Unbewusste Rache verlassener Melancholikerinnen

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Unbewusste Rache verlassener Melancholikerinnen
독일언어문학 제57집(2012.9). 395-419
Unbewusste Rache verlassener Melancholikerinnen
– Goethes Stella
Suh, Eun-Ju(Hankuk University of Foreign Studies)
I. Einleitung
Es war einmal: die Liebe.
So auch im Zeitraum um 1800, genauer in den Jahren zwischen 1776 und 1806.
Auf diese Daten, die die Außengrenzen dreier Jahrzehnte bilden, fallen die
Uraufführungen des in zwei Fassungen vorliegenden Dramas Stella von J. W. von
Goethe, das in der Erstfassung den Untertitel Ein Schauspiel für Liebende, in der
Zweitfassung den Untertitel Ein Trauerspiel trägt.
Die Liebe, wie sie Goethes ursprüngliche Titelwahl in geradezu programmatischer
Weise in den Fokus rückt, begeistert und fasziniert die Menschen in all ihren
Erscheinungsformen – und so auch, vom Zeitpunkt des doppelten Erscheinens der
Stella bis zum heutigen Tag, die von Goethe in seinem Theaterstück dargestellte.
Die Liebe ist – bei allem historischen und gesellschaftlichen Wandel, der auf ihre
Phänotypen nicht ohne Einfluss geblieben ist – nicht vorübergegangen, sie hat nicht
aufgehört.
Aber die Liebe in Goethes Schau- oder Trauerspiel Stella ist in ihrer
Grund-Konzeption (und nicht in einzelnen Aspekten) anstößig und skandalös. Sie
selbst oder das Drama oder sein Verfasser geht nach der einhelligen Ansicht der
Zuschauer und der Kritiker – der zeitgenössischen wie der späteren – zu weit.
Denn es ist eine in jeder Hinsicht unmögliche, eine illegitime, eine unmoralische
Liebe, die in Stella auf die Bühne kommt: eine ménage à trois zwischen einem
Mann und zwei Frauen. Diese Dreier-Beziehung wird weder in der Erst- oder
Schauspielfassung noch – wie sich aus der vorliegenden Studie als ein (nicht im
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Zentrum der Untersuchung stehendes) Nebenergebnis zeigt – in der Zweit- oder
Tragödienfassung durch den Handlungsgang oder sonstige textuelle Signale
auktorialer Distanzierung der moralischen Verurteilung überantwortet. Der tragische
Schluss der Fassung von 1806 ist keine moralische, sondern eine
Beziehungs-Katastrophe, die die bereits in der Erstfassung exponierte Thematik bis
in die äußerste Zuspitzung des Zusammenbruchs zu Ende denkt.
Nur die mehr als zwei Jahrhunderte währende Rezeptionsgeschichte hat in ihren
ebenso moralistischen wie oberflächlichen Lektüren, die den Blick in die
Tiefenstrukturen des Dramas unterlassen, wieder und wieder die DreiecksKonstellation (die Konstellation der Stella) als das schlechthin Anrüchige, als
Inbegriff des in sittlicher, religiöser, gesellschaftlicher, kultureller Hinsicht
Undenkbaren zum thematischen Zentrum von Goethes Schauspiel oder Tragödie der
Liebe erklärt.
So massiv erschienen bereits den Zeitgenossen Goethes das Ärgernis und die
Provokation, die von der 1775 entstandenen und bereits im Folgejahr uraufgeführten
und in Druck gegangenen Erstfassung des empörenden Bühnenstücks ausgingen,
dass sich sittlich verletzte Kritiker bemüßigt oder genötigt fühlten, dem ansonsten
unverändert übernommenen Dramentext Goethes einen abgeänderten Schluss
anzufügen, der in seiner moralischen Haltung unzweideutig ist. Henry J. Schmidt
hat in einem vergleichenden Aufsatz über die beiden Versionen von Goethes Schauoder Trauerspiel zwei solcher moralischer Adaptionen des goetheschen Originaltextes
an das allgemeine sittliche Empfinden beschrieben:
One anonymous critic produced a ‘sixth act’ of the play, published in the same
format as Goethe´s text and continuing the original´s pagination. In this addendum,
Stella´s uncle arrives after Goethe´s ménage à trois has concluded its embrace. The
uncle has Fernando arrested, placed in chains, and sentenced for life to hard labor.
Cäcilie is about to retell her parable when the uncle points out how little relevance it
has to the situation. Stella departs with her uncle, and Cäcilie reconciles herself with
her father. Another sequel required five acts to tell how Fernando, ultimately deciding
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to live with Cäcilie, sends his brother (‘Fernando 2’) to Stella, who marries him.1)
Unter der Feder der Redaktoren oder Umschreiber, die ihre Identität hinter einem
schützenden Anonymat verstecken, erweist sich der Eingriff in Goethes Originaltext
als ein Umarbeitungs-Verfahren, in dem sich textuelle Mimikry, inhaltliche
Korrektur und moralische Zensur zu einer sittlichen Bereinigung von Goethes
anstößigem Schauspiel für Liebende verbinden oder verbünden. Drucktechnische
Mimesis kollaboriert unter dem Schutz vermiedener Identifizierbarkeit mit einer
krude moralisierenden Kontrafaktur, deren judikative und exekutive Gewalt ein
literarisches Sittlichkeits-Verbrechen nach der Maßgabe von Schwerstkriminalität
bestraft oder aber – in der versöhnlichen Variante – den zuletzt geläuterten
Bigamisten auf den rechten Pfad der Monogamie zurückführt und darüber nicht
vergisst, den bei dieser Lösung übrigbleibenden Part mit einem Klon des
Protagonisten zu trösten.
Es mag so erscheinen, als ob diese Prozeduren moralisch-literarischer Korrektur
und die in ihnen implizierte anhaltende sittliche Empörung des Publikums dazu
beigetragen haben, dass sich Goethe schließlich, drei Jahrzehnte nach der
Niederschrift der Erstfassung, zu jener Neubearbeitung seines eigenen Textes
veranlasst sieht, an deren Ende durch Umarbeitung des Dramen-Schlusses das
Schau- zum Trauerspiel wird und der Zusatz “für Liebende” wegfällt. Aber es ist
(wie die nachfolgenden Ausführungen nahezulegen versuchen) doch wenig
wahrscheinlich, dass eine veränderte moralische Einstellung des reifer gewordenen
Autors und ebensowenig die vom einhelligen Konsens der Goethe-Forschung
vorgebrachten Gründe die Wiederaufnahme und Überarbeitung der Stella erklären –
jenes Dramas, über das Goethe selbst, der Urheber des skandalösen Werkes, noch
1) Henry J. Schmidt: Goethe´s Stella. From ‘Ein Schauspiel für Liebende’ to ‘Ein
Trauerspiel’. In: William C. McDonald und Winder McConnell (Hg.): Fide et
amore. Göppingen 1990. S. 318.
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im Jahr der Entstehung der Erstfassung der Schriftstellerin Sophie von La Roche
mitgeteilt hatte, es sei ihm “unendlich wert”, dass sie seine “Stella so lieb” habe,
und hinzufügte, das Drama sei “nicht ein Stück für jedermann”2).
Bleibt man zunächst noch auf der Ebene der authentischen Äußerungen des
Verfassers über sein Werk, ist auch Goethes von Friedrich von Müller überlieferte
Bemerkung über die Zweitfassung der Stella zu berücksichtigen, die in den Jahren
1803 bis 1805 entsteht, bereits im Folgejahr ihre Uraufführung erlebt und 1816
auch in einer Druckfassung vorliegt. Hier wird, in des Verfassers eigenen Worten
und im Kontext eines Gesprächs über seine Neubearbeitungen der Stella und des
Clavigo, in geradezu auffälliger (um nicht zu sagen: beredter) Weise von ethischen
Überlegungen geschwiegen – es werden ausschließlich literarische und dramaturgische
Gründe für den Überarbeitungsprozess angeführt.
Der Schluss der Erstfassung der Stella, so referiert Kanzler von Müller ein
Gespräch mit dem alten Goethe am 11. Oktober 1823, sei nach dem Urteil ihres
Verfassers – das unter ausschließlich ästhetischem Gesichtspunkt Punkt erfolgt –
“durchaus keiner gewesen, nicht consequent, nicht haltbar, eigentlich nur ein
Niederfallen des Vorhangs”. Hinsichtlich Goethes psychischer Verfassung weiß von
Müller zwar von einer tiefen Diskrepanz zwischen äußerem Verhalten und innerer
Befindlichkeit sowie einem Auseinanderklaffen zwischen ideellem Anspruch und
faktischer Realisierung zu berichten. Aber auch diese Diskordanzen können nicht als
Ausdruck eines Konflikts zwischen moralischer Zerknirschung über literarische
(Jugend-)Sünden und ethischer (Selbst-)Gerechtigkeit angesichts einer späten
Wiedergutmachung gewertet werden. Die Spannungen in Goethes Erscheinungsbild
verdanken sich nach von Müllers Eindruck nicht einem ethischen Dilemma, sondern
den aktuellen Problemen und Anstrengungen des Überarbeitungs-Vorganges sowie
generell dem gewaltigen künstlerischen Selbstanspruch von Goethes literarischer
Existenz: “Goethe war” nach von Müllers Eindruck “zwar herzlich und mittheilend,
2) Johann Wolfgang von Goethe: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche.
Bd. IV. Frankfurt am Main. 1985. S. 980.
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jedoch innerlich gedrückt, sichtbar leidend. Seine ganze Haltung gab mir den
Begriff eines unbefriedigten großartigen Strebens, einer gewissen inneren
Desperation”3).
Beim Überarbeitungsvorgang durch des Verfassers eigene Hand bleibt neben der
Thematik des Stückes auch das eigentliche Textkorpus unverändert. Das Finale
hingegen (jene Textpartie also, an der auch die anonymen Korrektoren ihre
moralisierenden Änderungen angebracht hatten) erfährt jene gravierende inhaltliche
Veränderung, die – ohne jeglichen Rückhalt in Goethes Aussagen – immer wieder
als moralische Selbstkorrektur oder aber – in unvollständigem Bezug auf Goethes
Äußerung gegenüber von Müller – als rein dramaturgische Korrektur eines
willkürlichen, vom Schluss-Vorhang mehr betonten als verdeckten Text-Abbruchs
verstanden wurde: Am Ende des Textes, das das Schauspiel zur Tragödie
verwandelt, nimmt Stella Gift, worauf sich Fernando erschießt – der Vorhang kann
nunmehr mit voller dramaturgischer Motivation niederfallen.
Jener Teil der von Müller überlieferten Selbstaussage Goethes, der von dem
Nicht-Schluss, der Inkonsequenz und der Unhaltbarkeit des ursprünglichen Finales
spricht, wird ohne auktoriale Legitimation moralisch oder mit bloßer
bühnentechnischer Legitimation dramaturgisch ausgelegt. Diesen verengenden
Deutungstraditionen wird in den nachfolgenden Ausführungen eine streng
thematische, am Problemgehalt des Stückes orientierte Auslegung entgegengesetzt,
die (um Goethes eigenes Vokabular aufzugreifen) eine ganz andere ‘Consequenz’
und ‘Haltbarkeit’ von Stella sichtbar zu machen behauptet.
Gewiss scheint mit dem überdies unvergleichlich bühnenwirksameren Eingriff der
Zweitfassung das verwerfliche Happy ending der Erstfassung mit ihrer skandalösen
polygamen Lösung in den moralisch akzeptablen Tragödienschluss der Zweitfassung
umgeschrieben zu sein, der dem illegitimen Paar Fernando – Stella selbst den
gemeinsamen Liebestod verwehrt. Auch ist es diese moralisch korrekte Fassung
3) Johann Wolfgang von Goethe: Sämtliche Werke. Briefe, Tagebücher und Gespräche.
Bd. IV. Frankfurt am Main. 1994. S. 1208.
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letzter Hand, die beim Publikum, bei der Theaterkritik und in der
Literaturwissenschaft bis in die Gegenwart hinein ungeteilten Beifall findet: Nach
einhelliger Meinung erfährt das Skandalon eines Zusammenlebens eines Mannes mit
zwei Frauen, das man (mit einem durch Klaus Theweleits Dissertation populär
gemachten Begriff) als eine Männerphantasie identifiziert, in Goethes korrigierter
Version seine gerechte Strafe. Und doch lenken diese Interpretationstendenzen vom
eigentlichen thematischen Gehalt, den Goethes Selbst-Bearbeitung bis zur
Katastrophe vorantreibt, ab.
Von einer Männerphantasie bzw. einem Männertraum sprechen – stellvertretend
für zahlreiche andere literaturwissenschaftliche Äußerungen zu Goethes Drama –
übereinstimmend Helga Kraft und Lothar Pikulik:
Die klassische Männerphantasie, eine Frau zur Versorgung und eine Frau für die
Erotik zu besitzen, sowie von beiden geliebt zu werden, ist eine konkrete Parallele zu
den zwei Faustschen Seelen, die in der Brust des Mannes kämpfen. Die Parallele
besagt: zwei Frauen brauch ich, ach, in meinem Haus.4)
Es versteht sich, daß die Problemlösung dieser ersten positiven Schlußfassung des
Dramas für Fernando gar nicht besser ausfallen kann. Er, der es eigentlich gar nicht
verdient hat, gelangt in den Genuß eines doppelten Glücks, denn er darf sowohl die
Geliebte wie die Gattin behalten, die beide sich mit ihm in schöner Harmonie
zusammenschließen. Was sich hier ausdrückt, ist – wer könnte das leugnen – ein
Männertraum.5)
Aber diesem immer noch im moralisch-ethischen Horizont situierten Konsens der
Goethe-Forschung – sei er, wie bei Kraft, emanzipiert und ironisch oder, wie bei
4) Helga Kraft: Idylle mit kleinen Fehlern. Zwei Frauen brauche ich, ach, in meinem
Haus. In: Helga Kraft und Elke Liebs (Hg.): Mütter – Töchter – Frauen.
Weiblichkeitsbilder in der Literatur. Stuttgart 1993. S. 88.
5) Lothar Pikulik: Stella. Ein Schauspiel für Liebende. In: Walter Hinderer (Hg.):
Goethes Dramen. Neue Interpretationen. Stuttgart 1980. S. 98.
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Pikulik, vorsichtig affirmativ gefasst – ist, im Sinne einer doppelten (Gegen-)These,
ein Zweifaches entgegenzuhalten: Die Verwirklichung der in Goethes Drama
thematisierten Männerphantasie ist, erstens, keine Paradiesvorstellung, sondern ganz
im Gegenteil die Hölle – und zwar, zweitens, nicht etwa für die beteiligten Frauen,
sondern für den Mann.
Das allgemeine typologische Szenario einer Männerphantasie, wie sie Goethes
dramatischem Entwurf zugrunde liegt (und in ihrem motivgeschichtlich-stofflichen
Hintergrund vom Text selbst auf die durch den Heiligen Stuhl legitimierte Bigamie
des Ritters von Gleichen zurückgeführt wird) beinhaltet in stereotyper Weise die
Konstellation Ehefrau und Geliebte bzw. Maria und Magdalena. Aber – und diese
Modifikation stellt einen entscheidenden Unterschied zum typologischen Normalfall
dar – bei der von Goethe realisierten Konfiguration ist die synchrone und isotope
Bigamie-Konstellation mit einer zeitlichen und räumlichen Verschiebung versehen,
die die Synchronie und Isotopie der polygamen Kohabitation in ein zeitliches und
räumliches Nacheinander überführt: die Relation zwischen dem Mann und den
beiden Frauen ist temporalisiert und spatialisiert, die Figuren-Konstellation von
Stella ist in eine zeitliche und räumliche Ordnung der Aufeinanderfolge gebracht.
Erst und gerade der Zusammenbruch dieser auf einer doppelten Differenz
basierenden Zeit- und Raum-Struktur ist die Zeitigung und Einräumung jener
Katastrophe, die Erst- und Zweitfassung von Goethes Drama unterscheidet – jener
Katastrophe im dramentheoretischen und im zwischenmenschlichen Sinn, die das
“consequent” und “haltbar” gemachte Finale von Goethes Zweitfassung der Stella
im Gegensatz zum (Nicht-)Schluss der Erstfassung, der “durchaus keiner gewesen”
ist, fern moralischer Abrechnung ins Werk setzt.
In der vom strukturalen Typus einer polygamen Konfiguration grundlegend
abweichenden doppelten Sequenzialisierung führt Goethes Schau-Spiel mit der
Dringlichkeit und Drastik eines dramatischen Anschauungsunterrichts vor und auf,
was die Verwirklichung der angeblichen Männerphantasie für den Mann wirklich
bedeutet.
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Die Frauengestalten in Goethes Drama sind nämlich – dem sei es pro- oder
antiemanzipatorischen Konsens jener germanistischen Interpretationen, die das Erbe
des moralistischen Diskurses angetreten haben, zum Trotz – nicht die Opfer eines
glücklicher- oder bedauerlicherweise historisch überwundenen patriarchalen oder
chauvinistischen Männertraums. Sie sind, ganz im Gegenteil, Vollstreckungs- oder
Exekutivorgane eines psychoanalytisch erklärbaren psychopathologischen Mechanismus,
einer seelischen Dynamik oder Psycho-Logik, die Fernando, die männliche
Hauptgestalt, mit der schonungslosen Konsequenz eines Trauerspiels auf einen Weg
führen, den Goethes Zweit- und Endfassung auf offener Bühne mit unerbittlicher
Kompromisslosigkeit bis in den Suizid verfolgt.
Es ist vermutlich dieses rückhaltlose Verfolgen einer dramatischen Entwicklung
bis zu ihrem bitteren oder eben tragischen Ende (das mit einem Wort Friedrich
Dürrenmatts ihre schlimmstmögliche Wendung darstellt, ohne die ein Stoff nicht zu
Ende gedacht ist), die Goethes heftige Reaktion auf einen Einwand seitens Charlotte
von Stein erklärt: “Neulich”, so berichtet die Stein, “wurde seine alte Stella
gegeben; er hat aus dem Drama eine Tragödie gemacht. Es fand aber keinen
Beifall. Fernando erschießt sich, und mit dem Betrüger kann man kein Mitleid
haben. Besser wäre es gewesen, er hätte [nur] Stella sterben lassen; doch nahm er
mirs sehr übel, als ich dies tadelte.”6)
Die notorisch gestrenge Frau von Stein (deren Aufzeichnung aus dem Jahr 1806
sowohl von der Konventionalität ihrer Moralvorstellungen, die nahtlos in Brutalität
umschlagen, als auch von der offenbar wenig günstigen Rezeption der Uraufführung
der Zweitfassung von Stella Zeugnis gibt) begreift offenbar und zu Goethes
unverhohlener Verärgerung nicht, dass im suizidalen Finale von Stella II nicht im
Zeichen poetischer Gerechtigkeit ein moralisches (Todes-)Urteil gefällt, sondern der
Zusammenbruch eines Begehrens-Konzepts besiegelt wird.
Es ist gerade diese Katastrophe eines ordre du désir, die Goethes Trauerspiel
6) Johann Wolfgang von Goethe: Goethe - Begegnungen und Gespräche. Bd. VI.
Berlin 1965. S. 18.
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(das nicht moralisch oder unmoralisch, sondern amoralisch ist und auch oder zumal
nach der Änderung seines Titels und seines Schlusses ein analytisches Schau-Spiel
für Liebende bleibt) bis zu ihrem unabänderlichen Ende verfolgt.
II. Begehren und Objekt
Fernando ist ein begehrendes Subjekt. Von entscheidender Bedeutung für die
Verwirklichung von Fernandos Begehrens-Konzept – das in einem ganz anderen
Sinn als dem von der Goethe-Forschung beanspruchten eine Männerphantasie ist –
wie für deren literaturwissenschaftliche Beurteilung ist die Erkenntnis, dass
Fernandos Besitz nicht in Frauen besteht, sondern im Besitz seines Begehrens. Die
Bedingung für das Funktionieren seines Begehrens liegt darin, dass die beiden
Frauen, Stella und Cezilie, nicht voneinander wissen; keine von ihnen ist sich
dessen bewusst und darf sich dessen bewusst werden, dass sie in der jeweils
anderen eine Konkurrentin hat. Durch dieses Ausbleiben von erotischer Rivalität
bleibt Fernando für Cezilie wie für Stella auch nach seinem plötzlichen
Verschwinden eine Idealgestalt, die nicht dem Hass verlassener Frauen verfällt.
Gerade der Aufrechterhaltung dieses Status gilt offenbar Fernandos Bemühen:
Ohne Wissen Cezilies ist er in Stella verliebt; Cezilie wartet in der Zwischenzeit
auf ihn. Ohne Wissen Stellas kehrt er später wieder zu Cezilie zurück; Stella wartet
in der Zwischenzeit auf ihn. Da er Cezilie nirgendwo ausfindig machen kann, kehrt
er zu Stella zurück. In deren Haus trifft er Cezilie wieder. Ohne Wissen Stellas
will er mit Cezilie entfliehen. Die Aufrechterhaltung des Nicht-voneinander-Wissens
der beiden weiblichen Hauptgestalten von Goethes Drama ist die Voraussetzung des
Funktionierens von Fernandos Begehren.
Sobald hingegen Fernandos Begehren in seiner monogamen Dimension –
gewissermaßen die eine Hälfte seiner sogenannten Männerphantasie – in Erfüllung
geht (oder, wie man formulieren muss, in Erfüllung zu gehen droht), orientiert er
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sich an der jeweils anderen Frau: Cezilie respektive Stella. Fernando oszilliert
beständig zwischen den beiden Frauen, die wie die Pole eines Magnetfeldes sind,
welche sein Begehren unter Spannung halten. Dieses Oszillieren ist gerade
Fernandos Begehren. Die Realisierung der Männerphantasie ist der Tod des
Begehrens.
In einer Dialogpartie zwischen Fernando und dem Verwalter ist diese Struktur
eines Begehrens, dessen Erfüllung seine Auslöschung bedeutet, unmissverständlich
artikuliert - die Bindung des Begehrens ist die Fesselung des Subjekts, die
Ungebundenheit des Begehrens ist die Freiheit des Subjekts:
VERWALTER Wie Sie mir Ihr Herz öffneten, und in einem Anfall von heftiger
Unzufriedenheit zu mir sagten: „Franz, ich muß fort! – ich wär ein Tor mich fesseln
zu lassen! Dieser Zustand erstickt alle meine Kräfte, dieser Zustand raubt mir allen
Mut der Seele; er engt mich ein! – Was liegt nicht alles in mir? Was könnte sich
nicht alles entwickeln? – Ich muß fort – in die freie Welt! –“
FERNANDO Treffend!
VERWALTER Ich verstund nicht, was Sie wollten; jetzt versteh ich´s. Wir gingen
durch, wir gingen in die freie Welt; – und flatterten auf und ab, heraus – herein –
und wußten zuletzt mit all dem freien Mut nicht, was wir für Langerweile beginnen
sollten – – daß wir uns wieder über Hals, über Kopf gefangen geben mußten, um
uns nicht eine Kugel vor´n Kopf zu schießen –
FERNANDO Drolligter Mensch!
VERWALTER Da hatten nun die Kräfte ihr frei´s Spiel.
FERNANDO Hasenfuß!
VERWALTER Da entwickelten sich die Fähigkeiten.
FERNANDO Weißt du, worüber zu spottest?
VERWALTER Über das, was Sie so oft sagten, nie taten; über das, was Sie
wünschten, nie fanden, und auch oft nicht einmal suchten.7)
7) Johann Wolfgang von Goethe: Stella. In: Ders.: Sämtliche Werke. Bd. IV. Frankfurt
am Main 1985. S. 555. (Im Folgenden werden Zitate nach dieser Ausgabe im
fortlaufenden Text mit bloßer Seitenangabe belegt.)
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Was Fernando begehrt, ist nicht ein oder das Objekt, in dem sich sein Begehren
(wie man sagt) erfüllt, befriedigt oder stillt, sondern gerade die Spannung zwischen
den Objekten, die sein Begehren anreizt und öffnet, am Leben erhält und fortdauern
lässt. In der Bindung an ein Objekt fühlt Fernando, dass sein Begehren der
Herrschaft durch dieses Objekt unterworfen ist und versiegt. Die Ursache seines
Begehrens liegt nicht im Objekt (in einer der beiden Frauen), sondern gerade in
dem von ihnen markierten und geschaffenen Zwischenraum: im Bereich zwischen
den Objekten und im Weg des Begehrens, den dieser Raum ein-räumt. Die
Platzierung in dem Spannungs- oder Magnet-Feld zwischen den Polen, die die
beiden Frauen bilden, ermöglicht die Aufrechterhaltung und das Fließen seines
Begehrens, lässt es von Ort zu Ort strömen und zwischen den Orten fluktuieren
und flottieren. Fernandos Begehren ist nichts anderes als diese Bewegung.
An dem begehrenden Subjekt Fernando ist ersichtlich, dass erst der Mangel, der
eine Distanz eröffnet, jenen leeren Raum schafft, in dem das Begehren fließen,
strömen und sich entfalten kann: der Mangel als Abstand ermöglicht die Bewegung
des Begehrens. Das Begehren kann daher als das Begehren nach dem Mangel
verstanden werden, es muss notwendig unerfüllt, unrealisiert, ungestillt sein: die
Nicht-Verwirklichung ist seine raison d’être, seine Erfüllung ist sein Tod.
Um fortzubestehen, um sich reproduzieren und perpetuieren zu können, muss das
Begehren Begehren nach dem Begehren sein. Um erhalten zu bleiben, muss es sich
stets im Status des Noch-nicht oder des Nicht-mehr befinden; sonst kann es nicht
fortbestehen. Konstitutiv unbefriedigt, ist das Begehren nur zufrieden, weil es
unzufrieden ist. Gerade diese seine Unzufriedenheit muss bewahrt bleiben, weil es
allein in dieser Konservierung der Unzufriedenheit Bestand hat. Mit der Erfüllung
seines Begehrens hingegen ist das begehrende Subjekt – wie Fernando am Schluss
der Zweitfassung von Goethes Tragödie – am Ende: vernichtet, ausgelöscht.
Durch den Entschluss Cezilies und Stellas, in einem gemeinsamen Haushalt
zusammenzuleben, bricht dieses Spannungsfeld, das konstitutiv ist für das Begehren
Fernandos, in sich zusammen; der Spiel-Raum des Begehrens implodiert in
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zeitlicher und räumlicher Nähe. Als Fernando diesen Schauplatz betritt, in dem die
Pole seines Begehrens in einer Hausgemeinschaft zusammenfallen, fühlt er, dass er
Schritt für Schritt zerdrückt oder erdrosselt wird; der zusammengefaltete Wohnoder Begehrensraum raubt ihm den Platz zum Leben und die Luft zum Atmen: die
vom Spiel-Feld des Begehrens auf die Dimensions- und Abstandslosigkeit eines
gemeinsamen Hausstandes zusammengeschrumpfte Örtlichkeit erdrückt und erstickt
ihn. Von den beiden Objekten des Begehrens in die Zange genommen, wird er
gleichsam wie ein Nagel in die Wand geschlagen. Sein Begehren kann sich nicht
mehr bewegen, fließen, strömen, pulsieren: das begehrende Subjekt Fernando ist
arretiert, fixiert, immobilisiert.
In einer Dialogpartie zwischen Cezilie (die hier noch den Namen Madame
Sommer führt) und Stella wird der Plan jenes Zusammenleben der beiden Frauen,
das für Fernando den Untergang der Bedingung des strömenden Begehrens in einer
Wohngemeinschaft bedeutet, in buchstäblicher Weise handgreiflich:
MADAME SOMMER Wir glauben den Männern! In den Augenblicken der
Leidenschaft betrügen sie sich selbst, warum sollten wir nicht betrogen werden.
STELLA Madame! Da fährt mir ein Gedanke durch den Kopf – Wir wollen einander
das sein, was sie uns hätten werden sollen! Wir wollen zusammen bleiben –! Ihre
Hand! – Von diesem Augenblick an laß ich Sie nicht! (547)
Aus Fernandos im Rahmen eines Monologs gesprochenen Worten hingegen
spricht angesichts der Vision eines gemeinsamen Hausstandes, die Helga Kraft als
“klassische Männerphantasie” und Lothar Pikulik als Zusammenleben “in schöner
Harmonie” missverstehen, die Panik eines in die Enge Getriebenen, nach dem
fremde Hände greifen – die Handgreiflichkeit, die den Pakt der Frauen zugleich
stiftet und besiegelt, erscheint als der Zu- oder Zangengriff gegen einen, dem die
Welt unter zupackenden Händen auf ein Nichts zusammenschrumpft:
FERNANDO Laß mich! Laß mich! Sieh da faßt´s mich wieder mit all der
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schröcklichen Verworrenheit! – So kalt, so graß liegt alles vor mir – als wär die
Welt nichts – ich hätte drinne nichts verschuldet – – Und sie! – Ha! bin ich nicht
elender, als ihr? Was habt ihr an mich zu fordern? – – – Was ist nun des Sinne[n]s
Ende? – Hier! und hier! Von einem Ende zum andern! durchgedacht! und wieder
durchgedacht! Und immer quälender, immer schröcklicher! (Sich die Stirn haltend)
Wo´s zuletzt widerstößt! Nirgends vor, nicht hinter sich! (569f.)
Im Zuge einer Umkehrung (oder dramatischen Wendung) des Gesetzes des
Handelns ist die Reihe jetzt nicht an Fernando, sondern an Cezilie und Stella, die
nunmehr das Heft in die Hand nehmen. Unter dem Zugriff und der
Handgreiflichkeit der beiden Frauen, die ihn erst zerreißen und dann erdrücken
wollen, ist Fernando in einer sein Begehren erwürgenden Ausweglosigkeit gefangen,
die sich in den Umständen der Erzählung der Parabel über den Graf von Gleichen
manifestiert:
CEZILIE (tritt zu ihm und nimmt ihn bei der Hand) Es war einmal ein Graf –
Fernando. Er will aufspringen, sie hält ihn.
[...] Fernando liegt schluchsend mit den Armen übern Tisch gebreitet.
[...] Fernando springt auf in der Bewegung zu fliehen.
CEZILIE (faßt ihn) Stella! nimm die Hälfte des, der ganz dein gehört.
[...]
STELLA (an seinem Hals) Ich darf? – –
CEZILIE Dankst du mir´s, daß ich dich Flüchtling zurück hielt?
STELLA (an ihrem Hals) O du! – –
[...]
STELLA (seine Hand fassend, an ihm hangend) Ich bin dein!
CEZILIE (seine Hand fassend, an seinem Hals) Wir sind dein! (572ff.)
Unverkennbar – und doch im Gegensatz zum einhelligen Konsens der Interpreten
von Goethes Drama – hört Fernando diese Parabel nur unter Zwang und mit allen
Zeichen des Widerstrebens. Die als Apotheose des Zusammenseins über den Tod
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hinaus gemeinten formelhaften Schlussworte der Legende über eine von höchster
kirchlicher Stelle legitimierte Bigamie – “Eine Wohnung, Ein Bett und Ein Grab”
(573) – werden zur Horror-Vorstellung einer Gefangenschaft über den Tod hinaus:
Domizil, Schlafplatz und letzte Ruhestätte fallen in eins oder (um der emphatischen
Rechtschreibung Goethes Rechnung zu tragen) in Eins zusammen.
Fernando will die Geschichte, deren Schluss-Sentenz die Liquidierung seines
Begehrens als Leben und Tod übergreifende All-Einheit glorifiziert, nicht hören.
Aber er kann unter dem Zangengriff der beiden Frauen, die seine Hände ergreifen,
sich an ihn werfen und als Gewichte an seinem Hals hängen, nicht fliehen. Sie
fassen ihn unter Worten, in denen die Hingabe-Formeln “Ich bin dein!” bzw. “Wir
sind dein!” zur vollständigen Besitzergreifung mutiert. In dieser erzwungenen
Rezeptionssituation eines an der Flucht gehinderten Gefangenen hört er die
legendenhafte Parabel über den Graf von Gleichen, die ihn – in vollständiger
Kontrafaktur ihrer Intention – nicht ins Märchen-Paradies einer utopischen Bigamie,
sondern in den dystopischen Horror des Realen führt.
Dieser im buchstäblichen Sinne aporetische Zustand der (Aus-)Weglosigkeit
gleicht jener buchstäblichen Fesselung mit Ketten, die einer der von Henry J.
Schmidt referierten Goethe-Korrektoren dem Bigamisten Fernando als Strafe für
seine Unsittlichkeit zugedacht hatte: von Frauen-Händen, die ihn ergreifen und
festhalten, am Entfliehen gehindert, wie ein Beutestück unter seinen Jägerinnen
aufgeteilt, die, sich ihm an den Hals werfend, ihn zugleich vereinnahmen und sich
ihm übereignen, verschmelzen für Fernando, der sich in schluchzender Verzweiflung
über einen Tisch ausbreitet, Zusammen-Wohnen, Zusammen-Schlafen und
Zusammen-Beerdigtsein zum Schreckbild eines die Lebensspanne übergreifenden
symbiotischen Thanatos, der sein Begehren paralysiert und liquidiert.
Dieses triadische Inferno, das das Leben und das Begehren erstickt, kann
unmöglich – obwohl ausnahmslos alle Interpreten von Goethes Drama so urteilen –
die utopische Realisierung eines dem monogamen Zwang der europäischen Kultur
entgegengesetzten Zusammenlebens zu Dritt, die transmoralische Verwirklichung
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eines paradiesischen Männertraums sein. Es ist in Goethes utopielosem Realismus
die Hölle eines Männeralptraums. Und diese Dystopie des Realen erweist sich,
unter Goethes schonungslos analytischem Blick, dem man die beanspruchte
Konsequenz und Haltbarkeit schwerlich absprechen kann, als die dem Unbewussten
entstammende grausame Rache verlassener Frauen, die der Melancholie verfallen
sind.
III. Trauer und Melancholie
Stella und Cezilie sind melancholische Subjekte. In der vom Unbewussten
gesteuerten Rache der beiden von Fernando verlassenen Frauen manifestiert sich der
Sieg der Melancholie über das Begehren. Während Fernando in Goethes Darstellung
als der Begehrende charakterisiert ist, sind Stella und Cezilie als Melancholikerinnen
gezeichnet.
In der Psychoanalyse steht die Melancholie bekanntlich in engem Zusammenhang
mit dem Begehren: Wenn das Subjekt in seinem Phantasiemechanismus das Objekt
des Begehrens nicht mehr begehren kann, versinkt es in Melancholie. Nach
Sigmund Freuds bahnbrechender Einsicht, die in seiner berühmten Untersuchung
unter dem Titel Trauer und Melancholie aus dem Jahr 1917 dargestellt wird, ist
der Melancholiker – Freud erwähnt explizit das Beispiel einer verlassenen Braut –
jemand, der zwar weiß, wen er verloren hat, nicht aber, was er im verlorenen
Objekt verloren hat:
Wenden wir nun auf die Melancholie an, was wir von der Trauer erfahren haben. In
einer Reihe von Fällen ist es offenbar, daß auch sie Reaktion auf den Verlust eines
geliebten Objekts sein kann; bei anderen Veranlassungen kann man erkennen, daß der
Verlust von mehr ideeller Natur ist. Das Objekt ist nicht etwa real gestorben, aber es
ist als Liebesobjekt verlorengegangen (z.B. der Fall einer verlassenen Braut). In noch
410 독일언어문학 제57집
anderen Fällen glaubt man an der Annahme eines solchen Verlustes festhalten zu
sollen, aber man kann nicht deutlich erkennen, was verloren wurde, und darf um so
eher annehmen, daß auch der Kranke nicht bewußt erfassen kann, was er verloren
hat. Ja, dieser Fall könnte auch dann noch vorliegen, wenn der die Melancholie
veranlassende Verlust dem Kranken bekannt ist, indem er zwar weiß wen, aber nicht,
was er an ihm verloren hat. So würde uns nahe gelegt, die Melancholie irgendwie
auf einen dem Bewußtsein entzogenen Objektverlust zu beziehen, zum Unterschied
von der Trauer, bei welcher nichts an dem Verluste unbewußt ist.8)
Laut Freuds Ausführungen über Trauer und Melancholie – die beiden außerhalb
der terminologischen Verwendung nicht selten synonym verstandenen Phänomene
sind durch Absenz und Präsenz einer Beteiligung des Unbewussten klar voneinander
unterschieden – im gleichnamigen Aufsatz muss in Bezug auf den Melancholiker
eine deutliche begriffliche Distinktion getroffen werden zwischen dem verlorenen
Objekt und dem im Objekt Verlorenen: Es ist also scharf zu unterscheiden
zwischen demjenigen Menschen, den man verloren hat, und dem, was man in
diesem Menschen verloren hat. Nur Ersteres – das Wer des Verlusts – ist dem
Melancholiker in seiner nur partiellen Bewusstheit, die ihn vom Trauernden
unterscheidet, bewusst, während Letzteres – das Was des Verlusts – unzugänglich
im Unbewussten situiert ist: in jenem Unbewussten, das bekanntlich gerade
aufgrund dieses Fehlens von Bewusstheit in seinen Wirkungen seine dramatische
Virulenz erweist.
In Jacques Lacans Ausarbeitung der Freudschen Psychoanalyse entspricht dieser
von Freud statuierte Unterschied zwischen dem Wer und dem Was des Verlusts der
Unterscheidung zwischen dem Objekt des Begehrens und der Objekt-Ursache des
Begehrens. Das Objekt des Begehrens ist das begehrte Objekt, der Begriff der
Objekt-Ursache des Begehrens bezeichnet jenes Merkmal, aufgrund dessen das
Objekt des Begehrens begehrt wird. Dieses Merkmal scheint etwas zu sein, ist aber
8) Sigmund Freud: Trauer und Melancholie. In: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. X.
Frankfurt am Main 1999. S. 430f.
Unbewusste Rache verlassener Melancholikerinnen 411
in Wahrheit nichts. Es besteht sozusagen in einem reinen Mangel. Für den
Melancholiker wird dieser Mangel niemals zum (falls man so sagen kann) positiven
Mangel, sondern bleibt (in negativer Bestimmung) der Verlust von etwas. Der
Melancholiker glaubt, einst etwas besessen zu haben, das er nunmehr verloren hat.
Mit diesem Glauben ist er derjenige, der nicht wissen will, dass das Objekt nichts
ist. Indem sich der Melancholiker den Mangel als Verlust von etwas statt als nichts
vorstellt, kann er das Nichts als Etwas beibehalten.
Slavoj Žižek hat, im Rückbezug auf die Konzepte Freuds und Lacans, in seinem
Buch The Fragile Absolute den für Goethes Schauspiel für Liebende konstitutiven
Zusammenhang und Unterschied von Melancholie, Begehren, Objekt und Liebe
ebenso hellsichtig wie deutlich dargelegt:
What happens in melancholy is that we get the object of desire deprived of its cause.
For the melancholic, the object is there, but what is missing is the specific
intermediary feature that makes it desirable. For that reason, there is always at least
a trace of melancholy in every true love: in love, the object is not deprived of its
cause; it is, rather, that the very distance between object and cause collapses. This,
precisely, is what distinguishes love from desire: in desire, as we have just seen,
cause is distinct from object; while in love, the two inexplicably coincide – I
magically love the beloved one for itself, finding in it the very point from which I
find it worthy of love.9)
Melancholie ist der Besitz des Objekts ohne seine Ursache. Aufgrund des
Fehlens der Objekt-Ursache ist gerade jener Zwischen-Raum eingezogen, der für die
Konstituierung des Begehrens unabdingbar notwendig ist. Das Verhalten des
Melancholikers, dessen Typus in den weiblichen Hauptfiguren von Goethes Drama
repräsentiert ist, ist aufgrund dieser Löschung des begehrenskonstitutiven
intermediären Raumes zweifach determiniert – nämlich als Verlust des Objekts und
als Verlust des Begehrens.
9) Slavoj Žižek: The Fragile Absolute. London/New York 2001. S. 21.
412 독일언어문학 제57집
Der Melancholiker besitzt immer noch das verlorene Objekt: er hält es fest, er
hält an ihm fest, er ist unfähig es loszulassen. Das bedeutet, dass der
Melancholiker gerade nicht – wie das herkömmliche Melancholie-Verständnis besagt
– aufgrund des Verlusts des Objekts in Melancholie verfallen ist. Die landläufige
Sicht der Melancholie ist, wie die Psychoanalyse zu zeigen vermag, schlichtweg
falsch und verstellt ihr Verständnis. Der Melancholiker besitzt das verlorene Objekt
immer noch, er hat es niemals verloren. Was er verloren hat, ist die
Objekt-Ursache, die das Begehren ermöglicht. Der Melancholiker ist jenes Subjekt,
das das Begehren verloren hat.
An zwei Figuren seines Dramas (die außer in ihrem unterschiedlichen Bezug
zum verlorenen Objekt auch soziographisch voneinander abgehoben werden) hat
Goethe den Unterschied zwischen dem Festhalten und dem Loslassen des verloren
Objekts geradezu idealtypisch dargestellt. Für die Position des Festhaltens steht –
auf der einen Seite – die Haltung Cezilies (bzw. Madame Sommers), die der
Verlust des unersetzlichen Objekts, wie sie im Gespräch mit Luzie bekennt, in
anhaltende „Verzweifelung“ gestürzt hat:
LUZIE Es ist nun einmal Zeit, ihn zu vergessen.
MADAME SOMMER Weißt du, was das heißt: Vergessen? Gutes Mädgen, du hast
Gott sei Dank! noch nichts verloren, das nicht zu ersetzen gewesen wäre. Seit dem
Augenblick da ich gewiß ward, er habe mich verlassen, ist all die Freude meines
Lebens dahin. Mich ergriff eine Verzweifelung. Ich mangelte mir selbst, ein Gott
mangelte mir. (535)
Dieser Position sich verewigender selbst- und gottloser Verzweiflung ist – auf
der anderen Seite – die von der Einsicht in die Notwendigkeit gekennzeichnete
Haltung der Postmeisterin gegenübergestellt, die gerade erst, nämlich erst vor nicht
mehr als drei Monaten, ihren Ehemann verloren hat. Die Postmeisterin ist im
Unterschied zu Cezilie fähig zu jener Trauerarbeit, die die Melancholikerin nicht
etwa wegen der unergründlichen, unauslotbaren Tiefe ihrer Liebe, sondern wegen
Unbewusste Rache verlassener Melancholikerinnen 413
der Unfähigkeit zum Loslassen des Selbst-Bildes nicht zu leisten vermag:
MADAME SOMMER Sie sind in Trauer?
POSTMEISTERIN Für meinen Mann, den ich vor drei Monaten verlor. Wir haben
nicht gar drei Jahr zusammen gelebt.
MADAME SOMMER Sie scheinen doch ziemlich getröstet.
POSTMEISTERIN O Madame, unser eins hat so wenig Zeit zu weinen, als leider zu
beten. Das geht Sonntag und Werkeltag. Wenn der Pfarrer nicht manchmal auf den
Text kommt, oder man ein Sterbelied singen hört. Darum gilt´s bei uns. (536)
Die einfache Postmeisterin in ihrer Trauer über ihren frühzeitig verlorenen
Ehemann absolviert die Trauerarbeit erfolgreich. Die Dauer der Trauerphase, nach
der Cezilie verwundert oder argwöhnisch fragt, ist dabei nicht von entscheidender
Bedeutung. Nach der absolvierten Trauerarbeit erkennt die Postmeisterin – wie
ungewöhnlich oder verdächtig die moralische Konvention dies auch immer
beurteilen mag –, dass ihr verstorbener Mann anders als zu seinen Lebzeiten nun
nicht mehr die einzige und unersetzliche Liebe, sondern das Objekt einer jederzeit
fluktuierenden, veränderlichen wandelbaren Liebe ist: ‘Er’ wird zu ‘Einem’.
Der Melancholiker hingegen graduiert (um eine zugleich weniger moralbelastete
und treffendere Terminologie als die herkömmliche in Anspruch zu nehmen) im
Fach Trauerarbeit niemals vollkommen. Das bedeutet nicht, dass er im Examen
durchfällt. Er ist nicht sitzengeblieben oder durchgefallen, sondern nicht zur Prüfung
angetreten. In diesem Zustand der verweigerten Prüfung verbleibt er in der Situation
eines Menschen, der mit seinem Begehren in eine Sackgasse geraten ist.
An zahlreichen Stellen von Goethes Drama lässt sich jene Melancholie der
Hauptfigur belegen, die sie in eine ausweglose Situation geführt hat. Eine der
eindrücklichsten Passagen findet sich in einem Gespräch Stellas mit Madame
Sommer – die verlassene Melancholikerin ist in zwar nicht wunsch-, aber
ersatzlosem Unglück und in geradezu kosmischer Einsamkeit gefangen:
414 독일언어문학 제57집
MADAME SOMMER Ach ja, gnädige Frau, ich fühls! Geschäftigkeit und
Wohltätigkeit sind eine Gabe des Himmels, ein Ersatz für unglückliche liebende
Herzen.
STELLA Ersatz? Entschädigung wohl, nicht Ersatz – Etwas anstatt des Verlornen
nicht das Verlorne selbst mehr – Verlorne Liebe, wo ist da Ersatz für! – O wenn ich
manchmal von Gedanken in Gedanken sinke, freundliche Träume der Vergangenheit
vor meine Seele bringe, hoffnungsvolle Zukunft ahnde, und so in des Mondes
Dämmerung, meinen Garten auf und ab walle; dann mich´s auf einmal ergreift!
ergreift daß ich allein bin; vergebens nach allen vier Winden meine Arme ausstrecke,
den Zauber der Liebe vergebens mit einem Drang, einer Fülle ausspreche, daß ich
meine, ich müßte den Mond herunter ziehen! – Und ich allein bin, keine Stimme mir
aus dem Gebüsch antwortet, und die Sterne kalt und freundlich über meine Qual
herabblinken! (547f.)
Das Objekt, an das der Melancholiker gefesselt ist, nagt an seinem Herzen und
blockiert zugleich sein Begehren – die Kanäle des Begehrens sind mit dem Objekt
verstopft. In dieser Paralyse des Begehrens besteht das grausame Schicksal des
Melancholikers.
IV. Narzissmus und Liebe
Der Melancholiker ist ein narzisstisches Subjekt. Er hält das verlorene Objekt
fest, und er hält zugleich an dem Bild fest, das seiner Meinung nach das nunmehr
verlorene Objekt von ihm hatte. Er hält an sich selbst als einem liebenswerten
Menschen fest. Auch die Preisgabe dieses Bildes seiner selbst im anderen ist ihm –
wie die Preisgabe des Objekts – unmöglich, denn er sieht in seiner narzisstischen
Selbstwahrnehmung, die sich an jenem Merkmal festmacht, das der Geliebte einst
liebenswert fand, sein wahres Selbst.
Mit dem Festhalten am verlorenen Objekt und dem Festhalten am Fremdbild als
Unbewusste Rache verlassener Melancholikerinnen 415
dem wahren Selbstbild ist die Situation einer unaufhörlichen Wiederholung gegeben,
deren Strukturmuster jenem des lacanschen Spiegelstadiums entspricht. Was aber in
Lacans berühmter psycho-genetischer Konzeption ein Übergangsstadium in der
frühkindlichen Entwicklung vom Imaginären zum Symbolischen bildet, ist beim
Melancholiker erstens ein zeitlich nicht begrenzter Dauerzustand und zweitens die
verewigte Zuständlichkeit nicht eines Kleinkindes, sondern eines Erwachsenen: der
Melancholiker ist in der zeitversetzten Endlosschleife des frühkindlichen
Spiegelstadiums gefangen.
Lacans Theorem des Spiegelstadiums kennzeichnet aus der zugleich
durchdringenden und souveränen Perspektive des Analytikers die narzisstische
Identifikation mit dem eigenen Spiegelbild in unzweideutiger Weise als eine
entfremdete und verzerrte. Die beiden Frauengestalten aus Goethes Drama hingegen
erkennen in ihrer Verblendung dieses entscheidende Charakteristikum der
Identifikation nicht. Cezilie und Stella nehmen ihr Selbst-Bild durch Fernando wahr,
und sie identifizieren sich mit jenem Bild, das in der psychoanalytischen
Terminologie das Ideal-Ich heißt: ich bin, was Fernando in mir sieht.
Mit dieser Identifikation bleibt die von Lacan mit dem scharfsichtigen Blick des
Analytikers hervorgehobene Entfremdung, die im Grunde eine doppelte Entfremdung
ist, gerade unerkannt: Cezilie und Stella verkennen zum einen, dass ihre
identifikatorischen Selbst-Bilder über den Umweg von Fernandos Bild von ihnen
laufen, und sie verkennen zum anderen, dass ihre Konstituierung persönlicher
Identität einer Selbst-Entfremdung aufruht. Es existiert gerade kein authentisches,
sondern ein von außen, aus der Position des anderen gesehenes und identifikatorisch
übernommenes Selbst-Bild.
Gerade die Verkennung der Entfremdung erzeugt die Illusion individueller
Selbst-Kohärenz. Die Identifizierung im Imaginären ist eine zweifache Verkennung.
Das irreduzibel unvollkommene Ich ist durch das vollkommene imaginäre Ich
ersetzt, die reale Unvollkommenheit ist in diesem Substitutionsvorgang vom
Ideal-Ich überdeckt. Der im Melancholiker verewigte Narzissmus des
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Spiegelstadiums ist (nach dem populären Verständnis des Narzissmus-Begriffs) das
Verliebtsein in sich selbst. Aber das Objekt dieser sogenannten Selbst- oder
Eigenliebe existiert gar nicht – die Selbst-Liebe richtet sich auf ein entfremdetes
Objekt. Die Selbstliebe ist der Bezug und die Beziehung zum Ideal-Ich. Das
narzisstische Subjekt ist immer schon von sich selbst entfremdet, denn infolge der
für das Spiegelstadium charakteristischen Entfremdung gibt es kein substantielles
geliebtes Ich.
Sein ganzes Leben lang befindet sich das in einem verewigten Spiegelstadium
fixierte narzisstische Subjekt auf der Suche nach seinem Ideal-Ich im anderen: es
liebt das, was der andere in ihm sieht. Solange das von einem Übergangs- in ein
Endlosstadium gestürzte narzisstische Subjekt in sein Ideal-Ich verliebt ist, dauert
jene entfremdete Selbstliebe an, die genau genommen weder als Liebe noch als
Liebe zu sich selbst bezeichnet werden kann und ihre Entfremdung gerade im
Ausbleiben jenes Zweifels bekundet, der sich in der Frage nach der Wahrheit dieser
Liebe äußert. Solange das Subjekt das Ich-Ideal im anderen liebt, ist es ein
narzisstisches Subjekt. Sein ‘ich liebe mich’ ist keine Liebe.
Die narzisstische Melancholie oder der melancholische Narzissmus, wie sie für
die beiden Frauengestalten von Goethes Schauspiel oder Trauerspiel für Liebende
kennzeichnend sind, mag einem liebenswerten Objekt gelten, aber sie ist keine
Liebe. Liebe ist nach Lacan das Aufblühen des Geliebten zum Liebenden. Liebe ist
nicht jenes narzisstische ‘ich habe etwas Liebenswerts an/in mir’, sondern ‘ich bin
geliebt, obwohl ich nichts in mir habe, was der andere in mir sieht’. Der im Sinne
der lacanschen Liebes-Konzeption Liebende, dessen Liebe frei von Narzissmus ist,
weiß, dass er das, was der andere in ihm sieht, nicht hat. Die lacansche
Liebes-Formel lautet ‘er sieht in mir etwas, was ich nicht besitze’, während die
narzisstische Liebes-Formel – die Formel der Selbst-Liebe über den Umweg des
anderen – lautet: ‘er sieht in mir etwas, was ich besitze’.
Nur das Geliebtwerden ohne Grund schafft die Möglichkeit, den anderen zu
lieben. An diesem Punkt der Erkenntnis, an dem sich der Geliebte zum Liebenden
Unbewusste Rache verlassener Melancholikerinnen 417
verwandelt, findet die Schenkung der Liebe statt – die Liebe ist nach Lacans
Definition die Gabe dessen, was man nicht hat:
Si je vous amène à ce propos la formule, que l´amour, c´est donner ce qu´on n´a
pas, il n´y a rien là de forcé, histoire de vous sortir un de mes bateaux. Il est
évident qu´il s´agit bien de cela, puisque la pauvre Aporia par définition et par
structure n´a rien à donner, que son manque, aporia, constitutif.
(Wenn ich Ihnen dazu die Formel bringe, die Liebe ist geben, was man nicht hat, so
ist daran nichts Erzwungenes, keine Geschichte, um Ihnen eine meiner abgedroschenen
Sachen hervorzuholen. Es ist offensichtlich, daß es genau darum geht, denn die arme
Aporia hat per definitionem und von ihrer Struktur her nichts zu geben als ihren
konstitutiven Mangel, aporia.)10)
Der Geliebte (in seinem Narzissmus und in seiner Passivität) denkt, etwas an
sich oder in sich zu haben, was an ihm geliebt wird. Das begehrende Subjekt
hingegen ist nicht ein geliebtes Objekt, sondern ein liebendes Subjekt. Solange der
narzisstische Geliebte glaubt, die Ursache der Liebe des anderen liege in ihm selbst,
handelt es sich um narzisstische Liebe, die durch eine konstitutive Passivität
gekennzeichnet ist: während das in Fernando repräsentierte Begehren nach einem
Objekt, das den Mangel voraussetzt, eine Gestalt der Aktivität darstellt, wollen die
Frauenfiguren des Dramas in der Objekt-Position verbleiben: geliebt werden. Sobald
das Subjekt erkennt, dass es die Ursache der Liebe nicht in sich trägt, wird es
vom Objekt zum Subjekt, vom Geliebten zum Liebenden. Liebe ist Liebe zwischen
Subjekten.
Der Melancholiker, heißt es, kann nur lieben. Die Psychoanalyse, die es besser
weiß, behauptet das gerade Gegenteil: Der Melancholiker kann nicht lieben. Er ist
unfähig, Liebe zu schenken. Der Untertitel von Goethes Stella – Ein Schauspiel für
10) Jacques Lacan: Le transfert. Paris 2001. S. 150. (Ders.: Die Übertragung. Wien
2008. S. 158.)
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Liebende –, das nach dem Wort seines Verfassers „nicht ein Stück für jedermann“
darstellt, ist in seinem Adressatenbezug, der die Ebene der Darstellung ist, als ein
Schau-Spiel in jedem Wortsinn wahr. Auf der Ebene des Dargestellten hingegen,
die die Ebene der Figuren ist, ist es ein Schauspiel, das von sich selbst Liebenden
handelt. In diesem Drama Goethes, in diesem Schau- oder Trauerspiel für Liebende
namens Stella ist nur eines abwesend: die Liebe.
Literaturverzeichnis
Buck, Theo (Hg.): Goethe-Handbuch. Bd. II. Stuttgart/Weimar 1996.
Freud, Sigmund: Trauer und Melancholie. In: Ders.: Gesammelte Werke. Bd. X.
Frankfurt am Main 1999.
Goethe, Johann Wolfgang von: Stella. In: Ders.: Sämtliche Werke. Briefe,
Tagebücher und Gespräche. Bd. IV. Frankfurt am Main 1985.
Ders.: Goethe - Begegnungen und Gespräche. Bd. VI. Berlin 1965.
Kraft, Helga: Idylle mit kleinen Fehlern. Zwei Frauen brauche ich, ach, in meinem
Haus. In: Helga Kraft und Elke Liebs (Hg.): Mütter – Töchter – Frauen.
Weiblichkeitsbilder in der Literatur. Stuttgart 1993.
Lacan, Jacques: Le transfert. Paris 2001.
Ders.: Die Übertragung. Wien 2008.
Pikulik, Lothar: Stella. Ein Schauspiel für Liebende. In: Walter Hinderer (Hg.):
Goethes Dramen. Neue Interpretationen. Stuttgart 1980.
Schmidt, Henry J.: Goethe´s Stella. From ´Ein Schauspiel für Liebende´ to ´Ein
Trauerspiel´. In: William C. McDonald und Winder McConnell (Hg.): Fide
et amore. Göppingen 1990.
Žižek, Slavoj: The Fragile Absolute. London/New York 2001.
Unbewusste Rache verlassener Melancholikerinnen 419
국문요약
버림받은 멜랑콜리커들의 무의식적 복수
- 괴테의 󰡔스텔라󰡕
서 은 주(한국외대)
괴테의 󰡔스텔라󰡕는 ‘연인들을 위한 연극’이라는 부제 하에 쓰여진 사랑에 관한
작품이다. 하지만 정작 사랑은 작품 속에 부재한다. 사랑이라는 텅 빈 기표를 중
심으로 사랑에 관한 담론들이 사랑 없이 펼쳐진다. 그 빈자리를 욕망과 멜랑콜리
가 대신한다. 페르난도는 욕망의 주체인 반면, 스텔라와 체칠리에는 멜랑콜리커
이다. 그는 두 여인을 진자의 축으로 삼아 끊임없이 진동한다. 그의 욕망을 가능
케 하는 기제는 그녀들 내부에 존재하는 것이 아니라 두 축 간의 거리에 자리하
고 있으며, 그 유동 공간 자체가 그의 욕망을 사후적으로 창출한다. 그에게 있어
욕망은 바로 그 운동에 다름 아니다. 그는 자신의 욕망을 욕망하기에, 이를 완수
하지 않은 채 미완성의 상태로 지속시킨다. 하지만 부동하리라 여겼던 두 축이
이동하여 서로 결속함으로써 그의 욕망을 위한 공간은 소거되어 버린다. 페르난
도는 스텔라와 체칠리에의 교집합에 영구히 함몰되고, 그의 욕망은 결국 석화된
다. 이로써 멜랑콜리커로서의 그녀들은 욕망의 상실과 더불어 소실된 대상을 문
자 그대로 소유할 수 있게 된다. 대상은 현존하며, 애도는 성취되지 않는다. 형벌
은 불가피하다. 욕망에 대한 멜랑콜리커들의 가혹한 무의식적 단죄가 집행된다.
애도되어야 할 것은 끝끝내 사랑뿐이다.
------------------------------------------------------------------------------------------------------------핵심어 : 욕망 Begehren, 애도 Trauer, 멜랑콜리 Melancholie,
나르시시즘 Narzissmus, 사랑 Liebe
필자 E-mail : kafka@hufs.ac.kr
논문투고일 : 2012. 7. 15 / 심사일 : 2012. 8. 7 / 심사완료일 : 2012. 9. 10