. Auch hier im landgräflichen Schloss dürfen wir also auf den von Sinclair begründeten genius loci hoffen. Für das uns gestellte Thema „Brücken in die Zukunft – Museen, Musik und darstellende Künste im 21. Jahrhundert“ wird uns eine solche Inspiration sicherlich hilfreich sein. Hinter der selbstbewusst herausgestellten Brückenfunktion der Künste verbergen sich nämlich einige sperrige Fragen, denen wir nicht ausweichen sollten. Der Titel unserer Tagung geht von der Vorstellung aus, dass uns der neue, überraschende, vielleicht auch schockierende Blick der Künste auf ihre Wirklichkeit dabei helfen könnte, ausgetretene Pfade des Denkens, Sehens, Hörens und Wahrnehmens hinter uns zu lassen und damit zukunftsfähiger zu werden. Indem die Künste über die Grenzen unserer eigenen Lebenswelt hinauswiesen – oft als inszenierte Regelverletzung des Konventionellen – zwängen sie uns zur Auseinandersetzung mit 11 Auftakt Hans Graf von der Goltz dem Neuen. So oder ähnlich heißt es jedenfalls regelmäßig bei Ausstellungseröffnungen, Preisverleihungen und anderen Veranstaltungen. Es stellt sich die Frage, ob die bildenden und darstellenden Künste oder die Musik tatsächlich diese für die gesellschaftliche Entwicklung wichtige Funktion wahrnehmen können, und ob sie sich zu diesem Zweck instrumentalisieren lassen wollen. Diese Frage betrifft die Kunst ebenso wie die Auseinandersetzung mit ihr in Museum, Oper oder Konzertsaal. Ideologische Mauern, die einzureißen Kunst sich anschickt, oder Tabus, die sie brechen könnte, existieren in den westlichen Gesellschaften kaum noch. Zukunftsprogrammatische Absichten, die Künstler in der Vergangenheit dazu gebracht haben, sich zu Bündnissen und Zirkeln zusammenzuschließen, um Manifeste eines gemeinsamen Gestaltungswillens zu produzieren, werden kaum noch artikuliert. Auch die Rezeption des Publikums hat sich verändert. Was früher noch ein „Choc“ gewesen sein mag, ist heute vielfach „chic“; die Bejahung des Progressiven wird zum Ausweis der Aufgeschlossenheit für das Neue. Das gilt für Individuen ebenso wie für Unternehmen und die öffentliche Hand. Durch die Förderung der so genannten oder tatsächlichen Avantgarde, des scheinbar Progressiven in Kunst und Musik stellt man die eigene Modernität unter Beweis, zeigt, dass man der Zukunft zugewandt ist. Dafür ist man bereit, einiges zu erdulden. Grenzen oder Tabus werden erst erreicht, wenn der Kern des eigenen Selbstverständnisses berührt ist. Insgesamt scheint es für das künstlerisch Neue einfacher geworden zu sein, Beachtung und Anerkennung zu finden. Die Frage nach der Qualität wirkt altertümlich oder gar anmaßend. Eine andere Frage schließt sich zwingend an: Führt diese wachsende Beachtung, die progressive Kunst und Musik sowie der neue Umgang mit alten Stoffen finden, auch zu einer Stärkung der gesellschaftlichen Rolle von Kunst und Musik? Sind wir also, indem wir uns bereitwilliger auf die künstlerische Avantgarde einlassen, eher in der Lage ausgetretene Pfade des Denkens zu verlassen und uns der Zukunft zuzuwenden? Oder sind auch die progressiven Künste durch die Vereinnahmung in individuellen „Lifestyle“ und unternehmerische Imagekonzepte Teil einer „Eventkultur“ geworden, wie wir sie heute überall beobachten? Eine Anpassung an die Regeln des Unterhaltungsbetriebes muss nicht anstößig sein. Vielleicht ist es auf diese Weise sogar einfacher, eine breitere Auseinandersetzung mit dem Neuen in Kunst und Musik zu initiieren. Sicher ist das aber nicht. Um seine kulturpolitisch gewollte Unterstützung des Neuen in den Künsten und der Musik zu rechtfertigen, muss der Staat die gesamtgesellschaftliche Bedeutung der Avantgarde begründen. Gelingt ihm das nicht, könnte danach gefragt werden, warum sich staatliche Förderpolitik nicht auf die Vorlieben der demokratischen Mehrheits- Podiumsgespräch bei der Abendveranstaltung zum 18. Sinclair-Haus-Gespräch: Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann, The Rt. Hon. the Baroness Blackstone, Sir Peter Jonas, William Forsythe, Prof. Dr. Friedhelm Mennekes SJ 12 Hans Graf von der Goltz Lord Weidenfeld (M.) im Gespräch mit Norman Rosenthal und Baroness Blackstone gesellschaft konzentriert. Die Förderung des Progressiven bliebe dann den Privaten überlassen – vielleicht mit Folgen für die Autonomie der Künste. Das aber muss nicht so sein. Sind nicht oft schon große Werke aus geglückter Symbiose von Förderer und Künstler hervorgegangen? „Brückenschläge“ in eine Zukunft also, oft erst nach Jahrhunderten erkannt? Der Definition eines „Brückenschlages“ als Ziel und Zweck künstlerischen Gestaltens bedurfte es damals kaum, galt doch das gemeinsame Streben einer Vollkommenheit, einem Stück Unsterblichkeit vielleicht, einer anderen, von der Zeit gelösten Dimension. Und wir? Wovon reden wir, wenn wir von Zukunft sprechen? Wo sind die Horizonte unserer Vorstellungen? Was verbindet Förderer und Künstler heute, ein Zweckbündnis mit Kosten-Nutzen-Analyse? Oder ist es auch noch immer die Lust an dem ganz und gar Zwecklosen eines Schöpfungsprozesses, der heimliche Wunsch, den Erben des Prometheus anzugehören? Nur zu behaupten, dass Museen, darstellende Künste und Musik Brücken in die Zukunft seien, reicht nicht aus, um deren gesellschaftliche Bedeutung zu begründen. Wir werden vielmehr bekennen müssen, was wir wollen, was wir erwarten und welchen Preis wir zu zahlen bereit sind. Kunst, als schöpferischer Prozess, geschieht – so oder so – auch ohne uns. Wir werden deshalb zu klären haben, ob sich die Künste so selbstverständlich wie im Titel unserer Tagung erwartet, auf den gemeinsamen Nenner unserer Vorstellungen bringen lassen. Ich bin sehr dankbar, dass wir mit Sir Peter Jonas, dem Staatsintendanten der Bayerischen Staatsoper, einen ungemein kundigen Moderator für unsere Tagung gewonnen haben. Er wird uns mit sicherer Hand und seinem im angelsächsischen und deutschen Kulturraum geschärften Blick durch das schwierige Terrain unseres Themas führen. Das 18. Sinclair-Haus-Gespräch ist hiermit eröffnet. J 13 Beiträge Hilmar Hoffmann Seismografen der Veränderung Vom Nutzen künstlerischer Arbeit für die Gesellschaft Einleitung: „Brücken in die Zukunft“ lautet nicht nur das Oberthema dieser Veranstaltung, es ist auch der deutsche Titel eines von UN-Generalsekretär Kofi Annan herausgegebenen, vom iranischen Staatspräsidenten Chatami angeregten Buches, das für den interkulturellen Dialog weltweit wirbt. Ich erwähne dies eingangs, um auf die Weite des Kulturverständnisses hinzuweisen: Künstlerische Arbeit ist Teil der ständigen Selbstreflexion einer Gesellschaft (Nida-Rümelin), und als solche wird sie in meinem Beitrag verstanden. Der Titel meines Statements enthält eine Reihe von Schlüsselbegriffen, die in den folgenden vier Thesen abgehandelt werden. Ich werde zunächst über die von mir verwendete Interpretation des Begriffs „Veränderung“ reden, dann über den „Seismografen-Begriff“ und schließlich darüber, wie wir das Wort „Nutzen“ verstehen wollen. Aus all dem finde ich eine Umschreibung für das Verständnis von künstlerischer Arbeit in der Gesellschaft (und spare mir wegen der Kürze der Zeit ein näheres Eingehen auf den fünften Begriff, den der „Gesellschaft“). 1 Als Seismografen der Veränderung gelten die Künste, wird unterstellt. Was aber ist „Veränderung“? Eine gängige Interpretation sieht uns Veränderungen ausgesetzt, auf die wir kaum Einfluss haben. Globalisierung beispielsweise wird als ein Prozess angesehen, der mit gleichsam naturwüchsiger Dynamik abläuft und auf den durch Anpas14 sung zu reagieren geraten ist. In der Tat gibt es Großveränderungen, auf die wenig direkter Einfluss auszuüben ist. Die „reziproke Globalisierung“, wie Ernst Otto Czempiel die Ereignisse des 11. September 2001 genannt hat, ist eine nicht intendierte, aber unvermeidliche Nebenfolge eines Prozesses, der gleichwohl wissentlich und willentlich in Gang gesetzt wurde: Die gewollte und durch gezielte Einflussnahme aktiv bewirkte Öffnung der Märkte und die Entwicklung der weltweiten Kommunikation liefert allen, nicht nur den erwünschten Kräften, neue Mittel und Möglichkeiten – vom staatenlosen Terror und der organisierten Kriminalität bis hin zur Währungsspekulation. Um eine bedeutende Veränderung handelt es sich auch, wenn der europäisch-atlantische Block nicht mehr eindeutig und offen im Zentrum der Welt und als Gipfel der globalen Entwicklung gesehen wird. Europa und das so genannte westliche Bündnis müssen sich damit abfinden, dass die Reiche des Ostmeeres und des Südwindes eine eigene Stimme in der Weltgeschichte erheben. Es muss für die atlantische Wertegemeinschaft als Provokation wirken, wenn islamisch geprägte Staaten eine eigene Reformdynamik entwi„Die Akteure ckeln, wie der Iran mit der Kunst präseinen inneren Reforsentieren ihre men und der eingangs eigenen, eigenerwähnten Politik des w i l l i g e n V o rinterkulturellen Dialogs stellungen der von Chatami. kulturellen Es handelt sich bei Öffentlichkeit. der Dezentrierung EuWie diese daropas weniger um eine rauf reagiert, unbeabsichtigte Nebenist eine andere folge eines gezielten Frage.“ Prozesses, als vielmehr um die überfällige Revision eines unhaltbar gewordenen Anspruchs. Die Problematisierung aller Konzepte von Fortschritt, Entwicklung und Evolution, auf die wir uns ferner einzustellen haben, ist ebenfalls eine unvermeidbare Folge der bisherigen Geschichte Europas und der USA. Museum für Moderne Kunst, Frankfurt a. M.: „Sleeping by the Lion Carpet“, Gemälde von Lucien Freud Beiträge Hilmar Hoffmann Im Inneren unseres Landes haben Veränderungen der Arbeitswelt, des Altersaufbaus der Bevölkerung, der Familienstruktur, der ethnisch-kulturellen Traditionen und religiösen Prägungen in der Einwohnerschaft weitere Veränderungen zur Folge, die als gravierend interpretiert werden können und auf die auch im kulturellen Bereich zu reagieren ist. Schon diese kurze Auflistung von Problemfeldern zeigt, dass es gar nicht so einfach ist, die entscheidenden Aspekte der „Veränderung“ einvernehmlich zu bestimmen. Es wird diesbezüglich sehr unterschiedliche Ansichten geben. Das wirkt sich aus auf unsere Definition des Bildes vom „Seismografen“. 2 Zunächst denken wir beim „Seismografen“ an das Bild eines passiven Anzeigeapparates: Schon die alten Chinesen benutzten mit Quecksilber gefüllte Becken, um Erdbeben auch in größter Entfernung durch wellenförmige Veränderungen ihrer Oberfläche wahrzunehmen. Der Seismograf dokumentiert in seiner technischen Bedeutung und Verwendung monokausal verursachte Veränderungen in linearer Abhängigkeit von Anzeige und Angezeigtem. Wenn wir das Bild vom Seismografen auf „Europa und die künstlerische und das so genannte kulturelle Sphäre überwestliche Bündnis tragen, dann geht es müssen sich dabei um plurikausale damit abfinden, Prozesse und um Interdass die Reiche pretationen, statt um des Ostmeeres das einfache Anzeigen u n d d e s S ü d w i nvon Veränderungen. des eine eigene Wenn der Geist, wie Stimme in der Schiller es beschrieb, Weltgeschichte auf mannigfache Beerheben.“ rührungen mit Wirklichkeit mit größter Unabhängigkeit der Vernunft und Empfindung zu reagieren bereit und in der Lage sein muss, dann hat das folgende Konsequenz: Der Intellekt klopft diese „Wirklichkeit“ mit seinen Mitteln in eigener Kompetenz daraufhin ab, wo er denn spannende Veränderungen festzustellen meint. Die aufgegriffenen Aspekte können sich so deutlich unterscheiden von denen, die im offiziellen Trend wahrgenommen werden. 16 Der Seismograf wird Subjekt, er darf und muss selber auswählen, was ihm wichtig erscheint und was er anzeigen will. Nur so können sich die Akteure der Künste untereinander verständigen: In subjektiver Verantwortung und eigener Kompetenz interpretieren und werten sie, was sie vorfinden und beobachten. Von niemandem dürfen sie sich vorschreiben lassen, was sie als wichtige Veränderung einschätzen und worauf sie warum reagieren wollen. Sie präsentieren ihre eigenen, eigenwilligen Vorstellungen der kulturellen Öffentlichkeit. Wie diese darauf reagiert, ist eine andere Frage. 3 Aus dieser aktiven Rolle des Seismografen ergibt sich für unsere Überlegungen eine Präzisierung des „Nutzens“: Nutzen ist ohnehin ein höchst problematischer Begriff, wenn er auf die Künste angewandt wird. Niemand in diesem Kreis dürfte darunter etwas verstehen wollen, was die künstlerischen Akteure in den Dienst vordergründiger ökonomischer oder politischer Interessen rücken möchte. So wenig wir verkennen, dass immer und zu allen Zeiten Künste auch mit Herrschaft und Ökonomie verbandelt waren, so wenig ließe sich tolerieren, dass daraus eine Abhängigkeit entsteht. Die Rolle der Künste und des kulturellen Systems ist viel komplexer zu verstehen. Der Lohn der Kultur ist die Kontingenz, sagt der Kulturphilosoph Ralf Konersmann. Möglichkeitsräume, Spielräume, Korridore der Zukunft, ja Brücken in die Zukunft vermögen sie zu konstruieren, indem sie Spielräume ausloten und neue Interpretationen wagen. Sind ihre Konstruktionsvorschläge überzeugend, deren Idee die Massen ergreifen soll, dann können daraus tragfähige Strukturen für zukunftsfähige Organisationsformen des gemeinschaftlichen Lebens entstehen. Begriffe und Symbole für die veränderte Welt zu entwickeln, darin beschreibt sich die anstehende Aufgabe für die kulturellen Kräfte. Wenn mit Begriffen, Symbolen und Worten Welt konstituiert und konstruiert wird (mindestens handlungsleitende Standards daraus abgeleitet werden), dann werden die angemessenen Worte und Begriffe umso wichtiger. Wer zum Beispiel „Amerika“ sagt und die USA meint, legitimiert damit automatisch den Vorherr- Hilmar Hoffmann schaftsanspruch eines Staates über einen ganzen Kontinent. Statt das universalisierende Paradigma der westlichen Moderne der ganzen Welt überzustülpen, sind Begriffe, Symbole und Metaphern für eine polyzentrische Welt gefragt. Die Begriffsarbeit des 19. Jahrhunderts verankerte einst die Selbstverständlichkeit des Imperiums und der geografischen Arbeitsteilung in den Köpfen der Menschen. Die Symbolarbeit der Kunst war dafür, wie Edward W. Said (Kultur und Imperialismus, Frankfurt am Main 1994) herausarbeitet, unerlässlich. Die intellektuelle Arbeit des aufklärerischen Impulses, des Evolutionismus und des Fortschrittsdenkens schufen lange Zeit nicht hinwegzudenkende Weltsichten (denen beispielsweise die ausgeprägt zyklischen Geschichtsvorstellungen der chinesischen Welt gegenüberstehen). Ich illustriere die heute für die Künste anstehende Aufgabe mit einem historischen Beispiel: Für die Bürgerschaft von Athen, der in der Antike mächtigsten Stadt der mittelmeerischen Welt, war das klassische Theater ein unentbehrliches Forum der kulturellen Öffentlichkeit. Der Münchener Althistoriker Christian Meier erläutert in seinem Athen-Buch, wie die Bürger dieser hellenischen Stadt einst in historisch jeweils neuer Situation mit Hilfe des Theaters in der Lage waren, „jenen ganzen umfassenden Apparat von Institutionen und Vorstellungen, jene Weltbilder, jenen Glauben, jenen Sinn auszubilden, ohne den eine höhere, differenziertere Zivilisation nicht sein kann, und sie mussten auch formulieren, wer sie sind“. Das Theater der alten Athener war vitaler Faktor beim Aufbau der ethischen Ausstattung und der mentalen Infrastruktur für die Bürger der auch dadurch berühmt gewordenen athenischen Stadtrepublik, der es gelang, die Menschen in diesem geistigen Humus zu beheimaten. In aussichtsloser Lage halfen den Athenern schließlich ihre Künste mehr als dicke Mauern. Die Athener zehrten nach politischen Fehlentscheidungen ebenso wie in Zeiten der Not von dem Glanz und der Attraktivität ihrer kulturellen Tradition. Diese Wechselbeziehungen setzten sich bis ins 19. Jahrhundert fort. Daraus ließen sich, und damit komme ich zu einem letzten Beispiel, auch für die Diskussionen über die Bewerbung der Rhein-Main-Region um den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt Anregungen gewinnen. Wer dieser Region helfen und ihre Stärke und Attraktivität steigern wollte, der müsste sich danach fragen lassen, wie denn die künstlerischen und kulturellen Kräfte sich dabei aktiv einbringen könnten. Wenn sie sich nicht nur anschließen wollen an die Wirtschaftsinitiativen und regionalpolitischen Aktivitäten, wäre es angemessen, ihrerseits selbst Impulse zu geben. In einer Stadt wie „Statt das uniFrankfurt bündeln sich versalisierende heute die größten WiParadigma dersprüche, angesichts der westlichen derer wie im alten Moderne der Athen eine neue mentaganzen Welt le Infrastruktur zu entüberzustülpen, wickeln wäre: Wachssind Begriffe, tumshoffnungen stehen Symbole und Meneben den Ansprüchen taphern für eine auf Nachhaltigkeit, und polyzentrische der Luxus hat sich den W e l t g e f r a g t .“ Klagen der Armut zu stellen. Gerechtigkeitsstreben konkurriert mit Gewinnmaximierung, während humane Standards des klassischen Erbes konkurrieren mit dem Versuch des Re-engineering (der Neuerfindung) des genetisch optimierten Menschen. Angesichts des raschen Verfalls von einst als vielversprechend gehandelten Innovationen bestehen auch angesichts des rasanten Wechsels von Paradigmen außerordentliche Herausforderungen für das Selbstverständnis und die Kultur unserer Gesellschaft. Mit Blick auf die verschiedensten Krisenszenarien oder auch nur Unsicherheiten besteht ein neuer Bedarf an Nachdenken über Grundfragen des Seins. Nicht nur in der Rhein-Main-Region, sondern in einer Prosperitätsregion wie Europa stellt sich heute die alt-neue Frage nach dem richtigen Leben angesichts des Zustandes der Welt. Diese Frage wurde nach dem schrecklichen „Angriff auf unsere Lebensweise“ (George W. Bush jr.) vom 11. September 2001 brisant aktuell: „Die Globalisierung hat vielen ungeahnten Wohlstand gebracht, zugleich aber auch neue Armut und politische Brüchigkeit“ (Kissinger). Den einstigen US-amerikanischen Außenminister Henry Kissinger ängstigt die Legitimationskrise, die er für den Fall für unausweichlich hält, wenn im Globalisierungsprozess der Ausgleich zwischen 17 Beiträge Hilmar Hoffmann „Die Frage nach dem richtigen Leben angesichts des Zustandes der Welt […] wurde nach dem schrecklichen ,Angriff a u f u n s e r e L e b e n sweise‘ (George W. Bush jr.) vom 1 1. S e p t e m b e r 2 0 0 1 brisant aktuell.“ 4 Trauer um die Opfer der Terroranschläge in den USA vor dem amerikanischen Generalkonsulat in Frankfurt a. M. den Begünstigten und den Benachteiligten misslänge (Theo Sommer in einer Rezension von Kissingers Buch „Does America Need a Foreign Policy?“ In: Die Zeit v. 23.08.01). Wir sind schon inmitten dieser Legitimationskrise, und die Antwort lässt sich reduzieren auf neue Sicherheitssysteme und Waffentechnologien oder hilflose Entwicklungsprogramme. „Zukunft ist ein kulturelles Programm“, lässt sich gut und gern behaupten: Macht, Einfluss und Politik können die anstehenden Probleme allein nicht lösen, wenn ihnen nicht Werte und Ziele zugeordnet sind. Diese müssen in demokratischen Verhältnissen erkennbar sein als auf Lebensqualität und Wohlbefinden gerichtet. Gewiss, alle großen Pläne stehen unter dem tröstenden Vorbehalt der „Disproportion des Talents mit dem Leben“ – so Goethe über seinen „Tasso“. Aber dieser Spannung zwischen Gewolltem und Realisiertem, zwischen großen Visionen und kleinen Kräften müssen sich die Kunst und die kulturellen Akteure immer wieder stellen. 18 Abschließend fasse ich noch einmal zusammen: Unveräußerliche Charakteristika künstlerischer Arbeit als Seismografen der Veränderung bestehen darin, aus der Erfahrung des sich wandelnden Lebens symbolische Formen der deutenden, wertenden und erkennenden Aneignung von Welt zu generieren. Indem die Künste kulturspezifisch Möglichkeiten der Interpretation von Welt und Mensch durchspielen und vorleben, öffnen sie innerhalb einer Gesellschaft Chancen des Wandels und der Entwicklung. Sie erschließen „Möglichkeitsräume“ für die Überwindung von Denkblockaden und gesellschaftspolitischen Sackgassen. Bezogen auf die Beziehungen zwischen Gesellschaften und kulturell geprägten Räumen erlauben sie es, mit Hilfe nachempfindender Kommunikation die Barrieren der Wortlosigkeit zu durchbrechen und die schwarzen Löcher des Unverständnisses zu überwinden. Wenn all dies mit der Professionalität der Künste und in ihrer Zeitgenossenschaft geschieht, und wenn sie die Ergebnisse ihrer Arbeit der kulturellen Öffentlichkeit präsentieren, helfen sie Gesellschaften, sich neu kulturell zu justieren. So lässt sich vielleicht besser verstehen, was als ihr „Nutzen“ bezeichnet wird. Es ist der Job von Museen sowie der Institutionen der Pflege von Musik und darstellenden Künsten im 21. Jahrhundert, die Öffentlichkeit für solche kulturelle Aktivität herzustellen. Die Freiheit der ergebnisoffenen Recherche und Reflexion, die sich nicht für fremdgesetzte Ziele instrumentalisieren lässt, ist die Voraussetzung für solche nützliche Tätigkeit. J Beiträge Tessa Blackstone Mäzene, Sponsoren oder staatliche Subventionskultur? Rahmenbedingungen für die künstlerische Avantgarde Diese Gespräche bieten eine willkommene Gelegenheit, einige Fragen zu erörtern, um deren Beantwortung die Staaten und ihre Regierungen in ganz Europa ringen. Wie lassen sich Kunst und Kultur im neuen Jahrtausend am besten fördern? Wie können wir der künstlerischen Kreativität Anstöße geben, während wir uns gleichzeitig mit einer Vielzahl anderer gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Herausforderungen auf lokaler, nationaler und internationaler Ebene auseinandersetzen müssen? Welche Rolle sollte der private Sektor spielen, wenn die staatliche Förderung an ihre Grenzen stößt? Und gibt es ein bestimmtes Modell der Kunstförderung, das sich auf unterschiedliche Länder übertragen lässt? Traditionell liegt die Position Großbritanniens zwischen dem liberalistischen Modell der Vereinigten Staaten, wo die Künste seit jeher von „Wir werden einem privaten, durch immer wieder steuerliche Anreize undaran erinnert, terstützten Mäzenatendass jedes Pfund tum gefördert werden, für die Kunst ein und dem eher dirigisPfund weniger tischen europäischen für Bildung und Modell. Vielleicht könG e s u n d h e i t […] nen wir das britische bedeutet.“ Modell den „Dritten Weg“ nennen. Während die politische Ausrichtung britischer Regierungen während der vergangenen fünfzig Jahre immer wieder zwischen Rechts und Links gewechselt hat, haben sich die jeweiligen Kultur- minister mit erstaunlicher Kontinuität an das „arm’slength principle“, den Grundsatz einer „vermittelten“ Förderung, gehalten. Sie beschaffen sich beim Finanzminister so viele Mittel, wie sie bekommen können, und geben sie dann, mit einigen allgemeinen Zielvorgaben versehen, an ein Expertengremium weiter, zurzeit das „Arts Council of England“, das sachverständig darüber entscheidet, in welchem Umfang welche Theater, Orchester, Schriftsteller und andere Künstler unterstützt werden sollen. Als amtierende Kunstministerin kann ich sagen, dass dieses „arm’s-length principle“ bisweilen außerordentlich frustrierend sein kann. Trotzdem glaube ich, dass es uns (von einigen Ausnahmefällen abgesehen) in Großbritannien gute Dienste geleistet hat. Bei unseren Gesprächen mit Kollegen im Finanzministerium werden wir immer wieder daran erinnert, dass jedes Pfund für die Kunst ein Pfund weniger für Bildung, Gesundheit, Verkehr oder Verbrechensbekämpfung bedeutet. Selbstverständlich lässt sich dem entgegenhalten, dass öffentliche Ausgaben für die Kunst oft auch diesen allgemeineren Belangen zugute kommen, und so argumentieren wir auch. Ich bin darauf gespannt, wie diese Diskussion in Deutschland und anderen Ländern geführt wird und ob dabei Argumente zur Sprache kommen, die auch uns nützlich sein könnten. Dennoch müssen wir vor dem Hintergrund unserer gemeinsamen politischen Verantwortung erkennen, dass Prioritäten zu setzen sind und dass die Mittel, die sich zur Förderung der Künste und für den Unterhalt unserer großen staatlichen Sammlungen aus dem Staatshaushalt abzweigen lassen, immer begrenzt sein werden. Welche Rolle sollte nun der private Sektor bei der Kulturförderung spielen, wenn man berücksichtigt, dass sich allein mit staatlichen Geldern niemals genug für die Künste tun lassen wird? Das private Mäzenatentum kann auf eine ehrwürdige, eindrucksvolle Geschichte zurückblicken, die bis in die Tage des alten Maecenas selbst reicht. Ich glaube nicht, dass der individuelle Mäzen durch das Anwachsen der staatlichen Kunstförderung an Bedeutung verloren hat. Ich glaube vielmehr, dass heute, am Beginn eines neuen Jahrtausends, dem kulturellen Sektor mit einer Partnerschaft zwischen 19 Beiträge Tessa Blackstone öffentlichem und privatem Sektor am besten gedient ist. Das Klima für Kunst und Kultur ist in Großbritannien – trotz einiger Probleme – zurzeit recht günstig, und ich glaube, dass die Stellung der Künste und Museen im ganzen Land in den kommenden Jahren noch weiter gestärkt werden wird. Vielleicht klingt es etwas selbstgefällig, wenn ich als Mitglied der jetzigen Regierung eine solche Voraussage mache. Aber auch wenn ich natürlich der Meinung bin, dass unsere Politik tatsächlich dem Wohle der Künste und der Künstler dient, bin ich doch ebenso fest davon überzeugt, dass all unsere Maßnahmen nicht ausreichen würden ohne eine konsequente und weitsichtige Unterstützung von Seiten des privaten Sektors, sei es durch private Mäzene und Stiftungen, sei es durch Unternehmen und andere Organisationen. Die Finanzierung der Kunst lässt sich mit einem Auto vergleichen. Seine vier Räder sind: die staatlichen Mittel, die privaten Mittel, die kommunalen Mittel und die Kasseneinnahmen. Wenn eines dieser Räder ausfällt, wird das Fahren außerordentlich schwierig. Um vorwärts zu kommen, müssen alle vier Räder fest sitzen und sich in die gleiche Richtung drehen. An dieser Stelle möchte ich kurz die Ziele umreißen, die die britische Regierung im Hinblick auf die Künste verfolgt. • Zunächst und vor allem wollen wir herausragende Leistungen – excellence – fördern, und zwar nicht nur bei den großen nationalen Institutionen wie der National Gallery, der Royal Shakespeare Company und der English National Opera (die Peter Jonas, als er nach München ging, kerngesund hinterlassen hat), sondern auch bei den vielen hundert kleineren Einrichtungen, die den Lebensnerv von Kunst und Kultur in Großbritannien bilden. • Wir wollen die Beziehung zwischen Kultur und Bildungswesen intensivieren, indem wir Kindern und Jugendlichen einen besseren Zugang zum kulturellen und sportlichen Leben verschaffen und ihnen Gelegenheit bieten, den ganzen Reichtum ihrer Talente durch aktive Teilnahme zu entfalten. • Wir wollen unsere nationalen Sammlungen und Institutionen der breiten Öffentlichkeit noch besser zugänglich machen und damit den ge20 sellschaftlichen Zusammenhalt und das lebenslange Lernen fördern. Einer der größten Erfolge während der letzten Jahre war die Rückkehr zum freien Eintritt in allen nationalen Museen und Galerien. Diese Sammlungen gehören der Nation, und jeder kann sie nun kostenlos besuchen. Diese Initiative fand allgemein großen Beifall, aber wir können uns auf unseren Lorbeeren nicht ausruhen, denn in einem nächsten Schritt wollen wir auch den Reichtum der örtlichen und regionalen Museen und Galerien für ein breiteres Publikum öffnen. • Wir wollen den Beitrag der kreativen Branchen zur Gesamtwirtschaft maximieren. Diesen Zielen können wir durch die Bereitstellung öffentlicher Mittel um einiges näher kommen. Und tatsächlich haben wir eine Aufstockung der staatlichen Mittel für den Kunstbereich um 40 Prozent während der kommenden drei Jahre beschlossen. Damit soll die chronische Unterfinanzierung während der achtziger und eines großen Teils der neunziger Jahre ausgeglichen und die kulturelle Infrastruktur gestärkt werden. Aber wie gesagt: Gleichgültig, wie viel öffentliche Mittel wir für die Kunst aufbringen können, werden diese Gelder allein niemals ausreichen, eine Umgebung zu schaffen, in der die Künste wirklich gedeihen können. Private Kunstförderung ist und bleibt unverzichtbar. Der Einfluss der National Lottery auf den britischen Kultursektor während der letzten zehn Jahre kann nicht hoch genug bewertet werden. Daran lässt sich die Partnerschaft zwischen privatem und öffentlichem Sektor in Großbritannien am besten veranschaulichen. Aus der Lotterie sind mehr als 13 Milliarden Euro direkt in sinnvolle Projekte im ganzen Land geflossen, und aufgrund der „matching fund“-Richtlinien bei der Finanzierung der durch die Lotterie unterstützten Kapitalbildungsprojekte sind darüber hinaus weitere acht Milliarden Euro aus dem privaten Sektor hinzugekommen. Und diese Zahl umfasst nur die Mittel, die in die Projekte selbst geflossen sind. Die breitere Wirkung im Sinne einer Stärkung oder Erneuerung des urbanen Lebens ist jeder größeren Kommune im Land zugute kommen und hat vielerorts den Stolz der Bürger auf ihre Städte wiederhergestellt, von dem jahrzehntelang nichts zu spüren war. Eine interessante Folge dieser Entwicklung ist der leidenschaftliche Wettbewerb, der nun zwischen jenen zwölf Städten entbrannt ist, die sich für das Theater in einer Seitenstraße des Trafalgar Square, London „Wir wollen auch die vielen hundert kleineren Einrichtungen fördern, die den Lebensnerv von Kunst und Kultur in Großbritannien bilden.“ Jahr 2008 offiziell als „Europäische Kulturhauptstadt“ beworben haben. Von welchen Motiven lassen sich private Stifter leiten? Und kommt es darauf an, wie diese Motive beschaffen sind? Gibt es eine moralische Hierarchie, derzufolge bestimmte Stiftungen eine höhere Wertschätzung verdienen als andere? Ich glaube nicht, dass diese Fragen wirklich wichtig sind. Michelangelo und Leonardo da Vinci wurden von den Borgias gefördert. In seinem Buch „Culture of Complaint“ befasst sich der australische Autor und Fernsehjournalist Robert Hughes ausführlicher mit diesem Thema. Er zitiert das Beispiel des Sigis- mondo da Malatesta, eines ebenso verrufenen wie kunstbegeisterten Renaissancefürsten, der den Architekten Alberti und den Maler Piero della Francesca in seine Dienste nahm und sie zum Andenken an seine Frau eine Kathedrale bauen ließ. Gleichzeitig wurde dieser Sigismondo, der den Bischof von Fano auf dem größten Platz von Rimini vergewaltigt hatte, „nach seinem Tod allgemein so verabscheut, dass die katholische Kirche ihn (eine Zeit lang) offiziell neben Judas Ischariot als einzigen Menschen aufführte, der sich in der Hölle aufhalte.“ Viele große Sammlungen des Abendlandes, die heute den Grundstock unserer nationalen Museen und Galerien bilden, gehen auf die Initiative einzelner Mäzene zurück. Oft beruht die Vergabe von Aufträgen an bestimmte Künstler auf Eitelkeit oder noch weniger ehrenhaften Motiven. Für manche Leute war die Förderung der Kunst schon immer ein Mittel, sich Ansehen zu erkaufen, und selbst die amerikanischen Industriemagnaten des 19. Jahrhunderts entschlossen sich zu ihren großen philanthropischen Stiftungen erst, als die Regierung ihnen mit der Verhängung von Strafsteuern drohte. Fairerweise muss man allerdings sagen, dass solches Mäzenatentum oft aus echter Begeisterung 21 Beiträge Tessa Blackstone (wenn auch nicht immer aus wirklichem Verständnis) für die Kunst erwächst. Man denke an die Geschichte, wie sich Peggy Guggenheim zu Jackson Pollock und seinen „drip paintings“ bekehren ließ: Sie zeigte eines dieser Bilder Piet Mondrian, dem Meister der reinen, abgeklärten Form, in der Erwartung, er werde ihr in ihrer Geringschätzung beipflichten. Doch Mondrians überraschende Bewunderung für Pollock hatte zur Folge, dass es auch Peggy Guggenheim plötzlich wie Schuppen von den Augen fiel. Und man muss es ihr hoch anrechnen, dass sie an ihrem Enthusiasmus festhielt. Solcher Enthusiasmus hat die westliche Kunst oft nachhaltig bereichert. Eine gewisse Ahnungslosigkeit auf Seiten des Mäzens ist vielleicht sogar wünschenswert. Zumindest sollte er bereit sein, den Künstler „machen zu lassen“. Schließlich bewegt sich dieser hier auf seinem ureigenen Feld, und man kann nur hoffen, dass jeder Mäzen auch an dem Element der Überraschung Gefallen findet, wenn er mit dem vollendeten Werk kon„Ich glaube frontiert wird. Bei Sigisnicht, dass dem mondo war das so, und Gönner durch indem er Alberti freie s e i n M ä z e n aHand ließ, hat er die tentum ein Entwicklung der ArchiRecht zuwächst, tektur in der Renaissich in den sance stark beeinflusst. schöpferischen Andererseits blieb eines Prozess einder größten Meisterzumischen.“ werke der abendländischen Kultur durchaus nicht allein den künstlerischen Absichten seines Schöpfers überlassen. Als die Mitglieder des Kardinalskollegiums Michelangelos Version der Heilsgeschichte in der Sixtinischen Kapelle zum ersten Mal zu Gesicht bekamen, waren sie entrüstet und verlangten Änderungen. Ich glaube allerdings nicht, dass dem Gönner durch sein Mäzenatentum ein Recht zuwächst, sich in den schöpferischen Prozess einzumischen. Das gilt auch, wenn nicht sogar in noch stärkerem Maße, beim Kultursponsoring von Unternehmen. Es gibt wohl fast so viele Gründe, die Künste zu fördern, wie es Förderer gibt. Viele Einzelpersonen, die sich mäzenatisch betätigen, äußern sich nur ungern über ihre Beweggründe, und wir müssen ihre Haltung natürlich respektieren. Andere sind in dieser Frage offener. Viele treibt der Wunsch, etwas 22 für die Allgemeinheit zu tun oder sich für die Freude erkenntlich zu zeigen, die ihnen die Künste über Jahre hin bereitet haben. Anderen geht es um ihr eigenes dauerhaftes Andenken – sie wünschen sich etwas, das sie selbst überleben wird. Zahlreiche Schenkungen zugunsten der Kunst sind zustande gekommen, weil im Gegenzug Gebäude oder Institutionen nach dem Stifter benannt wurden. Meiner Ansicht nach sollten wir bei diesem Recht auf Namensvergabe nicht allzu empfindlich reagieren. Wenn es auf diese Weise möglich wird, Neues zu schaffen oder vorhandene Sammlungen zu erhalten, scheint mir der Preis nicht zu hoch. In jedem Fall sollten diese Fragen jedoch zwischen Künstler und Gönner geklärt werden, der Staat sollte sich nicht einmischen. Ich meine, die Motive eines Stifters sind weitgehend seine Privatangelegenheit, und im Grunde möchte ich die verschiedenen Gründe für private Schenkungen im Bereich der Kunst gar nicht so genau kennen. Eine solche Kenntnis kann jedoch hilfreich sein, wenn es um die steuerpolitische Ausgestaltung der individuellen Spendenpraxis geht. Im Jahre 2000 haben wir die Richtlinien für gemeinnützige Spenden in Großbritannien geändert. Die meisten britischen Kunstinstitutionen (bis auf die allerkleinsten) sind nun als gemeinnützige Einrichtungen eingetragen. Es ist natürlich schwierig, die Auswirkungen einer solchen Änderung zu messen. Wir haben jedoch den Eindruck, dass sich die individuellen Spenden für diese Einrichtungen seither deutlich erhöht haben. Spenden von Unternehmen lassen sich leichter erfassen. In Großbritannien haben wir eine Organisation namens „Arts & Business“. Sie arbeitet wie ein Heiratsvermittler zwischen Kunst und Wirtschaft, macht geeignete Partner ausfindig, hilft dabei, starke, haltbare Beziehungen zwischen einzelnen Organisationen zu stiften und bewirkt tatsächlich, dass private Spenden in erheblichem Umfang ihren Weg in den Bereich der Kunst finden. Unabhängige Berater erstellen alljährlich einen Bericht über die Sponsorentätigkeit von Unternehmen in der Kunst; im Berichtszeitraum 2000/2001 betrug die Summe der in Großbritannien von Unternehmen an die Künste geflossenen Sponsorengelder 150 Millionen Euro. Soweit ich weiß, gibt es in Deutschland eine ähnliche Körperschaft, den Arbeitskreis Kultursponsoring (AKS), der aber, wie es scheint, in der deutschen Geschäftswelt noch nicht so etabliert ist wie sein britisches Pendant. Tessa Blackstone Jenseits der traditionellen, eher paternalistischen Beziehungen zwischen Wirtschaft und Kunst konnte man in den letzten Jahren einige andere interessante Entwicklungen beobachten. Wirtschaftsunternehmen und künstlerische Institutionen haben erkannt, dass jede Seite über Fertigkeiten und Potenziale verfügt, die sich weitergeben lassen und die der anderen Seite nützlich sein können. Künstlerische Einrichtungen können den Unternehmen bestimmte Formen von Kreativität vermitteln, die zur Stärkung ihrer Wettbewerbsfähigkeit beitragen. Umgekehrt verfügt die Wirtschaft in Managementfragen, in Fragen der Finanzverwaltung und in anderen Bereichen über ein Know-how, das im Kunstbereich während der vergangenen Jahre eher vernachlässigt wurde. Ein weiterer wichtiger Ansporn zur stärkeren Förderung der Kunst ist der Wunsch vieler Unternehmen, ihre unternehmerische Verantwortung für das Gemeinwesen, die „Corporate Social Responsibility“ (CSR), zu demonstrieren. Der elementare Nutzen der CSR ist seit langem bekannt. Viele Unternehmen haben ihre Verantwortung für das Gemeinwesen unter Beweis zu stellen versucht, indem sie Projekte im Bereich von Bildung, Umweltschutz oder Gemeinde- und Stadtteilarbeit unterstützten – und wenn sie die Wahl hatten, haben sie ihre Mittel tatsächlich eher in solche Projekte als in den künstlerischen Bereich gesteckt. Bei manchen Unternehmen galten die Künste zu Unrecht als elitär und „zu weit weg“ von den allgemeinen Belangen, für die diese Unternehmen sich einsetzen wollten. Mit Unterstützung meines Mi- nisteriums bemüht sich „Arts & Business“ darum, den Unternehmen zu verdeutlichen, dass sie viele dieser allgemeinen gesellschaftlichen Anliegen, wenn nicht alle, sehr wohl auch durch eine Unterstützung der Künste fördern können. Ich habe hier einige Herausforderungen genannt, die uns auch weiterhin Probleme bereiten werden. Zwar sind die Mittel, die die Unternehmen für die Kunstförderung aufgewendet haben, seit 1977 Jahr für Jahr gestiegen, aber die jüngsten Zahlen von „Arts & Business“ deuten an, dass im Jahr 2000 ein Scheitelpunkt überschritten wurde, zum Teil auch weil in diesem Jahr eine Reihe kostspieliger öffentlicher Projekte rechtzeitig zu den Jahrtausendfeiern fertiggestellt wurden. Vielleicht zeigt die unternehmerische Kunstförderung momentan auch gewisse Ermüdungserscheinungen – jedenfalls schrumpft der Anteil von Projekten, die durch privates Kapital gefördert werden, gegenüber den Projekten, die aus Steuermitteln gefördert werden. Hier ergibt sich eine ernste Herausforderung für einige unserer großen kulturellen Einrichtungen, deren Finanzplanung auf kühnen Zielsetzungen ihrer Spendenaktionen beruhten, die sowohl mit der Unterstützung setens wohlhabender Privatpersonen als auch seitens der Unternehmen rechneten. Partnerschaften mit Wirtschaftsunternehmen sind zu einem wichtigen Element der Existenzgrundlage der Künste geworden, und die kulturellen Einrichtungen werden sich wieder an den Staat halten, falls die privaten Quellen versiegen. Unter solchen Umständen werden wir nach wie vor auf die Kraft der Volkswirtschaft als ganzer angewiesen sein. J „Wir wollen […] Kindern und Jugendlichen Gelegenheit bieten, den ganzen Reichtum ihrer Talente durch aktive Teilnahme zu entfalten.“ Kinder malen, kneten und schnitzen in der Hamburger Kunsthalle 23 Beiträge Abendveranstaltung anlässlich des 18. Sinclair-Haus-Gesprächs. Auf dem Podium: Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann, The Rt. Hon. the Baroness Blackstone, Sir Peter Jonas, William Forsythe und Prof. Dr. Friedhelm Mennekes SJ Kultur im 21. Jahrhundert – Chancen und Zwänge Podiumsgespräch während der Abendveranstaltung zum 18. Sinclair-Haus-Gespräch – Moderation Sir Peter Jonas Sir Peter: Vielleicht darf ich mich zunächst an Sie wenden, Pater Mennekes. Ich kenne Sie bislang nicht, weiß aber, dass Sie bedeutender sind als wir alle. Denn mit Ihrer Arbeit versuchen Sie ja das umzusetzen, was Tessa Blackstone am Nachmittag in ihrem Vortrag angemahnt hat, nämlich dass Kunst und Kultur auch die Verantwortung haben, unsere Welt lebenswerter zu machen – „to make it a better place“. Dazu müssen wir Kunst für alle Schichten der Gesellschaft öffnen, ja sie sogar in unsere Gefängnisse bringen. Am Nachmittag haben wir auch diskutiert, dass das alte kollektive Ritual der Religion ersetzt worden ist durch zwei neue Arten kollektiver Rituale, zum einen durch das hyperaktive, hyperkommerzialisierte kollektive Ritual des Sports und zum anderen durch das Ritual der darstellenden Kunst. Sie haben ganz in dem von Tessa Blackstone angesprochenen Sinne Kunst in das alte Forum des kollektiven 24 Rituals des Menschen – der Kirche – hineingebracht. Bitte berichten Sie uns, warum und wie Sie das getan haben und welchen Widerständen Sie dabei begegnet sind. Professor Mennekes: Ich muss gestehen, dass ich eigentlich immer ein Lieblingskind linker Kulturpolitiker war und meinen eigentlichen Ziehvater in Hilmar Hoffmann gefunden habe. Es begann damals in Frankfurt, als ich in Nied, einem wirklichen Arbeiterviertel, Pfarrer war und erlebte, dass sich das Ruhrgebiet auch nach Süden verpflanzen lässt. Hier habe ich erstmals entdeckt, dass Kunst wichtig ist. Zwei Dinge muss ich allerdings vorausschicken: Ich komme erstens aus dem Ruhrgebiet und habe nur den zweiten Bildungsweg, also „Kultur nix“, und zweitens komme ich aus dem Jesuiten-Orden, das sind diese calvinistischen Rationalisten, also wieder „Kultur nix“. Und insofern war ich wirklich völlig ungebildet in Sachen Kunst; ich wurde nur auf einmal ganz eifersüchtig gewahr, dass Kunst einen unglaublichen Eindruck auf Menschen macht, und vor allem auf Menschen, die ich über das System der Religion nicht erreiche. Und so beschloss ich, Ausstellungen in Kirchen zu machen. Das Problem war jedoch, dass es in den katholischen Kirchen überall dort, wo ich meine Ausstellungen zeigen wollte, Beichtstühle gab. Zwar wusste ich natürlich als Pfarrer, dass die Menschen nicht mehr beichten gehen, aber ich kenne meine Katholiken: Wenn es ans Eingemachte geht, also an das Beichten, dann heißt es, die 25 Beiträge Podiumsgespräch Beichtstühle müssen bleiben. Als die Gemeindemitglieder mir sagten, der Beichtstuhl darf auf keinen Fall weg, sagte ich ihnen: „Wenn einer von Ihnen im letzten Jahr beichten war, bleibt der Beichtstuhl stehen. Aber Sie melden sich jetzt.“ Es hat sich natürlich niemand gemeldet, und so kamen die Beichtstühle weg. Der zweite Widerstand auf den ich traf, kam von bestimmten Kunstmanagern. Ich wollte, weil ich aus Bottrop komme, mit einer Ausstellung eines Künstlers aus Bottrop beginnen, nämlich Josef Albers. Aber der Vertreter des Museums in Bottrop war der Auffassung, dass es unmöglich sei, Albers in einer katholischen Kirche und dazu noch in Frankfurt zu zeigen. Der Mann konnte die Bottroper nicht verstehen, als es mir gelang, über die SPD- und CDU-Beziehungen in meiner Familie einen Stadtratsbeschluss in meinem Sinne herbeizuführen. Um seine Ehre zu retten, machte der Museumsmanager sein Einverständnis dann von der Forderung abhängig, dass Hilmar Hoffmann die Ausstellung eröffnete – aber der hatte mich ohnehin schon längst unterstützt. Gewichtiger jedoch als die individuellen Widerstände sind Widerstände des Milieus, eines Milieus, dass sich den Fragen gegenüber nicht öffnet. Auch den Schöpfer kann man nie wissen, sondern allenfalls ahnen und ins Ahnen sowie in die Imagination komme ich immer nur über das Fragen. Insofern muss man Religion parallel zur Kunst begreifen, eben nicht als ein Wissenssystem, sondern ein System, das sich wesentlich in der Logik des Fragens bewegt. Mir ging es darum, ein altes Pathos, keines der Inhalte, sondern ein Pathos des Spürens, Zweifelns und Ahnens, zu vermitteln und so kam mir die Kunst ins Haus. Ich „Mir ging es habe sie immer als eine Schule des Zweifels verstanden. darum, ein altes Zum einen versuche ich also, mich für die Kunst zu öffPathos, keines der nen, zum anderen aber auch von der Kunst her einen Inhalte, sondern Rückblick oder auch einen Hinblick in die Religion zu ein Pathos des wagen. Es gibt ständig und permanent Hindernisse, aber Spürens, Zweies ist eben das Schöne, dass die Hindernisse ständig auch felns und Ahnens, wie in einem Slalom zu nehmen sind. Die Kreativität zu vermitteln und besteht darin, permanent Möglichkeiten der Öffnung so kam mir die beider Kultursysteme füreinander zu finden. Das bindet Kunst ins Haus.“ und führt zu Zwängen, schafft aber auch unglaubliche Professor Mennekes neue Möglichkeiten. Sir Peter: Baroness Blackstone, Sie steuern das Schiff der Kulturpolitik durch ein ungemein kompliziertes finanzielles System aus Subventionen, Sponsorengeldern sowie Kasseneinnahmen. In vielem ähnelt dieses System eher dem amerikanischen als dem kontinentaleuropäischen System. Besonders fasziniert hat mich, dass die LabourRegierung unter Tony Blair nach vielen, vielen Jahren die Eintrittspreise für Museen abgeschafft hat. Damit hat sich die allgemein verbreitete Auffassung durchgesetzt, dass Museen, in denen gewisserweise das Erbe der Nation bewahrt wird, frei zugänglich für jedermann sein sollten. Sie haben uns davon mit Stolz berichtet und viel Zustimmung gefunden. Aber ich möchte Ihnen hierzu eine kurze Geschichte erzählen: Ich war neulich in London und besuchte die National Gallery, um mir die alten Meister und insbesondere die von mir besonders geschätzten Bilder Zurbaráns anzuschauen. Es war ein wunderbarer Aufenthalt, die National Gallery war in einem hervorragenden Zustand, die Bilder waren gut präsentiert, und das Museum war voller Menschen. Am Abend des gleichen Tages begab ich mich zum Royal Opera House, um eine Eintrittskarte für die Oper zu erstehen. Hier musste ich die Erfahrung machen, dass eine Opernkarte für das Parkett an einem Dienstagabend für 300 Euro verkauft wird. Baroness Blackstone, wie lassen sich diese beiden Erfahrungen miteinander vereinbaren? 26 Podiumsgespräch Baroness Blackstone: Ich sollte vorausschicken, dass für die staatlichen Museen auch früher nie Eintrittspreise erhoben worden sind. Was die Labour-Regierung getan hat, war also, einen alten Zustand wieder herzustellen. Es sollte wieder möglich werden, dass jemand in London oder in den anderen großen Städten des Landes in der Lage sein würde, ein Museum vielleicht für 10 Minuten in der Mittagspause oder eine halbe Stunde nach der Arbeit zu besuchen, vielleicht in einen einzigen Raum hineinzugehen und nur „Ich bin schon ganz bestimmte Kunstwerke zu betrachten. Bezahlt man der Auffassung, nämlich für den Eintritt in ein Museum, ist damit oft das dass wir sehr viel Gefühl verbunden, nun auch länger bleiben zu müssen, härter daran zu um sich möglichst viel anzuschauen. Der eher instinktive, arbeiten haben, einer Laune des Augenblicks folgende Museumsbesuch das Beste in bleibt damit aus. Die Situation von Oper und Theater Oper, Ballett stellt sich insofern etwas anders dar, als eine Aufführung und Theater für immer nur von einer kleinen Zahl von Menschen gesehen mehr Menschen werden kann, während ein Museum täglich große Menzu öffnen.“ schenmengen aufzunehmen vermag. Die WiederherstelBaroness Blackstone lung des freien Eintritts in Museen hat zu einem Anstieg des Besuchs um über 100 Prozent geführt. Zu den Besuchern zählen jetzt auch viele Familien, die mit ihren Kindern kommen, was bei Aufführungen in Oper und Theater sicher sehr viel schwieriger zu verwirklichen wäre. Aber ich bin schon der Auffassung, dass wir sehr viel härter daran zu arbeiten haben, das Beste in Oper, Ballett und Theater für mehr Menschen zu öffnen. So haben wir zum Beispiel in Covent Garden eine große Leinwand auf dem Platz hinter dem Opernhaus installiert, auf der Tausende Menschen im Sommer die Aufführungen im Opernhaus verfolgen können. Mit der Modernisierung und dem Umbau des Opernhauses wurden zudem zwei weitere kleinere Theater eingerichtet, wo zum Beispiel in der Mittagspause kostenlose Konzerte angeboten werden. Ich denke also, dass wir uns tatsächlich ein wenig in die Richtung bewegen, die Sie mit Ihrer Frage anzudeuten scheinen. Sir Peter: Nur eine kleine Anmerkung hierzu. Die Politiker, in England ebenso wie in Deutschland und auch in Bayern, sollten sich darüber klar werden, dass kein Kunstwerk und kein Künstler subventioniert wird, kein einziger. Subventioniert wird ausschließlich die Eintrittskarte. Das was wir auf der Bühne aufführen, tun wir auf der Grundlage verdienten, erbettelten, geborgten oder gestohlenen Geldes. Ich will jetzt aber zu den Chancen und Zwängen der Kunst zurückkommen, ein Thema, das in der neuen Hauptstadt der Nation – als Engländer darf ich mir diesen Ausdruck erlauben – besonders intensiv diskutiert wird. Wenn wir Kunstmacher in einer Kneipe sitzen und über Berliner Kulturpolitik sprechen, dann sprechen wir über Bordelle, wir sprechen über Minister und Kultursenatoren, die eine Lebensdauer von ungefähr drei Tagen bis drei Monaten oder unter glücklichen Umständen auch von vier Monaten haben. Wir sprechen über politische Opportunisten, wir sprechen über rücksichtslose Korruption und über gegebene und nicht gehaltene Versprechen. Außerdem sprechen wir über Zerstörungstendenzen und wir sprechen über künstlerischen Selbstmord. Herr Professor Lehmann, Sie sind eines Tages nach Berlin gegangen. Welchen Zwängen sehen Sie sich gegenüber? Professor Lehmann: Also zunächst sehen Sie, dass ich noch lebe – und gar nicht schlecht. Ich habe natürlich auch eine gute Schule absolviert: Ich habe zwanzig Jahre 27 Beiträge Podiumsgespräch Auf dem Podium: Professor Lehmann, Baroness Blackstone, am Mikrofon Sir Peter Jonas, Moderator des 18. Sinclair-Haus-Gesprächs, William Forsythe und Professor Mennekes in Frankfurt gearbeitet und wer in einer liberalen Handelsstadt groß geworden ist und dort sein Handwerk gelernt hat, der kann in Berlin sehr gut überleben und vielleicht hat ja auch dieser schnelle Wechsel in der Politik – ich habe in den dreieinhalb Jahren, die ich in Berlin bin, sechs Kultursenatoren und zwei föderale Kulturminister erlebt – seine Vorteile. Denn den Kulturmanagern verschafft dieser schnelle Wechsel eine gewisse Kontinuität und Einflussmöglichkeit und damit durchaus einen Gestaltungsrahmen, der aus der Innenansicht gar nicht so schlecht ist. Mit der von Ihnen geschilderten Außenansicht werde ich außerhalb Berlins oft konfrontiert, aber in Berlin selbst ist die Stimmung sehr viel besser, weil in Berlin etwas passiert, was nicht durch die Politik beeinSir Peter Jonas flusst wird. Nach der Einheit haben wir in Berlin die große Chance gehabt, die großen Reichtümer der Museen, für die ich verantwortlich bin, wieder zu vereinen und in den wunderbaren Gebäuden in einer neuen Präsentation wieder auszustellen. Das ist eine große Chance und ich glaube, das begreift auch jeder, der auf der Museumsinsel ist. Jetzt im Dezember haben wir das erste Museum rekonstruiert und wieder eröffnet, die alte Nationalgalerie mit der Kunst des 19. Jahrhunderts. Dieses Museum wird hervorragend angenommen, was sich nicht zuletzt darin zeigt, dass wir pro Monat 100 000 Besucher registrieren können. Das macht deutlich, dass wir mit diesem Museum offensichtlich einen Nerv getroffen haben und dass die weißen Boxen, die wir bislang immer als Ausstellungsgebäude genutzt haben, wohl nicht die einzige Form der Präsentation sein können. Hin und wieder darf vielleicht auch etwas öffentlicher Luxus sein. Wer durch den renovierten Kollonadenhof geht und diesen Eindruck auf sich wirken lässt, ist wie „Die Politiker […] sollten sich darüber klar werden, dass kein Kunstwerk und kein Künstler subventioniert wird, kein einziger. Subventioniert wird ausschließl i c h d i e E i ntrittskarte.“ 28 Podiumsgespräch verzaubert – auch mir geht das noch immer so, wenn ich Führungen anbiete. Ich erlebe die Chance, bei der Hektik, bei der Überladung mit Information plötzlich die Möglichkeit zu haben, mein Tempo zu verlangsamen. Plötzlich hat man etwas mehr Zeit, man bleibt vor Bildern stehen, man geht vielleicht noch einmal zurück, man lässt sich wirklich faszinieren von diesen Dingen. Berlins Chance besteht darin, hier eine Art urbanen Gegenpols zu den Beschleunigungstendenzen unserer Zeit zu besitzen. Trotz all dieser Wandlungen, die nun mit den Umbrüchen in Berlin einhergehen, muss aber auch die Politik Verantwortung übernehmen. Und ich glaube, diese Verantwortung darf nicht nur in Berlin übernommen werden. Das große Thema, das mich in den letzten Wochen bewegt hat, ist die Frage, inwieweit diese Reichtümer in den Museen und in der Staatsbibliothek nur in Berlin eine Bedeutung haben, oder ob es nicht darüber hinausgehend eine bundesstaatliche Bedeutung gibt, die auch eine Einbeziehung der anderen Länder rechtfertigt. Zurzeit gibt es die große Diskussion um den Ausstieg der Länder, den ich fatal fände. Sollten die Länder tatsächlich aussteigen, führt das im Grunde mit Zustimmung der Länder zu einer Zentralisierung der Kulturpolitik, die an die Grundfesten unserer bundesstaatlichen Verfassung rührt. Was uns in Berlin natürlich freut, ist der Zuzug vor allem ausgesprochen junger Leute, die kleine Unternehmen und zahlreiche Galerien gründen. Erfreulich ist, dass zahlreiche der Neu-Berliner auch aus dem Ausland kommen. Das heißt, Berlin ist ein Magnet für viele mittel- und osteuropäische Länder, für Amerikaner, für Italiener, für Franzosen und auf diese Weise erreichen wir das, was eine Metropole ausmacht, nämlich einen Dialog von Menschen unterschiedlicher Kulturen und Sozialisierungen – und damit wird es spannend. Und diese Spannung brauchen wir auch. Sollte es uns gelingen, die großen Kultureinrichtungen so einzusetzen, dass sich die Aufbruchstimmung der Stadt auch im kulturellen Klima wieder findet und Kultur nicht nur als dekoratives Beiwerk wahrgenommen wird, dann wäre meine Aufgabe so reizvoll, wie ich sie mir immer vorgestellt habe. Sir Peter: Es sieht in Berlin also sehr viel besser aus, als wir denken – und das trotz der Politik. Aber ich habe Ihre Antwort auch als Plädoyer für den langen Atem in der Kunst verstanden, ein, wie ich finde, sehr wichtiger Punkt. Wir wissen, dass wir in der Kunst- und Kulturpolitik in Fünf- oder Zehnjahreszeiträumen zu denken haben. Immer – auch wenn Politiker nicht über die Dauer einer Legislaturperiode hinaus denken können. Nun aber zu William Forsythe. Bill, wenn Berlin das Bordell der Kulturpolitik ist, zumindest im politischen Sinne, nicht im kulturellen oder künstlerischen Sinne, dann könnte man sagen, dass Frankfurt zumindest zeitweise in den vergangenen zehn Jahren die Hölle auf Erden der Kulturpolitik gewesen ist. Von außen betrachtet ist die Situation in Frankfurt auch sehr viel schwieriger zu diagnostizieren als etwa in Berlin. Das Berliner Problem des Zusammenwachsens zweier völlig antagonistischer Gesellschaften gibt es in Frankfurt nicht, dafür gibt es dort andere Probleme, beispielsweise das dramatische Zurückgehen von Steuereinnahmen – ein simples mathematisches Problem, für das es leider keine simplen Lösungen gibt. Nun gibt es eine Person, die aus Amerika, also aus einem Land mit einem völlig anderen kulturellen Hintergrund, in eine Stadt gekommen ist und sich in einer Kunstform bewegt hat, die in finanzieller Hinsicht früher, und auch heute noch, stiefmütterlich behandelt wurde. Dieser Mann entschied sich, seinen eigenen Weg zu gehen – künstlerisch, politisch, vom Management her und auch in der Art und Weise, wie er seine Tanzkompanie geführt hat. Seit 1984 ist Bill Forsythe in Frankfurt, für einen Politiker ist das nahezu undenkbar. 29 Beiträge Podiumsgespräch Baroness Blackstone: Außer in China… Sir Peter: …außer in China. Für einen Künstler ist es sehr, sehr schwer. Für einen künstlerischen Direktor bedeutet es, dass Sie, Bill, möglicherweise mehr als neun Leben haben. Sind Sie ein Gangster? Werden Sie durch den CIA unterstützt? Sind Sie Fu Man Chu? Sind Sie ganz einfach ein Monster? Haben Sie ein Ego, das so groß ist, dass niemand Sie anzurühren wagt? Oder haben Sie so unbeirrbar und streng ein Ziel verfolgt, dass Sie es irgendwie mit Glück und Genie geschafft haben, daran festzuhalten. Bitte sagen Sie uns die Wahrheit. William Forsythe: Die Antwort auf all Ihre Fragen ist natürlich „Nein“. Die Situation ist so enorm kompliziert, „Frau Roth dass sie sich nicht anhand einer einzelnen Person erkläund die anderen ren lässt. Es ist so, dass die Leute, die über mich verfügen, Verantwortlichen bislang an mich geglaubt haben und, so denke ich, auch gaben mir, woan meine Arbeit geglaubt haben. Sie gaben mir die Freinach ich gefragt heit, meine Vorstellungen zu verwirklichen. Basta. Komhatte, weil sie plizierter ist es nicht. Frau Roth und die anderen Verantgeglaubt haben, wortlichen gaben mir, wonach ich gefragt hatte, weil sie dass ich wusste, geglaubt haben, dass ich wusste, worüber ich sprach. Ich worüber ich glaubte ebenfalls zu wissen, worüber ich sprach. Ich sprach.“ habe die Irrungen und Wirrungen der letzten paar Jahre William Forsythe überlebt, weil ich daran festgehalten habe, mich auf das der Gegenwart Eigene zu konzentrieren. Und dieses Eigene ist sehr umfangreich. Er lässt sich nicht auf Geld, Aufmerksamkeit oder was auch immer reduzieren. Die Gegenwart ist für Künstler eine hochkomplexe Gegebenheit und ich glaube, dass wir uns grundsätzlich auf die Frage konzentrieren oder zu konzentrieren versuchen, was das Proprium der Gegenwart ist, und welche Formen der Aufmerksamkeit uns helfen, dieses bis zu einem gewissen Grade wahrzunehmen. Vom Publikum erwarten wir absolute Aufmerksamkeit. Ich glaube, das tut jeder Künstler. Ganz unabhängig davon, in welchem Bereich der Künstler arbeitet, wünscht er sich, dass sich das Publikum hinsetzt und tatsächlich den Versuch macht, das was sich vorne abspielt, zu verstehen oder zumindest nach besten Kräften zu verfolgen. Aber natürlich gibt es auch die andere Seite des Vertrages. Das Publikum erwartet nämlich von uns ebenfalls so etwas wie absolute Aufmerksamkeit, eine der künstlerischen Arbeit gewidmete absolute Aufmerksamkeit. Die für mich geschaffenen Bedingungen in Frankfurt haben mir in der Tat erlaubt, meine ganze Aufmerksamkeit der künstlerischen Arbeit zu widmen. Petra Roth, Oberbürgermeisterin der Stadt Frankfurt a. M., Selbst als es einmal hinsichtlich des Theaters eine krizu Gast bei der Abendverantische Situation gab, ist sie von den Verantwortlichen staltung zum 18. SinclairHaus-Gespräch so bereinigt worden, dass ich mich wieder auf meine Arbeit konzentrieren konnte. Ich habe dies als Vertrauensbeweis und Bekenntnis zu meiner Arbeit verstanden. So hat Frankfurt mir vor allen Dingen eine Arbeitsumgebung ohne Ablenkungen geschaffen. Ich kann das tun, wozu ich in erster Linie hier bin, nämlich Kunst und nichts anderes. Es ist manchmal insofern etwas schwierig, als ich künstlerischer Direktor und das Produkt der Kunst 30 Podiumsgespräch in einer Person bin. Aber immer hat man mir vertraut, dass ich am besten wüsste, wie damit umzugehen ist. Ich konnte die mir zur Verfügung stehenden Mittel einsetzen, um eine optimale Situation sowohl für die Frankfurter Bürger als auch für das gesamte Publikum, das in unserem Fall global ist, zu schaffen. So finden wir hier eine ganz außergewöhnliche Situation vor und 18 Jahre später kann ich sagen: Danke Frankfurt! Sir Peter: Nachdem ich jeden unserer Podiumsteilnehmer zu einem persönlichen Statement gezwungen habe, möchte ich mich nun an die im Publikum sitzende Intendantin des Frankfurter Schauspiels, Frau Elisabeth Schweeger, wenden. Liebe Elisabeth Schweeger, wie sieht denn Ihre Vision von der Zukunft aus? Welche Möglichkeiten eröffnet die Zukunft dem Sprechtheater? Elisabeth Schweeger: Ich möchte das, was ich sage, nicht nur auf das Theater beziehen. Ich finde es wunderbar, wie es Ihnen, Herr Mennekes, gelingt, effektive Dialoge herzustellen. Und Herr Lehmann, ich finde es toll, dass Sie der Meinung sind, dass es in Berlin noch immer eine hoffnungsvolle Situation gibt. Ich glaube nicht, dass wir in einer hoffnungslosen Situation sind, aber ich denke, dass wir in einer sehr kritischen Situation sind, in der nicht nur die Politiker sich fragen müssen, was für einen Stellenwert Kultur im gesellschaftlichen und auch im urbanen Zusammenhang hat. In dieser Situation müssen auch die Künstler gefragt werden, was sie überhaupt noch bewirken können. Es kann ja nicht nur darum gehen, Kulturgut zu bewahren. Selbstverständlich brauchen wir das, das ist unsere Geschichte. Damit definieren wir uns. Das ist unser Leben. So lachen wir, so weinen wir, so trauern wir. Aber wir wollen ja auch etwas für die Zukunft schaffen, und das Bewusstsein, dass Kultur das Fundament von Gesellschaft ist, geht langsam verloren. Vielleicht ist das ja ein positiver Verlust. Wenn man diesen Verlust aber nicht unbedingt negativ sieht, muss man sich fragen, wohin diese reflexive Ebene wandert. Damit meine ich das Nachdenken über uns und das Festhalten an Handlungsmodellen, auch ethischer Natur, die wir brauchen, um in einer Gesellschaft human zusammenleben zu können. Für mich ist dies das Fundament kultureller Arbeit. Es kann ja sein, dass wir die Elfenbeintürme nicht mehr brauchen, dass wir diese Isolationsanstalten, kulturelle Institutionen genannt, vielleicht nicht mehr brauchen, dass wir also das dort Geleistete anderswo finden. Kultur ist oft die Clubsituation, Kultur ist auch Disco, Kultur findet überall statt und wird vielleicht nicht immer wahrgenommen, weil sie nicht überall subventioniert wird, daher nicht Tagesthema in den Zeitungen ist. Aber sie ist da. Und es ist die Zukunft. Und sie ist nicht schlecht. Und bei diesen kulturellen Erscheinungsformen findet auch Dialog statt und Auseinandersetzung, da findet Reflexion statt und da lassen sich auch neue ästhetische Formen finden. Ich frage mich, ob die kulturellen Hochburgen, die sich das Bürgertum des 19. Jahrhunderts geschaffen hat, noch die Orte zur Identitätsfindung des Menschen im 21. Jahrhundert sind. Möglicherweise ist die Bürokratie zu wichtig geworden oder der ganze Apparat, sodass der Freiraum in diesen Institutionen immer kleiner geworden ist. Als Künstler müssen wir darüber nachdenken, ob diese Institutionen uns noch den positiv-anarchistischen Raum bieten, in denen wir Utopien entwickeln können. Meiner Auffassung nach müssen Politik und Kunst engstens miteinander kooperieren, um neue Wege zu finden und um herauszufinden, wie die bestehenden kulturellen Institutionen richtig nutzbar werden für einen gesamten urbanen und damit auch einen globalen Zusammenhang. Sir Peter: Ich würde diese Frage gerne direkt an Tessa Blackstone weiterleiten. Die Ausführungen von Frau Schweeger und auch das, was Bill Forsythe gesagt hat, stellen eine große Herausforderung dar. Mich würde es interessieren, Tessa Blackstone, 31 Beiträge Podiumsgespräch Kunststudium im Pergamon Museum auf der Berliner Museumsinsel „Berlins Chance besteht darin, eine Art urbanen Gegenpols zu den Beschleunigungstendenzen unserer Zeit zu besitzen.“ Professor Lehmann wie Sie die von Frau Schweeger gestellte Frage beantworten würden – und zwar unter der Voraussetzung eines Geschenkes, des Geschenkes nämlich, dass Sie sich keinen Wahlen mehr stellen müssten und den Posten, den Sie jetzt inne haben, noch für 20 Jahre behalten könnten. Ich weiß, das ist eine politische Unmöglichkeit, aber mich würde interessieren, was Sie unter diesen Voraussetzungen tun würden? Baroness Blackstone: Abgesehen davon, dass es auch eine Strafe sein könnte, mein Amt noch für 20 Jahre auszuüben, möchte ich feststellen, dass alles, was Frau Schweeger gesagt hat, absolut mit den Zielen übereinstimmt, die eine Kulturministerin der Labour-Partei verfolgt und an die sie glaubt. Und ebenso stimme ich hundertprozentig zu, wenn Sie sagen, dass wir nicht nur die Politiker, sondern auch die Künstler zu fragen haben, welche Werte sie mit Kunst in unserer Gesellschaft verbinden. Ich stelle diese Frage Künstlern sehr häufig. Die Tatsache, dass Kultur in England nicht unmittelbar durch die Politik, sondern mittelbar gefördert wird – wir nennen dies das „arm’s-length principle“ – hat keineswegs zu bedeuten, dass ich oder meine Vorgänger als Kultusminister sich dem Dialog mit den Vertretern in der kreativen und kulturellen Welt verweigern würden. Ich war vorher Bildungsministerin und ich vermute, dass die beiden Bereiche, die ich am leidenschaftlichsten verfolge, Bildung und Künste sind. Mein Anliegen ist es, beide Bereiche sehr viel enger zusammenzubringen. Daher lautet die Frage, die ich Künstlern, ob bildenden oder darstellenden Künstlern, ob Musikern oder Architekten, am häufigsten stelle, ob sie sich vorstellen können, der Gesellschaft etwas zurückzugeben, etwa indem sie mit jungen Menschen arbeiten. Die Künstler sollten sich nämlich nicht einfach in die grandiosen öffentlichen 32 Podiumsgespräch Institutionen und großen Gebäuden des 19. Jahrhunderts zurückziehen. Künste sollten nach draußen gehen, sich in der Gesellschaft verbreiten. Eines der Programme, das die Labour-Regierung umzusetzen versucht, trägt den Titel „Kreative Partnerschaften“. Im Rahmen dieses Programms fördern wir mit etwa 40 Millionen Pfund Pilotprojekte in 16 benachteiligten Gegenden, in denen wir Beziehungen zwischen der Welt der Kunst und unseren Schulen und Colleges zu schaffen versuchen. Und hier geht es nicht einfach um einen Gast-Schriftsteller, der sich für eine Woche, oder einen Gast-Künstler, der sich für drei Tage im College aufhält, sondern um ein wirklich nachhaltiges Arbeitsprogramm, in dessen Rahmen junge Tänzer, Schriftsteller, Dichter, Schauspieler usw. in die Schulen gehen und mit den jungen Menschen arbeiten. Insofern verankern wir Kreativität als einen zentralen Baustein des Curriculums und fördern auf diese Weise einen Lernansatz, der stärker kreativ, fragend ist. Außerdem helfen wir den Schülern ihr schauspielerisches oder kommunikatives Talent zu verbessern, indem sie mit lebenden Künstlern arbeiten. Das ist nur ein Beispiel für eine Entwicklung, wie ich sie mir noch sehr viel umfangreicher vorstelle. Auf diese Weise verbessern wir die Zugänglichkeit der Kunst für jedermann und aus der Perspektive der Künstler schaffen wir neue Öffentlichkeiten. Professor Lehmann: Ich würde gern noch einmal auf den Begriff der Kultur eingehen, weil Frau Schweeger ja gesagt hat, wir sollten nicht nur Kultur bewahren, sondern auch nach neuen künstlerischen Ansätzen suchen. Wenn wir uns mit Kultur befassen, die nicht zeitgenössisch entsteht, sondern die aus früheren Jahrtausenden, Jahrhunderten oder Jahrzehnten stammt, würde ich vor allem unsere Vermittlerfunktion hervorheben. Ich habe mich eigentlich Zeit meines Lebens als Kulturvermittler, nie als Kulturbewahrer verstanden. Es ist eine dringende Notwendigkeit, zeitgenössische Kunst zu fördern und neue Formen zu finden, die Jugend anzusprechen, auch die Jugendkultur wahrzunehmen. Aber ich glaube, es wäre ganz schlecht, wenn wir das, was wir mit dem 19. Jahrhundert, mit dem Begriff des Bildungsbürgertums verbinden, einfach abschnitten. Auch das 19. Jahrhundert müssen wir wieder für uns entdecken und ich glaube auch, dass eine solche Entdeckung von den Menschen durchaus gewollt und akzeptiert wird. Tatsächlich haben die Museen für Kunst, für Archäologie, für Ethnologie ausgesprochen erfreuliche Besucherzuwächse. Auf solchen Erfolgen darf man sich nicht ausruhen. Es wäre beispielsweise völlig falsch, wenn wir die Veränderungen der Museumsinsel als Musealisierung oder als Verkapseln hinter preußischen Tempelmauern verstehen würden. Daher versuchen wir auch, auf der Museumsinsel verschiedene Kunstformen zu kombinieren, beispielsweise in einem Museumsinsel-Festival mit Film, Theater, Musik, das aber immer auch Bezug hat zu unseren Sammlungen. Auf diese Weise versuchen wir, neue Zugänge zu schaffen. Hier geht es also weniger um neue Kunst, sondern vielmehr um andere, um neue Vermittlungsformen. Die Museen selbst können zeitgenössische Kunst nicht hervorbringen, das ist auch nicht ihre Aufgabe. Museen müssen das, was in ihrer Verantwortung steht, immer wieder in einen gesellschaftlichen Dialog einbinden. Dann müssen sich die Kuratoren allerdings auch von ihrer kunstwissenschaftlichen Betrachtungsweise lösen und den Kontakt mit jungen Künstlern, mit Galeristen, also mit der Szene, suchen. Nur eines, so glaube ich, ist falsch: Wir sollten nicht den Fehler machen, die neuen Vermittlungsformen der schnellen Schnitte und schnellen Veränderungen auf alles übertragen zu wollen. Elisabeth Schweeger: Dann genügt es auch nicht, immer nur Events zu machen. Das ist kontraproduktiv. 33 Beiträge Podiumsgespräch Professor Lehmann: Das ist klar. Auch mir geht es nicht um Events, sondern um das Verlangsamen der Zeit. Elisabeth Schweeger: In einem solchen antipodischen Verhalten zur Gesellschaftsentwicklung sehe auch ich eine Chance von Kunst: Kunst kann formulieren, einmal still zu halten und zu schauen, aber nicht nur rückwärts gewandt, sondern eben auch nach vorne. Wenn wir die neuen Formen aber nicht vermitteln und sie in einen Dialog stellen – vielleicht mit dem Vergangenen –, dann passiert gar nichts. Ohne die Medicis, die einfach Kunst gemacht haben, weil sie es für wichtig gehalten haben, würde Italien heute so nicht existieren. Davon lebt eine ganze Nation und übrigens auch eine Wirtschaftsbranche. Wenn wir das aber arretieren und nur noch sagen, wir bewahren und fördern nicht massiv das Neue, dann haben wir übermorgen gar keine Kultur mehr. Natürlich wird es auch immer schwieriger, der Kunst Aufmerksamkeit zu verschaffen; zum einen weil es so viel anderes gibt, zum anderen weil unglaublich viel Aufregung im Alltag „Ohne die ist. Die Momente der Ruhe, die Kunst so notwendig Medicis, die braucht, findet man immer weniger, weil jeder sozusagen einfach Kunst nur noch gerade mit seiner Erschöpfung so weit zurecht gemacht haben, kommt, dass er nach Hause geht und sich hinlegt, aber weil sie es für nicht noch einmal hinaus geht, um etwas aufzunehmen. wichtig gehalten Insofern müssen wir uns als Vertreter von Kulturinstituhaben, würde tionen auch fragen, ob Museumsfeste oder lange KunstItalien heute so nächte nicht möglicherweise kontraproduktiv sind, weil nicht existieren.“ sie der Kunst nicht verschaffen, was diese braucht, nämElisabeth Schweeger lich den Moment der Ruhe, der Besinnung, der Reflexion, die Zeit braucht. Sir Peter: Baroness Blackstone, Sie haben heute Vormittag von der Notwendigkeit gesprochen, dass Kunst auch die Ränder einer Gesellschaft erreichen muss, gewissermaßen also auch die Sünder. Lassen Sie mich dazu Pater Mennekes fragen. Wir sind alle Sünder hier in diesem Raum, sonst wären wir nicht hier. Hilft Kunst dem Sünder? Wenn Sie einen Baselitz oder ein großes Gemälde von Zurbarán oder Josef Beuys in ihre Kirche bringen, hilft dies dem Sünder? Hilft ihm dies, ein besserer Mensch zu werden? Kann ein Gemälde den verschwundenen Beichtstuhl ersetzen? Professor Mennekes: Das ist eine schöne Frage. Vielleicht darf ich auf einen wunderbaren Ritus hinweisen. Bevor der Priester beginnt, die Messe zu lesen, muss er sich zur Seite begeben und bekommt dort die Hände gewaschen. Das heißt, er wird vorgeführt als einer, der eine Messe zu lesen eigentlich nicht würdig ist. Und das macht ihn demütig. Hier liegt die Beziehung zur Kunst, denn auch Kunst macht demütig. Ich versuche in der Kirche, und hier wiederum liegt die Verbindung zu dem, was Frau Schweeger gesagt hat, einen Ort zu schaffen, der verschiedenen Dimensionen zeitgenössischer Kunst, zeitgenössischer Musik und, wie ich hoffe, zeitgenössischer Religion eine Bühne bietet. Religion kann sich nur öffnen, wenn sie sich als Sünderin und als umkehrbereit begreift. Dass man sich ständig selbst hinterfragt, gehört zum Kern des Religiösen. In meiner Kirche in Köln habe ich alles entfernt, was in irgendeiner Weise noch nach Religion oder Konfession riecht. Es gibt keine Bänke mehr, es gibt keinen Altar mehr, der auf irgendeiner Art von Podium steht. Der Altar ist eine Skulptur des Künstlers Chillida. Natürlich gibt es ein riesiges Bild von Rubens, der hier in St. Peter getauft worden ist, aber dieses Bild entziehe ich der 34 Podiumsgespräch Gemeinde ein halbes Jahr. Ich möchte nämlich nicht nur immer einfach das zeigen, was da ist, sondern ich möchte einen Raum kreieren als einen Raum der Frage, und die provozierende Leere des Raumes wird dann gefüllt durch Musik, Kunst und Religion. Alle drei Systeme besitzen autonom mit eigenen organisierten Gemeinden diesen Ort und wir sind von der Andersartigkeit der anderen Erscheinungsformen, des anderen Denkens verunsichert. Immer wenn ich mich in Kunstakademien begebe, spüre ich, es tut mir leid das zu sagen, dass Religion Künstler unsicher macht. Unsicher, weil sie in irgendeiner Weise spüren, dass es bestimmte Dinge gibt, die wir mit unserer Kunst nicht erreichen. Sie denken Religion als etwas Größeres. Ich aber denke Religion nicht als das Größere, sondern denke, ohne die Religion aufzugeben, die Kunst als das Größere und die Musik als das vielleicht noch Größere. So sind wir, die Vertreter der Religion, nicht weniger unsicher als die Vertreter der Kunst oder die der Musik. Daher ist es so wichtig, Räume zu schaffen, in denen der Dialog zwischen Kunst, Musik und Religion möglich wird. Und in solchen Räumen soll Kunst nicht nur vermittelt werden, sondern sie soll sich in solchen Räumen ereignen, entstehen. Es ist schön zu sehen, dass das Programm, das ich in einer kleinen Kirche in Köln entwickelt habe, bereits Nachahmer in anderen Kirchen und Konfessionen findet. Aber diese Nachahmung ist nur möglich, wenn man sich als Priester als eigentlich ungeeignet und allein zur Sache nicht fähig begreift. Sollte sich das als neue Logik durchsetzen, dann glaube ich, gibt es auch eine neue Zukunft für Kunst und Musik und das, was ich eigentlich vertrete. Sir Peter: Bill Forsythe, wenn Musik und bildende Kunst, bitte verzeihen Sie mir diese blasphemische Bemerkung, die Sprache Gottes sind, könnte man dann sagen, dass der Tanz die Sprache der Menschen ist, so wie man auch beim Vergleich von Bach und Händel gesagt hat, dass Bach die Musik Gottes, Händel aber die Musik des Menschen komponiert habe. Sollte Tanz also die Sprache des Menschen sein, eröffnete dies dem Tanz vielleicht eine großartige Zukunft, denn vielleicht liegt darin ja der Weg zur Wahrheit, um einmal diese sehr jesuitische Terminologie zu gebrauchen. William Forsythe: Vielleicht sollte ich an dieser Stelle etwas über meinen eigenen Hintergrund sagen. Aufge„Niemand von wachsen bin ich in einer Sekte, genauer genommen einer Ihnen hat je ein religiösen Sekte von Gesundbetern. Dabei ging es auch Ballett gesehen, darum, sich durch die Lektüre und Interpretation der Bibel weil es nichts ist, einen Zustand der Reinigung des Geistes vorzustellen, was gesehen werder auch den Körper heilen würde. So bin ich mit einer den kann. Ballett sehr ungewöhnlichen Vorstellung von Geist und Körper ist etwas, dem aufgewachsen. Es war also ein Idealismus, der das Credo man sich nur dieser Sekte bildete, und ich erinnere mich, wie es in meiannähern kann.“ ner Kindheit hieß, dass es kein Leben, keine Wahrheit, William Forsythe keine Substanz oder Intelligenz in der Materie gäbe, alles sei unendlicher Geist und seine unendlichen Manifestationen. Prägend, schon. Für mich war es in jedem Fall prägend. Daher war ich vermutlich auch von einem Betätigungsfeld angezogen, das aristotelische Strukturen hat. Man ist gezwungen, sich unsichtbare Dinge vorzustellen, Ballett existiert nicht, Ballett ist eine gänzlich erdachte Fiktion, es ist nur eine Methode, eine Art, sich Dingen zu nähern, die sich nur vorstellen, aber niemals realisieren lassen. Niemand von Ihnen hat je ein Ballett gesehen, weil es nichts ist, was gesehen werden kann. Ballett 35 Beiträge Podiumsgespräch Diskussion während des Podiumsgespräches: Dr. Rüdiger Volhard, Dr. Andrea Firmenich und Prof. Georg Baselitz; am Mikrofon Elisabeth Schweeger, Intendantin des Frankfurter Schauspiels ist etwas, dem man sich nur annähern kann und an dem man, so arrogant ist das Ballett, nur scheitern kann. Aus Expertensicht kann man gar kein erfolgreiches Ballett machen. Wenn wir von Sünde sprechen, haben wir nach Maßstäben des Balletts alle verloren, oder? Vielleicht lässt sich auf diese Weise ja die Kirche paraphrasieren. In einer Tanzdarstellung aber gibt es nur die Gegenwart, man hat nichts anderes. Ich kann gut verstehen, warum Elisabeth Schweeger versucht hat, einen Weg in die Zukunft Elisabeth Schweeger zu finden, doch für uns Tänzer gibt es keine Zukunft, für uns gibt es nur die Gegenwart. Wenn ich weg bin, gibt es keinen Bill Forsythe mehr, nichts bleibt übrig. Wenn Herr Baselitz für immer geht, bleibt einiges von ihm da, einige wenige Zeichen seiner Gegenwart, aber bei mir sehen die Dinge ganz anders aus, ich habe es mit einer anderen Ontologie zu tun und daher ist auch meine Beziehung zur Gegenwart ganz anders, möglicherweise sehr viel akkurater, insofern ich mir meiner Sterblichkeit sehr viel stärker bewusst bin. So ist jede meiner Darbietungen, ja sogar jeder Moment meiner Darbietung zugleich eine kleine Geburt und ein kleiner Tod, die in ihrer Erinnerung als Lebenszeit oder als Ballett zusammengehalten werden, ja es gibt so etwas wie die Lebenszeit des Balletts. Doch dann verlassen sie das Theater und haben nichts, sie haben wirklich nichts. Sie haben nichts, um zu beweisen, dass sie es tatsächlich gesehen haben, außer dass sie sagen könnten: Ich war auch da. Darüber könnten sie sich verständigen, aber alles andere ist vergänglich und ephemer. Da wir jedoch alle ephemer und vergänglich sind, könnte man vermutlich tatsächlich sagen, dass der Tanz eng verbunden ist mit der Idee des Menschen. „Kultur findet überall statt und wird vielleicht nicht immer wahrgenommen, weil sie nicht überall subventioniert wird.“ 36 Podiumsgespräch Dr. Oliver Scheytt: Ich möchte noch einmal an unser General-Thema erinnern, Brücken in die Zukunft, und versuchen eine Brücke zu schlagen zwischen Frau Schweeger, Baroness Blackstone und dem nicht anwesenden Jack Lang. Herr Lehmann hat ja gesagt, dass Kulturpolitik und Kulturmanager Zugänge schaffen müssen, Zugänge zum Erbe, zum Vorhandenen, zum Neuen, aber auch zum Anderen, zu den anderen Kulturen. Beim Erbe haben wir zweifellos sehr viel zu bieten in Deutschland, beim Anderen müssen wir Bewusstsein und Wachheit schaffen, das Andere wirklich wahr zu nehmen; und beim Neuen brauchen wir das Neue. Herr Baselitz und Herr Forsythe gehören längst zum Erbe, aber das, was sie auszeichnet, ist, dass sie immer wieder etwas Neues schaffen. Was wir brauchen, ist nicht so viel Reproduktion, wir brauchen vor allen Dingen auch Produktion. Wo kommt diese Produktion her? Sie kommt nur von jungen, neuen Künstlern. Mich hat beeindruckt, Baroness Blackstone, dass Sie erhebliche Mittel dafür aufwenden, Künstlerinnen und Künstler an die Schulen zu bringen. Jack Lang verfolgt in Frankreich ähnliche Ziele. Aber was tun wir in Deutschland auf diesem Feld? Wir schließen Musikschulen. In Hessen und NordrheinWestfalen gibt es kein Musikschul-Gesetz, Brandenburg hat gerade eines erlassen. Der Osten ist uns hier in „Es kann doch Deutschland voraus. Wir haben sehr darum zu kämpfen, nicht sein, dass dass die kulturelle Bildungsarbeit wirklich als schulische wir den Kindern und öffentliche Aufgabe anerkannt wird. Wir geben erschon mit 6 Jahhebliche Summen dafür aus, Grundschulen ans Internet ren beibringen, zu bringen, aber versäumen es, die kreativen und künsteinen Computer lerischen Talente der Schüler zu fördern. Es kann doch zu benutzen, aber nicht sein, dass wir den Kindern schon mit 7, 6 oder 5 darauf verzichten, Jahren beibringen, einen Computer zu benutzen, aber ihre kreativen darauf verzichten, ihre kreativen Fähigkeiten zu ermutiFähigkeiten zu gen. Mit 40 oder 50 bekommen diese Schüler dann als ermutigen.“ Manager Kreativitätsseminare mit Künstlern angeboten, Dr. Oliver Scheytt um sich dann wieder kreativ zu verhalten. Sir Peter: Eine kurze Schlussrunde. Herr Professor Lehmann, Zwänge als Chance? In Berlin geht diese Rechnung nicht auf. Brandenburg und Berlin, beide pleite. Was sollte Berlin aufgeben? Professor Lehmann: Möglichst wenig. Ich glaube, die Möglichkeiten liegen darin, Überbürokratisierung, Hierarchien und alte Strukturen aufzugeben. Die kreativen Teile sollten gerade nicht aufgegeben werden und ich glaube auch, dass für diese Potenziale zu gewinnen sind, wenn man die Eigenverantwortlichkeit der Institute und Institutionen stärkt, wenn man also die Infrastruktur stärkt. Das wäre dann die Gewinnerseite. Die Verliererseite ist die Verbürokratisierung. Das würde ich Berlin sagen. Sir Peter: Baroness Blackstone, gestern oder vorgestern hat der britische Finanzminister ein Budget eingebracht, in dem 10 Milliarden Pfund für die Überholung des National Health Service vorgesehen sind. Tessa Blackstone, Ministerin für Kunst und Musik, wenn Sie die Wahl hätten, wäre es nicht besser, darauf zu verzichten, das Leben mancher 70- oder 80-Jährigen künstlich zu verlängern, und das Geld stattdessen dafür zu verwenden, kulturelle Arbeit, ästhetische Provokation, gesellschaftliche Provokation und die gesellschaftliche Diskussion überhaupt zugänglicher für breite Bevölkerungsschichten zu machen. Auf diese Weise könnten die Künste wichtiger, 37 Beiträge Podiumsgespräch stärker, konfliktstimulierender und möglicherweise relevanter für unsere zukünftige Gesellschaft werden. Baroness Blackstone: Je mehr ich auf die 70 zugehe, desto mehr hoffe ich, dass der National Health Service mich noch eine Weile am Leben hält. Spaß beiseite: Der Anteil am Brutto-Sozialprodukt, der in Großbritannien für den National Health Service aufgewandt wird, liegt etwa drei Prozent unter dem europäischen Durchschnitt, sodass es in der Tat eine enorme Lücke zu schließen gilt. Insofern kann ich nicht guten Gewissens behaupten, dass der Haushaltsentwurf von Gordon Brown falsch war. Ich denke auch, dass die britische Bevölkerung hinter einem aus Steueraufkommen finanzierten National Health Service steht. Aber auch wenn die Milliardensummen, die für das Gesundheitssystem aufgewandt werden, nicht der Kunst zur Verfügung gestellt werden können, „Ich muss den denke ich doch, dass zumindest noch Luft für einige 100 Finanzminister Millionen bleibt. Dazu muss ich den Finanzminister davon davon überzeuüberzeugen, dass wir eine bessere Gesellschaft hätten, gen, dass wir als wir sie im Moment haben, wenn wir das Geld für die eine bessere Künste einsetzen könnten. Wenn etwa jedes Kind in jeGesellschaft der britischen Grundschule die Möglichkeit hätte, ein hätten, wenn Musikinstrument zu erlernen. Früher einmal war Großbriwir das Geld für tannien bekannt als das Land ohne Musik. Heute wäre die Künste eindas eine unfaire Beschreibung. Aber wenn wir in dieser setzen könnten.“ Hinsicht zu den Besten in Europa zählen wollen, dann Baroness Blackstone müssen wir investieren. Aber dies ist nur ein Beispiel. Sir Peter: Bill Forsythe, Sie haben den Tanz aus einer bestimmten Zwangsjacke befreit. Ist es möglich, ihn noch weiter zu befreien, dass er nicht nur den Geist, sondern auch die Körper junger Menschen erreicht, sodass sich ihr Bild vom Tanz erweitert mit der Folge, dass der Tanz selbst eine längere, lebendigere und breitere Zukunft in der Gesellschaft haben wird? William Forsythe: Ich würde sagen, dass die Reichweite des Tanzes in unserer Gesellschaft, in unserer westlichen Gesellschaft, sehr viel größer ist als alles andere, was wir in unseren Theatern aufführen oder wiederzugeben vorgeben. In dieser Hinsicht ist der Tanz wirklich privilegiert, weil er in der Lage ist, Entwicklungen der Wirklichkeit zu assimilieren und damit meine ich Entwicklungen von hoher Authentizität, die wir bei unseren Arbeitsbedingungen selbst nicht hervorbringen können. Wir können diesen Erscheinungen, die wir außerhalb unserer Institutionen wahrnehmen, aber eine breitere Sichtbarkeit geben, wir sind in der Lage, sie in einen anderen Kontext hineinzustellen und auf diese Weise Kultur zu verbreiten, die weder subventioniert noch sanktioniert worden ist. Wir können diese Kunst in der ganzen Welt verbreiten und ihr einen neuen Wert geben, wenn Sie so wollen. Damit möchte ich kein Qualitätsurteil über ihren alten Wert abgeben, aber Kunst erhält dann schlichtweg einen neuen Wert. Ich glaube, dass Tanz in keiner Weise von Institutionen abhängt. Selbst wenn sie morgen alle Theater der Welt schließen, gäbe es immer noch genug Tanz der unterschiedlichsten Art für die gesamte Menschheit. Sir Peter: Pater Mennekes, das Christentum und insbesondere die katholische Kirche waren in den vergangenen letzten 2000 Jahren verantwortlich für Kriege, 38 Podiumsgespräch Konflikte und Totschlag. Ab und zu hat die Kirche auch etwas Gutes getan und die Kunst gefördert. Welche Zukunft hat Religion als kollektives Ritual? Wird sie sich zurückentwickeln zum Kriegstreiber oder wird sie sich gegen den Trend behaupten und versuchen, die Kirche menschlicher zu gestalten? Eine zugegebenermaßen ketzerische Frage, aber das muss sein. Professor Mennekes: Eine solche Frage kann wohl nur von einem Katholiken kommen. Kirchen stehen immer in der Versuchung, das was sie reizt, nämlich das Chaos des Menschen, zu fördern, Lust zu wecken, den Menschen also freizusetzen, auch von den tiefsten Antrieben: Eros, Sexualität, Macht. Auf der einen Seite bringt Kirche Menschen dazu, diese Dimensionen zuzulassen und zu realisieren, auf der anderen Seite will Kirche diese Dimensionen sofort beherrschen. Letzteres ist womöglich eine große Überschätzung ihrer Fähigkeiten. Im Moment wird die Kirche sehr schwer gedemütigt, sie fällt auf sich selbst zurück. Sie ist so sehr das Opfer ihrer eigenen Instinkte als institutionalisierte Religion, dass ich ihr neben vielen Abschieden aus der Gesellschaft auch den Abschied aus der Kultur und Kunst bescheinigen muss. Viele Freundinnen und Freunde, übrigens in allen Konfessionen, träumen von einer neuen Chance, von der Chance, mit der Kirche noch einmal neu ansetzen zu können. Dies sage ich jetzt fast unkirchlich, das heißt, nicht aus der Institution heraus, obwohl ich ein Jesuit bin und weiß, dass jeder Geist auch in einer bestimmten Weise einen Körper braucht. Man hat jedoch nur einen Körper und mein Körper ist der römische Körper. Momentan ist die Verunsicherung so stark, so breit, und auch die Verfasstheit ist so aufgeweicht, dass „Momentan ist wir als Priester, wir also, die an der Front arbeiten, von die Verunsicheuns selbst sagen, dass wir schizophrene Tänzer sind, die rung so stark, zwar ihren Oberbau haben, aber unten neu und ganz so breit, dass wir anders fragend ansetzen. So lange ich in Gemeinden bin, als Priester, wir habe ich als Katholik und Theologe einen aufrechten also, die an der Gang. Ohne Gemeinde hätte ich das nicht und wäre also Front arbeiten, längst weg. Es sind die Menschen, die kommen und fravon uns selbst gen, und die einen selbst – ob Kinder oder Alte – immer sagen, dass wir wieder zwingen, dass man zu sich selbst kommt. Und schizophrene man kommt nur zu sich selbst, wenn man zweifelt, sich Tänzer sind.“ bezweifelt, und wenn man anfängt, trotz einer schreckliProfessor Mennekes chen blutigen Spur, die man hinter sich hat, demütig neu anzufangen. Die Kirche, die wie ich eben bereits sagte, aufhört, sich als Sünderin und Sünder zu begreifen, das heißt im Grunde also als unfähig, als schwach, geht den falschen Weg. Die Kirche hat viel Schlimmes hinter sich, aber sie wusste immer noch, innerhalb des Schlimmen eine andere Melodie oder einen anderen Ton anzuschlagen und vielleicht kommt dieser Ton von dem, was man Respekt nennt vor dem Schöpfer. Man könnte von dem Dank oder der Bitte an den Schöpfer sprechen. Nur wer so aufbricht und in diesem Sinn also mystisch wird, jenseits der Credos, jenseits der Ideologien, der so wirklich versucht, Gespräche zu beginnen, der kann diesen anderen Ton treffen. Für mich heißt dies auch, dass die interkulturellen Gespräche interreligiös befruchtet werden müssen. Das heißt im Moment sicher auch, dass wir uns dem Islam im Gespräch öffnen. Nur das Gespräch, nur die Öffnung aus der Erfahrung und auch aus dem einzigen Bekenntnis, nämlich dem der Ohnmacht, lässt Zukunft neu entstehen. Ich schließe nicht mit einem Amen. J 39 Beiträge Norman Rosenthal Jenseits des kulturellen Gedächtnisses Neue Perspektiven für Museen im beginnenden Jahrhundert Betrachtet man die Entstehungsgeschichte und die Aufgaben der Museen in der heutigen Welt, so ergibt sich ein komplexes Bild. Jedes Museum, ob groß oder klein, steht in einer spezifischen Beziehung zu seiner Zeit und zu seinem geographischen Ort. Es gibt die großen, enzyklopädischen Museen – das Metropolitan Museum in New York, den Louvre in Paris, das Britische Museum, die Eremitage in St. Petersburg, die Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz – mit ihren umfangreichen und vielfältigen Aufgaben, mit ihrer schwierigen Gegenwart und ihrer ungewissen Zukunft, vor allem bedingt durch zunehmende finanzielle und administrative Probleme. Aber auch für die kleineren Museen – und von diesen gibt es Tausende, städtische Museen, Museen an „Es muss letztlich kleineren Orten zu speein freier Markt ziellen Themen, zum erhalten bleiben, Beispiel das Soane Mua u f d e m u nseum in London, das terschiedliche Keats Museum in Rom Vorstellungen oder das Beethovenzur Präsentation haus in Bonn – stellt von Kunst sich das Problem des frei diskutiert Überlebens und die werden können.“ Frage nach der eigenen Relevanz. Wir sollten auch die naturwissenschaftlichen und technischen Museen nicht vergessen. Die ältesten Museen, wie beispielsweise das im 17. Jahrhundert gegründete Ashmolean Museum in Oxford, waren mit den Naturwissenschaften genauso 40 eng verbunden wie mit der Kunst. Museen sind im Grunde genommen Lagerhäuser oder Magazine eines kulturellen Gedächtnisses, das von jenen Eliten vermittelt wird, die mit einem mehr oder minder fundierten, aber auch ständig sich wandelnden Verantwortungsbewusstsein die aufzubewahrenden Werte für die Gesellschaft ausgewählt haben. Welche Erinnerungen wollen wir an die nachfolgenden Generationen weitergeben? In den letzten dreißig Jahren haben viele Museen, und vor allem die bekanntesten unter ihnen, erstaunliche Wandlungen durchgemacht. Vor dem Hintergrund des wachsenden Tourismus, der Erleichterung und Verbilligung von Reisen aller Art, und nicht zuletzt auch im Wettbewerb mit immer komplexeren und raffinierteren Formen von Unterhaltung haben die Museen Geld und Ideen in ihre Präsentation gesteckt. Die Pavillons, Seitenflügel und Außenanlagen der Museen wachsen kontinuierlich. Museen mögen Zentren der Bildung und Besinnung sein, aber sie sind – worüber sich manche Leute inzwischen beklagen – auch zu Stätten des Entertainments für ein breiteres Publikum geworden. Für Großstädte wie Paris, London, New York, Berlin, München, Tokio oder Washington sind die Museen immer mehr zu maßgeblichen Faktoren der städtischen Selbstdarstellung geworden – zu einem politischen Ausdruck von Zuversicht –, manche würden sagen: von übertriebener Zuversicht und Hybris. Betrachten wir den Fall des Guggenheim Museums in Bilbao. Wie könnte man dieses bemerkenswerte Beispiel unerwähnt lassen, das in aller Welt Bewunderung, aber auch Neid erregt hat? Vor allem jedoch ist dieses Museum das Produkt einer hochpolitischen Konstellation, und es wäre gewiss nicht gebaut worden, hätte im Baskenland nicht das Bedürfnis bestanden, einerseits eine gewisse Selbstständigkeit gegenüber Madrid zu bekunden und andererseits Besucher und Investoren anzulocken, um der Destabilisierung der Region durch den Terrorismus entgegenzuwirken. Auf kurze und mittlere Sicht war dies ein unglaublich erfolgreicher Public-Relations-Coup, durch den sich das Image eines der unattraktivsten Ballungsräume Europas politisch und wirtschaftlich auf einen Schlag verändert hat. Aus englischer Perspek- Museum für Moderne Kunst, Frankfurt a. M.: Gemälde von Franz Gertsch „Johanna I“ „Wir alle sollten g e l e g e n t l i c h d aran denken, dass es die schöpferischen Werke der Künstler sind, derer man sich auch dann noch erinnern wird, wenn wir alle längst tot und begraben sind.“ tive könnte man sagen: Hier wurde in kürzester Zeit aus einem zweiten Belfast ein bedeutendes Tourismuszentrum gemacht. Aber schon der Name „Guggenheim“ und der seines bemerkenswerten Direktors Thomas Krens lösen unweigerlich Kontroversen aus. Ist das Guggenheim mit seiner globalen Expansionsstrategie und den exklusiven, formalisierten Allianzen, die es mit anderen Museen eingeht, wirklich ein Mo- dell für die Zukunft? Sollen Museen wie multinationale Unternehmen geführt werden – aus der Perspektive gnadenloser Konkurrenz, ein Spiegelbild jener Welt, in der sich Kirch und Murdoch bekriegen? Kann es darum überhaupt gehen? Ich persönlich würde unternehmerisches Denken auch in der Welt der Museen nicht kritisieren. Gleichzeitig muss jedoch eine bestimmte elementare Würde gewahrt und letztlich ein freier Markt erhalten bleiben, auf dem unterschiedliche Vorstellungen zur Präsentation von Kunst frei diskutiert und unbeschränkt ausgetauscht werden können. Mit welchen Aufgaben und welchen Realitäten haben es unsere Museen heute und in Zukunft zu tun? Zunächst einmal scheint es mir ziemlich klar, dass infolge der gewaltigen Erweiterungen, die vorgenommen wurden und werden, immer mehr öffentliche und private Finanzmittel aufgebracht werden müssen, um alles das am Laufen zu halten. Bauen ist einfach. Die Fotos von der Eröffnung in Zeitungen und Zeitschriften, auf denen Staatsoberhäupter und Politiker bedeutende Gesichter machen, die Architekturzeitschriften, die wieder einmal einen Stararchitekten feiern – das alles kennen 41 Beiträge Norman Rosenthal wir. Aber hier ein typischer Fall: In den letzten zwei oder drei Jahren habe ich den Grand Louvre nicht weniger als dreimal aufgesucht, um ein Lieblingsbild von mir zu sehen – ein Gemälde des wichtigsten französischen Klassikers, Nicolas Poussin, dessen Werke, wie man annehmen sollte, immer zugänglich sein müssten. Aber jedes Mal war die betreffende Abteilung wegen Mangels an Aufsichtspersonal geschlossen. Eine Verdoppelung der Ausstellungsfläche führt eben zumindest auch zu einer Verdoppelung der Betriebskosten auf allen Ebenen – und viele der größten Museen auf der Welt stellen heute fest, dass sie sich, um es vorsichtig auszudrücken, übernommen haben. Geld für Bauvorhaben lässt sich vergleichsweise leicht beschaffen – Geld zur Deckung der laufenden Kosten nicht. Wie können wir in Zeiten wachsender Finanzprobleme die aktuelle Funktion von Museen bestimmen, die ein immer breiteres Publikum anzulocken versuchen, um sich ge„Wie viele genüber öffentlichen Teller, Tassen, und privaten GeldgeUntertassen bern zu rechtfertigen? und wie viele Gewiss, Museen müs,nutzlose‘ Kunstsen viele verschiedene werke kümmern Funktionen erfüllen, für teures Geld in von denen manche auf den Magazinen den ersten Blick einander Museen vor der zu widersprechen sich hin?“ scheinen. Museumsdirektoren haben es heute mit der Quadratur von mehr als einem Kreis zu tun – und diese Aufgabe dürfte in der absehbaren Zukunft eher noch schwieriger werden. Vor diesem Hintergrund möchte ich hier einige Thesen aufstellen und ein paar Fragen aufwerfen, die vielleicht auch für andere Kunstformen relevant sind, vor allem für solche, die unweigerlich große Geldsummen verschlingen. 1. Museen sind offenbar Plattformen für die Darstellung sowohl der Vergangenheit als auch bestimmter Aspekte der Gegenwart. Heute setzt sich immer mehr die Auffassung durch, Museen als Orte, die dem Visuellen gewidmet sind, seien der wichtigste Schauplatz für die zeitgenössische visuelle Kunst. Woher wissen wir, ob die Gegenwart in ihren Urteilen von der Zukunft bestätigt wird? Welche Rolle spielt der lebende Künstler im Mu- 42 seum? Künstler nehmen gegenüber dem Museum fast immer eine zwiespältige Haltung ein. Ihre Reaktionen reichen vom heftigen Verlangen nach Wertschätzung bis zu tiefem Misstrauen und noch darüber hinaus. Gehört die Gegenwart ins Museum? Es gibt heute eine Tendenz, fast alles zu „musealisieren“. Nehmen wir uns da, etwa im Bereich der Bewahrung des nationalen Kulturerbes, nicht oft mehr vor, als wir wirklich bewältigen können? Sollten wir nicht manches dem allgemeinen Zutritt entziehen oder begraben oder manchmal sogar zerstören? Vielleicht sind einige alte Kulturen mit ihrer eigenen Vergangenheit besser umgegangen, indem sie sich tatsächlich für das Begraben entschieden. Heute klingt das noch ketzerisch. Aber wie viele Teller, Tassen, Untertassen und wie viele „nutzlose“ Kunstwerke kümmern für teures Geld in den Magazinen der Museen vor sich hin? Das dicht verwobene Ineinander von Alt und Neu in unseren Städten stellt uns vor das gleiche Dilemma. Sind Museen so etwas wie ein Mikrokosmos unserer Gesellschaft? 2. Werden die Museen in dem Maße, wie in weiten Bereichen der Gesellschaft die Bedeutung der Religion schwindet, immer mehr zu neuen Tempeln, die allem Guten gewidmet sind, für das der Mensch und seine Werke stehen? Die Tate Modern wird zur Herausforderung für die St. Pauls Kathedrale und zieht gewiss erheblich mehr Besucher an als diese. Wird das von nun an immer so sein? Was erlebt der Besucher eines Museums eigentlich? Erlebt er eine relativ günstige oder kostenlose Form von Unterhaltung oder macht er eine notwendige Erfahrung in allen erdenklichen Abstufungen zwischen Tiefsinn und Absurdität? Ich frage mich oft, wie Museumsbesucher auf die hochgradig komplexe Sprache der Kunst eigentlich reagieren. Die Gemälde alter Meister zum Beispiel sind ohne einen gewissen Überblick über die europäische Geschichte, die Antike, die Bibel schwer zu begreifen – aber mit all diesen Themen befasst sich der Unterricht an unseren Schulen, zumindest in Großbritannien, nicht mehr systematisch. Und die moderne und zeitgenössische Kunst hat, wie mir scheint, eine sehr spezialisierte Sprache entwickelt, deren Entschlüsselung ein hohes Maß an Engagement und Zeit verlangt. Mit anderen Worten, sie ist zur Sache einer Elite geworden – allerdings einer Elite, der jeder beitreten kann. Norman Rosenthal 3. Unsere amtlichen Pädagogen und Minister rechtfertigen die beträchtlichen und dennoch nie ausreichenden Mittel für den Unterhalt der Museen, indem sie das Lied vom Bildungsauftrag anstimmen. In ihren Augen ist das Museum ein Hort der Gelehrsamkeit, eine Institution, die Zugangschancen bietet, die Maßstäbe von Vortrefflichkeit verkörpert und außerdem identitätsstiftend wirken kann, ein Faktor des sozialen Wandels, ein Instrument zur Förderung neuer Technologien, etwa des Internets, und sogar ein Instrument zum Bruch mit der Vergangenheit. Hier wird also versucht, die zeitgenössische Relevanz des Museums so zu bestimmen, als wäre das Museum vor allem ein ohne weiteres zugänglicher, unproblematischer Ort. In Wirklichkeit jedoch müssen sich die Museen des 21. Jahrhunderts vor allem klar machen, dass sie ein wesentliches Element des Zivilisationsprozesses sind und dass sie deshalb ihre Funktion als kulturelles Gedächtnis auf keinen Fall vernachlässigen dürfen. Vielleicht weiß der eine oder andere, dass ich, wie Professor Jean-Christophe Ammann, ein Freund und Förderer der zeitgenössischen Kunst bin, und ich bin mir sicher, er wird mir darin zustimmen, dass auch heute und selbst unter den jüngsten Künstlern, so bilderstürmerisch oder anarchisch ihre Arbeiten der etablierten Kunstwelt auf den ersten Blick erscheinen mögen, ein Bewusstsein dafür vorhanden ist, dass die Gegenwart in einer Beziehung ständiger Erneuerung und ständigen Wandels mit der Vergangenheit und, wie man wohl annehmen darf, auch mit der Zukunft verbunden ist. Wenn ich das, was ich in meinem eigenen begrenzten Bereich an der Royal Academy tue, in wenigen Worten umreißen sollte, würde ich sagen: Ich versuche, unterstützt von anderen, die Vergangenheit mit der Gegenwart und die Gegenwart mit der Vergangenheit zu verknüpfen. Museen und Kunsthallen sind letztlich Bühnen, und ich bin mir sicher, dass Sir Peter Jonas in der manchen Leuten so archaisch anmutenden Welt der Oper im Wesentlichen das gleiche Ziel verfolgt. Die Kunst ist Teil des Zivilisationsprozesses, und die Welt steht mit Kunst besser da als ohne Kunst. Die Kunst bildet ein Gegengewicht zu den Kriegen und all den anderen Schrecken der menschlichen Existenz, und die Künstler sind innerhalb dieses Beziehungsgeflechts imstande, ein Licht auf diese Schrecken zu werfen, das oft zwar schwach ist, die Umrisse aber dennoch deutlich erkennbar macht. Wenn wir dies im Auge behalten (und die politisch korrekten intellektuellen Verrenkungen im Hinblick auf Bildungschancen und dergleichen einmal weglassen), wie können wir dann unser Publikum für die vielfältigen, unendlich reichen Themen der Museen interessieren? Wie können die Museen mehr sein als Orte der Unterhal„Vielleicht tung (auch wenn an sind einige alte Unterhaltung als solKulturen mit cher nichts auszusetzen ihrer eigenen ist) – wie können sie Vergangenheit mehr sein als Orte für besser umgeganflanierende Zeitgenosgen, indem sie sen (auch daran ist sich tatsächlich nichts auszusetzen) – für das Begraben wie können sie mehr entschieden.“ sein als Orte, an denen sich die Eitelkeit der Politiker, der Reichen, der Großunternehmen zur Schau stellt (was alles durchaus mehr oder weniger legitim und sogar nützlich sein kann) – wie können sie bei alledem gleichzeitig dafür sorgen, dass die Kultur lebendig bleibt und gedeiht und dass sie vor allem die Mitte der Bühne einnimmt? Wir alle sollten gelegentlich daran denken, dass es die schöpferischen Werke der Künstler, Schriftsteller und Musiker sind, derer man sich auch dann noch erinnern, die man auch dann noch hochschätzen wird, wenn wir alle längst tot und begraben sind. Die Frage lautet also: Wie können wir das kulturelle Gedächtnis, das niemals statisch ist, im 21. Jahrhundert lebendig erhalten? Diese Frage ist für Theater, Konzerthäuser, Verlage und für öffentliche Radio- und Fernsehstationen – die im Idealfall frei von den Abgeschmacktheiten der allgegenwärtigen Reklame sind – genauso relevant wie für Museen, die es mit einer zusehends ungewisser werdenden Zukunft zu tun haben und die sich auch ihres künftigen Publikums nicht sicher sein können. Einfache Antworten habe ich nicht zu bieten. Letztlich hängt das Überleben der einzelnen Einrichtungen von der Initiative und den Führungsqualitäten ab, die diese Einrichtungen bzw. ihre Leiter auf dem Kunst- und Kulturmarkt entfalten. Meistens geht es dabei um ein Leben von der Hand in den Mund – und das ist nichts Neues. Der 43 Beiträge Norman Rosenthal künstlerischen Integrität und dem künstlerischen Stil müssen politischer und finanzieller Sachverstand zur Seite stehen – das eine schließt das andere nicht aus. Es ist gerade die Verbindung von beidem, die das Überleben sichert. Ich persönlich bin, was die Kultur betrifft, gleichzeitig Optimist und Pessimist, aber eine wesentliche Voraussetzung ist und bleibt das Verständnis dafür, dass in der Kultur, die die Museen umgibt, immer alles im Fluss ist. Ich kann nicht sagen – und niemand von uns kann das –, ob die Welt in zehn, fünfzig oder hundert Jahren mit unserem gegenwärtigen memento mori noch etwas anfangen kann – vielleicht werden unsere Leonardos, unsere van Goghs, unsere Monets und unsere Baselitz’, ähnlich wie es jetzt der Religion ergeht, einer Skepsis weichen, die sich aus heute noch unvorstellbaren Technologien speist. Können Technologien der Zukunft mit Werten der Vergangenheit verknüpft werden? Bis zu einem gewissen Grade vielleicht – wenngleich ich als einer jener Dinosaurier, denen das Fernsehen und selbst die CD-Scheiben ziemlich gleichgültig geblieben sind, in diesem Punkt eher skeptisch bin. Die Aura des Realen und Gegenwärtigen fasziniert die Menschen auch weiterhin, und ich versuche, diese Faszination zu vermitteln. Ich bin mir einigermaßen sicher, dass die Museen zumindest in der allernächsten Zukunft eine wichtige Rolle zu spielen haben – oder, wie ich angedeutet habe, so viele Rollen zu spielen haben, wie sie schon immer gespielt haben. Trotz der magischen Zeitenwende des Jahres 2000 und trotz des 11. Septembers habe ich nicht den Eindruck, die Zeit, in der wir jetzt leben, sei so neu, dass wir das Kind mit dem Bade ausschütten müssten. Die Enthusiasten unter uns genießen das Bewusstsein, an dem lebhaften Kampf um ihr Überleben teilzunehmen und teilnehmen zu dürfen, auch wenn die Welt da draußen manchmal ziemlich feindselig wirkt. J „Ich frage m i c h o f t, w i e Museumsbesucher auf die hochgradig komplexe Sprache der Kunst eigentlich reagieren.“ Darmstädter Sezession 1997 auf der Mathildenhöhe 44 Beiträge Enjott Schneider Jenseits des Etablierten Neue Perspektiven für die Musik im beginnenden Jahrhundert Zwei Prämissen sind vor dem Skizzieren neuer Perspektiven aufzuzeigen. Zum einen: Welche Funktion besitzt heute „Kunst“? Zum anderen: Was ist das „Etablierte“? 1. „Kunst“ beinhaltet auch im 21. Jahrhundert das, was seit jeher ihre Funktion ist: Kunst ist Vision des Menschlichen, ist Entwurf einer (individuellen wie kollektiven) Utopie, ist Entgrenzung (immer höher, weiter – ein Fliegen-Können), ist das Imaginieren von Immateriellem mittels Phantasie, ist das Suchen nach dem Geistigen oder gar Spirituellen hinter den Sinneseindrücken, Kunst sieht hinter das Stofflich-Materielle und ist damit Gegenpol zur funktional-nützlichen Arbeits„In unserer welt. Die Funktion von jetzigen Zeit „Kunst“ oder „Künstler“ d e s H o c h k a p iist für mich am treftalismus und fendsten in der bekannMaterialismus, ten Kindergeschichte […] ist ,Kunst‘ von der Maus „Fredemehr denn je rick“1 gefasst: Während eine existenzielle alle anderen Mäuse in Notwendigkeit rastloser Arbeit Körner geworden.“ und Stroh zusammentragen, sitzt Frederick anscheinend nutzlos da. Er ist aber nicht faul, sondern sammelt Sonnenstrahlen und Farben für die kalten Wintertage. Und im grauen Winter, als die Vorräte der anderen erschöpft waren und düstere Stimmung die Mäusegesellschaft umklammerte – dann kam seine Stunde: „Macht die Augen zu“ sagte Frederick, und er schickte ihnen Sonnenstrahlen, erzählte von blauen Kornblumen und vom roten Mohn… und allen Mäusen wurde es wie von Zauberhand sonnig und warm. In unserer jetzigen Zeit des Hochkapitalismus und Materialismus, in der kleinliches Spekulieren, Kalkulieren, Krämer-Mentalität, das Anbiedern der Kaufleute, das Feilschen um Prozente bei Börsengeschäften zum offiziellen Gesellschaftsspiel geworden sind, ist „Kunst“ mehr denn je eine existenzielle Notwendigkeit geworden. Auch als Gegenkraft zur Körperfixierung und zum „Äußerlichen“ des Materialismus (fassbar in unserer derzeitigen „Body & Beauty“-Manie und im Fetischieren der Sportkämpfe) ist die Frage um den Stellenwert von „Kunst“ als dem Reservat des „Innerlichen“, Geistigen und Phantasiehaften mit der Frage der Überlebenschancen westlicher Zivilisation eng verknüpft und zu einer in ihrer Brisanz noch verkannten Grundsatzfrage geworden. 2. Um das „Etablierte“ des derzeitigen Musikbetriebs zu skizzieren, sei eine Bestandsaufnahme in grobem Raster erlaubt. • Da ist zum einen der Antagonismus von öffentlich subventionierter Musik und kommerzieller Musik. Dieser Antagonismus ist weitgehend kongruent mit dem Gegensatz von „Musik für ein Bildungsbürgertum“ (intellektueller und elitärer Kunstanspruch) und „Musik für die Massen“ (Unterhaltungsfunktion mit Aberkennung eines Kunstanspruchs). Während die öffentlich subventionierte Musik eng mit Institutionen wie Musikkritik, Musikwissenschaft, Feuilleton und Rundfunk verbunden ist und dadurch in öffentliches Bewusstsein erhoben wird, wird die kommerziell-unterhaltende Musik von keinem kulturellen Gedächtnis registriert. Abgesehen von der plakativ genannten „front person“ des Showbusiness (oft fiktiver Art) bleiben Instrumentalisten und Komponisten anonym. • Zum anderen ist das Musikleben durch einen Zug zum Musealen und Restaurativen geprägt. 1 Leo Lionni, Frederick, deutsch von Fredrik Vahle, 1967 und 1968 (G. Middelhauve Verlag) München 45 Beiträge Enjott Schneider Es wird viel alte Musik gespielt. Etablierte Namen wie Bach, Händel, Mozart, Beethoven dominieren die Spielpläne und Programme von Opernhäusern und Konzertsälen. Zu diesen musealen Namen kommt zwar die Aktualität der zeitgenössischen Interpreten, doch ist die merkwürdige Tendenz unverkennbar, dass mit wachsendem Renommee sich Interpreten durch zunehmend restaurative Programme charakterisieren: Kaum ein Jetset-Sänger oder -Pianist zeigt Interesse an zeitgenössischer Musik. • Unter allen Künsten war die Musik (sozusagen als die unmittelbarste „Vibration“ oder „Schwingungsform“ des Menschen) stets der sensibelste Seismograf einer Gesellschaft: …an ihren Liedern und Tänzen sollt ihr sie erkennen! Deshalb sind die hier aufgeworfenen Fragen besonders bedrückend: Warum gibt es diese antagonistische Zersplitterung und keine „gemeinsamen Lieder“ mehr? Warum hat die Neue Musik oder zeitgenössische Musik im etablierten Musikbetrieb so marginalen Stellenwert? Anhand von zwei Symptomkomplexen soll aus der Fülle möglicher Orientierungen eine Beantwortung versucht werden: I. Die Rolle der Differenzierung von „E“- und „U“-Musik (ist der Gegensatz „Ernste Musik“ contra „Unterhaltende Musik“ heute noch produktiv?). II. Das Konzept „Musik visuell“ als Re-Konkretisierung der in der „l’art pour l’art“-Ästhetik abstrakt gewordenen Musik (Schaffen integrativer Kontexte beim Musikhören). I. „E“-Musik contra „U“-Musik Die Unterscheidung von „E”- und „U”-Musik ist typischerweise in Deutschland sanktioniert worden 2 – vom Volk der „Dichter und Denker“, das in seinem Hang zum Idealismus schon immer zu einer verklärten „Hochkultur“ (einige Politiker sagen neuerdings auch: „Leitkultur“) tendierte – und mit dem „hoch“ auch das Abgrundtiefe eines Faschismus aktivierte. Ideologischer Hintergrund der „E“- und „U“-Differenzierung ist die „Körper-Geist“-Trennung des christlichen Abendlandes, die als roter Faden die Zeit vom paulinischen Denken bis heute durchzieht: Der „Geist“ gilt als das Hohe und Eigentliche des Menschen, der „Körper“ ist demgegenüber das Niedere und oft Verdammenswerte. Eine Kette ähnlicher Antinomien ist damit verbunden. Sie reicht von allgemeinen Gegensatzpaaren wie „Logik – Emotion“ bis zu speziell musikalischen Dualismen wie „tonal – atonal“ oder „Oper – Musical“. Beispielsweise war für Jahrzehnte die Ästhetik der Neuen Musik von Theodor W. Adornos „Philosophie der Neuen Musik“ mit der Glorifizierung musikalischer Logik 3 und des strukturellen Denkens (verbunden mit einer Abwertung des emotionalen Hörens) geprägt gewesen. Im holistischen Weltbild der Neuzeit sind solche Gegensatzpaare obsolet geworden: Integration statt Dissoziierung ist angesagt. Man hat die Zusammengehörigkeit von Körper und Geist erkannt, weiß um die Einheit von Denken und Fühlen und hat die „emotionale Intelligenz“ 4 als integratives Movens entdeckt. Die Geschichte der Neuen Musik hat inzwischen durch die Konzertpraxis selbst einiges zurechtgerückt: Die als eminent geschichtsträchtig deklarierten logisch-strukturellen Ansätze der Musik (Arnold Schönberg, Anton Webern oder die Serielle Musik der fünfziger Jahre) sind längst von denjenigen Namen in den Hintergrund gedrängt worden, die von Adorno noch als unbedeutend (weil bloß stimmungshaft, vitalistisch, folkloristisch, nicht-reflexiv) herabgesetzt wurden – Strawinsky, Bartók, Prokofieff, Schostakowitsch, de Falla, Sibelius, Orff und andere. Einst belächelte (oder schlicht ignorierte) Werke wie Barbers „Adagio“, Weills „Sieben Todsünden“ oder Holsts „Planeten“ sind inzwischen zu weltweit beliebten Evergreens geworden. Das Festhalten (vor allem in Musikkritik, Feuilleton, Rundfunk und Musikwissenschaft) an der etablierten Kategorisierung nach „E“ und „U“ scheint für eine perspektivenreiche Entwicklung der Musik, die auf kulturelle Verständigung (statt Zersplitterung) zielt, hinderlich zu sein. Das soll im Folgenden anhand von sieben Facetten aufgezeigt werden. 2 Die deutsche GEMA ist weltweit die einzige Verwertungsgesellschaft, die diese „E“-„U“-Differenzierung kategorisch eingeführt hat. 3 Die Kategorie der „Logik“ ist in der Kunstmusik natürlich weit über Theodor W. Adorno hinaus konstitutiv gewesen: Man findet sie bei richtungsweisenden Musikwissenschaftlern wie Hugo Riemann („Musikalische Logik“), Hans-Heinrich Eggebrecht („Musikalisches Denken“) wie in der Technik der „Durchführung“ als Inbegriff abendländischen Komponierens. 4 Vgl. hierzu Daniel Goleman, Emotionale Intelligenz, München-Wien 1996 46 Enjott Schneider Tangotänzer in San José de la Esquina, Argentinien „In der Vielzahl tanzbarer Musik findet man ungebrochen das menschliche Grundbedürfnis nach rhythmischer Bewegung.“ 1. Der Tanz in der Musik Die etablierte Neue Musik meidet den „Tanz“ und damit jede körperhaft-konkrete Rhythmik nahezu systematisch.5 Tanzmusik wird der kulturellen Anonymität der „U“-Musik überlassen. In der Vielzahl tanzbarer Musik (von afroamerikanischen Tänzen wie Rock ‘n’ Roll und Swing, von lateinamerikanischen Tänzen von Salsa, Tango bis Samba, den Standardtänzen von Walzer bis Foxtrott, den neu- esten Tänzen wie Techno, Hiphop, Drum ‘n’ Bass) findet man ungebrochen das menschliche Grundbedürfnis nach rhythmischer Bewegung – in ihrer lustvollen Körperhaftigkeit und Monotonie den Bewegungsabläufen der Sexualität eng verwandt. Diese Lustfeindlichkeit neuer „E“-Komponisten ist bei den älteren Vertretern der Klassik – als „E“ und „U“ noch nicht getrennt waren – nicht zu finden: von Monteverdi, Bach, Händel, Schubert bis Chopin (man vergleiche dessen Walzer, Mazurken, Polonaisen) oder Ravel („Boléro“, „La Valse“ und „Pavane pour une infante défunte“ sind die Evergreens seines Schaffens geworden) waren „Tänze“ Ingredienz des kompositorischen Könnens. In Gattungen wie „Sinfonie“ und „Sonate“ war die Tanzform „Menuett“ als obligatorischer dritter Satz musikalische Achse. Die Nähe zum Tanz und die daraus resultierende lustvolle Körperlichkeit der älteren Musik dürfte ein wichtiger Grund für die Musealisierung des Musiklebens sein: Die Musik vergangener Jahrhunderte gestattet jenes Ausleben 5 Es ist auffallend, dass an den Opernhäusern die Musik zu Ballett-Abenden meistens als Tonkonserve erklingt und vor allem zeitge- nössische Live-Musik (womöglich Uraufführungen, Kompositionsaufträge) zu den Raritäten zählt. 47 Beiträge Enjott Schneider motorischer Elemente (sei es als ausübender Spieler wie als Zuhörer), die in der modernen „E“-Musik wenig zu finden ist.6 2. Vitalität, Optimismus, Harmonie als musikalischer Gehalt Der harmonische Dur-Akkord, das optimistische Weltbild oder das „Happy End“ als Lösung der Finalproblematik scheint zur ausschließlichen Domäne der „U“-Musik geworden zu sein. Die in dem „E“ indizierte Ernsthaftigkeit ist demgegenüber zur eindimensionalen Programmatik geworden: Die Neue Musik gibt sich weitgehend larmoyant, entsagend, negierend, dissonant und katastrophen- wie klageorientiert. Das Argument nach Auschwitz darf man nicht mehr… ist zum einen von vielen kulturellen Produktivitäten auf mehreren Ebenen längst entkräftet worden, zum anderen gibt es ein existenzielles Bedürfnis nach positivem Denken und ein Recht auf Harmonie – ansonsten droht Krankheit (im individuellen wie kollektiven Rahmen) als Konsequenz. Gemäß des holistischen Denkens wäre auch hier eine Verbindung dringend notwendig: So zusammengehörend wie Licht und Schatten, Berg und Tal oder Yin und Yang, „Neue Musik so dringlich müssen in zieht meistens einer Musik der ZuEnergie ab: kunft das Ernste des Töne und Laut„E“ und das Unproblestärken dürfen matisch-Unterhaltsame sich nicht des „U“ zusammengeentfalten, es führt werden. Die Sogwird gekratzt wirkung, die im museaund geschabt, len Konzertleben von psychische Enge der älteren Musik ausstatt Weite.“ geht, hat in solcher Janusköpfigkeit eine der Wurzeln: Ein Bach schrieb sowohl die „Matthäuspassion“ wie die „Kaffeekantate“, ein Mozart schrieb ein “Requiem” und ein „Dorfmusikantensextett“, ein Beethoven schrieb seine enigmatischen letzten Quartette und „Die Wut über den verlorenen Groschen“. Solche serenità fehlt der Neuen Musik weitgehend. Dazu kommt, dass sowohl die ältere Musik wie die „U“-Musik über eine inhaltlich positive Programmatik hinaus durch ihre Machart Lust an Kraftentfaltung, Spieltrieb und Vitalität beinhaltet: Beim Erklingen einer symphonischen Musik (ob Mozart oder Tschaikowsky), einer BigbandKomposition von Duke Ellington oder eines Operettenmarsches von Franz von Suppé wird im Hörer durch die opulente Klangentfaltung Kraft freigesetzt. Er wird von Energie durchzogen – provoziert von einer aus dem Zusammenspiel von fünfzig sich synchron bewegender Musiker resultierenden Energetik. Simple Parameter wie Lautstärke und rhythmischer Drive bewirken bereits einen Adrenalinausstoß. Puls, Atmung und Durchblutung werden positiv angeregt. Im Gegensatz dazu zieht Neue Musik meistens Energie ab: Töne und Lautstärken dürfen sich nicht entfalten, es wird gekratzt und geschabt, psychische Enge statt Weite. Wohlklang wird vermieden. Pausen und ständiges Innehalten verhindern oft das vegetativ wirksame Zustandekommen von Drive und Flow. 3. „L’art pour l’art“ als soziale Isolation Die hermetische Ästhetik jener Kunstmusik seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert, die materialimmanent nur ihren eigenen Gesetzen gehorchen will und sich damit jeder funktionalen wie gesellschaftlichen Ortung entzieht, kennzeichnet nach wie vor das Selbstverständnis der Neuen Musik. „Funktionale Musik“ gilt dagegen als minderwertig und wird der „U“-Ebene zugeordnet. Das derzeitige Musikleben kennt eine Fülle funktional determinierter Musik, die nicht nur in ihrem materiell-gesellschaftlichen Stellenwert (Sicherung von Arbeitsplätzen, als Wirtschaftsfaktor), sondern auch sozialhygienisch als Selbstausdruck einer Menschengemeinschaft von großer Bedeutung ist: Musik in Film, Fernsehen oder Internet, Musik zum Tanzen, Meditationsmusik, Musik für den Gottesdienst, für Kirchentage, für den Zirkus, für die Diashow, für Yogaübungen oder Jogging, für Sportveranstaltungen, für Telefonanlagen, Hörspielmusik, Marschmusik, Schauspielmusik, Hintergrundmusik, Chill Out-Musik, Aerobicmusik, Musik für Industriepräsentationen, Musik für Kinder, den Instrumentalunterricht, pädagogische Musik – das alles sind Musikformen, die in obsoleter „E/U“-Kategorisierung aus dem Blickfeld der „E“-Musik gerückt sind. Die nach 1900 verloren gegangene Wieder- 6 Bezeichnenderweise hat mit Beginn der 70er Jahre die Minimal Music (Phil Glass und Steve Reich waren die Exponenten der ersten Stunde) aufgrund ihrer körperhaften Rhythmik blitzartig eine weltweite Akzeptanz erfahren und stellt momentan die kohärenteste Stilistik innerhalb der Neuen Musik dar. 48 Enjott Schneider einbindung des Komponisten in gesellschaftliche Funktionen dürfte eines der wichtigsten Ziele einer Musik des 21. Jahrhunderts sein. Der Impuls dazu muss vor allem vom „E“-Komponisten ausgehen, der sein Selbstverständnis als „Schöpfer nur autonomer Werke“ weitet und sich vorurteilslos dem Feld funktional-musikalischer Aufgaben stellt. 4. „Ethno“ als der Weg „back to the roots“ Jene Neue Musik, die sich betont strukturell und konstruktivistisch versteht (beispielsweise die Derivate der dodekaphonen und seriellen Musik) zeichnet sich durch Komplexität und Distanz zu volksmusikalischen Archetypen aus. Besonders die mitteleuropäischen Komponisten (ich denke an Namen wie Max Reger, Arnold Schönberg, Anton Webern, Paul Hindemith, Hans Pfitzner bis zu Luigi Nono, Pierre Boulez, Olivier Messiaen, Luciano Berio, Karlheinz Stockhausen, Wolfgang Rihm, Brian Ferneyhough) tendieren zu einer „intellektuellen Musik“, zu deren Rezeption die Materialreflexion, Werkreflexion und Geschichtsreflexion unabdingbar gehören. Diese intellektuelle Distanz ist bei denjenigen Komponisten, die unmittelbar aus den Quellen der Volksmusik (musikethnologische Musik) schöpfen, weniger zu spüren. Es ist erstaunlich zu sehen, wie befruchtend im Laufe der Musikgeschichte die Rand-europäischen Komponisten (die ursprünglicher in der Folklore wurzelten) immer wieder entscheidende Impulse gegeben haben: zu denken ist beispielsweise an die „böhmischen Musiker“, die gegen 1800 den Wiener klassischen Stil und die Mannheimer Schule prägten, an die Einflüsse aus Russland (Mussorgsky, Rimsky-Korssakoff, Scrijabin, Rachmaninoff, Strawinsky, Prokofieff, Schostakowitsch), aus Ungarn (Bartók, Kodály), aus Finnland (Sibelius), Spanien (de Falla), Brasilien (Villa-Lobos), an Debussy, dessen Stilistik sogar auf asiatische Elementen beruhte. Das breite Konzertpublikum (sozusagen der musikalische Laie) schätzt gerade diese aus ethnologischen Quellen gespeiste Musik. Dasselbe Charakteristikum zeigt die neueste Rezeption der letz- ten Jahrzehnte: Ins Repertoire gekommen sind Komponisten aus Polen (Penderecki, Lutoslawski, Gorecki), aus dem Baltikum (Arvo Pärt), aus Ungarn (Ligeti, Kurtág), aus Griechenland (Xenakis) und die in außereuropäischer Folklore wurzelnden Minimalisten. Man vergleiche die afrikanischen Einflüsse bei Steve Reich, die indischen bei Terry Riley, die tibetanischen bei Phil Glass. Nahe„In der Abkehr zu ein Sonderfall stellt von einem euro7 Carl Orff dar , der jezentristischen nes „back to the roots“ Musikverständnis kategorisch vollzogen zeigen sich hat. Dass seine „Carmidie v i e l l e i c h t na Burana“ das weltz u k u n f t s t r ä c hweit am häufigsten auftigsten Pergeführte Musikwerk ist spektiven einer (vor Beethovens IX. ,Neuen Musik‘.“ Symphonie), darf deshalb nicht verwundern. Die Musik der ethnologischen Traditionen ist die Musik, die dem „E“ der Kunstmusik am deutlichsten opponiert – und ist gerade deshalb so bedeutsam. Der Trend zur Archaisierung von Musik (weg vom formalen Konstruktivismus hin zu einer genuinen Lautlichkeit) durch Integration der ethnologischen Stilmittel ist bis heute ungebrochen (Stichworte: Weltmusik, crossover). In der Abkehr von einem eurozentristischen Musikverständnis zeigen sich die vielleicht zukunftsträchtigsten Perspektiven einer „Neuen Musik“. Machen wir ein Gedankenexperiment und stellen uns ein Musikgeschichtsbuch aus dem Jahre 2400 vor, in dem wir uns über die musikgeschichtliche Leistung des 20. Jahrhunderts informieren wollen. Wir dürften darin die Überschrift „Archaisierung“ und Sätze finden wie: „Die geschichtsträchtigste Leistung des 20. Jahrhunderts war die Rückkehr zu den ethnologischen Wurzeln, wobei vor allem die Rückbesinnung auf die afrikanischen Ursprünge in Blues, Rock’n’Roll, Jazz (die afroamerikanische Musik) zu einem globalen Musikidiom führte, das in allen Erdteilen verständlich war.“ 8 7 Vgl. dazu von N. J. Schneider, Carl Orff und die repetitive Musik nach 1960, in: Jahrbuch II der bayerischen Akademie der Schönen Künste, München 1988, S. 354 –374 8 Nicht nur bei Komponisten, sondern auch bei ausübenden Musikern führt die Integration von Kunstmusik und Folklore zu profilier- terem Stellenwert im Musikleben: Beispielsweise sind amerikanische Sänger/innen, die neben der klassischen Gesangsausbildung auch in der Jazz-, Blues- und Gospeltradition wurzeln, beliebt und von einer konkurrenzlosen „Robustheit“ an deutschen Opernhäusern; gleiches gilt für die amerikanischen Blechbläser/innen, die unbekümmert zwischen Konzertsaal und Jazzband beheimatet sind und in ihrer stilistischen Vielfalt eine ähnlich gelagerte „Robustheit“ aufweisen. 49 Beiträge Enjott Schneider Konzert der portugiesischen Gruppe Madredeus mit der Sängerin Teresa Sagueiro in der Centralstation, Darmstadt „So zusammengehörend wie Licht und Schatten, Yin und Yang, so dringlich müssen in einer Musik der Zukunft das Ernste des „E“ und das Unterhaltsame des „U“ zusammengeführt werden. 5. Einfachheit Kunstvolle, komplexe und künstliche Werke zu schaffen gelingt leicht. Weitaus schwieriger ist es, eine durch die Unmittelbarkeit des Einfachen beeindruckende Aussage künstlerisch zu formulieren. Dass die Werke Neuer Musik sich durch Hyperkomplexität auszeichnen und von höchstem Schwierigkeitsgrad für Interpreten sind (das Rundfunkorchester wird’s schon spielen können!) ist symptomatisch. Auch hier fasziniert der Blick auf die Altvorderen, die immer wieder auch kleine und einfach spielbare Werke schrieben – etwa Bachs „Inventionen“, Mozarts „Sonata facile“, Beethovens „Sonatinen“, Schuberts „Tänze“. Dass moderne Komponisten, die „einfach“ schreiben (etwa Erik Satie, Morton Feldman oder Arvo Pärt), sich großer Hörerakzeptanz erfreuen, sollte programmatisch verstanden werden: Das Suchen von Einfachheit zeigt eine bedeutsame Perspektive einer Musik des 21. Jahrhunderts. In Rainer Maria Rilkes Wort von „Kunst ist Kindheit nämlich“ 9 liegt der Schlüssel für die Relevanz von „Einfachheit“ im ästhetischen Prozess. Der Kinderarchetyp (wie C. G. Jung 1941 darlegte) stellt für den Menschen die Brücke zur KollektivSeele und zu den intuitiven, gleichsam prähistorischen Wahrheiten dar. Nie waren die Sinne des Menschen so wach wie in seiner Kindheit. Dort 9 Vgl. dazu das gleichnamige Kapitel in N. J. Schneider, Komponieren für Film und Fernsehen. Ein Handbuch, Mainz (Schott Verlag) 1997, Seite 91ff. 50 Enjott Schneider war unsere Phantasie am größten, die Kombinationsgabe am schnellsten, die Emotionen (Angst, Lachen, Weinen, Freude) am unmittelbarsten. Vor allem in der Bildenden Kunst ist deutlich geworden, welche Kraft (verbunden mit einer generellen Akzeptanz der Kunstwerke) von der Orientierung am Einfach-Kindlichen und Primitiven ausgeht: Paul Klee, Pablo Picasso, Joan Miró haben davon deutlichst Zeugnis abgelegt. Für die Musik gibt es Bedenkenswertes: „Große“ Komponisten konnten immer dann mit erstaunlicher Popularität rechnen, wenn sie „für Kinder“ komponierten. „Genialität“ hatte man schon in der Romantik als „wiedergefundene Kindheit“ begriffen. Fragen wir – sozusagen auf der Straße – den Durchschnittshörer nach den Evergreens: „Was kennst Du von Prokofieff?“ – „Peter und der Wolf “. „Was kennst Du von Camille Saint-Saëns?“ – „Karneval der Tiere“. „Was kennst Du von Engelbert Humperdinck?“ – „Hänsel und Gretel“. „Was kennst Du von Robert Schumann, was von Brahms, von Beethoven…?“ – „Die Träumerei aus den Kinderszenen, Guten Abend, Gute Nacht und Albumblatt für Elise“… Es scheint, als würden die Komponisten in dem Moment, in dem sie sich auf das Thema „Kind“ einlassen, ihr Faible für Kunstfertigkeit und Künsteleien vergessen und sich einfacher Grundstrukturen bedienen – und erreichen eine unerhört breite Zuhörerschaft. 6. Sanglichkeit und Singbarkeit Wer vermag heute eine Melodie von Stockhausen, Rihm, Nono oder Boulez vorzusingen, zu pfeifen oder gar absichtslos zu trällern? Weitaus mehr gelingt dies im Bereich der „E“-Musik mit Melodien jener Komponisten, die in ethnologischer Musik wurzeln – wie bei den schon erwähnten Namen Strawinsky, Bartók, Orff und anderen. Den gesunden Menschenverstand müsste es eigentlich irritieren, dass „Ohrwürmer“ (als Inbegriff der nachsingbaren Melodie) schon seit Jahrzehnten fast nur noch im Bereich der „U“-Musik komponiert werden. Das an dieser Stelle von „E“-Komponisten eingebrachte Argument, dass heute nicht mehr gesungen, sondern nur noch Musik aus Konserven konsumiert werde (also keine neukomponierten Melodien mehr benötigt werden), ist durch gröbste Inaugenscheinnahme widerlegt: Das internationale Repertoire von Songs, Balladen, und Liedern (vom „Yesterday“ der Beatles bis zu Bob Dylans „Blowin’ in the wind“) ist von einer verblüffenden Kohärenz. Wenn sich Jugendliche aller Erdteile in Zeltlagern, Interrail-Bahnhöfen und Youth Hostels treffen, dann wird gesummt und gesungen wie nie zuvor – nur eben aus dem Repertoire der (unzutreffend so benannten) „U“-Musik. Zur Perspektive einer „Neuen Musik“ im beginnenden Jahrhundert sollte der Ehrgeiz zu gelegentlicher Melodiosität von Kompositionen unbedingt gehören. 7. Lösung des Werkbegriffs von der Schriftform Viele Komponisten der „E“-Musik sind „Schreibtisch-Täter“ – und als solche oft vom realen Leben der Töne und Klänge abgeschnitten. Das Notieren, Ordnen und Rationalisieren bedingt meist eine Reduktion des musikalischen Materials und eine Beschneidung des faszinierenden Wildwuchses und Eigenlebens von „Klang“. In vielen Formen der „U“-Musik hingegen wird auf Notation weitgehend verzichtet oder zumindest die Schriftform nur als Zwischenstadium (als Hilfsskizze der musika„Archaischem lischen Verständigung), und allseits-benicht aber als Endform kanntem Material einer Komposition anden Stempel der gesehen: Im Jazz beiIndividualität spielsweise mag ein aufzudrücken, Hauptthema bisweilen ist mühevoll und in Schriftform existiebenötigt eine ren, die zigtausenden intensive Subjekvon LPs und CDs aber t i v i t ä t d e s A u t o r s .“ sind ohne Notentext auf Basis der Improvisation eingespielt worden. Chartsongs und Dance Music werden in den Musikstudios seit vielen Jahren ohne den Umweg einer Verschriftlichung Spur für Spur (der al fresco-Technik der Malerei vergleichbar) auf die Mehrspur-Bandmaschine gespielt und gesungen. Gleiches gilt für viele Filmscores (mit Ausnahme der immer seltener werdenden orchestralen Filmmusiken), wobei die hier vorzugsweise eingesetzten gesampelten Klänge und Geräusche sich ohnehin jeder Notation widersetzen. Im Zeitalter der digitalen Speicherung und Programmierung von Audiosignalen jeder Art (ob Ton oder Geräusch) hat Komponieren als ein Zusammenfügen (componere) solchen Klangmaterials eine vormals unbekannte Direktheit erreicht: Alles Auditive (ob Klavierklang, Windpfeifen, Eskimo- 51 Beiträge Enjott Schneider flöte oder Klappern einer Kokosnuss) ist inzwischen digital abrufbar, in jedem Parameter veränderbar und kann in beliebigen Relationen zu Neuem zusammengefügt werden. In der musique concrète der fünfziger Jahre geschah dieses Zusammenfügen oft in strukturell-konstruktivistischem Kontext (sozusagen nach einem abstrakt entwickelten „Plan“), in den Filmscores, Songs, HiphopTracks und Remixes geschieht dies heute spontan, intuitiv als Improvisation. Für Komponisten der „E“-Musik wäre es perspektivenreich, ihre Notenpartitur in herkömmlicher Notenschrift (wobei ein Notensymbol bekanntlich ja nur den einen Parameter des Grundtons bezeichnet und nichts über die wirkliche Klangstruktur aussagt) um die „digitale Partitur“ der „U“Musik zu erweitern. Conclusio: Es wäre zu einfach, wenn eine ins 21. Jahrhundert perspektivierte Musik nun ausschließlich diesen sieben gezeigten Akzentuierungen genügen sollte: Tänzerisch, vital/optimistisch, funktional, folkloristisch, einfach, sanglich und improvisativ zu sein garantiert einem Musikstück noch keineswegs den Weg ins Repertoire. Im „Kunst, die Gegenteil – ein AbgleiKlischees ten in Trivialität und verwendet, Kitsch ist gefährlich naist affirmativ. he. Der Grund: ArchaiSie bestätigt schem und allseits-benur, was schon kanntem Material den alle wissen. Stempel der IndividuWirkliche alität und Einmaligkeit Kunst ist aber aufzudrücken, ist müheunberechenbar.“ voll und benötigt eine intensive Subjektivität des Autors. In seinem „Kunst ist schön, aber macht Arbeit! “ brachte Karl Valentin diesen unabdingbaren Prozess auf eine knappe Formel. Wenn musikalische Charakteristika in der Praxis von „E“und „U“- Musik sich bisweilen polar entgegenstehen, so darf davon ausgegangen werden, dass die Wahrheit am ehesten in der Mitte liegt.10 Gerade deshalb müssen die Qualitätsbefunde von „U“ und „E“ integriert und zu einer zeitgemäßen „Neuen Musik“ zusammengeführt werden. Das Komponieren einer „Neuen Musik“ zwischen „U“ und „E“ benötigt eminentes Fingerspitzengefühl und bleibt eine Gratwanderung. Mit zuviel „U“ droht das Abgleiten in Massen-Ästhetik, Klischee und Kitsch. Mit zuviel „E“ drohen Hyperindividualismus und Vereinzelung. „Kunst“ – damit sie als Sprache fungieren kann und ihre Adressaten erreicht – braucht immer ein Zeichenrepertoire, das ästhetisch verabredet und bekannt ist. Diese Stereotypen sind jedoch lebendig und bleiben einem ständigen Prozess der Neudefinition unterworfen. Wird ein ästhetisches Zeichen jedoch auf eine formelhafte Bedeutung verengt, so entstehen Klischees, „tote Zeichen“. Diese Klischees bilden ein der lebendigen Kommunikation vorgeschaltetes Begriffssystem, das man sprachtheoretisch als „Zwischencode“ oder (umgangssprachlicher) als „Ideologie“ bezeichnet. Kunst, die Klischees verwendet, ist affirmativ. Sie bestätigt nur, was schon alle wissen. Wirkliche Kunst ist aber unberechenbar. Dabei hat der Künstler einen schmerzhaften Spagat zu machen: Um verständlich zu sein, benutzt er vorhandene Ordnungen. Um seine eigene Wahrheit auszudrücken, muss er diese Ordnungen jedoch in Frage stellen. II. Das Konzept „Musik visuell“ als Re-Konkretisierung der Musik Seit ihren Ursprüngen ereignete sich Musik immer in situativem und damit visuellem Kontext. Mit der „L’art-pour-l’art“-Ästhetik seit etwa 1900 und durch die Technologien der Schallaufzeichnung (Rundfunksendung, LP, CD usw.) hat sich jedoch eine Form der „reinen Musik“ herausgebildet, deren Rezeption besonders dem musikalischen Laien zunehmend schwer fällt. Vor allem die instrumentale Musik hat in den letzten Jahren an Bedeutung verloren. Das Interesse an Kammermusik ist drastisch gesunken. Der ungebrochene Boom des Musikkonsums (noch nie in der Ge- 10 So soll nicht jede Musik „Tanzmusik“ sein, aber der „Tanz“ sollte wieder als potenzielles Medium der Erdung von komplex-rhyth- mischer Musik zugelassen sein. Ebenso soll nicht jede künftige Musik vital, optimistisch und harmonisch sein (das käme einer diktatorischen Kulturreglementierung gleich), vielmehr sollten diese Qualitäten die eine Seite eines Spannungsfeldes darstellen, in dem sich Neues Komponieren ereignet. Auch geht es nicht darum, nur noch funktionale und gesellschaftlich determinierte Musik zu schreiben, sondern die Ausschließlichkeit einer hermetischen Ästhetik (und damit die vorurteilshafte Minderbewertung funktionaler Musik) zu reduzieren. 52 Enjott Schneider schichte der Menschheit wurde so viel Musik gehört) täuscht über das Faktum hinweg, dass weltweit zu etwa 96 Prozent Vokalmusik gehört (und als Tonträger gekauft) wird – egal ob Hitsong, Blues, Volkslied oder Opernarie. Das stimmliche Element der Vokalmusik hat jedoch etwas Personifizierbares, etwas Materielles und Psychisch-Konkretes, das die Rezeption erleichtert. Viele „Musikliebhaber“ – sei es im Bereich des Schlagers oder der Oper – reduzieren ihr Interesse auf den psycho-physischen Gehalt des Stimmlichen („Wie ist das Timbre?“, „Wie laut, wie hoch, wie tief?“, „Hat die Stimme Kraft, Magie, Sex?“11) und haben keinerlei Ahnung von musikalischer Form, von Musikinstrumenten, von harmonischen, rhythmischen oder motivischen Vorgängen. Diese „Musikliebhaber“ stehen der abstrakteren Instrumentalmusik oft hilflos gegenüber. Erklingt Instrumentalmusik jedoch im visuellen Kontext, dann zeigen Hörer mehr Toleranz und Interesse. Schüler, die beispielsweise in der Oper eine inszenierte Ouvertüre erlebt haben, akzeptieren plötzlich diese vormals „trockene“ Musik als Unterrichtsgegenstand. Besucher eines Stanley Kubrick-Films kaufen sich plötzlich die CD zu „Also sprach Zarathustra“ von Richard Strauss, Ligetis „Requiem“, Bartóks „Musik für Saiteninstrumente“ oder Pendereckis „Jakobs Erwachen“, weil sie diese Musik im Kontext von „Shining“ oder „Odyssee 2001“ so aufregend empfanden. Musikpädagogische Untersuchungen weisen nach, dass in unserem Videozeitalter „Musik“ nicht mehr pur, sondern zu fast 90 Prozent im Kontext von Bildern rezipiert wird: als TV-Aufzeichnung, im Spielfilm, in der Werbung, im Videoclip, am Computermonitor. „Multimedia“ ist das Schlüsselwort für die Zukunft geworden und setzt den mit Richard Wagner oder Alexander Scrjabin initiierten Trend zum „Gesamtkunstwerk“ folgerichtig fort. Grundlage sind die neuesten technologischen Entwicklungen. War bislang im privaten Consumer-Bereich nur die Musik in HiFi-Qualität genießbar und dem Bild vorgeordnet, so hat inzwischen mit der DVD-Technologie und dem digitalen Fernsehen auch die Bildebene letztmögliche Qualität erreicht. Durch den technologisch hohen Standard audiovisueller Reproduktionstechniken ist auch die vormals ent- scheidende Frage „Live-Erlebnis“ oder „Konserve“ hinfällig geworden: Das Erleben einer konservierten Musikaufzeichnung mit großem Bild und großem Ton kann einen schlechten Sitzplatz in der Philharmonie oder in der Pop-Arena durchaus wettmachen. Hinzu kommt, dass gerade bei großen Musikevents (vom Open-Air-Festival bis zur Luxusinszenierung einer Oper oder eines „Schüler, die Musicals) ohnehin mit beispielsweise tontechnischer Übertrain der Oper gung (Mikrophonvereine inszenierte stärkung und Livemix) Ouvertüre erlebt und Monitorleinwand haben, akzepgearbeitet wird. tieren plötzlich In der Videoclip-Kuldiese vormals tur der Popszene ist die ,trockene‘ Musik multimediale Entität bea l s U n t e r r i c h t sreits vorgelebt: Entscheigegenstand.“ dend für die Verbreitung eines Poptitels ist die Durchschlagskraft, die vom (dem Tonträger vorgeschalteten) Videoclip ausgeht. Für den rotstiftgewohnten und subventionsbedürftigen Musiker sind die Produktionskosten solcher Videos unvorstellbar. David Dorell (Bandmanager von Bush) bezifferte die Kosten für eine Minute Videoclip im Popbusiness 2000 auf etwa eine Million Dollar – und schätzte beispielsweise die Herstellungskosten eines Clips wie „Scream“ (1995) von Michael und Janet Jackson (Regie: Mark Romanek) mit einem Minutenwert von zwei Millionen Dollar ein. Hat ein Popsong durch die Videoclipproduktion eine visuelle Semantik erhalten, so wird bei LiveAuftritten mittels Bühnenshow und Multimediaprojektion diese Visualität in die Konzertsäle übernommen. Übernimmt man mit einem vorurteilslosen Blick diese Entwicklungen der populären Musik für den Bereich der Klassik, so zeigen sich hier in der neuen Konjunktion von Bild und Ton neue Märkte, neue Inhalte, neue Leitbilder, neue Lust am Singen und Musizieren. Salopp verkürzt: Das Classic-Video muss her! – Dass sich Musik in einem visuellen Kontext ereignet, ist nicht neu und hat lange Tradition. Es ist umgekehrt so, dass der Gedanke der puren Musik – „L’art pour l’art“ – einen Sonder- 11 Die bei vielen Liebhabern „schöner Stimmen“ zu beobachtende Reduktion der musikalischen Wahrnehmung auf die dem Stimm- klang innewohnende „nackte Psyche“ (die stimmlichen Regungen sind bekanntlich das Privateste, was eine Person nach außen kehren kann) darf nahezu als „musikalische Pornographie“ bezeichnet werden. 53 Beiträge Enjott Schneider fall der mitteleuropäischen Ästhetik des 19. Jahrhunderts darstellt. Musik war zuvor immer optisch situiert: in den feudalen oder klerikalen Prunkzügen, beim Musizieren in opulent ausstaffierten Kirchen, vor wertvollen Gemälden, in aufwändig ausgestatteten Bühnen eines über 700 Jahren alten Musiktheaters. Bei den Plakaten zu Wolfgang Amadeus Mozarts Opern war beispielsweise der „Maschinist“ (der für visuelle Effekte Zuständige) namentlich in großen Buchstaben genannt, während nur eine kleine Notiz „die Musik ist von Herrn Mozart“ erwähnte. Denken wir an das optische Ambiente von Händels „Feuerwerkmusik“ und „Wassermusik“, an die Gattungen der Ballettmusik, der Melodramen, der Filmmusik (ob live zur Leinwand oder mechanisch verkoppelt auf der Tonspur). In fünf „Visionen“ – als greifbar gewordenen Wunschbildern – will ich nachfolgend einige Perspektiven des Konzeptes „Musik visuell“ aufzeigen.12 Vision I: Wo vormals in der Wohnung TV, Radio, MC- und CD-Player und Computer getrennt standen, steht jetzt eine „Multimedia“-Station (mit bestem Surroundton), die Musik und Bilder aus Kabelfernsehen, Kabelradio, Internet, Telefon oder von der DVD wiedergibt. Das Speichermedium DVD (inzwischen bespielbar) hat CD, MC, „Vorrangig VHS-Video abgelöst und gilt es, nach wird neutral für akustider Methode sche wie optische Aufdes ,trial and zeichnung/Wiedergabe error‘ immer verwandt. Hören und n e u e K o n f i g uSehen gehören alternarationen des tiv zum Angebot: Wer Visuellen und eine Brahmssinfonie Musikalischen „erleben“ will, hat die zu finden.“ Möglichkeit nur den Ton zu hören oder eine visuelle Version – von der bloß dokumentarischen Aufzeichnung des ausführenden Orchesters bis hin zur fantasievollen Bebilderung. Das kann spannend sein: Das neueste „Klavierstück“ von Wolfgang Rihm könnte – da beispielsweise von der Regisseurin Floria Sigismond bebildert, die schon in Marylin Mansons Videoclips „Beautiful People“ (1995) und „Tourniquet“ (1996) eine obsessive Bilderwelt gefunden hat – von einer breiten Hörerschaft erwartet werden. Dieser neuen Hörerschaft kann Rihms Musik kaum „crazy“ oder „abgefahren“ genug sein. – Oder: Das Kronos Quartet hat das neueste Streichquartett von Aulis Sallinen eingespielt, wozu ein inspirierter Regisseur narkotisch-schöne Bilder vom Jahreszeitenablauf der unberührten Natur Finnlands gefunden hat – und in dieser authentischen Koppelung von Streicherklang und Seelenlandschaft das neue Publikum in ungeahnte Welten entführt. A propos „Publikum“ – sind das jetzt Hörer oder Zuschauer? Vision II: Der „Classic Clip“ hat auch den Konzertbetrieb verändert. So wie in der Popbranche die Musiker auf dem Podium die originale Visualität ihres Videoclips in die Bühnenshow übernehmen, so musiziert beispielsweise unser Kronos Quartet im Konzertsaal der Zukunft (wo vielfältigste Projektionsflächen zum Standard geworden sind 13 ) sein Sallinen-Quartett vor den Aufnahmen der finnischen Natur – in bester Bildqualität von der „originalen“ DVD als „Nurbild“ projiziert. Es entstehen Konzerterlebnisse mit der Intensität existenziellster Traumwelten, die noch Tage nachwirken können. Liveaufführungen von Instrumentalmusik haben physisch-konkreten Gehalt bekommen. Musik wird zum Anfassen plastisch und vermag sich in neuen Hörerkreisen Sympathie zu erwerben. Vorrangig gilt es, nach der Methode des „trial and error“ immer neue Konfigurationen des Visuellen und Musikalischen zu finden. Dabei kann man sich auch von historischen Vorbildern inspirieren lassen – seien es Pater Athanasius Kircher (1602–1680) mit seinem okkulten Wissen um geheime audiovisuelle Instrumente, die Farblichtprojektionen von Leonardo da Vinci um 1500, das „Orchestre Chromophonique“ von Charles BlancGatti (1933/34 in Paris patentiert). Wer aufmerksam für „Musik visuell“ sensibilisiert ist, wird immer wieder Überraschendes entdecken. Da war beispielsweise 1999 die „Philharmonische Nacht 12 Eine ausführliche Darstellung findet sich bei Enjott Schneider, Die andere Musikförderung: Der Rezeptionsansatz „Musik Visuell“, in: Musikforum (herausgegeben vom Deutschen Musikrat), 36. Jahrgang, Heft 93, Dezember 2000 (Schott Verlag Mainz), S. 26 –33 13 Viele moderne Veranstaltungsgebäude (z. B. der „BMW-Pavillon“ am Münchner Lenbachplatz) besitzen bereits jetzt aufwändige integrierte Projektions-, Übertragungs- und Beschallungstechnologie. 54 Enjott Schneider Ticketverkauf im Londoner West End „In unserer Zeit, in der Medienkonzerne, Musical-Produktionen und Konzertmanagements an die Börse gehen, sind ,echte Kunst‘ und Kommerz keine Gegenpole mehr.“ Erfurt“, in der GMD Wolfgang Rögner Dvoráks ˇ Symphonie e-moll „Aus der Neuen Welt“ vor einer überdimensionalen Leinwand dirigierte, auf der ein eigens dazu von dem Amerikaner Titus Leber (aus unveröffentlichtem NASA-Material) kompilierter Film mit Aufnahmen aus dem Weltall gezeigt wurde: Mich hat das Englischhorn-Solo des II. Sat- zes noch nie so erschüttert wie hier vor dem Hintergrund der in der Schwärze des Alls schwebenden Erdkugel – als hätte Dvoráks Musik nur auf ˇ diesen Moment der Visualisierung gewartet. Vision III : Vom kürzeren „Classic Videoclip“ (3 –15 Minuten) führt der Weg zur großen abendfüllenden Musikvisualisierung – etwa in Anlehnung an Walt Disneys legendären Film „Fantasia“ (1939/1940) und den Nachfolger „Fantasia II“ (2000), an Godfrey Reggios Film „Koyaansiqatsi“ (1983) mit Musik von Phil Glass. Solche überdimensionierten „Classic Clips“ könnten gewaltige neue Kunstwerke darstellen. Ich stelle mir jetzt all die großen Sinfonien und sinfonischen Dichtunˇ gen von Liszt, Rachmaninoff, Dvorák, Smetana oder Strauss in suggestiven Bilderkaskaden vor – sei es abstrakt oder mit narrativer Rahmenhandlung. Hier könnten existenzielle Aussagen formuliert werden und seelische Tiefen erreicht werden, wie man es vom derzeitigen Kino- oder TV-Pro- 55 Beiträge Enjott Schneider gramm (mit ihrer Quoten- und Popcorn-Kultur) nicht mehr erwarten kann. Das Fernsehen, dessen Programme mit den „Big Brother“-Konzepten, Talkshows, InflationärKrimis und seichten Melodramen zunehmend verflachen, würde solche Sendeangebote, die visuelle Innovation mit existenzieller Emotionalität verbinden, mit Handkuss und Dank für diese Qualitätszufuhr sicher aufnehmen. Finanzielle Risiken würden Sender mit solchen Produktionen kaum eingehen, denn die ein bis zwei Millionen Euro, welche die Produktion eines durchschnittlichen GroschenMelodrams von 90 Minuten verschlingt, stellen für die low-budget-gewohnte Klassikindustrie bereits eine unerhörte Summe dar, die ein freies und phantasievolles Produzieren erlauben würde. Vision IV: Der Stein ist ins Rollen gekommen – der „Classic Clip“ und die audiovisuelle Live-Performance (der Konzertsaal mit Leinwand – die inszenierte Musik) sind erfolgreich eingeführt. Die Kombinationen von Musik und Bild werden gewagter und experimenteller – und alle sind glücklich: Die Labels, die noch vor kurzem ihre Klassikabteilungen schließen mussten, können wieder produzieren und verkaufen, Interpreten werden wieder benötigt. Neue multimediale Berufsbilder entstehen. Neue – vor allem jüngere – Publikumsschichten werden gewonnen, denen vormals klassische Musik unzugänglich war. Durch die Bilderwelt kommt neben der Konkretisierung auch eine erfrischende Aktualität der Produktion ins Spiel.14 Dass die Visualisierung von klassischer Musik (in Analogie zum Videoclip der Popmusik) primär ein kommerzielles Produkt ist, kann kein Stigma mehr sein. In unserer Zeit, in der Medienkonzerne, Musical-Produktionen und Konzertmanagements an die Börse gehen, sind „echte Kunst“ und Kommerz keine Gegenpole mehr. Vision V : Für das dramaturgische und rezeptionspsychologische Ineinanderspiel von Musik und Bild gibt es noch wenig wissenschaftliche Reflexion und Theorie. Für die sich in philologischer Detailarbeit verzettelnde und immer mehr die gesellschaftliche Anbindung verlierende Musikwissenschaft könnte „Musik visuell“ eine große Herausforderung sein. Schon im 19. Jahrhundert fragte sich der Dichter Adalbert Stifter: „Könnte man nicht auch durch Gleichzeitigkeit und Aufeinanderfolge von Lichtern und Farben ebenso gut eine Musik für das Auge wie durch die Töne für das Ohr ersinnen?“ In Symposien und Seminaren wäre eine Bestandsaufnahme vieler solcher Dokumente wie eine Theoriebildung notwendig. Beispielsweise steht die Analyse von fast 150 Jahren dokumentierter Bild-Musik-Geschichte an.15 Die Zusammenarbeit von Musikwissenschaft und Filmwissenschaft und ein immenses Stoffgebiet stehen an. Um nur (fast zufällig) einige Namen zu nennen: Die Höhepunkte des abstrakten Kinos der zwanziger Jahre mit Walther Ruttmann und Viking Eggeling, dann die Meisterschaft von Oskar Fischinger, der von 1921 bis 1953 dreißig visuelle Musikfilme drehte und von Walt Disney folgerichtig für sein „Fantasia“Projekt ausgebeutet wurde. Das Schaffen von audiovisuellen Künstlern wie (alphabetisch genannt) Bruce Conner, Maya Deren, Charles Dockum, Mary Hallock Greenewalt, Curtis Harrington, Harry Smith, Thomas Wilfried. J 14 Die Pop-, TV-, Film- und Videoclipbranchen zeichnen sich durch eine Aktualität aus (oft liegen hier nur drei bis vier Wochen zwi- schen Konzeption und Auslieferung eines Medienprodukts), die der „E“-Musik fremd ist: Bei den Hörfunkanstalten liegen Musikbänder oft drei bis vier Jahre, bis sie geschnitten werden, dann vergehen bisweilen ein bis zwei Jahre, bis die CD produziert und gepresst ist… verbunden mit der permanenten Verwunderung, dass die Klassikbranche dem Zeitgeist nicht so recht zu folgen vermag. 15 Eine sehr gute Übersicht findet sich in: Clip, Klapp, Bum. Von der visuellen Musik zum Musikvideo, hg. v. Veruschka Bódy und Peter Weibel, Köln (DuMont-Verlag) 1987 56 Beiträge Patrick Guinand Jenseits der Eventkultur Neue Perspektiven für die darstellenden Künste im beginnenden Jahrhundert Wie wird es sein, das Theater für morgen? Tollkühn, wer hierauf eine Antwort wagte. Wie man diesbezüglich weiß – und Thomas Bernhard in seiner unendlichen Rede wurde nicht müde, es uns immer aufs Neue zu sagen –, ist das Geschlecht der Propheten erloschen. Hier will ich Bernhard nicht widersprechen. Nur gibt es einige offene Fragen, die uns künftige Verschiebungen auf dem Regler der Theatergeschichte erwarten lassen, zwischen Bilderstrudel hier und Sinnsuche dort. Das Politische erfassen Die Grenzziehung ist bekannt: Was kann Theater heute, in einer Zeit der (moralischen, symbolischen, demokratischen) Dürftigkeit? Wolfgang Gasser, der erste Professor Schuster in dem berühmten letzten Stück Thomas Bernhards (immer noch er!) – einem skandalträchtigen und ahnungsvollen Stück –, hat in einem Gespräch im Jahr 2000 mit einer großen österreichischen Zeitschrift mit dem gebotenen, ganz Bernhardschen Pessimismus daran erinnert, dass 120 praktisch ausverkaufte Vorführungen von „Heldenplatz“ am Wiener Burgtheater seit 1988 den Machtantritt der ÖVP-FPÖ-Koalition nicht verhindert haben, die dann den Zorn Europas erregte. Und erst recht nicht verhindern konnten, dass sie überhaupt denkbar war und angezettelt wurde. Ein Beispiel von vielen, dessen wir uns im Hinblick auf die Politik der Bescheidenheit zu befleißigen haben. Was kann also das Theater heute – jenseits des Spektakulären, in einer Welt der Konflikte, der ethnischen und religiösen Fundamentalismen, der zunehmenden Fremdenfeindlichkeit, des Rückzugs auf Identität, in der die Negation des Anderen gewaltsam wiederkehrt –, was kann es anderes, als gegen das Vergessen zu kämpfen und die alten Mythen zu wiederholen? Das ist schon einmal etwas, nämlich heilsam, gewissermaßen kathartisch. Dank seines reichen Erbes und seiner heilenden Kraft wird das Theater immer etwas haben, um den Köpfen und den Herzen Nahrung zu geben. Und wenn das Theater darüber hinaus, trotz des Rückzugs auf Identität, trotz der (realen und symbolischen) Grenzschließungen, bekräftigt, nicht die Politik des Sichzurückziehens, sondern die Politik des Sicheinmischens betreiben zu wollen (wenn nötig so lange, bis es davongejagt wird), und unerschütterlich, sagen wir auf eine Kantische Weise, auf den Imperativ der Internationalität zu pochen – dann wird es einen Teil seiner Rolle gespielt haben. Trotzdem fehlt heute etwas: ein starker Gedanke, eine Handschrift, eine Sprache für unsere Zeit, eine Ästhetik des Theaters im Gemeinwesen in einem Augenblick, da dieses Gemeinwesen auch ein globales Dorf geworden ist. Denn wir spüren undeutlich, dass die Werkzeuge des 20. Jahrhunderts, Wörter und Formen, Bilder und Theorien der Bühne, die das Politische zu erfassen erlaubten, heute Mühe haben, es nur zu streifen, es darzustellen. Ich meine das tägliche Grauen der Welt, das Chaos vor unseren Augen, eine Lesbarkeit, die sich uns entzieht und die auszusprechen die Bühne sich doch verpflichten müsste. Werden wir also die Rückkehr zum politischen Theater erleben, womöglich in (alter oder neu erfundener) militanter Form? Oder einfach die Perpetuierung der zwei Tendenzen, die sich seit einigen Jahren um das Etikett „modern“ streiten: des Trash-Theaters und des multimedialen Theaters? Das Theater der letzten Jahrhundertwende (nennen wir es das postmoderne) ist nämlich entweder technologisiert, dank seiner vielfältigen Unterstützung durch Bilder, oder es ist dekomponiert: ein Theater der so genannten „Dekonstruktion“, worin Sinn aufscheint, indem er zu Stücken zerspringt, 57 Beiträge Patrick Guinand Wien im Februar 2000: Kundgebung am Heldenplatz gegen Jörg Haider „Wolfgang Gasser hat daran erinnert, dass 120 p r a k t i s c h a u s v e rk a u f t e V o r f ü h r u ngen von ,Heldenplatz‘ am Wiener Burgtheater den Machtantritt der Ö V P - F P Ö - K o a l it i o n n i c h t v e rhindert haben.“ worin der Text explodiert, sich mischt und mengt, quer liegt und das Bild, Träger ironischen Sinnes, zumeist den Willen zu Schmutz und Müll bekundet. Trash, nun ja. Vemeintliches Unterpfand der Moderne. Aber wie lange noch? Bleibt der Mangel einer neuen Sprache. Heute dringen die Schreie ans Ohr, die das Theater hier oder da ausstößt, der existenzielle Schrei der Sarah Kane, der Biljana-Srbljanovic-Schrei nach Identität in Zeiten des Krieges, der stumme Schrei à la 58 Munch des Norwegers Jon Fosse, um nur einige zeichenhafte Vorläufer zu nennen, die in den letzten Jahren aufgetaucht sind und sofort von allen europäischen Bühnen übernommen wurden. Aber eine Strömung, eine Theorie gibt es nicht. Fern der gestern verkündeten Gewissheiten besteht der Fortschritt des Theaters in der Atomisierung, im punktuellen Auftreten von Befindlichkeiten und Persönlichkeiten, die plötzlich exemplarischen Wert bekommen, ohne doch Vorbild zu sein oder Schule zu machen. Mehr denn je zuvor drängt sich die Frage Hölderlins auf: „Wozu Dichter in dürftiger Zeit?“ Diese „Dürftigkeit“ ist von ungebrochener Aktualität. Was kann das Theater sagen in Zeiten der Dürftigkeit, der Enttäuschung, der Unvollkommenheit der Gegenwart, des Scheiterns der Vernunft? Ja: wozu Dichter, wozu Theater? Ganz einfach: zur Rückeroberung der Sprache. Die Wiederkehr des Wortes Manche glauben nämlich, dass das im letzten Vierteljahrhundert auf den Bühnen der Welt herr- Patrick Guinand schende Theater der (zusammenhängenden oder zerrissenen) Bilder, die wie eine Weltanschauung die Welt bedeuten oder uns traumartig hypnotisieren, heute vor seinem Ende steht. Dass es gewissermaßen seine Köder verbraucht hat. Und dass das nackte Wort, des Bildes entkleidet, aufs Neue verdient, sich durchzusetzen. Wie wenn die Produktion von Bildern nur mehr Bedeutungsverschmutzung, Autorenverachtung, Machtmissbrauch sein könne. Es ist das berühmte Verdikt über das, was man auf Deutsch „Regietheater“ nennt. So erinnere ich mich einer in vieler Hinsicht symptomatischen Erklärung bei der im schwedischen Norrköping stattfindenden letzten Session des Nordic Theatre Meeting, das (vermittelt durch den literarischen Berater des Royal Court in London) die skandinavische Theaterwelt vereinigt. Darin hieß es, dass dieses Theater – bekanntlich zur Avantgarde des Wort- und Autorentheaters gehörend – sich entschlossen habe, eine „Werktreue“-Klausel in seine Inszenierungsverträge aufzunehmen. Überflüssig zu erwähnen, dass die anschließende Debatte den Vergleich mit dem theologischen Gezänk zwischen Ikonophilen und Ikonoklasten beim Zweiten Konzil von Nicäa anno 787 nicht zu scheuen brauchte … Trotzdem ist diese Polemik bekannt und kehrt in der Geschichte des Theaters mit schöner Regelmäßigkeit wieder. Und das Thema der Werktreue, und damit der Monosemie oder der Polysemie, ist unerschöpflich. Schon Kierkegaard weigert sich in „Entweder – Oder“ einer Aufführung des (wie man damals sagte) “Don Juan” beizuwohnen, und erklärt, sich lieber in die Korridore des Opernhauses zurückzuziehen, um die gleichzeitig nahe und ferne Musik desto besser genießen zu können und nicht den aufsaugenden Bildern ausgesetzt zu sein, dem optischen Köder der Aufführung zu verfallen: „Sobald das Auge abgelenkt ist, trübt sich der Eindruck“, schreibt er. In der Tat hat die Produktion eines Bildes nichts Unschuldiges. Den Vorhang öffnen heißt, das Unzeigbare zeigen. Hier wäre zurückzukommen auf den Schautrieb, den Wunsch zu sehen, und dessen Verbot, auf Medusa, Aktäon oder Orpheus und natürlich auf Lacan und seine Theorie des „gebändigten Blicks“: Vor dem Bild, man könnte sagen vor der Bühne, schlägt der Sehende den Blick nieder wie man die Waffen niederlegt. Und Lacan (der letzte Besitzer von Courbets Gemälde „Der Ursprung der Welt“, das er vor seinen Gästen hinter einem von Masson gemalten Trugbild verbarg), er wusste davon so allerlei… Doch würde uns die Vertiefung dieses Themas hier zu weit führen. Gewiss, das Bild enthüllt, entblößt, offenbart. Aber es verschlingt auch. Und es kann den Kopf entleeren. Wer zu viel sieht, vergisst zu denken. Und so kehrt das Wort zurück. Das 20. Jahrhundert, das (von Wittgenstein bis Adorno) die Ohnmacht oder die Lüge des Wortes konstatiert „Gewiss, das hatte, hat sich zuletzt B ild enthüllt, der Narkose durch die e n t b lößt, offenBilder überlassen. Heub a r t . A ber es verte aber stellt sich wies c h l ingt auch. der die Frage nach eiU n d e s kann den nem „postnarkotisch“ K o p f e ntleeren. zu nennenden Theater, W e r zu viel nach einer neuen Ökos i e h t , vergisst nomie des Sichtbaren, z u d e n k e n. Und die sich jenes fragilen s o k e h rt das schaulustigen Tiers anW o r t z u r ück.“ nähme, das wir Zuschauer nennen, seines potenziell beunruhigten oder bestohlenen Geistes, und seiner Probleme mit Auge und Blick. Und das sich dabei mit den Alten bewusst bliebe, dass ein gutes Schweißtuch der Veronika manchmal mehr sagt als ein langer Evangeliendiskurs. So sieht man überall in Europa Experimente mit einem Theater ohne Bild oder mit gereinigtem Bild, in dem der Schauspieler mit dem nackten Wort, der nackten, köderlosen Bühne allein ist und versucht, den Sinn zurückzugewinnen. Übrigens kann die Rückkehr des Wortes zur Macht nicht an der Elle der Bedeutung analysiert werden, die es angeblich hervorbringt: Regression der Theaterkunst? Illusion des Denkens? Oder neue Unschuld? Es sind gewissermaßen Erstlinge einer neuen Sprache, die wir billigerweise näher betrachten müssen. Denn noch immer ist hier von der Bühne die Rede. An uns also, den Regisseuren, den Bändigern des Blicks, liegt es, herauszufinden, ob wir diesem Theater des nackten Worts seine Bilder erfinden können. Natürlich in der heimlichen Hoffnung, Kierkegaard in den Saal zurückzuholen… 59 Beiträge Patrick Guinand Ort(e) Trotz aller Kassandren und anderer Sänger einer virtuellen, globalisierten, verkabelten InternetWelt, die regelmäßig seinen Tod verkünden*, hört das Theater, das sich Zeit nimmt (will sagen: die Zeit, die ihm zusteht, die Zeit der Bühne und des Reifens) nicht auf, sich hervorzubringen, jenseits wirtschaftlicher Zwänge und auch jenseits der Politik, und sich neu zu erfinden. Sich auch den Raum zu teilen. Und – man muss es zugeben – den Markt. Das noch vorherrschende so genannte Bildertheater bleibt unbestreitbar ein Unterpfand der Eroberung des besagten Theater-Weltmarkts (oder der Anpassung an ihn). Mit seinen unbestreitbaren Schönheiten, seinen Erfolgen und seinen Ködern. Freilich auch mit dem Risiko einer Formatierung der Bühne, einer grenzüberschreitenden Uniformierung, einer Art von höherem Esperanto für die globale Konsumgesellschaft. Das Worttheater seinerseits, das wieder mit Sprachen und Idiomen arbeitet, ist mehr an den Ort, an das Territorium gebunden. An die Identität. Naturgemäß schafft es sich selbst seine Grenzen. Auf die Gefahr hin, sich vom Markt zu isolieren. Trotz der Vermittlungsmechanismen, die man ihm erfinden kann. Nun habe ich es gerade gesagt: Das Gegengift gegen den Rückzug auf Identität (ich dachte vor allem an die Politik der Ausschließung) ist der Imperativ der Internationalität. Das gilt auch für „Der wahre Ort, das (womöglich postdas eigentliche narkotische) WorttheTerritorium ist ater, das trotz seines die Erzählung, scheinbaren sprachlidie man stiftet chen Autismus zugleich (oder wieder stifdrinnen wie draußen tet), die Sprache, wird sein müssen: eine d i e m a n s i c h e rSprache der Territorialifindet, die Wörter, tät wie der Extraterritod i e m a n n e u e rrialität gleichermaßen. findet, um sich Denn der wahre Ort, darzustellen.“ das eigentliche Territorium ist die Erzählung, die man stiftet (oder wieder stiftet), die Sprache, die man sich erfindet, die Wörter, die man neu erfindet, um sich darzustellen. Und dieser Ort wird sich trotz der ungerechten Marktgesetze unvermeidlich den Weg zu seiner Hörbarkeit und Sichtbarkeit erzwingen. 60 Die bereits erwähnte Biljana Srbljanovic begann ihre Rede anlässlich der Verleihung des ErnstToller-Preises 1999 in Neuburg an der Donau mit den Worten: „Erlauben Sie mir, mich vorzustellen: Ich bin ein Mensch, dem seine Identität gestohlen wurde (…) ein Mensch ohne nationale Zugehörigkeit, Bewohnerin eines Staates, der ethnisch sauber zu werden droht (…) Meine Identität kann ich nicht ausdrücken, ich kann mich selbst nicht ausdrücken.“ Um die Rekonstruktion dieser Identität, dieser Sprache wird es im Theater von morgen wahrscheinlich gehen. * EXKURS Dies war passenderweise das Thema des im Juni 2001 in Philadelphia abgehaltenen Bundeskongresses der amerikanischen Theaterzunft unter der Ägide der „Theater Communication Group“ (TCG), in der 450 „not-for-profit theaters“ der USA zusammengeschlossen sind. Das Thema lautete: „The role of live theater in a digital culture.“ Der Pulitzer-Preisträger Thomas Friedman, ein ehemaliger Berater des Weißen Hauses unter Präsident Clinton, beschrieb dabei „the future as Cultural Darwinism on steroids, with massive genocide to those of us who face it without a strategy“, und rief zum Widerstand auf. Der Kampf zwischen dem Lebendigen und dem Virtuellen steckt trotzdem erst in seinen Anfängen – wenn es überhaupt einen Kampf geben wird. Denn auch dort sind die umkämpften Territorien nicht zwangsläufig dieselben. Auch nicht die Betätigungsfelder des Gedankens und des Vergnügens. Trotzdem habe ich es schon in Philadelphia konstatieren können: Das amerikanische Theater zeigte sich von einer besorgniserregenden programmatischen Enge. Rückzug allein auf die angelsächsische, hauptsächlich vom Fernsehen inspirierte Schreibweise, fast völliges Fehlen der zeitgenössischen europäischen Dramaturgie außer der britischen, Vergessen oder Marginalisierung des großen Weltrepertoires, Musicals als kommerzielle Grundlage. Und aller Augen auf den Broadway gerichtet, wobei nicht wenige Produzenten dieser angeblich nicht-gewinnorientierten Theater tatsächlich darauf hoffen, eine ihrer Inszenierungen in diesen Tempel des Theater-Business verlegen zu können. Die Shubert Foundation (rund vierzig Broadway-Theater) kofinanziert sogar bestimmte Patrick Guinand „Wir spüren undeutlich, dass die Werkzeuge des 20. Jahrhunderts, die das Politische zu erfassen erlaubten, heute Mühe haben, es darzustellen. Ich meine das tägliche Grauen der Welt, das Chaos vor unseren Augen, eine Lesbarkeit, die sich uns entzieht und die auszusprechen die Bühne sich doch verpflichten müsste.“ Proben zu einer Choreografie von Andris Plucis am Staatstheater Darmstadt Inszenierungen im öffentlichen Theater, um sie dort zu testen, bevor sie schließlich nach New York kommen. Das öffentliche Theater als Prüfstand und Lieferant für das gewinnorientierte Theater – die Neuerfinder der Sprache können hoffen. Nach dem 11. September, als das Wirkliche das Virtuelle verdrängte, hat das amerikanische Theater (bei allem Festhalten an der Unterhaltung als einem notwendigen Ventil) plötzlich geglaubt, dass es vielleicht gut wäre, die Mythen neu zu befragen, indem man zum Beispiel nach Anknüpfungs- punkten bei den Griechen suchte, womöglich mit dem Ergebnis einer Sinnfindung bei diesen Verkörperern der „Stimme der Vernunft“, wie es im November 2001 der Geschäftsführer des TCG, Ben Cameron, in seinem Leitartikel für die amerikanische Zeitschrift „American Theater“ formulierte: gewissermaßen die Rückkehr des Inhalts. Der Ort des Theaters in einer digitalen Kultur, vor dem Entsetzen des realen Massakers, gewann so auf grausame Art seinen Evidenzcharakter zurück. J 61 Interview Auf dem Balkon des Bad Homburger Schlosses: Sir Peter Jonas und Dr. Thomas Gauly Interview Dr. Thomas Gauly sprach mit Sir Peter Jonas anlässlich des 18. Sinclair-Haus-Gespräches Gauly: In London geboren und aufgewachsen, sind Sie inzwischen international als Kulturschaffender tätig. Stationen wie New York, Chicago und München markieren Ihren Weg. Was ist das verbindende Band westlicher Kultur, welches sind die Unterschiede zwischen Europa und den USA im Verständnis von Kunst und Kultur? Sir Peter: In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg, in der Zeit meines Lebens also, sind Kunst und Kultur ohne Frage zu einer Art Esperanto der Menschlichkeit in der westlichen Welt geworden. Wir alle haben in dieser Zeit politische wie auch menschliche Krisen durchlebt; eine weltweite und allumfassende Katastrophe jedoch, deren Auswirkungen sich niemand entziehen kann, hat uns nach 1945 nicht mehr ereilt. Dennoch herrschte in den späten 1990ern ein Gefühl, dass, wie George Steiner es ausdrückte, „die Party vorüber und die Tafel aufgehoben“ sei. Irgendwie haben wir seit damals den Eindruck, dem Abend unserer Existenz entge- 62 genzublicken. In diesem Sinne scheint die Katastrophe des 11. Septembers, im Nachhinein gesehen, unvermeidbar gewesen zu sein. Wenn wir objektiv zurückschauen, wird uns klar, wie weit sich Europa kulturell von den USA entfernt hat, verglichen mit der guten Beziehung der beiden Kontinente zueinander vor etwa dreißig Jahren, als ich meine Tätigkeit beim Chicago Symphony Orchestra begann. Die Ereignisse des vergangenen Jahres haben uns gezeigt, dass es für unsere Gesellschaft viel zu tun gibt und dass unsere Werte sich nicht automatisch an denen jenseits des Atlantiks ausrichten. Gauly: Dies gilt doch auch mit Blick auf die Kulturen des Mittleren und Nahen Ostens. Sir Peter: Das empfinde ich als noch viel wichtiger. Nach dem 11. September ist uns erschreckend klar geworden, wie wenig wir die Kultur des Ostens, den Islam und unsere Mitmenschen in Richtung Pazifik verstehen. Vielleicht vermag Kultur uns zu helfen, die Werte von Verstehen und Toleranz wiederzuentdecken; ich glaube jedoch, und da bin ich sicher nicht der Einzige, dass wir es mit einer weitaus größeren Auseinandersetzung und einem viel komplexeren Problem zu tun haben, als wir ursprünglich dachten. Gauly: Stichwort Europa: Insbesondere hinsichtlich der staatlichen Kulturförderung scheiden sich die Geister. Während der Staat beispielsweise in Großbritannien Kunst und Kultur großzügig fördert, tut man sich in anderen Ländern schwer damit. In Zeiten leerer öffentlicher Kassen wird die staatliche Subvention immer stärker in Frage gestellt. Ist es überhaupt Aufgabe des Staates, Kunst und Kultur zu fördern? Sir Peter: Ja, und sie wird von allen europäischen Staaten ebenso erfüllt wie von den USA – im Gegensatz zu allgemein verbreiteten Ansichten. Auch in den USA profitieren die Künste von staatlicher Unterstützung, und zwar durch Steuerbefreiungen als Teil des Steuersystems, wodurch viele Gelder künstlerischen Institutionen zufließen als Samenkorn für privates und selbsterwirtschaftetes Einkommen. In Deutschland dagegen kommt dieses Geld in gewisser Weise direkt vom Steuerzahler, und die Entscheidungen darüber, was mit wie viel Geld finanziert wird, sind ein unmittelbarer Bestandteil des demokratischen Prozesses. Zwei unterschiedliche Systeme führen also zu dem gleichen Ergebnis: Geld. Nur der Weg, auf dem es die Taschen des Einzelnen verlässt und den Künstler bzw. die Institution erreicht, ist verschieden. Das europäische System allerdings ist das demokratischere, denn die Subventionen wirken sich letztlich auf den Eintrittspreis aus. Ich betone immer wieder, dass nicht die Sänger, Dirigenten, Regisseure, Bühnenbilder oder Kostüme subventioniert werden, sondern die Preise für die Eintrittskarten, damit die kulturellen Reichtümer unserer Gesellschaft, unser wertvollster gemeinsamer Besitz, für jedermann zugänglich sind. Das gilt für jedes Theater, für jedes Museum, für jedes Ballett-Ensemble, für jedes Orchester; kurz: für jede kulturelle Institution. Gauly: Was gibt uns die Kunst, worauf die Gesellschaft nicht verzichten kann? Sir Peter: Kunst gibt uns die Gelegenheit, wie durch ein Fenster in unsere individuelle und kollektive Seele zu blicken. Dadurch werden wir mit etwas konfrontiert, wofür uns in unserem Alltag nur selten Zeit bleibt: unser inneres Selbst zu sondieren, 63 Interview zu entdecken, infrage zu stellen und kennen zu lernen. Die Kunst eröffnet uns die Möglichkeit dazu. Kunst erforscht das Unbekannte, das Unentdeckte, das Geheimgehaltene. Kunst dringt in die entlegensten Tiefen unserer Phantasie. Sie offenbart unsere Stärken ebenso wie unsere Schwächen. Die Erinnerung späterer Generationen an eine Gesellschaft wird stets auf dem basieren, was diese durch die Kunst hervorgebracht hat. Gauly: Wie ist es um die viel gepriesene Public-Private-Partnership bestellt, wie um das zunehmende Sponsoring? Es gibt Fälle, bei denen sich die vermeintlichen Förderer von Künstlern als knallharte Vertreter eigener Interessen entpuppen und Künstler mit der Alternative konfrontieren: Entweder Du gestaltest Dein Programm nach meinen Vorgaben oder ich entziehe Dir meine finanzielle Unterstützung. Vorausgesetzt, das Modell einer Public-Private- oder Art-Private-Partnership wird in Zukunft einer der Garanten für die Belebung der Kultur sein, wie kann man die notwendige Balance von Nähe und Distanz zwischen Förderern und Geförderten schaffen? Sir Peter: Ich halte den Einfluss von Förderern oder Sponsoren auf programmatische Entscheidungen für kein so ernsthaftes Problem, wie viele denken. Mir persönlich hat dieses Thema bislang eher selten Probleme bereitet. Wenn die Welt der Künste sich ihre Integrität bewahrt und sich nicht „kaufen“ lässt, ist dies das beste Hindernis, das man einer Ausweitung besagten Problems in den Weg legen kann. Und genau hier kann eine ausgewogene Synergie von staatlicher Subvention und privater Unterstützung hilfreich sein. Jede vom Staat subventionierte Institution trägt allem voran die öffentliche Verantwortung, die künstlerische Ausdrucksfreiheit und Unabhängigkeit zu bewahren. Es ist Aufgabe, ja moralische Pflicht eines Künstlers, auch Unbequemes zur Sprache zu bringen. Gauly: Welche Erfahrung haben Sie mit privaten Sponsoren gemacht? Sir Peter: Die meisten Sponsoren respektieren die Freiheit der Künstler. In den USA wurde diese Ansicht in jüngster Zeit allerdings infrage gestellt, und dadurch wurde denn doch der eine oder andere Sprung im amerikanischen System sichtbar, besonders in Bezug auf die darstellenden Künste. Aber wahrscheinlich ist das eher eine Folge innenpolitischer Spannungen und einer zunehmenden political correctness in den USA als ein willkürliches Muskelspiel seitens individueller Sponsoren. Gauly: In Deutschland gibt es ein altes Sprichwort, es lautet: Was nichts kostet, ist nichts wert. Also: Weg mit den Millionen Subventionen für teure Opernhäuser, hochbezahlte Intendanten und leere Schauspielbühnen und Platz frei für den Markt? Warum sollen nicht Angebot und Nachfrage über die Zukunft von Theaterbühnen und Künstlerszenen entscheiden? Sir Peter: Halten zu Gnaden, aber diese Frage ist nicht logisch. Es hat noch keine Gesellschaft gegeben, in der sich die kostenaufwändige Kunstform Oper (um das nahe liegende Beispiel zu verwenden) allein über den Verkaufspreis der Eintrittskarten finanziert hat. Das war in der gesamten Geschichte dieser Kunstform noch nie anders. Der Staat übernimmt heute ganz einfach die Funktion, die früher Könige, Fürsten, Herzöge und Erzbischöfe ausgeübt haben; und wenn ich das noch hinzufügen darf: Der Staat macht das entschieden demokratischer. 64 Gauly: Bei allem Respekt. Plädieren Sie für eine Oper, deren Existenz auf Subventionen und nicht auf vollen Zuschauerrängen fußt? Sir Peter: Opernhäuser sind heute sehr viel produktiver als vor hundert oder zweihundert Jahren, trotz Verträgen, die dafür sorgen, dass die Menschen, die dort arbeiten, dafür bezahlt werden. Und ich sage es noch einmal: Es ist der Eintrittspreis, der subventioniert wird, nicht das Haus selbst oder das Bühnenbild, der Sänger oder der Intendant. Gerechterweise sollte man auch betonen, dass Intendanten und Theaterpersonal, zumindest in diesem Land, im Allgemeinen nicht so viel verdienen wie Leute in entsprechenden Positionen in der Industrie; da könnte man Vergleiche anstellen, die für so manchen Industriekonzern äußerst unangenehm wären. Aber natürlich spielen Angebot und Nachfrage eine Rolle in der Kunst; jeder andere Gedanke wäre naiv. Wenn ein Intendant nicht verhindert, dass in seinem Theater vor leeren Rängen gespielt wird, dann wird entweder sein Vertrag nicht verlängert, oder er wird gleich gefeuert. Das ist nicht ungewöhnlich und kann sehr heilsam sein. Trotzdem sollte der verärgerte Steuerzahler nicht immer unterstellen, man brauche doch nur die populären Werke mit dem kleinsten gemeinsamen Publikumsgeschmacksnenner aufzuführen, um die Häuser zu füllen. Gauly: Wo also liegt das Problem? Sir Peter: Die wahre Crux ist: Kunst kostet Geld, soll aber für weniger Geld als diese Kosten dem breitest möglichen Spektrum der Gesellschaft zugänglich sein. Jedem Mitglied unserer Gesellschaft ist es dadurch möglich, die Früchte unserer Kreativität zu genießen, und jeder macht auf seine Weise davon Gebrauch. Gauly: Seit der Erfindung des Kinos hat sich die Macht der Bilder ausgeweitet. Die Verbreitung des Fernsehens und die Globalisierung des Internets verändern zumindest in den westlichen Mediengesellschaften nachdrücklich die Sehgewohnheiten des Publikums. Inwiefern werden Theater und Oper durch die Bilder der Massenmedien beeinflusst? Sir Peter: Die visuelle Kraft der elektronischen und der Internet-Medien haben nur dazu beigetragen, die Künste zu stärken. Dank der brillanten Bilder auf den Monitoren ist uns mehr denn je klar, dass Realismus auf der Bühne fehl am Platze ist. Das Theater muss bleiben, was es immer war: ein Forum für Illusionen, für geistige und emotionale Metaphern. Meiner Meinung nach haben die modernen Massenmedien das Theater dazu provoziert, radikaler zu werden und die Komponisten, Maler und Autoren dazu gebracht, ihr Augenmerk mehr auf die Seele zu richten. In diesem neuen Jahrhundert sind wir, die wir im Bereich der Kunst tätig sind, uns der Rolle der darstellenden Künste als der eines kollektiven Rituals für die Menschen bewusster denn je, und so muss es auch sein. Gauly: Dank der elektronischen Medien nimmt die Popularisierung der Kunst zu. Wir erleben dies insbesondere in der Musik, wo in Teilen der Musikszene eine strenge Unterscheidung zwischen „U“- und „E“-Musik („Unterhaltungsmusik“ beziehungsweise „Ernster Musik“) getroffen wird. Werden sich in absehbarer Zeit zu den traditionellen Formen der Kunst neue gesellen? 65 Interview Sir Peter: Ja. Gerade die Musik ist dafür ein gutes Beispiel. Die Geschichte des 20. Jahrhunderts hat die Musikwelt in zwei Teile mit zwei verschiedenen musikalischen Sprachen gespalten – in eine, die vom Durchschnittspublikum sofort verstanden wurde, und in eine, bei der das nicht der Fall war. Dafür gibt es zahlreiche Gründe, komplex, tiefschürfend und stark beeinflusst von der Welt- und der europäischen Geschichte. Das „Dritte Reich”, die Emigration vieler Komponisten aus Europa nach Amerika in den zwanziger und dreißiger Jahren, selbst Hollywood und die Darmstädter Schule nach dem Zweiten Weltkrieg haben dabei eine Rolle gespielt. Es gab Mitte und Ende des 20. Jahrhunderts Komponisten, die gegen den Strom geschwommen sind, zum Beispiel Benjamin Britten oder Hans Werner Henze. Dmitri Schostakowitsch wiederum hätte, allein durch seine Oper „Lady Macbeth of Mzensk“ (und viele seiner Orchesterwerke), in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die große populäre Stimme des Musiktheaters in unseren Opernhäusern werden können, wenn Stalin ihn nicht so gründlich zum Schweigen gebracht hätte. Aber es hat keinen Sinn, über verschüttete Milch zu jammern. Die Randbezirke der Pop- und Rockmusikwelt sowie der etwas extremere Avantgarde-Jazz lassen mich wirklich hoffen. Einige Entwicklungen in diesen Bereichen deuten auf eine leichte Bewegung in Richtung Wiedervereinigung des schwerer und des leichter Verständlichen hin. Und schon solch eine leichte Bewegung vermag die Ohren zu öffnen für Töne, die unvertraut scheinen, sich aber dennoch als verführerisch oder zumindest als fesselnd erweisen. Vielleicht bin ich ein Idealist, aber ich gebe die Hoffnung nie auf. Beim Sprechtheater ist das Problem nicht so extrem; das gesprochene Wort verfügt noch immer über Kraft gepaart mit Verständlichkeit. Man möchte meinen, das sei selbstverständlich; doch viele Sprachen werden heutzutage von der Erosion ihrer Struktur bedroht, und die Globalisierung wirkt sich nicht unbedingt positiv auf die verschiedenen Sprachen aus, da sich über die Computer weltweit ein simplifizierender MicrosoftSlang verbreitet. Sir Peter Jonas Gauly: In den unterschiedlichsten Winkeln der Welt haben sich Kulturen herausgebildet, deren Wurzeln zum Teil Jahrtausende alt sind. Kann Kunst ein vermittelndes Element sein oder gar friedenstiftende Funktionen beispielsweise zwischen so unterschiedlichen Kulturen wie der christlich-jüdischen und der islamischen ausüben? Oder ist es nur eine Phrase, wenn man behauptet, dass zum Beispiel die Musik als „Weltsprache“ Kulturen miteinander verbindet? Sir Peter: Ich persönlich möchte die Rolle der Musik als mögliche „Weltsprache“ oder der Kunst als Friedenstifterin nicht überbewerten. Alle Kunstformen können Verständnis hervorrufen oder in unserer Gesellschaft das Bedürfnis nach Höherem 66 wecken. Mit ihrer Hilfe streben wir nach den besten Elementen unseres Geistes. Dies wiederum kann zu einem stärkeren Sinn für Toleranz führen sowie dazu, dass wir uns der vielen Facetten der Menschheit auf dem ganzen Erdball intensiver bewusst werden. Zu leicht vergisst man seit dem 11. September, dass der Islam eine der großen zivilisierenden Kräfte der europäischen Geschichte war oder dass die religiöse Vielfalt des Paganismus im antiken Rom eine liberalisierende und ebenfalls zivilisierende Wirkung hatte. In diesem Sinne kann das Studium und die Wertschätzung der Kunst, sei sie modern, klassisch oder antik, uns helfen, andere Kulturen zu begreifen. Die größte Gefahr, mit der wir uns heutzutage auseinandersetzen müssen, ist mangelndes Verständnis für andere und das Fehlen eines offenen Geistes in jeder Beziehung. Gauly: Kommen wir noch einmal zu Ihrer Person zurück: Seit September 1993 sind Sie der Staatsintendant der Bayerischen Staatsoper in München. Nach der Wiedervereinigung Deutschlands war viel von der „Hauptstadt-Kultur“ die Rede. Was bedeutet Ihnen der Föderalismus in Deutschland? Sir Peter: Die föderale Struktur Deutschlands hat sich in den vergangenen fünfzig Jahren als ein Segen für Künstler und Kunstinstitutionen erwiesen. Das sollten wir nie aus den Augen verlieren. Zugleich jedoch müssen wir uns mit den individuellen und außergewöhnlichen Problemen der Stadt Berlin und ihrer kulturellen Einrichtungen an diesem Punkt der Geschichte befassen. Es ist ganz einfach unrealistisch zu erwarten, dass Berlin – eine wieder eingesetzte Hauptstadt in einem wieder vereinigten Land – seine neuen Kleider ebenso selbstbewusst trägt und sich in ihnen ebenso wohl fühlt wie London oder Paris. Um diese Probleme zu lösen, braucht es Zeit, und die beste Qualität, die Politiker in dieser Situation beweisen können, ist eine, die sie leider nur sehr selten zeigen: Geduld. Gauly: Und was wird aus Berlin als neuem melting pot ? Sir Peter: Ich persönlich glaube, dass Berlins soziale und ökonomische Probleme erst in der nächsten Generation gelöst werden können. Die Narben einer geteilten Stadt und Nation sind zu tief; sie müssen respektiert und mit viel Liebe behandelt werden. Gauly: Welchen Rat geben Sie jungen Kulturschaffenden, die am Beginn ihres Weges als Musiker, Schauspieler, Bildhauer, Maler – oder als Intendanten – stehen? Sir Peter: Da kann ich nur zwei Ratschläge geben: Habt Mut – in der Kunst wie auch im Leben – und unterstützt diesen Mut durch Arbeit, Arbeit und noch einmal Arbeit! Was immer auch geschieht: Redet, schreibt, spielt, malt, präsentiert die Wahrheit, wie ihr sie seht, und lasst euch dabei von niemandem aufhalten! Gauly: Vielen Dank für das Gespräch. J 67 Das Theater muss bleiben, was es immer war: ein Forum für Illusionen, für geistige und emotionale Metaphern. Sir Peter Jonas Multimedia-Aufführung in „Ferropolis“, der Stadt aus Eisen: Einst Braunkohlentagebau, heute Kulturzentrum bei Leipzig Biografien Kurzbiografien der Teilnehmer Jean-Christophe Ammann Geboren 1939 in Berlin. 1966 Dr. phil. an der Universität Fribourg/Schweiz (Kunstgeschichte, christliche Archäologie, deutsche Literatur). 1967–1968 Assistent an der Kunsthalle Bern und kunstkritische Tätigkeit. Von 1968–1977 Leiter des Kunstmuseums Luzern. 1971 Schweizer Kommissar für die Biennale Paris. 1972 Mitorganisator der „documenta 5“ in Kassel. 1973 –1975 Mitglied der internationalen Kommission der Biennale Paris. 1976 Berufung an die Kunsthalle Basel. 1978 –1988 Leiter der Kunsthalle Basel. 1978 Mitorganisator der ARTE NATURA im internationalen Pavillon der Biennale Venedig. Von 1978 bis 1980 Mitorganisator der internationalen Kunstkritikerkongresse in Montecatini. Seit 1981 Mitglied der Emanuel Hoffmann-Stiftung, Basel. 1987 Berufung zum Direktor des Museums für Moderne Kunst, Frankfurt a. M., von 1989 bis 2001 dessen Leiter. 1988 Mitorganisator von „Carnegie International“, Pittsburgh. Seit 1992 Lehrbeauftragter der Universitäten Frankfurt und Gießen. 1995 Biennale Venedig, Kommissar des Deutschen Pavillons. Seit 1998 Professur an der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M. 2001/2002 Gastprofessur Wintersemester, Universität Heidelberg. 2002 Kulturpreis der Wormlandstiftung. Zahlreiche Buchveröffentlichungen. Wolfgang R. Assmann Geboren 1944. Studium der Rechts- und Staatswissenschaften an den Universitäten Göttingen, Berlin und Bonn. Referendarzeit in NRW und Studium an der Hochschule für Verwaltungswissenschaften in Speyer. Nach Zweiter Juristischer Staatsprüfung 1972–1980 Beamter im Bundesministerium der Finanzen, Bonn; zunächst zuständig für die Durchführung des Londoner Schuldenabkommens; später Grundsatzreferent für Bankenfragen. 1980 bis Juni 1998 Oberbürgermeister und Verwaltungschef der Stadt Bad Homburg v. d. Höhe. Auf Landes- und Bundesebene Mitglied, z. T. Vorsitzender von Führungs- und Aufsichtsgremien verschiedener Unternehmen, Verbände und Stiftungen. Seit Oktober 1998 geschäftsführendes Mitglied im Vorstand der Herbert-Quandt-Stiftung. 70 Georg Baselitz Geboren 1938 als Hans-Georg Kern in Deutschbaselitz, Sachsen. 1956 –1962 Studium der Malerei an den Kunsthochschulen in Ost- und Westberlin mit dem Abschluss des Meisterschülers. 1965 Stipendiat der Villa Romana in Florenz; 1966 „Warum das Bild ‚Die großen Freunde‘ ein gutes Bild ist“, Ausstellung und Manifest in der Galerie Springer in Berlin. 1968 Stipendiat des Kulturkreises im Bundesverband der deutschen Industrie. 1972 Teilnahme an der „documenta 5“ in Kassel. 1975 Teilnahme an der XIII. Biennale in São Paulo. 1978 Professur an der Staatlichen Akademie der Künste, Karlsruhe. Zeigt 1980 im deutschen Pavillon der Biennale von Venedig seine erste Plastik „Modell für eine Skulptur“. 1982 Teilnahme an der „documenta 7“ in Kassel. 1983–1988 und 1992 Professur an der Hochschule der Künste, Berlin. 1986 Kaiserringpreisträger der Stadt Goslar. 1999 Rhenus Kunstpreisträger, Mönchengladbach. 2000 Ehrenprofessur der Akademie der Bildenden Künste, Krakau. 2001 Julio González Preisträger, Valencia. 2002 Commandeur de l’Ordre des Arts et des Lettres. Seit 1970 größere Einzelausstellungen. Herbert Beck Geboren 1941. 1961–1967 Studium der Kunstwissenschaft, der Klassischen Archäologie und Neuren Literaturwissenschaft in München und Frankfurt a. M. 1967 Promotion in Kunstwissenschaft. Seit 1969 Leitung der Skulpturensammlung im Liebieghaus-Museum alter Plastik und seit 1994 des Städelschen Kunstinstituts in Frankfurt a. M. Veröffentlichungen, insbesondere zur mittelalterlichen Skulptur und zum Neoklassizismus. Herausgebertätigkeit für Schriftenreihen, Städel-Jahrbuch und wissenschaftliche Bestandskataloge. Organisation von Forschungsprojekten, insbesondere zur Antikenrezeption; Konzeption von Sonderausstellungen. Lehrtätigkeit an den Universitäten Frankfurt a. M., Marburg und Tübingen. Seit 1991 Honorarprofessor an der Johann Wolfgang GoetheUniversität in Frankfurt a. M. Baroness Blackstone Schulausbildung an der Ware Grammar School und Studium an der London School of Economics. 1987 in den Adelsstand erhoben und zunächst Oppositionssprecherin für Bildung und Wissenschaft im House of Lords (1988–1992), finanzpolitische Sprecherin (1990–1991), Sprecherin für Handel und Industrie (1992 –1997) und außenpolitische Sprecherin der Opposition (1992 –1997). Von 1997 bis 2001 Staatsministerin im Ministerium für Bildung und Arbeit. 2001 wurde sie zum Privy Councillor ernannt. Seit Juni 2001 Staatsministerin für Kunst und Musik im Ministerium für Kultur, Medien und Sport. 71 Biografien Andrea Firmenich Geboren 1959 in Köln. Studium der Kunstgeschichte, Geschichte, Philosophie und Pädagogik in Bonn; 1989 BrückeMuseum, Berlin; 1990 –1995 Wissenschaftliche Leitung der Kunsthalle in Emden; 1996 –1998 Leitung des Ausstellungsmanagements in der Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland in Bonn; seit 1999 Direktorin des Sinclair-Hauses und Leiterin des Kulturforums ALTANA in Bad Homburg v. d. Höhe sowie freie Ausstellungskuratorin und Autorin in Köln. William Forsythe Geboren 1949 in den USA. Absolvierte seine Tanzausbildung an der Jacksonville University und an der Joffrey Ballet School. Kam 1973 als Tänzer zum Stuttgarter Ballett, wo er seine ersten Choreografien zeigte. Auf Einladungen führender Ensembles schuf er Choreografien für das Baseler Ballett, das Bayerische Staatsballett, das Ballett der Komischen Oper Berlin, für das Joffrey Ballett und das Nederlands Dance Theater. 1983 hatte seine Produktion „Gänge“ in Frankfurt Premiere, 1984 wurde er zum künstlerischen Direktor des Ballett Frankfurt ernannt. Zu seinen Hauptwerken gehören „Artifact“ (1984), „Impressing the Czar“ (1988), „Limb’s Theorem (1991), „The Loss of Small Detail“ (1991), Alie/n A(c)tion“ (1992), „Eidos:Telos“ (1995), „Endless House“ (1999) und „Kammer/Kammer“ (2000). Seit 1999 ist William Forsythe Intendant sowohl des Ballett Frankfurt als auch des TAT/Bockenheimer Depot. Seine Arbeit wurde mit zahlreichen Preisen, wie dem hessischen Kulturpreis, dem Bundesverdienstkreuz und mehrmals dem Lawrence Olivier Award sowie der Wahl zum Ballett des Jahres ausgezeichnet. Thomas Gauly Geboren 1960 in Bad Neustadt/Saale. 1980 –1986 Studium der Politischen Wissenschaften, der Katholischen Theologie, der Mittleren und Neueren Geschichte an den Universitäten Mainz und Bonn; Promotion bei Karl-Dietrich Bracher zum Dr. phil. Beruflicher Werdegang: Tätigkeit als Journalist bei Tageszeitungen und Fernsehen (ZDF). 1986 –1987 Wissenschaftlicher Referent Katholische Akademie. 1989–1991 Referent Studienförderung Cusanuswerk, Bonn. 1991–1994 Geschäftsführer Grundsatzprogramm-Kommission der CDU, Leiter der Stabsstelle „Politische Beratung und Sonderaufgaben“. 1994–1998 Visiting Lecturer für Politische Wissenschaften an Trinity Hall, Cambridge. 1996 –1998 Geschäftsführer und seit 1998 Vorstandsmitglied der Herbert-Quandt-Stiftung; Generalbevollmächtigter der ALTANA AG und Leiter Unternehmenskommunikation. 72 Hans Graf von der Goltz Geboren 1926 in Stettin (Szczecin). 1946–1948 Studium der Rechte an der Universität München, 1948 Erste Juristische Staatsprüfung in München, 1949 –1952 Referendariat in München und Düsseldorf; 1952 Große Juristische Staatsprüfung; 1952–1956 Deutsche Kreditsicherung KG, Düsseldorf; 1956 –1959 International Finance Corporation, Washington, D.C.; 1959 –1971 Tätigkeit bei Klöckner & Co. Duisburg, zuletzt als Vorsitzender der Gesamtleitung mit Generalvollmacht. 1971 Eintritt in den Interessenbereich Dr. Herbert Quandt, Bad Homburg v. d. Höhe. 1982–1992 Testamentsvollstrecker nach Dr. Herbert Quandt zusammen mit Frau Johanna Quandt. Ehrenvorsitzender des Stiftungsrates der Herbert-Quandt-Stiftung. Autor von Romanen und Essays. Patrick Guinand Geboren 1947 in Lyon. Regisseur. 1965 –1971 Studium und Studententheater in Dijon. Diplom in Wirtschaftswissenschaft und Literatur. Seit 1972 in Paris. Gründer und Leiter seines eigenen Theaterensembles. 1981–1983 Intendant des Jeune Théâtre National (Sitz im Théâtre National de l’Odéon). 1988 –1991 Präsident des französischen Intendantenverbandes. Gründer, Sekretär, dann Präsident des Dramatic Theatre Committee (DTC) des International Theatre Institute (ITIUnesco) seit 1991. Seit 2001 künstlerischer Berater der Internationalen Thomas Bernhard-Gesellschaft (ITGB). Rund 50 Schauspiel- und Operninszenierungen in Frankreich und europaweit, insbesondere in Deutschland (Berlin, Nürnberg, Karlsruhe, Heilbronn, Bad Hersfeld) und Österreich (Salzburg, Wien). Hilmar Hoffmann Geboren 1925 in Bremen. 1953–1970 Direktor Westdeutsche Kurzfilmtage Oberhausen; 1965 –1970 Sozial- und Kulturdezernent der Stadt Oberhausen; 1970 –1990 Kulturdezernent der Stadt Frankfurt a. M.; Initiator des Frankfurter Museumsufers. 1990 –1994 Leitung der Stiftung Lesen, Mainz; 1993–2002 Präsident des Goethe-Instituts, München; Honorarprofessuren an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst, Frankfurt a.M. (seit 1984), und der Universität Marburg (seit 1989); u. a. Vorsitzender des Verwaltungsrats des Deutschen Filminstituts, Frankfurt a. M.; zahlreiche Buchveröffentlichungen sowie Auszeichnungen und Ehrungen: u. a. Großes Bundesverdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland, Ehrensenator der Goethe-Universität Frankfurt, Ehrenbürger der Universität Tel Aviv, Dr. h.c. der Universitäten Bamberg und Hildesheim; Chevalier de l’Ordre des Arts et des Lettres der Französischen Republik, Ehrenmitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. 73 Biografien Sir Peter Jonas Geboren 1946 in London. Nach dem Besuch der Benedictine Worth School Studium der Englischen Literatur an der University of Sussex. Postgraduiertenstudium in Oper und Musikgeschichte am Royal Northern College of Music in Manchester und später am Royal College of Music in London. Anschließend studierte er noch ein Jahr an der Eastman School of Music, Rochester, New York. 1974 Assistent von Musikdirektor Sir George Solti am Chicago Symphony Orchestra. 1976 künstlerischer Betriebsdirektor dieser Institution. 1984 Generaldirektor der English National Opera. Seit September 1993 Staatsintendant der Bayerischen Staatsoper in München. Fellow of the Royal Society of Arts und Fellow of the Royal College of Music. Seit dem Jahr 2000 ist er außerdem Fellow of the Royal Northern College of Music und seit Mai 2001 Erster Vorsitzender der Deutschen Opernkonferenz (dem Verein der Intendanten der deutschsprachigen Opernhäuser). Für seine Verdienste um die Oper verlieh ihm Königin Elizabeth II. 1991 den Titel eines Commander of the British Empire. Am 1. Januar 2000 hat ihn die Königin für seine künstlerischen Verdienste in den Ritterstand erhoben. Susanne Klatten Geboren 1962 in Bad Homburg v. d. Höhe. Ausbildung zur Werbekauffrau in Frankfurt a. M. Studium der Betriebswirtschaft an der University of Buckingham. Abschluss mit dem Bachelor of Science. 1988 Studium der Unternehmensführung am International Institute for Management Development (IMD), Lausanne. Abschluss mit dem MBA. Während des Studiums Praktika bei Banken, Industrie- und Beratungsunternehmen. 1989 –1990 Assistentin der Geschäftsführung der Burda GmbH. Nach einjährigem USA-Aufenthalt seit 1991 selbständige Unternehmerin. Aufsichtsratsmandate in familiennahen Unternehmen: Stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der ALTANA AG. Aufsichtsratsmitglied der BMW AG, der ALTANA Pharma AG und der UnternehmerTUM GmbH, Garching. Vorsitzende des Stiftungsrates der Herbert-Quandt-Stiftung. Mitglied des Kuratoriums der Technischen Universität München. Michael Klett Geboren 1938 in Stuttgart. Abitur, Militärdienst, Verlagslehre, Schauspielausbildung, Studium der Germanistik und Philosophie. Verlagserfahrung in ausländischen Verlagen (USA, England). 1965 Eintritt in den Ernst Klett Verlag. Seit 1973 Mitglied der Geschäftsleitung (geschäftsführender Gesellschafter), ab 1989 in der Holding der neu geordneten KlettGruppe, ab 1996 Vorsitzender des Vorstands der Ernst Klett Aktiengesellschaft. Ehrenamtlich in kulturellen Einrichtungen und Stiftungen im In- und Ausland, insbesondere im 74 Rahmen deutsch-französischer Beziehungen, tätig. Seit 1986 schwedischer Honorarkonsul. 1994 –1996 Mitglied des Regionalparlaments Stuttgart. Seit 1999 Dr. phil. h.c. Universität Würzburg, a.o. Professor an der St. Kliment Ohridski Universität Sofia und Träger des Bundesverdienstkreuzes am Bande. Mitglied des Stiftungsrates der Herbert-Quandt-Stiftung. Gerhard R. Koch Geboren 1939 in Bonn. Studium in Frankfurt a. M. Seit den sechziger Jahren hauptsächlich Musikkritiker bei der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, seit 1976 deren Musikredakteur. Seine besonderen Interessen sind Neue Musik, Musiktheater, Kulturpolitik, Vernetzung der Künste (Film, bildende Kunst, Theater, Musik), Grenzbereiche zwischen „hoher“ und „niederer“ Kultur. Träger des Johann-Heinrich-Merck-Preises für Essayistik und literarische Kritik der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung. Klaus-Dieter Lehmann Geboren 1940 in Breslau (Wroclaw). 1967 Diplom in Physik und Mathematik. Nach dem Staatesexamen in Bibliothekswissenschaft begann er 1970 als Fachreferent an der Hochschulbibliothek Darmstadt. 1973 wurde er stellvertretender Direktor und 1978 leitender Bibliotheksdirektor der Universitätsbibliothek Frankfurt am Main. Gleichzeitig war er Direktor der Fachhochschule für Bibliothekswesen. 1986 erhielt er eine Honorarprofessur für Wirtschaftsinformatik an der Universität Frankfurt am Main. 1988 Generaldirektor der Deutschen Bibliothek Frankfurt am Main, 1990 auch der Deutschen Bücherei Leipzig (Die Deutsche Bibliothek). Seit 1999 Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz in Berlin. Ausgezeichnet u. a. mit dem Bundesverdienstkreuz 1. Klasse. Er ist Vorsitzender bzw. Mitglied in zahlreichen nationalen und internationalen Gremien und Herausgeber wissenschaftlicher Zeitschriften. Friedhelm Mennekes SJ Geboren 1940 in Bottrop. 1961 Eintritt in den Jesuitenorden; Studien in Philosophie, Politikwissenschaft und Theologie, 1972 Promotion zum Dr. phil.; Studium der kath. Theologie in Bonn und Frankfurt, 1979 Habilitation. Seit 1980 Professor für Praktische Theologie und Religionssoziologie an der Phil.-Theol. Hochschule Sankt Georgen in Frankfurt a. M. 1979 –1985 Pfarrer an Sankt Markus in Frankfurt-Nied; seit 1987 Pfarrer an Sankt Peter in Köln. Seit 1997 Honorarprofessor an der Hochschule der Bildenden Künste in Braun- 75 Biografien schweig, seit 1998 Honorarprofessor am Fachbereich Bildende Kunst der JohannesGutenberg-Universität in Mainz. Begann seine Ausstellungstätigkeit in der Frankfurter Vorortkirche Sankt Markus in Nied (bis 1985), dann in der Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbahn und schließlich in der Kunst-Station Frankfurt (M) Hbf (1985 –1989). 1987 Gründung der Kunst-Station Sankt Peter Köln in der gotischen Stadtpfarrkirche Sankt Peter. Gastvorträge und Gastprofessuren an verschiedenen kunstgeschichtlichen Fakultäten und Kunstakademien u. a. in Berlin, Wien, Bloomington/Indiana und Savannah/Georgia. 1999 Verleihung des Corporate Art Preises der Burda-Stiftung für herausragendes Engagement auf dem Gebiet der Kunst- und Kulturförderung. Norman Rosenthal Geboren 1944 in Cambridge. Besuch der Westminster City Grammar School und der Universität von Leicester, 1966 Diplom in Geschichte. Anschließend Studium an der School of Slavonic and East European Studies und an der Freien Universität Berlin. Organisierte seine erste Ausstellung 1965 am Leicester Museum and Art Gallery in Verbindung mit dem University of Arts Festival. 1966 –1970 Tätigkeit als Bibliothekar und wissenschaftlicher Mitarbeiter bei Thomas Agnew & Sons. 1970–1971 Ausstellungskurator am Brighton Museum and Art Gallery. Gemeinsam mit Vera Russell Organisator des Artists’ Market, einer gemeinnützigen Galerie in Covent Garden; 1973–1976 Ausstellungskurator am Institut für zeitgenössische Kunst in London. Seit 1977 Ausstellungsdirektor an der Royal Academy of Arts in London, wo er für alle Leihausstellungen verantwortlich ist. Sein Name ist vor allem mit einer Reihe von Ausstellungen an der Royal Academy verbunden, die die Kunst des 20. Jahrhunderts verkörpern. Norman Rosenthal ist Mitglied namhafter Kulturgremien und Träger internationaler Auszeichnungen. Er veröffentlichte zahlreiche Artikel in Katalogen und Fachzeitschriften sowie Beiträge in Fernseh- und Radiosendungen. Hermann Schäfer Geboren 1942. Er studierte u.a. Geschichte und Englisch in Frankfurt a. M., Bonn und Freiburg. Ab 1971 wissenschaftlicher Assistent am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universität Freiburg. 1977 Promotion in Freiburg. 1986 Habilitation und Venia Legendi für Wirtschaftsund Sozialgeschichte in Freiburg. 1986 als Leiter des Amtes für Kultur und Öffentlichkeitsarbeit im Landkreis Waldshut tätig; Abteilungsleiter „Sammlungen“ am Landesmuseum für Technik und Arbeit in Mannheim. Seit 1987 Direktor und seit 1990 Präsident der Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland. Museumspreis 1995 des Europarates sowie weitere Auszeichnungen. Mitglied zahlreicher Beiräte, darunter auch Mitglied des Stiftungsrates der Herbert-QuandtStiftung. Seit Mai 2000 Professor an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg. Veröffentlichungen zu Themen der Wirtschafts- und Sozialgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie zu Museumsfragen. 76 Oliver Scheytt Musik- und Jurastudium, Dissertation zum Musikschulrecht; von 1983 bis 1988 Management von Kulturprojekten bei der Stadt Essen und beim Kultursekretariat NRW; 1986–1993 Referent beim Deutschen Städtetag, zunächst Büroleiter des Hauptgeschäftsführers, ab 1990 Beauftragter für die neuen Länder und Leiter der Berlin-Vertretung; seit 1993 Kulturdezernent der Stadt Essen, 1997 erweitert um das Bildungsressort, seit 1993 Mitglied des Bundesvorstandes des Verbandes deutscher Musikschulen; seit 1995 Vorsitzender des NRWKultursekretariats; seit 1997 Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. Bonn; Autor zahlreicher Publikationen zu den Bereichen Kommunalpolitik, Kulturpolitik, Kulturmanagement, Kulturrecht, Personal- und Organisationsentwicklung. Frank Schirrmacher Geboren 1959 in Wiesbaden. Studium der Germanistik und Anglistik in Heidelberg, der Philosophie und Literatur am Clare College in Cambridge. Von 1989 bis 1993 als Nachfolger von Marcel Reich-Ranicki Leiter der Redaktion „Literatur und literarisches Leben“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Seit 1. Januar 1994 einer der Herausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Mitglied des Goethe-Instituts. Stellvertretender Vorsitzender des Stiftungsrates der HerbertQuandt-Stiftung, Bad Homburg. Zuletzt erschien „Der westliche Kreuzzug“. 41 Positionen zum Kosovokrieg (Hrsg.), 1999; „Die Walser-BubisDebatte“ (Hrsg.), 1999; „Marcel Reich-Ranicki. Sein Leben in Bildern“ (Hrsg.), 2000; „Die Darwin AG. Wie Nanotechnologie, Biotechnologie und Computer den neuen Menschen träumen“ (Hrsg.), 2001. Enjott Schneider Geboren 1950 in Weil am Rhein als Norbert J. Schneider. Studium der Musik, Musikwissenschaft, Germanistik, Linguistik in Feiburg i. Br. 1977 Promotion zum Dr. phil. Lehrt seit 1979 an der Musikhochschule München (Professur für Musiktheorie/Komposition). Tätigkeiten als Schriftsteller (u. a. „Die Kunst des Teilens. Zeit-Rhythmus-Zahl“, 1991; „Handbuch Filmmusik I und II“, 1986 und 1989; „Komponieren für Film und Fernsehen“, 1997); als Komponist für Konzert und Oper (Glockensinfonie „Lied an das Leben“ nach Texten aus dem KZ Buchenwald zu den Domstufenfestspielen Erfurt, 1999; Sinfonie „Sisyphos“, München, 2001; Oper „Albert – Warum“, Regensburg, 1999; Oper „Das Salome-Prinzip“, Gelsenkirchen, 2002; Songoper „Diana – Cry for Love“, Görlitz, 2002); als Komponist von über 500 Filmmusiken (u. a. zu „Herbstmilch“, „Stalingrad“, „Das Mädchen Rosemarie“, „Schlafes Bruder“). Seine Soundtracks wurden mehrfach ausgezeichnet: Bayerischer Filmpreis für „Rama Dama“, Bundesfilmband in Gold für Musik zu „Wildfeuer“, Bundesfilmband für „Leise Schatten“ und den „Fipa d’or (Filmfestival Biarritz) für Verfilmung von Johnsons „Jahrestage“ (Beste europäische Filmmusik“). 77 Biografien Nikolaus Schweickart Geboren 1943 in Kamp/Rhein Bezirk Koblenz, nach Militärdienst (Reserveoffizier) von 1966–1970 Studium der Rechtsund Politischen Wissenschaften in München und Bonn; Referendarzeit in NRW, gleichzeitig Assistent im Deutschen Bundestag, Rechtsanwalt; 1973–1976 politischer Referent in Bonn; seit 1977 im Günther-Quandt-Haus, Bad Homburg v. d. Höhe, u. a. persönlicher Mitarbeiter von Herbert Quandt; seit 1987 Mitglied des Vorstandes der ALTANA AG; seit 1990 Vorstandsvorsitzender der ALTANA AG; Vorsitzender des Vorstandes der Herbert-Quandt-Stiftung, Bad Homburg v. d. Höhe; Vorsitzender des Kuratoriums des Frankfurter Instituts, Berlin; Vorsitzender der Administration StädelMuseum, Frankfurt; stellvertretender Vorsitzender Wirtschaftsrat der CDU, Berlin. Mark Speich Geboren 1970 in Bonn. 1989 Abitur am Collegium Josephinum, Bonn, Wehrdienst, 1990 –1994 Studium der Wissenschaft von der Politik, der Neueren Geschichte sowie des Staats- und Europarechts an den Universitäten Bonn und Cambridge (Pembroke College). 1994 Master of Philosophy. Nach dem Studium wissenschaftlicher Mitarbeiter der Stabsstelle „Politische Beratung und Sonderaufgaben“ im KonradAdenauer-Haus. Von Anfang 1997 bis Ende 1998 Persönlicher Referent des Rektors der Universität Bonn. Seit Anfang 1999 als Wissenschaftlicher Referent für die Herbert-Quandt-Stiftung tätig. 2001 Promotion zum Dr. phil. bei Professor Hans-Peter Schwarz, Universität Bonn. Christoph Vitali Geboren 1940 in Zürich. 1959–1960 Studium der amerikanischen und englischen Literatur, der Geschichte, Kunstgeschichte und der Politischen Wissenschaft an der Universität Princeton, New Jersey. Herbst 1960 Aufnahme des Jurastudiums an der Universität Zürich. 1962–1963 Studium der spanischen Sprache, Literaturgeschichte und Kunstgeschichte an der Universität Granada. Herbst 1963 Wiederaufnahme des Jurastudiums in Zürich. Januar 1968 Promotion an der Universität Zürich. April 1968 Anwaltsprüfung am Obergericht des Kantons Zürich. Januar 1969 Übertritt ins Kulturreferat der Stadt Zürich, ab Herbst 1971 verantwortlicher Leiter. Tätigkeit in allen Gebieten der Kulturförderung und Kulturpolitik. Vertreter der Stadt in den Aufsichtsgremien der großen Kulturinstitute. Leiter mehrerer Theater und Museen der Stadt Zürich sowie des kommunalen Kinos. 1979 –1984 Verwaltungsdirektor der Städtischen Bühnen Frankfurt a. M. 1985 –1993 Direktor und Geschäftsführer des Theaters am Turm, des Künstlerhauses Mousonturm, der kulturellen Aktivitäten OFF-TAT und der Schirn Kunsthalle Frankfurt m.b.H. Seit 1.1.1994 Direktor des Hauses der Kunst, München. 78 Lord Weidenfeld of Chelsea Geboren in Wien. 1938 Emigration nach England. Während des Krieges Mitarbeiter des BBC Overseas Service. 1945 gründete er zusammen mit Nigel Nicolson den Verlag Weidenfeld & Nicolson. 1949 politischer Berater und Chef des Kabinetts des israelischen Präsidenten Dr. Chaim Weizmann. Danach Rückkehr nach England und Wiederaufnahme der Verlegertätigkeit. Lord Weidenfeld hat die Werke zahlreicher herausragender internationaler Historiker und Biografen sowie die Memoiren der angesehensten Politiker seiner Generation publiziert. Seit 1946 britischer Staatsbürger, wurde er zweimal für seine Verdienste für England geehrt: zunächst wurde er in den Ritterstand und 1976 in den Adelsstand erhoben. Honorary Fellow des St. Peter’s College und des St. Anne’s College, beide Oxford. 1996 Ehrensenator der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn. 1999 Magister der Diplomatischen Akademie Wien. U. a. Vorsitzender im Board of Governors der Ben-Gurion Universität/Beer Sheva, Mitglied des Rates des Weizmann Institute und Mitglied des Stiftungsrates der Herbert-Quandt-Stiftung. Klaus Zehelein Studium der Germanistik, Musikwissenschaft und der Philosophie in Frankfurt und Hamburg. 1959 –1966 Ferienkurse für Neue Musik in Darmstadt. 1967–1970 Erstes Engagement als Dramaturg an den Bühnen der Landeshauptstadt Kiel. 1970–1977 Chefdramaturg am Staatstheater Oldenburg. Lehrtätigkeit als Dozent an der Universität Oldenburg (Musiksoziologie). 1977–1987 Chefdramaturg und später koordinierter Operndirektor der Städtischen Bühnen Frankfurt a. M. Während dieser Zeit Lehrtätigkeit als Dozent an der State University of Minnesota, Minneapolis und am Collège International de Philosophie in Paris; Gastprofessor an der Universität Gießen (Institut für angewandte Theaterwissenschaft). 1986 –1992 Gastprofessor an der Hochschule für angewandte Kunst in Wien (Bühnen- und Filmgestaltung). 1989 –1991 Künstlerischer Direktor des ThaliaTheaters in Hamburg; Dramaturgie (Schauspiel und Oper) in Berlin, Frankfurt, Brüssel und Wien. Seit 1991 Direktor bzw. Intendant der Staatsoper Stuttgart. 1983 Deutscher Kritikerpreis für die Dramaturgie an der Oper Frankfurt a. M. Publikationen im Musik- und Theaterbereich. 79 Überblick Teilnehmer Prof. Dr. Jean-Christophe Ammann Ehemaliger Direktor Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main Wolfgang R. Assmann Geschäftsführender Vorstand Herbert-Quandt-Stiftung Bad Homburg v. d. Höhe Prof. Georg Baselitz Künstler Universität der Künste Berlin Prof. Dr. Herbert Beck Museums-Direktor Städelsches Kunstinstitut und Liebieghaus - Museum alter Plastik Frankfurt am Main The Rt. Hon. the Baroness Blackstone Britische Staatsministerin für Kunst und Musik London Dr. Andrea Firmenich Leiterin Kulturforum ALTANA Bad Homburg v. d. Höhe William Forsythe Intendant Ballett Frankfurt und TAT (Theater am Turm) Frankfurt am Main 80 Dr. Thomas Gauly Generalbevollmächtigter Leiter Unternehmenskommunikation ALTANA AG Mitglied des Vorstandes Herbert-Quandt-Stiftung Bad Homburg v. d. Höhe Hans Graf von der Goltz Ehrenvorsitzender des Stiftungsrates Herbert-Quandt-Stiftung Bad Homburg v. d. Höhe Patrick Guinand Regisseur Paris Prof. Dr. Hilmar Hoffmann Ehemaliger Präsident des Goethe-Instituts, München Initiator des Frankfurter Museumsufers Frankfurt am Main Sir Peter Jonas Staatsintendant Bayerische Staatsoper München Susanne Klatten Vorsitzende des Stiftungsrates Herbert-Quandt-Stiftung Bad Homburg v. d. Höhe Dr. h.c. Michael Klett Vorstandsvorsitzender Ernst Klett AG Stuttgart Gerhard R. Koch Redakteur Feuilleton Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurt am Main Prof. Dr. Enjott Schneider Komponist Hochschule für Musik und Theater München Prof. Dr. h.c. Klaus-Dieter Lehmann Präsident Stiftung Preußischer Kulturbesitz Berlin Nikolaus Schweickart Vorstandsvorsitzender ALTANA AG und Herbert-Quandt-Stiftung Bad Homburg v. d. Höhe Prof. Dr. Friedhelm Mennekes SJ Kunst-Station Sankt Peter Zentrum für zeitgenössische Kunst und Musik Köln Dr. Mark Speich Wissenschaftlicher Referent Herbert-Quandt-Stiftung Bad Homburg v. d. Höhe Norman Rosenthal Ausstellungsdirektor Royal Academy of Arts London Dr. Christoph Vitali Direktor Haus der Kunst München Prof. Dr. Hermann Schäfer Präsident, Stiftung Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland Bonn Lord Weidenfeld of Chelsea Verleger London Dr. Oliver Scheytt Beigeordneter für Bildung und Kultur der Stadt Essen und Präsident der Kulturpolitischen Gesellschaft e.V. Bonn Essen Klaus Zehelein Intendant Staatsoper Stuttgart Dr. Frank Schirrmacher Herausgeber Frankfurter Allgemeine Zeitung Frankfurt am Main 81 Rückblick Sinclair-Haus-Gespräche Themen und Teilnehmer 1. Welt im Umbruch: Können Demokratie und Marktwirtschaft überleben? November 1993 2. Verwildert der Mensch? Voraussetzungen gesellschaftlicher Ordnung April 1994 3. Quo vadis? Deutschland nach einem besonderen Wahljahr Dezember 1994 4. Kulturen im Konflikt – Die Bestimmung Europas März/April 1995 5. Kultur als Machtinstrument Dezember 1995 6. Globale Wirtschaft – nationale Sozialpolitik: Wie lange geht das noch gut? April 1996 7. Löst sich die Industriegesellschaft auf? November 1996 10. Leben – um welchen Preis? April 1998 11. Trialog der Kulturen im Zeitalter der Globalisierung Dezember 1998 12. Vom christlichen Abendland zum multikulturellen Einwanderungsland? April 1999 13. Die Zukunft des Gewesenen – Erinnern und Vergessen an der Schwelle des neuen Millenniums November 1999 14. Die stille Revolution – Geschlechterrollen verändern sich April 2000 15. Kapitalismus ohne Moral? Ethische Grundlagen einer globalen Wirtschaft November 2000 8. Europa nach der Wirtschaftsund Währungsunion April 1997 16. Europas Verfassung – Eine Ordnung für die Zukunft der Union Mai 2001 9. Russland – wohin? Dezember 1997 17. Wem gehört der Mensch? November 2001 Abassi, Mahmoud; 11 Abdul Hadi, Mahdi; 11 Adam, Konrad; 2, 4 Adam, Werner; 1, 9 Adomeit, Hannes; 9 Albert, Michel; 3 Alexander, Lord of Weedon; 8 Angst, Kenneth; 7 Arbatov, Alexej; 4 Arnon, Aryeh; 11 82 Assmann, Wolfgang R.; 11–17 Avineri, Shlomo; 2, 5 Awartani, Hisham; 11 Badura, Bernhard; 10 Benda, Ernst; 17 Badura, Peter; 3 Bär, Hans J.; 8 Barth, Hermann; 6 Bartoszewski, Wladyslaw; 13 Beckstein, Günther; 12 Ben-Ari, Jitzhak; 1 Bergsdorf, Wolfgang; 5 Berthoin, Georges; 16 Betti, Claudio Mario; 11 Bitterlich, Joachim; 9 Blech, Jörg; 17 Böckelmann, Frank; 12 Bourkov, Sergei; 9 Bovkoun, Evgueni; 9 Brannen, Julia; 14 Braverman, Avishay; 11 Bremer, Jörg; 11 Bresson, Henri de; 16 Brock, Lothar; 15 Brok, Elmar; 8, 16 Brunner, Georg; 9 Buchanan, James; 7 Busek, Erhard; 3 Caligaris, Luigi; 4 Catarivas, Dan; 11 Chenaux-Repond, Dieter; 4, 5, 8 Cohen, Amnon; 4 Collange, Jean-François; 17 Commaille, Jacques; 14 Cozens, Clare; 14 Dahlmanns, Gert; 1–11 Dahrendorf, Lord Ralf; 7 Daune-Richard, Anne-Marie; 14 Deckers, Daniel; 7 Deech, Ruth; 17 Dettling, Warnfried; 3 Dichgans, Johannes; 10 Dönhoff, Marion Gräfin; 12 Dshanibekow, Wladimir; 9 Duve, Freimut; 1 Dyba, Johannes; 12 Eddin Ibrahim, Saad; 11 Eekhoff, Johann; 6 Elkana, Yehuda; 5 Elyas, Nadeem A.; 12 Froment-Meurice, Henri; 1 Frye, Alton; 4 Gablentz, Otto von der; 16 Galliner, Peter; 11 Ganten, Detlev; 17 Gasteyger, Curt; 3 Gauck, Joachim; 13 Gauly, Thomas; 5–17 Gerhardt, Wolfgang; 3 Gerster, Johannes; 11 Gillessen, Günther; 3 Goltz, Hans Graf von der; 1–17 Gowrie, Lord; 8 Graf, Friedrich Wilhelm; 12 Gräf, Hermann; 15 Graff, Ehoud; 11 Grant, Charles; 16 Groen, Joost in’t; 6 Gronkiewicz-Waltz, Hanna; 14 Grunewald, Heike; 11 Grusa, Jiri; 3 Guerrand-Hermès, Xavier; 11 Habibie, Bacharuddin Jusuf; 4 Hadas, Shmuel; 11 Hank, Rainer; 15 Hänsch, Klaus; 8 Haverich, Axel; 10 Helmchen, Hanfried; 10 Henzler, Herbert; 7 Hepp, Hermann; 10 Herzog, Christiane; 10 Herzog, Roman; 1, 16 Heuser, Uwe Jean; 15 Heydt, Peter von der; 7 Hirsch, Günter; 16 Hirsch Ballin, Ernst; 10 Hirschfeld, Yair; 4 Hodges, John R.; 13 Höffe, Otfried; 15 Honnefelder, Ludger; 10, 12 Huber, Wolfgang; 10 Isensee, Josef; 16 Ferraris, Luigi Vittorio Conte; 2 Field, Frank; 6 François-Poncet, Jean; 8 Frankenberger, Klaus-Dieter; 16 Freeman, Clara; 14 Friedlander, Shaul; 11 Jansen, Thomas; 11, 16 Jay of Paddington, Baroness; 14 Joffe, Josef; 1, 9 John, Barbara; 12 Jowell, Tessa; 14 83 Rückblick Kamer, Hansrudolf; 9 Kamphaus, Franz; 2 Keil, Siegfried; 14 Kennedy, Paul; 6 Kirchhof, Paul; 7 Kirsch, Guy; 7 Klatten, Susanne; 12, 14–17 Kleinschmidt, Sebastian; 12 Klett, Michael; 12 –15, 17 Klotz, Heinrich; 5 Kluxen, Wolfgang; 12 Kney-Tal, Dorit; 2 Koch, Roland; 6 Köcher, Renate; 3, 12, 13, 14 Koerber, Eberhard von; 6, 11 Kohl, Helmut; 8 Kolonko, Petra; 14 Kondrusiewicz, Tadeusz; 9 Kuchinke, Norbert; 9 Kuenheim, Eberhard von; 1 Maleki, Abbas; 5 Markl, Hubert; 1–5, 7–10 Maron, Monika; 2, 14 Marsh, David; 3 Masri, Said Baha Al-; 11 Mathes, Richard; 11 Matwejew, Wladimir P.; 15 McElvoy, Anne; 14 Mellor, Julie; 14 Merz, Friedrich; 16 Metspalu, Andres; 17 Michalski, Krzysztof; 8 Michnik, Adam; 5 Miegel, Meinhard; 7 Mittelstraß, Jürgen; 1 Moïsi, Dominique; 8 Möller, Gerald; 10 Müller-Jung, Joachim; 17 Müller-Stutzer, Gabriele; 10 Muschg, Adolf; 5 Lakaschus, Carmen; 2 Lassner, Jacob; 11 Lauder, Ron; 11 Lautmann, Dov; 11 Lehmann, Karl; 10 Lehmann, Klaus-Dieter; 13 Leibinger, Berthold; 6 Lendvai, Paul; 2 Lepage, Henri; 6 Leysen, André; 1, 6, 13 Liberles, Robert; 11 Link, Christoph; 12 Lohmann, Martin; 2, 5 Lohse, Eckart; 2 Lorz, Stephan; 15 Louis, Jean-Victor; 16 Löwe, Hartmut; 12 Lübbe, Hermann; 2 Ludewig, Johannes; 3 Naumann, Klaus; 3 Naumer, Hans-Jörg; 15 Nef, Robert; 7 Nemirovskaya, Elena; 7, 9 Neville-Jones, Pauline; 1 Nora, Pierre; 13 Prof. Georg Baselitz im Gespräch mit Prof. Dr. Jean-Christophe Ammann 84 Oberndörfer, Dieter; 12 Osten, Manfred; 5 Oz, Amos; 11 Özdemir, Cem; 12 Pataki, István; 3 Peel, Quentin; 8, 16 Pernice, Ingolf; 16 Pfeiffer, Christian; 2 Pinto, Diana; 14 Piromya, Kasit; 15 Plaut, Timothy C.; 15 Pohl, Manfred; 13 Radtke, Heinz W.; 10, 17 Raulff, Ulrich; 13 Rees-Mogg, William; 4 Reiter, Janusz; 3, 8, 13–15, 17 Rekhess, Elie; 11 Reynolds, Fiona; 14 Riesenhuber, Heinz; 1 Röller, Wolfgang; 2 Rothschild, Emma; 7 Rubinstein, Danny; 11 Rubner, Jeanne; 10 Rübsamen-Waigmann, Helga; 14 Rüthers, Bernd; 6 Safdie, Moshe; 5 Said, Edward W.; 5 Salmin, Alexei; 9 Savir, Uriel; 11 Sayigh, Yezid; 4 Schäfer, Egon; 6 Schäfer, Hermann; 12 –17 Schalch, Beatrice; 11 Schauerte, Hartmut; 15 Schellhorn, Kai M.; 13 Schily, Konrad; 2, 10 Schily, Otto; 12 Schips, Bernd; 6 Schirrmacher, Frank; 12, 13, 16, 17 Schlösser, Gernot; 10 Scholl-Latour, Peter; 4, 5 Scholz, Rupert; 2 Schotsmans, Paul T.; 17 Schreiber, Hans-Ludwig; 10 Schuchardt, Erika; 13 Schwan, Gesine; 14 Schwarzenberg, Karl Fürst von; 2 Schweickart, Nikolaus; 1–10, 12, 13, 15–17 Seide, Rochelle K.; 17 Seixas da Costa, Francisco; 16 Seizinger, Bernd R.; 17 ¸ Sen, Faruk; 12 Senghaas, Dieter; 4 Senokossov, Yuri; 9 Shtauber, Zvi; 11 Shtayyeh, Mohammad; 11 Sicard, Didier; 17 Siebel, Rudolf; 15 Silbereisen, Rainer K.; 2 Siniora, Hanna; 11 Sobtschak, Anatolij; 1 Solms, Hermann Otto; 15 Speich, Mark; 12 –17 Stark, Jürgen; 15 Steinbach, Udo; 4 Steinberg, Jonathan; 7 Stern, Frank; 11 Stock, Günter; 10 Stone, Norman; 1 Strauss-Lahat, Ofra; 11 Studnitz, Ernst-Jörg von; 9 William Forsythe im Gespräch mit Susanne Klatten Stürmer, Michael; 1–6, 8–11 Suchanov, Alexander; 9 Suchocka, Hanna; 1 Tarr-Whelan, Linda; 14 Teltschik, Horst; 3–9 Thoben, Christa; 8 Tibi, Bassam; 4 Tiefensee, Eberhard; 12 Tietmeyer, Hans; 6, 15 Tosato, Massimo; 15 Trabant, Jürgen; 5 Troen, S. Ilan; 11 Trotha, Ulrich Ivo von; 12 Vasata, Vilim; 7 Veremis, Thanos; 4 Vibert, Frank; 16 Viermetz, Kurt F.; 4 Vollmer, Antje; 3 Vrba, Tomás; 2 Walker, Michael; 7 Wallraff, Arnold; 6, 9 Wegerhoff, Susanne; 14 Weidenfeld, Lord of Chelsea; 11–16 Weinrich, Harald; 13 Weisenhorn, Elisabeth Gertrud; 15 Welzig, Werner; 5 Werner, Kurt; 1 Wertheimer, Stef; 11, 13 Winnacker, Ernst-Ludwig; 17 Wulff, Christian; 6 Yavlinsky, Grigory A.; 3 Zakaria, Fareed; 9 Zeitler, Franziska; 9, 10 85 Hintergrund Herbert Quandt Dr. Herbert Quandt (1910 –1982), einer märkischen Unternehmerfamilie entstammend, gehörte zu den markantesten Persönlichkeiten der deutschen Nachkriegswirtschaft. Seinen dezentral organisierten Unternehmen überließ er große Entscheidungsräume, um Eigeninitiative und Innovationsgeist zu stärken. Die Verantwortung des Unternehmers ging für ihn über das rein Ökonomische hinaus. Herbert Quandt war der erste Vorstandsvorsitzende der ALTANA AG, die im Jahre 1977 im Wege der Realteilung aus dem VartaKonzern hervorgegangen ist. Die ALTANA AG ist eine strategische Managementholding. Die Unternehmensgruppe beschäftigt rund 9500 Mitarbeiter und ist weltweit auf den Geschäftsfeldern Pharmazeutik und Spezialchemie tätig. Herbert-Quandt-Stiftung Aus Anlass des 70. Geburtstages von Herbert Quandt hat die ALTANA AG im November 1980 zum Dank für die langjährige Führung der in ihr zusammengeschlossenen Unternehmen die Herbert-Quandt-Stiftung errichtet. Diese fördert in Projekten und durch finanzielle Zuwendungen den nationalen und internationalen Dialog sowie Wissenschaft, Forschung und Bildung in Deutschland. Neben den Sinclair-Haus-Gesprächen führt die Herbert-Quandt-Stiftung das international angelegte Projekt „Trialog der Kulturen“ durch. In Kooperation mit der Universität Konstanz wird jährlich der Byk-Preis für drei herausragende Forschungsarbeiten in den Naturwissenschaften vergeben. Neben der Einrichtung von Herbert-Quandt-Förderprogrammen an den Universitäten Konstanz und Dresden für den internationalen Austausch junger Wissenschaftler aus Mittel- und Osteuropa leistet die Stiftung Unterstützung bei der Umsetzung von Forschungsprojekten an der Technischen Universität Dresden. Mit der „Initiative Bürgersinn“ fördert die Herbert-Quandt-Stiftung beispielhafte Vorhaben bürgerschaftlichen Engagements und leistet auch mit eigenen Projekten einen Beitrag zur Stärkung von Eigeninitiative und selbstverantworteter Solidarität in unserer Gesellschaft. 86 Der Vorstand der Herbert-Quandt-Stiftung setzt sich wie folgt zusammen: Nikolaus Schweickart (Vorstandsvorsitzender), Wolfgang R. Assmann (Geschäftsführender Vorstand), Dr. Thomas Gauly. Dem Stiftungsrat gehören an: Hans Graf von der Goltz (Ehrenvorsitzender), Susanne Klatten (Vorsitzende), Dr. h.c. Michael Klett, Janusz Reiter, Prof. Dr. Hermann Schäfer, Dr. Frank Schirrmacher, Lord Weidenfeld of Chelsea, Prof. Dr. Ernst-Ludwig Winnacker. Isaak von Sinclair Isaak von Sinclair (1775 –1815) war Berater und enger Vertrauter des Landgrafen von Hessen-Homburg, dessen Interessen Sinclair u. a. auf dem Wiener Kongress vertrat. Sinclair war aber nicht nur Beamter und Diplomat, sondern auch Intellektueller und Poet. Seine idealistische Philosophie und die seines Freundeskreises, dem Hegel, Schelling und Hölderlin angehörten, waren von der geistigen und politischen Auseinandersetzung im Gefolge der Aufklärung und der Französischen Revolution geprägt. Sinclair war Hölderlin insbesondere während dessen schwierigen Lebensphasen ein hilfreicher Freund. Als „edler Freund des Freundes“ gewährte Sinclair dem Dichter Zuflucht, finanzierte seinen Lebensunterhalt und kümmerte sich um den Kranken. Sinclair-Haus-Gespräche 1978 erwarb die ALTANA AG das Haus, das den Namen Isaak von Sinclairs trägt. Das dem Bad Homburger Schloss gegenüber gelegene Haus wurde in der Schönheit seiner ursprünglichen Barockform restauriert. Das Sinclair-Haus ist Sitz des Kulturforums der ALTANA AG und dient der Herbert-Quandt-Stiftung als Tagungsort. Seit 1993 finden hier zweimal im Jahr die Sinclair-Haus-Gespräche statt. 87 Impressum Herausgeber Herbert-Quandt-Stiftung Am Pilgerrain 17 61352 Bad Homburg v. d. Höhe Tel. +49 (0)61 72 94 41-2 60 Fax +49 (0)61 72 94 41-2 65 E-Mail: H-Quandt-Stiftung@altana.de Internet: http://www.h-quandt-stiftung.de Gestaltung Gesa Emde Mirko Krizanovic Darmstadt Litho und Druck Jan van der Most Düsseldorf Fotografie Mirko Krizanovic S. 86, 87: Herbert-Quandt-Stiftung Übersetzung aus dem Englischen: Reinhard Kaiser aus dem Französischen: Dr. Holger Fliessbach © Herbert-Quandt-Stiftung September 2002 ISSN 1438 -7875 ISBN 3-00-009922-0