Bei dieser Familie ist alles im grünen Bereich

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Bei dieser Familie ist alles im grünen Bereich
Bei dieser Familie ist
alles im grünen Bereich
Bruno Weihsbrodt und
Hanna Benker ernähren
sich von Rohkost und leben
zum größten Teil autark.
In St. Johann hat das Paar
einen Ort der natürlichen
Lebensweise kreiert.
Ein Besuch bei einer
außergewöhnlichen Familie,
die Gras isst, in einer Jurte
schläft und zum Frühstück
Lindenblätter-Eis serviert.
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Bruno Weihsbrodt
und seine Lebensgefährtin Hanna mit
Söhnchen Pao vor
ihrer Jurte, in der
die Familie schläft.
Foto: Julia Hammerle
inter einer Fichtenreihe in
St. Johann, da liegt es, das fast
drei Hektar große Grundstück
von Bruno Weihsbrodt (46)
und seiner Lebensgefährtin Hanna Benker
(29). Gräser, Sträucher und Bäume, wohin
das Auge blickt, und mitten drin ein Bauernhof. Die Sonne gibt heute ihr Bestes, der Tag
ist perfekt. Der Hausherr empfängt mich mit
nacktem, braungebranntem Oberkörper
und kurzen Hosen. Brunos Freundin Hanna
sitzt in der kleinen Küche und stillt die ein
Monate alte Saphira. Der eineinhalbjährige
Pao löffelt derweil einen grünen Brei aus
einer Holzschüssel und lächelt den Besuch
mit seinem grün-verschmierten Mund an.
Als ich Bruno und Hanna in einer TV-Dokumentation gesehen habe, wollte ich sie
kennen lernen, die Familie, die zum Großteil autark lebt, sich von Rohkost ernährt
und die Moderator Hanno Settele im Fernsehen eine Grastorte kredenzte. Es ist 9 Uhr
und Bruno lädt seinen Gast von der Zeitung ein, mitzufrühstücken. Statt Weckerl
und Marmelade gibt es frisch gemixtes Eis
aus Lindenblättern, gefrorenen Erdbeeren,
gekeimten Sonnenblumenkernen und Baobab, der Super-Frucht des Affenbrotbaumes. Und auch sonst ist alles super.
Seit 28 Jahren forscht Bruno Weihsbrodt
nun schon am Thema Ernährung. Ausschlaggebender Punkt war seine Gesundheit. „Ich war früher im Jahr zirka drei bis
fünf Wochen krank“, erzählt der St. Johanner, während er das Eis löffelt. Als er 18
Jahre war, entzündeten sich seine Mandeln
immer wieder, er hatte chronische Angina. Doch von einer Operation wollte der
Bursch damals nichts wissen. Er suchte nach
Alternativen in der Ernährung. „Ich begann
auf dem Bauernmarkt einzukaufen, trank
nur noch Rohmilch und aß ausschließlich
Selbsthergestelltes“, erinnert sich Weihsbrodt. Auf den ersten Schritt folgte der
zweite. Zunächst lebte der Unterländer
vegetarisch, später vegan. Er testete sich
durch Lebensmittel, experimentierte mit
Ernährungsweisen und befand vor etwa
20 Jahren, dass alles, was erhitzt ist, seinem
Körper nicht guttut.
Vor drei Jahren lernte der Tiroler, der bereits einmal verheiratet war, auf einem Roh-
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Bruno Weihsbrodt
kostfestival seine Freundin Hanna Benker
vom Chiemsee kennen. Die Chemie zwischen den Naturmenschen stimmte sofort.
Gemeinsam wollten die beiden einen Ort
der natürlichen Lebensweise kreieren. Auf
dem Grundstück von Brunos Vater, einem
Landwirt und Jäger, konnten die zwei ihren
Traum verwirklichen. Bruno und Hanna haben zwei gemeinsame Kinder, Baby Saphira und Pao. Der fünfjährige Arun stammt
aus Hannas früherer Beziehung, die zwei
Mädchen Adrienne (13) und Leandra (10)
aus Brunos erster Ehe. Die kleineren Kinder
ernähren sich genau wie Mama und Papa.
„Ab einem gewissen Alter können sie aber
selbst entscheiden, welchen Weg sie gehen
wollen“, sagt Hanna. „Wir können ihnen
nur unser Grundwissen weitergeben.“
Wegwerfwindeln, Fertignahrung, konventionelle Kosmetik oder Textilien findet
man im Hause Weihsbrodt/Benker vergeblich. Gegessen werden keine verarbeiteten
Lebensmittel, kaum Getreide, kein Industriezucker, kein Fleisch, keine Milch, gesüßt
wird nur mit Steviablättern. In der Früh gibt
es gemixte Rohkost-Cremes mit Früchten,
zwischendurch Kirschen, Gurke, Fenchel,
Kohlrabi und abends einen gemischten Sa-
lat mit dem Gemüse der Saison – und dazu
immer wieder Gräser aus dem Garten. Hin
und wieder gönnt sich die ansonsten vegan lebende Familie ein rohes Ei und Honig vom eigenen Bienenstock, und nur in
Ausnahmefällen werden Lebensmittel, z. B.
Pilze, mit Kokosöl erhitzt. Andernfalls steht
der Herd in der kleinen Küche still.
Am Anfang war die Linde
Eigentlich ist Bruno Weihsbrodt Computerspezialist in einem großen Unternehmen. Das komplette Kontrastprogramm,
möchte man meinen. Flexible Arbeitszeiten
erlauben es dem Softwareentwickler aber,
sich voll und ganz seinem Pflanzenparadies
zu widmen.
Nach dem Frühstück geht es raus ins
Freie – in die grüne Welt von Bruno und
Hanna. 400 Gräser wachsen mittlerweile
auf dem Drei-Hektar-Areal, von dem etwa ein Hektar bepflanzt ist. Bruno arbeitet
daran, 1000 verschiedene Pflanzenarten
zusammenzubringen, um eine noch größere Biodiversität aufzubauen. Aus Omas
kleinem Garten und seiner ersten selbst
gepflanzten Linde wurde im Laufe der
Jahre ein regelrechtes Naturschutzgebiet.
Weintrauben ranken sich an der Hausmauer entlang, es gibt Apfelbäume, eine Himbeerplantage, Mispeln, Tompinambur, ein
kleines Maisfeld und dazwischen immer
wieder essbare Pflanzen. Während eines
Spaziergangs nascht Bruno vom Borretsch,
lässt mich von der Haferwurzel probieren,
und präsentiert Brennnessel-, Nachtkerzenblüten, in Vergessenheit geratenen Wiesenpippau und Beinwell. Für die St. Johanner
Rohkost-Familie bedeutet ihr Garten Nahrung. Nahrung, von der sie zum großen
Teil selbst leben können.
Nächstes Ziel Lichtnahrung
„Mein Geschmackssinn hat sich komplett
verändert“, erzählt der 46-Jährige, während
wir durch den Garten streifen. „Getreide
hat mich nie mehr gereizt und bereits eine
Banane ist mir zu süß.“ Was für andere extrem und alternativ klingt, ist für Weihsbrodt
der Schlüssel zu seiner Gesundheit. „Seit
1998 war ich nicht mehr im Krankenstand,
ich brauche fast keinen Schlaf mehr und
habe begonnen Bergmarathons zu laufen“,
berichtet der Heilpflanzenreferent. Missionieren wolle er niemanden, betont er. Aber
vielleicht zum Nachdenken bewegen.
Zu erzählen haben Bruno und Hanna
viel. Zum Beispiel, welche Ernährungsfehler heutzutage viele Menschen machen.
Dass sich etwa kaum jemand Gedanken
über die Reihenfolge des Essens macht.
Dass schwerverdauliche Eiweiße wie Pil-
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ze, Fisch oder Fleisch nicht gemeinsam
mit Kohlenhydraten oder Süßem verzehrt
werden sollen, weil es dann zu einer Gärung kommt. Bruno berichtet, dass er einmal 23 Tage nichts gegessen hat und nun
den sanften Übergang von veganer Rohkost zur Lichtnahrung plant. Und ich stelle
fest, dass eine Trockentrenntoilette, die der
Rohköstler in der freien Natur gebaut hat,
keineswegs stinken muss.
Die Jurte von
innen. Dort
wurde Baby Saphira geboren.
!
Insgesamt
400 Gräser hegt Bruno
Weihsbrodt in
seinem Garten.
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"
Rohkostkreation von
Hanna Benker:
Lindenblättercreme mit essbaren Blüten.
#
Bruno und
Hannas
Motto. Die beiden leben ihren
Traum.
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$
Auf die Gesundheit!
TT-Redakteurin
Nicole Strozzi
beim Besuch in
St. Johann.
Fotos: Julia Hammerle
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Geschlafen wird nicht im Bauernhaus,
sondern in einer Jurte, die sich mitten im
Garten befindet, ausgestattet mit Zirbenmöbeln, einem Ofen und einer Glaskuppel
am Dach mit Blick auf die Sterne. Vor zwei
Jahren hat Bruno das „Zelt“ für sich, Hanna
und die drei kleineren Kinder erschaffen.
„Wir wollten noch naturnaher leben“, erzählen die beiden. Die kleine Saphira ist in
der Jurte zur Welt gekommen. Die Geburt
dauerte 20 Minuten. Eine Hebamme war
keine dabei. „Die Hebamme war ich“, lacht
Bruno. Früher wurde der 46-Jährige belächelt, heute, so sagt er, seien seine Kritiker
neidisch, dass er so fit ist. „Und der Genuss“,
frage ich, „das gemeinsame Feiern oder Zelebrieren einer Speise, bleibt das nicht auf
der Strecke?“ „Nein“, antworten die Naturköstler. Genuss bedeute für sie, dass sie
essen können, was ihnen schmeckt.
Wir gehen zurück zum Bauernhaus. Hanna hat eine Creme aus Lindenblättern, Minze, den Schokoersatz Carob und Heidelbeeren vorbereitet. Beim Smoothie bleibt
noch ein bisschen Zeit, die unglaublich
vielen Eindrücke – und die ganzen Gräser
– zu verdauen. Durch die Fichtenalle geht
es wieder zurück nach Hause. Es kommt einem fast so vor, als würde man eine andere
Welt verlassen. (Nicole Strozzi)