Sample - beim Reichert Verlag

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Sample - beim Reichert Verlag
Einleitung
a) Die Geschichte der Berliner Kameensammlung3
Die Sammlung der Gemmen und Kameen geht zurück auf
den ältesten Kunstbesitz der Brandenburgischen Kurfürsten.4 Allerdings liegt ihr Beginn im Dunkeln. Ob durch die
Wirren des Dreißigjährigen Krieges 1618–48 tatsächlich
– wie stets wiederholt – alle Kostbarkeiten der Kunstkammer verloren gingen, muss angesichts der großen Zahl heute
noch vorhandener Kameen aus der Zeit um 1600 bezweifelt
werden: Vier Serien von 45 kleinen Barock-Kameen meist
minderer Qualität in ähnlichen, nummerierten Silberfassungen (Nr. 458–462, 492–522, 559, 562, 590, 599–604 etc.)
und fast hundert winzige Kameen gleicher Größe lassen auf
ihre einstige Funktion als Dekor von Geräten oder Gefäßen
schließen.5 Vielleicht „verbergen“ sie sich im frühesten erhaltenen Verzeichnis der Kunstsachen, das 1603 unter Kurfürst
Joachim Friedrich (reg. 1598–1608) angelegt wurde: als Besatz der vielen Pokale, Becher oder Kästchen in Silber mit
Edelsteinen, die aus dem Besitz seiner verstorbenen Frau Katharina von Küstrin (1559–1602) stammten, oder von den
über zweihundert vergoldeten Bechern, den vielen Kannen
oder Schalen aus Silber in der „Kunst Cammer“.6 In Schloss
Oranienburg nördlich von Berlin, der ersten nach dem Drei3
4
5
6
S. dazu „Anhang A: Inventare zu den Kameen in chronologischer
Abfolge 1649–2011“. Grundlegend: Heres 1977, 93–130 Taf.
21–28. Furtwängler 1896 unterliefen in seinem erst in München
verfassten Vorwort S. V–XI einige Irrtümer zur Geschichte der
Sammlung, Daten und Anzahl von Stücken betreffend, s.u.
Zur Kurbrandenburgischen Kunstkammer s. L. v. Ledebur, Allgemeines Archiv für die Geschichtskunde des Preußischen Staates,
Bd. 6, 1831, 6ff. „I. Geschichte der Königlichen Kunstkammer
in Berlin“, 10: Verlust des Inventariums von 1626; J. Friedländer, Die Königlichen Kunst- und Altertums-Sammlungen bis zum
Jahre 1830. In: Zur Geschichte der Königlichen Museen in Berlin.
Festschrift zur Feier ihres Fünfzigjährigen Bestehens am 3. August
1880 (Berlin 1880); O. Reichl, Zur Geschichte der ehemaligen
Berliner Kunstkammer, in: Jb der Preußischen Kunstsammlungen
51, 1930, 223–249; B. Segelken, Bilder des Staates: Kammer, Kasten und Tafel als Visualisierungen (Berlin 2010) 111 Anm. 6.
S. Anhang A, Inventar Nr. 26, 1885 (S-Inventar), S. 651: „dazu
noch 249 Cameen, zum groeßten Teil zur Verzierung von Kleidern,
Saetteln, Geraeten verwandt.“
GStA PK, I. HA 1, Rep. 9 Allg. Verw. Nr. D 2 Fasz. 1: Acta de 1603
= 1770 die Kunst Cammer betreffend. Verzeichnisse der Kunstsachen.
Fol. 1–11v: „Verzeichniß was nach der Churfürstin Catharina geborene Markgräfin zu Brandenburg sehligen Absterbens hochlöblichen
Gedenkens in J. Schatz- und Kunstkammer gefunden worden, 20.
July 1603“; fol. 13–43v: Inventarium aus der Kunstkammer des 8.
und 9. Novembris 1605, [beendet] 25. July 1606“. Siehe Anhang:
Archivalien zur Kurbrandenburgischen Kunstkammer B 1.1.
ßigjährigen Krieg ab 1651 erbauten Residenz, bezeugt das
Inventar von 1699 viele goldene Becher, Pokale, Kannen,
Teller oder Kästchen besetzt mit Edelsteinen, darunter „Ein
gülden Becher gantz voller Antiquen“.7 Im dortigen Inventar
von 1743, das auf dem des Jahres 1709 basiert, werden derart kostbare Gefäße bei den Objekten aufgeführt, die unter
Friedrich II. (reg. 1740–86) in die Schlösser von Berlin und
Charlottenburg abgeliefert werden mussten.8 Die vermuteten Träger von Barock-Kameen tauchen in späteren Inventaren nicht mehr auf. Vielleicht wurden sie eingeschmolzen,
wie dies für den wertvollen Deckelbecher von Ottmar Ellinger d.J. (1666–1735) bezeugt ist, den Katherina d.Gr. (reg.
1762–96) 1785 zerstören ließ, um die etwa 220 Kameen und
Intaglien nach Sujets in ihre Sammlung einordnen zu können.9 Eine Bemerkung im Inventaire von 1806, verfasst für
den Abtransport der napoleonischen Kriegsbeute nach Paris
(s.u.), stützt diese These: „Les 34 pieces ont été toutes detachées
d’un grand Necessaire travaillé dans le 15me siècle.“10 Und im
Inventar von 1816, nach der Rückführung der Kunstwerke
aus Paris, findet sich die Vermutung: „Der große König [Friedrich II.] soll auch bisweilen antike Kameen in goldenen Tabatieren haben fassen lassen.“11
Friedrich Wilhelm (1620–88), der als Begründer der
Kurbrandenburgischen Kunstkammer gilt, konnte diese also
schon auf einem reichen Besitz ausbauen. Er hatte seine Ju  7 Schloss Oranienburg. Ein Inventar aus dem Jahre 1743, hrsg. von
C. Sommer et al. (Potsdam 2001) 59f., 223ff. Anhang: Transkription des Inventars von 1699, 243 p. 109 „Ein schwartzer Marschalstab mit unterschiedlicher Art Edelgesteinen versetzet an beyden
Enden und in der Mitten.“, 243 p. 113 „Von Agatenen Sachen“
[aus Idar-Oberstein], 244 p. 114 „Ein Kästchen mit allerhand steinen besetzt“, 246–248 p. 129–136: Gefäße aus Achat, Jaspis und
Chalcedon, 248 p. 137, 249 p. 139: „Ein Becher mit einem Deckel, besetzt mit Antiquen auf drey agatene Knöpfe“, 255 p. 189. –
Den Hinweis auf diese Publikation verdanke ich Burkhardt Göres.
  8 Schloss Oranienburg (s. Anm. 6), 8ff., 119ff. „Inventarium über
Die Königl. Meublen, so sich auf dem Schlosse zu Oranienburg
Anno 1743 befunden, verfertiget von Wegeli“, 209ff., 217 p. 490:
„1 [goldener] Becher mit alten Steinen besetzet“, 218 p. 505 „An
Agatenen Sachen und Jaspis“, 219 p. 513 „1 Kanne mit allerhand
Steinen besetzet“.
  9 Kagan 1996, 236 Anm. 32; J. Hein, Kameengefäße der Neuzeit in
Schloss Rosenborg, in: Mythos und Macht 2008, 69 Anm. 2 (Lit.)
Abb. 1.
10 Inventaire des Objects d’Art et de Curiosité enlevés du Palais du Roi de
Prusse à Berlin, par ordre de Sà Majesté l’Empereur, pour être transporté à Paris. GStA PK Berlin, I. HA Rep. 89 Geh. Zivilkabinett
Nr. 20028, fol. 5 v. Nr. 6, s. dazu unten 14f. und Anm. 51 und
Anhang Archivalien B 1.4.
11 Antikensammlung, Inv. 5, fol. 49.
12
Einleitung
gend am Niederrhein in Kleve – seit 1614 brandenburgische
Residenzstadt – und in den Niederlanden verbracht; dort
entwickelte sich sein Interesse an der Antike. Als er 1640
Markgraf von Brandenburg wurde, residierte er anfangs in
Kleve. 1642 erwarb er die Sammlung rheinischer Funde
seines von dort stammenden Geheimen Staatsrats Erasmus
Seidel (1594–1655), die wohl auch den Großteil im ersten,
1649 angelegten Verzeichnis seines Kunstbesitzes Numismata
Antiqua mit etwa 4.900 Objekten, meist Münzen, ausmachte.12 Unter den „Aliaque veneranda Antiquitatis monumenta“
ist die Anzahl von 67 Gemmen aus verschiedenen Edelsteinen genannt, teils in Ringen gefasst. „Figuras habent excisas
paucas, incisas vero plurimas“: Von diesen wenigen und nicht
näher bezeichneten Kameen wird nur einer in einem Goldring als herausragend beschrieben, „qui literas graecas habet
excisas“, gut identifizierbar als der Kameo mit dem griechisch
geschriebenen Namen „Vibiana“ (Nr. 80).
1672 verfasste Heinrich Christian von Heimbach, seit
1663 der „Antiquarius“ in den Diensten von Friedrich Wilhelm, zu den damals in den Privaträumen des Kurfürsten
im Spreeflügel des Berliner Schlosses aufgestellten Antiken
das Cimeliarchium Brandenburgicum (Inv. 1).13 Die meisten
der „imagines, statuas, simulacra, signa, gemmas, numismata
Graeca, Romana“ stammten laut Titelblatt aus der Römerstadt Xanten bei Kleve. Unter den 110 beschriebenen Gemmen einschließlich 36 Fingerringen waren nur drei Kameen
(„excisa“); neben dem bereits 1649 in Numismata Antiqua
genannten antiken Goldring auch die beiden anderen mit
einiger Wahrscheinlichkeit identifizierbar (Nr. 592 u. 664).14
Weitere Kameen werden erst in dem am 12. Mai 1688, drei
Tage nach dem Tod des Großen Kurfürsten, von Lorenz Beger begonnenen Verzeichnis des Bestandes und der Neuzugänge für die Antiquitet- und Rariteten-Cammer ab Februar
1692 aufgeführt, so am 4. Juni 1695 der Herakles-ZerberusKameo des Dioskurides (Nr. 25) oder am 27. Juli 1695 der
12 K. Levezow, Über die Königlich Preußischen Sammlungen der
Denkmäler alter Kunst, in: C.A. Böttiger, Amalthea oder Museum der Kunstmythologie und bildlichen Alterthumskunde, Bd. 2,
1822, 339ff., 346, 380–81; v. Ledebur a.O. 12f., 16; J. Friedländer
und A. v. Sallet, Das Königliche Münzkabinett (2. Aufl. Berlin
1877) 2 vermuteten Erasmus Seidel auch als Autor; E. ZwierleinDiehl, Antike Gemmen in deutschen Sammlungen, Bd. II Berlin
(1969) 9; Heres 1977, 95 Anm. 10; Gröschel 1979, 52–66; H.D. Schulze, in: Der Große Kurfürst. Sammler, Bauherr, Mäzen.
Ausstellung Neues Palais in Sanssouci (Potsdam 1988) 73ff. Anm.
3 Kat. III.72; Weber 1996, 145–148; Zwierlein-Diehl 2007, 271;
Ch. Theuerkauff, In „Gold“ gefasst – Glaspasten nach antiken
Gemmen und barocken Medaillen – ein Pokal der Zeit Friedrichs
I. von Preußen. In: Jahrbuch BerlMus N.F., 50, 2008, 107–153.
13 Heres 1977, 96f. Zu den Gemmen aus Xanten bei Kleve, s.: G.
Platz-Horster, in: Xantener Berichte 15, 2009, 127 Anm. 3.
14 Das Vorwort zu Inv. 1, fol. 46 nennt nur 100 Gemmen und 36
Ringe, s. Anhang A. Inventare 1672.
achtlagige Sardonyx-Kameo „Alex. M. u. Olympias in Onyx“
(Nr. 31).15
Lorenz Beger (1653–1705), seit 1675 Hofbibliothekar in Heidelberg, hatte 1685 die Antiken des pfälzischen
Kurfürsten Karl II. im Thesaurus Palatinus vorgelegt. Nach
dem Tod des kinderlosen Kurfürsten wurde sein Kunstbesitz aufgeteilt, die ca. 12.000 Münzen fielen an den Großen
Kurfürsten Friedrich Wilhelm. Beger brachte ihm diese 1686
persönlich nach Kleve und trat in seinen Dienst.16 Kurfürst
Friedrich III. (reg. 1688, ab 1701 König Friedrich I. in Preußen), Nachfolger des Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm,
beauftragte Beger sofort mit einer Bestandsaufnahme der
Kunstkammer und ernannte ihn 1693 zum „Consiliarius ab
Antiquitatibus et Bibliotheca“. 1696 publizierte Beger den 1.
Band des prächtigen Thesaurus Brandenburgicus Selectus, gewidmet dem König: “Serenissime et Potentissime Princeps Elector, Domine Clementissime”, „Tu invictus Heros! Tu Musarum
Columen!“ Zwei weitere Bände folgten 1698 und 1701. Der
auf fast 1.500 Seiten ausgebreitete, lateinisch verfasste Text
ist als fortgesetzter Dialog zwischen zwei fiktiven Gelehrten
– dem in die „Metropolis“ Berlin gereisten Archaeophilus und
dem Kustos der Sammlung Dulodorus formuliert: der Initiator und Förderer der Publikation, der pfälzische Gelehrte
und Diplomat Ezechiel Spanheim (1629–1710), sowie der
Autor selbst. Alle diskutierten Objekte sind mit Kupferstichen u.a. von Samuel Blesendorf, von Begers Neffen und
Nachfolger Johann Carl Schott sowie einige von Beger selbst
illustriert.17 In der Einführung zu den Gemmen des 1. Bandes „Sive Gemmarum, et Numismatum Graecorum“ betonte
Beger deren Voranstellung: „inter omnes Antiquitatis reliquias
principem locum sibi vendicant Gemmae“. [Die Gemmen beanspruchen unter allen Hinterlassenschaften des Altertums
für sich die erste Stelle.] Die Κειμήλια oder Gazae sind ikonographisch geordnet, beginnend mit dem damals an einem
Goldpokal befestigten großen Ceres-Kameo (Nr. 55).
Neben den 158 vertieft geschnittenen Gemmen („incisas“)
– einige in antiken Ringen gefasst – erörterte Beger im 1.
Band des Thesaurus 60 Kameen („excisas“); von diesen waren
zweihundert Jahre später bei Adolf Furtwängler nur noch 29
vorhanden. Im 2. Band „Sive Numismatum Romanorum“ von
1698 setzte Beger die Abhandlung mit den römischen Mün15 Dieses Verzeichnis des kurfürstlichen Antikenbesitzes von 1688
führte ab November 1702 sein Neffe und späterer Nachfolger im
Amt, Johann Carl Schott, fort. Am Rande finden sich Verweise
auf das ab 1703 von Lorenz Beger angelegte erste „Verzeichniss der
geschnittenen Steine“, s. unten.
16 Heres 1977, 97–100; Gröschel 1981, 96f.; S.-G. Gröschel, Lorenz
Beger. In: R. Lullies u. W. Schiering (Hrsg.), Archäologenbildnisse. Porträts und Kurzbiographien von Klassischen Archäologen
deutscher Sprache (Mainz 1988) 1–2 mit früherer Lit.; V. Heenes,
Biographie und Bibliographie zu Lorenz Beger. In: H. Wrede u.
M. Kunze (Hrsg.), 300 Jahre „Thesaurus Brandenburgicus“. Archäologie, Antikensammlung und antikisierende Residenzausstattung im Barock (München 2006) 83–95.
17 Ausführlich dazu: Heres 1977, 99.
Die Geschichte der Berliner Kameensammlung
zen fort. Der 3. Band „Continens Antiquorum Numismatum
et Gemmarum“– nun Friedrich III. als dem frisch selbst zum
König gekrönten Friedrich I. gewidmet – erschien 1701 als
Supplement, besonders für die 1696 aus der Sammlung Bellori in Rom erworbenen und 1698 in Berlin eingetroffenen
Antiken.18 Hier sind neben 11 Gemmen auch 7 Kameen abgedruckt, von denen Furtwängler noch 4 vorfand. Insgesamt
hatte Beger also 169 Gemmen und 67 Kameen publiziert;
von letzteren kamen 20 im Jahre 1815 nicht aus Paris zurück;
Furtwängler fand 1896 noch 33 vor, 10 von diesen sind wiederum seit 1945 Kriegsverluste (s. Konkordanz C 1). In Anbetracht des heutigen Bestandes, der – besonders im Bereich
der 500 neuzeitlichen Kameen – großenteils bereits in der
barocken Sammlung der Kunstkammer vorhanden war, wird
die gezielte, wegen der minderen Qualität vieler dieser Kameen verständliche Auswahl klar, die Beger für den Thesaurus
Brandenburgicus selectus getroffen hatte, wohl auch in der Absicht, seine große literarische und sprachliche Gelehrsamkeit
an ungewöhnlichen Themen exemplifizieren zu können. Begers Monumentalwerk bedeutet nicht nur einen Meilenstein
in der Wissenschaftsgeschichte; es ist auch von unschätzbarem Wert für den Nachweis der wichtigsten damals vorhandenen Kunstwerke und bietet zugleich durch die getreuen
Kupferstiche einen festen Anhalt für die Unterscheidung von
antiken und barocken Kameen vor dem Klassizismus.
Im September 1698 hat Lorenz Beger – zusammen mit
seinem Mentor Spanheim – den Wert der zum Kauf angebotenen Gemmensammlung des Juristen und Hofrats Johann
Gebhard Rabener (1632–1701) geschätzt und zum Erwerb
vorgeschlagen. Seine Liste umfasst 155 Stücke, darunter 11
Kameen, von denen wegen der unspezifischen Beschreibungen nur einer sicher zu identifizieren ist (Nr. 658). Der Ankauf wurde am 5. Jan. 1699 genehmigt.19
Im Zuge des Umbaus des Berliner Stadtschlosses durch den
Hofbaumeister Andreas Schlüter erhielt das Antikenkabinett
neue, seiner wachsenden Bedeutung angemessene Räume im
vierten Stock zwischen Rittersaal und Kapelle. Die Überführung der Sammlung fand am 3. August 1703 statt; dort blieb
sie – mit einem Intermezzo unter Friedrich II. – dann bis zu
ihrem Umzug in das erste öffentliche Museum am Lustgarten 1830.20 Lorenz Beger, als „Erster Kunstkämmerer“ für die
Einrichtung des neuen Domizils verantwortlich, begann im
selben Jahr ein erstes „Verzeichniß der geschnittenen Steine“ in
zehn „Tafeln“ (Inv. 2): Die ersten zwei Tafeln sowie jeweils
der 1. Teil der 3. und 4. Tafel enthalten „erhaben“ oder „auswärts“ geschnittene Steine. Der Begriff „Tafel“ bezieht sich
auf das für die Sichtung der Kunstkammer-Bestände 1688
18 L’Idea del Bello. Viaggio per Roma nel Seicento con Giovan Pietro
Bellori, ed. A. Gramiccia u. F. Piantoni (Roma 2000) II 499–522
(G. Heres).
19 Acta de 1603 = 1770 die Kunst Cammer betreffend (s.o. Anm. 6),
fol. 229–232 (s. Anhang Archivalien B 1.1).
20 Heres 1977, 101–106; G. Heres, Der Neuaufbau des Berliner Antikenkabinetts im Jahre 1703. In: H. Beck u.a. (Hrsg.), Antikensammlungen im 18. Jahrhundert (Berlin 1981) 187–198.
13
eingeführte Ordnungssystem21, nicht auf die Präsentation
der Edelsteine in den „Gazophylaciis“, den im dritten – den
Historica gewidmeten – Raum aufgestellten neuen Münzund Gemmenschränken des Antikenkabinetts von Gérard
Dagly.22 Weder die Anordnung noch die Beschreibung der
insgesamt 75 Kameen und 306 Gemmen, 4 Steinringe, 17
Goldringe, 12 Silberringe, 17 Eisenringe sowie 16 kleinen
Objekte aus Gold und Silber in diesem Verzeichnis von 1703
decken sich mit derjenigen im Thesaurus, dessen Überschriften Beger lediglich hätte übernehmen müssen. So lassen sich
nur 23 der 67 im Thesaurus bereits abgebildeten Kameen in
diesem kurz darauf angelegten Verzeichnis sicher identifizieren. Heute sind von den insgesamt 75 Kameen im Verzeichnis 1703 nur 32 (davon 3 Verluste) recht sicher nachweisbar (s. Konkordanz C 2), weil z.B. „Caput Palladis Galeatu.
Cameo“ oder „Caput laureatu klein, weiß“ auf ganze Serien
zuträfe. Diese Diskrepanz zwischen dem verzeichneten und
dem tatsächlichen Bestand beschäftigte alle späteren Kustoden der Sammlung. Bei vielen Stücken ist die Beschreibung
zu allgemein, andere – besonders in Gold gefasste oder solche aus kostbarem Material wie Saphir, Amethyst und Hyazinth – scheinen später verschwunden zu sein. Neben Begers
Handschrift findet sich die seines Neffen Johann Carl Schott
(1672–1717), der ihm 1704 im Amt folgte und dort 12 Jahre lang blieb.23 Er verfasste um 1705 eine Beschreibung des
Berliner Antikenkabinetts in deutscher Sprache, die leider
vor der Abhandlung zu Münzen und Edelsteinen abbricht.24
Schott hat Ergänzungen und Nachträge in das Inventar von
1703 eingefügt, das er sicher bis zum Tode von Friedrich I.
am 25. Februar 1713 fortführte, als er die letzte Erwerbung
des Königs, den größten Kameo der Sammlung (Nr. 57),
eintrug: „Ist in vergüldet Silber gefasst, und ein Stück von unschätzbahrem Werth. War das letzte Stück so Se Königle Majst.
Friedrich der Erste Glorwürdigsten Andenkens zu dero Cabinet
angeschaffet und gekaufet haben.“
21 S. B. Segelken, Bilder des Staates: Kammer, Kasten und Tafel als
Visualisierungen (Berlin 2010) 112ff.
22 Der einzig erhaltene dieser Schränke steht im Kunstgewerbemuseum Schloss Köpenick, Staatliche Museen zu Berlin, Inv. 1965/17;
seine je 48 Schubladen in 3 Abteilungen dienten der Aufbewahrung von Münzen, mit 1,5 cm Höhe wären sie für die Kameen
zu flach gewesen; s. dazu unten 12 Anm. 35. Heres 1977, 100
Taf. 27,3; Heres 1981 (Anm. 20), 189 Abb. 6; Chr. Fischer, Ein
Münzschrank mit Lackfassung in japanischer Manier von Gerard
Dagly, in: Restauro 112, 1.2006, 38–47.
23 Heres 1977, 98, 105.
24 G. Heres, Johann Carl Schotts Beschreibung des Berliner Antikenkabinetts, in: FuB 26, 1987, 7–28: Manuskript im Nachlass
von Johann C. C. Oelrichs (1722–1798), Handschriftenabteilung
der Staatsbibliothek Berlin, Kasten 86 Nr. 739; G. Heres, Anfänge
archäologischer Fragestellung in Johann Carl Schotts ungedruckter Beschreibung des Berliner Antikenkabinetts, in: FuB 27, 1989,
239–241; H. Wrede, Kultursystematik und Herrscherlob in der
Berliner Antikensammlung Friedrichs III./I., in: Athene. Blätter
der Deutsch-Griechischen Gesellschaft Berlin 7, 2002 Heft 2,
16–33.
14
Einleitung
Der „Soldatenkönig“ Friedrich Wilhelm I. (* 1688, reg.
1713–40) setzte andere Prioritäten als Erwerbungen für die
Kunstkammer; im Gegenteil ließ er z.B. 319 der größten
Goldmedaillen zur Sanierung der Staatsfinanzen einschmelzen und schenkte August dem Starken nach Dresden eine
Reihe bedeutender Skulpturen u.a. aus der Sammlung Bellori.25
Friedrich II. „der Große“ (* 1712, reg. 1740–86), der
als Kronprinz den Niedergang von Kunst und Wissenschaft
in Preußen beklagt hatte, erwarb bedeutende Sammlungen
und berühmte Einzelobjekte wie etwa 1747 den „Betenden
Knaben“.26 Da er das Stadtschloss mied, ließ er die Potsdamer
Schlösser, besonders Sanssouci, mit den Kunstwerken ausstatten. Im Jahr 1764 kaufte er die bedeutendste in Privatbesitz
befindliche Gemmensammlung des in Florenz verstorbenen
Barons Philipp von Stosch (1691–1757), bestens empfohlen durch Johann Joachim Winckelmanns 1760 erschienene Description des pierres gravées du feu Baron Stosch.27 Mit
dieser Erwerbung von 3.444 Gemmen zumeist etruskischer
und römischer Zeit von teilweise außerordentlicher Qualität, zu der sich Friedrich II. offenbar auch in Konkurrenz
zu der vom „Gemmenfieber“ ergriffenen Zarin Katherina
(s.o.) entschloss, stieg die königliche Sammlung in die erste
Reihe europäischer Gemmenkabinette auf; allerdings befand
sich darunter kein einziger Kameo.28 Hingegen kamen aus
der Sammlung „des holländischen Grafen Odam“ speziell nur
Kameen hinzu.29 Über sie gibt es weder ein Verzeichnis, noch
25 Heres 1977, 105–106.
26 Heres 1977, 107–112.
27 P. u. H. Zazoff, Gemmensammler und Gemmenforscher: Von
einer noblen Passion zur Wissenschaft (München 1983) 3–34;
Zwierlein-Diehl 2007, 274; J. Lang, Netzwerke von Gelehrten:
Eine Skizze antiquarischer Interaktion am Beispiel des Philipp
von Stosch (1691–1757), in: J. Broch – M. Rassiller – D. Scholl
(Hrsg.), Netzwerke der Moderne. Erkundungen und Strategien.
FORUM – Studien zur Moderneforschung 3 (Würzburg 2007)
203–226; D. Connell, William Dugood and the Farnese Numismatic and Glyptic Collections, in: Annali dell’Istituto Italiano di
Numismatica 55, 2009, 231–255 Taf. XX–XXIV.
28 S. Furtwängler 1896, 358–366: „Vergleichende Tabelle der Nummern der alten Verzeichnisse mit dem neuen. I. Winckelmann“.
Der von Toelken unter NB erwähnte Glaskameo Winckelmann,
Descr. I Nr. 126 ist ein neuzeitlicher Abguss nach einem Kameo in
Rom.
29 K. Levezow, Über die Königlich Preußischen Sammlungen der
Denkmäler alter Kunst, in: C.A. Böttiger, Amalthea, Bd. 2, 1822,
345f.: „Aber auch die schon vorhandene kleine Gemmensammlung
wurde durch den Ankauf der so zahlreichen als weltberühmten Stoschischen Sammlung zu Florenz; ferner der Kameen des Grafen Odam
in Holland, … höchst ansehnlich bereichert.“ – In den Schatullenrechnungen für König Friedrich II. von Preußen, GStA PK, BPH
Rep. 47 ist weder in Nr. 913 für 1764 die Erwerbung der Sammlung Stosch vermerkt noch in Nr. 918 für 1769 die Erwerbung
der Sammlung Opdam zu finden, s. www.gsta.spk-berlin.de: „Bestände, Nachlässe & Sammlungen, Inventare außerhalb der Datenbank“. Die Quittungen über das sog. „Rote Schatullen-Geld“
Rep. 47 G No. 5 für die Jahre 1757–1764 und No. 6 für die Jahre
ist die Identität des Grafen irgendwo erklärt. E.H. Toelken
klagte 1816 bei der Bestandsaufnahme der aus Paris restituierten Kunstwerke (Inv. 5, Teil F), es sei „unmöglich gewesen,
über diese Sammlung das mindeste aufzufinden.“ Vermutlich
stammen die Kameen aus der 1769 in Amsterdam versteigerten Sammlung des holländischen Regenten und berühmten Sammlers Johan Hendrik Graf van Wassenaer-Opdam
(1683–1745), der 1727 von den Erben des Sammlers Hendrik Adriaan van de Marck dessen Sammlung von 117 Kameen und 143 Gemmen für 4.300 Gulden gekauft hatte.30 183
dieser Stücke zeichnete der renommierte Maler Willem van
Mieris (1662–1747).31 Nach Johan Hendriks Tod erbte sein
jüngerer Bruder, Reichsgraf Unico Wilhelm van WassenaerOpdam (1692–1766), auch einen Teil der umfangreichen
Kunstsammlung, darunter die Gemmen und Kameen. Der
kunstsinnige und weitgereiste Graf war 1714 in Italien und
hatte später als Diplomat wie Komponist vielleicht Kontakte
zu Friedrich II. Nach dem Tod seiner Witwe, Dodonea Lucia
van Goslinga (1702–1769), wurden am 25. Oktober 1769 in
Amsterdam 350 Kameen und Gemmen aus dem alten Besitz
des Johan Hendrik van Wassenaer-Opdam versteigert.32 Es
1764–1769 sind am 20. Nov. 1943 im Schloss Charlottenburg
verbrannt; die erhaltenen Abrechnungen Rep. 47 Nr. 941 betreffen
hauptsächlich Tabatieren. – Ich danke Ralf Zimmer für Hinweise.
30 Ich danke Aafke Brunt, Huisarchief Kasteel Twickel, Delden NL,
für ihre kenntnisreiche Hilfe. Eine Abschrift der Liste mit 260
Kameen und Gemmen „Specificatie van de gesteentes gelegen hebbende inde lessenaar boven in het eeken cabinettie en sedert vercoft
aan sijn hoog. Ede der grave van Obdam“, angefertigt von L.J. van
der Klooster, befindet sich im dortigen Archiv, das Original liegt
im Gemeente Archief Haarlem (Sign. NA 819 Inv. 60). Die Liste
umfasst 77 Stücke mehr als die 183 Zeichnungen von Willem van
Mieris, s. folg. Anm. – Ein Teil der Sammlung von Johan Hendrik van Wassenaer wurde bereits 1750 in Den Haag versteigert:
Catalogus statuarum, hermarum, capitum, figurarum, lucernarum,
vasorum, untensilium &c. Ex Aere, Marmore, aliaque Materia confectorum, maximam partem antiquorum, Ac nonnullorum Recentioris Aevi secundum Originalia Antiqua factorum, quae illustrissimus
Comes de [Johan Hendrik van] Wassenaer summo studio collegit, et
publice pluris licitantibus distrahentur in aedibus illustrissimi defuncti, Die Lunae 17. Augusti 1750, Hagae Comitum. Bei dieser Auktion ließ der Landgraf Wilhelm VIII. von Hessen-Kassel (1730–60)
durch den Rat J. Arckenholtz insgesamt 101 Objekte ersteigern,
darunter 16 Skulpturen, s.: P. Gercke u. N. Zimmermann-Elseify,
Antike Steinskulpturen und Neuzeitliche Nachbildungen in Kassel. Bestandskatalog (Kassel/Mainz 2007) 11 Anm. 7.
31 „Pierres gravées du cabinet du Comte de Wassenaer seigneur d’Opdam
etc., désignées par Guillaume van Mieris. Le vent en a été faite à
Amsterdam en Oct. 1769“. Der Katalog in Gold geprägtem, braunrotem Ledereinband (20,5 x 16,5. x 3,7 cm) in Schloss Twickel,
Delden, umfasst ungewöhnlich feine Zeichnungen des Willem
van Mieris von 183 Gemmen und Kameen, seitlich oft der Umriss
des Stücks in Originalgröße, teils mit Bemerkungen zum Sujet.
32 „Catalogue du celebre & très renommé Cabinet des Curiosités Precieuses et de Raretés, … Une riche Collection de Pierres Precieuses
Antiques, … Le tout rassemblé avec grande Connaissance & gout en
plusieurs années, & delaissé par feu Messire Jean Henri, Comte &
Seigneur Banneret de Wassenaar, & Sluidwyk, Seigneur d’Obdam,
Die Geschichte der Berliner Kameensammlung
15
Abb. 1: Tüllmann-Schrank für Münzen und Gemmen. Jagdzimmer im Neuen Palais Potsdam. Stiftung Preußische Schlösser und Gärten.
ist leider unbekannt, wie viele Stücke für Berlin erworben
wurden; anhand der Zeichnungen und Beschreibungen lassen sich nur 8 Kameen mit einiger Sicherheit identifizieren,
darunter der ausführlich beschriebene, wohl von Alessandro
Masnago in Mailand um 1600 gravierte große Kameo mit
Proserpina in der Unterwelt (Nr. 381).
Die Berliner Gemmen und Kameen wanderten – mit vielen Kunstwerken aus dem zunehmend vernachlässigten An… Lequel sera vendu en public Mercredi, le 25 Octobre 1769, &
jours suivans, à Amsterdam, chez A. Dankmeyer, au Vieux Heere
Logement“. Ich danke Marlies van Toor-van Boeckel, Rijksbureau voor Kunsthistorische Documentatie, Library, für die großzügige Übersendung von Kopien der entsprechenden Seiten aus
dem Auktionskatalog. – Zur Sammlungsgeschichte s. L.J. van der
Klooster, Unico Wilhelm van Wassenaer in zijn culturele milieu, in: R. Rasch u. K. Vlaardingerbroek (Hrsg.), Unico Wilhelm
van Wassenaer 1692–1766, Componist en staatsman. Centrum
Nederlandse Muziek (Zutphen 1993) 96–97, 318 Anm. 19; H.M.
Brokken (Hrsg.), Heren van stand. Van Wassenaer 1200–2000.
Achthonderd jaar Nederlandse adelsgeschiedenis (Zoetermeer s.a.
[2001]) 161–175. Diese ausführlichen Informationen verdanke
ich J. van den Borne, Hoge Raad van Adel, Den Haag, NL.
tikenkabinett im Stadtschloss – in den 1770 vollendeten, für
Besucher nur schwer zugänglichen Antikentempel im Potsdamer Park beim Neuen Palais.33 Über ihre Unterbringung
gibt das auf königlichen Befehl vom 18. Okt. 1784 angelegte
Inventarium von sämmtlichen Tapezereien, Pretiosen, Tableaux,
Mobiliar-Sachen [etc.] detailliert Auskunft.34 Nach dem Eingang mit Statuen, Büsten und Reliefs betrat man das „Museo
oder sogenannte Müntz-Cabinet“, in dem vier „Spinde“ aus
Zedernholz standen, reich mit vergoldeten Bronzebeschlägen
verziert, je mit vier verschließbaren Türen und zwei großen
Schubladen darunter. Im ersten Schrank links hinter der Tür,
mit 32 Schubladen im oberen und 30 Schubladen im unteren Teil, befanden sich die Gemmen und Kameen, und zwar
in 12 Schubladen die in Goldringe gefassten und in weiteren 31 Schubladen die in Silberringe gefassten Gemmen der
33 Zum Antikentempel in Potsdam s. Vogtherr 1997, 27, 56, 58,
166.
34 Stiftung Schlösser und Gärten Potsdam, Neues Palais, Graphische
Sammlung, Hist. Inventare Nr. 398, fol. 63–67 „Antiquen Tempel“, s. Anhang Archivalien B 3. – Ich danke Henriette Graf und
Claudia Sommer für Hinweis, kollegiale Hilfe und Korrekturen.
16
Einleitung
Abb. 2: Einer der Tüllmann-Schränke in Potsdam (s. Abb. 1) von
innen mit Leisten für höhere Schubladen.
Sammlung Philipp von Stosch, also in 43 Schubladen laut
dem „summarischen Verzeichnis des Hofrath [Friedrich Wilhelm] Stosch“ (s.u.) insgesamt 3.444 Stück; in der linken großen Schublade darunter lag Winckelmanns „Description des
piérres gravées“. Danach werden aufgelistet: „an Cameen und
Gemmen in Kästgen mit blauem sammtern Dekor ausgeschlagen
und mit Füllungen worein jedes Stück eingefasst worden“, in 20
Schubladen insgesamt 925 Stück, zu denen kein Verzeichnis vorhanden war. In der großen Schublade rechts unten
lag eine „ordinaire Schachtel worein in Baumwolle ein oval
geschnittener Onyx mit Bronze Einfassung, nebst einem Gypsabguß davon“, offenbar der große Hadrian-Kameo (Nr. 57),
sowie ein summarisches Verzeichnis der Ringe. Die Zahlen
sowohl der Stücke wie der Schubladen decken sich mit denen, die Jean Henry fünfzehn Jahre später für die Übernahme nach Berlin quittierte (s.u.). Folglich gingen diese vier
Schränke auf fünf geschwungenen Beinen, mit vier seitlichen
Griffen für den Transport, von „dem englischen Tischler Tüllmann“ angefertigt, offenbar 1798 ebenfalls mit ins Berliner
Stadtschloss; 2 ½ von ihnen befinden sich heute im Neuen
Palais Potsdam (Abb. 1).35 In einem Schrank hat sich ein Teil
35 Den Hinweis verdanke ich Burkhardt Göres. Henriette Graf war so
freundlich, mit mir die 2 ½ im Neuen Palais Potsdam erhaltenen
Schränke anzuschauen und auszumessen. Die beiden kompletten
der vermutlich ursprünglichen Inneneinrichtung aus eingesetzten, mit Messingprofilen im Wasserblatt-Dekor verzierten Kästen und breiten Laufleisten für je acht ca. 4 cm hohe
Schubladen erhalten (Abb. 2). In den anderen Abteilungen
und auch in den beiden übrigen Schränken finden sich je
20 Leisten für lediglich 2 cm hohe Schubladen, vermutlich
für die spätere Nutzung aller Schränke zur Aufbewahrung
der Münzen. Einst müssen – laut Inventar von 1784 – im
oberen Teil des Gemmenschrankes derartige Kästen für je
acht, also insgesamt 32 Schubladen, und im unteren Teil
für insgesamt 30 Schubladen zur Unterbringung etwa von
größeren Kameen in eigenen Schachteln eingeschoben gewesen sein. Die drei weiteren im Antikentempel aufgestellten Schränke für die Münzen hatten laut Inventar auch im
unteren Teil einst 32 Schubladen. Zwischen dem Gemmenschrank und den Münzschränken stand im Antikentempel
noch ein Schränkchen aus Nussbaumholz mit 16 Schüben
für die „Dactyliothec“ des Philipp Daniel Lippert (1702–85)
sowie eine weitere Abguss-Sammlung von Gemmen in 50
stapelbaren Holzkästchen; beide Daktyliotheken sind in der
Antikensammlung Berlin erhalten.
Mit dem Hofrat Friedrich Wilhelm Stosch (nicht verwandt mit dem o.g. Florentiner Gemmensammler Baron
Philipp von Stosch) hatte Friedrich II. wieder einen Königlichen Bibliothekar und Direktor der Alterthums-Sammlung
bestallt (1765–94), der dann einen Catalogue des pierres
gravées du Cabinet Royal a Berlin (Inv. 3) verfasste. Er hielt
sich bei Beschreibung und Abfolge eng an Begers Thesaurus
Brandenburgicus und fügte in 10 „Classe“ und diversen Paragraphen weitere Stücke ein. Da er keine Provenienzen nennt,
klärt sein Katalog keine der obigen Fragen nach den Sammlungen Rabener oder „Odam“.
Weitere Kameen kamen durch die Markgräflich Brandenburg-Ansbachsche Sammlung nach Berlin. Wilhelmine von
Bayreuth (1709–58), die Tochter Friedrich Wilhelms I. und
ältere Schwester Friedrichs II., war 1731 mit dem Markgrafen Friedrich III. von Brandenburg-Bayreuth (1711–63) verheiratet worden. Das kunstsinnige Paar baute Bayreuth zum
„Musenhof“ aus und entwickelte sich zu klugen Sammlern.36
Auf einer ausgedehnten Italien-Reise 1754–55 begeisterte
Schränke (H 167 x B 159 x T 47 cm) stehen im Jagdzimmer des
Neuen Palais: Der an der Nordwand stehende (Inv. 4.6040) hat je
20 Leisten für nicht erhaltene Schubladen. Der zweite Schrank an
der Westwand (ohne Inv. Nr.) hat nur oben in den beiden mittleren Abteilungen die beschriebenen Einschubkästen mit je acht
breiten Leisten, Maße: außen H 43 x B 34,5 cm, innen H 39,6 x
B 31 x T 34,5 cm. Bei dem „Torso“ im Magazin (Inv. 5053) fehlt
der Oberteil. – Zwei der Tüllmann-Schränke, die später aus der
Kunstkammer (s.u.) ins Münzkabinett der Königlichen Museen
kamen, ließ Kaiser Friedrich III. 1888 zurück ins Schloss bringen,
s.: G. Seidel, Ein Gang durch die neue Kaiserliche Wohnung im
Berliner Schlosse, in: Preußische Jahrbücher 63, 1889, 385f.
36 P.O. Krückmann (Hrsg.), Paradies des Rokoko. Bd. I Das Bayreuth der Markgräfin Wilhelmine, Bd. II Galli Bibiena und der
Musenhof der Wilhelmine von Bayreuth (München 1998).
Die Geschichte der Berliner Kameensammlung
sich Wilhelmine für die Antike, erwarb bedeutende Skulpturen, besuchte in Florenz den berühmten Antiquar Antonio
Francesco Gori37 und bewunderte das Gemmenkabinett des
Barons Philipp von Stosch. Nach ihrem frühen Tod gingen
die größeren Objekte ihres Kunstbesitzes testamentarisch an
ihren Bruder Friedrich II. nach Berlin, während ihre Sammlung von Gemmen und Münzen nicht zum persönlichen Eigentum der Markgräfin gerechnet wurde und deshalb 1758
ihrem Mann zufiel.38 Markgraf Friedrich hatte selbst eine
Sammlung von Edelsteinen angelegt und Steinschneider wie
Johann Adam Hanf (1715–76) an seinem Hof gefördert (s.
Nr. 811, 818, 847–848). Nach Friedrichs Tod wurde am 25.
Mai 1763 ein „Inventarium über die in beyden Hochfürstl.en
Cabinets befindliche [!] Juwelen, Pretiosa, Meubles“ angelegt.39
Ohne männlichen Erben ging sein Besitz an seinen Onkel,
den nachfolgenden Markgrafen Friedrich Christian, nach
dessen Tod 1770 an den Hof von Ansbach. Die Überführung
der Bayreuth-Ansbacher Sammlung nach Berlin ordnete erst
1797 König Friedrich Wilhelm II. (reg. 1786–97) auf Drängen von Jean Henry an; in der Kunstkammer inventarisiert
wurde sie erst 1816 durch E.H. Toelken (s.u.).
Jean Henry (1761–1831), reformierter Prediger aus Potsdam, seit 24. Dezember 1794 „Aufseher über das Kunstund Naturalien-Cabinet“ in der Nachfolge des verstorbenen
Hofrats Stosch, plante 1795 die Instandsetzung des Antikenkabinetts im Berliner Schloss und die Rückführung der
Kunstwerke aus den Potsdamer Schlössern; zudem seien die
kostbaren, mit Edelsteinen geschmückten Kunstwerke in solchem Zustand, dass sie nur durch die Hand eines Künstlers
konserviert werden könnten.40 Unter Hinweis, dem König
müsse die vom Großen Kurfürsten gegründete Kunstkammer am Herzen liegen, verlangte er Mittel für die Neueinrichtung sowie für ein reguläres Gehalt.41
37 Wilhelmine von Bayreuth erwarb von Gori das schöne Fragment
eines großen Nil-Mosaiks aus dem Fortuna-Heiligtum von Prae­
neste, s.: Antikensammlung 2007, 124 Nr. 70. – Zu ihrer ItalienReise, s. Wilhelmine von Bayreuth, Tagebuch der Italienischen
Reise (1754–1755), übersetzt von O. Sauer (Bayreuth 2002); H.
Kammerer-Grothaus, ‚Voyage d’Italie‘ (1755): Markgräfin Wilhelmine von Bayreuth im Königreich Neapel, in: Schriften der
Winckelmann-Gesellschaft Stendal, Bd. XV, 1998.
38 G.A. Weber, Die Antikensammlung der Wilhelmine von Bayreuth. Schriften aus dem Institut für Kunstgeschichte 67 (München 1996) 18f.; ders., in: Krückmann 1998 a.O. Bd. II, 58–64,
186–188; Weber 1998, 194–198.
39 Identische Abschriften im Geheimen Staatsarchiv Preußischer
Kulturbesitz Berlin (BPH, Rep. 43 V K Nr. 5, Bl. 71–84) und
im Staatsarchiv Bamberg (GAB I A Vol. CXL b). Siehe Anhang:
Konkordanz C 3.
40 Ch. Steinbrucker, Jean Henry 1761–1831, in: Berliner Museen.
Berichte aus den Preuß. Kunstsamml. 43, 1922, 122–125; Heres
1977, 112–115; F.A. Dreier, in: Die Brandenburgisch-Preußische
Kunstkammer. Eine Auswahl aus den alten Beständen (Berlin
1981) 35.
41 Zentralarchiv, Staatliche Museen zu Berlin, KKM 1 Generalia Bd.
2, fol. 12 / 20 vom 27. Nov. 1795.
17
Friedrich Wilhelm III. (reg. 1797–1840) unterstellte
dann 1798 die bisher dem König zugeordnete Kunstkammer
wissenschaftlich und administrativ der Direktion der wiederbelebten Akademie der Wissenschaften; diese informierte Henry am 18. Mai d.J. über die neue Struktur: Er blieb
Oberaufseher für alle Sammlungen, jedoch wurden Fachleute zur Leitung der einzelnen Abteilungen berufen.42 Eine Kabinettsorder vom 9. Aug. 1798 genehmigte die Vereinigung
der königlichen Münz- und Gemmensammlungen. Am 24.
August übergab der Königliche Kastellan Reichenbach auch
die Gemmen aus dem Potsdamer Antikentempel an Henry
zum Abtransport nach Berlin: die insgesamt 4.369 Nummern umfassten 3.444 Stosch’sche Steine – zu deren Abgleich
Winckelmanns „Description des pierres gravées“ von 1760
vorlag – sowie „an Cameen und div. Geschnitt 926 St. in 20
Kasten. Anzahl der Cameen und Gemmen, wovon kein Verzeichniß vorhanden gewesen.“43 Die Alte Kurbrandenburgische Kunstkammer ohne die Stosch’schen Gemmen bestand
also aus 926 Kameen und Gemmen. Henry begann nun die
Neuordnung der Sammlung anhand der dreibändigen Daktyliothek des Philipp Daniel Lippert, die im Potsdamer Antikentempel in dem oben erwähnten Nussbaum-Schränkchen
untergebracht war.
Am 17. März 1804 kündigte Minister K.A. v. Hardenberg
die Übersendung der Gemmen- und Kameensammlung Wallerstein an, die König Friedrich Wilhelm III. und seiner Frau
Luise bei ihrem Besuch in Franken im Sommer 1803 angeboten worden sei.44 Johann Michael Redenbacher (1764–
1816), Schlossprediger und Consistorialrat aus Pappenheim,
überbrachte sie im Mai d.J.45 Sein „bereits im März 1804 zu
42 Zentralarchiv, Staatliche Museen zu Berlin, KKM 1 Generalia Bd.
2, fol. 15 / 23. – Zur Entwicklung der Kunstkammer s.: H. Bredekamp, Der lange Atem der Kunstkammer. Das Neue Museum
als Avantgarde der Vorvergangenheit, in: E. Bergvelt et al. (Hrsg.),
Museale Spezialisierung und Nationalisierung ab 1830. Das Neue
Museum in Berlin im internationalen Kontext. Berliner Schriften
zur Museumsforschung 29, 2011, 26–28 (Lit).
43 Inv. 6, fol. 36–37, 4. Seite.
44 Inv. 6, fol. 10 Nr. 13, Hardenberg an Henry 17. März 1804: „…
Da dieser Besitzer dieser Sammlung auch eine Gemmen-Sammlung
zu verkaufen wünscht, so habe ich die Einleitung getroffen, dass beide [auch die Sammlung von Bronzen und Tongefäßen] hierher
gebracht werden … Die Gemmen- und Cameen-Sammlung ist des
Königs und der Königin Majestät bereits bey Allerhöchstdero Anwesenheit in Franken [im Sommer 1803] vorgelegt und auf Verlangen
ein Katalog darüber gefertigt worden.“
45 Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, ABBAW
I-XV-7a. Acta das Antiquen-, Kunst- und Naturalien-Kabinet
betreffend 1803.1804, Bl. 96–102 (Siehe: Anhang Archivalien B
2). Antikensammlung, Inv. 6, fol. 11 Nr. 24 vom 11. Aug. 1804:
„Des Königs Majestät haben von dem Gräflich Pappenheimischen
Consistorial-Rath und Pfarrer Redenbacher eine Sammlung von
Gemmen und Cameen, sowie Antiken von Bronze und Thon gekauft,
um solche in der Kunst-Kammer aufbewahren zu lassen.“ Ebenda fol.
11a Hardenberg an Henry 30. Aug. 1804: „… Blos über die eine
Abtheilung der von dem Redenbacher aufgefundenen Anticaglien hat
sich ein von ihm abgefasster Commentar vorgefunden, welchen ich
18
Einleitung
Potsdam übergebener Catalog“ ist offenbar verloren; aber seine
als „Copie“ verfasste „Beschreibung“ der gesamten Sammlung
fand sich im Archiv der Fürsten Oettingen-Wallerstein auf
Schloss Harburg.46 Redenbacher, der heute als Pionier der
Forschungen zum römischen Limes gilt, beschreibt ausführlich und sehr gelehrt 197 in Goldringe gefasste Kameen und
Gemmen in drei „Etuis“, dazu 10 Stücke, die sich Königin
Luise zu einem Halsschmuck hatte fassen lassen; ferner enthält die „Beschreibung“ 154 ungefasste Stücke – 20 Kameen
und 134 Gemmen, die Berlin jedoch nicht ankaufte, sondern nach Wallerstein zurückschicken ließ. Verkäuferin war
die Witwe Wilhelmine, geb. Prinzessin von Württemberg
(1764–1817), des im Jahr zuvor verstorbenen Reichsfürsten
Kraft Ernst von Wallerstein (1748–1802): Er war als junger
Mann fast vier Jahre lang auf der Grand Tour durch Europa
gereist, hatte die Musik mit einem eigenen Orchester gefördert und leidenschaftlich Kunst und Bücher gesammelt47;
am 14. Febr. 1787 hatte er die große Sammlung „antiker geschnittener Steine“ eines Hofkammerrats Hirsch in Ansbach
gekauft.48 – Die durch Minister v. Hardenberg angekündigte
Sammlung Wallerstein überwies das Königliche Directorium
der Akademie der Wissenschaften zu Berlin am 11. August
1804 an Henry, der zwei Wochen später den Empfang der
Antiken aus Bronze und Ton, den „Anticaglien“ aus Redenbachers Grabungen, sowie von „194 Gemmen, nehmlich 29
Eur. Hochwürden hierbey ergebenst übersende. Dieser enthält Seite
12 bis 35 ein Verzeichnis und Beschreibung über 36 Nummern.“ –
Diese zweideutigen Bemerkungen haben zu der irrigen Annahme
geführt, dass die von Redenbacher überbrachte Sammlung ihm
gehört habe. Tatsächlich hatte er aber seine römischen Bodenfunde – Bronzen, Tongefäße und Münzen – bereits zuvor an Fürst
Wallerstein verkauft, wie aus seiner eigenen „Beschreibung“ der
Sammlung hervorgeht, s. folgende Anm. – Zu den Bodenfunden
s.: R. Krauss, Die Berliner Kunstkammer, in: Das Berliner Museum für Vor- und Frühgeschichte. Acta Praehistorica et Archaeologica 37, 2005, 8, 18–26, 33.
46 Fürstlich Oettingen-Wallerstein’sche Verwaltung, Archiv Schloss
Harburg: „Beschreibung der Cameos und Gemmen aus der fürstlich
Wallersteinischen Sammlung, die im Monat May 1804 nach Berlin in
das Königliche Kunst- und Antiken-Kabinett geliefert worden sind.“
S. Anhang: Inventare 1804 „Beschreibung“ von J.M. Redenbacher,
Archivalien B 4 und Konkordanz C 3. – Ich danke dem Archivpfleger Hartmut Steger für seine großzügige Hilfe. Zur Sammlung
Wallerstein s. Anm. 48 u. 58.
47 Volker v. Volckamer, Aus dem Land der Grafen und Fürsten von
Oettingen. Kalenderbilder und Kalendergeschichten (Wallerstein 1995) 105–156: Kraft Ernst Fürst zu Oettingen-Wallerstein
1748–1802: Landesfürst im Alten Reich (1982). Die Witwe,
Mutter von acht überlebenden Kindern, musste 1806 auch große
Teile der übrigen Kunstsammlung an Bayern verkaufen; sie befinden sich in der Alten Pinakothek München. Über den Besuch des
preußischen Königspaares im Sommer 1803 fand sich leider nichts
in den Akten des Fürstlich Oettingen-Wallersteinschen Archivs.
48 Fürstlich Oettingen-Wallerstein’sche Verwaltung, Archiv Schloss
Harburg, Sign. VIII.14.2c-2/73. Die Sammlung umfasste 418 geschnittene Steine und 668 Glaspasten; vielleicht sind zumindest
einige davon in der „Beschreibung“ von Redenbacher 1804 (s.o.)
enthalten. Den Hinweis verdanke ich H. Steger, s. Anm. 46.
Caméen, 66 Intagli’s in golden Ringe gefaßt, 20 dito in golden
Ketten, 19 dito in golden Knöpfe, 42 dito in golden Ringe, 8
dito in 4 Ringe, und ein ungefaßter Stein“ bestätigte.49 Außer
dieser Auflistung hat Henry kein Verzeichnis der Sammlung
angelegt, deren Kameen sich nun aber dank des Fundes im
Archiv Oettingen-Wallerstein identifizieren lassen (s.u. und
Konkordanz C 3).
Überhaupt fehlt eine genauere Beschreibung der Bestände
vor den Napoleonischen Kriegen. Das von Jean Henry 1805
publizierte Quartheftchen „Allgemeines Verzeichniß“ sollte
„bloß dazu dienen, ihrem [der Besucher] Gedächtnisse zu Hülfe zu kommen“; es listet auf 14 Seiten die Sehenswürdigkeiten der drei Sammlungen der Kunstkammer in Stichworten
auf. Im Zweiten Zimmer ging er etwas ausführlicher auf die
„Erste Gemmensammlung, die Stoschische“ ein; unter „Zweite Gemmensammlung, oder die von Beger beschriebene, von 4
bis 500 Stück“, die „vorzügliche Arbeiten“ enthalte, benannte
er lediglich „unter den Cameen, Psyche und Pluto“ – beide
nicht identifizierbar und sicher nicht die bedeutendsten Stücke der Kameensammlung.50 Die Diskrepanz zwischen der
hier genannten Zahl von 400–500 Stück (abgesehen von den
Stosch’schen Steinen) und den 926 Stück aus dem Jahr 1798
(s.o.) lässt sich nicht auflösen. Eine Kabinetts-Order vom 14.
Mai 1805 leitete die Abtrennung der Naturalien-Sammlung
aus Henry’s Verantwortung ein und damit das Ende der Alten Kurbrandenburgischen „Kunst- und Wunderkammer“.
Vor Napoleons Einzug in das Berlin Stadtschloss am 27.
Oktober 1806 hatte Henry in aller Eile die wertvollsten
Münzen und Gemmen einpacken müssen für ihre Verlagerung nach Memel, wohin das Königspaar, Friedrich Wilhelm
III. und Luise, geflüchtet war. Schon am 5. November, 10
Tage nach dem Einmarsch der französischen Truppen, quittierte „Napoleons Auge“, Dominique-Vivant Denon (1747–
1825), seit 1802 Direktor des künftigen „Musée Napoleon“,
die Übergabe von 204 Skulpturen und Bronzen, 538 Pierres
gravées und ca. 12.000 Münzen für den auf den 28. Novem-
49 Tatsächlich ergibt die Summe der von Henry aufgezählten Gemmen aber nur 185 Stück; laut „Beschreibung“ im Archiv Wallerstein müssen es jedoch gefasste 197 Steine gewesen sein.
50 J. Henry, Allgemeines Verzeichniß des Königlichen Kunst-, Naturhistorischen und Antiken-Museums (Berlin 1805) 5–10: I. Kunstund Raritäten-Kammer, 10–14: II. Naturalien-Kammer, 15–19:
III. Antiken- und Medaillen-Kammer. S. 16f. wird unter „Zweites
Zimmer. Erste Gemmensammlung“ die Stoschische mit einigen
Bespielen beschrieben. „Von der ganzen Sammlung sind Schwefelabgüsse vorhanden, und von dem größten Theile derselben vortreffliche Zeichnungen in sechs Bänden, welche in Florenz unter Stoschens
Aufsicht von guten Meistern verfertigt worden, und zu einem Prachtwerk bestimmt waren. Zweite Gemmensammlung, oder die von Beger
beschriebene, von 4 bis 500 Stück, enthält vorzügliche Arbeiten, als:
unter den Intaglien einen Serapis-Kopf; unter den Cameen, Psyche
und Pluto. Die Lippertsche Sammlung von 3000 Abdrücken.“ Henry
bemerkt im Vorwort, seine Beschreibung sei nur ein Auszug dessen, was Friedrich Nicolai geschrieben habe.
Die Geschichte der Berliner Kameensammlung
ber festgesetzten Abtransport nach Paris.51 Die Beschreibung
der beschlagnahmten Gemmen im „cabinet des medailles“ beginnt mit dem Schrank, in dem sie untergebracht waren: Von
den 32 Schubladen seien 20 leer gewesen, die einst sämtliche
Gemmen des Cabinet du Baron Stosch enthielten; der Inhalt
der 12 mit Kameen und Gemmen gefüllten Schubladen sowie eines „tiroir particulier“ wurde aufgelistet, hervorragende
Stücke, wie der größte Kameo (Nr. 57) in der 3. Schublade, mit Darstellung und Maßen genannt. Drei Schubladen
enthielten insgesamt 195 Intaglien, pierres gravées en creux.
Von den 343 Camées und rundplastischen Edelsteinen wurden 42 als antik bezeichnet, 27 als teils antik, teils 15. Jh.,
teils modern; 130 galten als Arbeiten des 15. Jhs., die übrigen als teilweise modern. Die Edelsteine wurden in 40 Pakete
verpackt und diese für den Abtransport in die große Kiste
Nr. 28 mit Skulpturen aus Holz gelegt.
Aus der detaillierten Beschreibung der Beschlagnahme
durch den Kunstkommissar Napoleons wird ersichtlich,
dass: 1) die Gemmen und Kameen noch in demselben,
aus dem Antikentempel in Potsdam stammenden Schrank
mit 32 Schubladen im oberen Teil untergebracht waren, 2)
der Inhalt der Schubladen in keinem Fall mit der Beschreibung im Inventar von 1784 übereinstimmt und 3) Denon
erheblich weniger als die Hälfte der Gemmen und Kameen des Gesamtbestandes (ohne die Sammlung v. Stosch) in
dem Schrank vorgefunden hatte, nämlich 538 von den 926
Gemmen, die Henry 1798 aus Potsdam zurückgeholt hatte
(s.o.) sowie von den 195 Stücken aus der 1797 nach Berlin
überführten Bayreuth-Ansbachschen Sammlung (s.u.) und
den 197 Stücken aus der 1804 erworbenen Wallersteinschen
Sammlung (s.o.), also von insgesamt 1.318 Edelsteinen.
Letztere hatte Henry offenbar weder inventarisiert noch zum
Altbestand eingeordnet. Die Zahl der beschlagnahmten Kameen deckt sich in etwa mit den 345, die Toelken dann 1816
(s.u.) als Bestand der Alten Kurbrandenburgischen Sammlung verzeichnete. Das hieße, dass vermutlich die Sammlungen Bayreuth-Ansbach und Wallerstein sowie 388 Gemmen
51 GStA PK Berlin, I. HA Rep. 89 Geh. Zivilkabinett Nr. 20028:
Inventaire des Objects d’Art et de Curiosité enlevés du Palais du Roi de
Prusse à Berlin, par ordre de Sà Majesté l’Empereur, pour être transporté à Paris. fol. 5 v. – fol. 6 (s. Anhang Archivalien B 1.4). – Zu den
diversen Verlagerungsaktionen s.: G. Eckardt, Die Bildergalerie in
Sanssouci. Zur Geschichte des Bauwerks und seiner Sammlungen
bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Ungedruckte Diss. Halle-Wittenberg 1974, 32–36, zur Beschlagnahmung durch Denon: 36–44
[42 Anm. 137, zu Denon: 44–47, zur schrittweisen Restituierung
der Kunstwerke aus Paris 1814–16: 60–81. Heres 1977, 115 Anm.
132–133; B. Savoy, „Une ample moisson de superbes choses“. Les
missions en Allemagne et en Autriche 1806–1809, in: P. Rosenberg u. M.-A. Dupuy (Hrsg.), Dominique-Vivant Denon, L’oeil
de Napoleon (Paris 1999) 170–181; E. van Wezel, Denon’s Louvre
and Schinkel’s Altes Museum: war trophy museum versus monument to peace, in: E. Bergvelt et al., (Hrsg.), Napoleons Legacy:
The Rise of National Museums in Europe 1794–1830. Berliner
Schriftenreihe zur Museumsforschung Bd. 27 (Berlin 2009) 157–
172 mit neuerer Lit.
19
des Altbestandes nicht nach Paris gingen. Es ist unbekannt,
ob sie zuvor nach Memel verlagert worden waren – wie die
Gemmensammlung v. Stosch, die bei der Rückführung häufiger erwähnt wird – oder ob sie von Denon unentdeckt in
Berlin blieben. Den dann beschlagnahmten Bestand hatte
Henry offenbar zuvor weiträumig über die 12 genannten
Schubladen verteilt und nur 20 von einst 43 Schubladen
als für die Gemmen der Sammlung v. Stosch bestimmte
beschriftet; der untere, von Denon nicht erwähnte Teil des
Gemmen-Schrankes mit 30 Schubladen war vermutlich leer.
Am 14. Okt. 1807 wurde im Louvre die Ausstellung der
Trophäenkunst „Conquis par la Grande Armée, dans les années
1806 et 1807“ eröffnet.52 Nach der – vorläufigen – Abdankung Napoleons am 6. April 1814 beorderte Karl August
v. Hardenberg, seit 27. Okt. 1810 Staatskanzler, sofort den
Hofrat Bußler und Jean Henry als Vorsteher der Kunstkammer nach Paris zur Sichtung der Kunstschätze anhand von
Denons Quittungen. Henry, der schon einmal 1803 mit seiner Frau in Paris gewesen war, durfte ein halbes Jahr später
zurückkehren, obwohl die beiden Emissäre nur einen Teil der
Beutekunst hatten sehen können. So befanden sich unter den
„Kunstsachen, welche in den 4 Kisten befindlich gewesen sind,
die am 26. April 1815 aus Paris hier eingetroffen sind“ z.B. nur
224 der 1806 entführten insgesamt 343 Kameen.53 Erst die
Schlacht von Waterloo am 18. Juni 1815 änderte die Situation der geschädigten Nationen. Auf die Anordnung, nun ein
„Inventarium“ der Verluste zu erstellen, nennt Henry am 3.
Juli 1815 „20 Edelstheine und Gemmen“, um später festzustellen, dass „70–80 Cameen, unter welchen zwei große von 8–9
Zoll, zwei auch höchst seltene u. viele antike Ringe“ fehlten.54
Die Rückführung weiterer Kunstwerke aus Paris erfolgte in
der zweiten Hälfte des Jahres 1815 bis Anfang 1816, sowie
aus Breslau am 21. Dez. 1815, wohin die Stosch’schen Gemmen von Memel aus inzwischen gebracht worden waren.55
Während deren Vollständigkeit leicht anhand von Winckelmanns o.g. Description abzugleichen war, drängte die Verwaltung weiterhin auf die Erstellung eines Inventars. Jean Henry
verwies auf seine Doppelbelastung (er war seit 1812 zudem
Erster Pastor in Berlin), woraufhin er am 4. Mai von seinem Amt als Bibliothekar entbunden, ferner die Bibliothek
endgültig von der Kunstkammer getrennt und Henry am 1.
52 Eckardt 1974 (Anm. 51) 43 Anm. 141: neben Bildern wurden
vor allem antike Statuen und Büsten sowie eine große Anzahl von
Kunstkammer-Gegenständen ausgestellt, insgesamt 710 Nummern.
53 Inv. 6, fol. 45 Nr. 9. Die von Henry am 28. April 1815 unterzeichnete Liste enthält numerisch aufgeführt: 1. Terrakotten, 2.
Marmor, 3. Bronzen sowie unter „Verschiedene Sachen“ den Inhalt diverser Einsätze und Kästchen; unter diesen sind insgesamt
224 „Camöen“ aufgelistet; identifizierbar ist nur ein Stück im 7.
Einsatz: „1 Frosch von grünem Stein“, hier Nr. 95.
54 Inv. 6, fol. 47 Nr. 9 verso. Der Zusatz „unter welchen ein großer
Onyx mit der Apotheose des Septimius Severus von ungemeinem
Werth“ [Nr. 57] wurde gestrichen.
55 Inv. 6, fol. 52 Nr. 50. S. auch: Heres 1977, 115–116.
20
Einleitung
Juli 1816 zum „Director der Kunstkammer und der AntikenCabinette“ ernannt wurde. Mit der Revision der Sammlung
und der Erstellung eines Inventars wurde Ernst Heinrich
Toelken (1785–1869) betraut, seit kurzem Außerordentlicher Professor für Kunstgeschichte und Mythologie an der
neu gegründeten Friedrich-Wilhelms-Universität.56 Toelken
konnte bereits am 16. Juli 1816 öffentlich erklären, dass entgegen anderslautenden Verdachts die Stosch’schen Gemmen
komplett zurückgekehrt seien. Sie sind als Teil A seines am 8.
Nov. 1816 begonnenen Inventars „Vorläufiges Verzeichniß der
Gemmen- und Pastensammlungen im Königlichen Kunst- und
Antiken-Cabinet zu Berlin“, dem später so genannten „Alten
Inventarium“ (Inv. 5), aufgeführt. Teil B umfasst „Antike
Ringe und Siegelsteine der alten Brandenburgischen Gemmensammlung“ und Teil C „Kameen der alten Brandenburgischen
Sammlung“, auf die ich später zurückkomme.
Teil D enthält die oben bereits behandelte, 1797 von
Bayreuth über Ansbach nach Berlin gelangte „MarkgräflichAnspachische Sammlung antiker Ringe, Cameen und Siegelsteine“, über die Toelken urteilte, sie sei „mit Kenntniß und
sichtbarer Liebe zusammengebracht“, darunter „nichts ganz
Unwichtiges, und Vieles, besonders in wissenschaftlicher Hinsicht, Unschätzbare und Einzige“. Laut Toelken enthielt sie
„256 Stück“, darunter „56 Cameen“. Diese Angabe deckt sich
jedoch nicht mit dem 1763 erstellten Inventarium Bayreuth,
das insgesamt 195 Stück in sechs Etuis verzeichnet. Toelken
beginnt mit „I. Kästchen bezeichnet Nr. 1 mit 29 Cameen. Alle
sind in sehr starken goldenen Ringen gefasst.“ Diese 29 Kameen
in recht einheitlichen Ringfassungen sind jedoch dank der
ausführlichen Beschreibungen von J.M. Redenbacher (s.o.)
eindeutig als Bestand der 1804 angekauften Wallersteinschen
Sammlung zu identifizieren; von ihnen konnten 26 in den
vorliegenden Katalog aufgenommen werden.57 Ihre Fassungen unterscheiden sich auch von jenen aus dem 2. Kästchen,
„40 großentheils ungefaßte Cameen, antike Siegelsteinen, einen
Schmuck und eine Nadel enthaltend“, neben dem Toelken
irrtümlich „Wallersteinsche Sammlung“ seitlich hinzufügte.58
Im 2. Kästchen sind auch die vier Kameen aufgeführt, die
der Hofsteinschneider des Bayreuther Markgrafen, Johann
Adam Hanf, graviert hatte. Die 24 Kameen des 2. Kästchens,
von denen 6 nicht identifizierbar sind oder fehlen, sowie 3
56 A. H. Borbein, Klassische Archäologie in Berlin, in: Berlin und
die Antike, Bd. 2 (Berlin 1979) 115ff.; Platz-Horster, Calandrelli
2005b, 10–21.
57 Den Kameo Nr. 13 hatte Königin Luise an sich genommen; Nr.
4 wurde 1885 an das Münzkabinett abgegeben und Nr. 13, ein
Kameo aus Bein, ist nicht in Furtwängler 1896 und heute nicht
auffindbar.
58 In Inv. 5, fol. 60 v., am 16. Juli 1833 von K. Levezow unterschrieben und von Toelken abgezeichnet, „Uebersicht. Die Königliche
Gemmensammlung besitzt: …“ (s.u.) wird die irrtümliche Verbindung der Wallersteinschen Sammlung mit der Bayreuther wiederholt: „3) Markgräflich Ansbachsche Sammlung, in allen 4 Kästchen
(worunter auch die Gräflich Wallersteinsche Sammlung und mancherlei Curiosa) zusammen 256 Nummern.“
Ringe mit Kameen im 3. Kästchen zählen zusammen 27 Kameen. Mit den 29 Kameen des 1. Kästchens ex Wallerstein
ergibt das die von Toelken im Deckblatt genannte Gesamtzahl von 56 Kameen (s. Inv. 5, 1816 D, Konkordanz C 3).59
Allerdings ist damit noch nicht die Gesamtmenge von 392
geschnittenen Edelsteinen geklärt, die sich aus den Inventaren Bayreuth (195 Stück) und Wallerstein (197 Stück) ergibt
und die erheblich von den bei Toelken genannten 256 Stück
abweicht. Vermutlich „verbergen“ sich die übrigen 136 vertieft geschnittenen Steine bisher unerkannt unter den über
10.000 von Furtwängler 1896 beschriebenen Gemmen.
Dieses für die Berliner Sammlung grundsätzliche, bereits
angesprochene Problem beschrieb E.H. Toelken 1816 im
Vorwort zum Inventar der Kameen aus der Alten Kurbrandenburgischen Sammlung (Inv. 5, Teil C) wie folgt: „Da sich
nämlich keine Kataloge gefunden, so ließ sich nicht ausmitteln,
welchen Sammlungen ursprünglich die Werke angehört haben.
… Die Ungewissheit über diesen einen Theil [die Sammlung
„Odam“, s.o.] verbreitet sich über die ganze ältere Sammlung;
nirgend lässt sich mit Sicherheit ausmachen, was wir denn einst
besessen, woher das jetzt Vorhandene gekommen und was eigentlich verloren gegangen.“ Er begann mit dem größten Kameo
der Sammlung (Nr. 57), um in rein ikonographischer Ordnung „Götter und Göttinnen mit ihren Attributen“, „Opfer,
Gebräuche, historische Dinge“, „Thiere“ fortzufahren, ohne
antike von neuzeitlichen Kameen zu trennen. Da Furtwängler 1896 zu dieser Bestandsaufnahme keine Konkordanz erstellte, sei sie für die Kameen hier angefügt (s. Konkordanz
C 4).60 Im Abgleich mit Begers Thesaurus stellte Toelken fest,
was nicht aus Paris zurückgekommen war: nämlich von den
im Thesaurus publizierten Stücken 10 der Gemmen und 20
der 67 Kameen, wobei Toelken vermerkte, dass Denon drei
Türkis-Kameen mit Venus und Adonis „privatim gestohlen“
habe.61 Insgesamt verzeichnete Toelken 1816 als Bestand der
Alten Kurbrandenburgischen Sammlung: an Gemmen 447
Stück, an Kameen 345 sowie 2 in Ringe gefasste Kameen,
also 794 Stück. Das sind 131 weniger, als 1798 aus dem
Antikentempel in Potsdam nach Berlin zurückgebracht worden waren. Falls sie in der Zwischenzeit nicht anderweitig
abhanden kamen, blieben sie vermutlich in Paris. Toelken
beklagte denn auch, dass nur ein „vollständiges und detailliertes Verzeichniß“ hätte bewirken können, „dass weder ein
Privatmann, noch die königlich französische Sammlung ihren
abgeleugneten Raub öffentlich zu zeigen wagen dürfte.“62
59 Die Zahl von 37 Kameen, die „Markgraf Friedrich während seiner
Reisen erworben hatte oder in Bayreuth anfertigen ließ“, wie Weber
1998, 194 schrieb, lässt sich weder am Inventarium Bayreuth noch
am Berliner Inventar von 1816 Teil D verifizieren.
60 Inv. 5, 1816, fol. 27: Zwischen Nr. 279 und Nr. 287 fehlen 7
Nummern, die jedoch in der von Toelken errechneten Gesamtsumme von 345 Kameen enthalten sind.
61 S. Katalog zu Nr. 415; Inv. 5, 1816, fol. 28v-29: „Von den Begerschen fehlen“, s. Anhang, Konkordanz C 1, Verluste 1815.
62 Inv. 5, 1816, fol. 49.
Die Geschichte der Berliner Kameensammlung
Die Bestandsaufnahme 1816 schloss Toelken ab mit der
Korrektur der wiederholt geäußerten Ansicht, auch die 111
Gemmen aus dem Antikenbesitz des pfälzischen Kurfürsten
Karl II., 1685 von Lorenz Beger im Thesaurus Palatinus publiziert, seien neben den 12.000 Münzen 1686 dem Brandenburgischen Kurfürsten Friedrich Wilhelm nach Kleve
gebracht worden (s.o.); Toelken verwies auf Beger, Thesaurus
Brandenburgicus Bd. I, S. 3: „Gemmas scio in Gallias abisse“
(s. Inv. 5, Teil E). Tatsächlich ging „die ehemalige palatinische
Sammlung geschnittener Steine“ damals an die Schwester Karls
II., die berühmte Liselotte von der Pfalz, Herzogin von Orléans (1652–1722); ihre Nachkommen verkauften die Edelsteine 1787 an die Zarin Katherina II., seither befinden sie
sich als Teil der „Sammlung Orléans“ in der Eremitage St.
Petersburg.63
E.H. Toelken hat mit seiner Inventarisierung des 1816
vorhandenen Bestandes von 4.628 Gemmen und Kameen das Fundament gelegt für jede weitere Bearbeitung. Bei
der Alten Kurbrandenburgischen Sammlung verließ ihn am
Ende der Elan. Hier sind nicht alle Stücke eindeutig identifizierbar, weil er bei den Barock-Kameen z.B. die großen
Mengen gleichartiger Köpfe zusammenfasste: „ 23 Männliche
Köpfe“, „30 andere, großentheils sehr schlechte Köpfe mit Lorbeerkränzen“ oder „70 weibliche Köpfe in antikem Costüm“.
Über diese Massenware urteilte er: „Dagegen sind sehr viele,
besonders unter den Köpfen, von so schlechter, erbärmlicher Arbeit, daß sie des Aufbewahrens in einer Königlichen Sammlung
unwerth scheinen.“ Mit dieser grundlegenden Leistung erarbeitete sich Toelken eine große Kennerschaft und empfahl
sich nachdrücklich für die Mitarbeit am Antiken-Cabinet.
Am 1. Februar 1817 ließ das Ministerium des Innern,
dem die Kunstkammer seit 1810 unterstand, „dem Herrn
Prediger Henry“ eine versiegelte Kiste zustellen mit den „für
das hiesige Museum“ angekauften Kameen und Gemmen der
„Wittwe Schiavonetti“, verbunden mit dem Auftrag, „sofort
mit Zuziehung des Professor Tölken ein genaues Verzeichniß
dieser Kunstsachen aufzunehmen“ und dem Ministerium eine
Abschrift einzureichen.64 Das Verzeichnis der 44 Kameen
und 54 Gemmen ist so genau von Henry verfasst, dass sich
die Kameen bis auf vier Stück dem heutigen Bestand zuordnen lassen. Alle außer einem Kameo (Nr. 29) sind wohl
63 Weber 1992, 11; J. Kagan / O. Neverow, Die Gemmensammlung
Elisabeth Charlottes von der Pfalz, in: S. Paas (Hrsg.), Lieselotte
von der Pfalz. Ausstellung Heidelberg 1996, 167–171. – Lorenz
Beger hatte in seinem „Spicilegium [Ährenlese] Antiquitatis sive
Variarum ex Antiquitate Elegantiarum vel Novis Luminibus illustratarum vel Recens etiam editarum Fasciculi / Exhibente L. Beger.
Coloniae Brandenburgicae 1692“ noch weitere Gemmen der kurpfälzischen Sammlung publiziert.
64 Inv. 6, fol. 67 und fol. 71 (3 Seiten): Schiavonetti Sammlung. 1.
Cameen [Nr. 1–44], Intaglio’s [Nr. 45–98]; Inv. 5, 1816ff., fol.
50–52v, siehe Anhang: Inventare A mit Anm. 15. – Es handelte
sich wohl um Henriette, die Frau des verstorbenen Berliner Verlegers J.B. Schiavonetti.
21
neuzeitliche Arbeiten, obwohl Furtwängler sechs andere für
antik hielt.
Am 12. Juli 1817 übersandte Staatsminister v. Hardenberg an Henry zwei Kästen mit 19 geschnittenen Steinen des
Grafen Collemberg in Wien.65 Obgleich die Auswahl der 6
Kameen und 13 Gemmen durch den Fürsten Anton Radziwill unter Mithilfe von Henry und Toelken erfolgt war,
monierte Furtwängler später die enorme, vom König bezahlte Summe, „da kein einziges bedeutendes Stück sich darunter
befand, ja fast alles nur moderne Arbeiten waren.“66 Dennoch
bezeichnete er selbst den großen Sardonyx mit Roma auf
Waffen thronend (Nr. 449) als eine „vorzügliche Arbeit des
17. Jhs.“; und auch die anderen fünf Kameen sind ganz ungewöhnlich qualitätvolle Arbeiten in ausgesuchten großen Steinen, die z.B. von namhaften Gemmenschneidern der Zeit
wie Giovanni Giuseppe Pichler und Giuseppe Girometti
stammten.67 Der „bunte Achat“ mit „Troja in Flammen“ (Nr.
382), im Spezialinventar Collemberg als Nr. 4 aufgeführt68,
aber von Furtwängler nicht erwähnt, wurde 1928 von dem
Wiener Spezialisten Ernst Kris publiziert; er ist – wie zwei
weitere große Kameen dieser Sammlung – Kriegsverlust seit
1945. Kris schrieb diesen Jaspis-Kameo, den Collemberg angeblich 1806 in der Kaiserlichen Sammlung in Wien gegen
fünf neuzeitliche Gemmen eingetauscht hatte, dem Mailänder Graveur Alessandro Masnago (tätig ca. 1560–1620) zu.69
Demselben Umkreis wies er einen ebenfalls verschollenen
Achat-Kameo mit „Proserpina in der Unterwelt“ zu, der 1769
aus der Sammlung Wassenaer-Opdam erworben worden war
(Nr. 381).
Über die Erwerbung der Sammlung geschnittener Steine
aus dem Besitz der in Turin geborenen, russischen Fürstin
Zinaida A. Wolkonskaja kam es im Frühjahr 1822 wegen der
minderen Qualität zu einem monatelangen Disput zwischen
Henry und Minister v. Altenstein (1770–1840).70 Heute
65 Inv. 6, fol. 69 Nr. 14: Hardenberg an Henry, am 12. Juli 1817:
„Übergabe von zwei Kästen mit 19 Gemmen, die Prinz Radziwill
ausgesucht hat mit Henry und Mr. Tölken, und die der König gekauft
hat vom Comte de Collemberg für die Summe von 16.500 ecure.“
66 Furtwängler 1896, Vorwort S. VII. Zu den Gemmen s. auch:
Platz-Horster, Calandrelli 2005b, 11, 114 B 4.
67 Nr. 382, 449, 751 (alle Verlust), Nr. 832, 835, 836. S. folgende
Anm.
68 Inv. 5, fol. 49a Nr. 4.
69 Eichler-Kris 1927, 21, 129 zu Nr. 233; E. Kris, Zwei Werke
Mailändischer Glyptik, in: Berliner Museen 49, 1928, 131–132
Abb. 1–2; E. Kris, Meister und Meisterwerke der Steinschneidekunst in der italienischen Renaissance (Wien 1929) 173 Nr.
384/85. Ein ähnlicher Kameo aus grau-gelbem Jaspis mit der gleichen Szene (48 x 66 mm) befindet sich heute noch im Kunsthistorischen Museum Wien (Inv. XII 790). In den Akten des Wiener
Archivs wird der Käufer bezeichnet als „italienischer Negotiant P.
Kollembach“ oder als „Calemberg“. Freundliche Mitteilung von A.
Bernhard-Walcher v. 10.05.2007.
70 Inv. 6, fol. 93: 10 Blatt mit Liste; fol. 94 No. 2, fol. 96 Nr. 14, fol.
101 Nr. 30: Altenstein an Henry 18. Jan., 16. Febr. u. 11. April
1822. Es wurden erst 27 und dann weitere 8 Stücke erworben. S.
22
Einleitung
fehlen 13 der 35 inventarisierten Stücke, und schon Toelken
konnte 1832 in seinem „Erklärenden Verzeichnis“ nur 2 der
einst angebotenen 7 Kameen identifizieren (Nr. 795 u. 815).
Für die Berliner Gemmensammlung bedeutsam ist ein von
Lorenzo Masini (1703–?) signierter Sard-Intaglio mit dem
Porträt des Philipp von Stosch.71
Eine Bereicherung für das im Aufbau befindliche Königliche Museum war hingegen die Erwerbung der Sammlung
Bartholdy 1828.72 Jacob Salomon Bartholdy (1779–1825)
war nach dem Wiener Kongress 1815 von Staatskanzler v.
Hardenberg zum ersten preußischen Generalkonsul in Rom
ernannt worden. In den zehn Jahren bis zu seinem frühen Tod führte er dort ein reges diplomatisches Leben mit
großem Engagement für deutsche Kunst und Künstler. Er
baute verschiedene Sammlungen auf, die er – sowohl aus
Raum- wie aus Geldmangel – u.a. an den österreichischen
Feldmarschall Franz v. Koller verkaufte.73 Bartholdys letzte
Sammlung, die auch eine große Zahl ausgesuchter Majoliken
enthielt, erwarb schließlich auf Vermittlung des Ministers v.
Altenstein und des preußischen Gesandten in Rom, K.J. v.
Bunsen (1791–1860), König Friedrich Wilhelm III. für Berlin. Unter den Antiken, die der junge Archäologe Theodor
Panofka (1800–1858) bereits 1827 durch seine Publikation
„Il Museo Bartoldiano“ bekannt gemacht hatte, befanden sich
auch 25 Glaskameen (s. Register D 2.2.). Leider sind 9 davon
Kriegsverlust, aber unter den erhaltenen befinden sich alleine
5 bemerkenswerte Porträts römischer Kaiser sowie drei hellenistische Glaskameen, besonders das von dem Gemmenschneider Athenion signierte Fragment mit der Darstellung
eines hellenistischen Herrschers auf einer Biga (Nr. 167).
Von den vier einzelnen Kameen, die Toelken am Ende
seiner Bestandsaufnahme 1816 aufführte, erhielt einen die
„ethnographische Abtheilung“ im Jahr 1857, zwei gingen 1888
an das Kunstgewerbemuseum; der vierte gehörte einst zur
Alten Kurbrandenburgischen Sammlung (Nr. 679).74 Damit
schließt das Alte Inventarium: Am 16. Juli 1833 unterzeichneten E.H. Toelken und K. Levezow in einer „Uebersicht“
71
72
73
74
auch: Vogtherr 1997, 175 Anm. 1323. – Karl S.F. Freiherr vom
Stein zum Altenstein war seit 1817 Kultusminister.
FG 9415. Siehe: O. J. Neverov, Gemmen aus der Sammlung von
Zinaida A. Wolkonskaja, in: Jahrbuch Berliner Museen N.F. 36,
1994, 23–31, das Inventar ist im Anhang 31–32 abgedruckt. Von
den seit 1945 verlorenen Glasgemmen FG 9633 und FG 9629
sind dort Abb. 10–11 in Fotos nach Gipsabgüssen aus dem Archiv
des Autors abgebildet.
Zur Sammlung Bartholdy s.: Vogtherr 1997, 132, 172, 175, 231,
236, 246–250; Susanne Netzer, Diese Antiquitaetensehnsucht ist
eine angenehme und nützliche Leidenschaft. Jacob Salomon Bartholdy und die Berliner Majolika-Sammlung. In: Keramos 186, Okt.
2004, 141–159; dies., Jakob Salomon Bartholdy – ein Diplomat
Preußens in Rom (1815–1825) und ein Wegbereiter des Königlichen
Museums in Berlin. In: JbPK 41, 2004, 119–160.
G. Heres, Die Erwerbungen der Sammlung Koller durch das Berliner Antikenkabinett, in: Listy Folologické 100, 1977, 104–109.
Inv. 5, 1816, fol. 59. – S.u. 22 Anm. 103.
(Inv. 5, fol. 60) den Bestand von „4.804 Nummern“, darunter 480 Kameen.
Konrad Levezow (1770–1835), Professor für Altertumskunde und Mythologie an der Akademie der Künste, war
seit 1821 als Henrys Assistent tätig. 1828 übernahm er die
Leitung der Kunstkammer, obwohl Henry bis 1830 nominell Direktor blieb.75 Levezow wurde dann der erste Direktor
des Antiquariums, er leitete die Überführung der Sammlung
und deren Einrichtung im Sockelgeschoss des 1830 eröffneten Museums am Lustgarten.76 1832 berief er E.H. Toelken
zum Direktorial-Assistenten.
Nach Levezows Tod wurde Toelken 1836 Direktor des
Antiquariums, bis zu seiner Pensionierung 1864. Wohl bald
nach seinem Dienstbeginn legte er ein „Erklärendes Verzeichniß der Königlich Preußischen Gemmensammlung“ an. Deren „Erste Abtheilung. Kameen“ (hier: „Toelken, Kameen“)
gliederte er in: Steine (Nr. 1–27), Glaspasten (Nr. 28–52),
Christliche und mittelalterliche Kameen nebst Porträts (Nr.
53–106) sowie Moderne Arbeiten (Nr. 108–210). Bei allen
Stücken benannte er das Material, meist die Maße sowie
die Herkunft und lieferte z.T. ausgiebige Beschreibungen
der Darstellungen, beginnend mit den großen, künstlerisch
und historisch bedeutenden antiken Kameen. Bis auf einige
neuzeitliche Köpfe, deren Beschreibungen zu allgemein sind,
lassen sich alle aufgeführten Stücke identifizieren.77 Es ist
unklar, warum er nicht einmal die Hälfte der vorhandenen
o.g. 480 Kameen verzeichnet hat. Vielleicht waren dies Vorarbeiten für die „Verzeichnisse der antiken Kameen, Fassungen
und Schmucksachen, so wie der vorzüglichsten mittelalterlichen
und modernen geschnittenen Steine der Königlichen Gemmensammlung“, die er in der Vorrede S. XXIX zu seinem Katalog
„Erklärendes Verzeichnis der vertieft geschnittenen Steine der
Königlich Preußischen Gemmensammlung“ 1835 angekündigt
hatte, die jedoch niemals erschienen sind.
Für diese These spricht, dass Toelken einerseits das Bestandsinventar (Inv. 5) nach dessen Abschluss am 16. Juli
1833 (s.o.) bis zum 9. Nov. 1840 weiterführte (fol. 61–68),
andererseits das nach Material und Datierung geordnete Verzeichnis („Toelken, Kameen“) ab 1833 mit Neuerwerbungen
fortsetzte im System der nach Museumsgründung neu eingeführten Journale mit Jahreszahlen.78 Dadurch kam es zu
75 Henry war 35 Jahre im Amt. Er starb am 3. Oktober 1831 in
Berlin. S.o. 13 Anm. 40.
76 Heres 1977, 117–120; Borbein, in: Berlin und die Antike 1979,
113–115. – Zur Vorgeschichte und Einrichtung des Antiquariums
im Alten Museum s. Vogtherr 1997, 171–178.
77 Die letzten 5 Stücke Nr. 206–210 waren lt. Toelken außereuropäische Talismane und Amulette aus der Alten Kurbrandenburgischen Kunstkammer, die vermutlich 1857 an die Ethnologische
Abteilung abgegeben wurden.
78 Diese „Kameen“ bezeichneten Blätter beginnen 1833 mit „Haupt
Johannes des Täufers in Onyx geschnitten, in einer goldenen emaillirten Schüssel. Von Herrn Oberfinanzrath Beuth für 130 f angek.“
Dieses Stück, das Toelken schon in dem o.g. Verzeichnis der Kameen fol. 13 Nr. 53 inventarisiert hatte, wurde am 27.12.1888
Die Geschichte der Berliner Kameensammlung
doppelten Eintragungen, wie etwa das 1834 erworbene berühmte Onyx-Alabastron aus dem Kloster Nottuln in Westfalen (Nr. 86). Noch 1837 wurde am 16. Okt. die fast 2.000
Stücke umfassende Sammlung des Oberregierungsrates und
Altertumsforschers Wilhelm von Uhden (1763–1835) doppelt inventarisiert; das erwähnte italienische Verzeichnis hat
allerdings schon Furtwängler nicht mehr gefunden.79
Die Artistische Commission für das Königliche Museum,
eingerichtet am 17. Okt. 1831 in der Nachfolge der zuvor unter Wilhelm v. Humboldt tätigen Einrichtungskommission,
überwies durch den ersten Direktor der Skulpturensammlung, den Bildhauer Christian Friedrich Tieck (1776–1851),
am 29. Sept. 1834 39 Objekte an die Gemmensammlung,
darunter 6 Kameen.80 Ebenfalls 1834 erwarb das Antiquarium aus dem Nachlass des Malers Jakob Philipp Hackert
(1737–1807) laut Inventar drei bedeutende Edelsteine: den
berühmten Karneol des Agathangelos mit dem Porträt des
sog. Sextus Pompeius, einen modernen Ceres-Kopf in Achat­
onyx und das Fragment eines antiken Sardonyx-Kameo mit
Gesicht (Nr. 30); offenbar waren diese aus einem Angebot
von 44 zeitgenössischen und 9 antiken Stücken ausgewählt
worden.81 Am 24. Febr. 1835 wurden aus dem Nachlass des
an das Kunstgewerbemuseum angegeben (Inv. K 9487). Da die
seitlich eingefügte, fortlaufenden Nummerierung von „Toelken,
Kameen“ mit Nr. 211–239 erst bei dem folgenden Stück unter
1834: „Lustration eines Neugeborenen…“, dem Onyx-Alabastron
aus Nottuln (FG 11362, hier Nr. 86) beginnt = Nr. 211, ist diese
Weiterzählung vermutlich erst 55 Jahre später von A. Furtwängler
vorgenommen worden.
79 Inv. 5, fol. 68 und Journal 1837, Bl. 37–40 Nr. 12.
80 Inv. 5, fol. 61: „Am 29. Sept. 1834 wurden folgende durch die artistische Commission für das Kön. Museum angekauften Gemmen
und Merkwürdige Steine durch Hrn. Prof. Tieck an die GemmenSammlung abgeliefert: …“; hier Nr. 50, 698, 710, 711, 787, 850.
Die Herkunft der Objekte wird nicht genannt.
81 Inv. 5, fol. 64v: „Aus dem Nachlaß Hackerts wurde von dem Geh.
Hofrath Behrendt als Vertreter der Erben angekauft und abgeliefert:
1) Kopf des Sextus Pompeius … [FG 6984; der zugehörige goldene
Fingerring wurde von Dir. Levezow nachgeliefert, s. dazu fol. 66
vom 13. April 1835 Nr. 2]; 2) Kopf der Ceres mit Schleier und Ährenkranz in einem Orient. Achatonyx u. in einem modern gold. Ringe
[FG 9140], 3) Fragment eines jugendlichen bacchischen Cameo, in
Gold gefaßt [Nr. 30]. (Abgeliefert ohne schriftliche Ueberweisung).“
Christian Friedrich Behrendt war der Schwager und Nachlassverwalter des Malers Philipp Hackert. – Im Geheimen Staatsarchiv
PK Berlin (Rep. 137, I 17, Bl. 3–13) befindet sich in zweifacher Ausführung ein von Aloys Hirt (1759–1837) geschriebenes
„Verzeichniß von geschnittenen Steinen aus dem Nachlaß des Herrn
Philipp Hackert“ über 44 wohl neuzeitliche und neun antike Stücke; angefügt ist eine Liste mit Preisen, geschätzt von „Giov. Antonio
Santarelli, incisore in gemme“. J. Trinks machte mich auf die sog.
Hackert-Daktyliothek in den Kunstsammlungen der Klassik Stiftung Weimar aufmerksam, die Behrendt im Januar 1811 an J.W.
Goethe geschickt hatte. Dazu passt offenbar die o.g. Beschreibung
von Hirt, s. dazu: Femmel/Heres 1977, 221–226 Z 299, 217 Z
292, 227 Z 304–306. Wie anhand der Weimarer Daktyliothek
ersichtlich, sind wenigstens noch der Herakles-Kopf FG 6960 sowie der Odysseus-Kopf FG 9397 nach Berlin gelangt, obwohl sie
23
Generalpostmeisters Karl Ferdinand v. Nagler (1770–1846),
Begründer des modernen Postwesens in Deutschland, 351
„ungefaßte geschnittene Steine“ angekauft; jedoch lassen sich
von den angeblich insgesamt 83 Kameen der Sammlung
nur 17 einzeln beschriebene sicher identifizieren, darunter
alleine acht Arbeiten namhafter zeitgenössischer Steinschneider.82 Aus der Kunstkammer wurden am 7. Juli 1836 an das
Gemmenkabinett 14 Medaillons mit Porträts der drei Regenten der „Heiligen Allianz“ von 1815 und des Preußischen
Königshauses vom Großen Kurfürsten bis zu Königin Luise
überwiesen (Nr. 861–874).
Zu dem seit 1695 in Kurbrandenburgischem Besitz nachweisbaren, von Dioskurides, dem Gemmenschneider des
Kaisers Augustus, signierten Sardonyx-Kameo mit Herakles
und Zerberus (Nr. 25) konnte 1841 ein weiteres Meisterwerk von der Hand seines Sohnes Hyllos mit der Büste eines
lachenden Satyr erworben werden (Nr. 28). Toelken hatte
ihn mit 34 weiteren Steinen aus der 193 Stücke umfassenden
Sammlung der „sächsischen Familie von Bose“ ausgewählt,
vermerkte jedoch: „Der Kameo Nr. 35 ist wol ohne Zweifel
modern.“83 Furtwängler erkannte jedoch seine singuläre Bedeutung und würdigte ihn in den „Studien über die Gemmen
mit Künstlerinschriften“ sowie in seiner Auswahl der besten
Berliner Kameen in „Die antiken Gemmen“ 1900 Taf. 52,2.
– Im selben Jahr 1841 erwarb Eduard Gerhard (1795–1867),
seit 1833 als „Archäolog bei dem Museum“ für Erwerbungen
besonders in Italien unterwegs, dort den kleinen, aber bedeutenden dreilagigen Kameo mit zwei Steinböcken, die einen
Tondo mit dem Porträt des Augustus als Intaglio tragen (Nr.
33). Ob allerdings das gleichzeitig von Gerhard erworbene
Jaspis-Fragment mit einem frontalen Jünglingskopf „dem
Antinous ähnlich“ antik war, lässt sich – da Kriegsverlust –
nicht klären (Nr. 137).
E.H. Toelken spielte als Direktor des Antiquariums eine
merkwürdige Rolle bei Ankäufen zwischen 1846 und 1849
von Arbeiten des seit 1832 in Berlin ansässigen Giovanni
Calandrelli (1784–1854?), die er alle als antike Werke inventarisierte, sofort in goldene Fingerringe fassen und ausstellen ließ. Nachweislich kannte er den zuvor in Rom für
den polnischen Prinzen Stanislas Poniatowski (1754–1833)
nicht im Inventar auftauchen. – Zum Karneol des Agathangelos
FG 6984 und zur Sammlung Hackert s. auch: Platz-Horster, Calandrelli 2005b, 12, 125 C 4.
82 Inv. 5, fol. 64 + Einlegeblatt von anderer Hand, s. Anhang A. Ein
richtiges Verzeichnis dieser Sammlung mit Angaben zu Material,
Maßen etc. fehlt auch hier. – S. auch: Zentralarchiv SMB, Akte
Kunstkammer I/KKM 03 „Übernahme und Verteilung der v. Naglerschen Sammlung 1835“. Vogtherr 1997, 217, 231, 237, 241f.
83 Eine Siegellack-Daktyliothek der Sammlung von Bose mit einigen
bedeutenden Gemmen befindet sich im Grassi Museum Leipzig,
darunter jedoch kein Abdruck des Hyllos-Kameo. – Seit der Erwerbung des seit 1445 bekannten, von Eutyches signierten Bergkristall-Intaglio mit der Büste der Athena, die Furtwängler 1892 in
Mailand gelang, verfügte die Berliner Sammlung über ein weiteres,
von einem der drei Söhne des Dioskurides signiertes Meisterwerk
(FG 2303), s. Zwierlein-Diehl 2007, 119 Abb. 468f.
24
Einleitung
tätigen Gemmenschneider seit dessen Eintreffen in Berlin
und hatte bereits 1834 ein schönes, von Calandrelli signiertes Porträt des Königs Friedrich Wilhelm III. in Karneol für
das Antiquarium erworben. Den einzigen Kameo neben den
19 Gemmen des Giovanni Calandrelli hielt Furtwängler für
antik, nur die Signatur „AΓAΘOΠOYC“ für eine moderne
Zutat (Nr. 768).84
Das Fragment eines bacchischen Zuges mit springendem
Pan, der ein Bocksgespann führt (Nr. 24), war einer der beiden am 27. März 1848 aus dem Nachlass der Malers Wilhelm Tischbein (1751–1829) erworbenen antiken Kameen.
„Das Liebste, was ich habe, ein antiker Cameo“ hatte „Goethes
Tischbein“ 1813 vor den heranrückenden Franzosen auf dem
Dachboden versteckt. Leider wurde der aus der Florentiner
Sammlung Strozzi stammende, in einen modernen Goldring
gefasste Sardonyx 1946/47 im Zonal Fine Arts Repository Celle gestohlen, zusammen mit wertvollen Goldobjekten der
Antikensammlung.85
Erst zehn Jahre später erhielt das Gemmenkabinett wieder bedeutenden Zuwachs, was vermutlich sowohl der politischen Situation wie der großen internen Veränderung mit
dem Neubau und der Einrichtung von Stülers Neuem Museum geschuldet war. Am 5. Mai 1858 vermerkte Toelken den
Eingang von 1.329 „Glassachen“ aus dem Besitz des einstigen Privatsekretärs des Prinzen Heinrich v. Preußen in Rom,
Emil v. Vollard (1795–1878).86 Zwar monierte Furtwängler,
dass es auch von dieser Sammlung mit 472 antiken Glasgemmen keine Beschreibung gebe; aber immerhin besitzt die Antikensammlung eine – leider unvollständig erhaltene – Daktyliothek, deren Nummerierung mit den zumeist auf den
Rückseiten der Originale erhaltenen Zahlen übereinstimmt,
die auch Furtwängler zitiert. Identifizieren konnte ich diese heute namenlose Daktyliothek in einst sieben gestapelten
Holzkästchen, deren Deckel mit Beschriftung sowie deren 1.
Lade fehlen, anhand einer Auswahl-Daktyliothek im Deutschen Archäologischen Institut Rom mit 111 Gipsabgüssen,
datiert 1829.87 Das lässt darauf schließen, dass Vollard die
Sammlung bereits als junger Mann in Rom angelegt hatte.
In der 443 Nummern umfassenden Berliner Daktyliothek
Vollard lassen sich 21 von 27 Glaskameen erkennen, die Abgüsse der übrigen befanden sich vermutlich in der fehlenden
1. Lade. Vor und nach diesem Ankauf – 1854 bzw. 1866
– erwarb das Antiquarium auch zwei Edelsteinkameen von
Vollard, darunter ein hübsches Fragment mit tanzendem Satyr (Nr. 23).
84 Platz-Horster, Calandrelli 2005b, bes. 113–121 B 1–20.
85 Toelken, Kameen, Nachtrag 1848 Nr. 237; Journal 1848, S. 118
Nr. 2,1–2: Nr. 24, 38. – Greifenhagen, in: AA 1961, Sp. 94 Nr.
36; Berlin, Verluste V.1, 2005, 322.
86 Journal 1858, S. 37. – Prinz Heinrich v. Preußen (1781–1846),
ein jüngerer Bruder von König Friedrich Wilhelm III., lebte wegen
seiner schlechten Gesundheit von 1819 bis zu seinem Lebensende
ständig in Rom. Nach seinem Tod wechselte Emil v. Vollard 1846
in das Auswärtige Amt nach Berlin.
87 Hinweis und Fotos verdanke ich Jörn Lang, Köln/Leipzig.
Ebenfalls in Rom war die Sammlung des bereits erwähnten Archäologen Theodor Panofka (1800–58) entstanden,
die unmittelbar aus seinem Nachlass erworben wurde. Unter
den 282 antiken Glasgemmen waren angeblich 12 ungefasste
Glaskameen.88 Mangels Verzeichnis konnte schon Furtwängler diese nicht aus der Masse der namenlosen Glaskameen
identifizieren, bezeichnete hingegen 13 in Gold- oder Silberringe gefasste Glaskameen mit der Herkunft „Samml. Panofka“; anhand der typischen Ringfassungen konnte ich diesen
weitere drei hinzufügen (s. Register D 2.2). Panofka, der u.a.
mit Eduard Gerhard 1829 das spätere Deutsche Archäologische Institut in Rom gegründet hatte, war seit 1836 Assistent
und in seinen beiden letzten Lebensjahren Kustos für die Vasensammlung im Antiquarium. Er hatte ein sicheres Auge
und gehörte zu den Kollegen, die über Toelkens Vorgehen in
Sachen Calandrelli (s.o.) spotteten.
In den letzten Dienstjahren von E.H. Toelken wurde die
Sammlung 1862 noch um zwei bedeutende hellenistische
Kameen aus dem Nildelta bereichert, von denen das frontale
Medusenhaupt durch seine hervorragende Qualität besticht
(Nr. 26).89 Toelken ließ sich 1864 im hohen Alter von 79
Jahren pensionieren. Fast ein halbes Jahrhundert hatte er
an der Sammlung gewirkt. Neben seinen Lehrveranstaltungen an der Universität und seiner Tätigkeit als Sekretar der
Akademie der Künste hat er in den 28 Jahren als Direktor
des Antiquariums dessen Entwicklung auf eine solide Basis
gestellt. Der aus seinem Nachlass erworbene Goldring, den
ein in Goldblech ergänztes, antikes Sardonyx-Fragment mit
einer „Kauernden im Bade“ ziert, ist so stark abgenutzt, als
hätte er ihn selbst getragen (Nr. 22).
Carl Friederichs (1831–71), seit 1868 der nachfolgende
Direktor, publizierte im selben Jahr eine noch heute grundlegende Beschreibung der Berliner Gipssammlung „Bausteine zur Geschichte der griechisch-römischen Plastik“;
1871 erschien sein Katalog „Geräthe und Broncen im Alten
Museum“.90 Seine ordnende Systematik wäre auch der Gemmensammlung zugute gekommen, zu der er ein ikonographisches Verzeichnis zuvor nicht katalogisierter Stücke begann; sein früher Tod verhinderte jedoch die Vollendung.91
Ernst Curtius (1814–96), der gleichzeitig in der Nachfolge
Eduard Gerhards als Professor an die Universität und als „Archäolog bei dem Museum“ berufen worden war, erhielt dann
88 Journal 1858, S. 45 Nr. 12 vom 26. Oktober.
89 Misc. 3471–72 = FG 11059 u. 11061 = Nr. 21 u. 26.
90 Borbein, in: Berlin und die Antike 1979, 134f. – C. Friederichs,
Geräthe und Broncen im Alten Museum. Berlins antike Bildwerke
2 (Berlin 1871); N. Franken, Bronzen nach Friederichs, OnlineDatenbank www.smb.museum/friederichs (Berlin 2007).
91 Inv. 60: Angefangenes Verzeichnis der Gemmen, die nicht bei Tölken, von Friederichs“ [Nr. 1–872, ikonographisch geordnet, ohne
Material, Maße oder Herkunft] sowie „Bemerkungen über und zu
Gemmen und Cameen von Prof. Friederichs (zu einem beabsichtigten
Verzeichnis der Berliner Sammlung) [Notizen zu anderen Gemmensammlungen, Daktyliotheken sowie Siegelformen].
Die Geschichte der Berliner Kameensammlung
1872 die Leitung des Antiquariums.92 Auf sein Betreiben begannen 1875 die Grabungen in Olympia; Erwerbungen an
Kleinkunst aus Italien liefen unter seiner Ägide meist über
Wolfgang Helbig (1839–1915), seit 1865 Zweiter Sekretär
des Deutschen Archäologischen Instituts in Rom.93 Zwischen 1873 und 1888 vermittelte Helbig 28 Ankäufe, darunter einige Grabkontexte. Über Helbig und den zwielichtigen Kunsthändler Francesco Martinetti kam 1876 auch die
bei weitem bedeutendste Erwerbung der Schmucksammlung
des 19. Jhs. nach Berlin: Der augusteische „Schatzfund von
Petescia“, heute Turania, in den umbrischen Sabiner Bergen
umfasste einen goldenen Lorbeerkranz, 14 goldene Fingerringe mit Kameen, Gemmen oder geschliffenen Edelsteinen,
14 Arm- und 2 Halsreifen aus Gold mit einem Gesamtgewicht von über 3.000 g – letztere wurden 1946/47 im Zonal
Fine Arts Repository Schloss Celle gestohlen – sowie diverse
Objekte aus Silber und Bernstein.94 Dieser einzig bekannte
Fundkomplex mit sechs Kameen in ihren originalen Fassungen (Nr. 1–6) ist auch für die Datierung antiker Kameen
von unschätzbarem Wert. Deshalb wird diese Gruppe dem
ansonsten chronologisch und thematisch gegliederten Katalog vorangestellt, zusammen mit den römischen Kameen aus
dem Grab eines jungen Mädchens (s.u.).
Mit Adolf Furtwängler (1853–1907) kam 1880 der vielseitigste und – trotz der für seine Karriere wenig erfreulichen
Zeit – auch wirkungsreichste Archäologe als Direktorial-Assistent an die Skulpturensammlung; er wechselte 1882 an das
Antiquarium.95 Die Breite seiner Denkmälerkenntnis und
seinen scharfen Blick belegte schon die Publikation der 1884
angekauften Sammlung des russischen Botschafters in Berlin, Peter A. v. Sabouroff.96 Furtwängler sortierte die große
Vasensammlung chronologisch und typologisch und veröffentlichte 1885 in zwei Bänden die 4.221 Nummern umfassende „Beschreibung der Vasensammlung im Antiquarium“.
Im selben Jahr begann er mit der Sichtung und Sortierung
der Gemmen, bei der „Ordnung der Massen“ half ihm sein
früherer Schüler Christian Scherer.97 Zu Recht beklagte Furtwängler mehrfach, dass Toelken keine Verzeichnisse der wäh92 Borbein, in: Berlin und die Antike 1979, 128–130.
93 M. Moltesen, Wolfgang Helbig: Brygger Jacobsens agent i Rom
1887–1914 (Kopenhagen 1987); H. Lehmann, in: Römische Mitteilungen 96, 1989, 7–86.
94 Inv. Misc. 7041–7078. Greifenhagen I 1970, 77ff. Taf. 57–61,4;
Platz-Horster 2001, 84–87 Nr. 50; Platz-Horster 2005a, 788–
800. – Zu Martinetti s. auch: A.M. Sommella et al., Il tesoro di
Via Alessandrina (Roma 1990); L. Pirzio Biroli Stefanelli, in: L’Urbe. Rivista Romana LV, Terza Serie, N. 4, 1995, 177–183.
95 M. Flashar (Hrsg.), Adolf Furtwängler – der Archäologe (München 2003).
96 A. Furtwängler, Die Sammlung Sabouroff. Kunstdenkmäler aus
Griechenland (2 Bde., Berlin 1883/1887).
97 Furtwängler 1896, Vorwort X. Furtwänglers früherer Schüler
Christian Scherer ging dann an das Herzog-Anton-Ulrich-Museum in Braunschweig und publizierte u.a. „Studien zur Elfenbeinplastik der Barockzeit“ (1897) und „Elfenbeinplastik seit der
Renaissance“ (Leipzig 1902).
25
rend seiner Amtszeit erworbenen Sammlungen geführt oder
wenigstens die Stücke entsprechend hatte beschriften lassen;
dies ist umso erstaunlicher, als Toelken 1816 selbst diesen
Mangel bzgl. der früheren Teile der Gemmensammlung angemahnt hatte, die ihm den Nachweis der Herkunft vieler
Stücke so erschwert hatte. So legte Scherer 1885 als erstes ein
Inventar für Gemmen (sog. F–Inv. 24) an „als Fortsetzung der
von Tölken beschriebenen“, d.h. bereits inventarisierten, mit
insgesamt 579 Nummern, die zumeist wohl aus den Sammlungen v. Uhden, v. Nagler und Panofka (s.o.) stammten.
Sodann folgte ein Inventar der Ringe (Inv. 25) mit 162 Nummern. Schließlich verfertigte Scherer das Inventar der im
Toelken’schen Catalog nicht verzeichneten Gemmen und Pasten
(Inv. 26) an, also aller nicht von Toelken in seinem Katalog
„Erklärendes Verzeichnis der vertieft geschnittenen Steine der
Königlich Preußischen Gemmensammlung“ 1835 aufgenommenen Stücke, systematisch nach Sujets geordnet: insgesamt
4.780 antike Gemmen, 248 Kameen und 19 rundplastische
Edelsteine – einschließlich der im F–Inv. 24 aufgenommenen – sowie auf sieben Seiten „53 Steine und Pasten nebst
Fragmenten von solchen mit unkenntlichen Darstellungen“ und
fächerweise aufgelistet 2.399 modernen und andere Stücke.
Dieses sorgfältige Inventar ist in Spalten für Herkunft, Steinart und Beschreibung der Darstellung geführt; meist sind
unter den fortlaufenden Nummern die Katalog-Nummern
von Furtwänglers „Beschreibung“ 1896 mit „K“ nachgetragen. Leider blieb die Spalte „Herkunft“ besonders bei den
Kameen oft leer, obwohl die Aktenlage damals noch erheblich günstiger war als heute.
Dieses sog. S-Inventar (Inv. 26) diente Adolf Furtwängler
als Grundlage für seine „Beschreibung der geschnittenen Steine im Antiquarium“ (Berlin 1896) von 11.872 Gemmen und
Kameen, von denen fast genau die Hälfte (5.515 St.) auf 71
Tafeln im Maßstab 1:1 abgebildet wurde: die Intagli in Gipsabgüssen, die Kameen in Originalen. Die „Beschreibung“
dient seither als „FG-Inventar“. Unter den 817 Kameen bezeichnete Furtwängler als antike Arbeiten: 86 geschnittene
Edelsteine (FG 11056–11141) und 220 Glaskameen (FG
11142–-11361) sowie 10 Skulpturen (FG 11362–11371);
zwei „altchristliche Cameen“ (FG 11372–73); als nachantike Arbeiten: 499 geschnittene Edelsteine, Glaspasten und
Skulpturen (FG 11374–11872).98 Von diesen insgesamt
817 Kameen sind 73 Stücke seit 1945 bzw. 1946/47 verschollen.99 Furtwängler hat die Berliner Gemmensammlung
98 Furtwängler hatte die bis 1894 erworbenen Gemmen und Kameen aufgenommen; die Erwerbungen bis 1910 wurden im Miscellen-Inventar, ab 1911 im 30.000er Inventar verzeichnet. In das als
Inventar benutzte Museumsexemplar der „Beschreibung“ 1896
(Inv. 131) wurden hinten handschriftlich folgende Gemmen nachgetragen: FG 11873 = Misc. 8575a u. FG 11874 = Misc. 8575b,
beide erworben 1896; FG 11875 = Misc. 8638, erworben 1898;
FG 11876 = Misc. 8935 u. FG 11877 = Misc. 8936, beide erworben 1900.
99 Siehe Konkordanz C 7; von den 73 Verlusten können 28 hier
nicht dokumentiert werden, da es von ihnen keine Abbildungen
26
Einleitung
Abb. 3: Brustbild des Kardinals
Albrecht von Mainz,
Markgraf von Brandenburg.
Achat-Kameo. Münzkabinett,
Staatliche Museen zu Berlin,
Inv. 1885 Nr. 442.
wirklich „von Grund aus neu“ bearbeitet und fast „alle vorhandenen geschnittenen Steine und Pasten, die Intagli wie die
Cameen, die antiken wie die modernen“ publiziert.100 Zuvor
hatte er allerdings 1885 die meisten der „orientalischen“ Siegel und der von ihm verabscheuten sog. Abraxas-Gemmen –
fast alle aus der Sammlung v. Stosch, aber auch einige aus der
Alten Kurbrandenburgischen Kunstkammer – ausgesondert
und an die “Orientalische Abteilung“ der Museen abgegeben.101 Laut Furtwängler wurden 1886 „einige neuere Cameen
mit Porträts, die sich an Medaglien anschließen, dem Münzcabinet, und 1889 zwei in kunstgewerblicher Hinsicht durch die
Fassung bedeutende Renaissance-Cameen dem KunstgewerbeMuseum überwiesen.“ Tatsächlich gingen 1885 „auf Befehl“
des Kultusministers Gustav von Goßler (1838–1902) insgesamt 30 Kameen an das Münzkabinett (Abb. 3, Konkordanz
C 6)102, 1888 an das Kunstgewerbemuseum jedoch nur der
Kameo mit dem Haupt Johannes’ des Täufers in einer prächtigen Renaissance-Fassung (Abb. 4).103
oder Gipsabgüsse gibt. Publiziert wurden bisher nur die Verluste
von insgesamt 7 antiken Kameen, gefasst in Anhänger bzw. Ringe:
Greifenhagen, in: AA 1961, Nr. 36, 47, 83, 98, 99, 150, 162;
Berlin, Verluste V.1, 2005, 296, 303, 322f.; s.u. 28 Anm. 119.
100 Furtwängler 1896, Vorwort X. – Diese Aussage trifft nicht ganz zu:
In der vorliegenden Arbeit werden 15 Stücke erstmals publiziert,
die sich schon zu Furtwänglers Zeit in der Sammlung befanden
und z.T. auch im S-Inventar von 1885 verzeichnet sind.
101 Antikensammlung, Inv. 76. Listen der Dauerleihgaben. H.
Philipp, Mira et Magica. Gemmen im Ägyptischen Museum der
Staatlichen Museen Preußischer Kulturbesitz Berlin-Charlottenburg (Mainz 1986) 2–3.
102 Furtwängler 1896, Vorwort S. X-XI. Antikensammlung, Inv. 76.
Listen der Dauerleihgaben: „An das Münzcabinet sind die folgenden
Cameen abgegeben worden (s. Acta 90/86)“ [es folgt die Liste der 30
Stücke, z.T. nach Toelkens Inventar der Kameen 1832/33]. Diese
30 Stück sowie eine Gemme wurden im Münzkabinett bereits am
28. Jan. 1885 inventarisiert unter Nr. 438–468. Gustav K.H. von
Goßler war seit 1881 Kultusminister. – Im Münzkabinett sind davon noch nachweisbar: Nr. 438, 441–444 (s. Konkordanz C 6).
Ich danke Karsten Dahmen u. Elke Bannicke für ihre Hilfe.
103 Antikensammlung, Inv. 76. Listen der Dauerleihgaben: „An das
Kunstgewerbemuseum wurden abgegeben: D. Gemmen. Cameo, Johannes’ d. T. Kopf, auf Goldschüssel. Misc.Inv. 1833, 13 = Tölken.
Cameen 53. 2/1. 89.“ Diese Abgabe ist im Kunstgewerbemuseum
vermerkt: Inventar „Überweisung vom Königlichen Antiquarium
durch Verfügung der Gen. Verw. der Kgl. Museen vom 27.12.1888
Abb. 4: Kopf Johannes’ des Täufers. Achat-Kameo in RenaissanceFassung. Kunstgewerbemuseum, Staatliche Museen zu Berlin, Inv.
9487.
Furtwänglers Leistung für die Erforschung der griechischen, etruskischen und römischen Glyptik ist epochal:
Er hat erstmals die ganze, über Jahrhunderte gewachsene
Sammlung chronologisch geordnet, teilweise bisher unbekannte Stilepochen (mykenisch, geometrisch, archaisch etc.)
eingeführt, die enge Beziehung zwischen Material und Form
herausgearbeitet und die Besonderheiten einzelner „Gattungen“, wie etwa die römischer Gemmen in Nicolo oder
„Praser“, beobachtet.104 Mit seinem völlig neuen Ansatz, die
gewaltige Menge primär nach Material und Form der geschliffenen Steine, sodann nach Zeit und Stil zu gruppieren
und dann erst diese Gruppen in das gewohnte ikonographische System zu ordnen, hat Furtwängler die Erforschung der
seit dem frühen 19. Jahrhundert wegen der vielen, undurchschaubaren Fälschungen verschmähten Glyptik auf eine heute noch gültige Basis gestellt. Anhand dieser Methode entwickelte er auch Kriterien zur Unterscheidung neuzeitlicher
Arbeiten von antiken. Allerdings stand er den Werken des
Neo-Klassizismus wohl zu nahe, um deren ideellen, künstleNr. 3218/88“, Inv. Nr. 9487: „Kopf Johannis des Täufers in einer
emaillierten goldenen Schale, die mit einer Weinranke umwunden
ist. Wahrscheinlich ebenfalls eine Arbeit des 16. Jahrhunderts, von
Italienischer Kunst. Auf dem Rande der Schale die schwarz emaillirte Inschrift: PROPTER HERODIADE DECOLLAVIT. Von dem
Herrn GehRR. Beuth erkauft“ [1833]. Publ.: Kunstgewerbemuseum. Staatliche Museen zu Berlin. Führer durch die Sammlungen
(Berlin 1988) 24 Nr. 45 „Italien, 15. Jh.“. – Ich danke Lothar
Lambacher u. Manuela Krüger für ihre Hilfe.
104 Platz-Horster 2010, 179–202.
Die Geschichte der Berliner Kameensammlung
rischen und handwerklichen Wert objektiv zu beurteilen.105
Auch die fast 500 nachantiken Kameen fasste er nur summarisch in Gruppen zusammen und widmete ihnen lediglich
eine halbe Textseite.
Aufgrund seiner genauen Beobachtungen an den Originalen und den daraus gewonnenen Erkenntnissen, vertieft und
erweitert durch Reisen zu den wichtigsten Gemmensammlungen Europas, konnte Furtwängler dann im Jahr 1900 sein
dreibändiges opus magnum „Die antiken Gemmen“ vorlegen.
In dieses nahm er auch die bedeutendsten der antiken Berliner Kameen auf.106 Noch vor seiner Berufung 1894 nach
München in der Nachfolge seines Lehrers Heinrich Brunn
auf den Lehrstuhl für Klassische Archäologie samt Museum
für Abgüsse Klassischer Bildwerke, hatte er 1893 mit „Meisterwerke der griechischen Plastik“ auch für die Forschung
zur antiken Skulptur neue Maßstäbe gesetzt. 1896, als seine
„Beschreibung der geschnittenen Steine im Antiquarium“
Berlin erschien, wurde er zudem Leiter des Antiquariums
der Königlichen Museen in München. Seine ungewöhnlich
breiten Interessen und das aus der Autopsie des Originals
gewonnene Wissen, seine Fähigkeit zu systematischer Erfassung gepaart mit einer erstaunlichen täglichen Arbeitsleistung bezeugen auch seine jeweils zweibändigen Werke „Die
griechische Vasenmalerei“ (1904/05) und „Ägina. Heiligtum
der Aphaia“ (1906); sie wurden jäh beendet durch seinen
frühen Tod.107
Furtwänglers Berliner Jahre waren schwierig wegen seines
zunehmend schlechten Verhältnisses zu Reinhard Kekulé
von Stradonitz (1839–1911), bei dem er sich 1879 in Bonn
habilitiert hatte. Kekulé wurde 1889 Direktor der Sammlung
antiker Skulpturen und Gipsabgüsse, 1890 auch Professor
für Klassische Archäologie an der Universität. Nach dem Tod
von Ernst Curtius 1896 fand die Vereinigung der Skulpturen
und Gipsabgüsse mit dem Antiquarium zur „Antikenabteilung“ statt, und Kekulé übernahm deren Direktion. Für die
Kleinkunst war nach Furtwänglers Weggang der bescheidene
Hermann Winnefeld (1862–1918) verantwortlich, der ihm
schon bei der Korrektur der „Beschreibung“ geholfen hatte.108
Für die Gemmensammlung begann eine neue Ära mit Robert Zahn (1870–1945), der 1899 als freier Mitarbeiter ans
Museum kam, 1909 Kustos und 1911 Leiter des Antiquariums, 1918 nach Winnefelds frühem Tod Zweiter Direktor
der Antikenabteilung wurde.109 Zahn erwarb sich durch seine
105 Platz-Horster, Calandrelli 2005b, 19–21 Anm. 51.
106 Furtwängler 1900, 248f. Taf. 52.
107 Eine vollständige Bibliographie bei: M. Dennert, Der Autor Adolf
Furtwängler, in: M. Flashar (Hrsg.), Adolf Furtwängler. Der Archäologe (Freiburg/München 2003) 157–174.
108 Winnefeld war von 1890–1911 Direktorialassistent, danach Zweiter Direktor bis zu seinem frühen Tod 1918. – R. Lullies u. W.
Schiering. Archäologenbildnisse (Mainz 1988) 148f.
109 Seit 1901 Direktorialassistent, s. G. Heres, Robert Zahn. Ein
Beitrag zur Geschichte der Berliner Antiken-Sammlung, in: Forschungen und Berichte 12 (1970) 7ff.; Greifenhagen I 1970, Vor-
27
minutiöse Arbeit mit den Objekten, besonders durch seine
genauen Beschreibungen zur Herstellung des Goldschmucks,
eine international hoch geschätzte Kennerschaft, die ihn als
Berater bis in Museen der USA führte und für das Antiquarium den Weg zu bedeutenden Sammlern ebnete. So konnte
er 1907 die große Sammlung an antikem Schmuck, Glas,
Vasen und Terrakotten von Alexandre Merle de Massonneau
aus Yalta am Schwarzen Meer kaufen: Als Direktor der zaristischen Weingüter hatte Massonneau auf seinen Dienstreisen
von der Krim bis zum Kuban-Gebiet die 1.027 Objekte umfassende Sammlung an Kleinkunst erworben.110 Unter den
zumeist hellenistischen Schmuckstücken sind auch solche
mit gefassten Kameen bzw. vollplastisch gearbeitete Objekte
aus Edelstein (Nr. 49, 63, 94, 100, 123, 124).
Zahns jahrelange fachkundige Beratung des Frankfurter Industriellen Fritz Gans (1833–1920) und dessen
Kunsthändlers Peter Mavrogordato, die seit 1906 eine der
bedeutendste Privatsammlungen antiker Kleinkunst aufgebaut hatten, bewirkte 1912 den größten Zuwachs für
die Schmucksammlung: Unter Vermittlung des Direktors
der Antikensammlungen, Theodor Wiegand (1864–1936),
schenkte Gans seine auf 1,6 Millionen Mark geschätzte
Sammlung von 730 Objekten und Konvoluten aus Gold,
Glas, Bronze und Ton dem Antiquarium mit der Auflage,
dass diese geschlossen im Alten Museum ausgestellt und der
Kaiser ihm den erblichen Titel eines Freiherrn verleihen würde. Wilhelm II. (reg. 1888–1918) stimmte letzterem gern
zu und nahm regen Anteil an der Eröffnung des Saales V
„Sammlung Friedrich L. von Gans“ im Obergeschoss des
Museums, zu dem der Stifter auch die eigens angefertigten
Vitrinen hatte bauen und schicken lassen.111 Nicht nur Gemmen und Kameen aus Stein und Glas, z.T. in antiken Goldfassungen, sondern auch vollplastische Arbeiten in Edelstein
bereicherten das Antiquarium (s. Konkordanz C 7), darunter
das Fragment der hellenistischen Nereiden-Schale aus Bergkristall, die einst zu den größten ihrer Art gehört haben muss
(Nr. 84).112
Unmittelbar nach seiner Schenkung begann der 79-jährige v. Gans mit dem – wiederum von Zahn wissenschaftlich
wort 10f; R. Lullies u. W. Schiering, Archäologenbildnisse. 2. Aufl.
(Mainz 1991) 175f.; Platz-Horster 2009, 49–56.
110 R. Zahn, Amtl. Berichte aus den Königlichen Kunstsammlungen
Berlin 29, 1907/08, 58ff.; Greifenhagen I 1970, 10, 41–53; PlatzHorster 2001, Nr. 33, 36, 37, 51; G. Platz-Horster u. A. Nagler, in: H. Parzinger (Hrsg.), Im Zeichen des goldenen Greifen.
Königsgräber der Skythen (Berlin 2007) 222; Platz-Horster 2009,
56. – Von den Kameen der Sammlung Merle de Massonneau sind
2 Kriegsverlust, s. Anhang: Konkordanz C 7.
111 Platz-Horster 2009, 47–57 Abb. 9.
112 Von den Kameen der Slg. von Gans Inv. 30219 sind 3 Kriegsverlust, s. Konkordanz C 7; zu den Gemmen s. Zwierlein-Diehl,
AGD II Berlin 1969, Konkordanz 312f.; zu den Gläsern, darunter
die berühmte Glasamphora aus Olbia, s. G. Platz-Horster, Antike Gläser. AK Antikenmuseum, Berlin 1976; dies., in: Journal
of Glass Studies 37, 1995, 35–97; dies., in: Antike Welt 1.2009,
65–68.
28
Einleitung
begleiteten – Aufbau einer zweiten Sammlung, die er 1918
an den Kunsthändler Curt Bachstitz in Den Haag verkaufte.
Zahn schätzte die 240 Objekte auf fast 2,7 Millionen Mark.
Das Antiquarium konnte aus diesem hochkarätigen Bestand
1920 nur das „Kindergrab aus der Gegend von Rom“ erwerben: mit über 70 kleinen Kostbarkeiten der reichste erhaltene
römische Grabbefund. Dieser durch eine Münze des Kaisers
Tiberius datierte Komplex enthält auch zierliches Spielzeug
aus reinem Bergkristall und Achat, dazu vier kleine Glaskameen, die Kriterien zu Datierung und Funktion römischer
Glyptik bieten; deshalb wird diese Gruppe hier – zusammen
mit dem bereits erwähnten „Schatzfund von Petescia“ (Nr.
1–8) – dem ansonsten chronologisch gegliederten Katalog
vorangestellt (Nr. 9–18). Während Zahn die „Zweite Sammlung von Gans“ 1921 beispielhaft mit all seinem Wissen publiziert hat113, blieb sein großer Coup, die Schenkung der
ersten Sammlung Gans von 1912, in unzähligen Zetteln stecken; und sein profunder Aufsatz zum „Kindergrab“ wurde
erst posthum veröffentlicht.114 Als Erster Direktor der Antikenabteilung (1931–36) hat Robert Zahn 1932 erstmals
eine Sonderausstellung „Schmuckarbeiten in Edelmetall“ im
Obergeschoss des Alten Museums eingerichtet und in dem
gleichnamigen Katalog auch einige wichtige Kameen behandelt.115 Nach dem umfangreichen wissenschaftlichen Nachlass zu urteilen, arbeitete Zahn weiter am Schmuckkatalog,
auch nach seiner Pensionierung und nach der Verpackung
der Bestände vor Beginn des Zweiten Weltkrieges bis zu seinem Tod im Nov. 1945.116
Es war Adolf Greifenhagen (1905–89), der Robert Zahns
Werk vollendete. Erst 1955 aus 12-jähriger Kriegsgefangenschaft entlassen, 1958 zum ersten Direktor des nach WestBerlin gelangten Bestandes der Antikenabteilung ernannt,
eröffnete er nach Rückgabe der im Zonal Fine Arts Repository
Schloss Celle bewahrten Kunstwerke schon im Mai 1960 die
Sammlung der Kleinkunst in Charlottenburg.117 Nach der
Schließung der Museen seit dem 26.08.1939 waren die zuvor ausgestellten Objekte sowie u.a. die Sammlung v. Gans
getrennt von Skulpturen und Magazinbeständen verpackt,
später in den Flakbunker am Zoo und noch im März/April
1945 in das Salzbergwerk Grasleben bei Magdeburg gebracht
worden, das dann die West-Alliierten beschlagnahmten. Unter britischer Leitung fand im Herbst 1946 im Central Repository Schloss Celle eine Ausstellung ausgewählter Highlights
113 R. Zahn, Die Sammlung Friedrich L. von Gans, Galerie Bachstitz,
Bd. II (‚s-Gravenhage 1921).
114 R. Zahn, Das sogenannte Kindergrab des Berliner Antiquariums.
In: JdI 65/66, 1950/51, 264ff. (Hrsg. Gerda Bruns).
115 Zur Nutzung des Obergeschosses im Alten Museum nach dem
Auszug der Gemäldegalerie in das Kaiser-Friedrich-Museum 1904
s. Platz-Horster 2009, 42–60 Abb. 5.
116 Antikensammlung, Nachlass Robert Zahn, Rep. 2.
117 E. Zwierlein-Diehl, Adolf Greifenhagen, in: Jahrbuch Preußischer
Kulturbesitz 26, 1989, 27ff.; W.-D. Heilmeyer, in: Gnomon 61,
1989, 571ff.
„Kunst der antiken Welt“ statt.118 Leider wurden 1947 aus
der Kiste 66 offenbar gezielt besonders Objekte mit hohem
Goldgewicht gestohlen, darunter 7 gefasste Kameen.119 Greifenhagen publizierte die nach Zahns o.g. Ausstellung 1932
benannten und ausdrücklich auf dessen Beobachtungen
aufbauenden „Schmuckarbeiten in Edelmetall“, aufgeteilt
in „Fundgruppen“ (1970) und „Einzelstücke“ (1975). Diese chronologisch und topographisch gegliederten Kataloge,
die den gesamten, großenteils unpublizierten Bestand der
Sammlung vorlegten, dienen seither weltweit als Grundlage
für Forschungen zum Schmuck vom 2. Jahrtausend v. Chr.
bis ins frühe Mittelalter. Neben den in Gold gefassten Kameen aus dem alten Bestand legte Greifenhagen auch das von
ihm 1960 erworbene, singuläre Diadem mit dem kleinen
Livia-Kameo (Nr. 345) vor.
Klaus Vierneisel (* 1929), der 1971 auf Greifenhagen
folgte, richtete 1976 die dreiräumige „Schatzkammer“ mit
ausgewählten Meisterwerken der Gold-, Silber- und Edelsteinsammlung im Kellergewölbe des Charlottenburger
Stülerbaus ein; er kehrte 1978 nach München zurück. WolfDieter Heilmeyer (* 1939) publizierte die 1979 erworbene,
repräsentative Chalcedon-Büste des Kaisers Traian (Nr. 88),
die den Berner Archäologen Hans Jucker zu umfangreichen
„Trajanstudien“ anregte und bis in jüngste Zeit neue Forschungen initiierte. Das Fragment eines weiteren TraianPorträts konnte 1983 ebenfalls aus dem Kölner Kunsthandel
gekauft und in die Überlegungen zur Chalcedon-Büste einbezogen werden (Nr. 53). Wolf-Rüdiger Megow hat in sein
grundlegendes Werk „Die Kameen von Augustus bis Alexander Severus“ (Berlin 1987) die meisten Berliner Porträt-Kameen integriert. Nach der Wiedervereinigung der Staatlichen
Museen zu Berlin kam noch ein Amazonit-Kameo mit dem
Porträt des Kaisers Tiberius aus der irischen Sammlung Hunt
hinzu (Nr. 52).
Die Antiken-Abteilung der Staatlichen Museen zu Berlin
auf der Museumsinsel hatte 1954 aus dem Nachlass von Peter Mavrogordato, dem früheren Berater von F.L. von Gans
(s.o.), eine wohl aus Olbia am Schwarzen Meer stammende,
hellenistische Kette erworben, deren Mitte ein Glasköpfchen ziert (Nr. 112). Die Bearbeitung der bereits 1920 vom
Münzkabinett gekauften Gemmensammlung seines früheren
Direktors Heinrich Dressel (1845–1920) übernahm nach
der Wiedervereinigung Carina Weiß, die an der Universität
Würzburg tätige Spezialistin; ihr sorgfältiger und ergiebiger
Bestandskatalog unter neuesten Forschungsaspekten samt
einer Würdigung des Sammlers erschien 2007, genau zur Eröffnung der eingangs genannten Ausstellung „Mythos und
118 Die 15 in dem Katalog auf S. 25–26 Nr. 206–220 unter „Kameen“
aufgeführten Stücke sind ebenso nach Berlin zurückgekehrt wie
die auf S. 38 Nr. 390 u. S. 39 Nr. 398, nicht jedoch diejenigen auf
S. 36 Nr. 355, S. 37 Nr. 369 u. Nr. 372.
119 Zu den Verlusten in Celle 1947: Greifenhagen, in: AA 1961,
82–130; Berlin, Verluste V.1, 2005, 291ff., 313ff., speziell zu den
Kameen s.o. 25 Anm. 99.
Material und Form
Macht“ im Alten Museum. Der Katalog schließt auch die 50
antiken und modernen Kameen der Sammlung Dressel ein,
sie werden hier nicht wiederholt.120
Nach der partiellen Restitution der Kunstwerke 1958
aus der Sowjetunion an die Deutsche Demokratische Republik wurde ein Teil der einst über 500 von Furtwängler
aufgelisteten nachantiken Kameen mit neuen fortlaufenden
Nummern beschriftet; dabei nahm man keine Rücksicht auf
die wenigen, von Furtwängler 1896 beschriebenen bzw. auf
den Tafeln 68–70 abgebildeten Stücke, die leider großenteils
nicht nach Berlin zurückgekehrt waren. Deren Fehlnummern hat man einfach aufgefüllt, vielleicht um den Verlust
von 52 meist sehr großen und bedeutenden nachantiken Kameen zu kaschieren. Um 1985 hat Gerald Heres, der damalige Kustos, erstmals eine Kartei der neuzeitlichen Kameen
mit Angaben zu Herkunft, Material und Maßen sowie mit
einer kurzen Beschreibung der Darstellung angelegt; auch
er berücksichtigte die seit 1896 als Inventarnummern verwendeten Furtwängler-Nummern nicht, obwohl er einige
der alten Inventare zitierte. Dies führte zu einer erheblichen
Verwirrung, die sich auch in den wenigen Publikationen einiger nachantiker Kameen in jüngerer Zeit niederschlug.121
Im August 2009 habe ich deshalb den gesamten nachantiken
Bestand möglichst zurücknummeriert auf die Zählung bei
Furtwängler 1896: Dafür dienten als Fixpunkte die 47 dort
abgebildeten Stücke, die – als „Kriegsverluste“ mit einem (+)
versehen – wieder eingefügt wurden, wie auch die wenigen
auf den Rückseiten der Originale noch vorhandenen Schildchen mit der Furtwängler-Nummer. Wo aus diesem Grund
die interimistische Nummerierung der 1960er Jahre verändert werden musste, wurde sie nicht getilgt, damit sie auch in
Zukunft nachvollziehbar bleibt; sie steht in der Kopfzeile der
Katalogtexte mit „ex“ hinter der alten Furtwängler-Nummer.
In der Neueinrichtung der Antikensammlung in beiden
Etagen des Alten Museums 2010 und 2011 konnten einige
der antiken Gemmen und Kameen ausgestellt werden, darunter der „Schatzfund von Petescia“ in der Gold-Schatzkammer des Hauptgeschosses sowie die wichtigsten Kaiserkameen und das „Kindergrab bei Rom“ in der Abteilung „Italia
Antiqua“.
b) Material und Form
Als Kameen werden Schmucksteine mit erhaben gravierten
Bildern und deren Vervielfältigungen in Glas bezeichnet;
auch reliefierte Gefäße oder Skulpturen aus Edelstein und
Glas werden dieser Gattung der Kleinkunst zugeordnet (Nr.
85–125, 735–737, 741–746, 854).122
120 Weiß 2007, 333–354 Nr. 694–744.
121 Weber 1996 u. 1998. S. dazu hier die entsprechenden Kameen aus
der Sammlung Bayreuth.
122 Grundlegend zu Kameen: Zwierlein-Diehl 2008, 14–25.
29
1. Lagensteine
Die meisten Kameen sind aus zwei- oder mehrschichtigem
Lagenachat geschnitten, eine Varietät des Chalcedon aus der
Quarzgruppe mit der Härte 7 nach Friedrich Mohs. Für ihre
Charakterisierung werden die seit dem 18. Jahrhundert in
der gemmologischen Literatur gebräuchlichen Bezeichnungen verwendet: Sardonyx für Achate mit weißer und (rot-)
brauner Lage, Karneolonyx für solche mit weißer und orange Lage sowie Chalcedononyx für die mit weißer und grauer Lage.123 Das Material und die zugeschliffene Form des
Bildträgers sind – neben der Beurteilung des Stils und der
Darstellungen – ein wichtiger Aspekt für die Datierung von
Kameen.
A. Furtwängler hatte wegweisend nach den Kriterien
>Material-Form-Stil< die vertieft geschnittenen Siegelsteine
der Berliner Sammlung neu geordnet. Bei den Kameen übernahm er die von C. Plinius d. Ä. (23–79 n. Chr.) in seiner
„Naturkunde“ tradierte Unterscheidung des Sardonyx, des
meist verwandten Lagenachats, in „indisch“ und „arabisch“
samt deren angeblicher farblicher Differenzierung (n.h. 37,
86–88).124 Furtwängler beanspruchte den „indischen“ Sardonyx mit „dem leidenschaftlichen Feuer“ für die hellenistischen Kameen, während die „arabische“ Variante der „kühlen
Eleganz des augusteischen Kunstgeistes“ entsprochen habe.125
Der gebänderte Achat ist weit verbreitet. Sowohl der Sardonyx wie der Karneolonyx kommt in guten Qualitäten bei
Khambhat und Ratanpur an der Mündung des Narmada im
einstigen Königreich Rajpipla, heute Gujarat nördlich von
Mumbai, oder im südindischen Dekkan-Hochland vor.126
Die Edelsteine konnten vom Hafen der schon von Plinius
(n.h. 6, 104) erwähnten Stadt Muziris, heute Pattanam 25
123 S. dazu die Diskussion zwischen: H.K.E. v. Köhler, Untersuchung
über den Sard, den Onyx und den Sardonyx der Alten (Göttingen 1801), bes. 79ff., und: U.F.B. Brückmann, Ueber den Sarder,
Onyx und Sardonyx (Braunschweig 1801), bes. 42–57, 69–89,
128–130, auf die mich Ralf Schmidt/Suhl ebenso aufmerksam
machte wie auf: F.W. Eppler, Praktische Gemmologie (5. Aufl.
Stuttgart 1991) 276; U. Henn, T. Häger, C.C. Milisenda, Ein Beitrag zum Thema Onyx, in: Zs der Deutschen Gemmologischen
Gesellschaft 59/3–4, 2010, 83–94.
124 C. Plinius Secundus d.Ä., Naturkunde. Lateinisch-deutsch, Buch
XXXVII. Steine: Edelsteine, Gemmen, Bernstein, hrsg. u. übersetzt von R. König u. J. Hopp (Zürich 1994) 66f.
125 Furtwängler 1900, 155.
126 M.R. Sahni, Agates and other forms of chalcedonic or cryptocrystalline silica, in: Indian Minerals 2, 1948, 249–255 (Hinweis R.
Schmidt, Suhl); M. Bauer, Edelsteinkunde. Eine allgemein verständliche Darstellung der Eigenschaften, des Vorkommens und
der Verwendung der Edelsteine (Leipzig 1896) Achat: 578ff.; M.
Bauer, Precious Stones. A popular account of their characters, occurrence and applications …, translated from the German with
additions by L.J. Spencer …, by E. Olsen (New York – London
1904/1968) vol. II, Achat: 511ff., Indischer Achat: 516–18 (Hinweis L. Thoresen).
30
Einleitung
km nördlich von Cochin/Kerala127, oder aus Barygaza, heute
Bharuch/Gujarat, über das Arabische Meer verschifft werden
nach Eudaimon Arabia, heute Aden/Jemen, wie schon im Periplous Maris Erythraei (53–57) Mitte des 1. Jhs. n. Chr. beschrieben.128 Und in Berenike, dem ptolemäisch-römischen
Hafen am Roten Meer, wurden Kameo-Rohlinge von 30–40
mm Höhe gefunden, die solchen aus Muziris oder aus Barygaza und Arikamedu/Pondicherry südlich von Chennai am
Golf von Bengalen ähneln.129 Auf der Arabischen Halbinsel
gibt es hingegen keine Achat-Vorkommen; Plinius referierte
demnach mit seiner Unterscheidung von „indischem“ und
„arabischem“ Sardonyx vermutlich eine Geschichte, mit der
arabische Händler ihren Kunden ein und dasselbe Material
aus Indien verkauften.130
Trotz der reichen Achat-Vorkommen in Indien und des
spätestens seit ptolemäischer Zeit gesicherten Exports von
Edelsteinen auf dem Seeweg gen Westen, konnte eine mineralogische Kongruenz mit vorhandenen antiken Kameen
in der Farbvarietät des Sardonyx bisher nur mit den Achaten
aus Studen Kladenets in den Rhodopen im südlichen Bulgarien erwiesen werden (s. Nr. 34).131 Dieses in der Antike
von Thrakern besiedelte Gebiet war wegen seines Reichtums
an Gold, Silber, Kupfer, Zink und Blei häufig Ziel gieriger
Invasoren; u.a. eroberte Philipp II. von Makedonien 357 v.
Chr. das Pangaion-Gebirge in den südlichen Rhodopen. Sein
127 http://www.ias.ac.in/currsci/jul252009/236.pdf. Hinweis und Fotos von Kameo-Rohlingen verdanke ich K.P. Shajan, London.
128 L. Casson: The Periplus Maris Erythraei. Text with introduction,
translation, and commentary (Princeton NJ 1989) 83–87, 216–
225 mit Karte Fig. 14.
129 S.E. Sidebotham, Ports of the Red Sea and Arabia-India trade, in:
V. Begley / R.D. De Puma (ed.), Rome and India. The Ancient
Sea Trade (Madison 1991) 12–38; S.P. Gupta et al., On the fast
track of the Periplus: Excavations at Kamrej 2003, in: Journal of
Indian Ocean Archaeology 1, 2004, 9–33; S.E. Sidebotham et al.,
The Red Land (Berkeley & Los Angeles 2008) 180f.; Sidebotham,
Berenike and the Ancient Maritime Spice Route (Berkeley & Los
Angeles CA 2011) 3 Fig. 1–1, 236–238 n. 188 (frühere Lit.).
Diese Hinweise verdanke ich Lisbet Thoresen, Herausgeberin des
leider bisher nicht publizierten Atlas für Archäogemmologie zur
Herkunft der in der Antike verarbeiteten Edelsteine „On Gemstones. Gemological and Analytical Studies on Ancient Intaglios and
Cameos“.
130 Auch Bühler 1973, 5 vermutete für den „arabischen Sardonyx“
eine indische Herkunft. Hingegen übernimmt die übliche Unterscheidung: A. Krug, Der Kameo der Mölsheimer Goldfibel.
Anhang zu H. Amendt, Ausgrabungen des Hessischen Landesmuseums Darmstadt am Fundplatz der Mölsheimer Goldfibel, in:
Kunst in Hessen und am Mittelrhein, NF 4, 2009, 33.
131 Das Vorkommen mit seinen z.T. außergewöhnlich großen Achatmandeln hat Ralf Schmidt/Suhl auf mehreren Exkursionen 2002–
2007 untersucht: R. Schmidt, Die Achate von Studen Kladenets,
Östliche Rhodopen/Bulgarien – ein Fundbericht, in: Veröffentlichungen Naturhistorisches Museum Schleusingen 24, 2009,
53–80 mit früherer Lit. zum Fundgebiet, Analysen des Materials
und diversen Färbungen nach antikem Vorbild; er schenkte der
Antikensammlung Berlin zwei Versuchsreihen. – Die Struktur der
Probe entspricht der des Paris-Kameo Kat.-Nr. 34.
Sohn Alexander III. brachte nach einem ersten Feldzug 335
v. Chr. weite Teile Thrakiens unter makedonische Herrschaft.
Lysimachos, einer seiner Diadochen, beherrschte es 306/05–
281 v. Chr. als König. Gaius Octavius, der Vater des späteren
Kaisers Augustus, unternahm als Prokonsul von Makedonien
63 v. Chr. einen Krieg gegen die thrakischen Bessen; seine
Nachfolger stießen bis 28 v. Chr. immer wieder gen Norden
vor. Unter Claudius wurde Thrakien 45 n. Chr. römische
Provinz.132 Das ergiebige Achat-Vorkommen in den Rhodopen war also im Hellenismus und in der römischen Kaiserzeit
gut zugänglich.
Die horizontalen Schichten der Sardonyx ermöglichen
den für die meisten Kameen typischen Hell-Dunkel-Effekt
von Relief zu Bildgrund, während die für manche Kameen
charakteristische lebhafte Struktur aus der gewölbten Wandung der Achatmandel stammt. Den intensiven Kontrast
erhält der von Natur aus wenig attraktive Stein aber erst
durch Färben und – je nach der gewünschten Farbe – durch
Brennen der gebänderten Lagen. Die an Achaten aus Persien, Mesopotamien, Zypern und Ägypten seit der Mitte des
2. Jahrtausends v. Chr. nachweisbare Methode des Steinfärbens133 war auch Plinius als „Kochen in Honig“ bekannt, besonders der korsische sei wegen seiner Schärfe geeignet (n.h.
37, 193–195). Plinius berichtet von der unerwarteten Entstehung neuer namenloser Edelsteine, die „eher künstlicher als
natürlicher Herkunft“ seien, und beruft sich dabei auf Theophrast von Lesbos (de lapidibus VI.32; 315/314 v. Chr.).134
Bei dem bis heute angewandten Verfahren werden die gebänderten Achate nicht nur – wie Plinius schrieb – „sieben
Tage und Nächte ununterbrochen in Honig gekocht“, sondern
über Wochen oder Monate in eine Honig- oder Zuckerlösung eingelegt und danach bei 200–350° C in Schwefelsäure
„gebrannt“ bzw. erhitzt.135 Diese Beizen dringen vorrangig
132 Die Thraker. Das goldene Reich des Orpheus (AK Bonn 2004)
113–125, 309–313 mit Quellen und Lit.
133 S. z.B. Perle mit dem Namen des Kurigalzu (14. Jh. v. Chr.) und
Löwen-Statuette, beide aus einem Tempel-Depot in Susa (12. Jh.
v. Chr.), in: F. Tallon; Les pierres précieuses de l’Orient ancien.
AK Paris, Musée du Louvre (Paris 1995) 30, 111f. no. 241 D-E.
– Zepter aus Babylon (6. Jh. v. Chr.), Berlin: L. Jakob-Brandt et
al., Das Vorderasiatische Museum, Staatliche Museen zu Berlin
(Berlin-Mainz 1992) 130 Nr. 68; Tallon, Paris 1995 a.O. 27,
94 no. 153. – Zepter aus Kourion (ca. 1050–850 v. Chr.), New
York: V. Karageorghis et al., Ancient Art from Cyprus. The Cesnola Collection in The Metropolitan Museum of Art (New York
2000) 190 no. 308. – Schale aus Kush, 690–664 v. Chr., Boston: Bühler 1973, 39 Nr. 1; acht Gefäße aus Oberägypten, Kairo:
Bühler 1973, 4, 39–40 Nr. 3–10. G. Grimm, Alexandria. Die erste
Königsstadt der hellenistischen Welt (Mainz 1998) 121 Anm. 87
Abb. 115a-c; Gazellen-Rhyton aus Sian, Hsi-an/China: Grimm,
ebenda 121 Anm. 88 Abb. 115d.
134 D.E. Eichholz, Theophrastus de lapidibus, ed. with introduction,
translation and commentary (Oxford 1965) 69, 110.
135 J.J. Nöggerath. Die Kunst Onyxe, Carneole, Chalcedone u.a. verwandte Steine zu färben, zu Erläuterung einer Stelle des Plinius
Secundus. in: Jahrbücher des Vereins von Altertumsfreunden im
Rheinlande 10, 1847, 82–102; Ueber das Färben der Cameen in
Material und Form
in der Wachstumsrichtung des Gesteins ein und nur bis maximal 15 mm Tiefe, wie an Bruchflächen antiker Kameen
gut zu beobachten ist (s. Nr. 31); deshalb muss der Vorgang
während der Gravur größerer Reliefs mehrmals wiederholt
werden. Der dabei stattfindende Austausch von Flüssigkeiten
verändert die verschiedenen grauen oder beigefarbenen Lagen der Achate in leuchtend rotbraune bis tiefbraune Töne.
Gleichzeitig werden die weißen Lagen, in die wegen ihrer
Dichte keine Beize eindringen kann, durch das Verdampfen des im Kristallgefüge vorhandenen molekularen Wassers
farblich intensiviert. Die unterschiedliche Porosität der Achatlagen und damit ihr unterschiedliches Aufnahmevermögen
für Farbpigmente sowie ihre Stabilität entscheiden gerade bei
größeren Kameen über die farbliche Gestaltung des Reliefs.
Durchaus nicht alle antiken Sardonyx-Kameen wurden
gefärbt: Zwar charakterisiert den von Dioskurides, dem
Gemmenschneider des Augustus, signierten Kameo mit Herakles und Zerberus ein starker Hell-Dunkel-Effekt (Nr. 25);
hingegen spielt sein Sohn Hyllos bei dem kleinen Satyrkopf
(Nr. 28) mit der Transparenz des ungefärbten Chalcedongrundes, in den die wilden Haarbüschel der opak weißen
Schicht auslaufen, der jedoch das kecke Gesicht durch Hinterschneidung plastisch hervortreten lässt. Vielleicht setzt
Hyllos hier – wie auch in seinem Stil – eine hellenistische
Tradition fort (Nr. 1, 21, 26). Intensiv gefärbt sind die beiden
größten Berliner Kameen, der überarbeitete Hadrian-Kameo
(Nr. 57) und der Paris-Kameo (Nr. 34), bei denen vier unebene Lagen des wandgebänderten Achats den gewünschten
Effekt einer lebhaften Reliefgestaltung ermöglichten, die den
claudischen Kameenstil kennzeichnet. An den Bruchstellen
beider Kameen ist die ursprünglich graue Farbe der Steine
zu erkennen. Die Steinstruktur des Paris-Kameo entspricht
dem Material im oben erwähnten bulgarischen Studen Kladenets136, einem Gebiet, das unter Kaiser Claudius römische
Provinz wurde.
Die meisten der barocken Achat-Kameen in Berlin sind
ungefärbt, vielleicht weil sie einst großenteils dem seriellen
Dekor kostbarer Gefäße dienten. Auf in anderen Sammlungen erhaltenen Pokalen sind die pezzi grossi meist gefärbte
Italien, in: ebenda 12, 1848, 65–68; Auszug in: K.C. v. Leonhard
u. H.G. Bronn (Hrsg.), Neues Jahrbuch für Mineralogie, Geognosie, Geologie und Petrefakten-Kunde (Stuttgart), Jg. 1847,
473–486; G. Lange, Die Halbedelsteine aus der Familie der
Quarze und die Geschichte der Achatindustrie (Kreuznach 1868)
62–64 (Hinweis R. Schmidt, Suhl); Bauer (Anm. 126), Färben
der Steine: 522–24. Zusammenfassend: Zwierlein-Diehl 2007,
308, 312–314, 496. Das heutige Verfahren schildert: G. Schmidt,
Erfahrungen und Fragen beim Nachschneider der drei größten
Sardonyx-Kameen der Antike, in: Mythos und Macht 2008, 8–12;
ders., in: L. Giuliani, Ein Geschenk für den Kaiser. Das Geheimnis
des Großen Kameo (München 2010) 62–100.
136 Bestimmung Ralf Schmidt, Suhl, am 10.08.2010. – Der Steinschneider Gerhard Schmidt ist der Meinung, dass auch der Grand
Camée de France und weitere bedeutende antike Kameen aus diesem Material graviert wurden, s. Giuliani (vorige Anm.) 93.
31
Achate oder Kameen aus anderen Edelsteinen.137 Solche
anspruchsvollen, oft großformatigen Arbeiten des 16./17.
Jhs. aus Sardonyx mit stark kontrastierender Färbung sind
auch im Berliner Bestand vertreten (Nr. 449–450, 656,
692, 698–703). Gleichzeitig und wohl in denselben oberitalienischen Werkstätten kommen ungefärbte Lagenachate
aus dem Oberen Nahe-Bergland bei Idar-Oberstein bzw.
Oberkirchen in Mode, deren transparente Schicht durch
Hämatit-Einsprengsel charakterisiert ist (s. Register D 1).138
Dieses Material verwandten z.B. auch noch die im späten 18.
bis frühen 19. Jh. in Rom arbeitenden Steinschneider Gaspare Capparoni und Giovanni Giuseppe Pichler, Benedetto
Pistrucci, Nicola Morelli oder Giuseppe Cerbara (Nr. 756,
769, 785, 790–792). Von Niccolò Cerbara (1793–1869) ist
überliefert, dass er 1817 als junger Mann einen von Natur
blassgrauen Achat aus Idar-Oberstein so perfekt färbte, dass
die opake Schicht „vom allerschönsten Weiß und fast in Elfenbeinweiße ziehend“ strahlte, der durchsichtige Bildgrund
aber je nach seinem Färbeverfahren in verschiedenen Grau-,
Gelb- oder Rottönen variierte; die Laokoon-Gruppe gravierte er mit schwarzem Grund.139 Der Abbau von Edelsteinen im Gebiet zwischen Saar und Nahe wird erstmals 1454
(Oberkirchen), 1497 (Freisen), dann 1544 erwähnt.140 Materialbestimmungen können also eine zusätzliche Hilfe bei der
Datierung bieten, z.B. eines Kameos mit Frauenbüste, den
Furtwängler für antik erachtete (Nr. 683). Insgesamt stammen die Rohsteine von über 30 in Italien gravierten Kameen
der Berliner Sammlung aus dem Gebiet um Idar-Oberstein;
die „Romaner“ kauften die vor Ort wenig geschätzten gebänderten Achate und färbten sie zu Hause nach alten Rezepten,
deren Geheimnis sich erst langsam nördlich der Alpen verbreitete.141
Ein Sardonyx mit horizontalen Lagen für repräsentative
großformatige Kameen wie etwa der Grand Camée de France
137 S. J. Hein, Kameengefäße der Neuzeit in Schloss Rosenborg, in:
Mythos und Macht 2008, 69–73; Hein 2009.
138 Die Materialbestimmungen verdanke ich Ralf Schmidt, Suhl; er
unterscheidet zwischen Exemplaren mit Hämatit-Pigmentierung,
meist in der Unterschicht, solchen mit Hämatit-„Fahnen“ sowie
solchen mit extrem feinen Pigmenten, die eine zartrosa Schicht
oder Pünktchen erzeugen und für die Haut genutzt wurden.
139 Nöggerath (Anm. 135) 6. Ueber das Färben der Cameen in Italien,
in: Jahrbücher des Vereins von Altertumsfreunden im Rheinlande 12, 1848, 66–67; wiederholt bei: K.E. Kluge, Handbuch der
Edelsteinkunde für Mineralogen, Steinschneider und Juweliere
(Leipzig 1860) 138 § 151 Verfahren in Italien.
140 Sebastian Münster, Cosmographia (Basel 1544) 321; H. Bank,
Das Schaubergwerk Steinkaulenberg in Idar-Oberstein (IdarOberstein, 2. Aufl. 1991) 27–29; R. Schmidt, Achate und Jaspise
aus dem Nahegebiet in der Dosensammlung des Meininger Herzogs Anton Ulrich, in: Heimat und Museum. Festschrift für Alfred
Peth (Idar-Oberstein) 11, 1996, 88–120, bes. 100ff. Abb. S. 103,
113 mit Verweis auf eine Expedition im Jahr 1600 zur Erkundung
des Nahe-Gebiets auf Geheiß des Habsburger Kaisers Rudolf II. in
Prag.
141 Lange (Anm. 135) 63.
32
Einleitung
(31 x 26,5 cm)142 war in der Antike ebenso rar und teuer wie
heute. In einer kurzen Periode zwischen ca. 30–50 n. Chr.
tauchen Kameo-Tafeln aus Kalzit (Kalkspat) auf: Das weiche
Mineral der Mohshärte 3 mit vollkommener Spaltbarkeit
kommt fast überall vor und kann große, absolut plane Lagen bilden. Diese selten komplett erhaltenen, mehrfarbigen
Reliefplatten von ca. 25 x 40 cm (Nr. 45) wurden wohl als
gerahmter Wanddekor oder zur Verzierung von Möbeln verwendet. Erheblich aufwändiger war die Herstellung gleichformatiger Tafeln aus weiß-blauem Kameo-Glas, wie die aus
dem Speisezimmer der Villa des Fabius Rufus in Pompei, die
offenbar gleichzeitig und zum gleichen Zweck entstanden.143
Einige neuzeitliche Kameen der Berliner Sammlung wurden von Hofsteinschneidern in Bayreuth und Coburg wie
Johann Adam Hanf (1715–1776?) oder Johann Thomas
Walther (1717–1798) aus lokalen Lagensteinen geschnitten,
etwa aus Jaspe de Sanspareil, einem offenbar in der Umgebung des gleichnamigen Felsengartens des Markgrafen von
Bayreuth anstehenden Flint (Nr. 811, 848), oder aus „Coburger Jaspis“, einem Holzstein (Kieselholz) (Nr. 767, 847).
Erfolgreicher war die auf Befehl der vom „Kameen-Fieber“
geplagten Zarin Katherina d. Gr. ab 1781 in Sibirien und im
Ural gestartete Suche nach Sardonyx, bei der ergiebige Lagerstätten erschlossen wurden.144 Der französische Graveur
Louis Chapat bevorzugte hingegen einen einfachen Kiesel,
aus dem er ein elegantes Porträt des preußischen Königs
Friedrich II. anfertigte (Nr. 856).
Besonders attraktiv für Kameen, aber recht selten ist der
dem Sardonyx eng verwandte Karneolonyx, der wegen seiner
kräftigen natürlichen Farben keiner weiteren Behandlung
bedarf. Seine leuchtend karneolrote Schicht wurde bei zwei
hellenistischen Kameen aus dem „Schatzfund von Petescia“
für das Relief verwandt, die milchigweiße für den Bildgrund
(Nr. 2–3). Das Material könnte aus Indien stammen: Bei den
Ausgrabungen in der bereits erwähnten antiken Stadt Muziris nördlich von Cochin wurden neben großen Mengen an
sehr reinen Karneolen auch oval zugeschliffene Rohlinge aus
gebändertem Karneolonyx gefunden.145 Das Material bietet
jedoch kein Kriterium für eine Datierung, da es über die
Britische Ostindien-Kompanie spätestens seit Ende des 18.
Jhs. massenhaft nach Europa importiert wurde (s. Register
D 1).146
142 S.o. 27 Anm. 135.
143 Platz-Horster 1992. Zur Herstellung von Kameoglas s.u. 30.
144 Kagan 1996, 236 Anm. 30; J.O. Kagan, „Камейное художество“
на императорских камнерезных фабриках. Петергоф.
Екатеринбург. Колывань (Sankt Petersburg 2003).
145 Hinweis und Fotos verdanke ich K.P. Shajan, London. S.o. Anm.
127.
146 Lange (Anm. 135) 60.
2. Einfarbige Edelsteine
Der erwähnte sehr reine Karneol aus Indien verleiht dem vorzüglich als Hochrelief gravierten Porträt der Livia Drusilla,
der dritten Frau des Kaisers Augustus, aus dem Petescia-Fund
(Nr. 4) seine besondere Brillanz. Einfarbige, oft sehr hochwertige Edelsteine wie Granat, Bergkristall, reiner Chalcedon
und Karneol oder Amethyst wurden in der Antike vorzugsweise für halb- oder vollplastische Arbeiten verwendet, etwa
kleine Köpfe (Nr. 48, 49, 51, 70, 73, 89), für ganze Fingerringe mit figürlichem Aufsatz (Nr. 92–93), Anhänger von
Halsketten (Nr. 94, 96, 100) oder sogar für teures Spielzeug
(Nr. 9–12?, 97, 102). Ein Porträt des sächsischen Kurfürsten
Friedrich August II. / August III. König von Polen (Nr. 858)
ist im zeitgenössischen Stil sehr fein in einen kleinen klaren Amethyst graviert. Die für antik erachtete vollplastische
Amethyst-Büste des Dichters Sophokles (Nr. 854) stellte sich
als eine von drei seriellen Arbeiten à l’antique der 1. Hälfte
des 19. Jhs. heraus.
Aus einem glasklaren und ungewöhnlich großen Bergkristall wurde eine leicht gewölbte Schale von einst mehr als
20 cm im Durchmesser geschliffen, in deren Zentrum eine
nur als Fragment erhaltene Nereide auf einem Seeungeheuer
lagert (Nr. 84). Das einst auf drei Muschelfüßen stehende
Prunkgefäß stammt vermutlich aus der barocken Wunderkammer des einstigen Museo Kircheriano in Rom; es erinnert
an die legendären Edelsteinschätze des Königs Mithridates
VI. von Pontos, die Pompeius Magnus 63 v. Chr. auf das
Kapitol in Rom weihte (Plinius, n.h. 37, 11). In seiner Größe
wie in der Stärke des Reliefs hätte es sogar die berühmte Tazza Farnese in Neapel übertroffen, der es in seiner späthellenistischen Entstehung zeitlich nahe steht.147 Unverzierte Becher, Schalen und Salbfläschchen aus klarem Bergkristall mit
kunstvoll aus dem vollen Stein geschliffenen Henkeln und
Füßen waren vom Hellenismus bis in die römische Kaiserzeit
hoch geschätzt; sie wurden – da ohne Reliefdekor – jedoch
nicht in diesen Katalog aufgenommen.148
Aus Chalcedon entstanden auch Statuetten oder Büsten
von Göttern oder Herrschern, die offenbar über lange Zeit
hoch geschätzt und tradiert wurden, so die in einer römischen Familien-Grabkammer in Weiden bei Köln aufbewahrte Statuette der Ceres (Nr. 87) oder die im Mittelalter
durch eingelegte Edelsteine „aktualisierte“ Porträtbüste des
Kaisers Traian (Nr. 88). Derartige Porträtbüsten oder -köpfe
aus Chalcedon erfreuten sich trotz des milchigen und damit
im Kontur verschwimmenden Materials offenbar auch in der
Neuzeit erheblicher Beliebtheit, wie das Porträt eines Kahlköpfigen belegt, das für den Einsatz in eine Büste zugerichtet
147 Platz-Horster 1992, 13 Anm. 9 u. 23 Abb. 16; Zwierlein-Diehl
2007, 66f., 247f. Abb. 231–232.
148 Bühler 1973, Nr. 40, 49–53, 68, 71, 84. Ferner: Inv. 1981.17: W.D- Heilmeyer, in: JbPK 18, 1981, 165ff. Platz-Horster 2001, 88
Nr. 52 (Lit.); Inv. 1987.1: erwähnt ebenda 89; Inv. 30219,1094;
Inv. 22x: D. Plantzos, AJA 101, 1997, 460 Fig. 11.
Material und Form
33
ist (Nr. 735). Das Material der ebenfalls in Deutschland gefundenen römischen Scheibe (phalera) mit Luna-Büste (Nr.
90) stammt vermutlich aus Bjal Kladenets in den östlichen
Rhodopen, nicht weit von den oben erwähnten SardonyxFunden.
Der offenbar nur kurze Zeit bei Eskişehir in Anatolien
zugängliche Chromchalcedon – meist „Plasma“ oder „Praser“ genannt – bietet wegen seiner lauchgrünen Farbe mehr
Kontrast und war ob seiner Ähnlichkeit zum Smaragd sehr
gesucht (Nr. 47, 50, 95, 103).149 Eine Rarität, aber wegen seiner unruhigen Struktur eigentlich ungeeignet für den Reliefschnitt ist der Amazonit, ein Kalifeldspat; er wurde am Gebel
Hafafit in der südlichen Ostwüste Ägyptens abgebaut150, für
edlen Schmuck der Pharaonen verarbeitet – so etwa dem des
Tutanchamun – und war daher angemessen für ein Porträt
des Kaisers Tiberius (Nr. 52). Der Chrysopras, eine apfelgrüne Varietät des Chalcedon, ist im Berliner Bestand mit einem
großen, attraktiven Kameo aus der Sammlung Bayreuth vertreten, dessen Material aus den Minen in Gläsendorf (heute
Szklary/Polen) stammt, die 1740 zu Beginn der Schlesischen
Kriege unter Friedrich II. von Preußen wiederentdeckt wurden (Nr. 793).151 Aus Heliotrop, einer weiteren Varietät des
Chalcedon von kräftig grüner Farbe mit roten Einsprengseln, ist in Italien zu Beginn des 17. Jhs. eine Serie von sechs
kleinen, dünnen Kameen mit römischen Kaiserköpfen samt
den Beischriften ihrer Namen wenig sorgfältig geschnitten
worden (Nr. 645–650); ein großer Kameo mit dem Kopf
des Jupiter Ammon wurde wohl in der Mitte des 18. Jhs. in
Deutschland graviert (Nr. 782).
Lapislazuli für zwei große, sorgfältig gearbeitete Por­
träts der Kaiser Hadrian und Antoninus Pius hat wohl der
Nürnberger Glas- und Edelsteinschneider Johann Christoph
Dorsch (1676–1732) gewählt (Nr. 838–839); ein weiteres
Kaiserbildnis stammt aus der 1769 von Friedrich II. gekauften Sammlung Wassenaer-Opdam (Nr. 644). Der vermutlich teure Stein war im Barock sehr beliebt und wurde häufig
für Gemmenserien verwendet.152 – In der hellenistisch-römischen Antike niemals verwendet wurde Rauchquarz, weder
für Schmuck- noch für Siegelsteine; vermutlich ein italienischer Graveur hat im späten 18. Jh. die damals gerade an
der Via Appia bei Rom entdeckte kolossale Büste des Jupiter
Serapis frontal aus einem sehr großen Rohstein nachgeschliffen (Nr. 855).
Als Glasfritte wird ein Vorprodukt von Glas bezeichnet, das
beim langsamen Sintern von Pottasche und Quarzsand bei
ca. 850° C entsteht. Das opake, wegen seines geringen Kalkgehalts meist matte und leicht korrodierende Produkt wird
bisweilen mit „Fayence“ verwechselt, obwohl dies eine glasierte Keramik meint.155 Glasfritte diente auch zur Herstellung von „Fayence“-Glasur oder von Pigmenten. Aus dem
seit hellenistischer Zeit beliebten Material konnten seriell
Anhänger für Halsketten hergestellt werden, indem das pulverisierte Gemenge in eine offene Form gedrückt und diese
dann erhitzt wurde (Nr. 145–147). Aufwändiger war das
Verfahren zur Herstellung vollplastischer Anhänger in einer
zweiteiligen Form, deren Naht ringsum am Kontur sichtbar
ist (Nr. 111); dieses Verfahren wurde für Glasobjekte angewandt (Nr. 112–115, 123–124).156
149 Platz-Horster 2010, 179–202.
150 L. Thoresen / J.A. Harrell, Archaeogemology of Amazonite, in:
R. Merk (ed.), The John Sinkankas Gem Feldspars Symposium,
Carlsbad CA, April 17, 2010 (San Diego 2010) 58–62.
151 König Friedrich II. erwarb für seine berühmte Sammlung von Tabatieren auch einige aus „Chrysopras“ oder „pierre de Silesie“, s.
GStA PK, BPH Rep. 47, Nr. 941 fol. 15, 21, 37.
152 G. Tassinari, Alcune considerazioni sulla glittica post-antica: la cosiddetta «produzione dei lapislazzuli», in: Rivista di Archeologia
34, 2010, 67–143.
153 M. Ganzelewski / Th. Rehren / R. Slotta, Neue Erkenntnisse zum
Bernstein. Internationales Symposium im Deutschen BergbauMuseum. Metalla. Sonderheft (Bochum 1997).
154 Calvi, Aquileia 2005, 9–15; Nava-Salerno 2007, 254–259.
155 Zur Begriffsklärung s. R. Busz / P. Gercke (Hrsg.), Türkis und
Azur. Quarzkeramik im Orient und Okzident (Kassel 1999) 12–
21 (B. Schlick-Nolte), 66–68 (V. Scheunert); M.-D. Nenna / M.
Seif el-Din, La vaisselle en faîence d’époque gréco-romaine. Catalogue du Musée gréco-romain d’Alexandrie (Kairo 2000) 17–27.
156 Zur Herstellung von Glas-Produkten in der zweiteiligen Form s.:
G. Platz-Horster, Herstellung und Wert von Glas-Skarabäoiden,
in: Annales AIHV 14 (Lochem 2000) 25–29.
3. Bernstein und Koralle
Bernstein, ein fossiles Baumharz hauptsächlich aus dem Baltikum153, wurde schon im Neolithikum zu Schmuck verarbeitet und erfreute sich in allen alten Hochkulturen hoher
Wertschätzung (s. Nr. 106). Plinius d. Ä. berichtet, Bernstein genieße das gleiche Ansehen wie Edelstein (n.h. 37, 30)
und sei als Luxusartikel über Carnuntum (bei Wien) nach
Aquileia eingeführt worden (n.h. 37, 45–50).154 In dem wohl
kaiserlichen „Schatzfund von Petescia“ (Nr. 7–8) sind ebenso
kleine Objekte aus Bernstein vertreten wie in dem reichen
„Kindergrab bei Rom“ (Nr. 13–14); sie entstanden in den
beiden ersten Jahrzehnten des 1. Jhs. n. Chr. Erheblich kostspieliger wird das Alabastron (Nr. 107) von 7,6 x 8 cm Größe
gewesen sein, verziert mit spielenden Eroten zwischen Weinranken, ein von augusteischen Silbergefäßen bekanntes Motiv. Alle diese Arbeiten entstanden vermutlich in Aquileia.
Die Steinkoralle nimmt nicht nur bei Plinius wenig Raum
ein (n.h. 37, 164), sie spielt auch im antiken Schmuck eine
geringe Rolle. In der Berliner Sammlung belegen drei kleine, grob aus den Ästen geschnittene Amulette – ein nackter
Harpokrates-Knabe, eine fica-Hand und ein Phallus – die
übliche römische Konnotation mit ägyptischen Kulten bzw.
den Glauben an die Übel abwehrende Funktion der kleinen
Sex-Symbole (Nr. 108–110).
4. Glasfritte, einfarbiges und mehrlagiges Glas
34
Einleitung
Glas entstand in der Antike meist aus zerkleinerter Fritte
in einer zweiten Schmelze bei 1000–1100° C; durch Beimischen von Metall wurde es gefärbt oder durch Metalloxyde
entfärbt; zu Barren geschmolzen konnte es transportiert und
in sog. Sekundärglashütten verarbeitet werden. Die Herstellung kleiner, einfarbiger Kameen aus Klarglas entspricht im
Prinzip der von Glasgemmen: Von dem originalen Edelstein
wird ein Abdruck angefertigt aus einem Material (Ton /
Gips), das im Feuer nicht mit dem Glas verschmilzt; auf die
Form wird ein Glasstück gelegt und in den Ofen geschoben;
beginnt das Glas sich aufzuwölben und zu leuchten, wird es
mit einem warmen Spatel in die Form gedrückt; nach dem
langsamen Erkalten wird der Rohling aus der Form gehoben
und der sog. Gussüberstand an den Rändern und eventuell
auf der Rückseite abgeschliffen.157 Bereits an dem hellenistischen Glaskameo des Athenion (Nr. 167) bestätigen die Eindrückspuren eines geriffelten Spatels in das heiße Glas dieses
Verfahren; indes belegen hier die Stauchungen im Glas und
der gerundete Rand die Verwendung eines exakt passenden
Glasplättchens, das in eine Form mit seitlich hoch stehenden
Rändern gedrückt worden ist. Für zwei- oder mehrfarbige
Kameen wurde die im Original oberste Reliefschicht – also
die tiefste Stelle in der Negativform – z.B. mit mittelbraunem Glasmehl ausgelegt, das übrige Relief meist mit einem
opak weißen Glasmehl und das Ganze mit einem transluziden dunkelbraunen Glasstück für den Bildhintergrund
abgedeckt. Das gelingt nicht immer präzise (z.B. Nr. 160,
161, 165), und die Verbindung der einzelnen Schichten –
besonders der opak weißen Lage mit dem Bildgrund – platzt
bisweilen ab (Nr. 240) oder löst sich auf (Nr. 234); dann lässt
nur noch der etwas hochstehende Kontur um die von der
Abplatzung raue Grundschicht die verlorene Darstellung erkennen (z.B. Nr. 178, 224). Zudem korrodiert besonders das
bleihaltige Weiß leicht (z.B. Nr. 160, 289–290), und die Irisierung der Oberfläche durch Feuchtigkeit beeinträchtigt die
Darstellung zusätzlich (Nr. 216, 229, 231, 248, 255, 310).158
Bei einfarbigen Glaskameen können neben dem fehlenden
Kontrast von Relief zu Bildgrund auch das oft stark blasige
Glas und die schillernde Iris die Lesbarkeit behindern.
Wie in anderen Sammlungen, so machen im Berliner Bestand die Glaskameen mit über 250 Exemplaren die größte
Gruppe der antiken Kameen aus; darunter sind 87 mehrfarbige, die den Effekt des Lagenachats nachahmen.159 Hinzu
kommen noch einige vollplastische Objekte, die den klaren
Bergkristall (Nr. 123–124) und den kostbaren Granat imitieren oder die Natur farblich übertreffen (Nr. 112–115).
Mithilfe der o.g. Negativform konnten seriell formgleiche
Glaskameen hergestellt werden; leider sind die entsprechenden Originalkameen nur selten erhalten.160 Oft sind
die Abdrücke recht unscharf (Nr. 221–223). Repliken von
Glaskameen können in ein-, zwei- oder mehrfarbigen Varianten vorkommen (s. zu Nr. 167, 177, 198–199, 221–223,
238–239, 284, 295, 306–307). Die meisten Glaskameen
gehen auf gute klassizistische Vorlagen der späten Republik
bis frühen Kaiserzeit zurück. Eine bedeutende Bereicherung
für die Porträtforschung bieten die Bildnisse hellenistischer
Herrscher (Nr. 168–169) und des römischen Kaiserhauses
(Nr. 338–344, 346–348); ein 1960 erworbenes goldenes Diademband krönt ein feines Porträt der Livia (Nr. 345). Das
Mittelmedaillon einer Silberkette aus Südrussland umfasst
eine leider stark irisierte Wiederholung eines verschollenen
Kameo mit dem gefesselten Amor, den der augusteische
Gemmenschneider Aulos signiert hatte (Nr. 208). Weniger
qualitätvoll sind ganze Serien einfarbiger konvexer Kameen
mit Amor und Psyche in verschiedenen Glasfärbungen, die
vielleicht in Aquileia fabriziert und zur Dekoration kleiner
Schmuckkästen verwendet wurden (Nr. 263–275). Als Spielsteine dienten vielleicht kleine runde Kameen mit dem frontalen Haupt der Medusa aus opak weißem Glas (Nr. 17–18,
334). Große Kameo-Scheiben aus kobaltblauem Klarglas mit
der Medusa wurden – in Metallrahmen gefasst – als Orden,
sog. phalerae, an verdiente Militärs verliehen (Nr. 315–317).
Eine Gruppe mehrfarbiger Glaskameen hebt sich durch
Herstellung, Farbgebung und Darstellung ab: Es sind jugendliche Köpfe in Dreiviertelvorderansicht, deren Haare,
Kränze oder Schleier in kräftigen opaken Grün- oder Blautönen vom rosafarbenen Gesicht abgesetzt sind. Ihre Herstellung erforderte eine erhebliche Präzision, da das Glasmehl
nicht wie üblich in Schichten übereinander in die Form
gelegt und dann mit einem Glasstück abgedeckt werden
konnte, sondern das andersfarbige Glasmehl musste wie ein
Band sorgfältig um das Gesicht herum auf gleicher Höhe appliziert werden (Nr. 154–157). Hier wurde kein Lagenachat in diversen Weiß- und Braunstufen imitiert, sondern die
Natur künstlich übertrumpft in Struktur und Farben, die
kein Edelstein hat. Dieses Bestreben lässt sich auch bei späthellenistischen und frühkaiserzeitlichen Glasgefäßen – sog.
Achat-, Mosaik- und Goldbandglas – beobachten.161 Die
157 Zwierlein-Diehl 2007, 311, 326–329, 504–505 Abb. 984–990
beschreibt zusammenfassend das von dem Glaskünstler Josef Welzel, Hadamar, nachvollzogene Verfahren (früh. Lit.).
158 S. dazu auch: C. Weiß, Beobachtungen an Glaskameen der Sammlung Bergau, in: R. Lierke, Antike Glastöpferei (Mainz 1999) 80–
82 Abb. 203, 206f.
159 Bei dem von P. Roberts organisierten „30th British Museum Classical Colloquium – Roman Cameo Glass“ am 1. Dez. 2007, das
leider nicht publiziert wurde, konnte ich eine Auswahl der Berliner
Stücke in „Glass Cameos in the Antikensammlung Berlin: Making
and Use“ vorstellen.
160 Einer der seltenen Fälle ist der hellenistische Sardonyxkameo in
Wien mit den gestaffelten Büsten von Sarapis und Isis: ZwierleinDiehl 2008, 182–185 Nr. 18 Abb. 138, 140–141, 328–330, von
dem zwei Glasrepliken in Florenz und in Klagenfurt bekannt sind;
bei letzterem ist die oberste braune Lage abgeplatzt.
161 S. z.B.: G. Platz-Horster, Antike Gläser. Antikenmuseum Berlin (Berlin 1976) 26f. Nr. 27–28, 31f. Nr. 38–39; E.M. Stern /
B. Schlick-Nolte, Frühes Glas der alten Welt, 1600 v. Chr. – 50
n. Chr. Sammlung Ernesto Wolf (Stuttgart 1994) 276–281 Nr.
75–77, 302–305 Nr. 88–89; v. Saldern 2004, 125ff., 168ff. – Die
im Hellenismus veränderte Farbigkeit kennzeichnet auch andere
Darstellungen
Herkunft dieser Berliner Glaskameen ist leider unbekannt.
Zwar finden sich an stadtrömischen Glaskameen mit Porträts
des Augustus und des Tiberius vereinzelt gelbgrüne Kränze,
deren Glasmehl jedoch in der eingangs beschriebenen Weise zuunterst in die Form eingestreut worden ist.162 Auch bei
einer Gruppe von Glasplatten mit kräftigen opaken Farben scheinen diese partiell übereinander appliziert („layered
glass“) und dann graviert worden zu sein; sie entstanden wohl
ebenfalls in Rom in augusteisch-tiberischer Zeit.163 Hingegen
lassen die unterschiedliche Technik und die Farben bei den
Berliner Glaskameen, ihr Stil und das Sujet der Köpfe ihre
Entstehung in späthellenistischer Zeit und vielleicht im südlichen oder östlichen Mittelmeergebiet vermuten.
Einige wenige Glaskameen wurden nach der Ausformung
zumindest an markanten Partien nachgraviert (Nr. 120, 152,
219, 356), eine Technik, die vom Kameoglas bekannt ist.
Von einst 19 Fragmenten von Gefäßen aus Kameoglas sind
leider nur drei aus der Sowjetunion 1958 zurückgekehrt; das
Bruchstück eines offenen Bechers bewahrt das Oberteil einer
jungen Frau in der Art der „Vase des Saisons“ in Paris (Nr.
118–120). Drei Glaskameen haben ein vertieftes Relief nach
ägyptischer Art, sog. „relief en creux“ (Nr. 313–314, 350), in
der auch ein Sardonyx-Kameo der ehem. Sammlung Dressel
geschnitten ist.164
Einige der von Furtwängler 1896 als antik publizierten
Glaskameen sind offenbar Abdrücke des frühen 19. Jhs. nach
antiken Gemmen samt ihrer Ringfassung (Nr. 363, 367,
371), aber vermutlich auch Abgüsse von neuzeitlichen Kameen (Nr. 364, 368, 374).
Barocke Glaskameen sind in der Berliner Sammlung nicht
vertreten. Erst in die 2. Hälfte des 18. Jhs. datiert dem Habit
nach das Porträt eines Mannes mit Zopfperücke (Nr. 859).
Auch aus dem Klassizismus um 1800 stammen nur wenige,
allerdings qualitätvolle Glaskameen aus hyazinthfarbenem
bzw. entfärbtem Klarglas, vermutlich alle von zeitgleichen
Kameen abgeformt (Nr. 758, 787, 794).
Gattungen wie Wandmalerei, Aquarell-Vasen, Terrakotten oder
Skulpturen, s. jetzt: J. Stubbe Østergaard, The Polychromy of Antique Sculpture: A Challenge to Western Ideals?, in: V. Brinkmann
et al. (ed.), Circumlitio: The Polychromy of Antique and Mediaeval Sculpture (München 2011) 78ff. Anm. 59.
162 C. Weiß, Nachrichten aus dem Martin-von-Wagner-Museum.
Neues aus der Gemmensammlung, in: AA 1995, 540–554 bes.
Anm. 295f.; C. Weiß / U. Schüssler, Kameoglasfragmente im
Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg und im
Allard Pierson Museum Amsterdam, in: JdI 115, 2000, 199ff.,
229f.; G. Sena Chiesa, Cammei ad Aquileia: Una prima ricognizione, in: Sena Chiesa – Gagetti 2009, 89 Fig. 11.
163 P. Roberts, W. Gudenrath, V. Tatton-Brown and D. Whitehouse,
Roman Cameo Glass in the British Museum (London 2010) 77–
79 no. 75–81.
164 Weiß 2007, 335 Nr. 699.
35
c) Darstellungen
Die Berliner Gemmensammlung gehört nicht zu den ältesten ihrer Art (s.o. zur Geschichte der Sammlung), aber sie ist
mit insgesamt ca. 14.600 Stück – davon 875 Kameen – eine
der größten weltweit. Insofern hat das numerische Verhältnis von ca. 1 : 17 an Kameen zu Gemmen in der Berliner
Sammlung eine gewisse repräsentative Relevanz. Allerdings
verschiebt eine Differenzierung zwischen antiken und nachantiken Stücken diese Relation drastisch: Bei den antiken
ergibt sich dann ein Verhältnis von ca. 1 : 25, während bei
den nachantiken Kameen und Gemmen das Verhältnis mit
ca. 500 : 600 fast ausgewogen ist.165 Für die antiken Kameen und Gemmen lässt sich dies durchaus vergleichen mit jenen aus bekannten Fundorten: Unter den insgesamt 1.472
von H. Guiraud publizierten Fundgemmen aus dem römischen Gallien befinden sich 60 Kameen.166 Von den mehr
als 2.000 in Salona / Dalmatien gefundenen Gemmen sind
nur 40 Kameen, und unter den 300 in Tilurium gefundenen Gemmen gar nur 9 Stück.167 Aus Carnuntum konnte
G. Dembski neben 1.151 Gemmen immerhin 101 Kameen
vorlegen; das günstigere Verhältnis ist aber besonders den 27
flüchtig gravierten Medusa-Kameen der späten Kaiserzeit
zuzurechnen.168 In den neueren Grabungen der 79 n. Chr.
verschütteten Vesuvstädte wurden hingegen neben 55 Gemmen (in Ringen oder lose) nur 1 Kameo in Goldring sowie 2
ungefasste Kameen (Achat und Glas) gefunden.169 Unter den
insgesamt 637 Nrn., die bisher aus Xanten und Umgebung
erfasst werden konnten, gibt es nur 8 Kameen, davon 5 aus
Glas.170 Bei den dokumentierten Grabungen in Augsburg kamen 35 Gemmen, aber nur ein Glaskameo ans Licht.171
Diese Beispiele von Fundkameen172 mögen als Prämisse dienen, Aussagen über das Spektrum der Darstellungen
auf Kameen – antiken wie nachantiken – anhand der Berliner Sammlung zu treffen. Ihre Auswertung ergibt eine erstaunlich begrenzte Auswahl an Themen und Motiven im
Vergleich zu Gemmen. Dabei sind Kameenbilder erheblich
165 Nicht eingerechnet sind bei den nachantiken Stücken die fast
1.700 Glaspasten z.T. nach antiken Gemmen, s. Furtwängler
1896, Nr. 9423–11095, sowie später angekaufte neuzeitliche
Glaspasten.
166 Guiraud I 1988, 200–203 Nr. 976–1015; II 2008, 655, 177–183.
– Leider gibt es keine vergleichbaren Zahlen zu den großen Beständen im Museo Nazionale di Aquileia, von denen G. Sena Chiesa
1966 nur einen Teil der Gemmen publizierte; zu den Kameen s.
G. Sena Chiesa, Cammei ad Aquileia: una prima ricognizione. In:
Sena Chiesa / Gagetti 2009, 83–97.
167 B. Nardelli, Late Roman Gems from Tilurium in Croatia, in:
Gems of Heaven 2011, 132 Anm. 25.
168 Dembski 2005, Nr. 1196–1222.
169 D’Ambrosio / De Carolis 1997, 46 N. 106, 48 N. 113, 104 N.
393.
170 Platz-Horster, in: Xantener Berichte 15, 2009, 129ff.
171 G. Platz-Horster, Die antiken Gemmen aus Augsburg (2012).
172 Zu Gemmen und Kameen aus Fundkontexten s. ausführlich:
Platz-Horster 2010, 182–186 (frühere Lit.).
36
Einleitung
besser lesbar als vertieft in meist einfarbige Edelsteine geschnittene Gemmenbilder, die in ihrer Funktion als Siegel
zudem seitenverkehrt graviert sind. Kameen hingegen, deren
Reliefs sich meist aus zwei- oder mehrfarbigen Lagenachaten
erheben, wären ideale Bildträger für die breite Palette mythologischer und historischer Szenen und Gestalten, die nicht
nur auf Gemmen aus Antike, Barock und Klassizismus überliefert ist. Bei den 875 Berliner Kameen dominieren stattdessen 532 meist im Profil dargestellte Büsten und Köpfe von
Frauen (241), Männern (225) und Kindern (66) sowie meist
frontale Masken (63); aufgeschlüsselt nach antiken (374)
und nachantiken (501) Arbeiten sind es 163 antike und 369
nachantike – meist barocke – Büsten und Köpfe sowie 28 :
35 Masken.173 Das auffällige Übergewicht dieser Darstellungen liegt also besonders bei der nachantiken Kameen; aber
auch bei den antiken zeigen mehr als die Hälfte Köpfe und
Masken.
Unter den antiken Kameen überwiegen solche mit männlichen Köpfen leicht vor den weiblichen (69 / 64); am stärksten vertreten sind Dionysos-Bacchus mit Satyr, Pan und
Silen, Apoll, Philosophen und Dichter sowie Porträts von
Herrschern. Bei den Frauen liegen Athena-Minerva, Victoria und Nemesis, Aphrodite-Venus und Artemis-Diana etwa
gleich auf mit Porträts, während Medusa-Gorgo – besonders
als frontales Gorgoneion – mit großem Abstand diese Gruppe anführt (29). Nur die oft frontalen Kinderköpfe, darunter
auch solche mit Eros-Amor, sind noch zahlreicher (30). ErosAmor nimmt auch den ersten Platz unter den ganzfigurigen
Darstellungen auf den antiken Kameen ein, gefolgt von Aphrodite-Venus, Dionysos-Bacchus mit Satyr, Pan und Silen
sowie Mänade, Nymphe oder Nereide, dann Victoria und
Minerva. Mehrfigurige antike Kameen mit mythologischen
Szenen finden sich selten im Berliner Bestand (z.B. Nr. 2,
21, 24–25, 38–40, 43–46, 84, 107); der große Paris-Kameo
(Nr. 34) und die Platte mit Nil und Euthenia (Nr. 45) sind
historisch konnotiert. Einige antike Glaskameen überliefern
hingegen mythische Erzählungen, besonders zu Venus, Amor
und Psyche, Bacchus und seinem Kreis (z.B. Nr. 187–190,
197–204, 213–219, 221–229, 263–275); auch Herakles
und andere griechische Helden, die von gleichzeitigen Gemmen so vielfältig bekannt sind, treten hier vermehrt auf.
Szenen aus dem römischen Leben wie das Wagenrennen
(Nr. 5) oder ein Retiarius (Nr. 262) sind Ausnahmen auf
den antiken Kameen. Das Nottuln-Alabastron (Nr. 86), die
Büste von Livilla mit ihren Zwillingen (Nr. 55), die Verherrlichung des Kaisers Hadrian (Nr. 57) oder die Büste des Kaisers Traian (Nr. 88) waren wohl nur engen politischen Kreisen zugänglich, während kleinere Kaiserporträts – besonders
Repliken aus Glas (Nr. 338–347) – eine größere Verbreitung
fanden (s.u. zur Datierung). Unter den auf Gemmen häufig
abgebildeten Tieren treten auf antiken Kameen nur Pferde
173 Die in der Datierung zweifelhaften Stücke sind den jeweiligen
Gruppen zugeordnet.
hervor, meist in Gespannen für Victoria – ebenso ein politisches Symbol wie der frontale Adler (Nr. 59).
Die römische Geschichte spielt auf den barocken Kameen
erstaunlicherweise eine größere Rolle. Erwähnt seien nicht
nur die in der Antike niemals dargestellten, aber auf Kameen
des 16. Jhs. so beliebten Geschichten vom Selbstmord des
M. Curtius Rufus oder der Rettung Roms durch Horatius
Cocles (Nr. 447–448). Auch die Mehrzahl der männlichen
Büsten und Köpfe zeigt römische Kaiser mit Lorbeerkranz,
Panzer und Paludament; die meisten weiblichen Büsten stellen Minerva, Kleopatra, Lucretia oder Frauen in antikem
Kostüm dar. Diese seriell vorwiegend in Mailand hergestellten Kameen spiegeln das Selbstbild barocker Fürsten, wie es
auch antikisierende Zyklen in Gemälde- und Skulpturengalerien, in Stichwerken, auf Medaillen oder Münzen der Zeit
transportierten.174 Viele der z.T. winzigen Kameen – auch
mit Kinderköpfchen (Nr. 565–588) – oder die Massenware
an derb gravierten Kameen mit Szenen der griechisch-römischen Mythologie (Nr. 393–446 ) dienten einst dem Besatz
von kostbaren Gefäßen; ganze Serien sitzen noch in derselben Art von nummerierten Kastenfassungen mit rückwärtigen Ösen oder Stiften (Nr. 458–462, 492–522, 599–604).
Die Antike thematisieren auch große, repräsentative Einzelstücke wie „Proserpina in der Unterwelt“ oder „Troja in
Flammen“, die dem Umkreis des in Mailand tätigen Alessandro Masnago zugeschrieben wurden (Nr. 381–381); leider sind sie ebenso Kriegsverlust seit 1945 wie „Europa auf
dem Stier“ (Nr. 383), „Herkules am Scheideweg“ (Nr. 385)
oder „Roma auf Waffen“ (Nr. 449). Den Verlust dieser und
weiterer, schon bei Beger 1696 abgebildeter Meisterwerke
des Barock, die hier soweit möglich dokumentiert werden
(z.B. Nr. 375–376, 451, 472, 482–483, 488–489, 558, 667,
669), können auch die vorhandenen Arbeiten guter Qualität (z.B. Nr. 450, 452, 481, 484, 490, 589, 641–642, 656,
659, 738–740) nicht kompensieren. Besonders attraktiv ist
eine Reihe von Frauenbüsten, bei denen die Steinschneider
geschickt mit der Farbigkeit der diversen Achatlagen spielten
(Nr. 676–688). Der kontrastreich gefärbte Sardonyx eignete
sich auch perfekt für die im Barock so beliebten Negerköpfe
(Nr. 698–703, 741–746).175 Antik in den Sujets, aber ganz
barock in Material und Gestaltung ist die Serie von Fabeltieren auf kleinen bunten Achatkameen aus Mailand um 1600
(Nr. 716–730).
Die Steinschneider des Klassizismus orientierten sich bevorzugt an der Antike, und zwar nicht nur im Motiv bis hin
zur exakten Kopie einer antiken Vorlage, sondern oft auch in
Material, Stil und Technik. Das erschwert ihre Unterscheidung von den antiken; so mussten zwölf von A. Furtwängler für antik erachtete Kameen in diese Gruppe wandern
(Nr. 754, 759, 763–765, 768, 775–778, 783, 826). Auch
174 Distelberger 2002, 75ff. (Lit.); Aschengreen Piacenti 2008, 47.
175 S. dazu: G. Schäffer, Schwarze Schönheit. „Mohrinnen-Kameen“
– Preziosen der Spätrenaissance im Kunsthistorischen Museum
Wien. Ein Beitrag aus postkolonialer Perspektive (Marburg 2009).
Die Datierung antiker und nachantiker Kameen
hier fehlen seit 1945 drei der größten Exemplare: „Hekubas vergebliches Opfer“, „Das Urteil des Paris“ und „Mars
mit Venus und Amor“, letzteres wohl eine Arbeit von Lorenz
Natter (Nr. 751–753). Die wenigen ganzfigurigen Kameen
führen wieder Venus und Amor an, gefolgt von Leda, Methe,
Herakles, Satyr, Silen und Mänade sowie Musen, die zu den
Theatermasken überleiten. Von den zahlreicheren Büsten
fehlen heute: Jupiter Ammon von Antonio Berini (Nr. 781)
sowie Minerva mit Drachenhelm, wohl von Nicola Morelli (Nr. 785). Die klassizistischen Graveure griffen nicht nur
auf spektakuläre Neufunde etwa aus Tivoli zurück (Nr. 780?,
798, 800, 820), sondern exzerpierten auch berühmte Gemälde wie „La Fortuna“ von Guido Reni (Nr. 756) oder zeitgenössische Skulpturen von Antonio Canova (Nr. 803, 835).
Beliebte Motive reizten namhafte Steinschneider zu aparten
Ideen, wie der von Gaspare Capparoni und Giovanni Giuseppe Pichler beidseitig mit Köpfen von Ceres und Jupiter
gravierte Sardonyx zeigt (Nr. 790). Büsten von Medusa, Philosophen – besonders Sokrates, Alexander d. Gr., von römischen Republikanern, Kaisern und Kaiserinnen erfüllten ersichtlich die Wünsche der gebildeten Käuferschicht, die dann
auch deutsche Steinschneider bedienten (s.u. Datierung).
Porträts von deutschen Monarchen sind im Berliner Bestand nur gering vertreten (Nr. 856–858, 859–860?); vielleicht verblieben sie im königlichen Privatbesitz. Die 1836
aus der Kunstkammer überwiesene Serie von 14 Kameen
mit fünf Paaren der königlichen Familie einschließlich Königin Luise in identischen Medaillons (Nr. 861–871) sowie
die Bildnisse ihres Mannes Friedrich Wilhelm III. mit den
gleichzeitigen Regenten Franz I. von Österreich und Alexander I. von Russland in leicht variierten Fassungen (Nr.
872–874) entstanden wohl 1815–1825. Ein weiteres Brustbild mit Friedrich Wilhelm III. in ähnlicher Fassung (Nr.
875), graviert von Giovannini Amastini, damals Lehrer an
der Berliner Akademie der Künste, gibt stilistisch leider keinen Hinweis auf den Künstler der übrigen Porträts.
Fazit: Die bevorzugten Darstellungen auf den Kameen der
Berliner Sammlung sind Büsten, Köpfe und Masken: bei den
antiken etwa zur Hälfte, bei den barocken und den klassizistischen zu mehr als Dreiviertel. Dieser deutliche Schwerpunkt – gerade im Kontrast zu den vertieft geschnittenen
Gemmen – legt den Vergleich zu Münzen und Medaillen
nahe, obwohl diese als Multiples hergestellt werden können,
was wegen der raschen Abnutzung der Formen nicht einmal
für Glaskameen in dem Umfang möglich war. Große repräsentative Kameen und solche mit vielfigurigen Szenen sind
eine Ausnahme, unter den antiken wie den nachantiken, von
denen leider besonders viele Kriegsverluste sind.176 Die formale und thematische Beschränkung scheint ein immanentes Merkmal der Gattung zu sein. Ihr „klassischer“ Kanon an
176 Die Kriegsverluste betreffen die antiken Kameen wenig, da die
besten bis 1939 im Alten Museum ausgestellt waren, getrennt verpackt und verlagert wurden; sie kamen in das Kunstgutlager Celle,
s. Geschichte der Sammlung 24.
37
Motiven beruht wohl auf dem wesentlich dekorativen Charakter der Kameen, der bei ihrer Wiederbelebung in Barock
und Klassizismus noch enger interpretiert wurde als in der
Antike.
d) Die Datierung antiker und nachantiker Kameen
Eine Hilfe bei der schwierigen zeitlichen Einordnung der
Kameen war die eingangs geschilderte aufwändige Recherche nach dem Vorbesitz der Berliner Stücke, allerdings
hauptsächlich für eine Datierung ante quem der nachantiken
Kameen. Auch Art, Herkunft und Bearbeitung des verwendeten Materials sowie die Form eines Kameos ermöglichen
Rückschlüsse auf seine Entstehung in Antike oder Neuzeit.
Weitere datierende Kriterien unabhängig von Motiv und Stil
fehlen in der Regel bei antiken Kameen in alten Sammlungen: Ihre originalen Fassungen sind meist verloren und ein
eventuell datierender Fundkontext ist unbekannt, da sie entweder nie unter die Erde kamen oder aus älterem Vorbesitz
bzw. aus dem Kunsthandel stammen.
1. Kameen aus zwei Fundkomplexen
Die Antikensammlung besitzt glücklicherweise zwei römische Fundkomplexe mit antiken Kameen: den „Schatzfund
von Petescia“ (Abb. 5; s. Kat. Nr. 1–8) sowie das reiche
„Mädchengrab bei Rom“ (Abb. 6; s. Kat. Nr. 9–18). Wegen
ihrer Einzigartigkeit wurden diese beiden Gruppen – mit Bewertung ihrer Herkunft, Zusammensetzung und Datierung
– dem Bestandskatalog vorangestellt. Für die Überlegungen
zur Datierung antiker Kameen bietet der „Schatzfund von
Petescia“ eine gute Basis, ist er doch der einzige bekannte
Fund, der sechs antike Kameen in ihren originalen Fassungen
enthält (Nr. 1–6). Seine insgesamt 14 goldenen Fingerringe
mit Edelsteinen – Smaragd, Peridot, Granat, Aquamarin,
Karneol, Karneolonyx und Sardonyx – von außergewöhnlicher Qualität entstanden offenbar nicht gleichzeitig.177 Die
Einordnung dieser verschiedenen Ringtypen führt zurück zu
Vorläufern und schließlich zu der Frage nach den frühesten,
in Ringen gefassten Kameen.
1.1. Die Entwicklung hellenistischer Fingerringe
mit Einlagen178
Furtwängler hatte darauf hingewiesen, dass es keine Kameen
in den reichen Gräbern des späten 4. und frühen 3. Jhs. v.
Chr. an der nördlichen Schwarzmeerküste oder auf Zypern
177 Greifenhagen I 1970, 77–83 Taf. 57–61,7; T. Springer, Ein Hort
von Dona Militaria und anderen persönlichen Wertgegenständen
eines römischen Soldaten? Überlegungen zum Schatzfund von Petescia in den Sabinerbergen, in: Acta Praehistorica et Archaeologica 25, 1993, 265–271; Platz-Horster 2005, 788–800.
178 Es werden hier nur für die Entwicklung der Kameen-Ringe relevante Formen verfolgt. – Siehe auch: W. Oberleitner, Ein unbekannter Kameoring – Zur Vergoldung antiker Kameen, in: Jb der
38
Einleitung
Abb. 5: Der „Schatzfund von Petescia“. Antikensammlung, Staatliche Museen zu Berlin, Misc. 7041–7078.
Die Datierung antiker und nachantiker Kameen
39
Abb. 6: Das „Mädchengrab bei Rom“. Antikensammlung, Staatliche Museen zu Berlin, Inv. 30891.
gibt.179 Dasselbe gilt für Nordgriechenland und Süditalien,
wo sich – dank der guten Dokumentation – zudem für diese
Zeit ein tiefgreifender Wandel an Siegelsteinen und Fingerringen nachvollziehen lässt. Neben den Skarabäoid, den wie
ein Skarabäus in der Längsachse durchbohrten und an einem drehbaren Ringbügel getragenen Siegelstein, tritt nach
ca. 350 v. Chr. der – meist kleinere – Ringstein als Siegelträger und löst den Skarabäoid um 280/70 v. Chr. gänzlich
ab.180 Dieser wird anfangs bisweilen noch beidseitig graviert,
dann aber nur auf der stark konvexen Rückseite: Es entsteht
der konvexe Ringstein. Aufwändig verzierte Goldringe aus
Fundkontexten des späten 4. Jhs. v. Chr. haben noch einen
Drehbügel, obwohl ein Kranz aus Goldblechzacken den konvexen Stein einfasst (Abb. 7, A 1).181
Kunsthistorischen Sammlung in Wien 87, 1991, 59–79 Abb. 43;
Pfrommer 1990, 227 Abb. 42; Plantzos 1999, 37 Fig. 2.
179 Furtwängler 1900, Bd. III 152.
180 Zur Entwicklung des Skarabäoids s.: G. Platz-Horster, Eros mit
den Waffen des Zeus. Eine neue Chalcedon-Gemme in den Münchener Antikensammlungen, in: Münchner Jb der Bildenden
Kunst, 3. F., Bd. 46, 1995, 7–24, 9f. Anm. 8ff.
181 Goldring aus Derveni Grab Z, zusammen mit einem KarneolSkarabäus im Drehbügel und einem gravierten Goldring mit der
Inschrift ΚΛΕΙΤΑΙ ΔΩΡΟΝ (3. Viertel 4. Jh. v. Chr.). P. Themelis
Die Ringform mit senkrechten Seiten und ovaler oder
runder Platte war seit dem späten 5. Jh. v. Chr. bekannt für
reine Goldringe mit gravierter Platte. Zu den frühesten Ringen dieses Typs mit flacher Gemme gehört ein Goldring aus
dem Tumulus A von Aineia um 350–340 v. Chr.182 In Gräbern des frühen 3. Jhs. v. Chr. tauchen dann die ersten Fingerringe auf, deren glatter Reif sich verbreitert und senkrecht
in eine flache oder leicht gewölbte Platte übergeht, die einen
glatten konvexen Stein – meist einen Granat – fasst (Abb. 7,
/ G.P. Touratsoglou, Oι τάφοι του Δερβενίου (Athens 1997) 128f.
Z 9–11 Taf. 28 u. 144; B. Tsigarida / D. Ignatiadou, The Gold of
Macedon (Thessaloniki 2000) 45 Fig. 41; S. Descamps-Lequime
/ K. Charatzopoulou, Au royaume d’Alexandre le Grand. La Macédoine antique (AK Paris 2011) 341 Nr. 216/5–7. Goldring mit
Smaragd aus der “Ganymed-Gruppe” bei Thessaloniki, ex Galerie Bachstitz, New York MMA: D. Williams / J. Ogden, Greek
Gold. Jewellery of the Classical World (London 1994) 79 no. 34.
Goldring mit Glasgemme aus Agios Athanasios. Gold of Macedon
2000, 66 Fig. 63.
182 Ai. Despini, Ancient Gold Jewellery. Greek Art (Athens 1996)
206, 266 Fig. 215; Ignatiadou, Gold of Macedon 2000 a.O. 67
Fig. 64; Au royaume d’Alexandre 2011 a.O. 314 Nr. 196/2.
40
Einleitung
A1
A2
A3
A4
A5
A6
A7
A8
B1
B2
B3
B4
B5
B6
B7
B8
B9
B 10
B 11
B 12
Hellenistische Ringformen, 300–100 v. Chr.
A 1: Derveni, Grab Z, Thessaloniki. Um 300 v. Chr. – A 2: Aiginio, Thessaloniki. 300–275 v. Chr. – A 3: Berlin, Inv. 30219,1068. 300–275 v. Chr. – A 4:
Rutigliano, Tarent. 275–250 v. Chr. – A 5: Eretria, Boston. 250–225 v. Chr. – A 6: Kos, Wien. Arsinoë III. Ende 3. Jh. v. Chr. – A 7: Dallas. Arsinoë III. Ende
3. Jh. v. Chr. – A 8: Artjukhov Kurgan, Sankt Petersburg. Ende 3. Jh. v. Chr. – B 1: Tarent, Grab 10.Um 250 v. Chr. – B 2: Berlin, Inv. 30219,519. Um 250
v. Chr. – B 3: Malacena, Berlin Misc. 10279. 250–200 v. Chr. – B 4: Pantikapaion, Sankt Petersburg. 250–200 v. Chr. – B 5: Dallas. 250–200 v. Chr. –B 6:
Los Angeles. Um 200 v. Chr. – B 7: Gavalou, Athen. Um 190 v. Chr. – B 8: Canosa, Tarent. 150-100 v. Chr. – B 9: Harari Collection. Um 150 v. Chr. – B
10: Libanon. Chicago, signiert Menophilos. Um 150 v. Chr. – B 11: Zürich, KH Nefer, signiert Dromas. Um 100 v. Chr. – B 12: Capua, Neapel, signiert
Herakleidas. 2.-1. Jh. v. Chr.
Abb. 7: Die Entwicklung hellenistischer Fingerringe mit Einlagen
41
Die Datierung antiker und nachantiker Kameen
B 13
B 14
C1
C2
C3
C4
C5
C6
C7
C8
C9
C 10
C 11
E2
D
C 12
E3
E1
E4
E5
Hellenistische und augusteische Ringformen, 2. Jh. v. Chr. – Anfang 1. Jh. n. Chr.
B 13: Petescia, Berlin. Kameo Nr. 1. – B 14: Petescia, Berlin. Kameo Nr. 2. – C 1: Kertsch, Baltimore, signiert Apollonios. Um 200 v. Chr. – C 2: Paris. Um
160 v. Chr. – C 3: Petescia, Berlin Misc. 7072. Aquamarin. – C 4: Petescia, Berlin. Kameo Nr. 3. – C 5: Petescia, Berlin. Kameo Nr. 5. – C 6: Petescia, Berlin.
Kameo Nr. 4.- C 7: Petescia, Berlin Misc. 7073. Aquamarin. – C 8: Petescia, Berlin Misc. 7074. Peridot. – C 9: Petescia, Berlin Misc. 7070. AquamarinGemme Nereide FG 6756. – C 10: Torre Gaia, Rom. Ende 1. Jh. v. Chr. – C 11: Paris. Tiberius-Kameo 20–15 v. Chr. – C 12: Mädchengrab Rom, Berlin Inv.
30891 C. Aquamarin. – D: Mädchengrab Rom, Berlin Inv. 30891 A,B,D. – E 1: Petescia, Berlin. Kameo Nr. 6. – E 2: Petescia, Berlin Misc. 7071. GranatGemme. – E 3: Petescia, Berlin Misc. 7075. Smaragd-Gemme. – E 4: Petescia, Berlin Misc. 7076. Smaragd-Gemme. – E 5: Petescia, Berlin Misc. 7051.
Goldbüste.
Abb. 8: Die Entwicklung hellenistischer und augusteischer Fingerringe mit Einlagen
42
Einleitung
A 2–3).183 Aus gleichzeitigen Gräbern um Tarent – aus der 1.
Hälfte des 3. Jhs. v. Chr. – stammen Goldringe dieser Form
mit stark konvexen Gemmen aus Granat oder dunkelrotem
Glas; die Ringplatte ist über den senkrechten Seiten leicht
profiliert, der gravierte Stein durch das etwas hochgezogene Blech gesichert (Abb. 7, A 4).184 In diese Reihe passt der
massive Goldring aus dem „Erotengrab“ von Eretria, dessen
Granat-Gemme mit der bewaffneten Aphrodite von Gelon
signiert ist (Abb. 7, A 5).185 Die Seiten des Rings verbreitern
sich schon leicht zur Ringplatte, was für eine Datierung nach
der Jahrhundertmitte spricht. Sehr ähnlich sind sich zwei
Goldringe des späten 3. Jhs. v. Chr.: der eine aus Tarsos in
Baltimore mit einem leicht konvexen Granat, der vielleicht
das efeubekränzte Bildnis eines hellenistischen Herrschers
zeigt186; den zweiten aus einem Grab auf Kos in Wien ziert
eine extrem konvexe Granat-Gemme mit dem Porträt der
Arsinoë III., der Frau des Ptolemaios IV (Abb. 7, A 6).187
Dieselbe Form mit vertikalen Seiten und fast bis unter die
Platte reichender Reiföffnung hat der gravierte Goldring aus
Mottola188, der auf dieselbe Königin verweist wie auch der
entsprechend zu datierende Goldring in Dallas mit einem in
ein geripptes Rähmchen eingesetzten Sardonyx-Kameo: einer der frühesten, auch durch die Fassung in das späte 3. Jh.
v. Chr. zu datierenden Kameen (Abb. 7, A 7).189
Hier schließt sich nun formal der bekannte Goldring aus
dem Artjukhov-Kurgan auf der Taman-Halbinsel an, dessen
vierlagigen Sardonyx mit dem Schmetterling haschenden
Eros einst Furtwängler für den ältesten, durch den Fundkon183 Grabfund aus Aiginio, Pieria: Greek Jewellery. 6000 Years of Tradition. AK Thessaloniki, Villa Bianca (Athens 1997) 132 Fig. 128;
Au royaume d’Alexandre 2011 a.O. 354 Nr. 222. Goldring Berlin
Inv. 30219, 1068: Greifenhagen II 1975, 74 Taf. 57,1–2; PlatzHorster 1995, 13 Anm. 5 Abb. 5. Goldring aus Ithaka, New York
MMA: Williams / Ogden a.O. 81 no. 36.
184 Ori di Taranto 1984, 295 Nr. 224 aus Tarent, 296 Nr. 226 aus
Rutigliano.
185 Boston, Museum of Fine Arts Inv. 21.1213 (23 x 17 mm, Ring H
25 mm, innere Weite 17 x 22 mm, Gewicht 49,5g). Platz-Horster
1995, 17f. Anm. 11 Abb. 13a-b; Pfrommer 1990, 211 FK 12
Anm. 1361; Despini 1996 (Anm. 182) 206, 267 Fig. 216; Plantzos 1999, 68, 119 no. 165; Zwierlein-Diehl 2007, 76 Abb. 284.
186 Baltimore, Walters Art Gallery Inv. 57.1699. Furtwängler 1900,
III 167 Fig. 117; E. Reeder, Hellenistic Art in The Walters Art Gallery (Baltimore 1988) 240 Nr. 135; J. Spier, Journal of The Walters
Art Gallery 47, 1989, 22 Fig. 4; Plantzos 1999, 81 Nr. 347.
187 Zwierlein-Diehl, AGWien I 42 Nr. 32 (Ring innen 15,4 x 18,7
mm), AGWien III, 316; Plantzos 1999, 49 no. 33 Taf. 6; Zwierlein-Diehl 2007, 71 Abb. 250a-b.
188 Tarent, NM Inv. 54.116. Ori di Taranto 1984, 290 no. 210;
Pfrommer 1990, 226 FK 33 Anm. 1609; Guzzo 1993, 33 Fig. 12,
165 A. II B 3; B. Gerring, Sphragides: Die gravierten Fingerringe
des Hellenismus. BAR Internat. Series 848 (Oxford 2000) 174
Kat.Nr. XVII/16 Abb. 135.
189 B. Deppert-Lippitz, Ancient Gold Jewelry at the Dallas Museum
of Art (Dallas 1996) 90, 140 no. 79. Vgl. Sardonyx-Kameo ex
Sammlung Merz. Vollenweider, Deliciae Leonis 1984, 152 Nr.
261. Willers / Raselli-Nydegger 2003, 144 Nr. 146.
text datierbaren, gefassten Kameo erachtet hatte (Abb. 7, A
8).190 Inzwischen wird dieses Familiengrab mit acht Bestattungen zwischen 150 und 25 v. Chr. datiert; die Bestattung
der Frau, an deren linker Hand der hohle Goldring (27 x
25 mm) war, wird um 150–125 v. Chr. angesetzt, ihr Grab
enthielt aber auch einige frühere Beigaben.191 Furtwängler
hatte bemerkt, dass der Eros-Kameo längs durchbohrt ist
– wie auf den neuen Fotos gut sichtbar, also ursprünglich
beweglich gefasst war und wiederverwendet wurde.192 Wenn
der Artjukhov-Goldring in das späte 3. Jh. v. Chr. datiert,
dann träfe Furtwänglers Annahme zu, dass der Kameo trotz
seiner „mittelmäßigen“ Ausführung bereits im 3. Jh. v. Chr.
entstand; so scheint die Ringform, deren weiterer Entwicklung Dimitris Plantzos wenig Beachtung schenkte, sozusagen
ein externes Kriterium – jenseits von Stil, Benennung oder
Stratigraphie – gegen Plantzos kategorische Schlussfolgerung
zu sein, dass kein Kameo in das 3. oder frühe 2. Jh. v. Chr.
datiert werden kann.193
Um die Mitte des 3. Jhs. v. Chr. begannen parallel zu den
Fingerringen mit senkrechten Seiten und knappen Ringschilden zwei Entwicklungen: einerseits Ringe mit weiterhin
senkrechten Reifschultern, aber überragender flacher Platte,
in die eine Gemme eingelegt ist (Abb. 7, B 1–2) 194; und
andererseits solche mit weit ausladenden Schultern zur lang
ovalen Platte und darauf gelöteter, z.T. getreppter Fassung
190 Furtwängler 1900, Bd. III, 152 Fig. 106.
191 M.I. Maximova, Artjouchowskij Kurgan (Leningrad 1979) 7–9,
65 Nr. 10 Anm. 209 Art. 55; Neverov 1988, 42 Nr. 14; Pfrommer 1990, 210 FK 12; Plantzos, Cameos 1996, 128–130 Fig. 27c;
Zwierlein-Diehl 2007, 68–70 Abb. 236; A.A. Trofimova (ed.),
Greeks on the Black Sea. Ancient Art from the Hermitage (Los
Angeles 2007) 287; V. Mordvinceva / M. Treister, Toreutik und
Schmuck im nördlichen Schwarzmeergebiet 2. Jh. v. Chr. – 2. Jh.
n. Chr. (Bonn 2007) Bd. II, 10 A7.24 Taf. 22: Sie datieren auf S. 8
die Frauenbestattung auf die Mitte bis 3. Viertel des 2. Jhs. v. Chr.,
den Goldring 2. Hälfte 2. Jh. und den Kameo 3.–2. Jh. v. Chr. –
Zu den früheren Grabbeigaben gehört z.B. ein Klappspiegel um
280 v. Chr.: C. Reinsberg, Studien zur hellenistischen Toreutik
(Hildesheim 1980) 169 Anm. 613 (frühere Lit.); A. Schwarzmaier,
Griechische Klappspiegel. Untersuchungen zu Typologie und Stil
(Berlin 1997) 18, 52, 218, 284 Kat. 126 Taf. 44,2; Schwarzmaier
hat im ungedruckten Teil ihrer Dissertation Bonn 1991, 99–122
Abb. 186–7 ausführlich den gesamten Komplex der Grabbeigaben
inkl. des Schmucks behandelt.
192 Vertikal durchbohrte Kameen: Furtwängler 1900, 154, 158 Fig.
112; ex Sammlung Merz: Vollenweider, Deliciae Leonis 1984, 156
Nr. 266. Willers/Raselli-Nydegger 2003, 146 Nr. 149.
193 Plantzos, Cameos 1996, 115–131; Plantzos 1999, 101: “… cameos
cannot be dated with any confidence in the third or early second centuries BC, especially not on the basis of the so-called ‘Ptolemaic Cameos’
(which are Roman) or the evidence from tomb contexts which can be
shown to be much later.” Zum Ringtyp s. ebenda 37 Fig. 2, Type IIb
“Wider distribution and dating.”
194 Goldring mit Granat, Ori di Taranto 1984, 295 Nr. 225. Goldring
mit Sardonyx-Gemme Berlin, Inv. 30219,519. AGD II Berlin 96
Taf. 46, 222; Greifenhagen II 1975, 75 Taf. 57,5–6; Platz-Horster
1995, 13 Anm. 5 Abb. 6. Goldring mit Granat-Gemme Oxford.
Boardman/Vollenweider, Oxford I 1978, 98 no. 336.
Die Datierung antiker und nachantiker Kameen
43
(Abb. 7, B 3).195 In diese können konvexe Gemmen oder
auch Goldreliefs mit gravierten Edelstein-Köpfen eingelassen
sein – wie bei zwei von insgesamt acht Ringen aus dem Steinkistengrab 1838 in Pantikapeion (Abb. 7, B 4) und einem
Goldring in Dallas (Abb. 7, B 5).196 Zwei um 200 v. Chr.
entstandene Goldringe mit hochovalen Karneol-Gemmen
im Getty Museum Los Angeles (Abb. 7, B 6) und besonders ein Goldring aus Gavalou/Aitolien in Athen (Abb. 7, B
7) nehmen extreme Ausmaße von bis zu 5 cm Länge an.197
Auch ein ganz in Bergkristall geschnittener Ring aus Zypern
erreicht diese Größe.198 Aus der reichen „Tomba degli Ori“
in Canosa stammt ein ähnlicher Ring in Klarglas, der im
aufwändigen Wachsausschmelzverfahren in der verlorenen
Form hergestellt worden ist, mit granatroter konvexer Glasgemme (Abb. 7, B 8).199
Im 2. Jh. v. Chr. werden die getreppten Fassungen auf
Goldringen gemäßigter Form für konvexe Granat-Gemmen
weitergeführt, wie etwa die aus Rhodos in London200, den
Sardonyx-Kameo mit dem schlangenwürgenden Herakliskos
(Abb. 7, B 9)201, oder die beiden flachen Granat-Gemmen
im Oriental Institute Chicago – die eine mit dem eindrucksvollen, von Menophilos signierten Männerporträt (Abb. 7, B
10): Keinesfalls können sie später als um die Mitte des 2. Jhs.
v. Chr. datiert werden.202 Auf diese massiven schweren Goldringe mit reduzierter Ausdehnung der Schultern folgen m.
E. zwei Goldringe mit exakt gleichgroßem Ringschild, in die
gravierte Metalleinlagen mit ebenfalls von Griechen signierten Porträts römisch-republikanischer Prägung eingelassen
sind und deren Datierungen zwischen dem 3. und 1. Jh. v.
Chr. schwanken: Der Goldring mit Silbereinlage im Kunsthandel, signiert von Dromas (Abb. 7, B 11), hat noch etwas
weiter ausladende Schultern als der von Herakleidas signierte
aus Capua in Neapel (Abb. 7, B 12).203 Offenbar knüpfen
sie in Form und Anspruch bewusst an gravierte Goldringe
des späten 3. Jhs. v. Chr. – wie etwa dem o.g. aus Mottola in
Tarent – an, sind aber wohl im späteren 2. bis frühen 1. Jh. v.
Chr. entstanden, wie die Affinität zu Porträts auf Tonsiegeln
von Delos nahelegt.204
195 Goldring mit Glas-Gemme Berlin, Misc. 10279, aus dem Grab
der Calisna Sepu in Malacena. AGD II Berlin 96 Taf. 46, 221;
Greifenhagen II 1975, 75 Taf. 57,3–4; Platz-Horster 1995, 13
Anm. 5 Abb. 7. – Goldringe mit Granat-Gemmen, aus Larino:
P.G. Guzzo, Oreficerie dal versante occidentale dell’Adriatico, in:
G. Capecchi et al. (ed.), In Memoria di Enrico Paribeni (Roma
1998) 222 no. 2 Tav. 61,1–3; in Pforzheim: Platz-Horster 1995,
13 Anm. 5 Abb. 8.
196 Neverov 1988, 40 Nr. 11–12; Pfrommer 1990, 279 Anm. 2552
FK 143, 227 Abb. 42k; W. Jacob (Hrsg.), Zwei Gesichter der Eremitage. Die Skythen und ihr Gold (AK Bonn 1997) 153f. Nr.
64; Zwierlein-Diehl 2007, 68 Abb. 235 „Ende 4. / Anfang 3. Jh.
v. Chr.“ – Ring mit Athena-Büste in Goldrelief, Dallas. DeppertLippitz (Anm. 189) 140 no. 78. Zum Ringtyp s. B. Pfeiler-Lippitz, Späthellenistische Goldarbeiten, in: Antike Kunst 15, 1972,
112.
197 J. Paul Getty Museum, Los Angeles, Inv. 92.AM.8.8-9. M. Pfrommer, Alexandria im Schatten der Pyramiden (Mainz 1999) 125ff.
Abb. 171 u. 173; ders., Hellenistisches Gold und ptolemäische
Herrscher, in: Studia Varia from the J. Paul Getty Museum 2. Occasional Papers on Antiquities 10, 2001, 79–86 Abb. 1 u. 5; ders.,
Greek Gold from Hellenistic Egypt (Los Angeles 2001) 35 Fig.
35, 39 Fig. 27. – Athen, NAM, Χρ. 801, aus Gavalou/Aitolien,
dem antiken Trichonion. Platz-Horster 1995, 13–16 Anm. 7 Abb.
9–11. E.B. Tsigarida, in: Greek Jewellery. AK National Museum
Prague 2003, 21.
198 V. Karageorghis et al., Ancient Art from Cyprus (New York 2000)
292 no. 492.
199 Ori di Taranto 1984, 296 no. 227 (54 x 44 mm). Th. E. Haevernick, Hellenistische Glasfingerringe, in: JbRGZM 16, 1969,
175–182, wieder abgedruckt in: Beiträge zur Glasforschung. Die
wichtigsten Aufsätze von 1938–1981 (Mainz 1981) 198–203; sie
nahm an, dass die „Ringe aus ganzen Glasblöckchen herausgeschliffen“ wurden (201). Zur Herstellung vgl.: G. Platz-Horster,
Herstellung und Wert von Glas-Skarabäoiden, in: Annales AIHV
14 (Lochem 2000) 25–29.
200 London, GR 1930.7-15.1. D. Bailey, Some Classical Gold Fingerrings in the British Museum, in: Jewellery Studies 5, 1991, 34 Nr. 3.
201 J. Boardman / D. Scarisbrick, The Ralph Harari Collection of Finger Rings (London 1977) 24 no. 28. – Hierhin gehört ev. auch der
Goldring mit Sardonyx-Kameo (Venus und Amor, H 25 mm) aus
dem 45 v. Chr. niedergelegten „Secondo Tesoretto” von Herakleia
Lucania in Policoro: M. Torelli / L. de Lachenal, Da Leukania a
Lucania. La Lucania centro-orientale fra Pirro e i Giulio-Claudii
(AK Venosa 1992) 144–147 cat. g Fig. 235 u. 239; P.G. Guzzo,
Oreficerie dalla Lucania antica, in: Bollettino Storico della Basilicata 10, 1994, 42f. fig. 46–47. Leider gibt es von dem Ring keine
Profilaufnahme.
202 Chicago, Oriental Institute Inv. A 29789 (23,5 x 18,5 x 7 mm;
Ring 28 x 34 mm, innen 16 x 17,8 mm; Gewicht 42,21g) und
Inv. A 29790 (21 x 14 mm; Ring 27 x 32,5 mm, innen 15 x 17,8
mm; Gewicht 33,2g). Schmuckset, gefunden wohl im Libanon,
angeblich mit Münzen des Tryphon, Niederlegung um 140 v. Chr.
[Autopsie]. Vollenweider, Porträtgemmen 1972/1974, 185 Taf.
136, 1.2.6; J. Spier, A group of Ptolemaic Engraved Garnets, in:
Journal of the Walters Art Gallery 47 (Baltimore 1989) 24 no. 25
fig. 18 u. 30 H; Plantzos 1999, 82f. no. 368 u. 94 no. 621 (zu spät
datiert); E. Zwierlein-Diehl, Gemmen mit Künstlerinschriften, in:
V. M. Strocka (Hrsg.), Meisterwerke. Internationales Symposium
anlässlich des 150. Geburtstages von Adolf Furtwängler, Freiburg
2003 (München 2005) 337 Anm. 112 u. 118, 330.
203 Aus S. Maria Capua Vetere. Neapel, MAN Inv. 25085 (Platte 38
x 29 mm). Furtwängler 1900, 162 Taf. 33, 15; Vollenweider, Porträtgemmen I 57ff., II 29 Taf. 37: identifizierte den Dargestellten als Scipio Africanus und datierte den Ring um 200 v. Chr.
Pirzio Biroli Stefanelli 1992, 20 Fig. 2–3, 229 n. 1 „II–I secolo
a.C.”; Guzzo 1993,165 A. II B 1 „nel corso del III secolo”; Plantzos 1999, 92 n. 210f. Pl. 96,2; Gerring, Sphragides (Anm. 188)
106, 175 Nr. XVII/23 Abb. 139 „2. Hälfte des 1. Jhs.”; ZwierleinDiehl, Künstlerinschriften (Anm. 202) 331 Anm. 87. – Goldring
Kunsthandel Zürich (Platte 38 x 29 mm). Gems of the Ancient
World. Galerie Nefer, Exhibition Catalogue, Summer 1996, 24
Nr. 20 „3rd – 2nd century B.C.”; Gerring, Sphragides (Anm. 188)
106, 108, 129, 175 Nr. XVII/22 Abb. 138 „um 100”.
204 M.-F. Boussac, Sceaux déliens, in: RA 1988.2, 326 Fig. 44, 335
Fig. 61–63.
44
Einleitung
Die Datierung dieser beiden Ringe ist wichtig für die
Einordnung des massiven Goldrings mit Medusa-Kameo
aus dem „Schatzfund von Petescia“ (Nr. 1: Abb. 8, B 13).205
Dieser ist erheblich größer und schwerer als die beiden zuvor genannten, seine Schultern sind stärker gewölbt, aber die
Wandung bleibt weiterhin senkrecht. Sein Reif ist dicker, die
Reiföffnung kleiner im Verhältnis zur Gesamtform und offenbar stärker queroval als bei den vorhergehenden Ringen,
was mangels Innenmaßen leider nicht bei allen Beispielen
nachprüfbar ist. Während der Medusa-Kameo fast rund ist
– vielleicht auch dem Motiv geschuldet (41,8 x 38,5 mm),
verweist der Kameo mit Satyr und Nymphe aus demselben
Fund (Nr. 2: Abb. 8, B 14) in den oblongen Formen des
Karneolonyx (30 x 18,8 mm) sowie der Figuren auf Proportionen des Hochhellenismus, obwohl seine Ringform im Profil
der des Medusa-Kameo ähnelt.206 Der Ring ist jedoch aus
Goldblech gebildet und hohl, er wiegt nur ¼ des Rings mit
dem Medusa-Kameo. Sein querovaler innerer Durchmesser
ist hingegen der größte aller 14 Fingerringe im Petescia-Fund
(18 x 23,5 mm). So scheinen diese beiden frühesten Goldringe aus dem „Schatzfund von Petescia“ den Übergang zu
markieren von der hellenistischen Ringform mit vertikalen
Seiten und dem größten Durchmesser in Höhe der Platte
zu jener mit schmalerer Platte über breiteren Schultern in
der frühen Kaiserzeit, die in diesem Fundkomplex mit fünf
Goldringen vertreten ist (s.u.).
Die größte Gruppe unter den Petescia-Ringen – nämlich sieben Exemplare, darunter drei mit Kameen (Nr. 3–5)
– repräsentiert aber einen anderen, ebenfalls im Hochhellenismus entstandenen Ringtyp: Die Platte ist hier durch
eine konkave Einziehung von dem etwa halbkreisförmigen,
im Querschnitt runden Reif abgesetzt, den sie in der Breite überragt.207 Vorläufer dieses Typs sind seltene Goldringe
mit hohem konischem Ringkopf, an den unten ein schmaler
Reif ansetzt: ein in Pantikapeion (Kertsch) gefundener Goldring in Baltimore, in den eine von Apollonios (I) um 200 v.
Chr. signierte Granat-Gemme mit dem Porträt eines jungen
Mannes eingefügt ist (Abb. 8, C 1)208, und ein Goldring mit
dreilagigem Sardonyx-Kameo in Paris, der vielleicht einen
ptolemäischen König mit kausia um 160 v. Chr. darstellt
205 Gerring, Sphragides (Anm. 188) 108 argumentiert im Zirkelschluss, wenn sie die Datierung des Medusa-Kameo aus dem
Petescia-Fund undifferenziert mit Greifenhagens Datierung des
Gesamtkomplexes in augusteische Zeit gleichsetzt und folgert:
„Somit ist der Ringtypus als Datierungsanhalt nicht zu verwenden.“
206 Vgl. Goldring mit Onyx-Gemme ex Sammlung Harari. Boardman / Scarisbrick (Anm. 201) 27 Nr. 32 „first century B.C.”
207 Berlin, Misc. 7064, 7067, 7069, 7070, 7072–74. Greifenhagen I
1970, 79–81 Taf. 59, 2–3. 5. 8, Taf. 60, 7–9.
208 Baltimore, WAG Inv. 57.1698. Furtwängler 1900, 285 Taf. 63,
36, III 163; Reeder 1988, 241 no. 136 „ca. 220 B.C.“; Spier,
JWAG 47, 1989, 29 cat.no. A, 35 fig. 51; Plantzos 1999, 65 no.
101; Zwierlein-Diehl 2007, 74 Abb. 273 „Ende 3./Anfang 2. Jh.
v. Chr.“ – Zum Ringtyp mit Scharnier an der Schiene s. B. PfeilerLippitz, Späthellenistische Goldarbeiten, in: Antike Kunst 15,
1972, 112.
(Abb. 8, C 2).209 Diese Ringform mit konischem, allerdings
weniger hohem Ringkopf hat auch der Goldring aus Petescia mit einem facettierten Aquamarin ganz ungewöhnlicher
Größe (30 x 23,5 mm) und Qualität in rechteckiger à jourFassung, die das Feuer des Edelsteins hervorhebt (Abb. 8,
C 3).210 Im Profil fast identisch sind die Ringfassungen für
zwei der Petescia-Kameen: der Karneolonyx mit dem Brustbild eines Feldherrn in einem abgerundet hochrechteckigen
Rahmen (Nr. 3: Abb. 8, C 4) und der Sardonyx mit einem
Wagenrennen im Queroval (Nr. 5: Abb. 8, C 5). Auch der
im Hochrelief gravierte Karneol mit dem Bildnis der Livia
ist so gefasst (Nr. 4: Abb. 8, C 6), hat allerdings nur einen
dünnen Drahtreif auf der Unterseite. Ein blasser Aquamarin und ein Peridot mit leicht gewölbten Vorder- und stark
konvexen Rückseiten haben die gleiche leicht konkave, aber
etwas niedrigere Fassung, an die der Reif jetzt seitlich ansetzt
(Abb. 8, C 7–8); bei dem Goldring mit dem großen querrechteckigen Aquamarin, in den eine Nereide auf Seepferd
graviert ist, hat der Reif schon Ansätze von Schultern (Abb.
8, C 9). Das verbindet ihn mit einem unbenutzten Goldring,
der 1979 mit der Asche eines Mannes in einer Alabasterurne frühaugusteischer Zeit bei Torre Gaia in Rom gefunden
wurde (Abb. 8, C 10). In die flache Platte, die konkav in
einen höheren Ringkopf mit seitlich ansetzenden breiteren
Schultern übergeht, ist eine Amazonit-Gemme eingesetzt.
Sie zeigt das um 60–50 v. Chr. entstandene Porträt eines
jungen Republikaners und war dem Feuer ausgesetzt; die
Reste der ersten Fassung wurden in den neuen Ring für den
Verstorbenen integriert.211 Hier fügt sich ein Goldring mit
Sardonyx-Kameo in Wien ein212, der wiederum überleitet zu
einem goldenen Kameoring in Paris, bei dem das um 20–15
v. Chr. entstandene Bildnis des jugendlichen Tiberius zudem
mit einem Rahmen gesichert ist (Abb. 8, C 11).213
Die dritte Gruppe der Petescia-Ringe bildet eine Weiterentwicklung der schweren hellenistischen Goldringe mit
senkrechten oder konvexen Seiten: Unter der kleineren ovalen Platte des Ringkopfs wölben sich breitere Schultern; die
größte Breite des Reifs liegt in der Mitte seiner Höhe; er ist
innen fast kreisrund, im Schnitt rund mit abgeflachter Innenseite (Abb. 8, E 1–5). Im Petescia-Komplex kommt dieser Ringtyp bei fünf Exemplaren vor, darunter derjenige mit
Sardonyx-Kameo mit zwei Masken (Nr. 6: Abb. 8, E 1); bis
auf den massiv gegossenen Goldring mit Jupiter-Büste (Abb.
8, E 5) sind alle hohl, die Einlagen von oben in die flache
Platte eingelassen.214 Dieser Ringtyp ist der späteste unter
den Petescia-Ringen, in spätaugusteisch-frühtiberische Zeit
209 Vollenweider I 1995, 123 Nr. 114 „Vers 163–160 av. J.-C.”.
210 Berlin, Misc. 7062. Greifenhagen I 1970, 81 Taf. 60, 7.
211 Rom, Museo Nazionale Romano, Medagliere Inv. 297980. Bordenache Battaglia 1983, 16–21 no. 1 Fig. 2 a–c; Pirzio Biroli Stefanelli 1992, 20 Fig. 4, 229 no. 2; Magie des Goldes 1996, 76 Nr. 91.
212 Oberleitner 1991 (Anm. 178) 59–79 Abb. 39–42.
213 Paris, Cdm, Inv. 1973.1.480. Vollenweider II 2003, 74 no. 79.
214 Berlin, Misc. 7051, 7068, 7071, 7075, 7076. Greifenhagen I
1970, 80f. Taf. 59, 6–7, 9–10, Taf. 60, 1–6.
Die Datierung antiker und nachantiker Kameen
zu datieren; er entwickelt sich im 1. Jh. n. Chr. zum Grundtyp mit Variationen.215
Fazit: Die Fingerringe der sechs Kameen aus dem Petescia-Fund spiegeln die Entwicklung dreier Ringtypen vom
späten 2. Jh. v. Chr. bis in das frühe 1. Jh. n. Chr wider. Die
gefassten Kameen entsprechen zeitlich ihren Goldringen,
keiner von ihnen wurde wiederverwendet, d.h. es gibt keine
Zweitfassung.
Das „Mädchengrab bei Rom“ beinhaltet einen der reichsten Fundkomplexe aus der frühen römischen Kaiserzeit (Abb.
6). Seine Niederlegung ist durch eine stempelfrische Kupfermünze des Tiberius nach 15/16 n. Chr. datiert. Das Mädchen hatte drei Goldringe in Kindergröße, deren Formen mit
hochgezogenem Ringkopf bzw. kreisrundem Querschnitt
und eingelegten Edelsteinen bzw. einer Glasgemme solchen
um die Zeitenwende entsprechen (Abb. 8, D). 216 Der vierte
Goldring mit einem Aquamarin (Abb. 8, C 12) ist hingegen
sehr groß (25 x 30 mm) und in Form wie Fassung identisch
mit dem kleineren der beiden o.g. ungravierten AquamarinRinge im Petescia-Fund (Abb. 8, C 7: 24 x 27,5 mm).217
Dieser große Goldring ist wohl eine Generation älter als der
restliche Grabinhalt; er war vermutlich als Erbstück dem vor
der Heirat verstorbenen Mädchen ins Grab gelegt worden.
Im Gegensatz zu den übrigen, außerordentlich reichen Grabbeigaben in Gold, Silber und Bronze, Bergkristall (Nr. 9–12)
und Sardonyx, in Bein und Bernstein (Nr. 13–14) nehmen
sich die vier kleinen ungefassten Kameen aus Glas bescheiden aus (Nr. 15–18); vielleicht dienten sie z.T. zum Spielen
wie die 70 runden bunten Glasspielsteine. Dennoch ist ihr
Fundkontext wichtig für die Datierung einer sonst schwer
einschätzbaren Massenware. Kameen aus Edelstein kommen
in Kindergräbern der frühen Kaiserzeit nicht vor.
2. Weitere Fundkameen
Unter den ca. 400 antiken Kameen aus Edelstein und Glas
im Berliner Bestand gibt es außer diesen 10 Kameen und
den zugehörigen Objekten aus Edel- und Bernstein nur
zwei weitere aus gesicherten Kontexten oder Fundkomplexen: Die Chalcedon-Statuette (Nr. 87) wurde 1843 in einer
Grabkammer in Köln-Weiden gefunden. Zu dem spätantiken „Schatzfund von Assiût“ in Mittelägypten, den F.L. von
Gans 1912 mit seiner Sammlung dem Museum schenkte,
gehört eine Goldkette, deren Mittelkapsel einen AchatKameo umfasst (Nr. 62). Zuverlässig, aber ungenau ist die
Fundnotiz zu einem dreilagigen Glaskameo in antiker Bronzefassung aus Köln (Nr. 165), zu einem „Fayence“-Anhänger
215 Guiraud II 2008, 77 Fig. 5, Type 2a.
216 Berlin, Inv. 30891A-D. Greifenhagen I 1970, 82f. Taf. 61, 5–12.
Zum Gesamtfund: G. Platz-Horster, Grabbeigaben für ein junges
Mädchen, in: K. Vierneisel (Hrsg.), Römisches im Antikenmuseum (Berlin 1978) 184–195 Nr. 240–304 mit früherer Lit. – Zu
den Ringtypen s. Guiraud II 2008, 77 Fig. 5 Type 1b und Type 2b.
217 Berlin, Misc. 7073. Greifenhagen I 1970, 81 Taf. 60, 8.
45
aus Priene (Nr. 146), wie auch wohl zu dem bronzenen Fingerring aus Idalion auf Zypern (Nr. 150). Weitere Kameen
haben laut Inventar zwar einen Fundort: Karl Humann, der
Ausgräber von Pergamon, schenkte dem Museum einen dort
gefundenen Sardonyx-Kameo (Nr. 20), ein weiterer soll aus
Nikomedia in Bithynien stammen (Nr. 74); sie bieten aber
allenfalls vage Hinweise auf Datierung oder landschaftliche
Zuweisung. Das Fragment eines großen Kalzit-Kameos (Nr.
45) stammt angeblich aus Tivoli bei Rom. Die Provenienz
Rom gilt für die meisten der Glaskameen, weil ihre Sammler
im frühen 19. Jh. dort lebten (s.o. zur Sammlungsgeschichte). Die Chalcedon-Scheibe mit Luna-Büste (Nr. 90) wurde angeblich in einem Torfmoor der Unstrutniederung bei
Mühlhausen gefunden; bei Eichsfeld, etwas nordwestlich im
Thüringer Becken, hat ein Bauer beim Pflügen angeblich den
merkwürdigen Kameo mit zwei gestaffelten Büsten (Nr. 61)
entdeckt. Ein ebenfalls schwer zu datierender Stein soll von
der Insel Syme bei Rhodos stammen (Nr. 130) und ein wohl
nicht antikes Stück von den Dardanellen (Nr. 714). Nicht
antik ist auch der Malachit-Anhänger an einer antiken Goldkette aus Kertsch (Nr. 772), antik hingegen der SardonyxKameo in gleichzeitigem Goldring des 3. Jhs. n. Chr. (Nr.
63); er wird aus Südrussland stammen, wie ein Großteil der
Objekte aus der Sammlung Alexandre Merle de Massonneau
in Yalta und auch der Sammlung F.L. von Gans.218
3. Weitere Kameen in antiken Fassungen
Wie an den sechs Kameen aus dem Petescia-Fund exemplifiziert, bieten die originalen Fingerringe eine willkommene
Hilfe bei der Datierung der Kameen. Leider sind nur wenige
Kameen in ihren antiken Fassungen erhalten, die auch ihre
Funktion veranschaulichen. Das bereits erwähnte schlichte
Goldband mit einem Porträt der Kaiserin Livia als Glaskameo
(Nr. 345), also einer einfachen Replik von einer Vorlage in
Edelstein, sucht Seinesgleichen. Hier datiert der Dekor die
wenig signifikante Fassung, was für einige der erhaltenen
Fassungen in der Sammlung zutrifft (Nr. 165, 178, 208,
308, 348). Zwei gut datierbare Ringformen stimmen mit der
Einordnung der darin gefassten Kameen überein: Der zarte
Goldring mit einer kleinen Knabenbüste in „Fayence“ datiert in augusteische Zeit (Nr. 149), während der Goldring
aus Eltegen bei Kertsch mit ausgeprägt spitzen Schultern gut
zum grob gravierten Medusa-Kameo des 3. Jhs. n. Chr. passt
(Nr. 63). Der schräg tordierte Golddraht um die Kastenfassung verbindet ihn mit einem ähnlichen Medusa-Kameo,
der in einem einfachen Goldblechstreifen mit Rippenöse an
einer nur teilweise antiken Kette hängt (Nr. 64). Die nicht
geglättete Rückseite dieses weißen Achats kennzeichnet viele
Kameen der späten Kaiserzeit (Nr. 65–66, 69), so auch eine
frontale Frauenbüste in einem vierlagigen, birnenförmigen
Sardonyx, der zur Auffädelung an einem – z.T. modernen
– Ohrgehänge (Nr. 75) in der Längsachse durchbohrt ist.
218 S. oben zur Geschichte der Sammlung 27.
46
Einleitung
Ob der Lagenachat mit der grob gravierten Büste der DianaLuna (Nr. 62) gleichzeitig mit der um 500 n. Chr. anzusetzenden goldenen Halskette aus Assiût entstanden ist, in
deren Kapselfassung er nur lose sitzt, ist fraglich; J. Spier hat
eine Gruppe ähnlicher Kameen, unter denen die gefassten
Exemplare und solche aus Kontexten eine Datierung in frühbyzantinischer Zeit nahelegen, einer gemeinsamen Werkstatt
zugewiesen.219
Kostbar gefasst mit einem goldenen Zaumzeug ist der
kleine Frosch aus Bergkristall (Nr. 94); der Anhänger stammt
von der Krim und ist wohl eine sarmatische Arbeit der Zeitenwende. Die Reste der Zügel aus glattem Bronzedraht an
den Fühlern der Bergkristall-Zikade aus dem „Mädchengrab
bei Rom“ (Nr. 10) deuten eher auf ein kostbares Spielzeug.
Falls Kameen nicht gleichzeitig mit ihren Fassungen entstanden sind, so bieten diese doch zumindest einen terminus
ante quem. Der sehr seltene umgekehrte Fall liegt bei dem
ältesten in der Berliner Sammlung nachweisbaren Kameo vor
(Nr. 80): Der gefärbte, mit dem Namen „Vibiana“ versehene
Chalcedon des 2. Jhs. n. Chr. sitzt in einem zarten Goldring,
der seine engsten Parallelen im 2.–1. Jh. v. Chr. findet. Wann
dieser erheblich ältere kleine Fingerring wiederverwendet
wurde – ob in der Antike oder im 17. Jahrhundert, als er in
die Kurbrandenburgische Sammlung kam, bleibt offen.
Eine eigene Gruppe bilden Fingerringe mit kleinen plastischen Köpfen oder Büsten, die entweder aus Edelmetall
(Goldring mit Jupiterkopf aus dem Petescia-Fund: 41 Abb. 8,
E 5220), oder aus Granat in den Ringkopf eingefügt sind (Nr.
48, 49, 91: alle Kriegsverlust). Die Kombination von Ring
und plastischem Dekor geht zurück auf die oben beschriebenen hellenistischen Goldringe, deren extrem ausladende
Platten Goldreliefs und/oder Granatköpfe schmücken. Bei
diesen kleinen Ringen, die im frühen 1. Jh. n. Chr. auftreten, ist das Hochrelief oder die aufgesetzter Büste hingegen
in die Rundung des meist querovalen Reifs eingepasst. Sie
wurden auch ganz aus Stein gearbeitet, im Berliner Bestand
aus Bergkristall, Chalcedon und Bernstein (Nr. 8, 92, 93,
98). Die massive Form des Rings Nr. 93 (39,7 x 38,4 x 11,6
mm) steht in markantem Gegensatz zu seiner geringen inneren Weite (5,7 x 7,8 mm): Solche Ringe wurden besonders
in Gräbern des 2. Jhs. n. Chr. gefunden und vermutlich nie
getragen, sondern dienten als Totenschmuck.221
219 J. Spier, Late Antique Cameos c. A.D. 250–600, in: M. Henig / M.
Vickers (eds.), Cameos in context. The Benjamin Zucker Lectures,
1990 (Oxford 1993) 43ff., 50 Fig. 3.1; Spier 2007, 139–140. D.
Willers, in: Willers / Raselli-Nydegger 2003, 88 Nr. 51 begründete
eine Datierung in die 1. Hälfte des 4. Jhs.
220 Berlin, Misc. 7051 (Dm innen 17 x 16 mm). Greifenhagen I
1970, 80 Taf. 59, 6; Platz-Horster 2001, 84 Nr. 50.
221 Siehe: G. Platz-Horster, Die antiken Gemmen im Rheinischen
Landesmuseum Bonn (Bonn 1984) 72–74 Nr. 69–70; Gagetti
2001, 293, 297–307.
4. Signierende Steinschneider und Porträts
Einen wertvollen, wenn auch bei Kameen äußerst seltenen
Anhalt für ihre Datierung bieten die von den Künstlern signierten Werke. Im Berliner Bestand gibt es drei mit antiken
Signaturen sowie zwei in antiker Manier aus dem frühen 19.
Jh. Auf dem fragmentierten Glaskameo Nr. 167 ist die „Unterschrift“ des Künstlers Athenion im Relief wiedergegeben,
ganz in der hellenistischen Tradition. So signierte Athenion
auch einen Sardonyx-Kameo mit Jupiter-Giganten-Kampf,
heute in Neapel. Die Sujets beider Stücke sowie ihre Bildsprache lassen vermuten, dass er vor der Mitte des 2. Jhs. v.
Chr. wohl in Pergamon arbeitete.
Der in der antiken Literatur meist genannte Gemmenschneider war Dioskurides; er wanderte um 50 v. Chr. von
Aigeai in Kleinasien nach Rom aus und gravierte später das
Siegel des Kaisers Augustus. Den Sardonyx-Kameo mit Herakles, der den Zerberus bezwingt (Nr. 25), hat er unter der
Standlinie rechtsläufig signiert; in Komposition und Stil steht
das Werk am Übergang vom Hellenismus zum frühaugusteischen Klassizismus.222 Aufgrund seiner Stellung in Rom ist
zu vermuten, dass Dioskurides auch große repräsentative Kameen –meist offizielle Aufträge mit politischer Konnotation
– angefertigt hat, die der Künstler aber natürlich nicht signieren konnte. Von seinem Sohn Hyllos ist nur ein signierter
Kameo bekannt, nämlich der kleine, stärker der hellenistischen Formensprache verbundene Satyrkopf (Nr. 28); seine
Handschrift wird jedoch bei sehr prominenten Werken vermutet.223 Die Motive dieser beiden berühmten Kameen sind
in diversen zeitgenössische Varianten aus Edelstein und Glas
bekannt, ein Phänomen, das für weitere glyptische Meisterwerke der Antike zutrifft: Die signierenden Steinschneider
haben ihre Sujets und Kompositionen nicht unbedingt selbst
erfunden, waren aber selbstbewusst, unabhängig oder anerkannt genug, ihre Arbeiten zu kennzeichnen.
Die raren Gemmen und noch selteneren Kameen der
Antike mit Künstlersignaturen haben schon im frühen 18.
Jh. deren Nachfrage in die Höhe getrieben, was einen Boom
an Fälschungen und Nachahmungen auslöste. Den Sardonyx-Kameo mit Herakles und der Hindin, mit dem Namen
„Agathopous“ am rechten Bildrand (Nr. 768), gravierte der
1832 nach Berlin ausgewanderte Giovanni Calandrelli; er
schuf ihn wohl noch in seiner römischen Zeit um 1820–30.
Unbekannt hingegen ist der Graveur des um 1800 entstandenen Achat-Kameos mit der Büste der Kaiserin Crispina
(Nr. 844), seitlich signiert mit „Aulos“, dem Namen eines
späthellenistischen Gemmenschneiders, der fast 350 Jahre
vor der Frau des Kaisers Commodus lebte. Viele der klassizistischen Steinschneider signierten erfreulicherweise ihre Werke stolz mit ihrem eigenen Namen. Der Karneolonyx-Kameo
mit der idyllischen Kindheit des Bacchus, signiert „Morelli“
222 Zusammenfassend: Zwierlein-Diehl 2007, 117–119.
223 Siehe: Zwierlein-Diehl 2007, 120f., 154–157; Zwierlein-Diehl
2008, 117 zu Nr. 6 (Lit.).
Fazit
(Nr. 769), wurde wohl von Nicola Morelli in Rom um 1800
gefertigt; ihm können zwei weitere Kameen der Sammlung
zugewiesen werden (Nr. 785, 791). Der etwas jüngere Luigi Dies hat eine zarte, in Muschel geschnittene Frauenbüste
sig­niert (Nr. 789). Der Franzose Louis Chapat schnitt seine
Kameen nur aus Kieselsteinen; das Porträt des preußischen
Königs Friedrich II. hat er zudem unter der Büste signiert
(Nr. 856). Weitere Namen von Steinschneidern, deren Lebensdaten bekannt sind und damit eine sichere Basis für die
Datierung ihrer Arbeiten bieten, vermerken die Inventare: so
die Italiener Antonio Berini, Gaspare Capparoni, Giuseppe
Cerbara, Giuseppe Girometti, Giovanni Giuseppe Pichler
und Benedetto Pistrucci; und die Deutschen Johann Christoph Dorsch, Johann Adam Hanf und Vater oder Sohn Walther in Coburg (s. Register D 3). – Die Fassungen der nachantiken Kameen in Fingerringen oder Anhängern lassen eher
auf die Herkunft aus einer bestimmten Sammlung, denn auf
eine Datierung schließen; besonders hilfreich war dies für die
Zuordnung der Serien an kleinen Barock-Kameen in identischen, nummerierten Kastenfassungen, s.o.
Nur wenige Kameen der Berliner Sammlung lassen sich
durch die Dargestellten selbst datieren, also durch Porträts
historisch bekannter Personen. Bei den Bildnissen hellenistischer Herrscher (Nr. 167–169) ist dies weniger eindeutig
als bei solchen von Mitgliedern des römischen Kaiserhauses,
allen voran Augustus und seine Frau Livia (s.o. u. Register
D 3). Ferner reflektieren sowohl der große – überarbeitete –
Hadrian-Kameo (Nr. 57) wie das Nottuln-Alabastron (Nr.
86) eine vermutlich historisch fixierbare Konstellation. – Unter den vielen nachantiken Bildnissen gibt es nur wenig zeitgenössische, sicher identifizierbar diejenigen des preußischen
Königshauses und des polnischen Königs August III. (s.o. zu
Darstellungen).
47
von Thrakien über Vorderasien und Ägypten seit langem vertraut. Das Interesse an derartigen Pretiosen mag eine Folge
der Feldzüge Alexanders d. Gr. in diese Hochkulturen bis
nach Indien gewesen sein. Neu ist die Verwendung von Lagenachaten zur farblich differenzierten Gestaltung von Reliefs
in Edelstein, was vielleicht mit der Erschließung entsprechender Lagerstätten zusammenhängt (s.o. Material b. 1).
Lagenachate mit der Option einer künstlich intensivierten
Färbung kamen der veränderten Bedeutung von Farbe in
der hellenistischen Kunst entgegen; sie wurden dann zum
„klassischen“ Material für Kameen. In der Frühphase übertrumpften Kameen aus Glas bisweilen die Achate durch im
Naturstein nicht vorhandene Farben wie rosa, grün oder blau
(s.o. Material b. 4), während in der römischen Kaiserzeit die
Nachahmung der Edelsteine Vorrang hatte.
Die 374 antiken, 376 barocken und 125 klassizistischen
Kameen in der Berliner Antikensammlung224 spiegeln die
Geschichte ihrer Erwerbung und Vermehrung über vierhundert Jahre. Den Grundstock legten die brandenburgischen
Kurfürsten und preußischen Könige, deren Wertschätzung
der kleinen Kostbarkeiten sich in den Zahlen deutlich offenbart. Mit zunehmender Spezialisierung der Kustoden, erst in
der königlichen Kunstkammer und dann im staatlichen Antiquarium, verlagerte sich der Schwerpunkt des Interesses, das
im 19. Jh. die Antike und den Klassizismus gleichermaßen
umfasste. Im 20. Jh. wurden möglichst nur noch antike Kameen erworben. Da diese Kunstgattung im Kern beisammen
blieb und nicht wie andere nach 1830 auf die verschiedenen
Abteilungen der Königlichen, später Staatlichen Museen verteilt wurde, bietet der heutige Bestand – trotz schmerzlicher
Verluste in Folge des 2. Weltkrieges – die Möglichkeit, die
Entwicklung und Bedeutung der Kameen von der Antike bis
in die Neuzeit darzulegen.
Fazit
In diesen Katalog wurden einige Objekte aufgenommen, die
eigentlich nicht zu Kameen im eingangs definierten Sinne
gerechnet werden (s.o. zu Material und Form). Dazu gehören
voll- oder halbplastische Figuren und Köpfe aus Fritte, Glas
und Bernstein für punische, etruskische und hellenistische
Anhänger und Ohrringe (Nr. 106, 111–115, 138–147); sie
stehen technisch, formal und funktional in einer über tausendjährigen Tradition des Mittelmeergebietes. Sie hier zu
integrieren, entspricht zum einen dem Anliegen eines Bestandskataloges, verwandte Objekte – zumal unpublizierte
– möglichst einzubeziehen. Andererseits verweisen diese den
jeweiligen Abschnitten chronologisch vorangestellten Stücke
darauf, dass Kameen im engeren Sinne zwar offenbar erst im
späteren 3. Jh. v. Chr. auftauchten (s.o. Entwicklung hellenistischer Fingerringe 42f.), das Feld für ihre Entstehung
aber bereitet war. Die perfekte Verarbeitung von Edelsteinen
oder Glas zu Skulpturen, Reliefs und verzierten Gefäßen war
allen Kulturvölkern von Italien über Spanien bis Nordafrika,
224 Die zweifelhaften Stücke wurden den jeweiligen Gruppen zugerechnet.