Belletristik - Büchereien Wien
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Belletristik - Büchereien Wien
1 neue Wiener ücherbriefe Die Rezensionszeitschrift der Büchereien Wien 1 / 2009 Eva Rossmann: Leben lassen Chuck Palahniuk: Bonsai „Palahniuk ist ein radikaler Erzähler, seine Zeilen haben Speed, seine Bilder beschleunigen sich zu radikalen Kamerafahrten.“ Die Zeit Editorial Belletristik ........................ ........................ 2 3 „Der elfte Mira-Valensky-Krimi ist einer der Besten. Er hat gutes Essen, er hat die Angst, und Glück hat er auch.“ Kurier 2 Editorial IMPRESSUM ÖFFNUNGSZEITEN Medieninhaber und Verleger Büchereien Wien Am Gürtel Verein der Freunde der Büchereien Wien, unterstützt Mo–Fr 11.00–19.00 Uhr von der Magistratsabteilung 13. Sa 11.00–17.00 Uhr Redaktion Meidlinger Hauptstraße 73 Redaktionsleitung: Dr. Erich Schirhuber. Redaktion: Dr. Walter Ertl, Eva Fritschen, Peter Interkörner, Rudolf Mo–Fr 11.00–19.00 Uhr Kraus, Mag. Claus Oszuszky, Beate Wegerer. Stützpunktbüchereien und Endredaktion: Mag. Robert Buchschwenter. Bücherei Liesing Adresse von Medieninhaber und Redaktion (Breitenfurter Straße 358) Urban-Loritz-Platz 2a, 1070 Wien Tel.: (43 1) 4000-84502, Fax: (43 1) 4000-99510 E-Mail: erich.schirhuber@buechereien.wien.at Mo und Fr 11.00–18.00 Uhr Di, Mi, Do 14.00–18.00 Uhr Bezirksbüchereien und Grafik & Satz Zweigstellen Mag. Anna Bertsch, Mag Bastian Hörmann Montag 10.00–12.00 Uhr 1160 Wien, Ottakringer Straße 29/18 14.00–19.00 Uhr E-Mail: buchschwenter@witcraft.at Dienstag 14.00–18.00 Uhr Druck Buch- u. Offsetdruckerei Karl Werner KG, 1070 Wien, Lerchenfelder Straße 37; Tel.: 523 81 76 Mittwoch geschlossen Donnerstag 10.00–12.00 Uhr 14.00–18.00 Uhr Freitag 14.00–18.00 Uhr Abonnement Wer die „Neuen Wiener Bücherbriefe“ zugeschickt bekom men möchte, soll uns schreiben (Neue Wiener Bücherbriefe, Urban-Loritz-Platz 2a, 1070 Wien). Wir schicken Ihnen das Heft regelmäßig zu und legen dann und wann einen Erlagschein mit der Bitte um eine Spende bei. Im System der Büchereien Wien gibt es unter schiedlich große Filialen. Die Hauptbücherei ist die größte Bibliothek. Neben den sechs großen Stützpunktbüchereien existieren in nahezu allen Wiener Gemeindebezirken mittelgroße Bezirksbüchereien. Größere und kleinere „Zweigstellen“ komplettieren die Büchereistruktur. Die Filialen haben unterschiedliche Buchbestände. Sollten Sie die gewünschten Bücher in Ihrer Zweigstelle nicht bekommen, gibt es die Möglichkeit, über die Ringleihe zu den gewünschten Titeln zu kommen. Fragen Sie Ihre(n) BibliothekarIn! Direktion der Büchereien Wien Am Gürtel (Hauptbibliothek) Urban-Loritz-Platz 2a, 1070 Wien Tel.: (+43 1) 4000 84500 Sie können unseren Buchbestand auch direkt über Internet abrufen: http://www.buechereien.wien.at unter den Angeboten der Stadt Wien im Internet „Wien Online“ im Verzeichnis Kultur unter „Literatur, Bibliotheken und Archive“ ADRESSEN Stützpunktbüchereien: 3., Erdbergstr. 5–7, Tel.: 711 34/03161 • 4., Favoritenstraße 8, Tel.: 50234/ 04161 • 12., Meidlinger Hauptstraße 73 (Arcade), 4000 12160 • 11.,Dommesgasse 6, Tel.: 740 34/11165 oder 11166 • 19.,Billrothstraße 32, Tel.: 360 34/19160 • 22., Bernoullistraße 1, Tel.: 21123/22161 Bezirksbüchereien: 2., Zirkusgasse 3, Tel.: 214 64 80 • 2., Engerthstraße 197/3, Tel.: 21 106/02-161 • 5., Pannaschgasse 6, Tel.: 54 634/05161 • 6., Gumpendorfer Straße 59–61, Tel.: 58 72 830 • 10., AdaChristen-Gasse 2, Tel.: 689 19 66 • 10., Laxenburger Straße 90a, Tel.: 605 34/10161 • 13., Hofwiesengasse 48, Tel.: 80 40 676 • 14., Hütteldorfer Straße 130, Tel.: 870 34/14 161 • 14., Linzer Straße 309, Tel.: 416 59 37 • 15., Schwendergasse 39–43, Tel.: 893 69 47 • 16., Schuhmeier platz 17, Tel.: 49 25 126 • 16., RosaLuxemburg-Gasse 4, Tel.: 48 66 144 • 17., Hormayrgasse 2, Tel.: 401 19/17-160 • 18., Weimarer Straße 8, Tel.: 405 42 90 • 20., Pappenheimgasse 10–16/5, Tel.: 333 10 52 • 21., Brünner Straße 36, Tel.: 278 13 45 • 23., Anton-Baum gartner-Straße 44, Tel.: 667 89 03 • 23., Breitenfurter Straße 358, Tel.: 865 26 38 Zweigstellen: 3., Fasangasse 35–37, Tel.: 798 99 70 • 3., Rabengasse 6, Tel.: 715 71 54 • 9., Simon-DenkGasse 4–6, Tel.: 315 48 66 • 10., Hasengasse 38, Tel.: 60 73 311 • 11., Rosa-Jochmann-Ring 5/1/2, Tel.: 740 34/11160 • 12., Am Schöpfwerk 29/7, Tel.: 667 89 49 • 15., Hütteldorfer Straße 81a, Tel.: 982 41 95 • 19., Heiligenstädter Straße 155, Tel.: 318 67 24 • 19., Hutweidengasse 24, Tel.: 367 94 77 • 20., Leystraße 53, Tel.: 332 07 37 • 21., Kürschnergasse 9, Tel.: 259 85 20 • 21., Brünner Straße 138, Tel.: 292 88 42 • 22., Erzherzog -Karl-Straße 169, Tel.: 285 65 51 • 22., Schüttaustraße 39, Tel.: 269 32 51 • 22., Siegesplatz 7, Tel.: 280 84 10 Bücherbus Ausfahrt Montag bis Freitag 14.00–18.00 Uhr Tel.: 4000/84571, 84572, 84573 Hausbesuchsdienst: Tel.: 4000/84 5 22 3 Belletristik Krimi & Thriller Beckett, Simon: Leichenblässe Hamburg: Rowohlt, 2009. 413 S., EUR 20,50 Nach den großen Erfolgen von „Chemie des Todes“ und „Kalte Asche“ ist nun mit „Leichenblässe“ das dritte Buch rund um den forensischen Anthropologen David Hunter erschienen. In „Kalte Asche“ ist David nach einem heimtückischen Messerattentat nur knapp dem Tod entkommen, seine Beziehung ist in die Brüche gegangen, er leidet an den Folgen des Mordversuches und er zweifelt ob er seiner Arbeit noch gewachsen ist. Da kommt ihm die Einladung seines alten Freundes und Mentors Tom Liebermann gerade recht, in Tennesee auf der „Body Farm“ Leichenstudien zu betreiben. Doch kaum in Amerika angekommen, wird David zum Missfallen der ansässigen Polizei in die Ermittlungen um einen mysteriösen Mordfall hineingezogen. Die Leiche weist viel stärkere Verwe sungsmerkmale auf als es anhand des errechneten Todeszeitpunktes sein dürfte. Als dann noch in einem exhumierten Sarg eine falsche Leiche gefunden wird und der ermittelnde Profiler spurlos verschwindet, geht die Jagd nach einem irren Serientäter erst richtig los. „Leichenblässe“ ist ein spannender Thriller mit teilweise ziemlich grauslichen Leichenbeschreibungen,. Simon Beckett ist im Moment sicherlich einer der besten Krimiautoren, dennoch hat mich das Buch ein wenig enttäuscht. „Kalte Asche“ war persönlicher, man zit terte um den Helden, hatte Angst um sein Leben und nahm an seinen privaten Pro blemen teil. All das fehlt im neuen Roman, dennoch eine Empfehlung für alle Zweigstellen, denn Spannung pur ist auch hier garantiert. Gabi Stolba Bolton,Sharon:DasSchlangenhaus München: Goldmann 2009. 505 S., EUR 20,40 Ein idyllisches kleines Dörfchen in Dor set, England. Eine junge Tierärztin die zu rückgezogen von der Welt lebt. Mysteriöse Vorfälle mit Schlangen und ein Todesfall. Der Thriller „Das Schlangenhaus“ wird aus der Sicht von Clara, einer menschen scheuen, ruhigen Tierärztin erzählt. Eines Morgens wird sie in der Früh zu einem Notfall gerufen: eine Giftschlange liegt bei einem Baby im Gitterbett. Ihr Nachbar stirbt an einem mysteriösen Schlangen biss und das ganze Dorf leidet unter einer Schlangeninvasion. Clara beginnt nach zuforschen und kommt einem Geheimnis auf die Spur, das 50 Jahre zurückliegt und von dem nur wenige Menschen wissen. Doch die schweigen eisern, bis es zu weiteren Todesfällen kommt. Der Roman ist erfrischend bodenständig, alle Vorkommnisse lassen sich erklären und sind nachvollziehbar. Viele Thriller vergessen vor lauter Actionszenen und immer spektakuläreren Ereignissen das Wich tigste: wie man Spannung aufbaut. Sharon Bolton ist genau das geglückt. Der Leser fiebert und fürchtet mit Clara und kann ihre Gefühle und Entscheidungen nachvollziehen. Auch die anderen Charaktere sind realistisch aufgebaut und glaubhaft. Das Buch ist gut recherchiert und setzt sich mit dem gespaltenen Verhältnis der meisten Menschen gegenüber Schlangen auseinander. Besonders hervorzuhe ben sind auch die wunderschönen Land schaftsbeschreibungen; sie machen richtig Lust sich in ein Flugzeug zu setzen und nach Südwest-England zu fliegen. Wer sich schon immer ein wenig für Schlangen interessiert hat und gerne Thriller liest, wird mit diesem Buch einige schöne und spannende Lesestunden haben. Silvia Rosinger Brown, Sandra: Warnschuss Dt. Übers. von Christoph Göhler München: Blanvalet, 2009. 510 S., EUR 20,60 Die frühere TV-Moderatorin und Schau spielerin Sandra Brown liefert seit vielen Jahren zuverlässig einen Bestseller nach dem anderen ab und ist mit diesen bei den Wiener Büchereien auch vielfach vertreten. Im vorliegenden Titel „Warnschuss“ muss Detective Duncan Hatcher wütend erleben, wie der Mordprozeß gegen den Drogenboss Robert Savich wegen eines Verfahrensfehlers eingestellt wird. Als Hatcher wutentbrannt den Richter attackiert, bringt ihm das 48 Stunden Arrest ein. Mit seiner Partnerin Deedee Bowen wird er bald danach zu einem Einbruch gerufen, ausgerechnet ins Haus des Richters, dessen überaus attraktive Frau den Einbrecher in Notwehr erschossen haben soll. Doch der Fall ist nicht so glasklar, wie der Richter der Polizei glauben machen will. Hatcher gerät nicht zuletzt in ein Dilemma, als die Frau des Richters, ihn während der Ermittlungen aufsucht und behauptet, der Einbrecher hätte sie im Auf trag des Richters ermorden sollen. Hatcher fühlt sich über alle Maßen zu der schönen Richtersgattin hingezogen und beginnt eine Affäre mit ihr, danach verschwindet sie. Die Handlung schlägt noch viele Haken um schlussendlich doch zu einem Happy End zu finden, zumindest für ein paar der Beteiligten. Ein weiterer typischer Sandra Brown Thriller, seicht, durchschaubar, klischee haft wie eine billige Fernsehserie und mit etwas altbackenen Erotikeinlagen garniert. Günther Badstuber Cain, Chelsea: Gretchen München: Limes, 2009. 52 S., EUR 20,60 Als in einer öffentlichen Toilette in Oregon eine Milz sowie drei Augenpaare gefunden werden, wird Detective Archie Sheridan, der von der schönen wie grausamen Serienmörderin Gretchen Lowell brutal ge quält wurde, kurzfristig aus dem psychi atrischen Krankenhaus entlassen, um seine frührere Spezialeinheit auf der Jagd nach Lowell zu unterstützen. Der ehemaligen Krankenschwester werden insgesamt 46 Morde an Männern und Frauen angelastet; charakteristisch für Gretchen ist die Folter der Opfer mit anschließender Organentnahme. Auch die junge Journalistin Susan Ward wird von ihrer Redaktion auf den Fall angesetzt, findet sie doch in einem leerstehenden Haus in North Fargo eine weitere augenlose Leiche. Die junge amerikanische Autorin legt nun den dritten und letzten Band um Gretchen Lowell vor. Wer sich allerdings spannende Einblicke in polizeiliche Er mittlungen erwartet, wird enttäuscht: Cain gefällt sich in der detaillierten Schilderung von Gretchens Gräueltaten. Der Schwer punkt der Romanhandlung liegt in der Darstellung der Verbrechen und der ob sessiven Beziehung zwischen Lowell und Sheridan. Die Charaktere sind schablonenhaft ge zeichnet und jeglicher psychologischer Hintergrund fehlt. Rückblenden auf die Entstehung der „amour fou“ zwischen Lowell und Sheridan ermöglichen Leser Innen allerdings den problemlosen Einstieg in die Trilogie. Die Genre-Bezeichnung „Horrorthriller“ ist wohl angemessen. Chelsea Cain hat eine vampirhaft tödliche Anti-Heldin geschaffen, die in den USA Kultstatus er reicht und perverse Fantasien diverser Nachahmungstäter und hochgradig gestör ter Persönlichkeiten auslöst. Cain spielt gekonnt mit den Ängsten vor dem „unaussprechlich Bösen“, das hier perfekt in der „blonden Sirene“ Gretchen Lowell verkörpert wird. Dagmar Feltl 4 Krimi & Thriller Cleeves, Ann: Im kalten Licht des Frühlings Dt. Übers. von Anja Schünemann Reinbeck bei Hamburg: Wunderlich, 2009. 429 S., EUR 20,50 Ann Cleeves wurde 2006 mit dem Duncan Lawrie Dagger Award ausgezeichnet und ist Mitglied der „Murder Squad“, einem Zirkel unterschiedlichster Krimiautoren, Leser und Fans. „Im kaltem Licht des Frühlings“ ist der dritte Band des „Shetland Island Quartett“, das die Jahreszeiten auf den Shetland Ins eln mit je einem Roman abdecken soll. Die beiden Vorgängerbände befinden sich im Bestand der Büchereien Wien. Nach dem Winter ist die Archäologin Hattie froh ihre Ausgrabungen fortsetzen zu können. Als die Archäologen Teile ei nes Skeletts freilegen, erleidet Mima, die Besitzerin des Anwesens, einen veritablen Schock. Am nächsten Tag wird Mima von ihrem Enkel Sandy erschossen aufgefunden. Zuerst sieht alles nach einem Jagdunfall aus. Als Hattie nur wenige Tage später mit aufgeschlitzten Pulsadern in einer Ausgrabungssenke gefunden wird, beginnen Dedective Jimmy Perez und sein Assistent Sandy undercover wegen Mordes zu ermitteln. Welcher der durchwegs reichen Hochseefischer hätte ein Motiv die alte Frau und die inselfremde Archäologin zu töten? Ann Cleeves fängt die besondere Atmo sphäre der abseits vom Trubel gelegenen Inseln und der nebeligen Übergangszeit hervorragend ein. Psychologisch akkurat schildert sie die komplizierten zwischenmenschlichen Beziehungen der Inselbewohner. Ebenso passen die detailreichen, gut recherchierten Kenntnisse der archäologischen Situation stimmig ins Gesamtbild des rundum ge lungenen Krimis. Zur Fortsetzung des Zyklus um die Shetlands, oder als Pageturner im besten Sinn geeignet. Hermann Gamauf Dahl, Kjell O.: Blutfeinde Dt. Übers. von Kerstin Hartmann-Butt Bergisch Gladbach: Ehrenwirth, 2009. 300 S., EUR 18,50 Kjell Ola Dahl ist bereits mit sechs anderen Kriminalromanen um das Osloer Ermittlerduo Gunnarstranda und Frolich bei den Wiener Büchereien vertreten. Kommissar Gunnarstranda übernimmt die Ermittlungen in einem Polizistenmord ohne seinen früheren Kollegen Frolich, der sich um eine Stelle in der Abteilung für Vermisste beworben hat. Der ermordete Polizist, Ivar Killi, war suspendiert, da ihn Gunnarstranda wegen der Misshandlung eines Verdächtigen angezeigt hatte. Seither misstrauen die Kollegen dem Kommissar und sind nicht eben bemüht, ihn bei seinen Ermittlungen zu unterstützen. Im Gegenteil, es ver Drvenkar, Zoran: Sorry Berlin: Ullstein. 2009. 396 S., EUR 20,50 Ein guter „Reisser“ beginne mit einer bösen Tat, auf dass die Lesergemeinde eifrig nach mehr giere. Genau so ist es auch in diesem Buch des in Berlin aufgewachsenen Drvenkar, der seine ersten literarischen Versuche mit Kinderbüchern und realitätsnahen Romanen aus dem kroatischen Kulturkreis machte. Hier ist erstmals Berlin als Ambiente maßgebend, man könnte die „Spielorte“ auf dem Stadtplan abstecken, wenn man wollte. Genau so penibel geplant wie die Einbeziehung der lokalen Gegebenheiten, ist auch die Handlung, deren Gerüst aus dem Wechsel der Erzählperspektiven der Protagonisten besteht. Was für den eingeschworenen Fan einschlägiger Lektüre abwechslungsreich und spannungssteigernd ist, wirkt auf den nüchternen Betrachter wohlkalkuliert und durchschaubar. Es scheint als hätte der Autor schon beim Schreiben eine Verfilmung im Sinn, so „schnittgerecht“ sind die einzelnen Kapitel unterteilt und als Szenen denkbar. Die Story selbst beginnt relativ einfach, doch sobald man der Meinung ist, die Beweggründe des Täters und die weitere Entwicklung erkannt zu haben, ergeben sich unerwartete Änderungen. Diese Methoden der dramatischen Zuspitzung sind den alten Hasen des Geschäfts allzu geläufig, nicht zuletzt sind bei den Danksagungen Andrew Vachss und Jonathan Nasaw erwähnt. Ein ganz gut gelungener Thriller deutscher Provenienz, der den Vergleich mit internationalen Vorbildern schon wegen der beträchtlichen Leichenanzahl nicht scheuen muss. Günter Horvath Belletristik schwinden sogar Beweismittel. Gunnarstranda wird der Fall entzogen und er wird zu seinem früheren Partner Frolich versetzt, der jetzt auch noch sein Vorgesetzter ist. Sie ermitteln im Fall eines verschwundenen Anwalts, der ein Schulkollege Gunnarstrandas war. Doch es er geben sich bald Zusammenhänge zwischen den beiden Fällen und ein weiterer Polizist, Petter Bull, wird verdächtig. Aber auch eine Psychologin, die attraktive Maria Hoff, steht mit beiden Fällen in Verbindung und gibt den Ermittlern einige Nüsse zu knacken. Kjell Ola Dahl hat mit „Blutfeinde“ einen gut lesbaren, über weite Strecken spannenden Krimi abgeliefert, der allerdings gegen Ende einige unnotwendige Haken schlägt. Günther Badstuber Deaver, Jeffery: Der Täuscher München: Blanvalet, 2009. 543 S. Mit dem vorliegenden Roman “Der Täuscher” legt Jeffery Deaver den insgesamt 8. Band seiner Krimireihe rund um das kongeniale Duo Rhyme und Sachs vor. Eines kann man gleich vorweg festhalten – die Fans der Reihe werden wieder begeistert sein! Diesmal bekommt es Lincoln Rhyme mit einem überaus gefährlichen Täter zu tun. Rhyme wird auf den Fall aufmerksam, als sein Cousin Arthur verhaftet wird, weil er einen Mord begangen haben soll. Erstaunt entdeckt der gelähmte Ermittler, dass sein Cousin nicht der erste Täter ist, der energisch seine Unschuld betont, obwohl am Tatort und bei ihm zu Hause massive Indizienbeweise vorliegen. Der familiäre Hintergrund von Rhyme nimmt eine wesentliche Rolle ein. Die LeserInnen erfahren endlich etwas aus der Vergangenheit ihres Lieblingsermittlers und auch sonst „menscheln“ die Charaktere ganz gehörig. Amelia Sachs bekommt es mit Liebesproblemen ihrer pubertierenden Ziehtochter Pam zu tun und Ron Polaski, der ebenfalls bei den Ermittlungen hilft, muss sich plötzlich mit seinen eigenen Unsicherheiten und Unzulänglichkeiten auseinander setzen. Die LeserInnen selbst sehen sich auf spannende Art und Weise mit dem Thema Datendiebstahl und Datenschutz kon frontiert und man kann nur hoffen, dass einige LeserInnen sich nun mit diesem spannenden Thema, welches uns alle betrifft, näher auseinander setzen. „Der Täuscher“ ist auf jeden Fall all jenen zu empfehlen, die bereits die anderen Bände dieser Reihe verschlungen haben. Elisabeth Ghanim 5 Belletristik Krimi & Thriller French, Tana: Totengleich Dt. Übers. von Ulrike Wasel und Klaus Timmermann Frankfurt a. Main: Scherz, 2009. 780 S., EUR 17,50 Mit „Totengleich“ veröffentlicht die in Dublin lebende Autorin ihren zweiten Kriminalroman nach „Grabesgrün“, der mit dem Edgar Award for Best First Novel ausgezeichnet wurde; entsprechend hoch waren die Erwartungen an ihr zweites Werk. Auch in „Totengleich“ gelingt es Tana French schon nach wenigen Seiten den Leser in ihren Bann zu ziehen. Ich-Erzähler ist Cassie Maddox, ehemalige Partnerin und Kurzzeitgeliebte vom Protagonisten in „Grabesgrün“ Rob Ryan. Gebrannt von den Ereignissen und Folgen des Knockknaree-Falls arbeitet sie nun im Dezernat für häusliche Gewalt. Privat ist sie mit Sam, dem Dritten im Bunde des ehemaligen Ermittlertrios aus „Grabesgrün“ liiert, zu Rob hat sie keinen Kontakt mehr. Da wird Cassie von ihrem ehemaligen Ausbildner in der Undercover-Abteilung von der Vergangenheit eingeholt. Frank bringt sie zum Fundort einer Leiche, die ihr bis aufs Haar gleicht und auch noch einen Ausweis mit dem Namen ihrer ehemaligen Undercoveridentität bei sich trägt. Sofort fühlt Cassie sich für das Schicksal der Frau verantwortlich und willigt nach einigem Zögern ein, bei einem Undercovereinsatz dabei zu sein. Mit einem versteckten Mikro und großem psychologischen Gespür, kehrt sie als rekonvaleszente Lexie Madison in das einsam stehende Herrenhaus von Daniel, Abby, Justin und Rafe zurück, die nicht nur Lexies Freunde und Mitbewohner sondern inzwischen auch dringend tatverdächtig sind. Der Roman besticht durch die Dichte der Handlung und die Komplexität der Figuren. Innerhalb kürzester Zeit gelingt es French den Leser in die Gedankenwelt der Akteure eintauchen zu lassen und eine ständige Spannung aufrecht zu erhalten. Trotz einiger Längen – der Roman hat immerhin 780 Seiten – ist „Totengleich“ einer der besten Kriminalromane, die zurzeit auf dem Markt sind. Für das Verständnis des Romans ist es nicht nötig „Grabesgrün“ zuvor gelesen zu haben, doch wird an einigen Stellen Bezug darauf genommen und auch Cassies Seelenlandschaft erschließt sich dem Leser bei Kenntnis von „Grabesgrün“ leichter. Bettina Raab Gerritsen, Tess: Grabkammer München: Limes, 2009. 412 S., EUR 19,95 Die ehemalige Ärztin Tess Gerritsen, nunmehr Verfasserin von Thrillern rund um das Trio Jane Rizzoli, Maura Isles und Barry Frost, legt jetzt den siebenten Band ihrer Krimiserie, die hauptsächlich von Serienmördern handelt, vor. Vorweg sei einmal gesagt, dass der Hype rund um Massenmördergeschichten in der Trivialliteratur in der Zwischenzeit ein fast unerträgliches Niveau erreicht hat. Die Buchhandlungen sind voll von Schnellschüssen und auch die arrivierten Autoren produzieren immer schneller und schneller. Es scheint so, als ob der gute alte „Groschenroman“ nur in neuer Aufmachung und vor allem teurer wieder daherkommt. Sowohl Gerritsen, Reich oder Cornwell produzieren schablonenhafte Geschichten, in denen meistens gegen Ende des Romanes irgendjemand (vorwiegend eine junge Frau) aus einem dunklen Verlies vor einem irren Serienkeller gerettet wird, wobei der Serienkiller zumeist gleich auch ins Jenseits befördert wird. Der vorliegende Roman „Grabkammer“ beginnt mit einem recht vielversprechenden Sujet, nämlich Ägyptologie bzw. Archäologie. In einem Museum wird im unübersichtlichen Fundus eine Mumie entdeckt und zur Ausstellung vorbereitet, allerdings findet man bei genauerer Untersuchung ein Projektil in deren Bein. In weiterer Folge kommen noch ein Schrumpfkopf und eine Moorleiche dazu. Es gibt also einen Serienmörder mit Vorliebe für antike Präparationstechniken. Weiters gibt es eine Museumsangestellte mit mysteriösem Vorleben auf der Flucht vor dem Killer. Nach einem recht passablen Anfang beginnt sich die Sache dann allerdings in Richtung des berühmten „Wiener Strudel teigs“ zu entwickeln, es zieht sich und zieht sich dahin, bis zum schon standardisierten Showdown mit nachfolgendem 20 seitigen Epilog um alle Ungereimtheiten auszuräumen. Peter Hörschelmann Gross,Andrew:Treu und Glauben Dt. Übers. von Susanne Goga-Klinkenberg Frankfurt/M.: Scherz, 2009. 379 S., EUR 15,40 Treu und Glauben ist ein klassischer Thriller im Millieu der Finanzjongleure der amerikanischen Oberschicht. Karen Friedman glaubt ihren Mann Charlie in einem B ombenanschlag auf den örtlichen Bahnhof verloren zu haben, bis sie ein Jahr später durch Zufall einen Hinweis auf sein Überleben findet. Sie freundet sich mit Ty Hauck an, einem Polizisten der Kriminalpolizei, der sie bei der Suche nach dem Verbleib ihres Mannes unterstützt. Mit Vorranschreiten der Untersuchungen wird klar, dass Charlie eine hohe Summe Geld verspekuliert hat. Geld das aus zwielichtigen Quellen stammte, weshalb er bedroht wurde und den Bombenanschlag für sein bereits länger geplantes Untertauchen nutzte. Der Autor verweist dabei, wohl nicht nur der Spannung wegen, auf Parallelen zu den Terrorattacken auf das World Trade Center. Der Roman liest sich schnell und einfach, solange man sich nicht an den schwarz/weiß-malenden Klischees, die direkt aus den populären US-Hauptabendserien entnommen scheinen, stört. Eigentlich hetzt man geradezu durch die Seiten, was ich aber in der Unterteilung in 105 Kapitel begründet sehe, die viel Freiraum lassen, und den Umfang des Buches auf gefühlte 250 Seiten reduziert. Das Buch ist eine Empfehlung für Leser, die eine spannende Lektüre für den Abend oder Urlaub suchen, und hierfür weniger Interesse an einer Aufmerksamkeit fordernden, komplexeren Handlung zeigen, dafür die Bandbreite der menschlichen Gefühle beginnend bei Trauer und Verzweiflung bis hin zur unvermeidlichen Romanze fordern. Andrew Gross hat mehrere Spannungs romane zusammen mit James Patterson geschrieben, allesamt im Bestand der Büchereien Wien. Der Nachfolger zu „Treu und Glauben“, wieder mit Ty Hauck in der Hauptrolle, erschien 2009 auf Englisch. Die derzeit zur Verfügung stehenden Exemplaren scheinen mir ausreichend. Markus Gernedl 6 Krimi & Thriller Heinichen, Veit: Die Ruhe des Stärkeren Wien: Zsolnay, 2009. 316 S., EUR 20,50 Der sechste Fall des, mittlerweile auch durch TV-Verfilmungen bekannten und beliebten Commissario Proteo Laurenti. Der Schauplatz ist wieder Triest, wo die verschiedenen Bevölkerungsgruppen mit- und auch gegeneinander leben. Auch das Personal der vorangegangenen Romane tritt wie schon liebgewordene Bekannte auf. Und um es gleich vorweg zu nehmen, Heinichen hält die Qualität der früheren Romane. Die Handlung spielt kurz vor der Öffnung der Schengengrenze zwischen Italien und Slowenien (Ende 2007). Der Commissario ist für die Sicherheit der hohen EUGäste und den reibungslosen Ablauf der feierlichen Zeremonie zuständig. Seine Kollegin Pina, bereits im letzten Band „Totentanz“ eingeführt, verliebt sich in einen charmanten querschnittgelähmten jungen Slowenen, der sehr erfolgreich an der Börse spekuliert. Eine anonyme Gruppierung namens Istria verteilt Flugblätter gegen die Immobilienspekulationen an der Adria und der Tierpräparator Mazio Manfredi wird im Zug nach Triest ermordet. Nicht zu vergessen ist der Kampfhund Argo, der in der Ich-Perspektive von illegalen Hundekämpfen im italienisch-slowenischen Grenzgebiet erzählt. Viele Fäden also, aus denen Heinichen seinen neuen Kriminalroman webt, und den roten Faden zunächst vermissen lässt. Aber der Wahltriestiner Heinichen wäre nicht Heinichen würde er schließlich nicht alles unter einen Hut bringen. Die vordergründige Kriminalhandlung dient wieder einmal als Vehikel für Gesellschaftskritik, sei es am Turbokapitalismus, dem Drogenhandel oder dem organisierten Verbrechen. Bis nach Österreich, respektive Kärnten, reichen diesmal die Ermittlungen, die auch aufzeigen, dass am Vorabend der Grenzöffnung die polizeiliche Zusammenarbeit der einzelnen Länder noch ziemlich im Argen lag. Kurzum, wieder ein spannender und politisch tiefgründiger Kriminalroman aus Triest, bei dem natürlich auch das Kulinarische nicht zu kurz kommt. Liesbeth Mansbart Johansen,Iris:DieKnochenleserin Aus dem Englischen von Charlotte Breuer und Norbert Möllemann Berlin: List, 2009. 332 S., EUR 20,50 Eve Duncan, eine forensische Gesichtsrekonstrukteurin, versucht nach einigen Fehlschlägen, den Entführer bzw. Mörder ihrer siebenjährigen Tochter Bonnie zu finden. Im Vorgängerband hat sie von Montalvo, einem undurchsichtigen und attraktiven Geschäftsmann aus Kolumbien, als Gegenleistung für die Rekonstruktion des Gesichtes seiner ermordeten Frau drei Namen genannt bekommen, die mit großer Wahrscheinlichkeit mit dem Verschwinden ihrer Tochter zu tun haben. Einer der Verdächtigen, Kistle, kann in einer Kleinstadt von Joe Quinn ausfindig gemacht werden. Quinn, Eve Duncans Ehemann und ehemaliger FBI Agent, muss Belletristik allerdings feststellen, dass Kistle entkommen ist und sich in einem weitläufigen Waldgebiet versteckt hält. Auf der Flucht hat er bereits drei Polizisten kaltblütig ermordet. Der intelligente, sadistische Täter, beginnt Eve zu quälen, indem er ihr verspricht, das Grab ihrer Tochter zu zeigen. Immer wieder erzählt er detailliert, was er mit Bonnie gemacht hat, und Eve glaubt, endlich den Mörder ihrer Tochter gefunden zu haben. Quinn fühlt sich von der jahrelangen Suche nach Bonnie schon ausgelaugt und versteht die Besessenheit, mit der seine Frau jedem Hinweis folgt, immer weniger. Die Situation wird sehr gefährlich, als Kistle ein kleines Mädchen entführt und sie auf eine Inselgruppe als Lockvogel verschleppt. Doch Quinn, Montalvo und Duncan sind ihm auf den Fersen, um diesen Mord zu verhindern. Iris Johansen beginnt gleich auf der ersten Seite mit einem spannenden Szenario und es gelingt ihr, den Spannungsbogen bis zum Ende aufrecht zu erhalten. Die Ingredienzien dieses Romans sind beachtlich: neben dem Verbrecher, der das Böse schlechthin verkörpert und über dreißig Menschen getötet hat, davon 28 Kinder, spielen noch riesige Alligatoren, Treibsand, die Rivalität zwischen zwei Männern und paranormale Fähigkeiten eines Mediums, sowie das Erscheinen eines Geistes eine Rolle. Bei all diesen Ereignissen bleibt die Glaubwürdigkeit der Geschichte ein bisschen auf der Strecke. Gabriela Wieri Leon, Donna: Das Mädchen seiner Träume Dt. Übers. von Christa E. Seibicke Zürich: Diogenes, 2009. 350 S., EUR 21,90 Mit dem vorliegenden Buch “Das Mädchen seiner Träume” lässt die bekannte und beliebte Krimiautorin Donna Leon ihren Commissario Brunetti bereits seinen 17. Fall lösen. Diesmal wird ein Mädchen tot im Canale Grande gefunden, doch das Kind scheint niemandem abzugehen. Als dann am Körper des Mädchens Diebesgut gefunden wird, beginnt Brunetti neugierig zu werden und ist schon bald mit der Lebenssituation der Roma in Italien konfrontiert. Seine Ermittlungen führen ihn in triste Auffanglager, die Kreise des gehobenen Bildungsbürgertums und in einer Nebenhandlung in Verstrickungen der katholischen Kirche in Spendenskandale. Obwohl eine Art Lösung des Falls durch Brunetti herbeigeführt wird, hinterlässt die Geschichte doch einen bitteren Nachgeschmack. Wie immer fesselt die sozialkritische Geschichte nicht unbedingt durch Action, sondern eher durch die von der Autorin aufgezeigten gesellschaftspolitischen Konflikte, die so nicht nur in Italien existieren. Obwohl die Kritiken oft bemängeln, dass der vorliegende 17. Fall des Kult-Commissario nicht unbedingt sein spannendster ist, zieht die Geschichte die LeserInnen doch sehr schnell in ihren Bann und lässt sie auch so schnell nicht wieder los. Donna Leon versteht es wieder einmal meisterhaft ihre LeserInnen auch zum Nachdenken über die eigenen Vorurteile und den gesellschaftspolitischen Status Quo anzuregen, ohne dabei aufdringlich zu sein. Elisabeth Ghanim 7 Belletristik Krimi & Thriller Stark, Richard: Das Geld war schmutzig Dt. Übers. von Rudolf Hermstein Wien: Zsolnay, 2009. 253 S., EUR 17,40 Welchen Wert haben bei einem Raubüberfall erbeutete Millionen, wenn die Scheine markiert sind und sich in einem schwer zugänglichen Versteck befinden? Parker muss erst ehemalige Komplizen, Kopfgeldjäger und die Polizei austricksen, um an das Geld zu kommen. Also zieht er alle Register seines taktischen Könnens. Gemeinsam mit seiner Freundin Claire tarnt er sich als Tourist und reist ganz frech an den Tatort. Doch auch die Polizei macht Fortschritte. Der nervenstarke Berufskriminelle ohne Vornamen, Vergangenheit und Innenleben, hatte seinen ersten literarischen Auftritt bereits 1962 in „Jetzt sind wir quitt“. Sein Schöpfer, Donald E. Westlake veröffentlichte bis in die 1970iger unter dem Pseudonym Richard Stark etliche weitere Parker-Romane. „The Hunter“ wurde unter dem Titel „Point Blank“ mit Lee Marvin in der Hauptrolle verfilmt. Nach „Fragen Sie den Papagei“ und „Keiner rennt für immer“ ist dies der 3. Parker Roman in wieder aufgelegter deutscher Übersetzung. Die drei deutschsprachigen Neuauflagen sind zwar in sich abgeschlossene Episoden, stehen jedoch in direktem Bezug zueinander. Bei einer Empfehlung sollte auf die richtige Reihung hingewiesen werden. Ein Krimi noir hart an der Grenze zum Thriller, der durchgehend spannend bleibt und stellenweise amüsant zu lesen ist. Elisabeth Schögler Robinson, Peter: Im Sommer des Todes Berlin: Ullstein, 2009. 455 S., EUR 19,90 Slaughter, Karin: Zerstört München: Blanvalet, 2009. 510 S., EUR 20,60 “Im Sommer des Todes” ist bereits der 16. Band der Krimiserie rund um Detective Chief Inspector Alan Banks. Im neuen Fall untersucht er den Mord am freischaffenden Musikjournalisten Nick Barber, der zurückgezogen an einem Artikel über die Band „The Mad Hatters“ arbeitete, die zu ihrem 40. Jahrestag auf eine Revival-Tour gehen möchte. Im Zuge seiner weiteren Ermittlungen stößt Banks auf den gewaltsamen Tod eines jungen Mädchens während eines Musikfestivals im Jahr 1969. Bereits bei diesem Festival ist die Gruppe aufgetreten und schon bald vermutet Banks, dass der Mordfall an Barber mit dem Tod der jungen Frau in Zusammenhang stehen könnte. Gekonnt erzählt Peter Robinson seine Geschichte auf zwei Zeitebenen und springt dabei von der Tragödie aus dem Jahr 1969 immer wieder in die Gegenwart des Jahres 2005. Dabei versteht es der Autor, wie auch in den vorangegangenen Bänden, das Interesse der LeserInnen für die beiden Kriminalfälle zu wecken, aber auch gleichzeitig Anteil am Schicksal der betroffenen Ermittler zu nehmen. Was den LeserInnen von „Im Sommer des Todes“ zusätzlich überaus angenehm auffallen dürfte ist, dass auch die Stimmung der späten 60er Jahre nicht zu kurz kommt und von Peter Robinson wirklich ausgezeichnet eingefangen wird. Es handelt sich bei „Im Sommer des Todes“ zwar um den 16. Band einer Krimireihe, doch kann das Buch ohne weiteres als Einstieg in die Reihe rund um Alan Banks gelesen werden. Der sechste Roman der Reihe Grant-County von Karin Slaughter - rund um Chief Tolliver, seine Frau Dr. Sara Linton und seine Kollegin Lena Adams - ist seit kurzem bei den Büchereien Wien entlehnbar. Diesmal führt die Autorin den Leser in Lena Adams Heimatort Reese, tief in die Sümpfe Georgias, wo Adams von der örtlichen Polizei mit einem Leichnam neben einem brennenden Fahrzeug angetroffen wird. Bei den weiteren Untersuchungen zeigt sich, dass eine brutale Gewalttat vorliegt. Ob Lenas Unwilligkeit zur Aussage, wird sie prompt verhaftet, schweigt aber beharrlich zu den Vorkommnissen und wird so zur Hauptverdächtigen. Chief Tolliver macht sich mit Sara Linton sogleich auf die Reise in den amerikanischen Süden um Lena Adams aus dieser Zwangslage zu befreien. Obwohl Tolliver’s Frau durch die Untersuchung des Todes eines jungen Burschen stark belastet ist, beginnen sie mit den Untersuchungen, die Lena’s Unschuld beweisen sollen. Doch die ist nicht nur mit ihren Gefühlen tief in ihrer Vergangenheit verstrickt. Was hat ihr verschwundener Onkel Hank mit den Vorfällen zu tun? Beherrscht ihr ehemaliger Freund und Drogenboss Ethan Green noch immer die Gegend, obwohl er im Gefängnis sitzt, oder hat die korrupte Exekutive ihre Hände im Spiel, während die Skinheads den Drogenhandel in der Gegend kontrollieren und für Angst und Schrecken sorgen? Elisabeth Ghanim Andreas Schleif Wilson, Robert: Andalusisches Requiem München: Page & Turner, 2009. 476 S., EUR 20,60 Der in Spanien, Portugal und England lebende Robert Wilson zählt zu den erfolgreichsten Krimiautoren Englands und wurde auch mit dem Deutschen Krimi-Preis ausgezeichnet. „Andalusisches Requiem“ ist der vierte Fall des in Sevilla lebenden melancholischen Chef-Inspektors Javier Falcon und wird auch bei den Wiener Büchereien gerne ausgeliehen. Eigentlich ist Falcon immer noch mit dem Bombenattentat aus „Die Maske des Bösen“ beschäftigt, doch muss er sich jetzt auch noch um einen vermeintlichen Autounfall kümmern. Ein russischer Mafiosi ist dabei ums Leben gekommen, im Auto befanden sich DVDs mit kompromittierenden Aufnahmen bekannter Manager und Politiker bei der Interaktion mit Prostituierten. Der Fahrer des Wagens stand in Verbindung mit einem Paten, der seinerseits unter Verdacht steht, Beziehungen zu den Urhebern des Attentats in Sevilla zu unterhalten. Doch schon bald entsteht ein undurchschaubares Gewirr rivalisierender Mafia-Clans, in- und ausländischen Geheimdiensten und des Terrorismus verdächtigter Extremisten, in das auch marokkanische Verwandte Falcons hineingezogen werden. Auch dieser Band bewegt sich zwischen Kriminalroman und raffiniertem Politthriller, ganz in Wilsons beeindruckendem Stil. Man sollte unbedingt alle Bände in der richtigen Reihenfolge lesen, da hier Fragen geklärt werden, die Falcon schon seit Langem beschäftigen. Günther Badstuber 8 Kriminelles Österreich Belletristik Komarek, Alfred: Polt. Innsbruck: Haymon, 2009. 167 S., EUR 17,90 So schön und anti-modern könnte das Leben doch sein, im Wiesbachtal in der tiefsten niederösterreichischen Provinz. Hat Simon Polt doch seinen Beruf als Gendarm an den Nagel gehängt, um sich jetzt als Gehilfe bei der Greislerin Habesam zu verdingen, am Wochenende sein gepachtetes Wirtshaus den weinliebenden Bürgern zugänglich zu machen und sich auch noch auf seine zukünftige Rolle als Vater vorzubereiten. Das alles will man auch nicht leichtfertig aufs Spiel setzen, als eines Tages ausgerechnet im Weingarten seines Ex-Kollegen und besten Freundes Norbert Sailer eine Leiche gefunden wird. So beschließt man, sich aus den amtlichen Untersuchungen herauszuhalten und den Dingen seinen Lauf zu lassen. Wäre da nicht Bastian Priml, Ermittlungsbeamter aus der Wien und völlig unerfahren mit den Sitten und Gebräuchen des Wiesbachtals. Denn bei aller Liebe zum Wiesbachtal weiß Polt sehr gut, dass da und dort Leichen im Keller liegen; nur weiß er eben auch, welche es wert sind, ausgegraben zu werden. Bastian Priml aber, der würde am liebsten das ganze Dorf umgraben und die Bewohner allesamt hinter Gittern sehen. Angesichts dieses drohenden Ermittlungs-Tsunamis beginnt Polt letztendlich doch mit Nachforschungen, damit die dörfliche Gemeinschaft bald wieder ihre Ruhe und ihren alltäglichen Trott wiedererlangen möge. Über weite Strecken vermittelt der Roman eine Atmosphäre der Nostalgie über eine sukzessiv verschwindende ländliche Lebensart, welche dem „Fortschritt“ geopfert werden muss. Diese angesichts der Ambivalenzen der Moderne durchaus gerechtfertigte Sehnsucht nach Entschleunigung und Ruhe wird jedoch konterkariert durch den Krimi-Plot, der die Schattenseiten des ländlichen Lebens offenlegt, wo oft ein hinterwäldlerisches Patriarchat nach wie vor seine Stellung behauptet. Da die meisten ProtagonistInnen des Romans zudem Frauen sind und auch den größten Beitrag zur Klärung des Mordes beitragen, kann der Roman durchaus auch als literarische Hommage an willensstarke Frauen gelesen werden, die sich gegen eine archaisch gebliebene Männerwelt zur Wehr setzen. Rainer Oberscheider Altmann, Franz Friedrich: Turrinis Nase Graz: Leykam, 2009. 205 S., EUR 19,90 Wer Wolf Haas nicht mag, wird Altmann auch nicht leiden können. Und wer Haas liebt, der könnte meinen: „ein schwacher Abklatsch“. Aber so schwach ist der Abklatsch gar nicht. Schon der erste Absatz („Mit einer vollen Hosen ist gut stinken!“) hat hohe Haas-Qualitäten. Auch das Genre ist dasselbe: Krimi. Altmanns Krimi ist im Mühlviertel angesiedelt, genauer gesagt in St. Anton. Hauptprotagonistin ist Gudrun „Gucki“ Wurm, eine Redakteurin der Mühlviertler Nachrichten, die endlich die große Story an Land ziehen will, um die Provinz in Richtung Wien verlassen zu können, wo sie ihr Studium der Theaterwissenschaften begonnen hat und noch immer an der Diplomarbeit über „Sentimentale Motive im dramatischen Werk von Peter Turrini“ schreibt. Doch die große Story kommt schneller als ihr lieb ist: ein Mord passiert. Mit Hilfe ihres Hundes Turrini entdeckt sie Beweise und kann sich auch im letzten Moment aus den Fängen des Mörders retten. Ein kurzweiliges unterhaltsames Buch für zwischendurch, gerade richtig für die Urlaubszeit. Vor allem für jene LeserInnen, die es traurig finden, dass Brenner im letzten Haas-Krimi stirbt. Diese LeserInnen können bei Entzugserscheinungen auf Altmann zurück greifen. Ob Altmann es gefällt, immer mit Wolf Haas verglichen zu werden, ist unwichtig – damit hat er bei seinem zwar nicht einzigartigen aber trotzdem noch eigenwilligen Erzählstil zu rechnen. Katharina M. Bergmayr Bauer, Hermann: Karambolage Meßkirch: Gmeiner, 2009. 277 S., EUR 9,90 „Karambolage“ ist nach „Fernwehträume“ bereits der zweite Kriminalroman des Wiener Handelsakademielehrers Hermann Bauer. Im Zentrum des mörderischen Ge schehens steht ein weiteres Mal Leopold W. Hofer, seines Zeichens Chefober des fiktiven Floridsdorfer Kaffeehauses „Heller“ und nebenbei kriminalistisch interessierter Laienermittler. Unterstützt von seinem Freund Thomas Korber, Gymnasiallehrer und Stammgast des „Heller“, gilt es einen Mord an dem allseits verhassten Lebemenschen und Provokateur Georg Fellner aufzuklären, der noch kurz vor seinem Tod das Billardturnier im Kaffeehaus gegen seinen langjährigen Gegenspieler und Todfeind Egon Sykora mit unlaute- ren Mitteln für sich entschieden hat. Leopold, der nicht so recht an die Schuld des Hauptverdächtigen Sykora glauben will, hat alle Mühe, seinen Freund Korber von der Notwendigkeit eigener Ermittlungen zu überzeugen, da dessen kriminalistische Neugier stark von der Aussicht auf ein sich anbahnendes amouröses Erlebnis mit seiner neuen Kollegin Maria Hinterleitner beeinträchtigt ist. Schließlich lässt sich Korber widerstrebend auf die detektivische Zusammenarbeit ein, nicht ahnend, dass er diese Entscheidung beinahe mit seinem Leben bezahlen wird. Hermann Bauer ist sehr darum bemüht, seinen Krimiplot mit der sehr spezifischen Atmosphäre eines Wiener Kaffeehauses und einer gehörigen Portion Floridsdorfer Lokalkolorits zu verknüpfen. Allerdings mutet die Umsetzung dieses Vorhabens über weite Strecken sehr angestrengt an. Dem Autor gelingt es nicht wirklich, dem Leser das Gefühl der Authentizität des Geschehens zu vermitteln, zu gekünstelt wirkt der ganze Spannungsaufbau, zu aufgesetzt die Dialoge der nur rudimentär herausgearbeiteten Charaktere. Ein Krimi nalroman, der wohl vor allem passionierten Wiener Kaffeehausbesuchern mehr verspricht, als er letztendlich halten kann. Rainer Oberscheider Belletristik 9 Kriminelles Österreich Rossmann, Eva: Leben lassen Bozen: Folio 2009. 238 S., EUR 19,50 Als mit einem Bombenanschlag auf die jährlich im Wiener Rathaus stattfindende Literaturgala gedroht wird, scheint auch Wien zur Zielscheibe des internationalen Terrorismus geworden zu sein. Berufsbedingt wird dabei das Interesse der an der Veranstaltung teilnehmenden Journalistin Mira Valensky geweckt, die Basis für eine verkaufsträchtige Story scheint gegeben. Ihre Recherchen führen sehr bald zu einem weiteren Rätsel, dem fragwürdigen Verschwinden von Franziska Dasch, ebenfalls Teilnehmerin an der Gala, aber den Indizien zufolge Opfer eines Gewaltverbrechens wurde. Auch in ihrem elften Buch greift die beliebte Autorin auf ihr Erfolgsrezept zurück: ein leicht lesbarer und spannender Plot, zwei bezaubernde Protagonistinnen (Mira und ihre befreundete Putzfrau Vesna) und ein glaubhafter, nicht unkritischer Handlungsaufbau. Ingredienzien, die nicht nur die Rossmann-Anhänger zufrieden stellen werden. Ein besonderes Bonmot: die eigenwilligen, kulinarisch nicht uninteressanten Rezeptanregungen der gestressten Protagonistin. Josef Kiss Zeller, Franz: Herzlos Bielefeld: Pendragon 2009. 250 S., EUR 10,20 Als die 88jährige Rosa Schwab in der Salzburger Universitätsklinik nach einer Routineuntersuchung stirbt, scheint dies ja noch einigermaßen normal: Diagnose Multiorganversagen. In der gleichen Nach wird jedoch auch ein junger Stationsarzt erstochen im Keller der Klinik aufgefunden. Für Chefinspektor Franco Moll scheint nur der unterstandslose „Haubenkarli“ als Täter in Frage zu kommen, dieser wird allerdings kurze Zeit später ebenfalls ermordet aufgefunden. Die Ermittler erfahren, dass der nicht gerade beliebte Jungarzt amouröse Beziehungen zur Frau des Chefarztes gehabt haben soll, und dass in der Klinik Personen inoffiziell als Testpersonen missbraucht wurden – ein Umstand über den auch der Stationsarzt Bescheid wusste. Franz Zellers Debüt kann als rundum geglückt bezeichnet werden. Sein erfrischender Stil lässt einem den Roman förmlich verschlingen, zudem hat er mit dem alleinerziehenden Franco Moll einen Ermittler kreiert, der dem Leser in allen Belangen sympathisch ist. Josef Kiss Von heimischen Edelfedern Barylli, Gabriel: Echtzeit München: Nymphenburger 2009. 160 S., EUR 17,50 Susanna hat alles verloren: ihre Freundin Isabell, die ihr den Freund ausgespannt hat, ihren Job und zuletzt die Wohnung. Nun lebt sie in einem Zimmer und das Internet ist ihr letzter Halt – ihre einzige Verbindung zu anderen. Doch auch dort wird sie betrogen, von Menschen die nicht so sind wie sie vorgeben zu sein. So bleibt ihr nur Isabell – die sie zwar hasst aber der sie doch all ihre Sorgen schildern kann. Während sie immer melancholischer wird und Zuflucht im Alkohol sucht, erzählt sie von ihrem Leben und von dem Zorn. Susannas Leben ist typisch für die heutige Zeit – immer mehr Menschen flüchten in die Welt des Internets; Freundschaften und sogar Lebenspartner werden gesucht. Doch viele geben nicht die Wahrheit an und manchmal sind die Enttäuschungen sehr groß. Ein äußerst gelungenes Buch über die scheinbar heile Welt des Internets und den Untergang einer jungen Frau, die am Leben und den Menschen scheitert. Ursula Steinermann Becker, Zdenka: Taubenflug Wien: Picus 2009. 206 S., EUR 19,90 In der Regel sind Tauben monogam. Monogam ist im Grunde auch Silvia, die eine ewig währende Zuneigung zu Daniel hegt, einem Burschen aus der Nachbarschaft und Amateurbrieftaubenzüchter. Die Erfüllung dieser Zuneigung wird jedoch durch Silvias Mutter sowie einen pädophilen Priester, der auch Brieftaubenzüchter ist, verhindert. Silvias Mutter, strategisch denkend, ist eher an der Vermehrung ihres Grundbesitzes als am Liebesglück ihrer Tochter interessiert. Die Niederschlagung des Prager Frühlings sowie die Umwandlung des Dorfes in eine Plattenbausiedlung macht allen Beteiligten einen Strich durch die Rechnung. Silvia emigriert nach Österreich und wird nach anfänglichen Schwierigkeiten Wissenschaftlerin auf ornithologischem Gebiet, genauer der Brieftaubenkunde. Ihre Mutter, das böse Weib, zieht in eine Wohnung in den Panelaks, in scheinbar ewig währender Feindschaft zu ihren ehemaligen Dorfnachbarn. Daniel bleibt – zumindest für Silvia – verschwunden, obwohl sie hie und da Spuren von ihm findet. Die samtene Revolution verändert die Situation für die handelnden Personen abermals und zum – ein wenig aufgesetzten Schluss – finden Silvia und Daniel doch noch zueinander. Der Schluss mindert aber keineswegs die hohe schriftstellerische Qualität, die Becker in „Taubenflug“ an den Tag legt. Der Roman beginnt in der Novotný-Ära, thematisiert Tatsachen aus dem tschechoslowakischen Hochstalinismus und endet in der neoliberal zugerichteten Slowakei. Genaue Beobachtungen und Bilder wie „Der einzige bunte Fleck war ein Billa-Supermarkt, der in der trostlosen Gegend geradezu wohltuend rot-gelb funkelte“ oder „Die deutschen Sätze, die wir laut lasen, trugen Spuren unserer Herkunft, waren Erinnerung an unsere Muttersprache, an unser früheres Leben“ verleihen der Geschichte Authentizität. Zdenka Becker kennt sich mit menschlicher Bosheit aus, beleuchtet menschliche Abgründe und kann außerdem gut schreiben. Vergessen kann sie anscheinend nicht, und das ist auch gut so. Rudi Hieblinger 10 Von heimischen Edelfedern Belletristik Gstättner, Egyd: Der Untergang des Morgenlandes. Geschichten von verlorenen Posten. Wien: Picus, 2009. 255 S., EUR 21,90 Acht Geschichten enthält der neue Band von Egyd Gstättner. Gemeinsam ist ihnen ihr unernster Tonfall, der vom Satirischen bis zur melancholischen Ironie changiert. Zum Teil machen die Beiträge den Eindruck von Stilübungen nach dem Muster von „Callots Manier“. In „Robert Musil bleibt daheim“ könnte man, wenn auch ironisch gebrochen, an die „Drei Frauen“ erinnert werden. „Der Narr von München“ atmet ein wenig feixend etwas von Thomas Bernhardscher atemloser Indignation. „Österreichs schönste Bluttaten“ greift weniger hoch und will nichts sein als eine Persiflage auf die Vogue des kulinarisch menschelnden Kriminalromans. Ins Feuilleton gehört “Das Ende Robin Hoods, von ihm selbst erzählt“, in dem es um Jörg Haider und nicht zuletzt dessen Strumpfhosen geht. „Istanbul darf nicht Berlin werden“ ist ein Bericht über eine verkehrte Welt und vielleicht das einzige Stück dieses Bandes, das nicht in der provinziellen Verkleinerungsform geschrieben ist, einer Art behaglichen Klaustrophobie. Am kunstvollsten wirkt, abgesehen von der wunderbaren Miniatur über Musil, der „Narr von München“, ein aus drei Perspektiven erzählter Schwank aus Oberbayern, in dem ein innovativ planendes Gastwirt-Ehepaar im Dörfchen Murnau zuerst vom Maler Spitzweg und gleich darauf von der Cholera heimgesucht wird; ein unvermittelt anachronistischer Zusammenprall von zeitgeistigem Tourismus-Geschwätz und einer ebenso skurrilen Charakterzeichnung, diesmal in „Spitzwegs Manier“ und Bernhardschem Tonfall. Gstättners neuer Band ist eine ambitioniert unterhaltsame Sammlung recht verschieden artiger Texte, die gehobenes Lesevergnügen garantiert. Ernst Simanek Breznik, Melitta: Nordlicht München: Luchterhand, 2009. 251 S., EUR 18,50 Melitta Breznik ist 1961 in Kapfenberg geboren und arbeitet als Psychiaterin in der Schweiz. Nach drei Erzählbänden liegt nun der Roman „Nordlicht“ vor. Es handelt sich dabei um ein Doppelportrait von zwei Frauen. Anna Bergmann ist Psychiaterin, die in einer schweren Krise steckt. Ihr um Mann ist nur mit der Auflösung seiner Firma beschäftigt und nimmt seine Frau gar nicht mehr wahr. Als das Paar eine Trennung auf Zeit vereinbart, legt Annas Mann sich gleich eine Neue zu. Anna lässt sich scheiden und beschließt für eine Zeit nach Norwegen zu gehen, zieht sich in eine Hütte auf den Lofoten zurück, wo sie in Einsamkeit und Dunkelheit lebt. Mit im Gepäck hat sie die Kriegstagebücher ihres Vaters, der im zweiten Weltkrieg in Norwegen stationiert war, nun will sie anhand der Tagebücher und alten Fotos seine Vergangenheit aufspüren. Dabei lernt Anna die Norwegerin Giske kennen, die alleine auf einem Bauernhof lebt, getrennt von ihrem Mann und drei Kindern. Die Journalistin ist die uneheliche Tochter eines deutschen Besatzungssoldaten, den sie nie kennen gelernt hat. Sie will nun, genauso wie Anna, herausfinden, wer ihr Vater war. Geschickt werden die beiden Frauen schicksale miteinander verknüpft, beide sind auf der Suche nach ihren Vätern, beide wollen nach der Scheidung ein neues Leben anfangen, und beide kämpfen mit den Traumata der Vergangenheit. In Rückblicken erfährt man allmählich ihre Lebensgeschichten. Die beiden Handlungs stränge werden gekonnt miteinander verflochten. Zeiten und Orte wechseln ebenso wie die Erzählperspektive. Die seelischen Befindlichkeiten der beiden Frauen scheinen mit dem Wetter und der Landschaft zu korrelieren. Die Beschreibungen des langen norwegischen Winters, der Weite und Stille des Landes sind beeindruckend. Ein Roman mit psychologischer Tiefe, der menschliche Emotionen sehr treffend schildert, verfasst in einer distanzierten, kühlen Sprache. Claudia Sykora-Bitter Elterlein, Georg: Der Hungerkünstler Wien: Picus, 2009. 320 S., EUR 22,90 Georg Elterlein schildert in seinem Debütroman die Entwicklung von Andreas Tretter, der, eben aus einer psychiatrischen Anstalt entlassen, sein Leben durch Verhungern in der Ägäis beenden will. Hungern war für Andi schon einmal ein Ausweg: er flieht so dem seelischen Druck, der nicht zuletzt auch durch den Selbstmord seiner Mutter auf ihm lastet. Der Tod seiner Großmutter hindert ihn jedoch daran, seinen Plan in die Tat umzusetzen. Der Großvater wird im Streit über das Gelände der ehemaligen Spedition – dem Erbe der Großmutter – zum Kontrahenten von Andis Vater. Einer jungen Studentin, Krähe, berichtet er über seine Zeit als Spanienkämpfer, über den Krieg und sein persönliches Schicksal. Andi wird verliebt sich in Krähe und wird in sein Leben als Portier zurück geholt. Zukunftsorientiert beschließt er, die Matura nachzuholen. Die Gedanken an den Tod, an die Flucht aus der Verantwortung, bleiben jedoch stets präsent. Neben der Thematisierung des Hungerns als Protest gegen den Leistungsdruck, thematisiert Elterlein auch die Unfähigkeit seiner Protagonisten, über ihr Leben und ihre Gefühle zu sprechen. Großartig in schlichter aber packender Sprache gebaut, entwickelt der Roman einen ungeheuren Sog. Das Buch verleitet dazu, es nicht aus der Hand zu legen. Als Leser ist man erfreut über eine spannende, berührende Geschichte, an die man sich noch lange erinnern wird. Nach diesem begeisternden Romandebut hofft man, dass auch das nächste Werk des Autors ebenso hochstehende Literatur bringen wird. Christian Jahl 11 Belletristik Von heimischen Edelfedern Glavinic, Thomas: Das Leben der Wünsche München: Hanser, 2009. 318 S., EUR 20.50 Jonas ist Mitte Dreißig, Vater von zwei Kindern, verheiratet und hat eine Affäre: er führt ein ganz normales Leben. Bis zu dem Punkt, als er im Park einen Mann kennenlernt, der ihm seine Wünsche erfüllen will. Ohne die Sache ernst zu nehmen, spricht Jonas seine Gedanken frei aus. Er will wissen, wie es ist, knapp dem Unheil zu entkommen, er möchte den Sinn des Lebens kennen und er möchte lebendiger sein. Damit startet eine Kette von merkwürdigen Ereignissen. Er entkommt bei einem Autounfall knapp dem Tod, er steigt nicht in ein Flugzeug, das kurz daraufhin abstürzt und seine Frau Helen stirbt an plötzlichem Herztod. Nach ihrem Begräbnis erfährt er, dass sie ebenfalls eine Affäre hatte. Der Nebenbuhler kommt kurz darauf durch einen Unfall ums Leben. Das Buch endet letztlich mit einem gewaltigen Schlussakt. Ähnlich wie in seinem Werk „Die Arbeit der Nacht“ geht es auch hier um die großen Themen des Lebens. Das Besondere ist, dass die Hauptfigur scheinbar ihr Leben gestalten kann, und dann aber auch wieder nicht, denn das Ergebnis eines Wunsches ist so unberechenbar wie das Leben selbst. Glavinic versteht es, LeserInnen in seinen Bann zu ziehen und stellt dabei die Figuren so plastisch dar, als wären sie greifbar. Verena Brunner Gstättner, Egyd: Jubel, Trubel, Österreich. Neue Geschichten aus dem Süden. Wien: Amalthea 2009. 208 S., EUR 19,95 Wenn Egyd Gstättner eine österreichische Institution geworden ist, dann sicher nicht zuletzt deshalb, weil er für Zeitungen satirische Kolumnen schreibt. Weniges wird hierzulande mit mehr Vergnügen gelesen, als kurze, pointierte Seitenhiebe auf Gott und seinen Tiergarten, wenn sie nur gemütlich genug daherkommen. Auch wenn Gstättner treffende Ana lysen zu bieten hat – gleich in der Einlei tung verweist er auf Konrad Lorenz der den österreichischen Charme als „Über sprunghandlun g zwischen zwei zuwider laufenden Instinkten“ definiert – so ent kommt er doch nicht der Rolle des „handlungsüberspringenden Schmähführers“. Wie sehr der Verfasser davon überzeugt ist, eine besonders österreichische Literaturgattung zu pflegen, drückt sich schon darin aus, dass das Inhaltsverzeichnis nach Motiven der Bundeshymne gegliedert ist. Auch inhaltlich geht es um inländische Mythen wie die Mozartkugel, die Berggasse, Córdoba, Auto und Internetz. Neologismen ärgern den Deutschkundigen, das Aussterben der Postämter den Heimatverbundenen, besonders wenn statt dessen eine MacDonalds-Filiale eröffnet. Auch das Älterwerden geht nicht spurlos am Verfasser vorüber, was seine Sympathiewerte steigern könnte. Und natürlich steht die „New Economy“ am Pranger, weil sie mit ihrer heißen Luft das soziale Klima verdorren lässt. Der vorliegende Band ist ein sehr unterhaltsames Austriacum, literarisch solide, thematisch auf die jüngere Vergangen heit bezogen, nur manchmal zu sehr auf die tägliche Pointe aus und nicht wirklich konfliktbereit. Eine Sammlung von Glossen aus einer anspruchsvolleren österreichischen Tageszeitung in alter, wenn auch gehobener Raunzer-Tradition. Unterhaltsam und populär genug für einen breiten Einsatz. Ernst Simanek Helbich, Ilse: Das Haus Graz: Literaturverlag Droschl, 2009. 140 S., EUR 18,00 Ilse Helbich ist 1923 geboren und in Wien aufgewachsen, hat Germanistik studiert und war als Publizistin tätig. 2003 erschien ihr erster Roman „Schwalbenschrift“, der von ihrem Leben, einer Kindheit ohne Liebe, von Krieg und Gewalt, der Leere einer Ehe und schließlich vom Ausbruch aus dem großbürgerlichen Wiener Leben und dem Beginn des Schreibens handelt. Hier setzt Helbichs zweiter Roman „Das Haus“ an. Nachdem die alte Frau ihre Familie verlassen hat, kauft sie sich ein baufälliges Haus im Kamptal. Sie zieht in das kleine Dorf, wo sie zunächst im Gasthaus wohnt, schlüpft trotz schwacher Gesundheit in die Rolle der Bauherrin und nimmt die Renovierung des Hauses in Angriff. Die heruntergekommene Liegenschaft soll wieder bewohnbar gemacht werden. Behutsam nähert sich die Frau den Eigenheiten des Gebäudes und des Gartens, will den ursprünglichen Zustand wiederherstellen. Gleichzeitig lernt sie das Dorf mit seinen Menschen kennen; die einen reagieren etwas unwirsch auf die „Stadtfrau“, andere wieder beglücken sie mit Erzählungen und unterstützen sie in Haus und Garten. Zwar bleibt sie eine Zugereiste, nimmt aber mit Interesse immer mehr am Dorfleben teil. Schließlich zieht die Frau in die neue Bleibe, richtet sich ein, alles findet seinen Platz. Ilse Helbich erzählt, wie eine Frau sich ein Zuhause schafft, das sie im bisherigen Leben nie hatte. Trotz Einsamkeit im Alter und Angst vor Krankheit, kann sie ihre neue Sesshaftigkeit und das friedliche Landleben genießen. Sie erfreut sich an den kleinen Dingen, die Natur und der Garten lassen sie glückliche Momente erleben. Ilse Helbichs Prosa ist still und klar, auf das Wesentliche konzentriert, Details werden liebevoll beschrieben. Ein berührendes Buch, das spürbar macht, wie jeder Augenblick gelebt werden kann, gelassen und mit der Gewissheit von Endlichkeit. Claudia Sykora-Bitter Hotschnig, Alois: Im Sitzen läuft es sich besser davon. Erzählungen. Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2009. 141 S., EUR 17.50 Der seit langem in Tirol lebende Alois Hotschnig wurde bereits mehrfach für seine Erzählungen, Theaterstücke und Romane ausgezeichnet und ist mittlerweile zu einem Fixstern am österreichischen Literatenhimmel geworden. Wie auch schon sein letzter, von der Literaturkritik bejubelte Erzählband „Die Kinder beruhigte das nicht“, so zeugt auch das neue – leider allzu schmale – Bändchen von außerordentlicher Begabung und nahezu perfekter Beherrschung von Sprache, sowie der Fähigkeit, ohne große Worte Befindlichkeiten und Gefühle zwischen den Zeilen erklingen zu lassen. Hotschnigs sechs Erzählungen machen nachdenklich über Dinge, die jeden von uns irgendwann betreffen: Altersheim, Krankheit, Demenz oder Tod. Sie führen auf realistische Weise die Absurdität alltäglicher Handlungen vor Augen, mit einem schalen aber ironischen Nachgeschmack. Gekonnt spielerisch wird Sprache verwendet, um Dialoge und Handlungen in oft verwirrt anmutenden Gedankengängen zu schildern – aber das ist die Realität des Alter(n)s. Keine leichte Übung für den Leser: man muss sich in jede Geschichte erst kurz einlesen, um den Handlungsstrang zu erfassen und die einzelnen Persönlichkeiten zu identifizieren. Aber die Mühe wird belohnt – wie in ein Rätsel, das es aufzulösen gilt, wird der Leser in die Geschichten hineingezogen und erst durch den Schnitt des Autors am Ende erlöst – erst im Nach hinein hat man verstanden, um was es wirklich geht. Alles in allem ein nachdenkliches, langsames und nach Stimmungslage des Lesers auch frustrierendes Buch, das einen Spiegel des Alters und der Eventualitäten vor Augen führt. Sissy Schiener 12 Von heimischen Edelfedern Kain, Eugenie: Schneckenkönig. Erzählungen. Salzburg, Wien: Müller 2009. 134 S., EUR 18,00 Die 1960 in Linz geborene Tochter des Widerstandskämpfers und Schriftstellers Franz Kain Eugenie hat nach „Im Fluß. Miniaturen“ einen weiteren Erzählband hervorgebracht. Nachdem sie 15 Jahre in Wien studiert hat, kehrte Kain wieder in ihre Geburtsstadt zurück, die wie so oft Mittelpunkt ihrer Texte ist. Es ist jedoch nicht das „Linz 09“, die Stadt mit dem Lentos-Museum und Ars Electronica Center, welches Kain schildert. Vielmehr sind es die Peripherie der Landeshauptstadt, ihre Industriegebiete, die Schrebergärten und Häfen, wo die sozial Benachteiligten und Außenseiter der Stadt leben – dies sind die Handlungsorte der in „Schneckenkönig“ gesammelten Geschichten. Die titelgebende Erzählung schildert die einsame Kindheit und Jugend eines Buben, der ein exotisches Hobby entwickelt: die Malakologie. Im Besonderen haben es dem Jungen die Schnecken angetan, und er macht sich auf die Suche nach dem Schneckenkönig. Als Schneckenkönige werden Schnecken bezeichnet, deren Häuser in die nicht arttypische Richtung (also linksgängig) gewunden sind. Maßgeblich für das Gelingen des Erzähl bandes sind auch die erste und die letzte Geschichte: es geht um die Liebe zwi- schen der Freundin eines Tankstellenpächters und einem rumänischen Matrosen, der Kreis des Erzählbandes schließt sich wieder. Gemeinsam ist allen neun Erzählungen eine gewisse Trauer und Melancholie, die durch die Schilderung der an den Rand gedrängten Protagonisten beim Lesen aufkommt. Wenn man Linz kennt, und nicht nur aus der Zeit der Kulturhauptstadt, dann hat man das Gefühl als würde man beim Lesen in die Vergangenheit zurück versetzt werden. In eine Zeit, wo das Stadtmarketing in Linz noch weit weg von den heutigen Verkaufskünsten war. Katharina Marie Bergmayr Mischkulnig, Lydia: Macht euch keine Sorgen. Neun Heimsuchungen. Innsbruck: Haymon, 2009. 110 S., EUR 15,90. „Neun Heimsuchungen“, der Untertitel des jüngsten Erzählbandes, stellt einen Zusammenhang zu dem 1998 erschienen Erzählband „Sieben Versuchungen“ der 1963 in Klagenfurt geborenen, vielfach ausgezeichneten Autorin Lydia Misch kulnig her. Waren die „Versuchungen“ noch the matisch der Jugend bzw. der Leidenschaft zwischen Frau und Mann zugeordnet, so liegt der Schwerpunkt der „Heimsuchungen“ bei älteren Menschen, meist Frauen Belletristik und deren Zweifel, Schicksalen und Erinnerungen. Schicksale schließen auch den Tod nicht aus, was Mischkulnig bisweilen nachhaltig und unverhohlen zelebriert. Die Autorin ist eine bedachtsame und gründliche Beobachterin und Zuhörerin. Ihre Protagonistinnen sind meist Ich-Erzählerinnen. In „Herzilein“ teilen sich 2 Frauen ein Zimmer im Krankenhaus. Die Ich-Erzählerin, frisch mandeloperiert, versucht eine innere Distanz zu ihrer Zimmergenossin, einer älteren Dame, aufzubauen, die eigentlich Banales aus ihrem Leben erzählt. Am nächsten Morgen ist die alte Dame jedoch unvermutet gestorben und für die Erzählerin bleibt ein Gefühl zurück, das als Ironie des Schicksals noch am besten zu erklären ist. „Beneidenswert, sagt der Arzt, wenn man bedenkt, was für eine Gewalt der Tod sonst hat.“ In „Ausgesorgt“ kommen verstörende Gefühle einer alleinerziehenden Mutter zum Vorschein, die nach einem Tee gespräch mit der Nachbarin, die ihre geliebten Katzen einer neuen Katzenmutter anvertraut hat, aufgewühlt werden. Lydia Mischkulnigs Geschichten lösen Verstörung aus, obwohl Ironie und leiser Humor eine gewisse Besänftigung bewirken. Aber wähnen Sie sich nicht auf der sicheren Seite, denn genau in diesem Moment verlieren Sie den Boden unter den Füßen. Rudolf Kraus Kossdorff, Jan: Sunnyboys Wien: Milena 2009. 389 S., EUR 18,90 „Sunnyboys“ ist ein rasant geschriebener Roman rund um die Turbulenzen im Leben zweier Brüder. Clemens und Claudio Komenda führen gemeinsam ein Sonnenstudio in Wien. Außerdem springt Clemens öfter als Detektivassistent in der Detektei eines Freundes ein. Als solcher ereilt ihn der Auftrag, die Frau eines bekannten Ex-Fußballers zu überwachen. Der Fall erweist sich als pikant. Die Dame ist mit einem Freund Richtung Wochenendhaus unterwegs. Dort stößt ein weiteres Paar zu ihnen und dann geht es intim zur Sache. Die Ankunft des zweiten Paares bedeutet für Clemens einen veritablen Schock, da er in ihnen seine Eltern erkennt. Fortan steckt er in einer Dauerkrise. Die Beziehung zu seiner Freundin Martina, einer Volksschullehrerin, beginnt brüchig zu werden. Claudio steckt seinerseits in einer festgefahrenen Ehe mit Rosi. Zudem ist er in die Frau des Detektivs verliebt, für den Clemens arbeitet. Andrea und Claudio fahren manchmal zu IKEA und spielen in den ausgestellten Wohnräumen Familienrollenspiele, bei denen Clemens sie heimlich belauscht. Clemens freundet sich mit dem lebenserfahrenen Ex-Fußballer an. Diese Beziehung beschert ihm ziemliche Aufregungen, da der ältere Mann den guten Dingen des Lebens nicht abgeneigt ist. Ein Geheimnis besitzt er auch, und in diesem spielt das Elternpaar Komenda eine tragende Rolle. Clemens und Claudio verlaufen eine wahre Gefühls-Odyssee. Einem Vorsatz bleibt Clemens trotz aller Turbulenzen treu: jeden Tag seines Lebens etwas Neues auszuprobieren. „Sunny Boys“ ist die sehr stimmige Geschichte einer Selbstfindung mit hohem Unterhaltungswert. Kossdorff gelingt es perfekt, die Balance zwischen ernster Nachdenklichkeit und skurrilem Humor zu halten. Die Charaktere der handelnden Personen sind ausgezeichnet getroffen, die Sprache zeichnet sich durch Bilderreichtum und Witz aus. Das Wiener Lokalkolorit ist auch sprachlich hervorragend getroffen. Der Schmäh läuft neben dem Weltschmerz dahin und trifft den Ton der urbanen Generation der 30-40 Jährigen ziemlich genau. Ein gelungener Romanerstling, dessen Autor man sich merken sollte. Maria Hammerschmid 13 Belletristik Von heimischen Edelfedern Rosei, Peter: Das große Töten St.Pölten: Residenz, 2009. 156 S., EUR 18,50 Peter Rosei zählt zu den bekanntesten Autoren der österreichischen Gegen wartsliteratur. Sein neuester Roman „Das große Töten“ ist ein schmaler Band, der die Geschichte zweier Außenseiter erzählt. Da ist zum einen Paul Wukitsch, ein hochintelligenter Bub der im tiefsten Burgenland aufwächst. Er wird von seinen Lehrern gefördert und landet im Priesterseminar, wo sein nahezu autistisches Verhalten bald zum Ausschluss führt. Und dann ist da Alexander Altmann, Angestellter in einer Kunstgalerie, der wegen Unterschlagungen gekündigt wird. Seine Frau, die ihn betrogen hat, begeht Selbstmord – sein Leben zerbricht auf allen Ebenen. Paul und Alexander treffen aufeinander und werden ein Paar. Gemeinsam wollen sie in einem Großkaufhaus auf der Mariahilferstraße einen Überfall machen. Doch Paul wird zum Amokläufer und schießt wild in die Menge. Roseis Erzählstil ist einfach und doch von „sprachlicher Kunstfertigkeit“ geprägt, wie ein Rezensent zu Recht bemerkt. Vor allem die Schilderung des dörflichen Lebens ist ausgesprochen gelungen, der Duktus scheint sich wunderbar in die Landschaft einzufügen, ist „von einer sprachlichen Schönheit und Eleganz, dass einem beim Lesen das Herz im Leibe hüpft“, so ein anderer. Und trotzdem: die Geschichte wirkt sehr konstruiert, die Charaktere sind nicht greifbar. Die Handlung entwickelt sich zunächst in zwei Strängen. Plötzlich werden diese zusammengeführt, wobei der Erzähler einiges schuldig bleibt. Schlussendlich kommt es zum Showdown, der sich nicht angekündigt hat und nicht nachvollziehbar ist. Der Roman schließt auf ausgesprochen unglückliche Art. Der bereits vielfach mit diversen Literaturpreisen ausgezeichnete Autor kann auf ein umfangreiches Werk zurückblicken. Ob dieser Roman zu seinen besten Stücken zählt, wage ich zu bezweifeln. Monika Nebosis Rossbacher, Verena: Verlangen nach Drachen Köln: Kiepenheuer & Witsch, 2009. 443 S., EUR 22.60 Die Vorarlberger Newcomerin Verena Rossbacher, Absolventin des deutschen Literaturinstituts Leipzig, hat jüngst mit ihrem Debütroman „Verlangen nach Drachen“ für Aufmerksamkeit gesorgt. Ihr kunstvoll gearbeitetes, stellenweise humoriges und über 400 Seiten starkes „Opus Magnum“ spaltet die Geister der Rezensenten ebenso wie die der LeserInnen. In Anlehnung an die österreichische Literatur der Zwischenkriegszeit eines Ca- netti, Horvath oder Doderer beschreibt die Autorin in sieben Kapiteln das Scheitern von Klara Grün in ihren Beziehungen zu Männern. Die einzelnen Geschichten werden aus der Perspektive der verlassenen Männer geschildert und stellen Klara als Männerverführerin, femme fatal, unschuldiges Mädchen u.a. dar. Den Reigen der Beziehungen eröffnet ihr Vater Roth. Der Roman ist in all seiner wirren Verflechtung vom Innenleben der Männer und ihren Beziehungsanalysen gefangen und der geneigte Leser kann einer Logik der Handlung nur schwer folgen; die überbordende Verwendung von Farben, Gerüchen, Symbolen und Motiven trägt auch nicht zum Verständnis bei. Der einzige Fixpunkt im Roman ist das Kaffe Neugröschl, dessen Besitzer - eine Figur aus Torbergs Tante Jolesch – als Einziger den Überblick bewahrt. Ab und an flackern sehr witzige und skurrile Szenen auf, im Großen und Ganzen ist die Lektüre doch nur mit einiger Mühe durchzuhalten. Das Buch, wenn auch sprachlich ein großes Kunstwerk, ist doch um Einiges zu lang. Die Autorin lässt noch viel von sich erwarten, sollte aber ihre Kunstfertigkeit etwas dosierter anwenden. Das Buch ist als Erstlingswerk sicher für mittlere bis große Bibliotheken geeignet, sollte aber vorwiegend geübterem Lesepublikum empfohlen werden. Sissy Schiener Anno dazumal Bennett, Vanora: Die Seidenprinzessin. Historischer Roman Frankfurt am Main: Wolfgang Krüger, 2009. 432 S., EUR 19,95 Im Frühling des Jahres 1471 begegnet die vierzehnjährige Isabel Lambert in einer Kirche in London einem jungen faszinierenden Mann. Außer einem kurzen intensiven Gespräch in einem nahe gelegenen Gasthaus, bei dem das Mädchen Vertrautheit und Wärme spürt, passiert nichts. Obwohl Isabel nicht einmal den Namen des Fremden kennt, muss sie immer wieder an ihn und diese außergewöhnliche Begegnung denken. Eine Woche später findet die von ihrem Vater arrangierte Hochzeit mit Thomas Claver statt. Isabel, die anfangs gar nicht begeistert ist von der ganzen Sache, fügt sich dem Wunsch ihres Vaters und kommt mit der neuen Situation überraschend gut zurecht. Gerade als sie beginnt für ihren Ehemann Gefühle zu entwickeln, kommt dieser wenige Wochen nach ihrer Vermählung bei Kampfhandlungen ums Leben. Da Isabel nicht zu ihrem herrischen Vater zurückkehren will, beschließt sie, als Lehrling im Haus ihrer Schwiegermutter Alice Claver zu bleiben. Sie ist fest entschlossen, Englands erste eigene Seidenweberei zu gründen, doch dafür braucht sie einen machtvollen Förderer und Gönner. Mehr als ein Jahr später, trifft sie den Fremden aus der Kirche wieder, diesmal beginnt eine heimliche Liebesbeziehung zwischen den beiden, da er verheiratet und außerdem der Bruder des Königs ist. Vanora Bennetts einfühlsame, manchmal kitschige Ausdrucksweise passt gut zu dieser Liebesgeschichte, die vor dem Hintergrund der Rosenkriege in England angesiedelt ist. Die Autorin versteht es, die Gefühlswelt der Protagonistin Isabel durch ihre pittoresken Schilderungen greifbar zu machen und gleichzeitig ein Sittenbild des ausgehenden 15. Jahrhunderts in England zu zeichnen. Brigitte Strohschein 14 Anno dazumal Gablé, Rebecca: Hiobs Brüder Bergisch Gladbach: Ehrenwirth, 2009. 907 S., EUR 24,90 Rebecca Gablé zählt mit ihren historischen Romanen, die im englischen Mittelalter spielen, zu den beliebtesten AutorInnen dieses Genres. Man erkennt schnell, dass die Autorin Anglistik und Germanistik mit Schwerpunkt Mediävistik studiert hat und auch der vorliegende Roman ist wieder exzellent recherchiert. Viele LeserInnen der Büchereien Wien warten sicher schon sehnsüchtig auf den neuen Schmöker. Der junge Simon, der an Fallsucht leidet, wird von Mönchen auf eine einsame Insel verbannt und in eine Festung gesperrt. Hier lernt er Losian kennen, Anführer der dort eingesperrten Unglücklichen, die alle an einem geistigen oder körperlichen Gebrechen leiden. Den Gefangenen kommt eine Sturmflut zu Hilfe, die die Gefängnismauern einreißt. Es gelingt die Flucht und eine Wanderschaft voll Hunger und Gefahren beginnt. LeserInnen, die die vorhergegangenen Bücher der Autorin gelesen haben, werden auch in „Hiobs Brüder“ wieder auf altbekannte Charaktere und Geschichten stoßen; ein Zuckerl für die Fans. Für das Verständnis des Romans ist es jedoch nicht notwendig, die anderen Bücher der Autorin zu kennen. Rebecca Gablé ist es wieder gelungen, einen faszinierenden Einblick in das mittelalterliche England zu gewähren, wobei diesmal auch auf das Leben der „einfachen“ Leute sowie körperlich und geistig Behinderter eingegangen wird. Trotz dieses eher tristen und ungewöhnlichen Themas fesselt die Autorin erneut mit einer Geschichte, die man nicht aus der Hand legen will, weil man unbedingt wissen möchte wie es weitergeht. Elisabeth Ghanim Glaesener, Helga: Das Findelhaus München: List, 2009. 410 S., EUR 8,95 Nach den Romanen „Wespensommer“ und „Wölfe im Olivenhain“ ermitteln Cecilia Barghini und der Richter Enzo Rossi nun im vorliegenden dritten historischen Krimi mit dem Namen „Das Findelhaus“. Im örtlichen Waisenhaus wird ein Kinder aus dem Fenster geworfen und stirbt. Der Gärtner behauptet, dass eine frühere Bewohnerin des Anwesens, die eben in diesem Zimmer ihr Kind auf die gleiche Weise getötet hat, wieder gekommen ist um zu morden. Tatsächlich wird eine verschleierte Frau von mehreren Augen zeugen gesehen und Cecilias Neugierde wird wieder einmal geweckt. Doch noch während die junge Frau auf einige Ungereimtheiten stößt, gerät sie ins Blickfeld von Rossis ungeliebten Vorgesetzten Lupori, der Cecilia beschuldigt, sich an den Spendengeldern für das Waisenhaus vergriffen zu haben. Und so findet sich Cecilia Barghini plötzlich im Gefängnis wieder, unfähig ihre Unschuld zu beweisen. Helga Glaesener ist mit „Das Findelhaus“ ein wirklich guter Abschluss der sogenannten „Toskana Trilogie“ gelungen, den LeserInnen auch ohne weiteres genießen können, wenn sie die beiden vorhergehenden Bände noch nicht kennen. Die Geschichte ist gewohnt spannend und atmosphärisch dicht erzählt, wobei der Kriminalfall so gekonnt konstruiert ist, dass auch geübte KrimileserInnen nicht so bald auf die Lösung kommen werden. Die ProtagonistInnen sind symphatisch geschildert und LeserInnen, die schon „Wespensommer“ und „Wölfe im Olivenhain“ verschlungen haben, werden sicherlich atemlos der Handlung folgen um herauszubekommen, wie die ungeheuerlichen Beschuldigungen von Lupori, die er mit so großem Hass gegen Cecilia vorbringt, mit den Morden im Waisenhaus zusammenhängen. Elisabeth Ghanim Gulland, Sandra: Die Sonne des Königs Frankfurt am Main: Krüger, 2009. 557 S., EUR 16,95 Sandra Gulland wurde dem breiten Publikum durch die Romantrilogie über Joséphine Bonaparte bekannt. Mit „Die Sonne des Königs“ legt sie einen historischen Roman rund um die Lebensgeschichte von Louise de la Vallière, der ersten „Maitresse en titre“ von Ludwig XIV vor. Louise verschlägt es nach dem Tod ihres Vaters, eines armen Landadeligen, an den Hof von Ludwig XVI. Dort lernt sie selbstverständlich auch den jungen König kennen, der sich in das intelligente und natürliche Mädchen, das obendrein noch eine hervorragende Reiterin ist, verliebt. Schon bald macht er Louise zu seiner Geliebten. Sandra Gulland hat gut recherchiert und so das historisch stimmige Porträt einer wichtigen Epoche der französischen Geschichte gezeichnet. Geschickt vermischt die Autorin historische Tatsachen mit Fiktion, wobei auch die Spannung nicht zu kurz kommt. Unter anderem waren Louise de la Vallière ebenso wie die Marquise de Montespan, die Louise aus der Gunst des Königs verdrängte, in die berühmte „Giftaffäre“ verwickelt. So ist „Die Sonne des Königs“, nicht nur ein historischer Liebesroman, sondern die LeserInnen erfahren auch recht viel über den Hof des berühmten Sonnenkönigs und seine Zeit. Belletristik Und vielleicht möchte die Eine oder der Andere dann doch noch ein historisches Werk entlehnen, um sich näher über diese interessante Epoche der französischen Geschichte zu informieren. Der Roman ist auf jeden Fall all jenen vorbehaltlos zu empfehlen, die verstärkt nach historisch gut recherchierten und doch flüssig und spannend zu lesenden Romanen fragen. In einem Nachwort kündigt die Autorin an, dass sie bei ihren Recherchen auf viele interessante historische Charaktere gestoßen ist, die wahrscheinlich in ihren nächsten Büchern auftauchen werden. Die LeserInnen können also gespannt sein. Elisabeth Ghanim Weiß, Sabine: Das Kabinett der Wachsmalerin. Der Madame-TussaudRoman Berlin: Marion von Schröder, 2009. 395 S., EUR 19,90 Mit dem historischen Roman “Das Kabinett der Wachsmalerin” knüpft Sabine Weiß nahtlos an ihr Buch „Die Wachsmalerin“ an, das im Jahr 2007 erschienen ist und auf dessen Fortsetzung sicherlich schon viele LeserInnen sehnsüchtig gewartet haben. „Das Kabinett der Wachsmalerin“ beginnt 1802 mit der Reise Marie Tussauds nach England. Gemeinsam mit ihrem älteren Sohn und einem windigen Geschäfts partner verpflichtet, möchte sie eine kurze Tournee quer durch das Land machen um dann wieder zu ihrer Familie nach Paris zurückzukehren. Doch dann macht ihr der Krieg zwischen England und Frankreich einen Strich durch die Rechnung. Tussaud muss sich alleine durchschlagen und versucht aus dem Knebelvertrag mit dem ungeliebten Partner Monsieur de Philipsthal herauszukommen. Erneut legt Sabine Weiß einen gut recherchierten und überaus unterhaltsamen historischen Roman rund um die Geschäftsfrau Marie Tussaud und ihr bekanntes Wachsfigurenkabinett vor. LeserInnen, die vom ersten Teil dieses historischen Romans begeistert waren, werden sicherlich auch vom vorliegenden Teil nicht enttäuscht werden. Detailreich schildert die Autorin die Kunst lebensechte Wachsfiguren herzustellen und welchen Stellenwert diese Puppen in einer Zeit ohne Boulevardblätter, Fernsehen und Internet einnahmen. Dabei kommen auch geschichtliche Ereignisse nicht zu kurz und die LeserInnen erfahren viel über die außergewöhnliche Frau, die es verstand, das Bedürfnis ihrer ZeitgenossInnen nach Abbildern berühmter Persönlichkeiten zu erspüren und auf höchstem Niveau zu befriedigen. Elisabeth Ghanim 15 Belletristik Ernst ist das Leben und heiter ... Ahern, Cecilia: Zeit deines Lebens Aus dem Englischen von Christine Strüh. Frankfurt am Main: Krüger, 2009. EUR 17,50 Nach einigen einleitenden, die Rahmen geschichte ausspannenden Kapiteln treffen an einem kalten Vorweihnachtsmorgen in Dublin die beiden Haupthelden aufeinander: der erfolgreiche Geschäftsmann und Familienvater Lou Suffern, dessen Familienleben unter seinem völlig durchgeplanten Berufsalltag leidet und der Obdachlose Gabriel, genannt Gabe, der seine Tage in der Nähe von Lous Bürogebäude verbringt und alles um sich herum aufmerksam beobachtet. Durch Gabes Beobachtungen erfährt Lou Neuigkeiten aus seinem Büro und revanchiert sich indem er Gabe einen Job in der Poststelle verschafft. Lous Alltag wird sehr genau und detailreich geschildert und es wird schnell klar, dass er eigentlich kein besonders sympathischer Zeitgenosse ist, der für seine Familie eigentlich kaum Zeit hat und sehr egozentrisch veranlagt ist. Etwa in der Hälfte des Romans kommt plötzlich ein phantastisches Element hinzu: durch Tabletten, die er von Gabe erhält, kommt es zu einer Verdopplung der Figuren, plötzlich gibt es zwei Lous. Einer davon betrinkt sich nach einem erfolgreichen Geschäftsessen, der andere kümmert sich um seine kranke Familie. Dabei wird ihm erstmals bewusst, auf wie unterschiedliche Arten er seine Lebenszeit nutzen kann und wie unterschiedliche Qualitäten darin liegen. Ab diesem Moment betrachtet er sein Leben auf eine bewusstere Art, doch bis zum großen UmdenkProzess dauert es und einige Hindernisse müssen noch überwunden werden. Insgesamt ist die Figurenzeichnung sehr stereotyp und die Handlungsverläufe sind größtenteils moralisch belehrend. Die Autorin verzichtet auch nicht auf eine abschließende Lektion, um explizit die Botschaft des Textes zusammenzufassen. Trotz allem liest sich die Geschichte flüssig, ist stilsicher und ohne unnötige Längen. Lisa Kollmer Claudel,Philippe:BrodecksBericht Aus dem Franz. von Christiane Seiler. Reinbek bei Hamburg: Kindler, 2009. 331 S., EUR 20.50 Ort und Zeit der Handlung kann man nur schätzen. Die Geschichte könnte im deutsch-französischen Grenzgebiet spie len, kurz nach dem Zweiten Weltkrieg. Orte und Namen sind frei erfunden, klingen mal französisch, dann wieder deutsch. Auch die Figur des Brodeck ist schwer einzuschätzen. Im Laufe der Erzählung kristallisiert sich heraus, dass der Mann ein Fremder in der Gemeinschaft ist. Als Kind wird er von einer alten Frau „aufgegriffen“. Im Laufe der Zeit erlernt er ihre Sprache, geht in die Schule, studiert. Er arbeitet für die Behörde, schreibt Berichte über das Wachstum der Blumen, über die Jahreszeiten, über den Wasser- stand des Flusses. Er schreibt auch einen Bericht über den „Anderen“, der kurz zuvor ins Dorf kam. Zu anders schaut er aus, zu groß ist die Angst vor dem Fremden, dass die Männer beschließen ihn zu ermorden. Brodeck wird gezwungen, das Geschehene nieder zuschreiben. Er weiß, dass ihn das gleiche Schicksal erleiden wird, wenn er sich weigert. Brodeck hat im Kazerskwir (ein fiktives Wort für KZ) gelernt, dass man nur überleben kann, wenn man alles tut was von einem verlangt wird. Seine Selbstachtung zu vergessen, das ist der Schlüssel fürs Überleben. Während er den Text über den „Anderen“ verfasst, schreibt Brodeck im Geheimen seine eigene Geschichte. Eine Methodik, um die Jahre der Gefangenschaft zu verarbeiten, zu hinterfragen, Parallelen zu ziehen. Es wird ein Bericht über sein Leben, das Dorf, die Kriege und ihre Folgen, über den nicht enden wollenden Hass und die Angst gegenüber dem Fremden. Obwohl man weiß, dass es sich um einen fiktiven Roman handelt, bleibt ein beklemmendes Gefühl zurück, denn es hätte genauso sein können. Ist es ähnlich doch gewesen und könnte irgendwo auf der Welt gerade so geschehen. Krieg, Verfolgung, Hinrichtung, Vernichtung. Claudel hat bereits in zwei anderen Romanen von Kriegen geschrieben, die beide, wie auch dieser, viel besprochen und mit Preisen ausgezeichnet wurden. Jana Kopittke-Gaida Babtschenko, Arkadi: Ein guter Ort zum Sterben Berlin: Rowohlt 2009. 124 S., EUR 15,40 Der 32 jährige russische Autor Arkadi Arkadjewitsch Babtschenko wurde mit seinem Roman „Die Farbe des Krieges“ international bekannt, in dem er seine Erfahrungen und Erlebnisse aus dem Ersten Tschetschenienkrieg schildert. Gleich nach seinem 18. Geburtstag, eigentlich noch Kind, wurde er vom Militär eingezogen, um ein Jahr später nur mangelhaft ausgerüstet und völlig unvorbereitet nach Tschetschenien versetzt zu werden. In seinem nun vorliegenden zweiten Roman „Ein guter Ort zum Sterben“ kehrt Babtschenko wieder zurück in den Kriegsalltag. Der junge Protagonist Artjom ist Funker im Zweiten Tschetschenienkrieg. Nahe der von Rebellen belagerten Hauptstadt Grosny lagert seine Truppe, sein Alltag besteht aus Dreck, Hunger, Todesangst und Langeweile. Die Frage nach dem Sinn der Ereignisse kann nicht beantwortet werden. Erst recht nicht, als Artjom bei einem Angriff von Heckenschützen ein kleines Mädchen in den Armen ihres Großvaters erschießt. Während der letzten Kriegsmonate denkt er nur selten an das Mädchen, danach muss er allerdings als Kindesmörder sein restliches Leben ertragen. Der nur 124 Seiten umfassende Roman schildert den grauenhaften Alltag russischer Soldaten. Wie in vielen anderen Kriegsromanen, etwa von Hemingway, Remarque oder Norman Mailer, wird auch hier der Gegner nicht als das Böse dargestellt – das Böse ist der Krieg an sich, die Brutalität der Vorgesetzten und Machthaber, die Tatsache, dass die Bewohner der umkämpften Gebiete keinen Krieg wollen, und doch die meisten Toten zu betrauern haben. Katharina Marie Bergmayr 16 Ernst ist das Leben und heiter ... Davidson, Andrew: Gargoyle Berlin: Bloomsbury 2009. 573 S., EUR 22.60 Dem kanadischen Autor Andrew Davidson ist mit seinem ersten Roman „Gargoyle“ gleich ein großer Wurf gelungen. Das Buch ist eine höchst gelungene, sprachgewaltige Mischung aus historischem Roman, Fantasy und Liebesgeschichte. Der rasante Einstieg ist eine ebenso eindrucksvoll geschriebene wie schwer verdauliche Schilderung eines Mannes, der in Folge eines Autounfalls in seinem Wrack zu verbrennen droht. Der Blickwinkel des Ich-Erzählens intensiviert die Leseerfahrung. In letzter Minute wird der Mann gerettet und findet sich im Krankenhaus wieder, wo ihm allerlei grausige Prozeduren angetan werden, um das verbrannte Fleisch zu heilen. Die Ironie des Schicksals will es, dass ausgerechnet jener Körperteil des Mannes verbrannt ist, der für seinen bisherigen Lebensunterhalt allein verantwortlich war – das Verbrennungsopfer war ein Pornodarsteller. Er fühlt sich allen Lebenssinnes beraubt und sein ganzes Streben richtet sich auf einen Selbstmord, den er begehen wird, sobald er aus der Obhut der Ärzte entlassen wird. Aber da kommt ihm Marianne Engel dazwischen. Die scheinbar aus der psychiatrischen Abteilung entwischte Frau taucht eines Tages am Krankenbett des Verbrennungsopfers auf und entführt ihn mit unterhaltsamen und mysteriösen Geschichten im wahrsten Sinne des Wortes in ein anderes Leben. Im Mittelalter seien die beiden schon einmal ein Liebespaar gewesen. Es ist ein Roman voll tiefer Liebe, ver zweifelter Besessenheit und trauriger Poesie, bei dem aber auch die Ironie nicht zu kurz kommt. Und es ist eine Geschichte über das Geschichtenerzählen. Es ist ein flüssig zu lesendes Buch, in dem man gern versinkt, aber es ist an keiner Stelle flach. Zudem geben die genauen historischen Recherchen des Autors ein stimmiges Bild des Mittelalters in Deutschland wieder. Kurz Susanne Diaz, Junot: Das kurze wundersame Leben des Oscar Wao Frankfurt am Main: S. Fischer, 2009. 381 S., EUR 20,60. Der übergewichtige, versponnene Oscar De Leon ist ein Unglücksrabe. Als Sohn einer dominikanischen Mutter die nach New Jersey emigrierte, muss er nun all jene Persönlichkeitsstörungen mit ausbaden, die ihren Ursprung in der harten Kindheit während der Trujillo-Diktatur haben. Im amerikanischen EinwandererMilieu ist die Situation zwar besser, aber auch nicht gerade rosig. So flüchtet er sich in Comics und Computerspiele, doch die reale Welt macht ihm bis zu seinem bitteren Ende schwer zu schaffen. Aus der Perspektive seines Mitbewohners im Studentenheim wie aus der Sicht seiner Schwester, erfährt man wie Oscar heranwuchs und vom kindlichen Glück in die Außenseiterrolle abdriftete. Die drastisch-tragikomische Geschichte wäre an sich schon ein brillanter Roman geworden, hätte der Autor den Stoff nicht noch reichlich ausgeweitet. Nicht nur in Fußnoten blättert er die jüngere Geschichte der Dominikanischen Republik auf, die an Gräuel genug zu bieten hat; die Geschichte von Oscars Vorfahren ist eng mit der des Landes verbunden. Verschwiegen werden weder die Verbrechen der jeweiligen Diktatoren und ihrer Handlanger noch die der amerikanischen „Helfer“, die Zeit der kubanischen Revolution wird ebenso präsent wie die spärlichen Versuche, den Inselstaat zu einem menschenwürdigen Land zu machen, was bis heute nicht gelang. Damit dies dem Leser nicht allzu bitter aufstößt, hat Diaz eine flotte, zeitgemäße Sprache im Jargon der Comic- und Computer-Generation gewählt, und sich mit derbem, gar garstig zynischem Humor über die grausame Realität hinweggesetzt. Junot hat einen fulminanten Erstlingsroman geliefert, für den er zu Recht mit dem Pulitzer-Preis geehrt wurde. Der Vergleich mit John Kennedy Tooles „Ignaz“ ist ebenfalls -bedingt- zulässig. Die anspruchsvolleren Leser warten schon! Günter Horvath Belletristik Delecroix, Vincent: Der Schuh auf dem Dach Aus dem Französischen von Patricia Klobusinczky. Berlin: Ullstein 2009. 217S., EUR 17,40 „Der Schuh auf dem Dach„ ist das erste Buch von Delecroix das in deutscher Sprache erschienen ist. Besagter Schuh ist tatsächlich der Protagonist. Er liegt in der Dachrinne eines Pariser Mietshauses und wir von allen möglichen Personen, die in gegenüberliegenden Wohnungen zu Hause sind, bemerkt und betrachtet. Niemand weiß, wie er tatsächlich in diese luftigen Höhen gekommen ist, aber jeder macht sich seine eigenen Gedanken, wie es denn passiert sein könnte. In zehn, scheinbar unzusammenhängenden, Geschichten, begegnen wir einem kleinen, schlaflosen Mädchen, das einen Engel auf dem Dach gesehen haben will; treffen wir einen verschmähten Liebhaber, der sich durch einen Einbruch an seinem Rivalen rächt; lernen wir einen Schriftsteller kennen, der auf einem Fest die Frau seines Lebens trifft, Jahre nach ihr sucht, und sie dann als Gefährtin seines besten Freundes findet; ein melancholischer, zutiefst verwirrter Hund klagt über sein plötzlich unberechenbares Herrchen. Obwohl jede dieser Personen, und der Vierbeiner, ihre ganz eigene bezeichnende Episode erzählt, weisen sie alle eine Gemeinsamkeit auf. In jeder von ihnen kommt der Schuh auf dem Dach vor. Dieser ganz profane Gegenstand wird auf diese weise zum Sinnbild dessen, was einem im Leben manchmal fehlt. 2007 in Frankreich erschienen, stand dieser Roman wochenlang auf Bestsellerlisten, begeisterte die Leser und war für alle wichtigen Literaturpreise nominiert, was ich ehrlich gesagt nicht ganz nachvollziehen kann. Die Sprache ist sehr bildhaft und poetisch, doch der vielgelobte französische Charme taucht nur in manchen Episoden auf. Obwohl es von philosophischen Gedanken und melancholischen Stimmungen nur so wimmelt, gehen einem nicht alle Geschichten wirklich unter die Haut. Manche erscheinen sehr oberflächlich und schaffen es daher nicht zu berühren. Ingrid Sieger 17 Belletristik Ernst ist das Leben und heiter ... Doulatabadi, Mahmud: Der Colonel Aus dem Persischen und mit einem Nachwort von Bahman Nirumand. Weltweite Erstveröffentlichung Zürich : Unionsverlag, 2009. 222 S., EUR 20,50 Iran in den frühen 80ern: mitten in der Nacht klopft es an die Tür eines alten Mannes. Es ist der Geheimdienst um den greisen Colonel abzuholen. Früher war er ein hoch dekorierter Offizier in der Armee des Schahs. Nun wird er zur Staatsanwaltschaft gebracht, wo man ihm seine tote Tochter übergibt – sie wurde hingerichtet und soll heimlich bei Nacht und Nebel begraben werden. Im strömenden Regen macht sich der Colonel auf den Weg, um Hacke und Schaufel zu besorgen. So beginnt ein Alptraum, der die Geschichte und das Trauma einer ganzen Nation widerspiegelt. Der alte Mann irrt durch die Nacht und begegnet dabei den Schatten seiner Vergangenheit – hart an der Grenze zwischen Halluzination und Wirklichkeit. Stück für Stück wird dabei sein Leben und das Schicksal seiner Familie, die er allesamt an die Revolution verloren hat, aufgerollt. Jedes seiner Kinder steht für eine politische Richtung: Amir hat als Anhänger der kommunistischen Tudeh-Partei gegen den Schah gekämpft, musste Folter und Gefängnis über sich ergehen lassen und verliert schließlich den Verstand. Mohammad Taghi ist Mitglied der marxistisch orientierten Volksfedajin und kommt im Kampf ums Leben. Anfangs geehrt, wird er später verdammt. Masud wiederum ist Khomeini-Anhänger: er wird im iranisch-irakischen Krieg an die Front geschickt und stirbt als „Märtyrer“. Hingegen wird die vierzehnjährige Schwester Parwaneh, die mit den islamischen Volksmudschahedin sympathisiert, vom Geheimdienst ermordet. Der Colonel ist die erste große literarische Bearbeitung der iranischen Revolution von 1979. Aufgrund der schonungslosen und drastischen Darstellungen ist die Lektüre des Romans stellenweise nur sehr schwer erträglich. Dennoch besticht der Text durch eine Sprachgewalt und stilistische Virtuosität, die ihresgleichen sucht und zweifelsfrei klar macht, dass hier ein ganz großer Schriftsteller am Werk ist. „Mahmud Doulatabadi ist ein Urgestein der persischen Literatur“, heißt es im Nachwort des Übersetzers, und tatsächlich gilt der 1940 geborene Autor als einer der wichtigsten zeitgenössischen Literaten des Iran. Am „Colonel“ hat er 25 Jahre lang geschrieben, ständig wurde der Text verändert und überarbeitet. Erscheinen konnte das Buch aber letztendlich nur in der Fremde – bezeichnenderweise liegt das persische Original noch immer bei der iranischen Zensurbehörde und ist für eine Publikation bis dato nicht vorgesehen. Thomas Geldner Djebar, Assia: Nirgendwo im Haus meines Vaters Frankfurt am Main: S. Fischer, 2009. 441 S., EUR 22,60 „Es handelt sich hier keinesfalls um eine Autobiographie“ stellt Assia Djebar – eine der renommiertesten Autorinnen des Maghreb – in ihrem neuen Roman fest. Und doch führt die gebürtige Algerierin in ihre Kinder- und Jugendjahre zurück. Sie greift einzelne Erinnerungssplitter auf, erzählt von ihrer Internats- und Studienzeit. Trotz der Strenge ihres muslimischen Vaters schafft sie es immer wieder sich Freiräume zu schaffen. Auf die geheimen Treffen mit ihrem Brieffreund und Verehrer verzichtet sie auch nicht. Gerade diese Passagen machen eindringlich erfahrbar, was es für ein muslimisches Mädchen heißt, im kolonialisierten Algerien aufzuwachsen: Während sich die Europäerinnen frei und ohne Schleier in der Öffentlichkeit bewegen dürfen, bleibt der Radius der meisten muslimischen Frauen auf den engen Wohnraum oder die Innenhöfe beschränkt. Assia Djerba verfolgt keine einheitliche Erzählweise. Während sie den arabischen Alltag und die heimatlichen Bräuche durch die scharfen Augen eines Kindes beobachtet, bekommen einzelne Selbst betrachtungen fast einen mystischen Ton. Dabei wechselt sie oft die Perspektive. Auch die Ebenen der Zeit verschwimmen ständig. In ihren Erinnerungen greift Djerba ebenso vor wie zurück, gelegentlich findet man sich in der Gegenwart wieder. Inwieweit die Autorin in ihrem Roman Tatsächliches rekonstruiert, ungewollt Vergangenes durch falsches Erinnern verwässert, oder bewusst erfindet, bleibt offen. „Nirgendwo im Haus meines Vaters“ ist mehr als die Schilderung einer persönlichen Emanzipationsgeschichte. Der Roman liest sich auch als Einführung in die algerische Kolonialgeschichte und bringt den LeserInnen die arabische Lebens- und Alltagskultur etwas näher. Aus diesem Grund an alle Zweigstellen empfohlen. Daniela Raunig Kinsella, Sophie: Charleston Girl München: Goldmann, 2009. 495 S., EUR 14,90 Sophie Kinsella ist bekannt für ihre witzigen Frauenromane. Nun liegt mit „Charleston Girl“ ihr neuestes Werk vor, bei dem es sich eigentlich um eine Geistergeschichte handelt. Diesmal steht nämlich nicht nur die Heldin des Romans – Lara Lington – im Mittelpunkt der lustigen Story, sondern auch der quirlige Geist ihrer verstorbenen Großtante. Alles beginnt beim Begräbnis von Tante Sadie. Dort erscheint Lara plötzlich der Geist der Verstorbenen, der Hilfe bei der Wiederbeschaffung einer verlorengegangenen Perlenkette einfordert. Ab diesem Zeitpunkt ist nichts mehr wie es einmal war. Sadie erscheint Lara nicht als der Geist einer alten Dame, sondern wie aus den 1920ern, mit flottem Kurzhaarschnitt, einer Vorliebe für Charleston, schönen Kleidern und starkem Make-Up. So richtig kompliziert wird die Geschichte allerdings erst als der Geist von Sadie sich verliebt und Lara dazu zwingt mit ihrem Schwarm ein Date auszumachen – und das im Stil der 20er Jahre. Von da an überschlagen sich die Ereignisse und Lara vergisst fast darauf, Ordnung in ihr eigenes chaotisches Leben zu bringen. Sophie Kinsella ist mit „Charleston Girl“ erneut ein Frauenroman gelungen, den ihre Fans lieben werden. Sie hat mit dem Geist von Sadie eine Figur erschaffen, die frau nicht so rasch vergisst und wieder einmal das Kunststück fertiggebracht, dass die LeserInnen der warmherzigen Geschichte rund um Freundschaft, Liebe und Familie immer wieder laut auflachen und einige Minuten später vor Rührung Tränen in den Augen haben werden. „Charleston Girl“ ist für alle Zweigstellen wärmstens zu empfehlen und wird sicherlich viele LeserInnen zum Lachen – und vielleicht auch Nachdenken – bringen. Elisabeth Ghanim 18 Ernst ist das Leben und heiter ... Némirovsky, Irène: Leidenschaft München: Knaus, 2009. 126 S., EUR 14.95 Dieser außergewöhnliche Roman zog mich vollkommen in seinen Bann, nicht nur der Umstände seiner Verlegung wegen. Irène Némirovsky wurde kurz nach Fertig stellung des Textes verhaftet und nach Auschwitz deportiert, wo sie 1942 starb. „Chaleur du sang“, so der Originaltitel, ist eine ländliche Tragödie. Sie spielt nach dem Ersten Weltkrieg, in einer erdgebundenen Gesellschaft in der französischen Provinz. Die Menschen sind misstrauisch, wortkarg, wollen unter sich bleiben. Erzählt wird aus der Sicht von Silvestre, einem alternden Cousin der Familie Érard, der als junger Mann sein gesamtes Erbe verkaufte, um das Glück in fernen Ländern zu suchen. Nach seiner Rückkehr fristet er einen ärmlichen Lebensabend. Als ruhender Pol der Erzählung erscheinen Hélène und Francois Érard, Großgrundbesitzer und ein seit ewigen Zeiten innig verbundenes Ehepaar. Ihre Tochter Colette heiratet den sensiblen Jean, in ihrem Streben es den Eltern gleich zu tun, aber bereits ein Jahr später droht sie an diesen hehren Ansprüchen zu verzweifeln. Dann stürzt Jean in einen nahen Fluss und stirbt. Es braucht Jahre, bis die Wahrheit über diesen Abend ans Tageslicht dringt. „Leidenschaft“ ist ein stimmungsvoller, tiefgehender, und doch kurzer Roman, der „von der Strenge und Bigotterie der Eltern generation handelt, die einst selbst jung und unvernünftig gewesen war, im Alter aber kein Verständnis mehr für die Leidenschaften der Jugend habe.“ (Quelle Klappentext) Markus Gernedl Nothomb, Amélie: Biographie des Hungers Aus dem Französischen von Brigitte Große Diogenes: Zürich 2009. 207 S., EUR 19,50. geb. Amélie Nothomb wurde 1967 in Kobe geboren und wuchs als Tochter eines belgischen Diplomaten im Fernen Osten auf. Ihre Bücher stehen im frankophonen Raum auf den Bestsellerlisten, aber auch international hat sie literarische Größe erlangt und ist immer wieder für Literaturpreise im Gespräch. Mit der „Biographie des Hungers“ Belletristik schildert sie ihre frühen Jahre, die bio graphischen Erlebnisse aus Japan, China, USA, Bangladesch und Burma sind darum das Hauptthema. Sie erzählt von einem früh festgestelltem Hunger nach Liebe, Anerkennung, Schönheit, Frauen, Männern, Literatur, Kultur und natürlich Kulinarik. In ihrer bekannt knappen, teilweise boshaften Sprache rechnet sie mit ihren eigenen Vorzügen, aber auch Unzulänglichkeiten ab. Auch ihre diversen Wirrungen kommen nicht zu kurz. Gnadenlos rechnet sie mit ihrer Anorexie und ihrem Körper ab; mit ihrer Alkohol- und Naschsucht sowieso. Immer wieder führt der Erzählfluss in die Gegenwart zurück, wo sie ihre Ver gangenheit analytischen Untersuchung unterzieht und im Nachhinein zu erklären sucht. Dies kommt auch unerwartet und birgt bizarr-komische Züge, die Nothombs literarisches Können unterstreichen. Das Buch funktioniert zwar, ist aber weit von dem entfernt, was Amélie Nothomb schreibt kann. Spröde entzieht sich das Werk jeder Kategorisierung und ist wahrscheinlich nur für absolute Fans von Bedeutung. Erich Huber O’Connor, Joseph: Wo die Helden schlafen Frankfurt am Main: S. Fischer, 2009. 557 S., EUR 23,60 Mit dem vorliegenden Band reiht sich der irische Erzähler in eine Reihe neuer amerikanischer Romanciers (Whitehead, Powers, Guterson u.a.), die in ihren Romanen die neuere Zeitgeschichte Amerikas zum Sujet nehmen, um daran zu erinnern, dass der heutige Kontinent und seine Entwicklung auf die Anstrengungen der Siedler aus aller Herren Länder angewiesen war. Alle Romane des Autors sind in englischer Originalsprache sowie in Übersetzungen im Bestand der Büchereien Wien. Vor dem turbulenten Hintergrund des Amerikanischen Bürgerkrieges erzählt der Autor eine leidenschaftliche Liebesgeschichtem zwischen drei Menschen. Aus den Wirren des irischen Freiheitskampfes verschlägt es den Kartographen Alan Winterton in die abgelegene Goldgräberstadt Edwardstown. Dort lernt der Flüchtling Lucia O’Keefe kennen, Frau des geheimnisvollen Gouverneurs des Staates. O’Keefe war ebenfalls im Irischen Freiheitskampf aktiv und erwarb sich legendären Ruf. Die gebildete, freigeistige Lucia ist hin- und hergerissen zwischen einer aufkeimenden Liebe zu Alan und der Loyalität zu ihrem cholerischen, übermächtigen Mann. In dieser Situation entschließt sich Lucia ihr Leben allein als Schriftstellerin zu verbringen. Im anschließenden Frieden nach dem Krieg erschwert die schuldbeladene Vergangenheit jede weitere Beziehung zueinander. Während James O’Keefe in Amerika weiter für die Freiheit des Landes kämpft, lebt Lucia in Irland als emanzipierte Dichterin. Vor dem Panorama des Amerikanischen Bürgerkrieges erzählt O’Connor ein wuchtiges Epos, dass von Einzelschicksalen in biblischem Ausmaß getragen wird. Faksimile, authentische Fotos, unterschiedliche Schriftarten, sowie Liedtexte aus zwei Kontinenten in den Text eingefügt machen den Roman zu einem ansprechenden literarischen Vergnügen. Hermann Gamauf 19 Belletristik Ernst ist das Leben und heiter ... Palahniuk, Chuck: Bonsai Aus dem Amerik. v. Werner Schmitz. München: Manhattan 2009. 254 S., EUR 17,50 Chuck Palahniuk, 1962 in Amerika geboren, gilt seit der Verfilmung von „Fight Club“ als Kultautor. Er hat eine große Fangemeinde und zeichnet sich durch unkonventionelle Erzählweisen aus. Das neue Buch ist sprachlich auf die Spitze getrieben. Palahniuk erzählt in völlig falscher Zeitenfolge und Grammatik; im Original wie in der deutschen Übersetzung. Aber nicht nur die Sprache ist bizarr. Agent Nr. 67 kommt aus einem Land, das Babys entführt und zu Kampfmaschinen erzieht. Die Halbwüchsigen werden in das verkommene Amerika eingeschleust, um das System von innen zu zerstören. So gelangt Nr. 67 im Rahmen eines Schüleraustauschprogramms in eine amerikanische Mittelstandsfamilie. „Schnaufende Kuh Gastvater, zuckendes Huhn Gastmutter, Schweinhundbruder und Katzschwester“ erfüllen jedes Klischee. Die Familie ist in der Kirche aktiv, die Eltern werden von den Kindern unter Drogen gesetzt, die Mutter feiert DildoPartys. Bonsai ist entschlossen, seinen Auftrag zu erfüllen. Beim Planspiel „Vereinte Nationen“ - in dem ihm die Rolle der USA zugeteilt wird - kommt es zu einem Massaker. Bonsai rettet einige und wird als Held gefeiert. Dann entflammt er in Liebe zu seiner Gastschwester und beginnt zu guter Letzt ein neues Leben. „Bonsai“ ist aufgrund der Sprache schwer konsumierbar. Wenn man sich allerdings darauf einlässt, entsteht ein Lesefluss. Die Geschichte ist mitreißend chaotisch, böse und zynisch; ein typischer Palahniuk. In einer alptraumhaften Welt verpackt er eine ordentliche Portion Gesellschafts- und Systemkritik. Das Buch strotzt vor aberwitzigen Einfällen, die überraschend, originell und schockierend sind. Maria Hammerschmid Pratchett, Terry: Eine Insel München: Random House, 2009. 440 S., EUR 19,95 Der junge Mau muss ein Monat auf einer einsamen Insel verbringen, überleben und mit einem selbst gebauten Kanu wieder zu seinem Stamm zurückkehren – dann gilt er als Mann. Just auf seiner Heimreise überspült ein riesiger Tsunami das Inselparadies auf dem er und sein Volk leben. Mau überlebt durch Zufall und findet seine Heimatinsel, doch nichts ist mehr wie es vorher war. Auch Ermintrude, die Tochter eines britischen Gouverneurs, wird auf der Insel angespült. Sie war auf der Überfahrt zu ihrem Vater als der Tsunami sie und ihr Schiff überraschte. Sie nennt sich ab jetzt Daphne und muss lernen in der Wildnis zu leben. Daphne und Mau lernen sich kennen und werden Freunde und beginnen langsam die Kultur des anderen zu verstehen. Bald tauchen noch ein paar weitere Überlebende auf. Zusammen versuchen sie zu überleben und ihr Leben wieder zu ordnen. Eine Insel ist eine wunderschöne Geschichte über Freundschaft, Verständnis zwischen verschiedenen Kulturen und die ewige Frage warum Gott oft großes Leid zulässt. Der Roman spielt auf der Erde – einer Parallelversion unsrer Welt. Vieles kommt dem Leser bekannt vor, einiges hat Pratchett verändert und einiges dazu erfunden, doch fühlt man sich sofort heimisch und fühlt mit den Protagonisten mit. Eine Insel besticht nicht durch den Pratchett-typischen Humor (auch wenn er stellenweise natürlich vorkommt), sondern eher durch zwischenmenschliche Beziehungen und die Charakterentwicklung der Hauptpersonen. Terry Pratchett wurde durch seine Scheibenwelt-Romane bekannt und von vielen Lesern geliebt. Wer einen Roman im Stil seiner Geschichten aus der Scheibenwelt erwartet wird enttäuscht werden. Jeder der unvoreingenommen an das Buch herangeht und sich verzaubern lassen will, wird auch verzaubert werden. Silvia Rosinger Popov, Alek: Für Fortgeschrittene St. Pölten, Salzburg: Residenz, 2009. 282 S., EUR 22,00 Popov wird vom Falter als der führende Satiriker Bulgariens bezeichnet, der Klappentext spricht von „Monty Python auf Bulgarisch“. Das alles hat mich zu Recht neugierig gemacht. Das Buch bereitete mir durchaus Lesevergnügen, auch wenn die Erzählungen in der zweiten Hälfte eher bedrückend ausfallen. Der Humor erinnerte mich oft an T.C. Boyle. Die Geschichten sind in Bulgarien angesiedelt und bestechen durch ihre originellen Ideen. Bereits die erste, nur 6 Seiten lange Erzählung bietet ein überraschendes Ende und lässt gespannt weiterlesen: der Ich-Erzähler Sascha macht die Email-Bekanntschaft mit der jungen Russin Viktorija. Nach etlichen Mails wollen die beiden dem Cyber-Sex auch echten Sex folgen lassen. Daher soll Viktorija für ein paar Tage nach Bulgarien kommen. Doch am Flughafen erwartet den Erzähler nicht die hübsche Russin sondern ein älterer Mann, der vorgibt, Viktorijas Vater zu sein, Viktorija sei in Wahrheit erst 13 Jahre alt und hätte sich mit Sascha nur einen Spaß erlaubt. Völlig perplex überlässt Sascha dem Mann das von ihm für Viktorija gemietete Appartement, indem er einen Brief und eine Schachtel hinterlässt: Viktorija sei eigentlich nicht seine 13jährige Tochter sondern seine Frau, deren Untreue er auf die Schliche gekommen sei. Das Foto, das Sascha von Viktorija bekommen hatte, sei echt. Er könne sich gerne davon überzeugen, er müsse nur die mitgebrachte Schachtel im Kühlschrank öffnen. Neben solchen sehr kurzweiligen und spannenden Erzählungen gibt es wie bereits erwähnt auch ernsthaftere Geschichten, in denen sich wahre historische Begebenheiten widerspiegeln. Katharina Marie Bergmayr 20 Ernst ist das Leben und heiter ... Belletristik Roth, Philip: Empörung Aus dem Amerikan. von Werner Schmitz. München: Hanser, 2009. 201 S., EUR 18.40 Marcus Messner ist ein junger Mann mit jüdischen Wurzeln. Seine Eltern betreiben eine koschere Metzgerei in Newark, einem Vorort New Yorks. Ausgestattet mit Intelligenz und Zähigkeit hat er sich in der Highschool Bestnoten und die Aufnahme ins lokale College erarbeitet. Er hofft auf diese Weise der Einberufung zu entkommen, oder zumindest durch einen höheren Dienstgrad leichter mit dem Leben davonzukommen, denn es ist die Zeit des Koreakrieges. Amerika hat sich unter UN-Mandat in einen verlustreichen Krieg involviert, die Einberufung hängt als Damoklesschwert über den Köpfen junger Männer. Obwohl es dafür keinen Grund gibt, wird Marcus Vater von der Angst befallen, seinem Sohn könnte in der Eigenständigkeit etwas zustoßen, der kleinste Fehler könnte fatale Folgen haben. Um sich der steigenden Panik seines Vaters zu entziehen, wechselt Marcus auf das weiter entfernte traditionellere College von Winesburg im amerikanischen Mittelwesten und lässt dafür auch beginnende Freundschaften und verehrte Lehrer zurück. Auch in Winesburg wird ihm das Collegeleben nicht leicht gemacht. Er will sich keiner Studentenverbindung anschließen, die geforderten 40 Gottesdienstbesuche in der örtlichen Kirche sind ihm verhasst. Der erste Zimmerkollege lässt ihn nicht schlafen, der zweite lebt in einer eindimensionalen Welt. Zusätzlich verwirrend tritt zum ersten Mal Liebe und Sexualität in Form einer problematische Romanze in sein Leben. Als er zum zweiten Mal das Zimmer wechselt, wird der Dean, zuständig für Studentenangelegenheiten, auf ihn aufmerksam. Eine hitzige Debatte folgt, in welcher der aufgebrachte Marcus als debattierclubgestärkter Atheist seine Situation gegenüber dem glaubensfesten Dean nur verschlechtern kann. Der Roman ist aus Marcus persönlichen Perspektive geschrieben, was mitnichten ungewöhnlich wäre, hätte man nicht bereits früh im Buch erfahren, das Marcus bereits gestorben ist, gefallen im Koreakrieg wenige Monate später. Marcus akzeptiert diesen irritierenden Zustand einer detailreich mit seiner eigenen Aufarbeitung beschäftigten Erinnerung, einer unerwarteten Art Leben nach dem Tod. Empörung liest sich sehr flüssig und ist (auch aufgrund seines großzügigen Seitenrandes) bei entsprechendem Engagement an zwei längeren Abenden zu bewältigen. Die Sprache ist angenehm routiniert, man fühlt sich gefällig durch die Erlebnisse und die Gefühlswelt des jungen Marcus geführt, ohne starken Irritation ausgesetzt zu werden. Markus Gernedl Saunders, Kate: Liebe macht lustig Frankfurt am Main: Krüger, 2009. 379 S., EUR 15,40 Beth und Charlie, ein Ehepaar um die 50, machen einmal im Jahr getrennt vom Partner eine Woche Urlaub, um, wie sie sagen, „den Akku aufzuladen“. Charlie plant diesmal eine Erholungswoche in einem alten französischen Schloss. Als Beth erfährt, dass seine Arbeitskollegin Clare in der gleichen Unterkunft urlauben möchte wie ihr Mann, schöpft sie Verdacht. Da sie vermutet, dass Clare Charlies Geliebte ist, besteht sie nun darauf, gemeinsam mit ihren beiden pubertierenden Töchtern ihren Gatten in diesen Urlaub zu begleiten. Charlie, der tatsächlich ein Verhältnis mit Clare hat, legt dieser nahe, so zu tun, als ob sie beide wirklich nur Arbeitskollegen seien. Während dieser Woche treffen die Hauptpersonen auf weitere Schloss hotelgäste mit denen sich mehr oder weniger intensive Beziehungen ergeben. Als Krönung dieser skurrilen Ferien stellt sich dann noch heraus, dass dieses exklusive Chateau in Frankreich eine halbverfallene Ruine mit undichtem Dach und Ratten im Swimmingpool ist. Die Köchin hat ein Alkoholproblem und ist nicht im Stande die Gäste zu verköstigen, sodass diese sich mit Tiefkühlpizza begnügen müssen. Die spannendeste aller Fragen ist jedoch: Wird sich Charlie von Beth scheiden lassen, oder nicht? „Liebe macht lustig“ ist ein flüssig geschriebener und leicht zu lesender Roman. Die Unterteilung in Kapitel und eine angenehme Druckgröße erhöhen das Lesevergnügen. Einige der Personen wirken etwas „schräg“, die Protagonisten sind jedoch sehr realitätsnah dargestellt, sodass man mit ihnen bis zum Schluss mitlebt. Die Autorin versteht es die Spannung bis zuletzt zu halten. Einziger Wermutstropfen ist die schlechte Bindung dieses Taschenbuchs. Kate Saunders schrieb als Journalistin u. a. für die „Sunday Times“ und „Cosmopolitan“ und arbeitete für das Radio. Eva-Maria Baumgartner Winter, Leon de: Das Recht auf Rückkehr Zürich: Diogenes, 2009. 549 S., EUR 23,60 Israel besteht im Jahr 2024 nur mehr aus dem Stadtstaat Tel Aviv, in dem trotz Überwachung Selbstmordattentate nach wie vor alltäglich sind. Wer noch hier lebt, denkt an Auswanderung. Einer von ihnen ist Bram Mannheim. Er leitet eine Agentur, die sich auf die Suche nach vermissten Kindern spezialisiert hat. Ursprünglich war ihm eine große wissenschaftliche Karriere als Historiker in Princeton beschieden gewesen, doch diese hatte, wie seine Ehe, ein Ende genommen, als sein Sohn verschwand. Nachdem er lange durch Amerika geirrt war, um ihn zu finden, hatte ihn sein Weg wieder zurück nach Israel geführt. Als es eines Tages wieder zu einem Anschlag kommt, muss Bram erkennen, dass dieser auch etwas mit dem Verschwinden seines Sohnes zu tun haben könnte. Leon de Winter erzählt diese Geschichte mit wechselnden Zeitebenen und Schauplätzen, die dem Roman, ebenso wie die geschickt gesetzten Spannungsmomente, ein hohes Tempo geben. Das Buch lässt sich daher in erster Linie als gut konstruierter Thriller lesen, weniger als Zukunftsroman, für den die israelische Gesellschaft und das Leben im geschrumpften Staat zu blass gezeichnet sind. Da Politik in diesem Roman eine dominierende Rolle spielt, drängt sich eine entsprechende Lesart auf, aber auch hier wirkt vieles oberflächlich, wenn nicht gar klischeehaft. Die stärksten Szenen gelingen de Winter, wenn es um Vater-Sohn Beziehungen geht, von denen es gleich zwei gibt, denn auch Brams Vater spielt in diesem Roman eine wichtige Rolle. Georgia Latzke