Adam, Eva und die Evolution Kreationismus auf dem Vormarsch
Transcription
Adam, Eva und die Evolution Kreationismus auf dem Vormarsch
Schulfernsehen Schulfernsehen Adam, Eva und die Evolution Kreationismus auf dem Vormarsch Ein Film von Dirk Neumann und Hans-Jürgen von der Burchard Beitrag: Simon Demmelhuber & Volker Eklkofer Von welcher Schöpfung berichtet die Bibel? Die Schöpfung dauerte sechs Tage. Am ersten Tag schuf Gott das Licht und trennte es von der Dunkelheit. Am zweiten Tag teilte er die Wasser und wölbte den Himmel. Am dritten Tag schied er die Wasser vom Land und rief die Pflanzen ins Leben. Am vierten Tag setzte er die Gestirne an den Himmel. Am fünften Tag schuf er die Tiere des Wassers und der Luft und schließlich am sechsten Tag zuerst die Tiere des Landes und zuletzt den Menschen. Er schuf ihn zu seinem Bilde, ihm gleich, bestimmt, die Erde zu füllen und zu herrschen „über die Fische im Meer und über die Vögel unter dem Himmel und über das Vieh und über alles Getier, das auf Erden kriecht. So wurden vollendet Himmel und Erde mit ihrem ganzen Heer. Und so vollendete Gott am siebenten Tage seine Werke, die er machte, und ruhte am siebenten Tage von allen seinen Werken, die er gemacht hatte.“ wesen, auch der Mensch, von früheren, andersartigen Lebewesen ab: „Die Arten sind nicht durch wunderbare Schöpfungsakte entstanden, sondern infolge langsam wirkender und noch fortdauernder Ursachen!“ Tatsache oder Mythos? Von dieser breit akzeptierten wissenschaftlichen Leittheorie sind jedoch längst nicht alle Zeitgenossen überzeugt. Die Erkenntnis, dass Mensch und Affe gemeinsame Vorfahren haben, und die biblische Schöpfungsgeschichte keinesfalls ein handfester Tatsachenbericht ist, überfordert noch heute viele Menschen. Vor allem in den USA verteidigen evangelikale Christen beharrlich die naturkundliche Autorität der biblischen Urgeschichte. Überzeugt von der einmaligen Schöpfungstat Gottes, bezeichnen sie sich selbst als Kreationisten, als Schöpfungsgläubige. Biblische Fundamentalisten Darwin und die Vielfalt der Arten So steht es in der Bibel. Die moderne Wissenschaft präsentiert eine andere Version. Für sie haben sich die Lebewesen auf natürliche Weise in einem Jahrmillionen dauernden Evolutionsprozess durch funktionale Anpassungen und Auslese, durch Mutation und Selektion, entwickelt. Nach Charles Darwin (1809-1882), dem Entdecker dieser Theorie, stammen alle heutigen Lebe© Bayerischer Rundfunk Schätzungen zufolge lehnen etwa 40 Prozent aller Amerikaner die Evolutionstheorie zugunsten eines allgewaltigen göttlichen Weltenerschaffers ab. Und es sind beileibe nicht nur die Ungebildeten, die Rückständigen, die diese Sicht favorisieren. Zum Kreationismus bekennen sich auch Akademiker, Naturwissenschaftler und Politiker aller Parteien. Den stärksten Rückhalt haben die Schöpfungsgläubigen dabei in konservativen 1 Schulfernsehen Kreisen: Immerhin 68 Prozent aller Anhänger der Republikaner halten am Schöpfungsglauben fest, doch selbst unter Demokraten und unabhängigen Wählern bezeichnen sich noch 40 Prozent als Evolutionsskeptiker. Welt und Mensch: Der große Wurf Gottes? Obwohl der Kreationismus in zahlreiche Strömung auffächert, stimmen seine Anhänger in wesentlichen Grundzügen überein: Sie lehnen die Evolutionsbiologie, die Ergebnisse der Geologie sowie der Kosmologie ab und reduzieren die Dauer der Erdgeschichte auf eine Spanne von 6.000 bis 10.000 Jahren. Am Beginn dieses Zeitraums hat Gott die Welt aus dem Nichts in einem Zug so geschaffen, wie wir sie heute vorfinden. Geologische Sedimente und Fossilien belegen dabei nicht die lange Dauer der Erd- und Naturentwicklung, sondern das Wirken der großen Sintflut, die alle heute ausgestorbene Arten sowie die zeitgleich mit den Menschen lebenden Saurier auslöschte. In homöopatischen Dosen: Mikroevolution Modernere Strömungen, wie sie in Deutschland die kreationistische Studiengemeinschaft Wort und Wissen vertritt, stellen die Evolution nicht generell in Abrede. Sie bestreiten zwar die als "Makroevolution" bezeichnete evolutionäre Entstehung neuer Arten und Stämme von Lebewesen, akzeptieren aber den Gedanken einer "Mikroevolution" innerhalb bestimmter Grundtypen von Lebewesen. Ungeachtet dieser Zugeständnisse postulieren sie den biblischen, allmächtig und souverän handelnden Schöpfergott als Ursprung allen Seins. Wie intelligent ist Intelligent Design? Obwohl die Vertreter des Intelligent Design diesen biblischen Gott verabschiedet haben, kommen auch sie nicht ohne eine höhere Schöpfungsinstanz aus. Diese übernatürliche, gestaltlose Intelligenz ist der Autor eines umfassenden Masterplans, nach dem alle Dinge und alle Lebewesen entstanden sind. Für die Anhänger dieser Lehre sind die komplexen funktionalen Merkmale des Lebens ohne intelligentes Design, ohne eine intelligente Planung oder eine steuernde Vernunft nicht erklärbar. Die Evolution mit ihrem Mechanismus von Mutation und Selektion reicht, so die Argumentation, keinesfalls aus, um die gegenwärtige Vielfalt des Lebens zu begründen. Creation Museum: Das Paradies vor Augen Um die Wahrheit der kreationistischen Sicht sinnfällig vor Augen zu stellen, eröffnete der der fun© Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen damental-christliche Verein "Answers in Genesis" 2007 das Creation Museum im ländlichen Kentucky. Auf 6.500 Quadratmetern Ausstellungsfläche zementiert ein pseudowissenschaftliches Spektakel das Weltbild der Schöpfungsgläubigen. Hier, im Herzen des us-amerikanischen Bible Belts, hat die Bibel doch Recht und die ist in Ordnung: Adam und Eva leben im Paradies friedlich mit den Dinosauriern zusammen. Zumindest solange, bis der Sündenfall die Vertreibung aus dem Garten Eden besiegelte und Satan das Regiment übernahm. Wer nach dem multimedialen Crashkurs in Sachen Gott und Welt noch zusätzliche Stärkungsmittel zur Glaubensertüchtigung braucht oder die Daheimgebliebenen missionieren möchte, findet reichliche Unterstützung durch Vorträge, Bücher, CDs, DVDs und Computerspiele. Auch für die Kleinsten oder Analphabeten ist gesorgt: Sie werden per Comic in die wahre Lehre eingewiesen. Die Sintflut schwappt über Trotz seiner ursprünglichen Herkunft aus dem bibeltreuen amerikanischen Evangelikalismus ist der Kreationismus mittlerweile auch in Deutschland auf dem Vormarsch. Etwa 1,3 Millionen Bundesbürger verwerfen die Evolutionstheorie und rund 32 Prozent der Bevölkerung können sich einer TNS Infratest-Umfrage vom November 2005 zufolge nicht mit dem Gedanken anfreunden, dass Affen und Menschen gemeinsame Vorfahren haben. Unterwandern Kreationisten die Schulen? Tatsächlich aufschrecken dürfte indes, was eine Umfrage unter 1200 Lehramtsstudenten in Dortmund ergab: Rund 15 Prozent der Lehramtsstudenten aus allen Fachrichtungen lehnten die Evolutionstheorie ab. Sogar bei künftigen Bio-Lehrern lag der Anteil immerhin noch bei sieben Prozent. Fakten 1. Ken Ham - Die Bibel ist ein auf Tatsachen beruhendes Geschichtsbuch! Ken Ham ist Präsident von Answers in Genesis USA. Er hat einen Bachelorabschluss in angewandten Wissenschaften mit dem Schwerpunkt Umweltbiologie vom Queensland Institute of Technology und ein Diplom in Pädagogik von der Universität von Queensland. Als Junge-ErdeKreationist glaubt er an eine wörtliche Auslegung der Schöpfungsgeschichte. Seiner Überzeugung nach wurde der Mensch ohne tierische Vorfahren von Gott vor 6000 Jahren zeitgleich mit den Dinosauriern geschaffen. 2 Schulfernsehen Ken Hams Positionen im Wortlaut Bibel und Evolution lassen sich überhaupt nicht in Einklang bringen. Es ist nicht so, dass Gott nicht auch die Evolution hätte verwenden können, aber wir müssen auf das hören, was Gott uns sagt und Schulfernsehen die Amerikaner dazu auf Homosexuellen-Heirat zu unterstützen! In dieser Gasse im Museum zeigen wir, warum diese Dinge geschehen - auf Grund von Sünde! Wir leben in der Welt nach dem Sündenfall. Unsere Kinder begegnen überall Gewalt und schrecklichen Dingen. Die Bibel verbirgt den Schrecken nicht vor uns, sondern erklärt uns, warum diese schrecklichen Dinge geschehen. Unsere Ziele sind nicht politisch. Uns geht es nur darum zu informieren. Es sind die Menschen, die die Kultur formen. Wie sie denken, was sie glauben, das beeinflusst natürlich wen sie wählen, wie sie sich als Schulbeiräte, Politiker oder Richter oder was auch immer verhalten. er sagt, er hat Adam aus Lehm erschaffen und Eva aus seiner Rippe. Er hat keine Affenmenschen verwendet! Evolution lehrt die Menschen, dass es keinen Schöpfer gibt und wir das Ergebnis natürlicher Abläufe sind. Wer bestimmt dann richtig und falsch? Dann ist alles subjektiv, hängt allein von der eigenen Einstellung ab und davon, wer gerade die Gesellschaft kontrolliert und die Regeln macht. Darwin hatte Recht, was Auslese und Artenbildung angeht. Dass kleine Änderungen mit der Zeit aber zu neuen Arten führen, das hat er nicht beobachtet, sondern geglaubt - fälschlicherweise! Stichwort Answers in Genesis Zentrale Aussagen • Die Bibel ist das geschriebene Wort von Gott. Sie ist göttlich inspiriert und vollständig wahr. Sie ist die oberste Autorität in allen Angelegenheiten des Glaubens und der Führung. Ihre Behauptungen sind tatsächlich wahr in allen Originalhandschriften. • Die ausführliche Darstellung der Ursprünge in der Genesis ist eine einfache, aber wahre Beschreibung der tatsächlichen Ereignisse und stellt deshalb einen verlässlichen Rahmen dar Die Sintflut ist für die meisten Versteinerungen verantwortlich. Nicht alle, aber die meisten Saurierfossilien, die wir heute finden, stammen aus der Zeit der Sintflut. Wir finden es unfassbar, dass Schülern die Argumente gegen Evolution und für Schöpfung vorenthalten werden. Diejenigen, die das Bildungssystem kontrollieren, lehren eine Religion und zwar die des Atheismus. In den Biologiebüchern der öffentlichen Schulen wird gelehrt, dass alles Leben - inklusive Menschen - das Ergebnis natürlicher Abläufe sei. Das ist Religion! Die Religion des Atheismus! Was schreibt Präsident Obama in seiner Autobiographie? „Wir sind keine christliche Nation mehr sondern auch eine jüdische, muslimische, buddhistische, hinduistische, und eine der NichtGläubigen!“ Und da geht es nicht um Religionsfreiheit! Er sagt, dass christliche Werte nicht mehr das Denken dieser Nation bestimmen. Zum Beispiel erklärte er Juni 2009 zum Schwulen-Lesben-und-Transsexuellen-Monat und rief © Bayerischer Rundfunk für wissenschaftliche Forschungen über Ursprungsfragen und die Geschichte des Lebens, über die Menschheit, die Erde und das Universum. • Die verschiedenen ursprünglichen Lebensformen („Arten“), einschließlich der Menschen, wurden durch direkte Schöpfungsakte von Gott geschaffen. Die lebenden Abkömmlinge von jeder der ursprünglichen Arten (außer den Menschen) können heute mehr als eine Spezies aufweisen, die Rückschlüsse auf den Gen– Pool der ursprünglichen Art zulassen. Biologische Veränderungen (einschließlich der Verschlechterungen durch Mutationen) haben sich in jeder Art auf natürliche Weise nur in sehr begrenztem Umfang seit der Schöpfung ereignet. 3 Schulfernsehen • Die Sintflut war ein historisches Ereignis und weltweit in Ausdehnung und Wirkung. • Die besondere Schöpfung von Adam (als ein Mann) und von Eva (als eine Frau) und ihr späterer Sündenfall sind die Ursache für die Notwendigkeit der Erlösung der Menschheit. • Die Schrift lehrt einen noch nicht lange zurückliegenden Ursprung der Menschheit und der ganzen Schöpfung. • Die Tage im Buch Genesis stimmen nicht mit den üblichen geologischen Altern überein: es sind sechs aufeinanderfolgende Schöpfungstage zu je 24 Stunden. • Die Sintflut war ein wichtiges geologisches Ereignis und viele (aber nicht alle) fossilen Ablagerungen stammen aus dieser Zeit. • Die Lückentheorie kann nicht aus der Schrift herausgelesen werden. • Die Ansicht, die üblicherweise benutzt wird, um die Einbeziehung der biblischen Wahrheit zu vermeiden, nämlich, dass das Wissen und / oder die Wahrheit geteilt werden kann in „weltlich“ und „religiös“ wird zurückgewiesen. • Definitionsgemäß kann kein noch so einleuchtendes, erkanntes oder behauptetes Beweismaterial auf irgendeinem Gebiet, eingeschlossen Geschichte und Chronologie, wahr sein, wenn es im Widerspruch zu den biblischen Berichten steht. Von elementarer Wichtigkeit ist die Tatsache, dass das Beweismaterial immer von fehlbaren Menschen interpretiert wird, die nicht alles Wissen haben. 2. Hansjörg Hemminger – der Kreationismus ist wissenschaftsfeindlich. Dr. Hansjörg Hemminger ist Beauftragter für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Landeskirche Baden-Württemberg. Für ihn sind biblischer Schöpfungsbericht und Wissenschaft keineswegs unvereinbar, sondern zwei unterschiedlich motivierte Blicke auf Welt und Dasein. Hansjörg Hemmingers Positionen im Wortlaut Die evangelische Kirche in Deutschland und ihre Landeskirchen lehnen den Kreationismus ab. Sie meinen er schadet dem Schöpfungsglauben mehr als er nützt. Es kommt im Kreationismus eine Wissenschaftsfeindlichkeit zum Ausdruck, die man vielleicht als Angst vor der Erkenntnis, vor der Freiheit der Forschung - kennzeichnen könnte. Man hat Angst, der eigene Glaube würde in Frage gestellt. Was Herr Junker meint, ist, dass Naturprozesse nicht designfähig sind, also nicht auf ein solch © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen kompliziertes Design hinauslaufen können, weil sie eben nicht gerichtet und geplant ablaufen. Dazu ist schlicht zu sagen, dass er sich täuscht. Naturprozesse sind designfähig und es gibt zahlreiche sehr gut belegte Beispiele, dass das so ist. Es geht um die Geltung der Bibel. Und das Bedürfnis, das dahinter steht, ist den eigenen Glauben sicher zu haben als absolut wahren Text. Also ein Text, der alle Fragen absolut zuverlässig beantwortet und der jeder anderen menschlichen Erkenntnis vorgeordnet ist. Das gibt ein, wie ich meine, falsches Gefühl der Sicherheit. Der Kreationismus ist in Deutschland und in Mitteleuropa auf dem Vormarsch, allerdings im Vergleich zu den USA auf einem relativ niedrigen Niveau von 5, 10, 15 Prozent. Man muss sich klar machen, dass das weitgehend an der Veränderung der kirchlichen Landschaft hängt. Wir haben viel mehr unabhängige Gemeinden, Freikirchen als früher und die sind zum großen Teil kreationistisch gesinnt. Interessanterweise sind die Kreationisten [in einem Punkt] mit den neuen Atheisten vollkommen einig: Beide Seiten glauben, dass Evolutionstheorie und Schöpfungsglauben nicht zusammen gehen. Nur die einen opfern dann die Evolutionstheorie und die anderen den Schöpfungsglauben. In der Mitte stehen die vernünftigen Leute, die sich darüber im Klaren sind, dass menschliche Erkenntnis nie alles abdeckt, was ist. 3. Dr. Reinhard Junkers: Die Schöpfung passt nicht zur Evolutionstheorie Reinhard Junker war Gymnasiallehrer für Biologie und Mathematik und arbeitet seit 1985 als wissenschaftlicher Mitarbeiter seit 1985 bei Wort und Wissen. Er promovierte im Bereich "Interdisziplinäre Theologie" über eine kritische Beurteilung theistischer Evolutionsvorstellungen an der Evangelisch-Theologischen Fakultät Leuven/Belgien abschließen. R. Junker arbeitet hauptsächlich im Bereich der Grundtypenbiologie, der Pa4 Schulfernsehen läobotanik (fossile Pflanzen) und der theoretischen Biologie (kritische Beurteilung der sog. "Evolutionsbeweise" im Bereich der Vergleichenden Biologie). Über die fachliche Arbeit hinaus ist er an der Erarbeitung von Unterrichtmaterial beteiligt und hält Vorträge in Schulen, Hochschulen und Kirchengemeinden. Reinhard Junkers Positionen im Wortlaut Worin zeigt sich überhaupt noch das souveräne Schöpfungshandeln Gottes, wenn man Evolution akzeptiert? Für mich ist die Bibel in Fragen der Schöpfung maßgeblich. Gott erschafft durch sein machtvolles Wort die Welt und alle Lebewesen und greift auch in den Lauf der Geschichte direkt ein. Wir sehen es auch am Wirken Jesu, der durch sein Wort Tote auferweckt hat, Kranke augenblicklich geheilt hat. Und dieses Schöpfungsverständnis, der Schöpfung durch das Wort, passt nicht zu einer Evolutionsanschauung, nach der die Dinge, die Lebewesen durch natürliche Prozesse ins Dasein gekommen sind, ohne willentliche Einflüsse eines Schöpfers. Und deswegen bin ich motiviert, die Evolutionstheorie kritisch zu hinterfragen und Alternativen zu entwickeln, die von der Schöpfungsperspektive und vom Schöpfungsglauben ausgehen. Ein Zeichen für göttliches Design findet Reinhold Junkers beispielsweise im Zeugungsmechanismus der Lupine: „Die ganze Konstruktion ist also ziemlich genau durchdacht und konstruiert und funktioniert nur als Ganzes und auf dem Wege von zufälligen Veränderungen und Auslese von jeweils passenden Zwischenstufen ist das eigentlich nicht verständlich, wie das entstehen sollte. Ich halte Mikroevolution für eine Grundeigenschaft der Lebewesen. Das heißt Variationsmöglichkeiten, Spezialisierungsmöglichkeiten auf der Basis bereits vorhandener funktionierender Fähigkeiten und Konstruktionen. Das nutzt man auch in der Zucht aus, um bestimmte Formen herauszuzüchten. Während Makroevolution be© Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen deutet, dass neuartige Baupläne, neuartige Konstruktionselemente erstmals entstehen. Und das halte ich nicht für belegt durch naturwissenschaftliche Ergebnisse, durch Beobachtungen, durch Experimente. Da die Evolutionstheorie die Standardtheorie in der Biologie ist, gehört sie schon mal aus diesem Grund in den Biologieunterricht. Man sollte diese Theorie kennen lernen. Ich halte es aber dann für wichtig, die ungelösten Fragen der Evolutionstheorie auch zu thematisieren. Dinge zu thematisieren, die die Evolutionstheorie auch in Frage stellen. Und auch zu thematisieren, dass in der Ursprungsfrage, in der Evolutionsfrage nicht nur naturwissenschaftliche Argumente eine Rolle spielen, sondern auch weltanschauliche Vorentscheidungen mit hineinspielen. 4. Reinhold Leinfelder: Kreationismus ist weder Naturwissenschaft noch Religion! Prof. Dr. Reinhold Leinfelder ist Geologe, Geobiologe und Paläontologe. Er ist Generaldirektor des Museums für Naturkunde – Leibniz-Institut für Evolutions- und Biodiversitätsforschung an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist von der Stichhaltigkeit der Evolutionstheorie überzeugt, und lehnt den Kreationismus als alternative Erklärungsmöglichkeit zum Ablauf der Natur ab. Reinhold Leinfelders Positionen im Wortlaut Dass wir alle und dass die Tiere innerhalb der Arten immer etwas anders sind, liegt an der Vielfalt und zwar an der genetischen Vielfalt, die in der DNA angelegt ist. Und je nach Umweltbedingungen sind mal bestimmte Formen innerhalb dieser Arten besser angepasst als andere. Wandern dann diese Arten auch noch selbständig oder ändern sich die Umweltbedingungen, können unterschiedliche besonders gut angepasst sein. Diese werden dann wie wir sagen selektiert. Sie haben eine höhere Überlebenschance. Sie vermischen sich vielleicht nicht mehr miteinander, so dass dann im Laufe der Zeit dann neue Arten entstehen dadurch. 5 Schulfernsehen Dieses Haus, ein Naturkundemuseum, hat über 30 Millionen Objekte, die belegen, dass die Evolutionstheorie korrekt ist, und die uns zeigen, dass wir viele Übergänge haben zwischen den Arten. Die besten Beispiele sind die Bindeglieder, etwa wie der Urvogel Archeopteryx, der nun ganz Schulfernsehen Und damit haben wir eine immense kulturelle Evolution hinter uns gebracht. Der Mensch ist also gleichermaßen Tier- wie auch Geisteswesen- und damit kann man doch gut leben. Ich sehe durchaus eine Gefahr für die Akzeptanz der Naturwissenschaften. Und die brauchen wir mehr denn je. Denn die großen Herausforderungen unserer Gesellschaft, die Klima-, die Umweltkrise benötigen eine Wissensgesellschaft, benötigen viel naturwissenschaftliches Verständnis, und das versucht natürlich auch der Kreationismus zu beschädigen. 5. Simon Conway Morris: Evolution ist einfach eine Tatsache! genau zwischen den Dinosauriern und den Vögeln steht. Er zeigt etwa noch den knöchernen Schwanz von Dinosauriern, kein Vogel hat das heute mehr. Er hat noch Zähne wie ein Dinosaurier, er hat noch Vorderkrallen wie ein Dinosaurier. Er hat aber eben auch noch verlängerte Vorderarme, nämlich Flügel, er hat Flugfedern, er hat eine spezielle Aufhängung für die Flugmuskulatur, wie wir sie eben auch von Vögeln kennen: Also genau ein Bindeglied. Wenn man Kreationismus als alternative Erklärungsmöglichkeit zum Ablauf der Natur lehrt, dann ist das sehr abzulehnen. Der Kreationismus ist eben keine Wissenschaft. Aber man kann Kreationismus genau dazu verwenden im Biologieunterricht oder am besten in einem gemischten Unterricht mit der Religion zusammen um zu erläutern, wie Wissenschaft eben nicht funktioniert. Kreationismus ist weder Naturwissenschaft noch Religion. Man kann ihn auch dazu verwenden, um aufzuzeigen, dass die Bibel kein naturwissenschaftliches Protokoll darstellt. Ich kann gut damit Leben ein Tier zu sein. Biologisch betrachtet bin ich ein Tier, chemisch be- Simon Conway Morris ist Professor of Evolutionary Palaeobiology am Department of Earth Sciences der University of Cambridge und Fellow of the Royal Society. Der bekennende Christ wurde international bekannt als Erforscher der über 500 Millionen Jahre alten Fossilien des BurgessSchiefers in den kanadischen Rocky Mountains. Simon Conway Morris´ Positionen Evolution ist Tatsache! Warum regen sich die Leute so darüber auf Wir fanden eine Reihe von Tieren, die völlig bizarr und einzigartig schienen, aber es stellte sich heraus, dass mit diesen Formen die Grundsteine für spätere Arten gelegt wurden. Wir hatten der Evolution zu wenig zugetraut! Der Burgess-Schiefer erlaubt uns Einblicke in die ersten Stadien der Evolution. Es gibt jede Menge fossile Schätze, die uns zeigen, wie aus Dinosauriern Vögel wurden, oder wie wir - einst Fische - an Land gingen. trachtet bin ich ein Molekülcocktail. Das stört mich aber überhaupt nicht Denn die biologische Evolution hat uns auch unser Gehirn gegeben. © Bayerischer Rundfunk Zu denken, dass dies alles das Ergebnis einer Sintflut sein könnte ist - mit Verlaub - völliger Unsinn! Als die ersten Forscher daran gingen, Gesteine zu untersuchen, interpretierten sie manche 6 Schulfernsehen Formationen als Ergebnis der Sintflut, aber heute wissen wir, wie die Steine geschichtet wurden. Über Stratigraphie und radioaktiven Zerfall kön- Schulfernsehen Gianfranco Ravasis Positionen im Wortlaut Die Bibel sagt uns nicht wie etwas entstanden ist, sondern welchen Sinn es hat. Sie ist ein religiöses Buch. Wenn wir uns im Bereich der Naturwissenschaft bewegen, dann muss man den Wert der Darwinschen Evolutionstheorie und ihrer Argumente anerkennen. nen wir Steine exakt datieren und so sind wir sicher, dass der Burgess-Schiefer 515 Mio. Jahre alt ist - plusminus 2 Millionen. Ich persönlich habe gar kein Problem damit die Tatsache der Evolution und meinen christlichen Glauben unter einen Hut zu bringen. Ich würde die Debatte darüber gerne aufbrechen, denn ich denke sie versinkt momentan in beiderseitigem Fundamentalismus. Ich fürchte, dass die Menschen Angst haben, Evolution würde sie irgendwie minderwertig machen. Aber dass wir unserer eigenen Existenz bewusst sind, dass wir die Welt um uns herum verstehen - ist das nicht das, was uns eigentlich zu Menschen macht? Und dass wir in den Fossilien diese erstaunlichen Übergänge erkennen können, ist das nicht einfach wunderbar? Es gibt vor allem in der amerikanischen protestantischen Welt starke Strömungen, die die Evolutionstheorie für unvereinbar mit der Schöpfungslehre halten Die fundamentalistische Lesart der Bibel - auch wenn ich alle Menschen respektiere, die sie vertreten - ist tatsächlich die falsche Auslegungsmethode. Sie liefert keine verbindlichen Ergebnisse. Für ein vollständiges Bild vom Menschen braucht man Wissenschaft und Philosophie und vielleicht auch die Theologie. 7. Andrew Snelling – Der Teufel hat die Hand im Spiel Andrew Snelling ist ein australischer Geologe und seit 2007 wissenschaftlicher Direktor von 6. Monsignore Gianfranco Ravasi: Die Bibel ist ein religiöses Buch. Kardinal Ravasi ist Präsident des Päpstlichen Rates für die Kultur, Präsident der Päpstlichen Answers in Genesis. Er ist ein vehementer Verfechter der Sintfluttheorie und betrachtet Fossilien als Beleg für die biblische Überschwemmungskatastrophe. Andrew Snellings Positionen im Wortlaut Kommission für die Kulturgüter der Kirche sowie Präsident der Päpstlichen Kommission für Christliche Archäologie. Er erkennt den Darwinismus als wissenschaftliche Erklärung der Welt an und hält die fundamentalistische Lesart der Bibell für einen Irrweg. © Bayerischer Rundfunk Wann wurde dieses Sedimentgestein abgelagert? In der Sintflut! Also müssen 100 Mio. Jahre radioaktiven Zerfalls in dem einen Jahr der Sintflut abgelaufen sein. Das ist doch nicht so schwer zu verstehen, oder Erkennen Sie wie raffiniert Satan ist? Er stellt die Dinge auf den Kopf! Nicht die Gegenwart ist der Schlüssel zur Vergangenheit sondern umgekehrt. 7 Schulfernsehen Die vergangene Sintflut erklärt die heutigen Fossilien! Satan hat alles um 180 Grad verdreht! Was werden die christlichen Akademiker am Tag des Jüngsten Gerichts dazu sagen, dass sie ihre Studenten mit Millionen Jahren von Gottes Wort abbrachten? Der Tag des Herrn wird kommen! Gott wird über uns richten! Gott hat das letzte Wort! Die Zweifler werden vernichtet, wir sind auf der Seite der Gewinner Die Aussagen einer Grundschullehrerin Diese Bücher und Materialien sind die Waffen mit denen wir losziehen! Sie helfen uns bessere Christen zu sein. Ich bin Grundschullehrerin und unterrichte Schöpfung und Evolution, damit schon die 9- und 10- jährigen merken, was es mit der Evolution wirklich auf sich hat, und dass der Glaube an Schöpfung eben nicht nur Glaubenssache ist 8. Wort und Wissen: Die biblischen Schilderungen sind historisch zuverlässig. Die Studiengemeinschaft Wort und Wissen spricht sich gegen den Absolutheitsanspruch der naturalistisch-atheistischen Evolutionslehre aus und postuliert ein schöpferisches Wirken Gottes und die Wahrheit der Bibel. Die folgende Selbstdarstellung fasst die Zielsetzungen der Arbeit zusammen. Die Studiengemeinschaft Wort und Wissen e.V. ist ein Zusammenschluss von Christen aus vorwiegend wissenschaftlichen Berufen. Unsere Mitarbeiter vertreten die biblische Schöpfungslehre. Wir vertrauen Jesus Christus als Sohn Gottes und der Bibel als Wort Gottes an den Menschen. Das Verständnis des Menschen als Geschöpfe Gottes und des ganzen Kosmos als Schöpfung betrifft nach unserer Überzeugung auch alle Wissenschaften, die sich mit dem Menschen und der © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen ganzen Schöpfung und ihrer Geschichte befassen, in Auswahl: • In der Biologie setzen wir uns kritisch mit naturalistischen Hypothesen auseinander und arbeiten an Alternativen, die Bezug auf das schöpferische Wirken Gottes nehmen. • In den Geowissenschaften befassen wir uns mit Fragen der geologischen Zeiträume und zeigen, dass zahlreiche Befunde auf eine kurze Erdgeschichte hinweisen. • In der Physik interessieren uns Fragen der Strukturbildung und Selbstorganisation, und speziell auf dem Gebiet der Astrophysik Theorien zur Entstehung und Geschichte des Kosmos. • Ein weiterer Schwerpunkt ist die Biblische Archäologie. Wir gehen archäologischen Zeugnissen nach, die vor allem mit Berichten im Alten Testament korrespondieren. • Auf dem Gebiet der Wirtschaftswissenschaften geht es um Fragen des Menschenbilds und der Ethik im Wirtschaftsleben. Einwände aus dem Bereich der Wissenschaft gegen die Existenz Gottes und die Wahrheit der Bibel werden aufgegriffen und nach fundierten Antworten gesucht. Dadurch soll Hilfestellung geleistet werden, um Glaubenshindernisse – wo immer möglich – aus dem Wege zu räumen. Dabei ist ein großer denkerischer Einsatz notwendig, um die Gesprächspartner an ihrem Standort abzuholen. Das Grundanliegen der Studiengemeinschaft Wort und Wissen kann in diesem Sinne mit „Denkdiakonie“ beschrieben werden. Kurzcharakterisierung wichtiger Ursprungslehren. Die Position der Studiengemeinschaft Wort und Wissen I. Charakterisierung von Ursprungslehren Erklärungsansätze zur Entstehung der Welt, des Lebens und des Menschen werden als Ursprungslehren bezeichnet. Folgende Ursprungslehren werden heute vor allem vertreten: 1. Naturalistisch-atheistische Evolutionslehre. Nach dieser Position soll der Ursprung der Welt, des Lebens und des Menschen gänzlich ohne Rückgriff auf übernatürliche Faktoren erklärt werden. Sie wird von der überwältigenden Mehrheit der Biologen (nicht unbedingt der Naturwissenschaftler insgesamt) i.d.R. mit Absolutheitsanspruch (s. II.) als einzige wissenschaftlich vertretbare Ansicht gelehrt und dominiert alle Medien. 2. Kreationismus im Sinne von „Creation Science“. Hier wird der Schöpfungsbericht der Bibel als quasi-naturwissenschaftlicher Text aufgefasst. Es wird explizit ein astrono8 Schulfernsehen misch-geologisch-biologisches Verständnis dieser Texte vertreten. Ein sehr niedriges Alter der Erde und des Lebens sowie die Tatsache der Schöpfung wird häufig für wissenschaftlich bewiesen angesehen. In der Regel wird ein Absolutheitsanspruch (s. II.) vertreten und jedes andere Verständnis der biblischen Texte und der naturwissenschaftlichen Daten grundsätzlich abgelehnt. 3. Theistische Evolutionslehre. Evolution wird zwar akzeptiert, aber nicht als naturalistisch-ungesteuerter Vorgang betrachtet, sondern: Gott erschuf die Welt und das Leben durch den Evolutionsprozess. Diese Position wird besonders, aber nicht ausschließlich, in den großen Kirchen in Deutschland vertreten. 4. Intelligent Design (ID). Nach dem Ansatz des ID soll durch wissenschaftliche Analyse nachgewiesen werden, daß aus der Struktur des Kosmos und des Lebens auf einen „Designer“ (Planer, Schöpfer) geschlossen werden kann. Obwohl in der westlichen Welt v.a. von Christen vertreten, macht die ID-Bewegung keine Aussage über Identität oder Attribute des Designers und legt keine spezielle religiöse Offenbarung zugrunde. Deshalb ist sie grundsätzlich auch mit anderen Religionen kompatibel und damit religiös relativ neutral. 5. Biblische Schöpfungslehre. Die biblischen Schilderungen der Urgeschichte im Buch Ge- Schulfernsehen Schöpfungstexte entspricht für Vertreter der biblischen Schöpfungslehre am ehesten der Aussageabsicht der Urgeschichtstexte. Sie sind aber bereit, ihr theologisches, historisches und naturkundliches Verständnis der Urgeschichte auf den jeweiligen wissenschaftlichen Fachebenen zu diskutieren. Sie erheben keinen wissenschaftlichen Absolutheitsanspruch für ihre Hypothesen und Theorien. II. Woran kann ein „Absolutheitsanspruch“ erkannt werden? Ein Absolutheitsanspruch kann beispielsweise an folgenden Merkmalen erkannt werden: • Alle konkurrierenden Denkmodelle werden kategorisch abgelehnt. • Es wird behauptet, dass keinerlei ernstzunehmende Argumente gegen die eigene Position existieren. • Die Berichterstattung ist deutlich tendenziös. • Die Darstellung von Gegenargumenten wird unterdrückt, notfalls durch Zensur. • Vertreter konkurrierender Ansichten werden persönlich in beleidigender Weise angegriffen (Polemik). III. Die Position der Studiengemeinschaft Wort und Wissen Die Studiengemeinschaft Wort und Wissen (W+W) vertritt eine biblische Schöpfungslehre und ist somit der 5. Position zuzuordnen. Zur Verdeutlichung soll die Position von W+W mit den anderen Ursprungslehren verglichen werden. nesis werden als historisch zuverlässig betrachtet. Das heißt, sie werden nicht nur theologisch verstanden, sondern auch als zwar nicht detaillierte, aber allgemeinverständliche, wirkliche Beschreibungen grundlegender Ereignisse der Schöpfung und Urzeit. Es handelt sich also um Texte, die auch bezüglich ihrer Aussagen über die Natur zutreffend sind, aber es sind keine naturwissenschaftlichen Texte (z.B. mit einer spezifisch-exakten Fachsprache) im neuzeitlichen Sinn. Auf der Grundlage eines theologisch-heilsgeschichtlichen Verständnisses der gesamten Bibel wird versucht, naturwissenschaftliche Daten, welche die Herkunft der Welt und des Lebens betreffen, im Kurzzeitrahmen der biblischen Urgeschichte zu deuten. Dieses Verständnis der biblischen © Bayerischer Rundfunk 1. Mit der naturalistisch-atheistischen Evolutionslehre teilen wir die Methodik der wissenschaftlichen Forschung. Im Unterschied zu dieser Position betrachten wir diese Methodik jedoch als nicht als ausreichend, um die Ursprungsfrage letztlich zu beantworten. Den Absolutheitsanspruch einer naturalistischen Position weisen wir aufgrund erkenntnistheoretischer, wissenschaftstheoretischer und naturwissenschaftlicher Argumente entschieden zurück. Die Erkenntnismöglichkeiten mit Hilfe der wissenschaftlichen Methodik sollen jedoch nach allen Regeln der Wissenschaftskunst ausgelotet werden. 2. Mit dem Kreationismus gemeinsam ist der Glaube an die historische Zuverlässigkeit der biblischen Schilderungen und die Hinterfragung der Evolutionslehre als umfassendes Allerklärungsmodell. Im Unterschied zum Kreationismus verzichten wir auf einen Absolutheitsanspruch im Problemkreis der Wissenschaft. In Fragen der Auslegung biblischer Texte meinen wir, eine dem 9 Schulfernsehen Selbstanspruch der Urgeschichtstexte im Wesentlichen gemäße Position zu vertreten. Darin und in Fragen des Verhältnisses von Aussagen der Heiligen Schrift zu wissenschaftlichen Erkenntnissen sind wir aber diskussions- und lernbereit. Mit dem Verzicht auf einen Absolutheitsanspruch ist im einzelnen gemeint: • Wir wollen konkurrierende Denkmodelle respektieren und nicht „bekämpfen“, sondern uns sachlich-kritisch mit ihnen auseinandersetzen. • Wir räumen ein, dass ernstzunehmende Argumente gegen unsere eigenen fachlichen Positionen existieren. • Uns bekannte Gegenargumente sollen in unseren eigenen Publikationen angemessen zur Sprache kommen. • Wir bemühen uns in Berichterstattungen um faire und ausgewogene Darstellung. • Wir achten Vertreter konkurrierender Ansichten, greifen sie nicht persönlich an und wollen Polemik in jeder Form vermeiden. Die Formulierungen „wollen“ und „bemühen“ sollen zum Ausdruck bringen, dass wir uns bewusst sind, nicht fehlerlos zu sein. Doch dürfen Kritiker uns an den genannten Punkten messen. Wir weisen allerdings auf den Absolutheitsanspruch hin, den Jesus Christus nach dem Zeugnis des Neuen Testaments für seine Person und sein Wirken beansprucht hat. Dazu gehört auch, dass Jesus mit der historischen Wirklichkeit und theologischen Wahrheit von Ereignissen der biblischen Urgeschichte argumentiert hat. Dies geschieht aber zeugnishaft und nicht unter Einsatz wissenschaftlicher Argumentation. Wir stellen an uns selbst den Anspruch, mit der wissenschaftlichen Argumentation übliche Qualitätsstandards zu erfüllen, und wollen uns daran messen lassen. 3. Mit theistischen Evolutionslehren gemeinsam ist die Ablehnung der Lehre von der Evolution als naturalistisch-ungesteuertem Vorgang. Darüber hinaus lehnen wir allerdings auch die Lehre von einer wie auch immer gesteuerten Evolution ab, weil dem nach unserer Überzeugung eine Reihe gewichtiger theologischer Argumente entgegenstehen. 4. Mit dem Ansatz des Intelligent Design (ID) teilen wir die Überzeugung, dass die Struktur des Kosmos und des Lebens durch wissenschaftliche Analyse auf testbare und widerlegbare „DesignSignale“ untersucht werden kann. Der Nachweis solcher Design-Signale liefert aber keinen Beweis für Schöpfung. ID-Argumente eignen sich in der Regel problemlos als „Module“ für die biblische Schöpfungslehre. Der ID-Ansatz hilft auch, ver© Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen schiedene Argumentations- und Begründungsebenen auseinanderzuhalten. Über ID hinaus bekennen wir uns aber ausdrücklich zum Gott der ganzen Bibel und speziell zur Historizität der biblischen Urgeschichte. IV. Stellenwert wissenschaftlicher Argumente Genauso wie wir der Auffassung sind, dass mit wissenschaftlichen Argumenten der Naturalismus nicht bewiesen werden kann, halten wir wissenschaftliche Argumente nicht für geeignet, um die Wahrheit der Bibel zu beweisen. Dies wurde in unserer Arbeit nie angestrebt. Wissenschaftliche Argumente haben ihren Platz im Rahmen einer vorgegebenen Ursprungslehre und sie haben Bedeutung in der Abwehr von unberechtigten Absolutheitsansprüchen und überzogenen Behauptungen. V. Trennung von Argumentationsebenen Ausgesprochen wichtig ist es uns, in den Kontroversen um die Ursprungsfrage verschiedene Argumentationsebenen auseinanderzuhalten. Das gilt zum einen für die Unterscheidung theologischer und naturwissenschaftlicher Argumente und Begründungen, zum anderen auch für die Trennung von Evolutionskritik und Ansätzen im Rahmen der Schöpfungslehre oder von ID. Konkret bedeutet das z. B.: • Naturwissenschaftliche Evolutionskritik ist unabhängig vom weltanschaulichen Hintergrund des Kritikers zulässig und notwendig. Eine Theorie, die sich der Kritik nicht stellt, ist nicht wissenschaftlich. • Die wissenschaftliche Qualität einer Evolutionskritik hängt nicht davon ab, wie gut alternative Ursprungslehren begründet sind. • Die Berechtigung für theologische Evolutionskritik hängt nicht davon ab, wie gut Evolutionslehren naturwissenschaftlich begründet sind. • Der ID-Ansatz, der ohne spezielle Theologie und ohne konkrete Gottesvorstellung auskommt, kann als solcher nicht mit speziellen theologischen Argumenten kritisiert werden (zum Beispiel mit dem Hinweis auf einen pfuschenden Designer und dergleichen). Solche Kritik trifft im übrigen alle theistischen Ursprungslehren; die Kritik muss zum einen im IDRahmen, d.h. unspezifisch-theologisch und darüber hinaus im Rahmen spezieller Offenbarung (für uns biblisches Christentum) spezifisch beantwortet werden. Selbstverständlich können und sollen die verschiedenen Ebenen auch zusammengeführt werden. Das ist sogar ein Kernanliegen der Studiengemeinschaft Wort und Wissen im Sinne der 5. Position. Doch beinhaltet diese Zusammenführung immer eine weltanschauliche Grenzüber10 Schulfernsehen schreitung, die als solche unbedingt kenntlich zu machen ist. 9. Evolutionstheorie und christlicher Glaube: Die Position der Katholischen Kirche Für die Katholische Kirche sind Evolutionstheorie und biblischer Schöpfungsbericht durchaus vereinbar. In einem Artikel zu Charles Darwin fasst die Deutsche Bischofskonferenz ihre Sichtweise zusammen. Zwei Sichtweisen auf ein Geschehen Die Evolutionstheorie ist grundsätzlich mit der Bibel und der kirchlichen Lehre vereinbar, da es sich dabei um zwei Sichtweisen auf ein Geschehen handelt: einerseits um die naturwissenschaftliche Erklärung, andererseits um die theologische Deutung der Weltentstehung. Zwar wurde immer wieder versucht, theologische Schöpfungsaussagen unmittelbar an die Weltbeschreibungen der Evolutionstheorie anzuschließen und ihnen so zu einer größeren, dem naturwissenschaftlichen Denken entliehenen Wirklichkeitsnähe zu verhelfen. Derartige Versuche übersehen jedoch etwas ganz Grundlegendes: Der biblische Schöpfungsglaube beansprucht Wahrheit und objektive Geltung auf eine andere Art, eben in der Form des religiösen Bekenntnisses und der theologischen Reflexion, ohne dass er damit den Wahrheitsgehalt seiner Aussagen einbüßen würde. Schulfernsehen Wie, sondern um ein grundlegendes Verständnis für das Dass des Seins. Wichtig ist die für das Verstehen wichtige Unterscheidung von bleibendem Glaubensinhalt und kontingenter, also einer durch die zeitlichen Umstände bedingten Darstellungsform des biblischen Schöpfungsglaubens. Eine historisch-kritische Anwendung von Auslegungsregeln auf biblische Texte relativiert nicht deren Glaubensbotschaft, sondern schafft überhaupt erst die Voraussetzung dafür, dass die Botschaft der biblischen Texte nicht mit einem vormodernen, durch die naturwissenschaftliche Erkenntnis überholten Weltbild verwechselt wird. Es geht also um die die wichtige Unterscheidung von bleibendem Glaubensinhalt und der jeweils der Zeit entspringenden Darstellungsform. Jede Erkenntnisform – die naturwissenschaftliche sowie die theologische und kirchliche – bleibt innerhalb ihres Kompetenzbereichs: Eine gegenseitige Erhellung ist aber deswegen nicht ausgeschlossen. Evolutionstheorie und Kreationismus Der Kreationismus ist die Auffassung, dass die wörtliche Interpretation der Heiligen Schrift die Evolutionstheorie und persönlicher Glaube Der persönliche Glaube muss durch die Erkenntnisse der Evolutionstheorie nicht in Frage gestellt werden, da es sich um zwei unterschiedliche Erkenntniswege handelt. Sie bereichern sich gegenseitig. Wichtig und ausschlaggebend ist ein vorurteilsfreier und ideologiefreier Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie, da es sich bei der Evolutionstheorie und dem Glauben um zwei Sichtweisen auf dieselbe Wirklichkeit handelt. Die unterschiedlichen Kompetenzbereiche von Naturwissenschaften auf der einen Seite und von Theologie und Kirche auf der anderen Seite. Es fällt in die Kompetenz der Naturwissenschaften zu erklären, wie die Welt entstanden ist; auf dieser Ebene lassen sich aus dem biblischen Schöpfungsglauben und dem theologischen Schöpfungsbegriff keine Aussagen ableiten, die in Konkurrenz zu ihnen treten könnten. Die theologische Schöpfungslehre fragt dagegen, warum überhaupt etwas ist; den Schöpfungsaussagen der Bibel geht es nicht um eine Beschreibung des © Bayerischer Rundfunk tatsächliche Entstehung von Leben und Universum beschreibt. Beides wird hier durch den unmittelbaren Eingriff eines Schöpfergottes in natürliche Vorgänge erklärt. Dass daraus die Ansicht hervorgeht, dass naturwissenschaftliche Erkenntnisse im Widerspruch stehen zu einer wörtlichen Interpretation der Bibel und somit mit dem Glauben unvereinbar sind, ergibt sich daraus beinahe von selbst. Aber es geht doch vielmehr darum zu verstehen, dass biblische Schöpfungsaussagen keine protokollartigen Berichte über den Entstehungsvorgang der Welt sind, sondern ursächliche Sinndeutungen. Katholischer Kirche und Naturwissenschaften Glaube und Lehramt begeben sich gegenüber den Naturwissenschaften nicht in eine Verteidigungshaltung. Es zeigt sich vielmehr Bescheiden11 Schulfernsehen heit und vielleicht auch Demut im Blick auf die eigenen Grenzen. Naturwissenschaftler wiederum sehen den Glauben nicht als eine „intellektuelle Altsteinzeit“ an. Statt Konfrontation ist in der Beziehung zwischen Naturwissenschaft und akademisch geprägter Theologie, bzw. kirchlichem Lehramt zunehmend die Suche nach einem gedanklichen Ausgleich getreten, gerade auch zwischen Schöpfungsglauben und Evolutionslehre. Ein solch offen gestalteter Dialog und die (natur-)wissenschaftliche Neugier scheinen immer wieder auf – so hat beispielsweise die Päpstliche Akademie der Wissenschaften im Jahr 2003 ihr 400-jähriges Bestehen gefeiert. Eine ausführlichere Darstellung der Thematik findet sich in Arbeitshilfe Nr. 223, 2004 mit dem Titel „Die menschliche Person - geschaffen nach dem Bilde Gottes“ in den Nummern 67-69. 68. Im Hinblick auf die Evolution von günstigen Bedingungen für die Entstehung von Leben heißt es in der katholischen Tradition, dass Gott als universale transzendente Ursache nicht nur die Ursache der Existenz, sondern auch die Ursache der Ursachen ist. Gottes Handeln verdrängt oder ersetzt die Tätigkeit geschöpflicher Ursachen nicht, sondern ermöglicht ihnen gemäß ihrer Natur zu handeln und nichtsdestoweniger die Ziele herbeizuführen, die er anstrebt. Indem Gott freien Willens das Universum erschafft und erhält, setzt er freien Willens alle diejenigen Zweitursachen in Gang und erhält sie im Vollzug, deren Wirksamkeit zur Entfaltung der natürlichen Ordnung beiträgt, die er hervorzubringen gedenkt. Durch die Wirksamkeit natürlicher Ursachen bewirkt Gott das Aufkommen der Bedingungen, die für das Entstehen und den Erhalt lebendiger Organismen sowie weiterhin für ihre Reproduktion und Ausdifferenzierung erforderlich sind. Obgleich es eine wissenschaftliche Debatte über den Grad der Zweckgerichtetheit oder des planvollen Entwurfs gibt, die in diesen Entwicklungen wirksam und empirisch beobachtbar sind, haben diese de facto die Entstehung und das Gedeihen von Leben begünstigt. Katholische Theologen sehen in dieser Argumentation eine Stütze für die Aussage, die der Glaube an die göttliche Schöpfung und die göttliche Vorsehung mit sich bringt. Im planvollen Entwurf der Schöpfung in der Vorsehung wollte der dreieine Gott nicht nur Platz schaffen für Menschen im Universum, sondern auch und letztendlich einen Raum für sie bereiten in seinem eigenen trinitarischen Leben. Außerdem handeln Menschen als wirkliche Ursachen, wenn auch Zweitursachen, und tragen so zur © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen Umgestaltung und Verwandlung des Universums bei. 69. Die gegenwärtige wissenschaftliche Debatte über die Mechanismen, die in der Evolution am Werk sind, erfordert einen theologischen Kommentar, insofern sie manchmal ein Missverständnis über die Natur der göttlichen Ursächlichkeit einschließt. Viele neo-darwinistische Wissenschaftler ebenso wie einige ihrer Kritiker haben geschlossen: Wenn die Evolution ein radikal kontingenter materialistischer Prozess ist, der durch natürliche Selektion und wahllose genetische Variation gesteuert wird, dann kann darin kein Platz für die Ursächlichkeit der göttlichen Vorsehung sein. Ein wachsender Kreis von wissenschaftlichen Kritikern des Neo-Darwinismus verweisen auf die Anhaltspunkte für einen planvollen Entwurf (z. B. biologische Strukturen, die eine bestimmte Komplexität aufweisen), die in ihrer Sicht nicht in Kategorien eines rein kontingenten Prozesses erklärt werden können und die Neo-Darwinisten ignoriert oder fehlinterpretiert haben. Den Kernpunkt dieser gegenwärtig lebhaften Kontroverse betrifft die wissenschaftliche Beobachtung und Verallgemeinerung hinsichtlich der Frage, ob die verfügbaren Daten einen planvollen Entwurf oder den Zufall stützen, und kann von der Theologie nicht entschieden werden. Es ist jedoch wichtig festzustellen, dass im katholischen Verständnis der göttlichen Ursächlichkeit wahre Kontingenz in der geschöpflichen Ordnung nicht unvereinbar ist mit der zielgerichteten göttlichen Vorsehung. Göttliche Ursächlichkeit und geschöpfliche Ursächlichkeit unterscheiden sich radikal der Art und nicht nur dem Grade nach. Folglich kann sogar das Ergebnis eines wahrhaft kontingenten natürlichen Prozesses dennoch in Gottes Vorsehungsplan für die Schöpfung fallen. Bei Thomas von Aquin heißt es: „Die Wirkung der göttlichen Vorsehung besteht nicht allein darin, dass etwas auf irgendeine Art und Weise erfolgt, sondern darin, dass etwas entweder zu-fällig oder notwendig erfolgt. Darum folgt das unfehlbar und notwendig, was die göttliche Vorsehung so fügt, dass es unfehlbar und notwendig sich ereignet; und das erfolgt zufällig, was der Plan der göttlichen Vorsehung so enthält, dass es zufällig sich ereignet“ (Summa theologiae I, 22,4 ad 1). In katholischer Perspektive bewegen sich Neo-Darwinisten, die wahllose genetische Variation und natürliche Selektion als Beweis für einen absolut ungesteuerten Evolutionsprozess anführen, jenseits dessen, was Wissenschaft nachweisen kann. Göttliche Kausalität kann in einem Prozess am Werke sein, der sowohl kontingent als auch gesteuert ist. Jeglicher evolutionäre Mechanismus, der kontingent ist, kann allein deshalb kontingent 12 Schulfernsehen sein, weil er von Gott so hervorgebracht wurde. Einen ungesteuerten Evolutionsprozess – der außerhalb der Grenzen der göttlichen Vorsehung fiele – kann es einfach nicht geben, denn „die Ursächlichkeit Gottes, der der Erstwirkende ist, erstreckt sich auf alles Seiende, nicht bloß auf das Unvergängliche, sondern auch auf das Vergängliche und nicht nur in Bezug auf die Prinzipien der Art, sondern auch in Bezug auf die Prinzipien der Individuen ... Also muss notwendig alles, soweit es am Sein teilhat, der göttlichen Vorsehung unterstehen“ (Summa theologiae I, 22,2). 10. Die Position der Evangelischen Kirche: Begriffsbestimmungen Dr. Hansjörg Hemminger ist Beauftragter der Arbeitsstelle für Weltanschauungsfragen der Evangelischen Landeskirche in Württemberg. Er setzt sich seit Jahren intensiv in Artikeln und Büchern mit Kreationismus sowie der Intelligent DesignBewegung auseinander. Die folgenden Begriffsbestimmungen wurden mit freundlicher Genehmigung des Autors teilweise leicht eingekürzt und ohne Anmerkungen bzw. Literaturhinweise übernommen. Kreationismus Der Kreationismus hat zum Ziel, die Autorität der Bibel zu verteidigen. Sein Ausgangspunkt ist die Irrtumslosigkeit der Heiligen Schrift auch in Fragen der Natur- und Weltgeschichte, vor allem die naturkundliche Richtigkeit der biblischen Urgeschichte. Daher bestreitet er die Richtigkeit der wissenschaftlichen Evolutionsbiologie, Geologie und Kosmologie. Er bestreitet die lange Dauer der Erd- und Weltgeschichte und geht stattdessen von einem Weltalter von 6000 – 8000 Jahren aus. Die geologischen Schichten samt den darin enthaltenen Fossilien wurden nach Ansicht des Kreationismus vor und während der Sintflut (oder kurz darauf) abgelagert. Die heute existierenden Lebewesen hätten sich nicht in einer langen Stammesgeschichte aus einfacheren Vorfahren entwickelt (Evolutionstheorie). Vielmehr seien alle lebenden und ausgestorbenen Arten einzeln oder als Grundtypen von Gott geschaffen worden. Dies gelte auch und vor allem für den Menschen. Intelligentes Design Die Bewegung für ein intelligentes Design (englisch: intelligent design movement) vertritt in den USA seit etwa 1990 die Auffassung, dass sich die Entstehung der komplizierten Merkmale der Lebewesen nur durch intelligente Planung erklären lasse. Ihre Organe, Verhaltensweisen usw. seien „unreduzierbar komplex“ und könnten deshalb © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen nicht durch ein Wechselspiel von beliebigen Veränderungen des Erbguts (Mutation) und verschiedenen Fortpflanzungsraten (Selektion) entstanden sein. Damit wendet sich die Vorstellung eines intelligenten Designs gegen die Erklärung der Biologie für die Stammesgeschichte der Lebewesen, nämlich gegen die Selektionstheorie nach Darwin und Wallace und deren heutige Weiterentwicklung. Die Abstammungstheorie wird dagegen nicht grundsätzlich bestritten, sondern lediglich die Möglichkeit, den Evolutionsprozess ohne intelligente Planung zu erklären. Der Kreationismus und die Bibel Hinter dem Kreationismus steht das protestantisch-fundamentalistische Verständnis der Heiligen Schrift, nach dem „die biblischen Texte über die Entstehung der Welt und des Lebens auf der Erde als naturwissenschaftliche Aussagen und gleichzeitig als unwiderlegbare göttliche Offenba- rung“ zu gelten haben.“ Der Kreationismus bestreitet deshalb, dass der Glaube an Gott, den Schöpfer, von der Bibel an verschiedenen Stellen mit Hilfe verschiedener Naturbilder ausgedrückt wird. Dieser Sachverhalt ist aber bereits in der biblischen Urgeschichte unübersehbar und stellt keineswegs ein Problem dar, sondern macht den Reichtum des biblischen Zeugnisses für die Christen aller Zeiten aus. Im Kreationismus tritt jedoch „an die Stelle einer Schriftauslegung, die unter dem Aspekt von Gesetz und Evangelium Christus und sein Heil verkündigt und die Schrift als Zeugnis vom Handeln Gottes versteht, das dem Glauben zugänglich ist, … eine Hermeneutik, die … Informationen über die Herkunft der Welt, über historische, biologische und geologische Sachverhalte vermitteln will.“ Damit wird die Bibel als Zeugnis des Glaubens entwertet, weil sie mit menschlichem Sachwissen auf eine Stufe gestellt wird. Die Menschlichkeit des biblischen Zeugnisses, seine Einbettung in die jeweiligen geschichtlichen Umstände, gerät aus dem Blick. In Wirklichkeit widerspricht die Evolutionsbiologie dem Schöpfungszeugnis der Bibel nicht, auch nicht dem Wirken und dem Willen Gottes im Weltgeschehen. Der Wille Gottes geschieht in 13 Schulfernsehen der Welt durch die natürlichen Zusammenhänge von Ursache und Wirkung, nicht gegen sie. Zur naturwissenschaftlichen Beurteilung des Kreationismus Die vom Kreationismus gegen Kosmologie, Geologie und Evolutionsbiologie vorgebrachten wissenschaftlichen Argumente sind nach den Maßstäben wissenschaftlichen Forschens nicht stichhaltig. Obwohl Kreationisten dies ständig behaup- Schulfernsehen gemeine Erklärung an. Bei der Selektionstheorie handelt es sich um ein naturwissenschaftliches Modell (anders gesagt, eine allgemeine Rahmentheorie), um das kausale „wie“ der Evolution zu beschreiben. Das Modell ist offen für Erklärungen des „warum“ und „wozu“. Solche Erklärungen kann die christliche Theologie ebenso und mit gleichem Recht bieten wie andere Religionen und wie der Materialismus. Diese Offenheit ist keine Besonderheit der Evolutionstheorie, sondern gilt für jede naturwissenschaftliche Theorie. Was ist Kreationismus eigentlich? (Autor: Hansjörg Hemminger) ten, gibt es in der Naturwissenschaft keine ernsthaften Zweifel an den Grundlagen der Evolutionstheorie. Der Eindruck einer tragfähigen naturwissenschaftlichen Argumentation für den Kreationismus wird erweckt, indem angebliche oder tatsächliche Erklärungsprobleme der Naturwissenschaften ausführlich abgehandelt werden. Die kreationistischen Alternativen dazu werden entweder gar nicht oder unkritisch behandelt. Dem gegenüber ist festzuhalten, dass das kreationistische Denken nicht dazu geeignet ist, das heutige Wissen über die Natur zu erklären. Es führt in unlösbare Widersprüche, die zum Verzicht auf den fruchtbaren Dialog zwischen Naturwissenschaft und Theologie zwingen. Menschen suchen Antworten auf die Frage nach dem Woher und Wohin des Lebens. Dass der Kreationismus Antworten gibt und versucht, die Rolle eines Anwalts für den christlichen Glauben zu besetzen, ist verständlich. Dass religionskritische Naturwissenschaftler ihm diese Rolle gerne überlassen, ist ebenso verständlich. Einen zum Abschuss geeigneteren religiösen Pappkameraden kann es für sie nicht geben. Wenn es wirklich so wäre, dass man an ein Weltalter von 10000 oder 6000 Jahren glauben müsste, wäre der christliche Glaube für die meisten Menschen keine Option mehr. Es macht viel mehr Mühe, die Theologie Helmut Thielickes oder Karl Heims oder Kardinal Schönborns der Unvernunft zu bezichtigen. Warum sich diese Mühe machen, wenn der Kreationismus der Religionskritik eine Steilvorlage liefert? Umgekehrt muss sich auch die Theologie die Mühe machen, in dieser Debatte sprachfähig zu werden. An dieser Mühe hat es in den letzten Jahrzehnten im deutschen Sprachraum (nicht im angelsächsischen) gefehlt. Ein Dialog zwischen Glauben und Naturwissenschaft, der sich am Zur naturwissenschaftlichen Beurteilung eines intelligenten Designs Die Idee eines intelligenten Designs beruht im Unterschied zum Kreationismus auf einem einzigen inhaltlichen Argument: Die Merkmale der Lebewesen seien „unreduzierbar komplex“ und deshalb ohne intelligente Planung nicht zu erklären. Würde dieses Argument zutreffen, wäre damit nicht der biblische Schöpfungsglaube bewiesen, sondern lediglich die Unvollständigkeit der modernen Evolutionsbiologie. Ein Argument für den Schöpfergott aus Nichtwissen ist weder logisch möglich noch theologisch sinnvoll. Allerdings stellt sich diese Frage für das christliche Denken derzeit nicht, weil es das von der Bewegung behauptete, naturwissenschaftliche Nichtwissen in dieser Form nicht gibt. Die Evolutionsbiologie bietet für die Entstehung der Lebewesen eine nach derzeitigem Forschungsstand hinreichende, all© Bayerischer Rundfunk „Stand der Forschung“ orientiert, ist allerdings mühsam und immer wieder neu zu führen. Die biologischen Theorien unterliegen einer rasanten Entwicklung, der die theologischen Integrationsund Abgrenzungsentwürfe folgen müssen. Im Kreationismus sind dagegen nur kosmetische Änderungen nötig. Was Whitcomb und Morris 1960 über die Sintflut schrieben, wird heute noch unverändert vertreten. Deshalb ist am Schluss die14 Schulfernsehen ses Artikels festzustellen: Der Kreationismus ist kein Ergebnis eines Dialogs zwischen christlichem Glauben und Naturwissenschaft, er ist kein Weg zu einem solchen Dialog. Es handelt sich nicht einmal um einen Streit zwischen christlichem Glauben und einer naturalistischen Ideologie. Solche Auseinandersetzungen sind mit anderen Mitteln zu führen. Der Kreationismus ist eine extreme Position in einem innerchristlichen Streit darüber, wie mit dem naturwissenschaftlichen Weltwissen zu verfahren sei. Es geht im Kern um die Frage, die schon Augustinus im 4. Jahrhundert beschäftigte, wie Heilige Schrift und Naturwissen zusammenzudenken sind. Gesprächspartner der Theologie sind, falls sie sich überhaupt mit dem Kreationismus befasst, deshalb nicht in erster Linie Naturwissenschaftler, sondern Mitchristen, die von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen angefochten werden. Der Zugang zur Gewissheit des Glaubens im modernen Weltbild wird ihnen vom fundamentalistischen Schriftverständnis versperrt. Ihnen sollte eine tiefere Gewissheit nahe gebracht werden, die von der Wahrheit lebt, die Mensch wurde, und nicht von der Wahrheit, die Papier wurde. Denn solange die Wahrheit Papier bleibt, bleibt sie für den Menschen verfügbar. Dann liegt der Schritt nahe, diese Wahrheit gegen Andersdenkende durchsetzen zu wollen. Wo dabei die Nächstenliebe auf der Strecke bleibt, kann die christliche Antwort nur in Widerstand bestehen. Wo sich der Kreationismus dagegen als Alternativwissenschaft darstellt, um die Autorität der Bibel zu retten, kann man ihm seine besondere Sicht der Dinge zwar nicht bestätigen, man kann sie aber als Mitchrist hinnehmen. Schließlich ist die Echtheit und Tiefe des persönlichen Glaubens nicht unmittelbar mit dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand eines Christen verbunden – wohl aber mit seiner Liebe zu Gott und den Menschen. 11. Grundzüge einer Kritik am kreationistischen Schöpfungs- und Evolutionsbegriff Die naturwissenschaftliche Evolutionstheorie besteht heute aus einem System theoretischer Aussagen von Astrophysik, Geologie, Biochemie und Biologie, die zum Teil in logischem Zusammenhang miteinander stehen, zum Teil aber auch unabhängig voneinander sind. Der seit 1960 in den USA, und seit 1980 in Europa, vorherrschende Kurzzeit-Kreationismus richtet sich deshalb nicht nur gegen die Biologie. Große Teile der Naturwissenschaft werden abgelehnt und durch alternative Thesen ersetzt, die man wie folgt zusammenfassen könnte: 1. Die Erde ist weniger als 10 000 Jahre alt. Sie wurde einschließlich aller Lebewesen und des © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen Menschen in sechs Tagen erschaffen, wie die Bibel es sagt. 2. Die Lebewesen wurden von Gott so geschaffen, wie sie heute sind, oder als Grundtypen, aus denen die heutigen Arten in wenigen Tausend Jahren hervorgingen. 3. Die Sintflut fand so statt, wie in der Sintfluterzählung beschrieben. Die geologischen Ablagerungen einschließlich der Fossilien entstanden durch die Sintflut oder kurz danach. 4. In der ursprünglichen Schöpfung gab es keine Sünde und keinen Tod. Der Tod kam erst durch den Fall des Menschen in die Welt. Vorher starb kein Lebewesen. Diese Thesen werden durch eine wechselnde Zahl von Annahmen gestützt, die zum Teil im Kreationismus selbst strittig sind. Viele dieser Annahmen sind falsch oder sogar unsinnig, wobei naturwissenschaftliche Laien dies aber oft nicht erkennen können. Die häufigsten Annahmen lauten: 1. Die Zerfallsrate radioaktiver Elemente war in der Vergangenheit höher.Radiometrische Altersmessungen kommen daher auf viele Millionen Jahre, während diese Elemente nur wenige Tausend Jahre alt sind. (Einwand: Eine Zerfallsrate, die das Alter z.B. von Uranen auf wenige Tausend Jahre verkürzt, hätte eine Hitze erzeugt, die das gesamte Material verflüssigt und verdampft hätte.) 2. Die Datierung von Gesteinen und Fossilien durch radioaktive Zerfallsraten beruht auf willkürlichen Voraussetzungen, In Wirklichkeit weiß niemand, welche Menge eines Elements und seiner Zerfallsprodukte vor wenigen tausend Jahren bereits vorhanden waren. (Einwand: Kein denkbarer Fehler ist groß genug, um das radiometrisch gemessene Alter eines Minerals von einer Milliarde Jahre auf 10 000 Jahre zu senken.) 3. Die Lichtgeschwindigkeit war früher viel höher. Daher ist die astrophysikalische Berechnung der Laufzeit des Lichts zwischen der Erde und weit entfernten Sternen falsch. Sie beträgt nicht Milliarden Jahre, sondern nur wenige tausend Jahre. (Einwand: Dann brauchen wir eine komplett neue theoretische Physik, denn die Lichtgeschwindigkeit ist in ihr eine elementare Konstante.) 4. Alternativ zu den ersten Thesen: Das Universum ist von Gott so geschaffen worden, einschließlich radioaktiver Zerfallsprodukte, des Lichts zwischen den Sternen, der Fossilien usw., dass es den Eindruck großen Alters vermittelt. In Wirklichkeit ist es wenige tausend Jahre alt. (Einwand: Das Argument schafft die Möglichkeit ab, überhaupt Naturwissenschaft zu betreiben.) 15 Schulfernsehen 5. Die Sintflutgeschichte wird dadurch belegt, dass archäologische Expeditionen Reste der Arche fanden. (Aber: Die angeblichen Reste sind nicht vorhanden oder nicht untersuchbar.) 6. Die Wahrscheinlichkeit, dass sich nützliche Merkmale von Lebewesen durch das zufällige Zusammentreffen von Mutationen bilden, ist viel zu gering, als dass die Evolutionstheorie funktionieren könnte. (Einwand: Diese Wahrscheinlichkeit ist meist nicht berechenbar, aber mit Sicherheit ausreichend hoch.) 7. Natürliche Prozesse, die nach einfachen Regeln ablaufen, können keine Information erzeugen. Die Evolution der Lebewesen erzeugt aber Information. Also wäre sie nur mit Hilfe einer planenden Intelligenz möglich. (Einwand: Natürliche Prozesse, die nach einfachen Regeln ablaufen, können unter Energieverbrauch sehr viel Information erzeugen.) Eine Reihe von häufig zu lesenden Annahmen wurden in dieser Liste weggelassen, wie die Geschichte von den menschlichen Fußabdrücken, die neben Saurierspuren entdeckt wurden, oder die These, dass die Evolutionstheorie gegen den zweiten Hauptsatz der Thermodynamik verstoße. Diese Behauptungen bedürfen keiner Widerlegung. Die derzeit gültige Evolutionstheorie geht im Gegensatz zum Kreationismus davon aus, dass alle heute lebenden Wesen von früheren, andersartigen Lebewesen abstammen. Die Veränderung verlief dabei insgesamt (nicht in jedem Einzelfall) hin zu einer höheren Komplexität von Strukturen und Verhaltensweisen. Weiterhin besagt sie, dass die Veränderungen auch (nicht immer) funktionale Anpassungen der Lebewesen an ihre Umwelt waren. Diese Theorie bildete sich bereits im 18. Jahrhundert heraus. Die kausale Erklärung für die Triebkräfte der Veränderung wechselte einige Male, bis die Selektionstheorie nach Darwin und Wallace 1859 einen entscheidenden Fortschritt brachte. Die heutige Theorie weicht zwar in vieler Hinsicht von Darwins Ideen ab, beruht aber immer noch auf einigen seiner zentralen Entdeckungen. Insbesondere brachte die Verbindung der Evolutionsbiologie mit der modernen Genetik entscheidende Veränderungen und Fortschritte mit sich. Der Kreationismus ist nicht imstande, diesen Ergebnissen eine wissenschaftliche Alternative entgegen zu setzen. Autor: Hansjörg Hemminger 12. Positionen der Evangelischen Kirche: Kreationismus - die bessere Wissenschaft? Der Kreationismus (creationism, creation science) ist Teil des protestantischen Fundamen© Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen talismus, wie er sich am Anfang des 20. Jahrhunderts in den USA herausbildete. Dass die Bibel, vor allem in der Urgeschichte, die Grundlage jeder Wissenschaft liefert, ist aus seiner Sicht ebenso klar wie die Überzeugung, dass die Bibel die Grundlage jeder Moral darstellt. Dabei versuchte sich der Kreationismus mit den Mitteln wissenschaftlicher Argumentation zu behaupten. Er beanspruchte, nicht nur eine alternative, sondern die bessere Wissenschaft zu sein. Der Langzeit-Kreationismus (day-age-creationism) deutete die Schöpfungsgeschichte so, dass jeder der sieben Schöpfungstage für einen Äon der Erdgeschichte steht. Auf diese Weise lassen sich der naturwissenschaftliche und der biblische Zeitrahmen harmonisieren. Der Vorzeit-Kreationismus (gap creationism) ging davon aus, dass zwischen die ersten beiden Sätze der Schöpfungsgeschichte eine lange Epoche einzuschieben sei; am Ende dieser Zeit war die Erde „wüst und leer“. Die zweite Schöpfung folgte in sieben Tagen. Beide Entwürfe spielen allerdings heute nur noch eine geringe Rolle. Es dominiert der KurzzeitKreationismus (young earth creationism ), der die sieben Schöpfungstage als Kalendertage auffasst. Je nachdem, ob man die Genealogien der biblischen Urgeschichte (vor allem 1. Mose 5 und 10) als lückenlose Folgen betrachtet oder nicht, kommt man auf ein Weltalter von 6000 bis maximal 12000 Jahren. Deshalb sind seine Aussagen mit nahezu allen Feldern der Naturwissenschaft unvereinbar. Kosmologie, Geologie und Biologie stützen ihre Zeitmessungen auf physikalische Methoden, so dass der Kurzzeit-Kreationismus gezwungen ist, Physik und Geologie neu zu konstruieren. Trotzdem setzte sich in der fundamentalistischen Weltsicht und im politischen Konservativismus der USA diese radikalste Form der Evolutionskritik durch. In letzter Zeit bestimmt noch ein anderes Thema die Diskussion um Bibel und Evolution, nämlich das „intelligent design“. Kreationismus und Politik Einen Höhepunkt erlebte der Kreationismus in den USA in den zwanziger Jahren. Im Jahr 1921 16 Schulfernsehen wurde in Kentucky zum ersten Mal eine Gesetzesvorlage eingebracht, nach der es verboten sein sollte, die Abstammung des Menschen von Tieren an staatlichen Schulen zu lehren. Zwischen 1921 und 1929 gab es ähnliche Vorlagen in 31 Staaten. In Tennessee wurde sie 1925 zum Gesetz (Butler Act), in Mississippi 1926 und in Arkansas 1928. Zum Showdown der Befürworter und Gegner kam es bereits 1925 beim so genannten Affenprozess von Dayton in Tennessee. Ein Lehrer namens John T. Scopes wurde von der „American Civil Liberties Union“ (ACLU) aufgefordert, gegen das Gesetz zu verstoßen, und folglich angeklagt, die Abstammung des Menschen vom Affen gelehrt zu haben. Er wurde zu 100 Dollar Geldstrafe verurteilt, später jedoch vom obersten Gericht Tennessees freigesprochen. Verteidigt wurde er von dem landesweit bekannten Juristen Clarence Darrow, die ACLU übernahm die Prozesskosten. Die Anklage wurde von einem der prominentesten Politiker des Landes als Assistenten der Staatsanwaltschaft unterstützt, nämlich dem mehrfachen demokratischen Präsidentschaftskandidaten und späteren Außenminister William J. Bryan (1860-1925). Im Streit um die Evolution vertrat Bryan einen LangzeitKreationismus. Als Pazifist und Sozialreformer entsprach er nicht dem Bild, das die heutigen Konservativen in den USA abgeben. Wegen der Kriegsgefahr kurz vor dem Eintritt der USA in den Ersten Weltkrieg war er von seinem Amt als Außenminister unter dem Präsidenten Woodrow Wilson zurückgetreten. Für den Kreationismus stellte die öffentliche Debatte trotz des Urteils eine Niederlage dar, denn sein Anliegen war weltweit der Lächerlichkeit preisgegeben. Aber er verschwand keineswegs, sondern wirkte sich auf die Zulassung von Schulbüchern, den Biologieunterricht usw. kontinuierlich aus. Er gehört seither mit seinen inhaltlichen Wandlungen und seinen unterschiedlichen politischen Zwecken zum Bestand konservativen Den- kens in den USA. Nach neuen Umfragen liegt seine Anhängerschaft heute bei 32%, gemessen an der „entschiedenen Ablehnung“ der Evolutionstheorie. Das ist viel mehr als in jedem ande© Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen ren westlichen Industriestaat. In den Gemeinden und Denominationen, in den zahllosen christlichen Privatschulen und -universitäten, im erwecklichen Schrifttum, heute auch im Internet, ist er fest etabliert. Nur aus europäischer Sicht kam es deshalb überraschend, dass Präsident George W. Bush sich 2005 dafür aussprach, in staatlichen Schulen „intelligent design“ zu unterrichten. Ab 1960 verschwand die Vielfalt kreationistischer Ideen immer mehr, und der Kurzzeit-Kreationismus trat in den USA seinen Siegeszug an. Ausgangspunkt war das Buch von J. C. Whitcomb und H. M. Morris „The Genesis Flood“, das versuchte, die Sintflut als historisches Ereignis zu beweisen. Nach Ansicht der Autoren wurden die geologischen Schichten und die Fossilien in ihnen fast alle von einer weltweiten Flut vor rund 6000 Jahren abgelagert. Mit dieser Sichtweise setzten sie sich in den USA durch. Die Suche nach der Arche Noah in der Türkei, in Armenien, im Iran und anderswo blieb zwar vergeblich, trotzdem wurde das Institute for Creation Research (ICR) in Santee bei San Diego (mit dem Präsidenten und späteren Alterspräsidenten Morris, verstorben am 25. Februar 2006) zum Zentrum des Kreationismus in den USA. Ein wesentlicher politischer Grund für den Erfolg war ein Wechsel der Strategie: Es wurde nicht mehr wie zu Scopes Zeiten versucht, die Evolutionstheorie als unamerikanisch verbieten zu lassen. Vielmehr wurden schulmäßige und kreationistische Naturwissenschaft als gleichberechtigte Möglichkeiten dargestellt, die in den Schulen gleichrangig behandelt werden müssten. Die Debatte verschob sich von rechtlichen und politischen Fragen auf Spezialfragen der Naturwissenschaft, die sich der Beurteilung der breiten Öffentlichkeit nur schwer erschließen. Es genügte, plausibel wirkendes und didaktisch gut gemachtes Unterrichtsmaterial vorzulegen, um dem Kreationismus im privaten Schulsystem der USA zu einer großen Verbreitung zu verhelfen. Die zahllosen Publikationen, Internet-Seiten und christlichen Bildungsangebote zu diesem Thema werden außerhalb der USA kaum beachtet. Das staatliche Schulsystem erwies sich jedoch als schwieriges Feld, denn dort verhindert der von der Verfassung vorgegebene Laizismus religiöse Unterweisungen. 1968 entschied das oberste Gericht der USA (Supreme Court), dass der Kreationismus als religiöse Lehre zu betrachten und deshalb in staatlichen Schulen unzulässig sei. Anders lautende Regelungen von Einzelstaaten wurden aufgehoben. Als Kansas 1999 noch einmal versuchte, die Evolutionstheorie in den Schulbüchern durch „intelligent design“ zu ersetzen, musste die Regelung aufgrund einer Intervention 17 Schulfernsehen des Obersten Gerichtshofs schließlich zurückgenommen werden. Wortführer des Kreationismus ist heute noch das Institute for Creation Research, inzwischen mit dem Direktor John Morris, dem Sohn des Gründers. Zu erwähnen ist außerdem die Creation Science Fellowship in Pittsburg, Pennsylvania, die alle vier Jahre eine internationale Konferenz veranstaltet. Die sechste wird 2008 in San Diego zum Thema „Entwicklung und Systematisierung von Schöpfungsmodellen“ stattfinden. Einen Gegenpol dazu bildet die Organisation „Answers in Genesis“ (AiG) des Australiers Ken Ham mit Hauptsitz in Kentucky, die in allen englischsprachigen Ländern und in Japan präsent ist. Eine unduldsame Polemik gegen Andersdenkende nimmt bei ihr viel Raum ein. Die Polemik richtet sich sogar gegen Mit-Kreationisten, die ein höheres Erdalter als 6000 Jahre vermuten. Zum Beispiel wird der britischen Organisation „The Biblical Creation Society“ Kompromisslertum vorgeworfen, weil es in ihr Leute gibt, die eine „Rekolonisation“ der von der Flut verwüsteten Erde in mehreren Wellen über 12.000 Jahre annehmen Schulfernsehen ähnlichen Organisationen in den USA) mit politischem Fanatismus. Von daher entsprechen diese – in Europa nahezu unbekannten – Gruppen eher als das ICR (und viel eher als die deutsche Studiengemeinschaft „Wort und Wissen“) dem Feindbild Fundamentalismus, wie es kirchlich-liberale und säkulare Kreise pflegen. Deutscher Kreationismus Ein Blick in die Geschichte Der Kreationismus in Deutschland verdankt sich dem Einfluss des protestantischen Fundamentalismus der USA auf die evangelikale Bewegung. Dieser Einfluss nahm in den letzten Jahrzehnten stetig zu. Dabei ging die ältere Tradition pietistischer Auseinandersetzung mit der Naturwissenschaft verloren. In einem Teil der evangelikalen Bewegung und in den meisten Freikirchen gehört der Kreationismus inzwischen zur Weltdeutung. Ohne die in den USA herrschende Aufgeregtheit, aber auch ohne Interesse für wissenschaftliche Fragen, hält man es für selbstverständlich, dass die Bibel recht und die Naturwissenschaft unrecht hat. Insofern ist der Kreationismus ein Indikator dafür, wie weit die Amerikanisierung des Evangelikalismus in Europa reicht. Im erwecklichen Protestantismus der Vor- und Nachkriegszeit spielte das Thema „Evolution“ nämlich eine viel geringere Rolle als heute. Autor: Hansjörg Hemminger 13. Positionen der Evangelischen Kirche: Wort und Wissen und die Fossilschichten diesen Wellen zuordnen. „Answers in Genesis“ beschäftigte 2006 über 160 hauptamtliche Mitarbeiter und plante die Eröffnung eines Naturkundemuseums für mehrere Millionen Dollar. Ähnlich agiert „The Creation Science Association for Mid-America“ (CSA) in Kansas, die ebenso wie „Answers in Genesis“ an dem erwähnten Streit um den naturwissenschaftlichen Unterricht in Kansas beteiligt war. In der Selbstdarstellung von CSA im Internet heißt es: „Die verbreitete Akzeptanz dieser falschen Ursprungsidee hat körperlichen Schaden für Millionen Menschen allein in diesem Jahrhundert und Gesetzlosigkeit in unserer Gesellschaft verursacht, und unzähligen Menschen eine gute Beziehung zu ihrem Schöpfer genommen.“ Der Anspruch, ein „reborn Christian“ zu sein, verbindet sich bei AiG und CSA (und vielen anderen © Bayerischer Rundfunk Die wichtigste kreationistische Organisation im deutschen Sprachraum ist die 1979 – unter dem Einfluss des US-Kreationismus – von Theodor Ellinger und Horst W. Beck gegründete Studiengemeinschaft „Wort und Wissen“ mit Sitz in Baiersbronn (Nordschwarzwald). Beck gehört dem Werk aufgrund theologischer Differenzen allerdings seit Jahren nicht mehr an. Der Professor für Betriebswirtschaft Ellinger war von 1980 bis 1997 dessen Vorsitzender, auf ihn folgte der Mikrobiologie Siegfried Scherer (Universität München). Neuer Vorsitzender wurde als Nachfolger Scherers Anfang 2006 der Arzt Henrik Ullrich aus Riesa (Sachsen), zweiter Vorsitzender der Universitätsprofessor für pharmazeutische Chemie Peter Imming aus Halle. Das Werk lehnt den Begriff Kreationismus als Selbstbezeichnung ab. Bevorzugt wird der Begriff Schöpfungslehre. Polemische Exzesse, wie sie in den USA die Regel sind, findet man eher selten. Siegfried Scherer ist gemeinsam mit dem langjährigen Geschäftsführer Reinhard Junker Autor des Schulbuchs „Evolution – ein kritisches Lehr18 Schulfernsehen buch“ (s.u.). Nicht direkt von „Wort und Wissen“ stammt die empfohlene Lehrbuchversion für jüngere Kinder: Creatio. Biblische Schöpfungslehre. Neben diesen Lehrbüchern gibt „Wort und Wissen“ eine Fachzeitschrift und Fachbroschüren heraus und vertreibt Literatur für alle Zielgruppen, bis hin zu Kinderbüchern. Weiterhin wird der Film von Fritz Poppenberg unterstützt: „Hat die Bibel doch recht? Der Evolutionstheorie fehlen die Beweise“. Seit ihrer Gründung verzeichnet die Studiengemeinschaft ein moderates Wachstum und hat sich im freikirchlichen und teilweise im konservativen landeskirchlichen Raum als Autorität für die Ablehnung der Evolutionstheorie etabliert. Sie verfügt über einen Unterstützerkreis von mehreren tausend Personen, der fünf haupamtliche Stellen finanziert (Stand 2006). Auch wenn das im Vergleich zu „Answers in Genesis“ wenig sein mag: „Wort und Wissen“ ist vermutlich die personell und wissenschaftlich am besten ausgestattete kreationistische Organisation in Europa. Sogar „The Biblical Creation Society“ in Großbritannien kann nur eine hauptamtliche Kraft bezahlen (Stand 2006). Worum geht es? Für „Wort und Wissen“ ist das christliche Zeugnis der Bibel auf die historische, faktische Richtigkeit der Urgeschichte angewiesen. Begründet wird dies damit, dass das Christuszeugnis des Neuen Testaments mit der Urgeschichte verknüpft sei. Zum Beispiel schreibt Paulus in Römer 5,12: „Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod, und auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen...“ In Vers 14 heißt es weiter: „Adam aber ist die Gestalt, die auf den Kommenden hinweist.“ Wenn es die historische Gestalt des Adam als ersten Menschen nicht gegeben habe, stünde auch die historische Gestalt des Christus in Zweifel. Weiterhin wird auf die Aussage des Paulus verwiesen, es sei „durch die Übertretung des Einen der Tod zur Herrschaft gekommen“ (Römer 5,17). Hätte die biologische Evolutionstheorie recht, so das Argument, wäre jedoch der Tod nicht Folge des Sündenfalls, sondern von Anfang an Instrument des Schöpfungswillens Gottes gewesen. Denn die Entstehung der heutigen Arten – und des Menschen – über zahllose Generationen sich verändernder Lebewesen setzt deren Sterben voraus. Nach biblischer Auffassung sei der Tod jedoch kein Teil der ursprünglichen Schöpfung. Daher erzwinge es die Autorität der Schrift und das Bekenntnis zur Liebe Gottes, nicht nur die Evolutionsmechanik Darwins zu verwerfen, sondern auch die Abstammungslehre. Das Werk geht davon aus, dass die Geschichte der Lebewesen und des Menschen © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen seit dem Sündenfall rund 10000 Jahre lang war, dass also Leben und Werk des Christus etwa 8000 Jahre nach dem Sündenfall anzusetzen sind. Das Sintflut-Ereignis ist in die Epoche zwischen Sündenfall und Inkarnation einzuschieben, wobei sich „Wort und Wissen“ anders als das ICR in San Diego nicht auf eine Datierung festlegt. Dessen Idee, dass fast alle geologischen Schichten Ablagerungsprodukte der Sintflut sein sollen, steht man ebenso wie „The Biblical Creation Society“ und andere europäische Kreationisten skeptisch gegenüber. Das theologische Argument lautet demnach: Die Rechtfertigungsbotschaft des Neuen Testaments, der Kern christlichen Lebens und Denkens, ist mit der Evolutionstheorie nicht vereinbar. Diesem Argument ist theologische Ernsthaftigkeit zuzugestehen. Allerdings verbirgt sich hinter der systematischen Argumentation ein Schriftverständnis, das den Glauben doch wieder durch die Faktizität von Bibeltexten sichern will. Denn warum sollte es ein Problem sein, dass Paulus seine Botschaft vom alten Menschen, für den Adam steht, und vom neuen Menschsein in Christus mit Hilfe der Vorstellungen seiner Zeit formuliert? Wenn uns Gottes Wort in der Bibel durch Menschen und durch das Menschenwort hindurch erreicht, dann ist weder die Sprache des Paulus noch das Schöpfungszeugnis der Urgeschichte ein Problem für ein modernes Natur- und Geschichtsverständnis. Wenn Bibeltexte überzeitlich und gottesunmittelbar zu verstehen sind, dann entstehen solche Probleme überall, nicht nur in der Urgeschichte, sondern in der Ethik, der Weltgeschichte und so weiter und so fort. Der Widerspruch zwischen Rechtfertigungslehre und Evolutionstheorie hängt an einer biblizistischen Deutung der Paulusworte; ohne diese Deutung löst er sich auf. Allerdings löst sich die Frage der Theodizee, der Rechtfertigung Gottes, nicht mit auf. Denn in der Tat folgt aus unserem heutigen Naturwissen, dass der Tod von Anfang an Teil des Schöpfungshandelns Gottes war. Die Urgeschichte der Bibel spricht auch nicht von einer goldenen Urzeit ohne Leid und Tod, sondern von einem Garten, den Gott dem ersten Menschen anvertraute. Die Symbolik dieser Geschichte zielt auf einen Verlust ab, auf eine ungebrochene Gottesbeziehung, die es nicht mehr gibt. Die Frage der Theodizee setzt bereits hier ein und wird durch die moderne Evolutionstheorie höchstens zusätzlich betont. Auch die Mikroevolution, die nach Ansicht von „Wort und Wissen“ nach der Sintflut ablief, setzt den Tod unschuldigen Lebens voraus. Warum für die Sünde der Menschen seit 8000 Jahren andere Lebewesen sterben, ist nicht einsichtiger als die Tatsache, dass der Tod überhaupt zur Schöp19 Schulfernsehen fung gehört. Man entkommt als Christ der dunklen, verborgenen Seite der Schöpfung Gottes nicht, weder als Kreationist noch als Naturwissenschaftler, was von „Wort und Wissen“ übrigens auch eingeräumt wird. Autor: Hansjörg Hemminger 14. Positionen der Evangelischen Kirche: Ein kreationistisches Schulbuch Das wichtigste Produkt von „Wort und Wissen“ ist das Schulbuch „Entstehung und Geschichte der Lebewesen“ von Reinhard Junker und Siegfried Scherer (erste Auflage Gießen 1986), das fünf Auflagen erreichte. Es wurde durch „Evolution – ein kritisches Lehrbuch“ ersetzt, das inzwischen ebenfalls sechs Auflagen erzielte. Eine Anerkennung durch die Kultusministerien der Länder hat das Buch nicht, es wird aber in den inzwischen über 70 Evangelischen Bekenntnisschulen in Deutschland (die nicht identisch sind mit Privatschulen in der Trägerschaft der Landeskirchen) verwendet. Sein wichtigstes Theorieelement ist die Unterscheidung von Mikro- und Makroevoluti- on sowie die Beschränkung der speziellen Schöpfung auf die „Grundtypen“ der Lebewesen. Es wird argumentiert, dass sich die Vielfalt der Lebewesen in Grundtypen aufgliedern lasse, die jeweils mehrere bis viele heutige Arten umfassen. Zum Beispiel stammten fast alle heutigen Entenvögel (Enten, Gänse, Schwäne und einige andere Arten) von einem Grundtyp ab, und die Vielzahl der Arten habe sich durch Mikroevolution herausgebildet. Dabei sei der Mechanismus von Mutation und Selektion durchaus wirksam gewesen, aber nur im Rahmen der Flexibilität, die der Grundtyp „Entenvogel“ von Anfang an mitgebracht habe. Mit anderen Worten: Es gibt laut „Wort und Wissen“ eine Mikroevolution, aber keine Makroevolution. Theologisch wird diese Theorie so gedeutet, dass Gott in den sieben Tagen der Schöpfung nur die Grundtypen geschaffen habe und dass auch nur Grundtypen von Landtieren in der Arche gewesen seien, um sie vor der Sintflut zu retten. Dadurch © Bayerischer Rundfunk Schulfernsehen wird die Sintflutgeschichte als historisches Ereignis zwar auch nicht möglich, aber die Unmöglichkeit ist weniger auffällig. Die höchstens 8000 Jahre seit der Sintflut hätten nach „Wort und Wissen“ ausgereicht, um aus den Grundtypen die heutigen Arten hervorgehen zu lassen. Dass es so gewesen sein könnte, würde den Autoren allerdings kein Evolutionsbiologe zugestehen. Die Idee, dass so unterschiedliche Vögel wie Höckerschwan und Gänsesäger in einer Stammesgeschichte von weniger als 8000 Jahren aus einem gemeinsamen Vorfahren entstanden sein könnten, stimmt mit dem, was die Biologie über Veränderungsgeschwindigkeiten der Arten weiß, ganz und gar nicht überein. Aber diese und andere Schwierigkeiten oder Unmöglichkeiten der Schöpfungslehre von „Wort und Wissen“ seien hier beiseite gelassen. Positiv anzumerken ist, dass das Buch sich im Umgang mit Andersdenkenden um Fairness bemüht. An keiner Stelle wird auch nur angedeutet, dass Christen, die nicht kreationistisch denken, deshalb nicht als Christen anzusehen seien. Die Person Charles Darwin wird historisch richtig beschrieben. Verschwörungstheorien, nach denen Darwin einen gezielten Angriff auf den Glauben inszeniert habe, finden sich bei „Wort und Wissen“ nicht. Von dieser Fairness sollten wissenschaftliche Gegner des Kreationismus lernen. Bevor man „Wort und Wissen“ mit Häme überzieht, sollte man sich überlegen, ob man sich im deutschen Sprachraum Fanatiker vom Schlag „Answers in Genesis“ wünscht. Weiterhin ist positiv anzumerken, dass sich das Buch um die Trennung von wissenschaftlichen und religiösen Argumenten bemüht. Unter dem Stichwort „Grenzüberschreitung“ wird jeweils markiert, wenn Argumente nicht mehr innerhalb der biologischen Wissenschaft angesiedelt sind. Diese Tugend wird von Naturwissenschaftlern bei öffentlichen Äußerungen selten geübt. Nur zu oft ist kaum ersichtlich, ob Kritik am Kreationismus dessen naturwissenschaftlichen Aussagen gilt oder ob ein agnostischer Wissenschaftler seine Weltsicht verteidigt. Dogmatismus im Sinn eines geschlossenen Denksystems kann man dem Lehrbuch nicht vorwerfen. Allerdings gibt es nicht nur inhaltliche Grenzüberschreitungen bei der Deutung wissenschaftlicher Befunde. Es gibt auch methodische Grenzüberschreitungen, im Fall des Kreationismus dadurch, dass der Naturwissenschaft biblizistische Vorgaben gemacht werden. Dem Kreationismus wird vorgehalten, dass er insgesamt auf einer solchen Grenzüberschreitung beruhe. Forschung, so heißt es, werde überhaupt nur im Rahmen dessen für legitim gehalten, was die Bibel (angeblich) 20 Schulfernsehen über Natur und Welt festlegt. Für viele Kreationisten trifft dieser Vorwurf unstreitig zu. Die Studiengemeinschaft „Wort und Wissen“ bestreitet aber, die Forschung von vornherein begrenzen zu wollen. Aus ihrer Sicht ist die Schöpfungslehre hinreichend naturwissenschaftlich begründet, um sie ohne Rückgriff auf theologische Argumente zu vertreten. Unzulänglichkeiten und Unerklärtes werden eingeräumt. Aber diesbezüglich stehe es – so das Argument – in der Wissenschaft nicht anders. Daher behandelt das Lehrbuch die so genannte Evolutionslehre und die Schöpfungslehre von „Wort und Wissen“ als wissenschaftliche Alternativen. Ob sie dies tatsächlich sind, ist die entscheidende Frage. Denn das Unternehmen Schulfernsehen „Wort und Wissen“ – nicht nur sein Lehrbuch – lebt von der Behauptung, dass seine Theorien eine eigene wissenschaftliche Plausibilität hätten und die Theologie erst danach als Deutungsrahmen in den Blick käme. Hätte das Werk damit recht, wäre sein Vorgehen methodisch nicht zu beanstanden. Dem steht allerdings das einhellige wissenschaftliche Urteil entgegen, dass die Position von „Wort und Wissen“ keine wissenschaftliche Plausibilität hat. Sie bezieht ihre Plausibilität aus theologischen Vorgaben. Dieses Urteil trifft auch aus Sicht des Autors zu, ohne dass es in diesem Rahmen im Einzelnen begründet werden kann. Hansjörg Hemminger Didaktische Hinweise Die Sendung kann in den Fächern Ethik, Religionslehre, Natur und Technik sowie Biologie ab der 6. Jahrgangsstufe eingesetzt werden. Aufgrund der komplexen Thematik empfiehlt sich der Einsatz ab der 8. Jahrgangsstufe. Lehrplanbezüge (Bayern) Mittelschule 9. Jgst. PCB 9.4 Entwicklung des Menschen Ausgehend von der Frage: „Woher kommt der Mensch?“ erhalten die Schüler einen Einblick in heutige Vorstellungen vom Ablauf und der Dauer der Evolution des Menschen. 9.4.2 Evolution des Menschen - Stammesgeschichte des Menschen (im Überblick) - biologische und kulturelle Evolution beim Menschen Realschule 6. Jgst. Biologie 6.2 Stammesgeschichtliche Entwicklung Die Schüler vergleichen lebende und fossile Wirbeltiere und gewinnen dabei eine Vorstellung von verwandtschaftlichen Beziehungen. Sie stoßen auf Erscheinungen, die als Belege für die Entwicklungsgeschichte gelten. Die Schüler begreifen, dass Lebewesen und Umwelt sich in dauerhafter Veränderung befinden und dass das Hervorbringen mannigfaltiger Lebewesen nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten erfolgt. Indizien für eine stammesgeschichtliche Entwicklung (Fossilien; Mosaikformen; Entwicklungslinie eines Wirbeltiere). Erklärungen für die Artenvielfalt (Beispiele für das Zusammenwirken von Veränderung und Auslese; die Veränderungen eines Individuums von denen einer Art unterscheiden; Artenvielfalt) 8. Jgst. Katholische Religionslehre 8.6 Unserer Sorge anvertraut: die Welt als Schöpfung Gottes Die Schüler erleben die Welt als faszinierend und besorgniserregend zugleich. Dies kann ihr Interesse wecken, sich mit Fragen nach Ursprung, Sinn und Zukunft unserer Welt auseinander zu setzen. Die Welt, in der wir leben: sie lädt zum Staunen ein und macht betroffen; Menschen fragen nach Ursprung und Sinn (auch eigene Deutungen versuchen) - Gen 1, 1 – 2,4a: die Botschaft der Schöpfungserzählung im Kontext ihrer Entstehungsgeschichte; ggf. auch Gen 2, 4b – 25; biblische Schöpfungserzählung und Evolutionstheorie als einander ergänzende Erklärungen; die Welt als „Schöpfung Gottes“ oder „Zufall“ – gegensätzliche Sichtweisen mit unterschiedlichen Folgerungen und Auswirkungen © Bayerischer Rundfunk 21 Schulfernsehen Schulfernsehen 10. Jgst. Biologie 10.4 Biologische und kulturelle Evolution des Menschen Die Schüler erschließen sich wichtige Abschnitte der stammesgeschichtlichen Entwicklung des Menschen. Sie erkennen, dass seine geistige Entwicklung mit der kulturellen eng verzahnt ist. Mit dem Nachvollziehen der Entwicklungsgeschichte des Menschen wird auch die Frage nach der Zukunft des Menschen und seines Lebensraumes gestellt. Stammesgeschichte des Menschen (Geschichte der Evolutionstheorien; Stellung des Menschen im System der Primaten; Stammbaum des Menschen: fossile, paläoanthropologische und genetische Belege; Herkunft des Menschen (Out-of-Africa-Theorie) Evangelische Religionslehre 10.1 Die Frage nach Gott Die Jugendlichen erfahren, dass man sich Gott auf unterschiedlichen Wegen nähern kann. Beispiele verdeutlichen, dass Gottesvorstellungen auch einem Wandel unterworfen sind. Anhand dieser Beispiele und der Herausforderungen, die sich durch die Aufklärung ergeben, erkennen die Heranwachsenden, wie schwierig es ist, Antworten auf die Frage nach Gott zu finden. Sie erfahren, wie Menschen heute verantwortlich von Gott sprechen, und finden Unterstützung bei der Suche nach einer eigenen Position. Streit um den Gottesglauben (die Aufklärung und die Folgen, Glaube und Naturwissenschaft, z. B. anhand der biblischen Schöpfungsgeschichten) Gymnasium 5. Jgst. Natur und Technik 5.2 Schwerpunkt Biologie 5.2.1 Der Biologie – die Lehre von den Lebewesen (Auftreten wichtiger Gruppen im Verlauf der Erdgeschichte: Einzeller, Pflanzen, Tiere, Mensch) 6. Jgst. Natur und Technik 6.1 Schwerpunkt Biologie 6.1.1 Wirbeltiere in verschiedenen Lebensräumen (Verwandtschaft der Wirbeltiere: vereinfachter Stammbaum; zeitliche Abfolge des Auftretens wichtiger Gruppen) 8. Jgst. Biologie Mit dem Evolutionsgedanken als Leitfaden begreifen die Schüler die Artenvielfalt als Ergebnis eines fortwährenden Prozesses. Anhand wesentlicher Aussagen der Evolutionstheorie gewinnen sie auf verschiedenen Organisationsebenen einen Einblick in die dynamische Wechselwirkung von Bau und Angepasstheit der Organismen bei sich verändernden Umweltbedingungen. Die Auseinandersetzung mit Hypothesen zur stammesgeschichtlichen Entwicklung des Menschen und seiner Einbindung in das natürliche System trägt zu einem naturwissenschaftlich begründeten Selbstverständnis bei. 8.3 Evolutionstheorie: eine naturwissenschaftliche Erklärung zur Entstehung der Arten Den Schülern wird deutlich, dass die Vorstellung eines fortlaufenden Evolutionsgeschehens durch zahlreiche Indizien gestützt wird, anhand derer sich auch der Verlauf der Stammesgeschichte grundsätzlich rekonstruieren lässt. Mit der auf Darwin zurückgehenden Evolutionstheorie lernen sie ein tragfähiges Erklärungsmodell kennen, das auch auf die Evolution des Menschen anwendbar ist Evolutionsforschung - Belege des evolutionären Wandels: Fossilien, Brückentiere - Methoden zur Beurteilung von Ähnlichkeiten und zur Rekonstruktion der Stammesgeschichte: Homologie und Analogie - Evolutionstheorie: Variabilität durch Bildung genetisch verschiedener Nachkommen; Selektion: Vorteile durch Tarnen, Warnen und Schrecken Evolution des Menschen - Hypothesen zur stammesgeschichtlichen Entwicklung des Menschen; wichtige Etappen - Einordnung des Menschen in das natürliche System © Bayerischer Rundfunk 22 Schulfernsehen Schulfernsehen Evangelische Religionslehre 8.1 Leben in Gottes Schöpfung und Geschichte Die Schüler sollen sich ihrer eigenen Vorstellungen von Welt und Zeit bewusstwerden und sie mit anderen Sichtweisen und deren Auswirkungen auf das Lebensgefühl vergleichen. Sie sollen lernen, mit der Spannung zwischen Aussagen der Naturwissenschaften und Aussagen des Glaubens an Gott, den Schöpfer, sachgemäß umzugehen. Den biblisch.christlichen Schöpfungsglauben im Kontext anderer Sichtweisen von Welt kennenlernen - Weltsichten der Schüler; ein Schöpfungsmythos; naturwissenschaftliche Theorien, z. B. Urknall, Evolution - Begegnung mit biblischen Aussagen zur Schöpfung: Zugangsmöglichkeiten und Zugangsschwierigkeiten - Grundzüge christlichen Schöpfungsglaubens - Wechselwirkung von Weltbild und Lebensgefühl, Lebensstil, Lebensführung Katholische Religionslehre 8.1 Gottes Schöpfung – Gabe und Aufgabe für den Menschen Jugendliche betrachten die biblischen Schöpfungsgeschichten oft als naturalistische Berichte, die einer überholten Weltauffassung entstammen. Deshalb soll ihnen einsichtig werden, dass es unterschiedliche Sichtweisen gibt, die Wirklichkeit zu befragen: Während es den Naturwissenschaften um Erklärungsmodelle geht, versuchen Ursprungserzählungen Lebensorientierung zu stiften. In biblischen Schöpfungstexten entdecken die Schüler grundlegende Aussagen über die Stellung des Menschen in der Welt. In der Auseinandersetzung damit werden sie sich der Verantwortung für die Schöpfung angesichts heutiger Gefährdungen bewusst. - komplementäre Sicht der Wirklichkeit: Staunen über die Schöpfung, z. B. Sonnengesang (Franz v. Assisi); naturwissenschaftliches Wissen über die Entwicklung von Welt und Leben, z. B. Urknall, Evolution; symbolische Weltdeutung in einer Ursprungserzählung, z. B. babylonischer, indianischer Schöpfungsmythos - biblische Schöpfungserzählungen (Gen 1,1-2,4a; 2,4b-25) – keine Berichte, sondern Grundaussagen zur Lebensorientierung vor dem Hintergrund ihrer Entstehungszeiten: Mensch als Geschöpf und Ebenbild Gottes 12. Jgst. Biologie 12.1 Evolution Durch vergleichende Betrachtung erkennen die Schüler die Ähnlichkeit rezenter und fossiler Arten und begreifen diese als Dokumente der Evolution. Formenvielfalt und Angepasstheit der Lebewesen verstehen sie als Ergebnis eines langen stammesgeschichtlichen Entwicklungsprozesses. Der bereits aus der Mittelstufe bekannten Theorie Darwins werden andere Erklärungsansätze gegenübergestellt und die verschiedenen Modelle in Hinblick auf ihre wissenschaftliche Aussagekraft diskutiert. Die Schüler erweitern das Konzept Darwins und lernen mit der synthetischen Evolutionstheorie eine alle biologischen Teildisziplinen verbindende Theorie kennen, die unser Weltbild beeinflusst und die Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis berührt. Bei der Rekonstruktion stammesgeschichtlicher Vorgänge und der Entwicklung des Lebens setzen sie sich mit Voraussetzungen und Mechanismen von Evolutionsprozessen auseinander. Im Zusammenhang mit Fragestellungen der Hominisation beschäftigen sich die Schüler mit anatomischen Veränderungen, der Ausbildung kognitiver Fähigkeiten und der Entstehung eines moralischen Bewusstseins. Evolutionsforschung - Gemeinsamkeiten und Vielfalt fossiler und rezenter Organismen als Dokumente der Evolution - Entwicklung des Evolutionsgedankens: vergleichende Betrachtung der Erklärungsansätze von Cuvier, Lamarck und Darwin; Auswirkungen auf Ordnungssysteme; morphologischer und biologischer Artbegriff - Beurteilung von Ähnlichkeiten zur Rekonstruktion der Stammesgeschichte: Mechanismen der Evolution - Zusammenspiel von Evolutionsfaktoren aus der Sicht der erweiterten Evolutionstheorie - Allelfrequenzänderung durch Mutation und Rekombination (Bedeutung für die Evolutionsgeschwindigkeit), Selektion (Formen), Gendrift - Rassen- und Artbildung infolge reproduktiver und geographischer Isolation; adaptive Radiation an einem Beispiel © Bayerischer Rundfunk 23 Schulfernsehen Schulfernsehen Evolutionsprozesse - Hypothesen zu den Anfängen des Lebens: chemische Evolution, erste hypothetische Zellen, Ernährungsformen, Vielzelligkeit - Evolutionsschübe nach Massenaussterben Evolution des Menschen - Einordnung des Homo sapiens im System anhand anatomischer, chromosomaler und molekularer Merkmale - Zusammenwirken verschiedener Faktoren bei der Hominiden-Entwicklung: Umweltveränderungen, anatomisch-morphologische Veränderungen, soziale und kulturelle Evolution Lernziele Die Schülerinnen und Schüler sollen: • Über die unterschiedlichen kreationistischen Strömungen und ihre zentralen Aussagen Bescheid wissen; • die politischen, religiösen und weltanschaulichen Hintergründe des Kreationismus verstehen; • die zentralen Thesen der Evolutionstheorie (Mutation und Selektion) begreifen; • für die Mechanismen und Angriffspunkte kreationistischer Propaganda sensibilisiert werden; • kreationistische Ansätze kritisch hinterfragen und auf ihre wissenschaftliche Haltbarkeit überprüfen; • die wichtigsten Antworten der evangelischen und katholischen Kirche auf den Kreationismus kennen; • sich ein eigenes Urteil über die Kreationismusdebatte bilden. Anregungen Die Sendung ist für den Einsatz im Biologieunterricht ab der 7. Jahrgangsstufe geeignet. Sie eignet sich jedoch vor allem für das fächerverbindende Arbeiten, an dem sich zusätzlich Religion (Kreationismus und Evolution) bzw. Ethik sowie das Fach Englisch (Darwin: On the Origin of Species ) beteiligen können. Die Faktenkapitel 1-7 geben die Thesen der interviewten Experten und Kreationismusbefürworter im Wortlaut wieder und eignen sich daher besonders als Diskussionsgrundlage sowie zur Nachbearbeitung des Films. Die weiteren Faktenkapitel ermöglichen ein tieferes Einsteigen in die Thematik und eignen sich als Grundlage für Gruppenarbeiten sowie zur Vorbereitung für Referate. Literaturhinweise Hansjörg Hemminger: Und Gott schuf Darwins Welt: Schöpfung und Evolution, Kreationismus und intelligentes Design. Gießen [Brunnen Verlag] 2009. Ulrich Kutschera (Hrsg.) Kreationismus in Deutschland. Fakten und Analysen. Münster [LIT Verlag] 2007. Links http://www.thomas-junker-evolution.de/Evolutionstheorie/1,000000220578,8,1 http://www.thomas-junker-evolution.de/Kreationismus-/-ID/1,000000216860,8,1 http://www.thomas-junker-evolution.de/ Positionen des Evolutionsbiologien Dr. Thomas Junker zu Kreationismus und Intelligent Design http://www.wort-und-wissen.de/ Homepage der Studiengemeinschaft Wort und Wissen © Bayerischer Rundfunk 24 Schulfernsehen Schulfernsehen http://giordanobrunostiftung.wordpress.com/2009/07/24/kreationismus-in-deutschland/ Drei Videobeiträge zum Kreationismus http://fowid.de/ Portal der "Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland" (fowid) mit umfassenden empirischen Informationen zu allen Aspekten von Weltanschauungen. http://www.weltanschauungsbeauftragte.elk-wue.de/ Homepage Weltanschauungsbeauftragte der Evangelischen Landeskirche in Württemberg http://www.weltanschauungsbeauftragte.elk-wue.de/fileadmin/mediapool/einrichtungen/E_weltanschauungsbeauftragte/DoksH-N/Kreationismus_PDF.pdf Information zum Kreationismus des Weltschauungsbeauftragten der Evangelischen Kirche Intelligentes Design und Fundamentalismus http://www.stjosef.at/dokumente/evolutio.htm Christliches Menschenbildund moderne Evolutionstheorien. Botschaft von Papst Johannes Paul II. http://www.answersingenesis.org/home/area/bios/a_snelling.asp Informationen zu Dr. Andrew Snelling © Bayerischer Rundfunk 25