ücherbriefe neue wiener
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neue wiener ücherbriefe 1/2008 Die Rezensionszeitschrift der Büchereien Wien „Poetisch, humorvoll, erzählerisch dicht und zutiefst berührend schildert die Autorin die Geschichte einer späten Einsicht“ weltbild.at „Der japanische Romancier und Drehbuchautor Taichi Yamada zaubert einen weiteren faszinierenden Roman aus seiner Schublade, der auf sehr plausible, wenn auch ungewöhnliche Art und Weise die Grenzbereiche zwischen Verlangen, Liebessehnsucht und Einsamkeit moderner Großstadtmenschen auslotet“ Florian Hunger, Jüdische Zeitung Editorial ..........................................2 Belletristik .......................................3 Kinder- und Jugendbuch ..............20 Sachbuch ......................................34 2 Unüberschaubares wird überschaubar Editorial Dass das Angebot an Informationen in unserer gegenwärtigen Welt riesig ist, ja unüberschaubar, ist eine längst anerkannte Aussage, und wer möchte daran zweifeln? Wir als Büchereien stehen mitten drin in diesem Strom, bieten selber ein Maß an Botschaften, das man ruhig riesig nennen kann – aber nicht unüberschaubar. Und eben das ist die Qualität, auf Grund derer wir uns weiterhin für, nun ja, unverzichtbar halten: so etwas wie eine Linie zu halten bei aller Offenheit, einen Begriff von Qualität zu haben. Im Internet steht Wahres neben Erfundenem, die weise Aussage neben der dümmsten völlig gleichberechtigt, seltsame Mythen können sich unwidersprochen entfalten, apokalyptische Botschaften ebenso wie plumpe Verleumdungen von Personen – neben einem unschätzbaren Angebot an Wissen und Fakten, wie er früher nicht möglich gewesen wäre. Eine ordnende Hand im Netz widerspräche aber auch in gewisser Weise dessen Grundidee. Und deshalb bleibt und Aufgabe der Bibliotheken unübersehbar, zwar vieles anzubieten, fast alles – aber eben nicht alles und jedes. Und so sehen wir auch der Zeit der e-books und anderer Dinge, die da anstehen, mit Interesse und Aufgeschlossenheit entgegen und werden uns – so ist der Verfasser jedenfalls überzeugt – entsprechend zu positionieren wissen. Erich Schirhuber Impressum Öffnungszeiten Adressen Medieninhaber und Verleger Verein der Freunde der Büchereien Wien, unterstützt von der Magistratsabteilung 13. Büchereien Wien Am Gürtel Mo–Fr 11.00–19.00 Uhr Sa 11.00–17.00 Uhr Stützpunktbüchereien: 3., Erdbergstr. 5–7, Tel.: 711 34/ 03161 • 4., Favoritenstraße 8, Tel.: 50234/ 04-161 • 12., Meidlinger Hauptstraße 73 (Arcade), 4000 12160 • 11., Dommesgasse 6, Tel.: 740 34/11165 oder 11166 • 19., Billrothstraße 32, Tel.: 360 34/19160 • 22., Bernoullistraße 1, Tel.: 21123/22161 Redaktion Redaktionsleitung: Dr. Erich Schirhuber. Redaktion: Dr. Walter Ertl, Eva Fritschen, Peter Interkörner, Rudolf Kraus, Mag. Claus Oszuszky, Beate Wegerer. Endredaktion: Mag. Robert Buchschwenter. Adresse von Medieninhaber und Redaktion Urban-Loritz-Platz 2a, 1070 Wien Tel.: (43 1) 4000-84502, Fax: (43 1) 4000-99510 E-Mail: erich.schirhuber@buechereien.wien.at Grafik & Satz Mag. Robert Buchschwenter 1160 Wien, Ottakringer Straße 29/18 E-Mail: robert.buchschwenter@buechereien.wien.at Druck Buch- u. Offsetdruckerei Karl Werner KG, 1070 Wien, Lerchenfelder Straße 37; Tel.: 523 81 76 Abonnement Wer die „Neuen Wiener Bücherbriefe“ zugeschickt bekommen möchte, soll uns schreiben (Neue Wiener Bücherbriefe, Urban-Loritz-Platz 2a, 1070 Wien). Wir schicken Ihnen das Heft regelmäßig zu und legen dann und wann einen Erlagschein mit der Bitte um eine Spende bei. Im System der Büchereien Wien gibt es unterschiedlich große Filialen. Die Hauptbücherei ist die größte Bibliothek. Neben den sechs großen Stützpunktbüchereien existieren in nahezu allen Wiener Gemeindebezirken mittelgroße Bezirksbüchereien. Größere und kleinere „Zweigstellen“ komplettieren die Büchereistruktur. Die Filialen haben unterschiedliche Buchbestände. Sollten Sie die gewünschten Bücher in Ihrer Zweigstelle nicht bekommen, gibt es die Möglichkeit, über die Ringleihe zu den gewünschten Titeln zu kommen. Fragen Sie Ihre(n) BibliothekarIn! Meidlinger Hauptstraße 73 Mo–Fr 11.00–19.00 Uhr Dommesgasse und Billrothstr. 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Mordgeschichten Wien: Milena 2008. 174 S., € 14,50 Helga Anderle, Wienerin, Redakteurin und Verfasserin zahlreicher Kurzkrimis, legt hier eine Sammlung von Mordgeschichten vor, die vor „schwarzem Humor“ nur so strotzen: 15 kurze Geschichten und drei wiederkehrende Gedichte – makaber, spannend und nahezu unglaublich. Die Erzählungen beginnen alle ganz harmlos und alltäglich, werden aber im Laufe des Geschehens „rabenschwarz“, bitterböse und enden tödlich. Es sind durchwegs Frauen die Protagonistinnen, alle haben mit dem anderen Geschlecht eine Rechnung zu begleichen, sie wollen sich für vielerlei rächen, wobei die Männer in Folge einer nach dem anderen zu „Schaden“ kommen, sprich: mehr oder weniger beabsichtigt oder „zufällig“ sterben oder ermordet werden. Ob nun im „Tod und das Mädchen“ der gehasste Partner bei Geigenmusik das Zeitliche segnet, ob der „Rosenkavalier“ über den Balkonkasten abstürzt oder ob eine unglückliche Ehe mit einem Schlag eine Frau wieder glücklich macht – alle Mordgeschichten vermitteln realistisch erzählte, spannende Unterhaltung. Die Männer stehen im Abseits und die Frauen entwickeln ungeahnte Kräfte und Ideen, um letztlich explosionsartig eine Beziehung zu Ende zu bringen. Anderles Geschichtensammlung hat durchaus das Niveau eines spannenden Romans, zumal die einzelnen Episoden perfekt aufgebaut sind und an jedem Klischee vorbei auf ein dramatisches Ende zusteuern. Gabriele Saul Grill, Evelyn: Das römische Licht St. Pölten: Residenz 2008. 240 S., € 19,90 Xenia ist Malerin und erhält ein Stipendium für Rom. Bald nach ihrer Ankunft erhält sie einen Anruf ihrer älteren Schwester Lisa aus Österreich mit der dringlichen Bitte um Rückkehr: Die Mutter, eine gefeierte und bekannte Schriftstellerin, sei bei einer Lesung zusammengebrochen und liege seither im Koma. Doch Xenia, die ihre Chance nutzen will, als Künstlerin aus dem Schatten ihrer Mutter zu treten und sich dieser gegenüber Geltung zu verschaffen, verweigert die Rückkehr ans Krankenbett der Mutter – hat diese doch selbst die Familie und Töchter der Kunst geopfert. Außerdem ist da noch ihre Schwärmerei für ihre Mitbewohnerin Alma, eine schöne Fotografin aus Wien, welche jedoch plötzlich verschwindet; Xenia wird abermals verlassen ... Das mütterliche Schweigen und die eigene Distanz zwingen die jüngere Schwester Xenia zu einer Auseinandersetzung mit dem mütterlichen Egoismus, ihrer eigenen Kunst und nicht zuletzt mit ihrem Egoismus. Während die ältere Tochter Lisa trotz eigener Familie die Mutter täglich im Krankenhaus besucht, möchte Xenia ihre Karriere als Malerin fördern, zumal sie ihrer Mutter das Zurückgelassen-Werden in der väterlichen Familie nie verziehen hat. Letztlich führt jedoch der Tod der Mutter zu einer teilweisen Aussöhnung, und Xenias Bedauern über die nicht gemeinsam verbrachte Zeit wird deutlich spürbar. In knappen, verstörenden Bildern entwirft die gebürtige Österreicherin Evelyn Grill ein Psychogramm einer komplizierten Mutter-Tochter-Beziehung, die nicht zuletzt an der Sprach- und Verständnislosigkeit der Protagonistinnen scheitert. Mit sachlichnüchternem Blick seziert Grill das Innenleben ihrer Figuren und zeigt in Rückblenden Xenias Unfähigkeit auf, selbst enge Beziehungen zu ihren Mitmenschen aufzubauen – einzig in ihren Bildern vermag sie anderen ihre Gefühle mitzuteilen. Dagmar Feltl Groschup, Sabine: Teufels Küche Wien: Czernin 2008. 247 S., € 20,40 Dem Krimierstling der Autorin merkt man nicht an, dass er erst die literarische Zweitgeburt der Filmemacherin und Installationskünstlerin Sabine Groschup ist. Spannend und mit überraschenden Wendungen werden Handlungsstränge verflochten. Die Geschichte ist in der Gegenwart angesetzt, mit Rückblenden werden Ereignisse aus dem nicht friktionsfreien Privatleben der Wiener Kriminalpolizistin Merle geschildert. Sie wäre beinahe selbst Mordopfer geworden, pikanterweise war der Täter auch ihr Liebhaber. Mit dem kurz vor der Pensionierung stehenden Arbeitskollegen Serenius verbindet sie ein freundschaftliches Vertrauensverhältnis, das wegen Merles Spontanität und Unkonventionalität bis zur Neige strapaziert wird. Der letzte Kriminalfall, in den er, Merles wegen, nicht ganz freiwillig einbezogen wird, gerät zu einer Belastungsprobe mit vielen Rätseln und Ungereimtheiten. Immer wieder führen Spuren in Merles Vergangenheit. Die Recherchen führen Merle nach Innsbruck. Auf dem Flug nach Innsbruck verliebt sie sich in den charmanten Flugpiloten Giorgio, dessen Schwester als psychiatrische Gutachterin noch eine Rolle spielen wird. Die Ermittlungsspuren weisen auf ein früheres, bisher nie geklärtes Verbrechen an einer Prostituierten hin. Aktuell gibt es immer wieder Hinweise auf Foltermethoden, die einem mittelalterlichen Rechtskodex folgen und wofür die erforderlichen Geräte gefertigt werden. Allmählich verdichten sich die Indizien, die zur Lösung des Falles führen. Die Geschichte ist bis zuletzt spannend erzählt und lange unklar ob ihres Ausgangs. Merle erlebt die erfolgreiche Auflösung des Falles, aber auch eine persönliche Niederlage ... Christa Mayer Literatur aus Österreich Belletristik 4 Lercher, Lisa: Besser tot als nie. 13 Mordgeschichten Wien: Milena 2008. 117 S., € 13,50 Dieser vom Milena Verlag herausgegebene Erzählband versammelt bereits in der Vergangenheit verstreut erschienene Erzählungen der in Österreich keineswegs unbekannten Krimi-Autorin Lisa Lercher. 13 Mordgeschichten, die sich teilweise im fiktionalen Erzählrahmen abspielen, teilweise nur im Kopf der Autorin und ihrer Figuren entfalten. Manchmal eindeutig, manchmal nur so angedeutet, dass viele Fragen offen bleiben. Alle 13 Geschichten haben als tragende Figuren Frauen, die im Netz der Alltäglichkeiten verstrickt und gefangen sind. Nicht, dass sie unbedingt ausbrechen wollten, aber irgendwann geht das Fass dann doch über, und so geschieht, was für eine Mordgeschichte unausweichlich ist. Auch wenn die eine und andere Episode einen gewissen Reiz versprüht, hier eine Bösartigkeit zu Tage fördert, die unterhaltend ist, dort einige Pointen überraschende Wendungen mit sich bringen, so leiden fast alle Geschichten daran, dass sie mit ihren alltäglichen Inhalten an die Kronenzeitung und deren Leserschaft erinnern. Nie rührt Lercher an irgendwelchen Grenzen herkömmlicher Moral. Sogar das Morden wirkt irgendwie nett und vertraut und so gar nicht abwegig, beinahe gewöhnlich. Wird es philosophisch, geht Lercher über Binsenweisheiten nicht hinaus, und wenn sie eingeflochten werden, dann immer mit erhobenem Zeigefinger. Der Stil wechselt zwischen handwerklicher Präzision und schnoddriger Beiläufigkeit. Letzteres lockert das Ganze durchaus auf, aber alles in allem bleibt das Buch Unterhaltung auf bescheidenem Niveau. Irene Minainyo Pluhar, Erika: Er Salzburg: Residenz 2008. 231 S., € 17,90 Erika Pluhar, die 40 Jahre lang ständiges Mitglied des Wiener Burgtheaters war, wurde als Schauspielerin berühmt. Mit dem Beginn der Direktion Peymann 1999 endete ihre Bühnenkarriere und ihre Laufbahn als Sängerin begann. Ihre Liedtexte schrieb sie bald selbst und dies war auch der Beginn ihrer Arbeit als erfolgrei- che Autorin. Seit ihrer Erstveröffentlichung im Jahr 1980 ist von Erika Pluhar eine erkleckliche Anzahl von Büchern – zumeist Romane – am Markt erschienen. Manche wurden von der Kritik ziemlich verrissen, was dem Verkaufserfolg aber keinen Abbruch tat. Erika Pluhar ist eine versierte Menschenbeobachterin. Die großen Lebensfragen wie Liebe, Tod, Krankheit und unser Umgang damit bestimmen ihre Romane. Auch in Er geht es um große Gefühle. „Er“ heißt Emil Windhacker und ist ein Mann in den „besten Jahren”: mittlerer Angestellter, gutaussehend, sportlich und ungebunden, jedoch mit schöner Freundin, die ihn in die besten Kreise der Gesellschaft einführt. Aus der Bahn wirft diesen Mann ein Laborbefund, der auf Blutkrebs lautet. Außer sich unternimmt er einen Spaziergang, bei dem er einer Frau begegnet, die ihm auffällt. Die zweite zufällige Begegnung mit dieser Unbekannten findet am selben Abend statt, nachdem er mit seiner Freundin einer Essenseinladung bei Bekannten nachgekommen ist. Die Unbekannte sitzt neben ihm und stellt sich als die Schauspielerin Marie Liebner vor. Emil ist fasziniert von der zurückgenommenen Herbheit dieser Frau. Bei Tisch überfällt ihn eine Ohnmacht. Als Marie ihn am nächsten Tag anruft, erzählt er ihr von seiner Krankheit. Er erfährt, dass auch Marie an Leukämie leidet. Zwischen den beiden beginnt ein Spiel von Anziehung und Abneigung. Als Emil seinen Arzt aufsucht, um mit diesem seine Diagnose zu besprechen, stellt sich heraus, dass der Befund vertauscht wurde. Emil ist gesund. Er verspürt ungeheure Erleichterung und eigentlich könnte nun sein Leben weitergehen wie bisher. Wieder begegnet er zufällig Marie und erlebt ihre stille Verzweiflung. Soll er gehen, soll er bleiben? Emil ist zutiefst verunsichert. Sein selbstzufriedener, egoistischer Panzer hat Sprünge bekommen. Erika Pluhar erzählt diese Beziehungsgeschichte in leichtem Ton, diesmal aus männlicher Sicht. Sensibel, poetisch und berührend in der Sprache wird ihr neues Buch die vor allem weibliche Leserschaft der Autorin wieder zufrieden stellen. Maria Hammerschmid Mühlbauer, Britta: Lebenslänglich Wien: Deuticke 2008. 412 S., € 22,10 Die Ärztin Inga Göth erfährt, das ihr Mann sie betrügt. Um sich von diesem Schock zu erholen, flüchet sie in eine nahe gelegene Therme. An diesem Tag zerstört ein Erdrutsch die Therme und das angrenzende Wellness-Hotel. Mit allen anderen, die bei der Katastrophe anwesend waren, findet sich Inga in einer Art Zwischenwelt wieder, aus der es kein Entkommen gibt. Was tun? Die Fitnesstrainer und Anti-Aging-Spezialisten empfehlen: Sport und gesunde Ernährung. Also trainieren sie hart, betreiben nordic walking und essen Müsli, doch nichts ändert sich. Jede Nacht erleben sie ihre Todesängste von Neuem und doch versammeln sich die Gäste immer wieder zu weiteren Übungen. Inga, die die Patientendaten führt, muss diese ständig neu anlegen: Über Nacht verschwinden die Aufzeichnungen ebenso wie die körperlichen Veränderungen bei den Kurgästen. Als ein Ernährungswissenschaftler mit besonders ungesunden kulinarischen Vorlieben aber anzusprechen wagt, dass sie wohl in einem seltsamen Zwischenreich gefangen sind, schlägt ihm blanker Hass entgegen. Nur Inga fühlt, dass er mehr verstanden hat als alle anderen. Erfrischend unbekümmert erhebt Britta Mühlbauer den Arztroman zur literarischen Gattung und beschert uns eine Satire über Gesundheitswahn und Jugendkult und eine melancholische Liebesgeschichte mit ungewissem Ausgang. Friederike Rittberg Belletristik Literatur aus Österreich Rossmann, Eva: Russen kommen Ein Mira-Valensky-Krimi Wien/Bozen: Folio 2008. 277 S., € 19,50 Auf einer Schihütte am Arlberg genießt Mira Valensky nach einem anstrengenden Schitag ihr wohlverdientes Glas Wein, als die am Nebentisch sitzenden russischen Urlauber plötzlich überstürzt das Lokal verlassen. Es wäre nicht Mira Valensky, wenn sie nicht beginnen würde, sich für die Angelegenheit zu interessieren, zumal sie für das „Magazin“ gerade eine Story über Russen in Österreich recherchiert. Zurück in Wien entdeckt sie auf der Dachterrasse eines entfernten Bekannten eine Leiche – gefoltert und an einen Liegestuhl gefesselt. Ist es der bekannte russische Oligarch Dolochow? Welche Zusammenhänge gibt es mit mysteriösen Investitionen, die nicht nur die Hoteliers vom Arlberg reihenweise in den finanziellen Ruin treiben? Und wohin ist die junge russische Dolmetscherin Sonja verschwunden, die vielleicht weiß, wer der Mörder ist? Obwohl ihr mannigfache Hindernisse in den Weg gelegt werden – ihr neuer Chefredakteur lehnt ihre Story ab, auf Vesnas Detektivbüro wird ein Sprengstoffanschlag verübt, und Mira selbst schlittert in eine ernsthafte Beziehungskrise – gibt die detektivisch veranlagte Journalistin nicht auf. Sie sucht und findet Sonja in Moskau, und langsam lichten sich die Nebel ... Der neue Roman von Eva Rossmann ist nach dem gleichen Muster geschrieben wie auch die anderen Mira-Valensky-Kri- 5 mis: Mira überwindet allerlei Hindernisse und gerät dabei auch selbst in Gefahr – diesmal, ihren Ehemann zu verlieren. Allen Fährnissen zum Trotz wird zwischendurch aber immer wieder gut gekocht und genussvoll gegessen. Natürlich klärt Mira Valensky auch dieses Verbrechen auf locker-amüsante Art, tatkräftig unterstützt von ihrer ehemaligen Putzfrau Vesna. Ein leicht lesbarer, turbulenter Krimi mit bewährten Zutaten. Karin Claudi Pucher Robert: Krokodilstränen Graz: Leykam 2008. 325 S., € 19,40 In der Donau schwimmt die Alligatorin Monja und entdeckt, dass Menschen gut schmecken und satt machen. Wie erfreulich, dass ab und zu ein Schwimmer vorbeikommt! Weniger erfreulich ist das für die Polizei, die das spurlose Verschwinden von Badegästen aufklären muss. Und das, wo gerade ein brutaler Serienmörder in Wien sein Unwesen treibt, der es offensichtlich ausschließlich auf Versicherungsvertreter abgesehen hat, die er auf bestialische Weise zu Tode bringt. Bis jetzt hat er schon drei davon auf dem Gewissen und das bewährte (schon aus früheren Pucher-Romanen bekannte) Ermittlertrio der Polizei alle Hände voll zu tun. Gerade als die Polizei einen ersten Verdächtigen findet, nämlich den Bruder des ersten Opfers, der nicht nur dessen Kundenstock, sondern auch dessen Frau nahtlos übernommen hat, wird Ermittler Kleist von dem Fall abgezogen. Währenddessen setzt der Mörder zum finalen Schlag an ... Ein flott geschriebener Krimi mit Klamauk-Elementen im Gefolge des legendären Inspektors Kottan, mit seinem originellen Dreiergespann, in dem jeder seine Eigenheiten kultiviert und deren Arbeitsmethoden an Originalität nichts zu wünschen übrig lassen. Der Krimi spielt an realen Orten in Wien und ist bevölkert von einem ganzen Universum typischer Wiener Gestalten und skurriler Typen. Alltägliches wird in satirischer Überspitzung aufs Korn genommen. Der dritte Roman von Robert Pucher bietet Vergnügliches für KrimileserInnen, denen das Lachen wichtiger ist als die Spannung. Karin Claudi Literarisches Binding,Tim: Cliffhanger Aus dem Englischen übers. Hamburg: Marebuch 2008. 350 S., € 20,50 Al Greenwood ist Taxifahrer in einer winzigen Ortschaft am Meer. Er liebt sein Auto, seinen Wohnwagen (sein Rückzugsort) und seine zwei Karpfen: Dean und Torvill. Weiters hat er eine außereheliche Tochter (welche er vor seiner Frau verheimlicht) als freundschaftlichen Ge sprächspartner – und er hat eine Frau, die er gerne los werden möchte. Dafür hat er auch schon einen Plan. An einem verregneten Tag provoziert er einen Streit, wohl wissend, dass Audrey, seine Frau, ihren Lieblingsplatz auf den Klippen (ihr Rückzugsort) aufsuchen wird. Dort erwartet er sie und stößt sie mit leichter Hand von hinten von den Klippen. Als Al wieder nach Hause kommt, lässt sich Audrey vor dem Kamin trocknen. Wen hat Al an ihrer Stelle von der Klippe geschubst? Wieso wird seine Tochter vermisst? Statt eines ruhigen und bequemen Lebens als Taxifahrer hat Al Greenwood plötzlich einen Schippel Probleme am Hals, nicht zuletzt einen Erpresser, wel- cher zur Unterstreichung seiner Forderung seine geliebten Karpfen ermordet. In lakonischem Erzählton spult Tim Binding gekonnt eine Geschichte ab, welche geradezu nach einer Verfilmung schreit, derart plakativ rollt sie vor dem inneren Auge des Lesers ab. Mehrere überraschende Wendungen, eine Reihe skurriler Charaktere und eine gut dosierte Portion schwarzen Humors machen den Roman des in Deutschland geborenen Erfolgsautors zu einem kurzweiligen, amüsanten Lesevergnügen. Hermann Gamauf Literarisches Belletristik 6 Hornby, Nick: Slam Aus dem Engl. übers. Köln: Kiepenheuer & Witsch 2008. 300 S., € 18,40 Sam ist 15 und leidenschaftlicher Skater. Er lebt mit seiner Mutter in London, verbringt die Freizeit auf Skateboardbahnen und verehrt den Skateboardprofi Tony Hawk, dessen Poster die Kinderzimmerwand ziert. Da Sam nicht viele Freunde hat, unterhält er sich manchmal mit diesem Poster – und erfährt allerhand Wissenswertes. Im Grunde lebt Sam ein ganz normales Teenagerleben, bis er eines Tages Alicia kennen lernt. Trotz Alicias anfänglichem Desinteresse werden die beiden bald ein Liebespaar. Und nur wenig später kommt die Hiobsbotschaft: Alicia ist schwanger ... Das Skaten ist in Slam lediglich der Rahmen für Themen wie Jugendliebe und –schwangerschaft, die vom britischen Kultautor Nick Hornby auf gewohnt lockere und gut lesbare Art und Weise dargeboten werden. Sams Geschichte wirkt authentisch: Er ist ein typischer Vertreter seiner Generation am Beginn des 21. Jahrhunderts, mit allen Vor- und Nachteilen und Problemen, wie sie viele andere auch haben. Vieles muss er durchstehen: Nicht nur, dass er selbst Vater wird, auch seine Mutter hat einen neuen Freund und ist ebenfalls schwanger. Um der neuen Patchworkfamilie zu entkommen, zieht Sam zu Alicias Eltern, was auf Dauer auch nicht gut gehen kann ... Das alles wird mit Humor und viel Einfühlungsvermögen geschildert. Hornby versteht es ausgezeichnet, sich in die Welt der Teenager zu versetzen und aus deren Perspektive zu erzählen. Die Geschichte entwickelt bereits nach wenigen Seiten ein rasantes Tempo und bietet eine gelungene Melange aus Unterhaltung und Tiefgang. Thomas Geldner Iweala, Uzodinma: Du sollst Bestie sein! Zürich: Ammann 2008. 156 S., € 19,50 Du sollst Bestie sein ist der beeindruckende Erstlingsroman des 26-jährigen, aus Nigeria stammenden Uzodinma Iweala. Agu erzählt vom Krieg, der ihm seine Kindheit ge- raubt hat. Als er fliehen will, läuft er in die Arme des Kommandanten, der ihm befiehlt, Soldat zu sein und Bestie zu werden. Agu kann nicht anders – entweder er oder die anderen – so lernt er zu töten, zu schänden und zu plündern, um sein eigenes Leben zu retten. Er sieht Leichenberge, wird vom Kommandanten mehrmals vergewaltigt, erschießt Kinder und Frauen. Sein einziger Freund ist Strika, ein Junge, der nicht spricht, ihm jedoch immer zur Seite steht. Auch ihn muss er sterben sehen, nachdem die Soldaten den Kommandanten getötet haben, um vor dem Krieg zu fliehen. Nicht nur das Thema lässt den Leser atemlos zurück, es ist vor allem die Sprache, mit der Iweala Agu sein Schicksal in der Ich-Form erzählen lässt. Es ist die einfache und suggestive Sprache eines Kindes, die das Geschehen jedoch sehr bildhaft und zum Greifen nahe schildert. Für Du sollst Bestie sein erhielt der junge Autor bereits zahlreiche Preise. Will man Salman Rushdie glauben, so wird man von Iweala noch sehr viel hören und lesen – und man kann ihm glauben. Katharina M. Bergmayr Coetzee, J. M.: Tagebuch eines schlimmen Jahres Aus dem Engl. übers. Frankfurt a. M.: Fischer 2008. 233 S., € 20,50 Der Erzähler dieses Romans hat viel mit dem Autor selbst gemeinsam: Er ist ein in Australien lebender südafrikanischer Schriftsteller. Er ist Vegetarier. Er genießt einen „bescheidenem Ruhm“ (Coetzee selbst ist Nobelpreisträger), und er fungiert als ein „Kulturschaffender“, der bei „öffentlichen Kontroversen gelegentlich um seine Meinung gefragt und dann wieder im Regal verstaut wird“. Juan, wie er genannt wird – Coetzees Name ist John – wurde um Beiträge zu einem Buch, das “Strong Opinions” heißen soll, gefragt und schreibt pflichtschuldigst mehrere Polemiken über das ewig gespannte Verhältnis von Staat und Individuum. Juans Meinungen sind klarsichtig und wohlüberlegt, wie zum Beispiel über Tony Blair, den Idealisten, der sich blind zeigte gegenüber Folter und Mord, aber sie ähneln oft etwas zu sehr Leitartikeln. Vielfach ist es auch grantige Altherren-Prosa auf hohem Niveau, wenn Juan/Coetzee den Verfall der akademischen Sitten beklagt oder sich über den Musikgeschmack junger Leute entsetzt – durchaus berechtigt, wenn auch sehr didaktisch und ziemlich humorfrei. Für die im üblichen Sinn romanhafteren Passagen erschafft Coetzee die Gestalt von Anya, einer hübschen jungen Filipina, die der alternde, von seiner Parkinson-Erkrankung zunehmend geplagte Juan als Schreibkraft einstellt. Was ihr an Erfahrung und Qualitäten als Sekretärin fehlt, macht sie wett durch ihre Jugend und Schönheit, die ihn in ihren Bann ziehen, und durch ihren lakonischen Blick auf die Welt, der ihn dazu bringt, plötzlich im Vogelgesang mehr zu entdecken als ein biologisches Phänomen. Anyas Gedanken und Kommentare enthalten den Humor, der Coetzees bisherigem Werk abgeht; sie ist die erfrischende junge Frau, die nicht als ausgebeutete Immigrantin, sondern ironisch distanziert über ihren eigenen entzückenden Hintern, der es ihrem Arbeitgeber angetan hat, räsonieren kann. Als optische Konsequenz dieser Teilung der Stimmen ist auch jede Seite des Buches geteilt – man kann sie also abwechselnd linear lesen oder der jeweiligen Erzählstimme von Seite zu Seite folgen. Anya hat aber auch einen zwielichtigen Freund, der mit ihrer Hilfe versucht, Juans Vermögen an sich zu bringen – womit der Erzählung ein Spannungselement hinzugefügt wird. Aus diesen miteinander in Konflikt liegenden Perspektiven, der hohen Rhetorik und der niederen Absichten entsteht ein nicht immer leicht zu lesendes, aber doch brilliantes (und ausgezeichnet übersetztes!) Werk. Friederike Rittberg BelletristikLiterarisches Kaminer, Wladimir: Salve Papa! Ill. v. Vitali Konstantinov München: Manhattan 2008. 223 S., € 18,50 Das Familienleben, die Kinder und ihre Erfahrungen und Probleme in der Schule, das alltägliche Zusammenleben mit Haustieren oder auch mit den Nachbarn – mit solchen und ähnlichen Alltagsthemen beschäftigt sich Wladimir Kaminer in seinen 42 Kurzgeschichten. Peinliche Ereignisse in der Videothek ums Eck kommen ebenso zur Sprache wie kulturelle Missverständnisse in der Berliner „Multi-Kulti“-Gesellschaft. Daneben erinnert sich der in Moskau geborene Autor an die Zeit in der damaligen Sowjetunion. Die eigene Jugend bekommt durch die Gegenüberstellung zum Leben seiner Kinder in Berlin eine beinahe unglaubwürdige Aura. Während Kaminer als Kind auf der Müllhalde neben einem Sumpf Verstecken spielte, beschäftigen seine Kinder heute Fragen der Handy-Bedienung oder der Versteigerung von Süßigkeiten in der Schulpause. Wenn der Autor sein Erstaunen über allerlei fragwürdige Erscheinungen des gegenwärtigen Lebens ausdrückt, dann nie mit Verbitterung, Ärger oder Ablehnung, sondern mit einer großen Portion Humor. Kaminer schöpft aus der vollen Skurrilität des Alltags und regt dabei zum Lachen, aber auch zum Nachdenken an. Die Geschichten sind witzig, urban, kurzweilig und gut erzählt – kaum zu glauben, dass Kaminer nicht in seiner Muttersprache Russisch schreibt. Doch wie schreibt er selbst über „die sogenannten literarischen Qualitäten“: „Sie werden im Allgemeinen überschätzt. Egal, wie gut die Sprache ist, die literarischen Qualitäten allein können kein Buch retten, wenn die Geschichte nicht stimmt.“ Bei Kaminer stimmen auch die Geschichten. Katharina Zucker Lappert, Rolf: Nach Hause schwimmen München: Hanser 2008. 543 S., € 22,10 „Heute ist der Tag an dem ich sterbe“. Mit diesem Statement beginnt Rolf Lapperts umfangreicher Roman, dessen Hauptheld Wilbur in der Ich-Form erzählt. Einander abwechselnd folgen Szenen, die sich unmittelbar nach dem eben verübten Selbstmordversuch Wilburs (er wollte sich er- 7 tränken) im Krankenhaus abspielen und Rückblenden auf sein Leben, beginnend ebenfalls mit einem Tod, nämlich jenem der Mutter bei seiner Geburt. Nicht nur Wilburs gesamtes Leben wird im Rückblick erzählt, auch die Lebenswege seiner irischen Verwandten werden nachgezeichnet. Überhaupt gelingt es Lappert schon durch kurze Passagen, die verschiedenen Charaktere sehr anschaulich darzustellen – jeder und jede von ihnen trägt ihr eigenes „Paket“ an Sorgen und Nöten mit sich herum und das alles prägt auch den jungen Wilbur. Geboren wird er zwar in Amerika, doch schon bald holen ihn seine Großeltern mütterlicherseits in die ursprüngliche Heimat seiner Mutter, nach Irland, zurück. Nach anfänglichem Familienglück ist Wilbur aber erneut dem Verlust ausgesetzt und scheint ein Verlierer zu bleiben. Erst als abermals eine Frau, Aimee, in sein Leben tritt, scheint er in der Lage, sein Schicksal ändern zu können. Am Ende vereinen sich nicht nur die Gegenwart und die Rückblenden, sondern auch Wilbur selbst schafft es, sich doch noch in sein Leben zu integrieren. Symbolisch dafür steht die Überwindung seiner den Text immer wieder prägenden Aquaphobie, das titelgebende Schwimmen: „Ich schwimme wie ein Hund, eher schlechter. Aber ich schwimme.“ Sehr gut gelungen sind dem gebürtigen Schweizer Autor, der nun in Irland lebt und arbeitet, die Schilderungen der Handlungsorte. Lapperts lakonischer Stil passt zudem wunderbar zu dieser teils skurrilen Geschichte an den mehr oder weniger trostlosen Orten. Die über 500 Seiten lesen sich leicht, was nicht heißt, dass sich nicht doch einige eigentlich vermeidbare Längen darin finden. Lisa Kollmer Kureishi, Hanif: Das sag ich dir Aus dem Engl. übers. Frankfurt a. M.: Fischer 2008. 508 S., € 20,50 Jamal hat pakistanische Wurzeln und liebt das vielbevölkerte London. Es ist ihm gelungen, eine Nische im Umfeld der Neureichen zu finden, wo er sein Geld als Psychoanalytiker verdient. Einige Freunde mit den geeigneten Verbindungen verschaffen ihm Einladungen zu schicken Parties, wo es alles gibt, was Spaß macht und verboten oder wenigstens schräg ist. Hinter ihm liegt eine Ehe, noch weiter zurück eine unvergessene Jugendliebe und die Verantwortung für den Tod eines Menschen. Hauptsächlich ist er damit beschäftigt, auf dem Laufenden zu bleiben, was die richtigen sozialen Codes betrifft. Als akzeptierter, publizierender Intellektueller hat er kaum Berührungsängste, nicht einmal mit der eigenen Unterschichtsvergangenheit. Die Rituale von SM-Clubs sind ihm ebenso geläufig wie die kleinkriminelle Ökonomie einiger Stadtteile, der Smalltalk auf einem Empfang bei Mick Jagger oder die hipste Cover-Version mythologisch erhöhter Popsongs. Als Jamal schon glaubt, sein Lebensinhalt bestünde nur mehr darin, einem Zwangshedonisten beim Altwerden zuzusehen, holt ihn die Vergangenheit ein ... Kureishi ist ein geschickter Erzähler, dem etliche Wendungen und Metaphern gut gelingen und der seinen Figuren mit wenigen Strichen drehbuchtaugliche Profile gibt. Die Dialoge sind witzig, wenn auch sehr auf Gags konzentriert. Seine Kommentare geben sich intellektuell, wollen mit ihrem Namedropping und Seitenhieben auf die Blair-Administration aber hauptsächlich cool sein. Der Roman ist Mainstream für LeserInnen mit höherer Schulbildung und passt nahtlos in die Scheinwelt der Fernsehunterhaltung. Ernst Simanek LiterarischesBelletristik 8 Lahiri, Jhumpa: Einmal im Leben Aus dem Engl. übers. Reinbek: Rowohlt 2008. 174 S., € 17,40 Während Jhumpa Lahiri in den USA als literarischer Shootingstar gefeiert wird, ist die Autorin indischer Abstammung hierzulande noch eher ein Insidertipp. Dabei kann die Pulitzer-Preisträgerin bereits auf eine erstaunliche Karriere blicken. Unaccustomed Earth, so der Titel ihres letztens Romans im englischen Original, ist eine Sammlung von acht getrennt erschienenen Kurzgeschichten, von denen drei thematisch zusammenhängen. Diese drei Geschichten sind jetzt unter dem Titel Einmal im Leben zusammen aufgelegt worden. Sie kreisen um die Lebens- und Liebesgeschichte von Hema und Kaushnik, den Kindern von bengalischen Einwanderern, die sich in den 1970er-Jahren in Massachusetts kennen lernen. Die erste Geschichte wird aus der Sicht von Hema erzählt. Hema schwärmt auf kindliche Art für Kaushnik. Dieser kann jedoch nur wenig mit dem jungen Mädchen anfangen – zu sehr ist er mit dem Aufarbeiten der neuen Umgebung und des American Way of Life beschäftigt. In der zweiten Geschichte wird Kaushik zum Erzähler. Einige Jahre sind vergangen und Kaushik muss den Krebstod seiner Mutter und neue familiäre Herausforderungen verkraften. Erst im dritten Teil finden Hema und Kaushik zueinander. Nach 20 Jahren laufen sich die beiden in Italien über den Weg. Kaushik ist mittlerweile ein bekannter Fotojournalist, Hema ist Altphilologin und unterwegs nach Indien, um eine von den Eltern arrangierte Vernunftehe einzugehen. Sie beginnen eine leidenschaftliche Affäre, die ihr bisheriges Leben noch einmal gründlich durcheinanderwirbelt … Einmal im Leben ist eine wunderschöne Liebesgeschichte von zwei Menschen, die auf der Suche nach ihren eigenen Wurzeln sind. In einer klaren und präzisen Sprache, die sich durch eine besondere Beobachtungskunst auszeichnet, erzählt Jhumpa Lahiri von einem Leben in zwei Kulturen. Dabei wird deutlich, dass es trotz aller Schwierigkeiten nicht ein Nachteil sein muss, in zwei verschiedenen Welten aufzuwachsen, vorausgesetzt, der kulturelle Reichtum wird als solcher wahrgenommen und darf auch gelebt werden. Thomas Geldner Niemi, Mikael: Der Mann, der starb wie ein Lachs Aus dem Schwedischen übers. München: btb, 2008. 351 S., € 20,60 Wie sein Erstling Populärmusik aus Vittula, der Mikael Niemi schlagartig bekannt machte, spielt auch sein dritter Roman in Pajala in Nordschweden. Im Gegensatz zu den eher Genre sprengenden Vorgängern ist Der Mann, der starb wie ein Lachs ein dezidierter Kriminalroman. Als Basis des Plots dient auch hier Niemis bevorzugtes Thema der Bilingualität im Nordosten Schwedens und die damit verbundenen Konflikte. Ein alter Mann wird auf brutale, aber dennoch eigentümliche Weise ermordet. Er wird mit einer Fischgabel aufgespießt und ausgeweidet – wie ein Lachs. Ein seltener Ausbruch von Gewalt in einer ländlichen Region, in der offene Türen und Gast- freundlichkeit auch Fremden gegenüber die Regel sind. Die junge Stockholmer Polizistin Therese Fossnes ist nicht begeistert, als sie beauftragt wird, diesen Fall zu übernehmen. Obwohl sie selbst aus der Region stammt, kommen ihr die Menschen hier seltsam vor, deren Dialekt ihr seit ihrer Kindheit unverständlich geblieben ist. Sie beginnt eine Beziehung mit dem Hauptverdächtigen, einem kauzigen Eigenbrötler, der abgeschieden in der Einöde lebt. Fossnes selbst löst den Fall nicht; die LeserInnen erwartet ein überraschender Knalleffekt als krönender Abschluss des grotesken Falles. Niemis Bücher leben von eigensinnigen, skurrilen Gestalten vor karger Landschaft und schrägem Humor – in diesem Krimi ergänzt durch die originelle Sprache und gut dosierte Spannung bis zum Ende. Hermann Gamauf Schami, Rafik: Das Geheimnis des Kalligraphen München: Hanser 2008. 458 S., € 25,60 Thema des vorliegenden Buches ist die arabische Schrift und ihre lange, vielfältige Tradition. Meister dieser Kunst ist der in den 50er-Jahren in Damaskus lebende Kalligraph Hamid Farsi, der die Mitbürger begeistert, die sich von ihm Lobsprüche, Bittschriften oder auch Liebesbriefe verfassen lassen. Er kann in Verbindung mit Form und Inhalt dem Gelesenen den erwünschten Sinn verleihen, obwohl es ihm persönlich nur auf die Schönheit der Zeichen ankommt. Seine Ehe mit der Schneiderin Nura verliert sich in Gleichgültigkeit und Hass, da er mit der Planung einer Kalligraphenschule und der Reform der Schrift beschäftigt ist und Frauen in seinem Weltbild den untersten Platz einnehmen. Als diese mit dem christlichen Laufburschen ihres Mannes eine Liebesaffäre beginnt und mit ihm flüchtet, glaubt der Verlassene, dass Nassri Abbani, der stadtbekannte Frauenheld, hinter Nuras Verschwinden steckt. Er tötet ihn und wird zu einer lebenslänglichen Haftstrafe verurteilt. Sein Unglück aber verdankt er seinem Plan, die arabische Schrift zu reformieren und wird dadurch zum Mittelpunkt einer politischen Verschwörung. Am Beginn der Geschehnisse werden die handelnden Personen ausführlich dargestellt, ihre Vergangenheit, ihr soziales Umfeld und ihre Charaktereigenschaften werden detailliert abgehandelt, sodass viele Erzählebenen entstehen, die zu einem Gesamtbild der Ereignisse führen. Der Autor führt die LeserInnen in bildhafter Erzählweise durch seine Geburtsstadt Damaskus, die er als junger Mensch verlassen musste und die er bis heute nicht wiedergesehen hat. Er erzählt vom Alltagsleben der christlichen und muslimischen Einwohner, von ihren gegenseitigen Abneigungen und Vorlieben, von ihren Wünschen und Sehnsüchten und entwickelt ein fantasievolles Panorama orientalischer Lebenskunst. Renate Zeller BelletristikLiterarisches Sundaresan, Indu: Die Tochter des Rajas Aus dem Amerikanischen übers. Frankfurt a. M.: Krüger 2008. 460 S., € 19,90 Fünf Tage nach dem Tode ihres Vaters erhält die 21-jährige Olivia ein Paket aus Indien. Neben exotischem Schmuck, bunten Saris und vergilbten Fotos enthält es den Brief eines unbekannten Absenders, dessen Inhalt sie zuerst zutiefst verstört, aber dann in zunehmenden Maße fesselt: Parallel zum Schicksal jenes Teils ihrer Familie, über die ihr Vater stets Stillschweigen bewahrte, entfaltet sich wie ein bunter Bilderbogen ein Teil indischer Kolonialgeschichte. Olivia erfährt vom Leben ihrer Mutter Mila, der wohlbehüteten Tochter eines hohen Regierungsbeamten, deren sorgloses, glückliches Leben mit dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges abrupt endet. Mila verliebt sich unsterblich einen schönen, geheimnisvollen amerikanischen Offizier und muss sich zwischen Herz und Tradition entscheiden. Was sich nach der Inhaltsangabe wie ein kitschiges „Bollywood-Drama“ anhört, ist der ernsthafte Versuch, die Geschichte Indiens auf den Weg in die Unabhängigkeit in schillernden Farben zu schildern. Leider ist es ihr nicht allzu gut gelungen. Trotz einer interessanten, wenn auch nicht ungewöhnlichen Erzähltechnik (Handlung auf zwei Zeitebenen, literarische Betrachtungen von Zeitzeugen, die den einzelnen Kapiteln vorangestellt werden) bleiben die Gestalten seltsam blass und nicht wirklich 9 Nach einem beruflich bedingten Wohnortwechsel erlebt der 48-jährige Taura fernab von seiner Familie, die ihm ohnehin fremd geworden ist, eine ausgeprägte Midlifecrisis. Als er nach einem Beinbruch im Krankenhaus landet, kommt es zu einer Begegnung mit einer geheimnisvollen Frau namens Mutsuko. Er kann sie nicht sehen, denn mitten im Raum steht ein Paravent. Dennoch entwickelt sich ein Gespräch zwischen den beiden. Die anfangs zögerliche Unterhaltung wird zusehends intensiver und mündet schließlich in Verbalsex. Am nächsten Morgen dann das böse Erwachen: Die Schwester schiebt die Trennwand beiseite und Taura muss feststellen, dass neben ihm eine alte, grauhaarige Frau liegt, die so gar nicht seinen Vorstellungen von der leidenschaftlichen Gesprächspartnerin der letzten Nacht entspricht. Doch das ist erst der Beginn eines grotesken Alptraums: Mutsuko meldet sich nach einigen Monaten wieder und Taura ist nicht wenig verblüfft, als ihm plötzlich eine etwa 40-jährige Frau gegenüber steht. Zu- nächst glaubt er an eine Verwechslung – was ihn aber nicht daran hindert, sich Hals über Kopf in die äußerst attraktive Dame zu verlieben. Doch spätestens nach dem nächsten Treffen zweifelt Taura endgültig an seiner geistigen Gesundheit, denn Mutsuko wird von Mal zu Mal jünger. Lange habe ich nicht vom Fliegen geträumt ist eine surreale Liebesgeschichte, die neben tiefen Einblicken in die Abgründe der menschlichen Seele auch die Einsamkeit moderner GroßstadtbewohnerInnen thematisiert. Die ProtagonistInnen bewegen sich in einer kalten und feindseligen Umgebung mit kafkaesken Zügen; sie stehen mitten im Leben und verlieren auf unerklärliche Weise ihren sozialen und psychischen Halt. Alles scheint von einer unheimlichen Macht beherrscht, die Grenzen zwischen Realität und Wahnsinn verschwimmen. Taura erlebt eine emotionale Achterbahnfahrt: Sein anfangs harmloser Seitensprung wird zu einem obsessiven erotischen Verhältnis, das schließlich in eine bizarre Lolita-Beziehung mündet. Dabei ist bis zum Schluss nicht wirklich klar, ob die Verjüngung von Matsuko tatsächlich oder nur im kranken Gehirn von Taura stattfindet. Ein ungewöhnlicher und durchaus spannender (Schauer-)Roman, der an den Vorgänger Sommer mit Fremden zwar nicht heranreicht, aber dennoch seine Stärken hat. Thomas Geldner „Rashomon“ von Akira Kurosawa, lässt er die einzelnen ProtagonistInnen ihre subjektive Sichtweise auf die Ereignisse schildern. Da ist zunächst der Schüler Teng, der sich in die Geschichtslehrerin Shi, die vermeintliche Leiche, verliebt, später die Tat gesteht und hingerichtet wird. Er berichtet von seiner Besessenheit und der Ausdauer, mit der er die junge Frau verfolgt. Von Shis Mutter wiederum erfahren wir etwas über den Vater der jungen Frau, einen Europäer, mit dem sie ein kurzes Verhältnis hatte und der von der Existenz der Tochter keine Ahnung hatte – bis diese ihn aufspürt und von einem Tag auf den anderen mit nach Europa geht, von wo sie 20 Jahre später wieder nach Peking zurückkehrt. Weiters zu Wort kommen der ermittelnde Kriminalbeamte, der Richter und schließlich Shi selbst. Aber auch sie bringt nicht alles ans Tageslicht, was damals wirklich passiert ist und wer die eigentliche Leiche war. Zurück bleiben die LeserInnen mit unbefriedigender Ungewissheit. Zu angedeutet und nebulös sind die einzelnen Episoden, als dass man sich wirklich ein Bild von den Ereignissen machen könnte. Die einzelnen Personen bleiben blass und auch ein Spannungsaufbau geht diesem Buch ab. Liesbeth Mansbart fesselnd, im Gegensatz zu den farbenprächtigen Landschaftsschilderungen, die zu den ausgesprochenen Stärken des Romans zählen. Thomas Jürgens Yamada, Taichi: Lange habe ich nicht vom Fliegen geträumt Aus dem Japanischen übers. München: Goldmann 2008. 222 S., € 18,50 Spannung Amann, Jürg: Pekinger Passion Zürich: Arche 2008. 125 S., € 16,50 Nach 20 Jahren Abwesenheit taucht in Peking eine vermeintlich Ermordete wieder auf. Damals hat man in einem Park eine verstümmelte Leiche gefunden. Sie wurde von ihrer Mutter identifiziert und auch der Mörder hat gestanden und wurde hingerichtet. Rund um diesen mysteriösen Kriminalfall, obwohl recht zeitlos wirkend, dürfte er im ausgehenden 20. Jahrhundert spielen, hat der Schweizer Autor Jürg Amann seine „Kriminalnovelle“ angesiedelt. Er bedient sich dabei verschiedener Erzählstränge. Ganz wie im Filmklassiker SpannungBelletristik 10 Cotterill, Colin: Dr. Siri und seine Toten München: Goldmann 2008. 317 S., € 18,50 Doktor Siri Paiboun hat seine beste Zeit als Arzt schon hinter sich, doch nun wird er mit 72 Jahren zum einzigen Leichenbeschauer von ganz Laos ernannt. Ausgestattet mit zwei französischen Lehrbüchern aus den 50er-Jahren und unter der Mithilfe einer neugierigen Krankenschwester und eines an Down-Syndrom leidenden spitzfindigen Helfers beginnt er gemächlich seine neue Arbeit. Abgesehen vom fortwährenden Mangel an allem Notwendigen und einer liebeskranken Sandwich-Verkäuferin, die ihn ständig mit Köstlichkeiten versorgt, wäre sein Leben in der laotischen Hauptstadt durchaus zufriedenstellend, würde da nicht plötzlich eine Leiche auftauchen, die im wahrsten Sinne des Wortes nach großen Schwierigkeiten riecht. Denn auch im verschlafenen Laos vermag die Vergiftung einer Partei-Bonzin hektische Aktivitäten auszulösen. Als die Leiche auch noch spurlos verschwindet, ahnt Siri, dass er in größere Schwierigkeiten geraten könnte. Mit viel Geschick umschifft er jedoch alle von der überforderten kommunistischen Staatssicherheit gestellten Fallen und entdeckt seine Liebe zu forensischer Detailarbeit. Am Ende entlarvt er ein übles internationales Komplott und versucht sein altes Leben wieder aufzunehmen. Die Mischung aus apokalyptischem Chaos, Improvisationsgabe und kommunistischer Unflexibilität in Laos beschreibt Cotterill in lockerem Plauderton – und sie verleiht der Geschichte eine besondere Stimmungsdichte. Gewürzt wird das Ganze mit der Art von Humor, das das scheinbar Unabwendbare erträglich macht. Thomas Buraner Dahl, Arne: Ungeschoren Aus dem Schwedischen übers. München: Piper 2008. 413 S., € 20.50 Wer noch keinen von Arne Dahls Krimis rund um die sogenannte A-Gruppe gelesen hat, wird am Anfang dieses Romans wohl etwas ratlos ob des komplizierten Beziehungsgeflechts zwischen den einzelnen Mitgliedern der Ermittlungseinheit sein. Außerdem gibt es diverse personelle Umbesetzungen und Neustrukturierungen. Doch nach anfänglichen Schwierigkeiten sollten auch NeueinsteigerInnen Gefallen an Dahls eigenwilligem und unkonventionellem Stil finden. Nur langsam fügt sich alles zusammen – und die Verwirrung wird eingeläutet von vier Morden, die scheinbar nichts miteinander zu tun haben. Eine junge kurdische Frau, die aus Angst vor Repressalien durch ihre Familie eine neue Identität angenommen hat, wird von ihrem Bruder enttarnt. Als sie sich mit ihm treffen will, findet sie ihn tot auf. Bald darauf wird ein Fernsehmacher, der für sogenanntes „Unterschichtenfernsehen“ in Form von menschenver- achtenden Realitysoaps zuständig ist, ermordet. Ähnlich wie beim Kurdenmord wird am Tatort eine bewaffnete Person angetroffen, womit zunächst alles klar zu sein scheint. Aber zwei weitere Morde folgen und es gibt eine Verbindung zwischen den vier Opfern: Jedes Opfer hat eine kleine Tätowierung ... Zugegebenermaßen ist Dahls sechster Roman rund um die A-Gruppe am Anfang etwas zäh, doch mit Fortlauf der Geschichte, die von scharfsinnigen Analysen und Betrachtungen der heutigen schwedischen Gesellschaft und ihren Brüchen durchzogen ist, kommt Spannung in die Geschichte. Peter Hörschelmann French, Nicci: Bis zum bitteren Ende Aus dem Englischen übers. München: Bertelsmann 2008. 414 S., € 20,60 Mit dem Thriller Bis zum bitteren Ende hat das Erfolgsduo Nicci Gerard und Sean French nun seinen zehnten Spannungs-Roman veröffentlicht. Astrid lebt in London und jobbt als Fahrradkurier. Was sie eigentlich vorhat in ihrem Leben weiß sie noch nicht so recht. Sie treibt locker und lässig dahin, wie die meisten ihrer sechs Mitbewohner in der Wohngemeinschaft, in der sie lebt. Als Fahrradbotin in einer Großstadt ist man extrem unfallgefährdet und auch Astrid erwischt es. Fast vor ihrer Haustür öffnet eine Nachbarin die Autotür und Astrid knallt in voller Fahrt dagegen. Für sie verläuft die Sache relativ glimpflich. Am nächsten Tag aber findet man die Nachbarin ermordet auf. Die Polizei ermittelt auch in Astrids WG. Kaum hat sich die Aufregung etwas gelegt, wird die nächste Tote gefunden – und wieder ist Astrid unmittelbar involviert. Sie ist es nämlich, die die Leiche findet. Nun beginnt es in der WG zu brodeln. Misstrauen und Angst breiten sich aus. Zudem will der Hauseigentümer, dass die Mieter ausziehen, da er vorhat, das Haus zusammen mit seiner Freundin zu sanieren. Der nächste Mord passiert in der WG selbst. Nun beginn sich die Lage zuzuspitzen ... Im zweiten Teil des Buches findet ein Perspektivenwechsel statt. Der vorerst noch unbekannte Täter erzählt die Geschichte aus seiner Sicht – eine psychologisch interessante Wendung, in der sich eine krankhafte Persönlichkeit selbst erklärt. Bereits der erste Teil des Buches – die Beschreibung eines WG-Lebens mit einer bunt zusammen gewürfelten Gruppe Individualisten – ist zügig und spannend zu lesen. Gut geschildert ist vor allem der Prozess, in dem Angst und Misstrauen die schrittweise Zersetzung der Gemeinschaft bewirken. Auch im übrigen gestaltet sich Bis zum bitteren Ende als kurzweiliger und spannender Thriller, der ganz nach dem Geschmack der ansehnlichen Fangemeinde von Nicci/French ausgefallen sein dürfte. Maria Hammerschmid BelletristikSpannung Grimes, Martha: Inspektor Jury lässt die Puppen tanzen Aus dem Englischen übers. München: Goldmann 2008. 381 S., € 20,60 Superintendent Jury ist verliebt, und zwar in die Polizeipathologin Phyllis Nancy. Mehr durch Zufall stolpert er in die Ermittlungen eines neuen Mordfalls: Bill Maples, ein exzentrischer Kunstsammler, wird in einem vornehmen Restaurant tot aufgefunden. Am Tatort erwartet Jury bereits eine neue Kollegin, die, wie könnte es anders sein, äußerst attraktive Brasilianerin Lu Aguilar. Die gemeinsamen Recherchen führen Jury und Aguilar nicht nur auf die richtige Fährte, sondern auch direkt in eine heiße Affäre, die auf alle Beteiligten ansteckend wirkt. Pikant sind auch die Entdeckungen, die der Inspektor macht: Billy Marple scheint ein Doppelleben geführt zu haben. Zum einen lebte er abgeschieden im Wohnhaus des Dichters Henry James, zum anderen tauchte er immer wieder in der Londoner Schickeria auf. Die Freundschaft zu einem dubiosen Deutschen, der als Privatsekretär Maples fungierte, und Maples Faszination für den Zweiten Weltkrieg bringen Jury und Aguilar schließlich auf die richtige Fährte – ins Berlin der 40er-Jahre ... Martha Grimes gilt als Meisterin des klassisch-britischen Kriminalromans – und 11 das als Amerikanerin. Sie hat mit Inspektor Jury einen mittlerweile legendären Ermittler geschaffen. Ihr neuer Roman zeigt den eingefleischten Junggesellen nun von einer neuen Seite: zwischen Liebe und Leidenschaft. Auch wenn der Schluss Fragen offenlässt, ist es ein Vergnügen, das von witzigen Dialogen und einem gelungenen Spannungsbogen getragene Buch zu lesen. Thomas Pöltl Hammesfahr, Petra: Erinnerung an einen Mörder Reinbek: Wunderlich 2008. 441 S., € 20,50 Eine wohlbehütete Kindheit gesteht Petra Hammesfahr ihrem Protagonisten Felix in ihrem neuesten Roman wirklich nicht zu. In Erinnerung an einen Mörder hat er es mit einer sadistischen Mutter und einem wahren Drachen von Großmutter zu tun. Die Mutter ist hochgradig frustriert über die ungewollte Schwangerschaft in jungen Jahren, die Großmutter voll des Hasses auf das Kind Felix und dessen Vater, welche ihrer Ansicht nach die alleinige Schuld daran tragen, dass die begabte Tochter, statt eine gute Ausbildung und eine ebensolche Partie zu machen, als Ehefrau eines Gelegenheitsarbeiters endet. Jahre der Vernachlässigung und der Misshandlungen machen Felix und seine beiden Schwestern durch, schikaniert und gedemütigt von der Großmutter, geprügelt von der Mutter – ohne Unterstützung des augenscheinlich ahnungslosen Vaters, der seiner zänkischen Ehefrau gegenüber ohnehin hilflos ist. Besonders schlimm trifft es das dritte Kind, Baby Annika, das von der Mutter täglich allein gelassen wird, sobald der Vater aus dem Haus ist. Als die mütterlichen Misshandlungen dem Baby schweren Schaden zufügen, rastet der Vater aus und richtet das an, was in den Zeitungen dann eine „blutige Familientragödie“ genannt wird. Der achtjährige Felix überlebt, war sogar noch im Haus, erinnert sich aber nicht daran, was er dort gesehen hat. Scheint sein von einer liebenden Tante umsorgtes Leben endlich friedlich zu werden, brechen während der Pubertät Erinnerungen auf. Sein Versuch, endlich Klarheit über das Schicksal seiner Familie zu erlangen, bringt – je nach Gesprächspartner – so viele verschiedene Geschichten zu Tage, dass es noch Jahre dauert, bis Felix Gewissheit über die Geschehnisse während der „blutigen Familientragödie“ hat. Fesselnd und mit tiefen Einblicken in seelische Abgründe, die Hammesfahr-Fans ahnen es schon, ist Erinnung an einen Mörder eine klare Empfehlung für LeserInnen mit Interesse an psychologischen Krimis. Isolde Grabner Evanovich, Janet: Kalt erwischt Aus dem Englischen übers. München: Manhattan 2008. 303 S., € 17,50 Sie ist frech, sexy, chaotisch und hat einen Hang zu prekären Situationen: Stephanie Plum, ihres Zeichens Kopfgeldjägerin und dank Bestsellerautorin Janet Evanovich bereits zum zwölften Mal im deutschsprachigen Serien-Einsatz. Chronisch pleite, versucht sich die ehemalige Dessousverkäuferin mit der Jagd auf Verbrecher über Wasser zu halten – ein Unterfangen, das zur Freude der zahlreichen Stephanie-Plum-Fans mehr schlecht als recht gelingt und beträchtlichen Unterhaltungswert bietet. Humoreske Verwicklungen und jede Menge erotisches Beiwerk machen sichtlich Lust auf einen Plot, der rasch umrissen ist: Stephanie Plum wird von einer Frau verfolgt, die sich als Gattin des bereits serienerprobten und unwiderstehlichen Rangers ausgibt. Dumm nur, dass eben jene Dame kurz nach dieser überraschenden Offenbahrung ermordet aufgefunden wird und Stephanies sexy Latino-Ranger nicht nur zum Hauptverdächtigen wird, sondern auch noch die Entführung seiner zehnjährigen Tochter verkraften muss. Bei so viel Leid kann nur eines helfen: Stephanie muss auf eigene Faust ermitteln – im Wettlauf gegen die Zeit und die Polizei, dafür aber mit umso erstaunlicheren Ergebnissen. Janet Evanovich zeigt mit dem Krimi Kalt erwischt einmal mehr ihr Talent für packende Geschichten mit jeder Menge Situationskomik. Witzige Dialoge und spannende Handlungsbögen treiben das Geschehen voran und garantieren leicht konsumierbares Lesefutter für Krimifans. Die ausführlichen Beschreibungen der durchtrainierten Männerkörper rund um die Protagonistin dürften allerdings auf ein vorwiegend weibliches Leserinnenpublikum abzielen. Martina Rényi SpannungBelletristik 12 Indridason, Arnaldur: Todesrosen Bergisch Gladbach: Lübbe 2008. 300 S., € 19,50 Ausgerechnet auf dem Ehrengrab des isländischen Freiheitskämpfers und Nationalhelden Jon Sigurdsson wird die Leiche eines jungen Mädchens gefunden. Ist es Zufall oder ein politisches Statement, das der Mörder abgeben wollte? Kommissar Erlendurs Recherchen führen in dubiose Wirtschaftsmachenschaften und in die schwierigen Lebensverhältnisse der isländischen Landbevölkerung in all ihrer hoffnungslosen Einsamkeit. Anhand eines Einzelschicksals versucht Indridason auch die soziale und gesellschaftspolitische Entwicklung Islands aufzuzeigen. Die isländische Autorin Arnaldur Indridason hat neben Hakan Nesser und Henning Mankell einen fixen Platz in der nordeuropäischen Krimi-Szene erobert. Ihre Romane zeichnen sich durch sorgfältig recherchierte Hintergründe und authentisch gezeichnetes Lokalkolorit aus: ungewohnt sonnige Sommernächte und Schlaflosigkeit, Reykjaviker Stadtleben, einsame Fjorde, karges Landleben. Neben den stimmig dichten Atmosphären bestechen die markaten, starken Charaktere. Besonders die Figur des grantigen Kommissars Erlendur, der nun bereits im siebten Fall ermittelt, ist vielschichtig und interessant gestaltet. Meist reichen die Wurzeln eines Verbrechens tief in die Vergangenheit zurück, akribisch gräbt Indridason Stück für Stück die Wahrheit aus, bis vor dem Publikum ein (meist tragisches) Schicksal bloß liegt. Kurz Susanne Khadra, Yasmina: Die Sirenen von Bagdad Aus dem Französischen übers. München: Nagel & Kimche 2008. 314 S., € 20,50 In Rückblenden erzählt der namenlose, 21jährige Ich-Erzähler seinen Werdegang vom friedlichen und sensiblen jungen Iraker zum hasserfüllten, potentiellen Vollstrecker des größten und zerstörerischsten Attentats in der Geschichte. Ein Virus, in jahrelanger Arbeit entwickelt, soll 9/11 bei weitem in den Schatten stellen. Bei einer Razzia amerikanischer GIs in seinem Heimatdorf wird die Beduinen- familie durch das brutale Vorgehen der Soldaten zutiefst gedemütigt. Seiner Ehre beraubt verlässt der junge Mann sein Dorf und begibt sich nach Bagdad, wo er in die Fänge radikaler Fundamentalisten gerät. Um die Ehre seiner Familie wiederherzustellen schließt er sich dem Widerstand im Irak an. Er kommt als Nachtwächter in einem Elektro-Laden unter, der aber nur Tarnung für Bomben bastelnde Extremisten ist. Weiters macht er die Bekanntschaft des Dr. Jalal, einem einst vom Westen geschätzten Kritiker der Extremisten, der aber längst die Seiten gewechselt hat und selbst an der Spirale des Hasses dreht. Yasmina Khadra ist das Pseudonym von Mohammed Moulesshoul, einem ehemaligen ranghohen Offizier der algerischen Armee, der 2000 ins französische Exil ging. Seine mehrfach ausgezeichneten Romane wurden in 17 Sprachen übersetzt und über drei Millionen mal verkauft. Mit Todesrosen präsentiert er einen hoch aktuellen Thriller mit manchen Längen in der Handlung und fallweise bemühten Dialogen. Günther Badstuber Mankell, Henning: Der Chinese Aus dem Schwedischen übers. Wien: Zsolnay 2008. 603 S., € 24,90 Henning Mankell legt mit Der Chinese ein weiteres Meisterstück seiner Erzählkunst mit Sogwirkung vor: Was als konventioneller Kriminalroman beginnt, entwickelt sich schnell zu einer vielschichtigen Story, die ihren Bogen von der Geschichte versklavter Chinesen im amerikanischen Eisenbahnbau bis in das heutige Peking spannt. In einem kleinen Dorf kommt es zu einem Massaker, fast die ganze Dorfbevölkerung, mehr oder weniger miteinander verwandt, wird abgeschlachtet. Die Polizei tappt im Dunkeln, die Richterin Roslin entdeckt ihre Adoptiveltern unter den Opfern und beginnt sich für den Fall zu interessieren. Bald gibt es einen Verdächtigen, der geständig ist und sich kurz danach selbst richtet. Rosalin ist die Lösung zu glatt, sie findet Parallelen zu einem Massenmord in den USA, bei dem auch entfernte Verwandte von ihr untern den Mordopfern waren ... Der Roman ist eine scharfsichtige Analyse des Umbruchs in der chinesischen Gesellschaft und ein unangenehmer Blick auf einen künftigen neuen Imperialismus am afrikanischen Kontinent. Mankell recherchiert sehr genau und das merkt man dem Buch auf jeder Seite an. Peter Hörschelmann Nabb, Magdalen: Vita Nuova Zürich: Diogenes 2008. 321 S., € 20,50 Als das toskanische Gegenstück zu Donna Leons Commissario Brunetti gilt seit langem der aus einfachen Verhältnissen stammende, in Florenz tätige Commissario Guarnaccia. In diesem vierzehnten, von der kürzlich verstorbenen Magdalen Nabb verfassten Roman, bekommt er es mit Menschenhandel und Sexsklaverei zu tun. Vorerst sieht alles nach einem Mordfall aus. Eine junge Frau wird in einem toskanischen Landgut erschossen aufgefunden. Der Hausherr und Vater der jungen Frau befindet sich gerade im Krankenhaus; es gibt noch eine Schwester und ein Kind der Ermordeten, von dem nicht bekannt ist, wer der Vater ist. Der naheliegenden Erklärung, dass es sich um einen Raubmord handle, kann Guarnaccia nichts abgewinnen. Junge osteuropäische Frauen betreuen den Haushalt in der Villa und es stellt sich heraus, dass der Hausherr Paoletti im früheren Leben seinen Reichtum mit Zuhälterei verdient hat. Der Commissario erfährt auf Umwegen, dass noch immer junge Frauen aus dem Osten nach Florenz geschleust werden, welche dann in einem Sex-Etablissement oder in besagtem Haushalt landen. Er muss sich auch persönlich in einen Nachtclub auf Recherche begeben, was schwerwiegende Folgen nach sich zieht. Dabei hätte er in diesen Tagen doch auf Wohnungssuche für sich und seine Familie gehen sollen. Erwartungsgemäß gelingt es ihm nach vielen Verwicklungen, den Fall zu lösen, eine neue Wohnung hat der im Privatleben eher ungeschickte Guarnaccia aber noch nicht gefunden. Die Autorin vermittelt ein ungeschminktes Gesicht der Touristenhochburg Florenz. Sie versteht es, die Probleme Italiens – Schattenwirtschaft, Korruption und Xenophobie – an einem konkreten Fall exemplarisch darzustellen und die LeserInnen zugleich durch eine spannende Handlung und einen menschelnden Kommissar bei der Stange zu halten. Johanna Mitterhofer BelletristikSpannung Mistretta, Roberto: Der kalte Blick der Rache Aus dem Italienischen übers. Bergisch Gladbach: Lübbe 2008. 347 S., € 19,50 Maresciallo Bonnanos Vergnügen an diffizilen intellektuellen Herausforderungen ist von Sherlock Holmes’ Spitzfindigkeit mindestens so weit entfernt wie Sizilien von Großbritannien. Dennoch – vormachen lässt sich der cholerische Carabiniere nichts, weder von spitzfindigen Anwälten noch von skrupellosen Menschenhändlern. Und wenn auch nicht mit der feinen Klinge, so löst er seine Fälle doch ... Roberto Mistretta beginnt seinen mittlerweile dritten Kriminalroman mit zwei Handlungssträngen, die zuerst nichts miteinander zu tun haben. Während sich Bonnano in Sizilien mit einem Eifersuchtsdrama, Korruption und vergifteten Hunden herumschlägt, beginnt die zweite Geschichte im Kosovo während der ethnischen Säuberungen, inmitten von Kriegsgräueln, Vergewaltigungen, Morden. Mistretta gibt seinem Maresciallo einen „volkstümlichen“ Charakter und eine archetypisch sizilianische Umgebung. Bonnano liebt gutes Essen und einen starken Espresso, er lebt mit Mutter und Tochter, wobei sich die Mutter mehr als es ihm lieb ist, immer wieder in seine Angelegenheiten einmischt. Dass zu Mistrettas Vorbildern Andrea Camilleri gehört, verwundert nicht und lässt sich auch nicht leugnen; er hat allerdings seinen eigenen Stil und vor allem seine eigenen Ideen, die Der kalte Blick der Rache aus dem Üblichen herausheben. Isolde Grabner Preston, Douglas: Credo. Das letzte Geheimnis Aus dem Amerikanischen übers. München: Droemer Knaur 2008. 586 S., € 17,50 In einem abgelegenen Labor irgendwo in einem Navajo-Reservat erforscht eine Gruppe von Wissenschaftlern eine neuartige Energiequelle: einen Teilchenbeschleuniger namens „Isabella“, der, „falls er funktioniert, den Urknall, die Entstehung der Welt, nachahmen soll“. Doch der Versuch misslingt und gerät außer Kontrolle: Ein schwarzes Loch, das rasant größer wird, 13 eröffnet sich und auf dem Bildschirm erscheint eine mysteriöse Grußbotschaft „Seid gegrüßt“. Wird „Isabella“, wie einige befürchten, die Erde in das schwarze Loch saugen? Oder läutet die spektakuläre Panne nur die Stunde des donnernden Fernsehpredigers Spates ein, der vermeint, dass der Versuch nur dazu diene, die Schöpfungsgeschichte zu widerlegen und Gott auf seinem Thron herauszufordern? Die Sache ist jedenfalls heikel genug, dass Wyman Ford, ein früherer Mönch und nun Sonderbeauftragter der US-Regierung eingeschleust wird, um den Dingen auf den Grund gehen. Das von Preston Douglas ersonnene Szenario ist durchwegs spannend und widmet sich neben den ungelösten Problemen der modernen Wissenschaft auch den Aktivitäten jener in Amerika sehr aktiven christlichen Rechten, die sich als religiöse Fundamentalisten im Namen des Herrn unangenehm stark in die Gesellschaft einmischen. Dabei werden Religion und Wissenschaft einander gegenüber gestellt, ohne eine davon ins Recht zu setzen: Die abgeschotteten Wissenschaftler und die bigotten Gläubigen sind gleichermaßen Spiegelbild einer erschreckenden Realität. Willi Saar Nesser, Håkan: Mensch ohne Hund Aus dem Schwedischen übers. München: btb 2007. 541 S., € 20,60 Es hätte ein pompöses Fest werden sollen, die Doppelpensionierung des Pädagogen-Ehepaares Hermansson und der gemeinsame runde Geburtstag von Vater und Tochter wenige Tage vor Weihnachten. Doch dann verursachte der einzige Sohn Walter einen TV-Skandal und die Veranstaltung schrumpft auf ein einfaches Familientreffen zusammen. Die Feier wird also im intimen Rahmen des bereits verkauften Elternhauses stattfinden. Der dominante Vater findet den Fehltritt seines Sohnes derart entwürdigend, dass er gemeinsam mit seiner Frau nach Spanien auswandern will. Was noch niemand ahnt: Es wird die letzte Zusammenkunft der gesamten Familie sein. Schon am Vorabend der Feier verschwindet Walter spurlos. Zunächst macht sich niemand ernsthafte Sorgen; war er doch von jeher das Problemkind der Familie. Als jedoch in der gleichen Woche auch der halbwüchsige Enkel Hendrik über Nacht verschwindet, wendet sich die verzweifelte Familie endlich an die Polizei. Inspektor Gunnar Barbarotti beginnt zu ermitteln. Die wenigen Ansatzpunkte verlaufen sehr schnell im Sand und monatelang scheint der Fall ungeklärt zu bleiben. Zufälle und Hartnäckigkeit führen letztlich zur Lösung der rätselhaften Vorkommnisse. Der bekannte schwedische Autor Håkan Nesser führt nach seinem Kommissar Van Veeteren einen neuen Protagonisten ein. Inspektor Gunnar Barbarotti ist geschieden, Vater von drei Kindern und steht in ständigem Zwiegespräch mit Gott. Wie in Nessers übrigen Romanen erweisen sich die Handelnden als Personen mit Ecken und Kanten. Die Fassade der nach außen hin so perfekten Familie zerbröselt sehr rasch und die Polizeiarbeit ist in erster Linie mühsame Alltagsroutine. Der Autor lässt die LeserInnen an der Gedankenwelt der ProtagonistInnen teilhaben. So ist man dem Inspektor im Wissen um Ungereimtheiten meist ein wenig voraus; maßgebliche Details bleiben jedoch geschickt verborgen. Die entscheidende Frage nach dem Täter beantwortet sich bald und man beobachtet vorwiegend, wie sich die einzelnen Familienmitglieder mit der neuen Situation arrangieren. Elisabeth Schögler SpannungBelletristik 14 Vlugt van der, Simone: Finsternis München: Diana 2008. 365 S., € 20,60 Der holländische Archäologe Bogaards macht im ägyptischen Karnak eine sensationelle Entdeckung. Er findet den Beweis, dass der Menschheit schon weit früher als angenommen Elektrizität zur Verfügung stand und diese in der sogenannten Bundeslade gespeichert wurde. Die ganze Geschichte des Abendlandes müsste daher neu geschrieben und interpretiert werden. Als er kurz darauf spurlos verschwindet, begibt sich sein Sohn auf die Suche nach ihm und lernt dabei eine Maklerin kennen, die ihn unterstützt. Gemeinsam reisen sie nach Ägypten, ohne zu ahnen, dass bereits ein Auftragskiller auf sie angesetzt wurde. Als wenig später eine Vertraute des Archäologen ermordet wird, erkennen sie erst, in welcher Gefahr sie tatsächlich schweben ... Van der Vlugt versuchte sich mit Finsternis auf den Spuren Dan Browns und scheiterte größtenteils. Neben einer sehr verworrenen Grundidee reiht sich eine obskure Theorie nach der anderen. Die Rahmenhandlung, eine mehr als klischeehafte Liebesgeschichte mit entsprechend schablonisierten Akteuren, rundet das Bild ab. Thomas Buraner Vandenberg, Philipp: Die achte Sünde Bergisch Gladbach: Lübbe 2008. 462 S., € 20,60 Lukas Malberg, ein Münchner Antiquar, trifft nach Jahren seine frühere Schulkollegin Marlene wieder und verliebt sich ein bisschen in die gutaussehende Frau. Sie verspricht, ihm ein Geschäft zu vermitteln, doch als Malberg in Rom ankommt und seine Freundin treffen will, findet er sie tot in der Badewanne und wird selbst zum Gejagten. Auf der Suche nach dem Schuldigen ereignen sich äußerst mysteriöse Dinge – so ist die Wohnung, in der Malberg die tote Marlene gefunden hat, nicht mehr auffindbar und am Begräbnis der jungen Frau nehmen auffallend viele in Schwarz gekleidete Männer teil, die äußerst fotoscheu sind ... In diesem routiniert geschriebenen Thriller mixt Vandenberg all seine Zutaten (wie geheimnisvolle Bruderschaften, Reliquien, wertvolle Bücher etc.) zu einem flotten Spannungsroman. Dass die Liebe nicht zu kurz kommt, ist einerseits kein Fehler, anderseits Anlass zu allerlei stereotypen Wendungen. Ein wirklicher Wermutstropfen ist schließlich das ziemlich abrupte, geradezu lieblos wirkende Ende. Elisabeth Ghanim Historisches Follett, Ken: Die Tore der Welt Bergisch Gladbach: Lübbe 2008. 1296 S., € 25,70 Nach 18 Jahren ist sie endlich da – die Fortsetzung von Die Säulen der Erde. Allerdings macht es sich Ken Follett nicht allzu leicht. Er knüpft nicht einfach dort an, wo die Geschichte des fiktiven Orts Kingsbridge, seiner Kathedrale und deren BewohnerInnen aufgehört hat. Nein, Follett „überspringt“ praktisch 200 Jahre, siedelt den Roman aber erneut in Kingsbridge an. Die Tore der Welt beginnt damit, dass sich die Kinder Merthin, dessen Bruder Ralf und die beiden Mädchen Caris und Gwenda in den nahen Wald schleichen, um dort den selbstgebastelten Bogen von Merthin auszuprobieren. Hier werden sie Zeugen eines brutalen Kampfes, bei dem ein Ritter zwei Männer der Königin tötet ... Grautöne in der Charakterzeichnung sind von Follet nicht vorgesehen. So tötet Ralph gleich auf den ersten Seiten des Romans das geliebte Hündchen von Gwenda – nur so zum Spaß. Damit ist den LeserInnen der Charakter von Ralph klar: Er ist und bleibt abgrundtief böse. Follets Figuren werden von einem Schicksalsschlag zum nächsten gepeitscht. Außerdem enthalten diese Schicksale so ziemlich alles, was das Mittelalter klischeehalber zu bieten hat: Hexenprozesse, Seuchen, handfeste Intrigen, brutale Vergewaltigungen, Mord und Verschwörung. Dennoch hält einen das umfangreiche Werk, das mit viel Liebe zum Detail geschrieben wurde und mit einer stets spannenden, wenngleich teilweise voraussehbaren Handlung aufwarten kann, schon nach wenigen Seiten gefangen. Elisabeth Ghanim Klee, Elisabeth: Die Ketzerbibel Reinbek: Wunderlich 2008. 478 S., € 17,40 Das Frauenleben im Mittelalter hatte im wesentlichen nur zwei Lebensformen zu bieten: entweder Ehe und Familie oder ein Dasein als Nonne bzw. Eintritt in ein Kloster. Die Beginengemeinschaft war dazu eine Alternative. Hier konnten Frauen außerhalb von patriarchalen Familiengemeinschaften und von Klostermauern ein Leben in Selbstständigkeit und wirtschaftlicher Unabhängigkeit führen. Sie waren dadurch imstande, die sozial auferlegten Rollen Ehe und Mutterschaft zu verweigern und ihre Gemeinschaften selbst zu organisieren. Durch ihr Nichteinordnen in hierarchische Strukturen wurden sie von der römisch-katholischen Kirche zum Teil als Häretikerinnen abgestempelt und von der Inquisition verfolgt. Der Roman von Elisabeth Klee spielt zu Beginn des 14. Jahrhunderts in einem Beginenkonvent in der Provence, als eine halbverhungerte Bettlerin im südfranzösischen Pertuis auftaucht und von den dort ansässigen Beginen aufgenommen wird. Danielle, so der Name der Frau, hat offenbar schreckliche Erlebnisse hinter sich und ihr Gedächtnis verloren. Nach und nach allerdings fügt sie sich in die Gemeinschaft ein und wird durch ihre Kenntnisse in der Heilkunde schnell anerkannt. Doch die Verfolgung durch die Inquisition sorgt für ständige Unsicherheit und Gefährdung – sodass Danielle wieder fliehen muss. Ihr Leben hängt in der Folge davon ab, ob sie das Geheimnis um ihre Vergangenheit lösen kann ... Die Protagonistin vereinigt in sich verschiedene Aspekte mittelalterlicher Medizingeschichte. Frauen waren an den medizinischen Fakultäten des Mittelalters und der Neuzeit nicht zugelassen, nur die Schule von Salerno war die einzige Lehranstalt, in der Frauen im Fach Medizin unterrichtet wurden. Die Autorin erzählt eine spannungsreich angelegte Geschichte vor dem Hintergrund historischer Geschehnisse, welche Einblick in die Lebensformen und das soziale Umfeld der Menschen im Mittelalter geben. Sie verbindet eine fiktive Handlung mit geschichtlichen Tatsachen, die einen großen LeserInnenkreis ansprechen dürfte. Renate Zeller BelletristikHistorisches Thomas, Charlotte: Die Lagune des Löwen Bergisch Gladbach: Lübbe 2008. 956 S., € 20,60. Charlotte Thomas ist eine vielseitige Autorin, die unter verschiedenen Pseudonymen veröffentlicht. Am bekanntesten sind ihre Beziehungskomödien, die sie unter dem Namen Eva Völler geschrieben hat und die teilweise auch verfilmt wurden. Den historischen Hintergrund von Die Lagune des Löwen bildet das 16. Jahrhundert, eine geschehnisreiche und faszinierende Epoche, in der die italienische Renaissance ihren kulturellen Höhepunkt erreicht und Venedig seine Stellung im europäischen Machtgefüge langsam verliert. Das Erstarken der neuen Kolonialmächte Spanien und Portugal, das Zusammenbre- 15 chen des Gewürzmonopols sowie die regelmäßig auftretende, durch die Pest ausgelöste Seuchengefahr tragen zur Schwächung der Lagunenstadt bei. Die vier ProtagonistInnen dieser Geschichte müssen ihr Leben als Straßenkinder fristen und sind vielen Gefahren ausgesetzt, die sie für immer verbinden. Die Handlung geschieht auf mehreren Erzählebenen, die den Lebensweg der Hauptfiguren schildert, ihr Streben nach Glück und Sicherheit, um nie wieder in Armut leben zu müssen und übermächtigen Gegnern ausgeliefert zu sein. Laura, die Diebin, wird Apothekerin und Antonio, ebenfalls Dieb, ein kompetenter Kaufmann und ihr Ehemann. Valeria, die spätere Kurtisane, findet in Carlo, dem ehemaligen afrikanischen Sklaven, dem die Lagunenstadt zur Heimat wird, Essex, Karen: Leonardo und die Principessa Aus dem Englischen übers. Bergisch Gladbach: Ehrenwirth 2008. 398 S., € 17,95 Mit dem historischen Roman Leonardo und die Principessa, der bereits mit dem Literaturpreis „Premio Roma“ ausgezeichnet wurde, gelang der jungen amerikanischen Autorin Karin Essex endgültig der literarische Durchbruch. Sie zeichnet ein durchaus akkurates und historisch stimmiges Bild der schwesterlichen Rivalität zwischen Isabella und Beatrice d’Este. Dabei ist der Autorin das Kunststück gelungen sowohl das gesellschaftliche Leben, als auch die unterschiedlichen politischen Entwicklungen im Italien der Renaissance eindringlich zu schildern, ohne jemals in Kitsch oder eine seichte Liebesgeschichte abzudriften. Eine der weiteren Hauptpersonen des Romans ist Leonardo da Vinci und dessen Beziehung zu seinem Auftraggeber Ludovico Sforza. Immer wieder streut die Autorin an passenden Stellen Auszüge aus den Tage- und Notizbüchern des großen Künstlers ein, was sicherlich nicht unwesentlich zum Reiz des Romans beiträgt. So schildert Essex unter anderem auf vergnügliche Weise den ewigen Kampf Ludovico Sforzas mit dem genialen Universalkünstler, der unbedingt die Bronzestatue eines Pferdes gießen möchte und dadurch einfach nicht und nicht dazu kommt die gewünschten Porträts von Beatrice und Isabella zu malen. Leonardo und die Principessa ist sicherlich kein Roman für LeserInnen, die nur seicht unterhalten werden und über erotische Verwicklungen im historischen Gewand lesen möchten. Wer aber einen historisch wirklich gut recherchierten Roman sucht, ist mit dem vorliegenden Buch außerordentlich gut bedient. Elisabeth Ghanim den ruhenden Pol ihres unsteten Lebens. Durch das ausgezeichnet recherchierte Material, das historische Ereignisse mit dem sozialen, geistigen und wirtschaftlichen Umfeld von Menschen mit fiktiven Schicksalen verbindet, ist der Autorin ein spannend zu lesender und einfallsreich gestalteter Roman gelungen, der trotz seines einschüchternden Umfangs einen größeren LeserInnenkreis ansprechen dürfte. Renate Zeller Seyfried, Gerhard: Gelber Wind oder Der Aufstand der Boxer Frankfurt a. M.: Eichborn 2008. 500 S., € 30,80 Peking im Jahr 1900. Im „verbotenen Palast“ herrscht die Kaiserinwitwe oder genauer: Sie lässt sich beherrschen. Mal von Prinzen, die die „weißen Teufel“ Europa und Japan hassen und diese mit Hilfe der aufständischen Boxer, einer stetig wachsenden Geheimgesellschaft, vertreiben wollen. Mal von ihrer Angst vor all jenen, die sich Stücke aus ihrem Reich herausgeschnitten haben und eigene Hoheitsrechte beanspruchen. Der technische Fortschritt des Westens gilt den Chinesen als Übergriff in ihre so viel ältere, aus ihrer Sicht höher stehende Kultur. Die „weißen Teufel“ sind jedoch überzeugt, dass sie den Fortschritt für sich gepachtet haben und Chinesen nur „gelbes Gesindel“ sind. Die Boxer bündeln den Zorn der Einheimischen, formen daraus eine mächtige Terrorgruppe. Ein Attentat gegen den deutschen Botschafter ist das Signal zum Aufstand, zur Eroberung Pekings – und zum Einmarsch der Marinesoldaten. Kirchen gehen in Flammen auf, Missionare, chinesische Christen und „fremde Teufel“ werden massakriert. Das chinesische Kaiserhaus gibt sich entsetzt, scheint aber im Geheimen mit den Aufständischen zu paktieren – und tut nichts. Unter den Belagerten befindet sich auch die gerade frisch in China eingetroffene Familie des deutschen Kaufmanns Lenck. Dessen Sohn ist vor wenigen Tagen bei einem Ausflug zur chinesischen Mauer verschwunden – wahrscheinlich entführt. 55 Tage müssen die Belagerten unter immer dramatischeren Umständen ausharren und um ihr Leben fürchten ... Herbert Spötta Belletristik Historisches 16 Weigand, Sabine: Die Seelen im Feuer Frankfurt a. M.: Krüger 2008. 528 S., € 20,50 Seit Jahren liegt der Schatten des großen Krieges um Herrschaft und Glaube über dem Land, den man später den 30-jährigen Krieg nennen wird. Die wohlhabende Bischofsstadt Bamberg wurde noch nicht von Söldnerheeren heimgesucht, zum Schauplatz eines nicht minder grausigen Gemetzels ist sie aber schon geworden – dem Kampf gegen Satan und seinen irdischen Helfershelfern, Hexen und Zauberern. Jeder kann verdächtigt werden – und fast jeder wird es auch. So wird irregeleiteter Aberglaube zum tödlichen politischen Werkzeug: Hexenwahn, Neid und Missgunst lassen willkürliche Denunziationen ins Absurde ansteigen, grausame Folter liefert die Geständnisse: Zu Hunderten werden Menschen gequält und ermordet, ganze Familien, von jenen der einfachen Bürger bis zu jenen der aufmüpfigen Stadthonoratioren, brennen auf den Scheiterhaufen vor der Stadt. Auch die junge Apothekerstochter Johanna gerät mit ihrer ganzen Familie in den Strudel aus Hexenwahn und machtpolitischer Ranküne. Ihr Schicksal verflicht sich mit jenem des Stadtschreibers, der im ehernen Glauben an die Unfehlbarkeit der Kirche die „Buchführung“ des Folterns und Brennens übernommen hat, als auch mit dem des jungen Arztes Cornelius, der mit Gleichgesinnten den aussichtslos scheinenden Kampf gegen die Willkürherrschaft aufnimmt. Der Historikerin und Ausstellungsmacherin Sabine Weigand gelingt es vortrefflich, Die Seelen im Feuer nicht in jenen klebrigen Kitsch abgleiten zu lassen, wo sich viele Hervorbringungen des Genres „historischer Roman“ so bequem räkeln. Die Autorin nutzt die Schicksalslinien ihrer ProtagonistInnen als verbindende Klammer für das, was sie an historisch Verbürgtem schonungslos offenlegt: einen wahrhaft bedrückenden Blick zurück in eine Welt, die auch einmal Europa war. Eine Welt, die ihre Menschen in grausame Abhängigkeit zwang – gleichermaßen gegenüber einer willkürlich herrschenden Obrigkeit und den Ängsten und Zwängen der eigenen, beschränkten Weltsicht zwischen Glaube und Aberglaube. Isolde Grabner Unterhaltung Adams, Carrie: Stieftöchter und andere Katastrophen Berlin: Ullstein 2008. 444 S., € 20,50 Carrie Adams erzählt in anrührender Weise vom „Zusammenraufen“ einer Patchworkfamilie: dem schwierigen Alltag und dem ständigen Drahtseilakt aller Familienmitglieder, ohne ständige gegenseitige Vorwürfe miteinander zu kommunizieren. Besonders authentisch und lebensnah wird die Geschichte durch die wechselnden Erzählperspektiven der beiden Hauptfiguren. Da ist Bea, perfekte Mutter dreier reizender Töchter, die nach der Scheidung erkennt, dass sie ihren Mann noch immer liebt, und die Karrierefrau Tessa, die sich mit Mitte 30 unsterblich in den charmanten James verliebt und nun alles versucht, um auch von dessen Töchtern akzeptiert zu werden. Die beiden kleineren Mädchen machen es Tessa leicht; doch Amber, wunderschön, talentiert und mit 14 Jahren gerade mitten in der Pubertät, versteht es wunderbar, ihren Vater zu manipulieren und seine neue Freundin stets als „böse Stiefmutter“ darzustellen. Während Tessa also verzweifelt um Anerkennung kämpft und teilweise an James zweifelt, gerät Bea in eine verhängnisvolle Spirale von Diätwahn und Alkoholsucht, die letztendlich in einem Zusammenbruch gipfelt. Der Autorin ist es gelungen, eine eindringliche Geschichte zu erzählen, teils recht witzig und doch niemals seicht, wie es Umschlag und Klappentext vermuten lassen könnten. Gabi Stolba Haran, Elizabeth: Im Schatten des Teebaums Aus dem austral. Englisch übers. Bergisch Gladbach: Lübbe 2008. 557 S., € 17,50 Auf den ersten Blick wirkt die Handlung verheißungsvoll: Die junge Reporterin Eliza ist um 1900 in Australien einer spannenden Story auf der Spur. Die Recherchen führen sie in einen Ort, wo angeblich ein Tiger gesichtet wurde, der wiederholt die Schafe der Farmer reißt. Eliza verstrickt sich im Zuge der Nachforschungen immer mehr in ihre eigene Familiengeschichte, denn in besagtem Ort wohnt auch ihre Tante Matilda, die jeden Kontakt zu Elizas Familie abgebrochen hat. Erst am Ende des mehr als 500-seitigen Romans wird das verhängnisvolle Geheimnis gelüftet, das die Familie entzweit hatte. Als junge Frau von ihrer eigenen Schwester vor eine Kutsche gestoßen, trug Matilda schwere Verletzungen und lebenslange Entstellungen davon. Aus Angst vor Zurückweisung hatte Matilda ihren Verlobten Richard verlassen, der später die Schwester heiratete. Auf diese „Entdeckung“ werden die LeserInnen allerdings von Beginn der Erzählung an vorbereitet. Wenig Überraschendes bieten auch die Pärchenkonstellationen, die das „happy end“ ausmachen: Matilda und ihr ehemaliger Verlobter Richard lieben einander noch immer; Richards Ehefrau Henrietta hat praktischerweise ohnehin seit jeher ein Verhältnis mit ihrem ehemaligen Jugendfreund. Die Hauptfigur Eliza schließlich entdeckt nach einigen recht konstruierten Verwicklungen und trotz ihrer Tierliebe ihre Gefühle für den Großwildjäger Brodie, der den Tiger hätte erschießen sollen. In der Aufregung all dieser Verliebtheiten verkommen die Ereignisse rund um den Tiger und die geheimnisvollen Schafdiebstähle zu Nebenhandlungen. Die schwarz-weiß gezeichneten Figuren agieren höchst berechenbar in einem vorhersehbaren Handlungsrahmen. Der Roman ist bestenfalls LeserInnen zu empfehlen, die gern an der Hand genommen und auf jede nachfolgende Wendung vorbereitet werden und eine Vorliebe für Romane mit australischem Flair haben. Katharina Zucker Belletristik Unterhaltung Jones, Kelly: Das Mysterium der Madonna Aus dem Amerikanischen übers. München: Page & Turner 2008. 415 S., € 20,60. Florenz, die Stadt der Renaissance, ist der wichtigste Ort im Leben von Suzanne Cunningham, einer Kunstprofessorin aus Idaho, die als junges Mädchen die Hochwasserkatastrophe von 1966 miterlebt, als der Arno weite Teile der Stadt überschwemmt. Viele junge Leute aus aller Welt, die sich zu diesem Zeitpunkt in der Stadt aufhalten, helfen mit, die schon beschädigten Kunstschätze in Sicherheit zu bringen. Die junge Amerikanerin verliebt sich in den Kunstrestaurateur Stefano, der aber verheiratet ist. Gemeinsam retten sie ein Madonnenbild aus den Uffizien. 30 Jahre später liest Suzanne in einem Artikel, dass dieses Gemälde damals zerstört wurde. Aufgeregt über diese Unwahrheit nimmt sie sofort das Angebot einer Professur in Florenz an, um sich auf Spurensuche zu begeben. Ihr geht es nicht nur um das verschollene Bild, sondern auch um ihren Sohn, den sie damals zur Adoption freigeben musste. Das neue Leben er- 17 möglicht ihr, mit den vergangenen Geschehnissen abzuschließen und sich zukünftigen Lebensperspektiven zu öffnen. Vor dem Hintergrund der beeindruckenden Sehenswürdigkeiten der toskanischen Metropole erzählt die Autorin von vergangenen und gegenwärtigen Ereignissen, die sie zu einer abenteuerlichen Geschichte vermengt. Ein umsichtig gestalteter und gut lesbarer Roman. Renate Zeller Trollope, Joanna: Immer freitagabends Berlin: Bloomsbury 2008. 349 S., € 20,50 Immer freitagabends treffen sich sechs Frauen in der Londoner Fulham Road in der Wohnung der ältesten von ihnen, Eleanor. Es sind Frauen von unterschiedlichem Alter, Charakter und Lebensstil. So verschieden sie sind, sie halten zusammen, und das Ritual der wöchentlichen Begegnung bestätigt und bestärkt ihre Freundschaft. Das stabile Gefüge gerät ins Wanken, als eine der Frauen, Paula, einen Mann kennen lernt. Die Treffen bei Eleanor wer- den seltener. Dennoch bleibt sie das Zentrum der Gruppe, denn die Frauen wissen, dass sie jederzeit bei ihr vorbeikommen können. Davon machen sie auch ausgiebig Gebrauch, als es im Leben einer jeden zu Veränderungen und Krisen kommt. Im Mittelpunkt des Romans steht die Bedeutung funktionierender Freundschaften für Frauen in jedem Lebensabschnitt, besonders, wenn sie mit Job und Kindern ziemlich viel um die Ohren haben. Der Mann, in den Paula sich verliebt, stellt eine existenzielle Bedrohung für dieses Gefüge dar, bleibt als Figur aber blass und verschwindet auf ebenso unauffällige Weise, wie er sich das ganze Buch hindurch verhalten hat. Auch die Geschehnisse, die für einige der Frauen kurzfristig dramatische Folgen haben, schildert Trollope relativ unaufgeregt. Die Geschichte plätschert geruhsam dahin, man folgt den Gedankenströmen und Dialogen der Frauen und ist mit ihnen erleichtert, wenn nach einer unsicheren Zeit wieder Stabilität und Ordnung einkehren. Wichtig ist der Autorin die Bedeutung weiblicher Berufstätigkeit als Grundlage ökonomischer Unabhängigkeit. Georgia Latzke Freud, Esther: Liebe fällt Aus dem Englischen übers. Berlin: Bloomsbury 2008. 286 S., € 20,50 Die Überraschung ist groß, als der englische Literaturprofessor seiner halbwüchsigen Tochter einen gemeinsamen Urlaub in der Toskana vorschlägt. Die fast 17-jährige Lara ist das Produkt einer kurzen leidenschaftlichen Beziehung mit einer ehemaligen Studentin. Bei ihrer Mutter aufgewachsen, ist ihr der meist ferne Vater fremd geblieben. Nun also reist sie drei lange Wochen mit ihm nach Italien. Es wird eine Zeit der Annäherung, des Reifens, des Abschiednehmens. Während sich London auf die bevorstehende „Hochzeit des Jahres“ von Kronprinz Charles und Lady Di vorbereitet, bemüht sich Lara, in der für sie ungewohnten Umgebung heimisch zu werden. Vaters Freunde sind eine mondäne Gesellschaft durch alle Altersgruppen. Das junge Mädchen versucht sich in der Gruppe zu behaupten und verliebt sich dabei prompt in den meistbegehrten Junggesellen der Region. Langsam erkennt sie auch dunkle familiäre Schatten der Vergangenheit, die weit in die Gegenwart zu reichen scheinen. In Rückblenden erschließt sich den LeserInnen Laras Kindheit und bruchstückhaft auch die Vergangenheit des Vaters. Schließlich aber verlässt die junge Engländerin Italien nach für sie und ihren Vater einschneidenden Erlebnissen als selbstbewusste junge Frau. Esther Freud, eine Urenkelin von Sigmund Freud, hat bereits mehrere Romane veröffentlicht. Die einzigartigen Erfahrungen des jungen Mädchens, die sie in Liebe fällt vor dem malerischen Hintergrund des italienischen Sommers und der weltweit stattfindenden Berichterstattung über die „Märchenhochzeit“ des englischen Thronfolgers beschreibt, gestalten sich als kurzweilige Lektüre. Die in einen stimmigen Handlungsrahmen gekleideten Gefühlsschwankungen der jugendlichen Protagonistin schließlich bleiben in jedem Moment nachvollziehbar. Elisabeth Schögler Belletristik 18 Schicksale Archer, Jeffrey: Der gefälschte König Dahl, Sophie: Die Spiele der Erwachsenen Aus dem Englischen übers. München: Scherz 2008. 239 S., € 18,40 Aus dem Englischen übers. Berlin: Bloomsbery 2008. 299 S., € 20,50 Jeffrey Archer, vom Beginn seiner Karriere an von der Literaturkritik verrissen, von seiner in die Millionen gehenden Fangemeinde nichtsdestotrotz unbeirrbar als einer der weltbesten Geschichtenschreiber verehrt, hat einmal mehr seine Steherqualitäten unter Beweis gestellt und einen zweijährigen Gefängnisaufenthalt zu einem neuerlich veritablen und wohl höchst einträglichen Erfolg umgemünzt. Die Kurzgeschichtensammlung basiert nach seiner eigenen Aussage auf Erzählungen von Mitgefangenen. Jede einzelne der insgesamt neun Geschichten soll, wenn auch frei ausgeschmückt, auf Fakten beruhen. Das zu glauben, fällt einem bei der einen oder anderen Story schwer, was aber daran liegen mag, dass es einem unbescholtenen Bürger für gewöhnlich an krimineller Fantasie mangelt. Gerade davon wiederum scheinen Archers Häfenbrüder mehr besessen zu haben, als die Polizei erlaubt. Daher dürfen sie sich nun über die literarische Würdigung ihrer Gerissenheit durch den Gerissensten unter ihnen freuen. Einige der solchermaßen Geadelten haben mit ihren ausgefeilten Plänen zumindest vorübergehend Erfolg, andere setzen von vornherein aufs falsche Pferd. Dass auch der genialste Mordplan schiefgehen kann, zeigt die Geschichte vom schlauen Manager, der seine Angetraute mit gesundheitlich bedenklichem St. Petersburger Leitungswasser ins Jenseits zu befördern trachtet. Seinem Ruf als weltbester lebender Kurzgeschichten-Schreiber wird Archer mit diesen Stories nicht gerecht. Sie sind originell, aber ihre literarische Qualität ist fragwürdig. Die treue LeserInnenschaft des bunten Hundes Jeffrey Archer wird dagegen wohl von einem weiteren großen Wurf des Meisters schwärmen. Und was Literaturkritik meint, ist Lord Archer sowieso egal. Er sieht sich als Neid-Opfer und beantwortet die zum Teil hämische Kritik an seinen literarischen Ambitionen mit großzügigen Spenden für wohltätige Zwecke. Ein Schelm, wer dahinter ein schlechtes Gewissen vermutet. Franz Plöckinger Marina, eine überaus schöne Frau, ist erst 16, als sie ihre Tochter Kitty zur Welt bringt. Kittys Vater, ein reicher, aber verheirateter Mann, versorgt Mutter und Tochter mit viel Geld. Kitty bekommt ihn nie zu sehen und wächst bei den Eltern ihrer Mutter auf, bis sie zwölf Jahre alt ist. Dann folgt eine Katastrophe der anderen: Marina verfällt einem Guru und gibt Kitty ins Internat. Später nimmt sie sie zu sich und dem Guru in die USA, der die beiden bald zurückschickt. In England entfremdet sich Kitty immer mehr von ihrer Mutter, gerät in Kontakt mit Alkohol und Rauschgift, nächtelange Besuche in Lokalen häufen sich. Mit 15 geht sie zum ersten Mal mit einem Jungen ins Bett. Marina verliert allen Einfluss auf Kitty, ist selbst drogensüchtig. Da begreift Kitty, dass sie weg muss ... Jahre später lebt sie verheiratet in New York und erwartet ein Baby. Da erfährt sie, Marina sei nach einem Selbstmordversuch in eine Nervenklinik eingeliefert worden. Kitty trifft die Mutter am Krankenbett, erkennt ihre Liebe und verzeiht ihr. Statt eigentlicher Handlung gibt es eher drastische Milieuschilderungen; kein angenehm zu lesendes Buch. Dorothea Schadauer Fatah, Sherko: Das dunkle Schiff Salzburg: Jung u. Jung 2008. 440 S., € 22 Das dunkle Schiff erzählt die Geschichte des jungen Kurden Kerim aus dem Nordirak, dessen alevitische Familie eine Gaststätte betreibt. Als sein Vater durch einen absichtlich herbeigeführten Verkehrsunfall getötet wird – die Kurden leiden nicht nur unter dem Regime von Saddam, sondern sind auch untereinander religiös zerstritten – muss er die Verantwortung für den Familienbetrieb übernehmen. Bei einer Versorgungsfahrt werden der junge Mann und sein Auto von einer militanten Gruppe entführt, bei der er sich vom Gefangenen zum Gefolgsmann wandelt. Er möchte aber weder zum brutalen Mörder noch zum Selbstmordattentäter werden. Daher flieht er und entkommt als blinder Passagier auf einem „dunklen Schiff“ zu seinem Onkel nach Deutschland. Dort muss sich Kerim in einer fremden Kultur zurechtfinden und sich mit seiner Vergangenheit auseinandersetzen, die als erlebtes Trauma schubweise wiederkehrt. Er driftet in eine Parallelgesellschaft ab, wo er seinem Schicksal nicht entkommen kann. Am Beispiel einer Lebensgeschichte zeigt der Autor verschiedenen Formen von Extremismus auf, wie er verführt und wie man ihm ausgeliefert bleibt. Ein fundiert politischer und mit abenteuerlichen Elementen gespickter Roman, der sich überzeugend auf die reflektierende Perspektive des Protagonisten stützt. Renate Zeller Rasker, Maya: Wenn du eine Landschaft wärst Aus dem Niederländischen übers. München: Luchterhand 2008. 283 S., € 20,60 Der Amsterdamer Geologe Abel lebt auf einem Berg in den spanischen Pyrenäen. Hier fühlt er sich frei und ungebunden. Seine wissenschaftliche Karriere hat er aufgegeben. Hin und wieder kommen Gruppen von Studenten, die er durch die Landschaft führt. In so einer Gruppe begegnet er der jungen Geologin Xenia. Abel fühlt sich von der herben Frau angezogen. Xenia bleibt bei ihm in seinem abgelegenen Haus auf dem Berg. Da überrascht die beiden ein Wetterumschwung. Mit knapper Not und schwer verletzt entkommen sie einer Lawine und erreichen getrennt das Tal. Jahre später begegnen sie sich in Amsterdam zufällig wieder. Ihre Beziehung flammt erneut auf. Abel erfährt von der Existenz seines Sohnes Max. Das stürzt ihn in eine tiefe Krise ... Wenn du eine Landschaft wärst ist ein vielschichtiger Roman mit sorgfältig gezeichneten Charakteren. Die Autorin erzählt in klarer, eindringlicher Sprache. Endgültige Antworten zu den großen Lebensthemen gibt es nicht. Hier steht am Ende ein schönes Zusammenfinden. Beeindruckend sind die Schilderungen der herben Landschaft der Pyrenäen und seiner Bewohner. Maria Hammerschmid Belletristik Schicksale Sendker, Jan-Philipp: Das Flüstern der Schatten München: Karl Blessing 2007. 446 S., € 20,60 Der 50-jährige Deutsch-Amerikaner Paul lebt seit mehr als 30 Jahren in China. Nach dem Tod seines Sohnes Justin und der nachfolgenden Scheidung von seiner Ehefrau zieht er sich aus der Gesellschaft zurück. Er vertauscht die schillernde Kulisse von Hongkong mit einer beschaulichen Insel, wo er sich dem Gärtnern, Meditieren und den Erinnerungen an Justin hingibt. Nur zwei Menschen gelingt es, sein Eremitendasein zu durchbrechen: Christine Wu, eine schöne und intelligente Frau, deren Annäherungsversuche er nur zögernd erwidert, und Kommissar David Zhang, ein scheuer Mann, der ein Bündel Erinnerungen aus seiner Jugendzeit in der Roten Armee mit sich schleppt. Pauls beschauliches Leben findet ein Ende, als eine reiche Amerikanerin ihn bittet, ihr bei der Suche nach ihrem verschwundenen Sohn zu helfen. Paul gerät so in einen scheinbar aussichtslosen Kampf gegen brutale Mafiabosse und korrupte Polizisten. Obgleich er den letzten Halt zu verlieren droht, öffnet sich ihm auch das Tor zu einem neuen, selbstbestimmten Leben. Dem Autor, der jahrelang als Asien- 19 korrespondent tätig war, gelingt es dank seiner Chinaerfahrung, das Alltagsleben Chinas und Hongkongs detailgetreu zu vermitteln. Daneben schildert er, eingebunden in einen Kriminalfall, das psychologisch feinsinnig dargelegte Schicksal dreier Menschen, die einander auf vielfältige Weise verbunden und an einem Wendepunkt ihres Lebens abgekommen sind. Irene Minainyo Winton, Tim: Atem Aus dem austral. Englisch übers. München: Luchterhand 2008. 235 S., € 17,50 Tim Winton gehört zu den erfolgreichsten und produktivsten Schriftstellern Australiens. Für seine Arbeit als Autor von Romanen, Kurzgeschichten und Essays, fürs Fernsehen und Bühne adaptierten Romanversionen sowie Kinderbüchern wurde er mehrfach ausgezeichnet. In Atem wählt er einen sehr offenen, nicht wertenden Zugang zu einem „Problem-Thema“. Die beiden Freunde Bruce und Loonie waren schon als Kinder die schwarzen Schafe ihres kleinen Ortes in Westaustralien. Das ändert sich auch nicht, als die beiden Halbwüchsigen das Surfen als Ventil für ihre überschüssigen Energien entdecken. Waren es zuerst nur kleine Wetten, zum Beispiel wer länger unter Wasser die Luft anhalten konnte, so kommt mit dem Wellenreiten ein neuer Faktor zum eh schon wetteifernden Jugendverhalten dazu – der Kick. Mit dem Surfen finden die beiden auch die Passion ihres Lebens; hier können sie ihre Sucht nach Grenzen erweiternden Gefahrensituationen und der süchtig machenden Hormonausschüttung des Kleinhirnes umfassend befriedigen. Der Sport bzw. ihr Konkurrenzverhalten macht die Freunde allerdings langsam zu erbitterten Feinden und das „off board“. Auslöser ist der Kampf um die Gunst eines älteren Surfers, welcher zuerst beide unter seine Fittiche nehmen will, dann aber nur einen der beiden fördert. Als nur Loonie protegiert wird und mit dem Surf-Guru um die Welt reist, beginnt Bruce mit dessen Frau ein Verhältnis, welches das Ende einer Ära für alle Beteiligten einläutet. Überzeugend schildert Winton, wie man als anfälliger Charakter in ein Abhängigkeitsverhältnis rutschen kann – und wie die „Coolness“ einer alternativen Lebensplanung irgendwann auch die Niederungen des betreffenden Lebensstils – Surftrips werden durch Drogenschmuggel finanziert – berührt. Hermann Gamauf Hansen, Erik Fosnes: Das Löwenmädchen Köln: Kiepenheuer & Witsch 2008. 395 S., € 20,60 Mit Das Löwenmädchen führt der in New York geborene Norweger Erik Fosnes Hansen auf drastische Weise vor Augen, wie unsere Gesellschaft mit Außenseitern umgeht. In einer kalten Dezembernacht im Jahre 1912 kommt in einem Dorf in Norwegen ein Kind zu Welt. Die Mutter stirbt bei der Geburt und der Vater möchte anfangs nichts mit dem Säugling zu tun haben, zumal das Mädchen über und über mit hellem, seidigem Haar bedeckt ist. Ein seltener Gendefekt ist Schuld an Evas Behaarung. Sie wird Zeit ihres Lebens damit leben müssen. Hausarzt und Apothekersgattin helfen dem verbitterten Witwer. Doch vor der Öffentlichkeit wird das Kind versteckt – was natürlich zu Spekulationen im Ort führt. Abgeschottet von der Außenwelt erschafft sich das kleine Mädchen seine eigene Phantasiewelt. Evas einziger Vertrauter ist ein Funker, der ihr das Morsen beibringt und sie dadurch aus der Enge ihres Zimmers befreit. Mit dem Eintritt in die Schule verändert sich Evas Leben, die anderen Kinder stoßen und verspotten sie, für die Wissenschaft ist sie ein interessantes Schauobjekt, das schamlos ausgenützt wird. Als heranwachsende junge Frau hat sie Gefühle wie jeder Teenager. Doch es kommt der Zeitpunkt, da muss sich Eva entscheiden, ob sie ihr Leben als Außenseiterin in der Dorfgemeinschaft weiter führen oder sich einer Truppe anschließen will, die „menschliche Kuriositäten“ zur Schau stellt ... Ein kluger und trauriger Roman über „Normalität“ und „Abartigkeit“ – in schönen Bildern erzählt. Gabi Stolba 20 Kinder- und Jugendliteratur Kinderbuch Baccalario, Pierdomenico: Die Tür zur Zeit Ill. v. Iacopo Bruno Münster: Coppenrath 2008. 201 S., € 13,30 Das Buch beginnt damit, dass ein Mitarbeiter des Verlags in einer E-Mail ans Lektorat darüber berichtet, wie er an die geheimnisvollen Manuskripte für das vorliegende Buch gekommen ist – womit die LeserInnen auch schon mitten in der Geschichte um das Geheimnis von Ulysses Moore stecken. Moore war der Besitzer der mysteriösen Villa, welche die Familie Convenant zu beziehen im Begriff ist. In Abwesenheit der Eltern erkunden deren Zwillinge Julia und Jason mit einem Nachbarjungen die Umgebung. Zufällig stoßen sie dabei auf ein Kästchen mit Tonkugeln und ein Pergament, welches sie mit einem Rätsel konfrontiert. Beim Versuch, das Rätsel zu lösen, stoßen sie auf einen Abholschein für ein Paket, dessen Inhalt ihnen ein unglaubliches Abenteuer eröffnet. Schnell gelingt es dem Autor, die LeserInnen an seine Hauptfiguren, die mit viel Intelligenz und Scharfsinn die zahlreichen Rätsel lösen, heranzuführen. Stimmige und lebendige Dialoge sorgen für einen entspannten Lesefluss und treiben die Handlung zügig voran. Lediglich das abrupte Ende könnte die mitfiebernden LeserInnen zunächst etwas verwundern. Doch dies ist nur der erste Band einer Abenteuerreihe, deren Basis und Rahmen hier etabliert wird. Besondere Erwähnung verdienen die grandiosen Illustrationen von Iacopo Bruno, die die Geschichte noch spannender machen und den Dokumentationscharakter der Rahmenhandlung unterstreichen. Ab 9 Jahren Eva Oberleitner Baltscheit, Martin: Keine Kuscheltiere für Johanna Ill. v. Marion Goedelt Berlin: Tulipan 2008. 41 S., € 8,20 Johanna hat viele Kuscheltiere und Spielsachen. An sich eine feine Sache; das Problem ist nur, dass sie morgen sieben Jahre alt wird und mit Kuscheltierzuwachs rechnen darf. Was tun? Wohin mit den Tie- ren? Wen entbehren? Wer geht freiwillig? „Ich nicht! Ich nicht!“ rufen Gummienten, Flummis, Barbiepuppen. Die Idee, ein paar Kuschelfreundinnen an Cousine Cornelia abzugeben, löst Panik aus. Hat diese doch einige in der Klomuschel gewaschen und beinahe versenkt. Eine gemütliche Kiste im Keller? Auch dieser Vorschlag trifft auf wenig Gegenliebe. Da – die zündende Idee: Afrika. Das Land, in dem viele Kinder kein Spielzeug haben und jedes Tier die Möglichkeit bekommt, das Lieblingsspielzeug zu werden. Dass nun aber alle auswandern wollen, begeistert Johanna wenig ... Die Erstlesebücher des Tulipan Verlages heben sich angenehm von der Massenware ab. Ein Problem, das der Verlag noch lösen muss, ist der fehlende Flattersatz, der Lesen lernenden Kindern diese Aufgabe erleichtert. Dennoch: Man kann zu dieser Reihe nur gratulieren, in der namhafte preisgekrönte AutorInnen – wie Martin Baltscheit mit diesem lustigen, Fantasie anregenden Buch – für Qualität bürgen. Ab 7 Jahren Martina Adelsberger Frey, Jana: Fridolin XXL Wien: Ueberreuter 2008. 144 S., € 9,95 Mister Speck, Monster-ET, Fettkugel – das sind nur die harmloseren Namen, mit denen Fridolin sich abfinden muss. Dazu kommt, dass er, soeben umgezogen, nicht einen einzigen Freund in seiner neuen Klasse hat. Fridos Glück ist, dass er in einer liebevollen, ein wenig chaotischen, zudem leider durchwegs übergewichtigen Familie lebt. Aber da gibt es noch eine Außenseiterin in seiner Klasse, die rothaarige, zaundürre, ein wenig seltsame Tiffany. Es gelingt ihr, den verschüchterten Buben ein wenig aus der Reserve zu locken. Aber sie scheint ein Geheimnis mit sich herum zu tragen, das sich allerdings mit gesünderem Essen und mehr Bewegung nicht lösen lässt. Die beiden freunden sich an, ergänzen einander und können gemeinsam ohne Zutun der Erwachsenen ihre Probleme lösen. Jana Frey erzählt von einer Kindheit, in der sich die Rollen mitunter umkehren und Eltern von ihren Kindern „erzogen” werden. Ohne pädagogischen Impetus schickt sie einen sympathischen Hauptdarsteller ins Geschehen, aus dessen Sicht wir der Erzählung folgen. Erlebte Rede und Ich-Erzählung lassen uns teilhaben an einer Entwicklung, an deren offenem Ende Frido sein Schneckenhaus verlassen hat, aktiv und selbstständig handelt, dabei ganz nebenbei auch noch ein paar Kilo verliert. Obwohl das Buch um problemlastige Themen kreist – Mobbing, Ausgrenzung, Trennung der Eltern, Einsamkeit, kindliche Überforderung u. a. – bleibt die Autorin bei ihren jugendlichen LeserInnen, indem sie kindliche Solidarität der einigermaßen unheilen Welt gegenüberstellt. Entlastend wirkt der Humor, denn es ist ein lustiges Buch mit originellen Figuren. Fridolin XXL bietet weit mehr als eine gelungene Auseinandersetzung mit dem bei Kindern bedauerlicher Weise sehr aktuellen Thema Essstörung. Viktoria Zwicker Oram, Hiawyn: Hilfe, meine Hexe lernt Ballett! Ill v. Sarah Wartburton München: arsEdition 2008. 96 S., € 7,95 Der Hexenkater Rumblewick ruft um Hilfe: Seine Hexe Sisina legt nämlich ein total „unhexisches Verhalten“ an den Tag; und jetzt möchte sie plötzlich auch noch Balletttanzen lernen. Das Problem dabei ist, dass Kater „Rumble“ vertraglich an seine Hexe gebunden ist und es zu seinen Aufgaben gehört, dafür zu sorgen, dass „Sissi“ eine echte Hexe wird. All dies erfahren wir durch die Tagebuchaufzeichnungen des Katers, welche die Hexe ihm entwendet und an den Verlag geschickt hat. Witzig gestaltet, wird uns hier eine originelle Geschichte präsentiert. Das Layout – eine tagebuchähnliche Gestaltung des Textes – soll Authentizität vermitteln. Die Verwendung verschiedener Schriftgrößen und die originellen Schwarz-weiß-Zeichnungen tragen dazu bei, die temporeiche Erzählung und die chaotische Situation in der sich der Hexenkater befindet, lebendig zu übermitteln. Am Ende des Buches findet sich noch ein Glossar über ballettbezogene Fachausdrücke und ein Guide über richtiges Hexenverhalten. Ab 8 Jahren Angelika Weiß Kinder- und Jugendliteratur 21 Kinderbuch Prinzessin gesucht! Die schönsten Feen-, Elfen- und Prinzessinnengeschichten Ill. v. Tizia Hula Wien: G & G 2007. 111 S., € 19,95 Ein Sammelband, auf dessen Einband sich so namhafte AutorInnen wie Friedl Hofbauer, Heinz Janisch, Käthe Recheis, Edith Schreiber-Wicke und Martin Auer tummeln, setzt die Latte bereits hoch an – umso mehr überrascht es, dass Prinzessin gesucht diese noch übertreffen kann. Vor allem die originellen Ideen, die den insgesamt 22 Geschichten bzw. Gedichten zugrunde liegen, lassen Prinzessin gesucht! aus der Masse an Büchern zum Thema herausstechen. So zum Beispiel die Geschichte von zwei Prinzessinnen, die in der Ho- sentasche eines kleinen Jungen leben und dort einen ziemlichen Kampf gegen Krümel, Taschentuchreste etc. ausfechten müssen, bevor ihr „Palast” glanzvoll genug für den von ihnen geplanten Hofball ist. Auch die Kombination von klassischen Märchenelementen und dem Alltag heutiger Kinder sorgt für reichlich Abwechslung im Reich der Prinzessinnen. Ebenso spannend und unterhaltsam sind aber auch Geschichten von faulen, Schluckauf-geplagten oder auch mal zornig vor sich hin schimpfenden Elfen und Feen – mit denen sich kleine Kinder leichter identifizieren können als mit den zauberhaften und tadellosen Fabelwesen von einst. Zum Leben erwecken all diese Geschichten die farbenfrohen Illustrationen von Tizia Hula, die sich – von klein bis sei- tenfüllend – auf beinahe jedem Blatt finden. Sie geben den ganz eigenen Zauber der kleinen Phantasiegestalten wieder und vermitteln eine ebenso fröhliche wie märchenhafte Atmosphäre. Geübtere LeserInnen werden mit der großen Schrift, der einfachen Sprache und den kurzen, gut überschaubaren Geschichten keine großen Schwierigkeiten haben, wegen seines Bilderreichtums ist das Buch aber auch zum Vorlesen bestens geeignet. Die tolle Aufmachung und die leicht zu lesenden Geschichten tun sicher ein übriges, damit das Buch kein Regalhüter wird. Ab 4 Jahren Angelika Wimmer Rusch, Regina: Nicht mit Timo! München: Omnibus 2007. 187 S., € 6,20 Hof, Marjolijn: Tote Maus für Papas Leben Aus dem Niederländischen übers. Berlin: Berlin-Verlag 2008. 103 S., € 10,20 Kikis Vater ist Arzt. Immer wieder geht er in die Krisengebiete dieser Welt, um den Menschen vor Ort zu helfen. Seine Familie hat große Angst um ihn, da helfen auch seine beschwichtigenden Geschichten nichts. Viel mehr kann Kiki da den Erklärungen der Mutter abgewinnen, dass alles im Leben von Wahrscheinlichkeiten abhängt. Kiki kennt nur ein Kind, dessen Vater gestorben ist. Sie kennt einige Kinder, die den Verlust von Haustieren zu beklagen haben – und sie kennt kein Kind, das schon ein Tier und den Vater verloren hat. Also wünscht sich Kiki eine Maus. Allerdings begeht sie den Fehler, der Maus einen Namen zu geben und „Piep“ wächst ihr im Laufe weniger Tage ans Herz. 2. Versuch: Sie besorgt sich in der Zoohandlung eine kranke Maus. Kaum ein paar Stunden alt, stirbt die Maus tatsächlich. Kiki beerdigt die Maus mit ihrer Freundin Marie im Garten. „Ich traute mich nicht zu erzählen, dass ich froh war. Froh, dass ich nun ein Mädchen mit einer toten Maus war. Es gab jede Menge Mädchen mit toten Mäusen. Aber es gab wenige Mädchen mit einer toten Maus und einem toten Vater. Ich hatte die Wahrscheinlichkeit etwas kleiner gemacht.“ Als der Vater im Kriegsgebiet vermisst wird, reift in Kiki die Überzeugung, dass nun auch noch ein toter Hund her muss, um die Wahrscheinlichkeit noch weiter zu ihren Gunsten zu verschieben. Also muss der altersschwache Hund der Familie herhalten und wird fast zum Opfer von Kikis „Wahrscheinlichkeits-Wahn“ … Konsequent aus Kikis Sicht und in einfacher, jedoch eindringlicher Sprache erzählt Marjolijn Hof in ihrem mehrfach preisgekrönten Buch eine Geschichte, die nahe geht, ohne jemals kitschig zu werden. Wir werden ZeugInnen einer haarsträubend knappen Situation, die Kikis Verzweiflung angesichts ihrer lähmenden Ohnmacht überdeutlich macht. Ohne zu verharmlosen, führt Hof die Geschichte schließlich sogar zu einem versöhnlichen und erleichternden Ende. Ab 9 Jahren Beate Wegerer Eigentlich sind „Neue“ in einer Klasse meist schüchtern und kleinlaut. Doch Artur, der Neue in Timos Klasse, ist ganz anders. Er schlägt gleich zu, wenn ihm etwas nicht passt, droht permanent mit Gewalt, beleidigt und demütigt seine Mitschüler und lügt Lehrern und Eltern unverschämt ins Gesicht. Leider hat er gerade Timo als Hauptopfer auserkoren. Timo fühlt sich hilflos, denn weder seine Mutter, noch das Lehrerteam stehen auf seiner Seite. Erst mit Hilfe des neuen Sportlehrers und seinen Freunden Mona und Basti gelingt es Timo, aus der Spirale von Angst und Gewalt auszubrechen. Er begreift langsam, dass er selbst Grenzen setzen muss. Dabei findet Timo heraus, dass Artur eigentlich der Leidende ist. Artur hat einen gewalttätigen, überstrengen Vater und ist durch die vielen berufsbedingten Umzüge total frustriert. Regina Rusch, die bereits in Johanna, wir sind stark! das Thema Gewalt verarbeitet hat, beschreibt in diesem packenden Jugendroman das Phänomen verhaltensauffälliger Außenseiter, die ihre Umgebung tyrannisieren, weil sie selbst Opfer ihrer Lebensumstände sind. Da Gewalt immer mehr den Schulalltag bestimmt, können Bücher wie dieses einen wertvollen Beitrag zu einer differenzierten Auseinandersetzung mit dem Thema leisten – und daher auch LehrerInnen als Klassenlektüre empfohlen werden. Ab 10 Jahren Katharina Landrichter 22 Schirneck Hubert: Die grüne Nudelsuppe spielt Geige. Die sonderbaren Erlebnisse des Langen und seiner Freunde Ill. v. Helga Bansch Wien: Jungbrunnen 2008. 88 S., € 12,90 In 12 kurzen Geschichten wird flott von dem Freundeskleeblatt und ihren täglichen Problemen berichtet. Ständig passiert dem „Langen“ etwas und er braucht dann dringend die Hilfe seiner Freunde. Zuerst ruft er den Kurzen an, der gibt dann dem Breiten Bescheid, der wiederum dem Schmalen und der Schmale seinem Häschen. Schließlich treffen dann alle außer dem Häschen zusammen und versuchen gemeinsam, das anstehende Problem zu lösen. Einmal ist es die ganz plötzlich verschwundene gute Laune des Langen, dann ist es der Wunderdünger, der einen Dschungel aus dem Garten des Langen macht – und die häufige Langeweile aller Freunde wird durch den Bau einer Langeweilevertreibungsmaschine ad absurdum geführt. Die Sprache dieses von Helga Bansch ansprechend illustrierten Buches ist bestens für LeseanfängerInnen geeignet: kurze Sätze, viel direkte Rede. Jede Geschichte hat Dynamik, Spaß, Witz und immer wieder überraschende Wendungen. Die grüne Nudelsuppe spielt Geige entstand ursprünglich für die deutsche Radiosendereihe „Ohrenbär“ und eignet sich zum Selberlesen ebenso wie zum Vorlesen. Auch bei Gruppenanimationen sind die kurzen Geschichten gut einsetzbar. Karin Kiraly Wendt, Albert: Betti Kettenhemd Wien: Jungbrunnen 2008. 120 S., € 13,90 Dieses Buch erzählt von einem ganz und gar wilden Mädchen. Doch was heißt wild? Sie lebt für sich, ist nicht eingebettet in ein familiäres Umfeld, nur begleitet von ihren treuesten Freunden, einem riesigen Hund und einem Rebhuhn. Sie unterwirft sich keiner wie immer gearteten Ordnung oder Konvention, sprengt jedes „normale“ Leben. Eines Tages hat sie wirklich Fesseln gesprengt, sie hat ihren Hund von seiner schweren Kette befreit, die er nach seinem Ausbruch als Kettenhund mit sich herumgeschleift hat. Damals hat sie ihre bodenlose Angst vor dem Hund und überhaupt vor allem überwunden, seither trägt sie die Ket- Kinderbuch te wie ein Symbol der Befreiung und des Schutzes um ihren Körper gewickelt. Rund um dieses unbezähmbare Mädchen sind verschiedene Figuren gruppiert, die aus Bettis demonstrativer Freiheit Freude für sich selbst schöpfen oder an der vermeintlichen Unordnung verzweifeln. Auch der Erzähler der Geschichte ist ein Beobachter aus Bettis unmittelbarer Umgebung. Seine wunderbare ungewöhnliche Sprache, die mit Klängen, neuen Worten, unkonventionellen Formulierungen und eingestreuten Gedichten arbeitet, macht die Ungewöhnlichkeit des Mädchens sichtund greifbar, obwohl die Geschichte kaum eine zielgerichtete Handlung erzählt. Nein, es passiert doch etwas: Bettis Hund wird durch einen Duft verführt und gerät in Ge- Kinder- und Jugendliteratur fahr. Aber wie das Glück auf Umwegen wieder zurückkommt, erzählt mehr über das Leben als jede konkrete, realistische Erzählung. In ihrer Sprache und ihrem Inhalt ist diese Geschichte ein wenig verrückt, ein wenig phantastisch und besingt den zarten, humorvollen Umgang aller Geschöpfe miteinander. Auch äußerlich bieten neben den Text hineinkomponierte Schwarzweißillustrationen ein abwechslungsreiches und ungewohntes Bild. Eine ungewöhnliche Erzählung mit Lust am Spiel mit der Sprache, die nicht schwierig, aber ungewohnt ist und beim Lesen sowohl Phantasie verlangt als auch in hohem Maße freisetzt. Ab 10 Jahren Veronika Freytag Tan, Shaun: Geschichten aus der Vorstadt des Universums Aus dem Englischen übers. Hamburg: Carlsen 2008. 92 S., € 20,50 „Als ich noch klein war, lebte auf dem leeren Grundstück am Ende unserer Straße, dem mit dem Gras, das nie gemäht wurde, ein großer Wasserbüffel. Meistens schlief er und ignorierte jeden, der vorbeiging, außer wenn wir mal stehen blieben und ihn um Rat fragten.“ Mit diesen Sätzen entführt Shaun Tan seine LeserInnen in eine phantastische Welt, die gebündelt unter dem Titel Geschichten aus der Vorstadt des Universums zweifelsohne zum Besten zählt, was die Saison zu bieten hat. 15 verschiedene Geschichten erzählen von den kleinen und großen Wundern der Phantasie und des Lebens: Da begegnet man kleinen Außerirdischen mit Wohlfühlcharakter, einem der seltensten Säugetiere, dem Dugong, phantastischen Monstern, bunt bemalten Interkontinentalraketen oder einer Dienstagslesegruppe, die sich jede Bibliothek nur wünschen kann – und um jede dieser facettenreich dargestellten Figuren entspinnt sich eine Geschichte, die poetisch und leichtfüßig den Zauber von Literatur einfängt. Aber nicht nur sprachlich – auch formal besticht der in jeder Hinsicht außergewöhnliche Geschichtenband. Shaun Tan erzählt in Worten und Bildern, jongliert mit Textpassagen und reinen Bildelementen, beherrscht die Klaviatur des Schreibens und Illustrierens perfekt. Da reihen sich farbintensive Doppelseiten an düstere Radierungen, Kurz- und Kürzestgeschichten an epische Textpassagen, surrealistische Bilder an skizzenhafte Sequenzen. Geschichten aus der Vorstadt des Universums nimmt einen mit auf eine faszinierende Reise, die sich bereits über das haptisch ansprechend geprägte Hardcover ankündigt, am akribisch detailreich gestalteten Vorsatzpapier ihren Fortgang nimmt und im kreativ gestalteten Inhaltsverzeichnis ihren ersten Höhepunkt findet. Ein wunderbares Buch, das sich nicht kategorisieren lässt und gerade deshalb ein unverwechselbares, ein magisches, ein spannendes Leseerlebnis garantiert. Ab 9 Jahren Martina Rényi Kinder- und Jugendliteratur 23 Jugendbuch Babendererde, Antje: Die verborgene Seite des Mondes Blackman Malorie: Himmel und Hölle Würzburg: Arena 2007. 311 S., € 15,40 Aus dem Englischen übers. Köln: Boje 2008. 509 S., € 20,50 Als die 15-jährige Julia ihren von einem betrunkenen Autofahrer getöten Vater verliert, bleibt für das verzweifelte Mädchen nur eines: die Bilder von der Ranch in Nevada, wo ihr Vater aufgewachsen ist und die er immer voller Sehnsucht gemalt hat. Ihre indianischen Großeltern kennt Julia nur aus seinen Erzählungen, denn sie haben sich jahrelang geweigert, ihre deutsche Schwiegertochter und ihre Enkelin kennen zu lernen. Aber nun sollen Julia und ihre Mutter doch zur Verabschiedungszeremonie in die USA reisen. Was die Besucherinnen aus Europa jedoch erwartet ist nicht ein idyllisches Ranchhaus, sondern halbverfallene Hütten ohne Wasser und Strom und Schrotthaufen auf einem unwirtlichen, ausgedorrten Land und glühendheißer Wüste. Repressionen gegen die indianische Bevölkerung stehen an der Tagesordnung. Während Julia von ihrem tauben Großvater freundlich empfangen wird, ist die Großmutter unhöflich und abweisend. Außerdem gibt es noch die erste Frau von Julias Vater mit ihren beiden Kindern, Julias Halbgeschwistern, die Julia die Schuld geben, dass ihr Vater sie verlassen hat. Julias Cousin Tommy ist wegen der vielen Atomtests in Nevada schwer behindert zur Welt gekommen und lebt, von seiner Mutter verstoßen, bei den Großeltern. Aber Julia lernt auch den Rancharbeiter Simon kennen, einen schweigsamen, menschenscheuen jungen Mann, und die Liebesgeschichte von Julias Vater John und ihrer Mutter Hannah scheint sich zu wiederholen. Die verborgene Seite des Mondes ist bereits das 5. Jugendbuch der deutschen Autorin, deren Interesse besonders dem Leben und der Situation der amerikanischen UreinwohnerInnen gilt. Ihre einfühlsamen Romane basieren auf intensiven Recherchen und Reisen in die USA. Ihre Geschichten verbinden auf ungewöhnliche Weise deutsches Leben mit dem der Indianer, um sich von einschlägigen Verklärungen und Lagerfeuerromantik zu verabschieden und zu zeigen, wie die US-Regierung mit den Ureinwohnern ihres Landes umgeht. Birgit Sajn Himmel und Hölle ist eine dramatische Liebesgeschichte wie Romeo und Julia zum Thema Rassismus. Die Handlung ist in einer utopischen Gesellschaft angesiedelt. Es gibt die herrschende Gruppe der mächtigen und reichen Alphas und die Gruppe der unterdrückten und armen Zeros. Persephone und Callum werden im gleichen Haushalt groß und kennen einander vom Kleinkindalter an. Persephone ist eine Alpha – die Tochter eines einflussreichen und mächtigen Politikers und schwarz. Callum ist nur wenig älter und der Sohn des Kindermädchens von Sephy und weiß. Sephy und Callum haben nie aufgehört, einander zu treffen und freundschaftlich miteinander umzugehen, egal wie die Umwelt reagiert hat. Die Schule wird zum Prüfstein für Callum, die Ereignisse überschlagen sich, eine Welle von Gewalt und Schicksalsschlägen schwappt über Sephy und Callum, die Freundschaft zwischen den beiden wird schließlich zur Liebe und mündet in einem tragischen Finale. Für Spannung und individuelle Färbung sorgt der in jedem Kapitel dieses leicht und flott lesbaren Buches stattfindende Wechsel der Ich-Erzählperspektive zwischen Sephy und Callum. Karin Kiraly Bauer, Michael Gerard: Nennt mich nicht Ismael! München: Hanser 2008. 300 S., € 13,30 Eltern sind oft ein Problem für ihre heranwachsenden Kinder. Besonders schlimm ist es aber in einem Fall wie diesem: Da beide Elternteile Melville-Fans sind und seine Mutter hochschwanger aussah wie ein Wal, nannten sie ihren Sohn Ismael. Damit nicht genug: Sie halten die Geschichte nicht geheim, sondern erzählen sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit, auch Menschen, die gar nicht daran interessiert sind. Mitschüler sind auch oft ein Problem für Heranwachsende, vor allem solche, die ihre blöden Witze über die Namen anderer reißen und im Fall, dass das seine Wirkung verfehlt, auch noch ihre körperliche Überlegenheit ausnützen. Ismael hat mit beiden Problemen zu kämpfen – und seine Taktik besteht darin, sich unsichtbar zu machen. Da kommt ein neuer Schüler in seine Klasse, der das geborene Opfer für die Klassenrowdys zu sein scheint. Doch dem ist nicht so. Obwohl mit allen Ticks gestraft, die man sich nur vorstellen kann, verschafft sich James Scobie Respekt. Er hat nämlich nach einer Gehirnoperation die Fähigkeit Angst zu haben verloren. Und er wird Ismael ein guter Freund. Als James ihm vorschlägt, gemeinsam einem Debattierclub beizutreten und gegen andere Schulen um die Wette zu debattieren, möchte Ismael lieber nicht, denn er ist zu schüchtern, um öffentlich zu sprechen. Schließlich aber lässt er sich überreden und entdeckt, dass die Macht der Worte ihm neue Wege eröffnet, und dass er dadurch sogar mit seinen ärgsten Feinden in der Schule besser zurechtkommt. Auch wenn zu befürchten bleibt, dass geschliffene Sprache gegen Rowdys aller Art im Leben nicht immer ein wirksames Mittel ist, so ist dieses Buch jedenfalls ein Lesevergnügen für alle, die Gefallen an Wortwitz haben. Was man allerdings tut, wenn man klein oder schiach oder blad und schmähstad ist, bleibt sowieso offen. Ab 12 Jahren Gerlinde Böhm 24 Budhos Marina: Es gibt uns doch! Aus dem Amerikanischen München: dtv. 2008. 201 S., € 6,20 „Mein Name ist Aisha Hossain. Ich bin eine illegale Einwanderin.“ So beginnt die Abschlussrede einer jungen Frau aus Bangladesh, die ob ihres ausgezeichneten schulischen Erfolgs, aber vor allem wegen ihrer charismatischen Persönlichkeit auserwählt wurde, die Collegeabgänger als Rednerin zu vertreten. Mit einem Touristenvisum ist ihre Familie in die USA eingereist und dann einfach geblieben. Aisha ist sehr „amerikanisch“ geworden. Sie plant die Universität zu besuchen und hat eine Menge Freunde und Förderer auf dem College. Dann kommt der 11. September und das Attentat verändert schlagartig die Situation der „Unsichtbaren“. Durch die verschärften Kontrollen fliehen viele der Einwanderer nach Kanada und erhoffen sich dort Asyl. Mit der Autofahrt der Familie an die kanadische Grenze beginnt der Roman. Die dramatische Wende tritt an der Grenze ein, als der Vater verhaftet wird, die Mutter vor Ort wartet und die Töchter alleine zurück nach New York fahren ... Ein spannend geschriebener Roman, der die Lebenssituation von MigrantInnen sehr drastisch schildert und schonungslos mitfühlen lässt, wie Betroffene Autorität und Macht auf der einen, Hilflosigkeit und Angst auf der anderen Seite erleben. Ab 12 Jahren Karin Kiraly Fombelle, Timothée de: Ein Leben in der Schwebe Ill. v. François Place Hildesheim: Gerstenberg 2008. 377 S., € 16,40 Die Welt im Miniaturformat hat Saison. In den Kinos sind es die Hus, die in einem Staubkorn leben; im französischen Fantasy-Roman Ein Leben in der Schwebe sind es die nur wenige Millimeter großen Menschen, die in einem Baum leben und sich gar nicht vorstellen können, dass es außerhalb ihres Mikrokosmos noch eine andere Welt geben könnte. Das heißt einer ist sich sicher, dass es da draußen noch Artverwandte gibt: Der Wissenschaftler Sim Lolness. Zunächst wird er einfach nicht ernst genommen, als er aber die Energiequelle Jugendbuch des Baumes entdeckt und auch herausfindet, wie sie für alltägliche Erleichterungen eingesetzt werden könnte, wird der skrupellose Geschäftsmann Jo Mitch auf ihn aufmerksam. Er aber ist entschlossen, nur für das Wohl des Baumes zu forschen und wird daher zunächst verbannt, dann in Kerkerhaft genommen und zum Tode verurteilt. Das selbe Los trifft seine Familie – das sind seine Frau und der 13-jährige Tobie Lolness. Aus Tobies Perspektive wird die ganze Geschichte erzählt, die mitten in der Verfolgungsjagd einsetzt, welche auf die Verhaftung seiner Eltern folgt. Der ganze Baum, so scheint es, will den Verräter Tobie fassen und so dauert es 200 Seiten, bis die LeserInnen erklärt bekommen, was der ei- Kinder- und Jugendliteratur gentliche Grund seiner Flucht ist und warum keiner ihm helfen will. Fombelle wechselt zwischen temporeichen Action-Szenen und der detailreichen, durch die Illustrationen von François Place bereicherten Schilderung des Lebens im Baum. Es geht im Buch auch um Zivilcourage und ökologische Verantwortung – und zwar stets innerhalb des Verständnishorizonts eines aufgeweckten Jugendlichen –, die wesentlich zum Erhalt des Spannungsbogens beträgt. Ein Leben in der Schwebe ist ein gelungener Abenteuerroman in einem fantastischen Setting, in dem Grundfragen um Identität, Freundschaft und erste Liebe ansprechend behandelt werden. Ab 12 Jahren Josef Mitschan Hä?? Jugendsprache unplugged: Deutsch - Englisch - Spanisch Französisch - Italienisch Berlin: Langenscheidt 2008. 144 S., € 3,10 Wer zufällig ein Gespräch unter Jugendlichen mithört, fragt sich zuweilen, ob das überhaupt noch dieselbe Sprache ist, die er/sie selbst damals in der Schule gelernt hat und nun als selbstverständlich ansieht und täglich ohne Probleme benutzt. Auf jeden Fall verwundert es wenig, dass diese Frage dann meistens von einem verständnislosen „Hä??“ begleitet ist. Dankenswerterweise hat Langenscheidt nun ein Wörterbuch herausgebracht, das mehr als 450 Begriffe und Redewendungen des Jugend-Jargons von heute beinhaltet, im richtigen Zusammenhang erklärt und praktischerweise auch gleich ins Hochdeutsche und vier weitere „Fremd“-Sprachen übersetzt. Die Ausdrücke wurden im Zuge eines groß angelegten (Internet-)Projektes von Schulklassen oder einzelnen Jugendlichen, also durchaus versierten Leuten vom „Fach“, gesammelt, übersetzt und in der Praxis getestet. Herausgekommen ist ein nicht nur brauchbares, sondern auch durchwegs amüsantes Nachschlagewerk, bei dem man noch so Einiges lernen kann. Wer von uns weiß schon, was man unter einem „Kreidekratzer“, einem „Fruppie“ oder einem „Geilomat“ versteht? Manches sollte dabei nicht zu Ernst genommen werden, klingt es doch eher nach einer lustigen Spontanerfindung als nach tatsächlich benutzem Jugend-Jargon. Die meisten Wortbildungen allerdings zeugen von einem bemerkenswert kreativen Sprachempfinden und linguistischer Fantasie. Erstaunlicherweise stößt man beim Durchblättern des 144-seitigen Werkes letztlich dann doch noch auf ein paar auch bei Erwachsenen durchaus gebräuchliche Ausdrücke (z. B. „Krampfaderngeschwader“, „vorglühen“, „leimen“ etc.), wenn auch häufig in einem etwas anderen Kontext. Aber darüber ließe sich an anderer Stelle „nietzschen“. Righty right? Wer die Jugend also wirklich verstehen will, sollte sich dieses Buch schleunigst besorgen. Es lohnt sich, weil's „king“ ist. Martina Lammel Kinder- und Jugendliteratur Jugendbuch Mowll, Joshua. Operation Red Jericho Noonan, Michael: The December Boys Aus dem Englischen übers. Hamburg: Cecilie Dressler Verlag 2008. 288 S., € 20,50 Frankfurt: Baumhaus 2007. 250 S., € 15,40 Mit Operation Red Jericho gelingt Joshua Mowll gleich in seinem Debüt ein ganz großer Wurf. Eine abenteuerliche Geschichte, die nicht nur durch das Abenteuer selbst, sondern auch durch die Details, die erörterten Erfindungen und die Beweggründe der Beteiligten besticht. Rebecca und Douglas MacKenzie, Schwester und Bruder, gelangen 1920 von Amerika kommend nach Schanghai zu ihrem Onkel. Die Eltern sind beide vermisst. Der Onkel will ihnen zwar weiterhelfen, doch muss er vieles, das zur Erklärung für die Kinder dienen würde, im Verborgenen halten, was wiederum die Kinder herausfordert, eigenständig und detektivisch zu handeln. So entwickelt sich nicht nur ein Katz- und Mausspiel zwischen den dreien; auch die Geschichte selbst nimmt dadurch Fahrt auf, die Geschwister stoßen auf immer neue Dinge, die ihnen zeigen, dass ihre Eltern hinter einer Fassade noch ein ganz anderes Leben führen ... Was das Buch im Besonderen auszeichnet, ist seine Aufmachung: Eingeschobene Schiffspläne, Kurzbiographien, Erklärungen von Erfindungen und ähnliches wirken so authentisch, dass man als LeserIn nie sicher sein kann, inwieweit das Berichtete Wirklichkeit oder Fiktion ist. Geschickt operiert Mowll auf verschiedenen Ebenen – z. B. dient als Grundlage ein Tagebuch Rebeccas, welches deren Enkel nun der Öffentlichkeit zukommen lässt; eine Fotografie dieses Tagebuchs ist im Buch abgebildet. Das Tagebuch selbst befindet sich in einem Archiv und auch davon gibt es eine Fotografie. Was daran ist nun wahr, was Fiktion? Wo hört die Wirklichkeit auf? Wo fängt die Fiktion an? Auch dramaturgisch und sprachlich gelingt dem Autor Einiges. Handlungsabläufe sind atemberauend spannend in Szene gesetzt und mit wenigen Strichen lässt Mowll fern aller Klischeebilder ein China von vor 90 Jahren erstehen. Unaufdringlich dient es als Hintergrund, und ist dennoch immer greif- und fühlbar. Ein fulminantes Debüt – nicht nur für junge Leserinnen und Leser. Ab 12 Jahren Thomas Jürgens 1. Eigentlich sollte die Beichte das Herz oder die Seele erleichtern. 2. Eigentlich hätten es nur schöne Sommerferien für ein paar Knaben aus dem Waisenhaus sein sollen. Beides ist nicht eingetroffen. Ad 1: Die Beichte führt dazu, dass Choker sich noch mieser fühlt. Ad 2: Es sind schöne Sommerferien, aber genießen kann sie keiner so richtig. Die December Boys sind fünf Buben aus dem Waisenhaus: Sparks, Fido, Misty, Maps und Choker, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird. Sie sind Jungen aus einem Waisenhaus, die die Sommerferien in einer Kleinstadt an der australischen Küste verbringen dürfen. Alles ist fein, ein kleines Dorf, schrullige, aber freundliche Dorfbewohner, und dann ist da noch Teresa. Teresa, die Rad schlägt und ihnen die Schultern mit Sonnenschutz ein- 25 cremt. Teresa, die den tollsten Kerl der Welt zum Mann hat und außerdem ist da auch noch Sonne und Meer – bis zu dem Moment, als Choker ein Gespräch belauscht, aus dem hervorgeht, dass das tollste Paar (Teresa und der Furchtlose) in der Stadt und überhaupt einen von ihnen vielleicht adoptieren würde. Ein Priester legt Choker als Buße auf, seine Freunde einzuweihen. Es entspinnt sich ein Konkurrenzkampf zwischen den Buben. Wer von ihnen schafft es, Teresa so zu gefallen, dass ... ? Diese Geschichte über die Korrumpierbarkeit und Verführbarkeit wird von Michael Noonan erbarmungslos, aber humorvoll bis ins letzte Detail ausgesponnen. Auch wenn der Roman bereits 1963 erschienen ist und das Flair der 60er-Jahre mitschwingt, hat die Geschichte nichts an Aktualität und schon gar nichts an Charme verloren. Ab 12 Jahren Gerlinde Böhm Nelson, Blake: Paranoid Park Weinheim: Beltz & Gelberg 2008. 178 S., € 13,30 „Paranoid Park. Da hat’s angefangen. Der Paranoid Park ist ein Skater Park im Zentrum von Portland ... Da kommen die besten Skater hin ... Es gibt einen Haufen Gerüchte, zum Beispiel soll da mal ein Skinhead abgestochen worden sein und so was. Daher sagen alle Paranoid Park.“ Der Ich-Erzähler, genannt „Skater“, geht mit einem Freund zum ersten Mal hin. Er findet den illegalen Street-Park immens faszinierend, sodass er ein zweites Mal allein hingeht. Es ist ganz o. k. dort, auch die Straßenkinder sind freundlich; so nimmt „Skater“ das Angebot an, auf einen Zug aufzuspringen. Er genießt diesen Ausbruch aus seiner kleinen bürgerlichen Welt so lange, bis ein Wachmann auftaucht und versucht, sie vom Zug herunter zu holen. Als der Wachmann mit seinem Schlagstock auf seinen neuen Freund „Schramme“ einprügelt, schlägt „Skater“ ihn mit dem Skateboard nieder. Der Wachmann bleibt mit seiner Jacke an einem der Waggons hängen und wird von den Rädern zerteilt. Wortlos flüchten sie. Doch für „Skater“ beginnt der Albtraum erst. Hin und her gerissen zwischen Angst und Schuldgefühlen zieht er sich immer mehr zurück. Nach Monaten der Selbstzerfleischung folgt er dem Rat einer Freundin und schreibt über das Geschehene in Briefen, die er niemals abschicken wird. Paranoid Park – inzwischen von Gus van Sant verfilmt – beschreibt eindringlich, wie ein einziger Moment, eine einzige Handlung ein Leben für immer verändert. „Skater“, der eigentlich nur – wenn auch falsch – reagiert, gerät in eine Situation, der er nicht gewachsen ist. Der Schluss bleibt offen – ob das Verbrechen, der Unfall aufgeklärt wird, ist sekundär. Ab 13 Jahren Gerlinde Böhm 26 Rahlens, Holly-Jane: Mein kleines großes Leben Reinbek: Rowohlt 2008. 272 S., € 12,95 New York City, Anfang der 60er-Jahre. Im Vorwort warnt die Erzählerin, dass sie die Wahrheit beim Erzählen ihrer Zeit als 13Jährige nicht mehr ganz zu treffen vermag. Mögen die Details nicht stimmen, die Empfindungen und das damalige Lebensgefühl waren genau so. Susie B. Sheinwald schreibt im Jahr 2008 ihre Erinnerungen an ihre Teenagerzeit auf: für ihre Tochter, die derzeit 13 ist, ihre Schwester – obwohl diese findet, dass das gar keine Memoiren Jugendbuch Kinder- und Jugendliteratur sind, da die meisten Fakten nicht zutreffen – und für sich selbst. Pop, Pettycoat, Pompons, Cheerleadertum, beste Freundinnen und natürlich Jungs – darum dreht sich fast alles in Susies jungem Leben. Aber nur fast, denn da sind noch die immer bedrohlicher werdenden Unstimmigkeiten zwischen Susies Eltern oder die Pfändungsklage oder der Klumpfuß, den sie in grässlich aussehende Schuhe zwängt. Dennoch verliert Susie zwei Ziele nicht aus den Augen: Mitglied der Basketball-Cheerleader-Mannschaft zu werden und trotz aller Hindernisse den begehrtesten Jungen der Schule zu erobern. Doch meistens kommt es anders – und ist dann doch nicht schlimm. Mein kleines, großes Leben kann zwar Holly-Jane Rahlens bislang bestem Buch Maximilian Minsky und ich nicht das Wasser reichen. Es ist aber dennoch ein kurzweiliges und spannendes Buch. Rahlens rutscht mit ihrem sehr locker fabulierten Text nicht ins Flapsige oder Schlampige ab. Sie kratzt die Kurve, bevor es kitschig, trivial oder oberflächlich wird. Sie hält bei Laune, sodass man Susie am Ende des Buch gern noch ein wenig begleitet hätte. Ab 12 Jahren Martina Adelsberger Gefürchtet. Die Wahrheit über berühmte & berüchtigte Menschen Hough, Rich: Rette die Erde. Kleine Taten – große Wirkung Freiburg: Velber 2008. 108 S., € 14,30 Stuttgart: Kosmos 2008. 176 S., € 13,40 Die Reihe „Treff – Schülerwissen“ des Velber Verlages gibt es seit einigen Jahren und ihre Themen sind vielfältig: ein Band über Traumberufe, ein anderer über die Urzeit oder etliche Tierbände. Der aktuelle Band widmet sich Menschen, die aufgrund besonderer Taten oder Ideen berühmt, berüchtigt oder gefürchtet waren. Nach Kapiteln gegliedert präsentiert Gefürchtet Eroberer, Gangster und Ganoven, Piraten und politische Attentäter. Ein weiteres Kapitel beschreibt unter dem Titel „Licht & Schatten“ ganz unterschiedliche Charaktere wie Alfred Nobel, Rasputin und Heinrich VIII. Weiter geht es mit Revolverhelden und Herrschern. Mit Mördern, Betrügern, Fälschern und Spionen beschäftigen sich schließlich die letzten zwei Kapitel. Die Texte sind kurz und leicht verständlich und werden von einer großen Zahl farbiger Illustrationen und Fotografien hervorragend ergänzt. So entsteht eine ganz eigene Dynamik, die dazu beiträgt, lebendig und spannend zu erklären, welche Taten diese Menschen begangen, welche Ideen sie entwickelt haben und was ihre Beweggründe dafür waren. Ein interessantes Buch, das auch als Einstiegslektüre zum Thema Geschichte geeignet ist. Von 8 bis 10 Jahren Ingrid Sieger Rette die Erde motiviert in geschickter und anregender Form zu umweltverträglichem Handeln. Mit zahlreichen, großformatigen Fotos und knappen und präzisen Erläuterungstexten sensibilisiert es für nahezu jeden Bereich des (jugendlichen) Alltagslebens – sei es das zu lange Duschen oder gar ein exzessives Wannenbad, die übermäßige Nutzung der heute unvermeidlichen Unterhaltungselektronik mit ihren verflixten Standby-Funktionen oder die elektronische Nabelschnur, das inzwischen beinahe zum Körperteil mutierte Handy. Darüber hinaus werden auch Themen wie Nahrungsmittelproduktion – verbunden mit den dadurch entstehenden gewaltigen Mengen an Transportenergie und Schädlingsbekämpfungsmitteln, Energieerzeugung generell – Wohnungsbeheizung oder Freizeitgestaltung und Fortbewegung ohne allzu deutlich erhobenem Zeigefinger, aber doch nicht ohne die gebotene Eindringlichkeit und Stringenz der Gedankenführung thematisiert. Grundgedanke dieses Buches ist, dass im Prinzip niemand zu jung ist, um die Erde zu retten – oder zumindest einen kleinen Beitrag zu leisten. Einen Wandel im Bewusstsein vieler junger ErdenbürgerInnen können Bücher wie dieses allemal leisten. Ab 10 Jahren Erich Snobr Kindersachbuch Franco, Cathy: Wilder Westen Ill. v. Baldanzi Aus dem Französischen übers. Köln: Fleurus 2008. 27 S., € 10,20 Mit vielen spannenden Szenebildern illustriert, gibt dieser Band vor allem visuell Einblicke in die Geschichte Amerikas und der Konflikte zwischen Indianern und den europäischen Einwanderern, die zunächst als Trapper an der Ostküste friedlich und in Eintracht zusammenlebten. Erst nachdem der Osten zu dicht besiedelt war und viele in den „Wilden Westen“ zogen, kam es zu den bekannten Konflikten und Kämpfen. Das Buch berichtet von der Besiedlung Amerikas durch Europäer zu Beginn des 16. Jahrhunderts und schließlich von der Gründung der Vereinigten Staaten. Neben der Bedeutung des Goldes und dem Aufkommen des Kapitalismus im 19. Jahrhundert wird auch das Zurückdrängen der Urbevölkerung in Reservate und das teilweise Ausrotten der Naturvölker beleuchtet, die vermutlich schon vor 30.000 Jahren aus Asien über die Beringstraße vom Norden kommend Amerika nach und nach bevölkerten. Wenn auch inhaltlich nicht so genau und ausführlich wie andere Bände über den „Wilden Westen“, erschließt dieses mit interessantem Bild und Kartenmaterial ausgestattete Buch spannende Aspekte – nicht zuletzt im Hinblick auf die „Alte Welt“ sowie unsere heutige Zeit. Ab 11 Jahren Elisabeth Heisnar Kinder- und Jugendliteratur Kindersachbuch Rettl, Christine: Mein großes Naturbuch aus Österreich Ill. v. Susanne Riha Wien: G & G 2008. 48 S., € 16,80 Christine Rettls Naturbuch bietet einen kurzen, zielgruppengerechten Einblick in verschiedene heimische Lebensräume mit deren jeweiliger Flora (und in weitaus geringerem Maße auch deren Fauna). Die Autorin stellt dabei die Lebensräume Mischwald und Park, Wiese und Feld, Garten, den Lebensraum unter und unmittelbar auf dem Erdboden sowie das Blühen und Gedeihen „am, aus und mit dem Wasser“ dar. Neben der Vielfalt der in Österreich vorkommenden Nutzpflanzen enthält das Buch kindgerechte Anleitungen zu Bastelarbeiten mit Materialien, welche in der Natur im Überfluss zu finden sind (Kastanien, Eicheln, Hagebutten, Stroh, Gänseblümchen, Mohnkapseln etc.). Auch als Elternteil wird man angeregt, mit offeneren Augen mit seinen Kindern auf Spaziergängen die vielen von der Natur angebotenen Möglichkeiten zur kreativen Freizeitgestaltung zu erkennen und auch zu nutzen. Die übersichtliche Gestaltung des Buches wird ergänzt durch die ansprechenden, altersgerechten Illustrationen und kleine Gedichte, Redewendungen und Rätsel. Von nebensächlichen Ungenauigkeiten abgesehen, ein äußerst gelungenes, anregendes Buch. Ab 7 Jahren Erich Snobr Smith, Justine: Wie werde ich Geheimagent in nur 7 Tagen? Ill. v. Jan Lewis Aus dem Englischen übers. Nürnberg: Tessloff 2008. 32 S., € 13,40 Neben Lokführer, Räuberhauptmann und Weltraumpilot gehört sicher der Beruf des Geheimagenten zu den erstrebenswertesten Tätigkeiten, die sich ein Heranwachsender vorstellen kann. Wie die dazu nötigen Fertigkeiten zu erwerben sind, erfährt man in Justine Smiths humorvoll aufbereitetem Sachbilderbuch. Tag 1 in der Geheimagenten-Schule stellt zunächst einmal das Lehrpersonal vor, um gleich darauf mit einer Prüfliste die Eignung der AnwärterInnen zu testen und Tipps für die Installierung eines Haupt- quartiers zu geben. Tag 2 beschäftigt sich mit Fragen der Tarnung und Täuschung. Das Trainingsprogramm der nächsten Tage gibt genaue Anleitungen zu weiteren unerlässlichen Themen (Beschattung, Übermittlung geheimer Botschaften etc.). Abschließend werden die Agentenlehrlinge noch mit den wichtigsten Grundregeln vertraut gemacht: Fragen, Beobachten und Zuhören! Ein wirklich sehr witziges, von flotten, amüsanten Illustrationen begleitetes Buch. Die Bastelanleitungen sind einfach und die benötigten Materialien sicher in jedem Haushalt oder in der Kindergruppe zu finden sein. Ab 5 Jahren Reinhard Stöger Straaß, Veronika: Wer kuschelt mit den Krabbeltieren? Frankfurt a. M.: Baumhaus 2007. 48 S., € 10,20 Die bei Kindern gleichermaßen wie bei Erwachsenen beliebte Wissens-Fernsehserie „Willi wills wissen“ rund um den Reporter und Kinderliebling Willi Weitzel ist ein Quotenhit wie mittlerweile auch Bücher zur Fernsehshow. Ergänzt wird das Angebot durch eine Lernsoftware und eine Spezialausgabe der Zeitschrift PM. Ein be- 27 merkenswertes Beispiel für die totale Vermarktung einer zwar nicht mehr ganz neuen, aber immer noch guten Idee. Was soll’s: Willi flimmert von jedem Kinderzimmerbildschirm auf allen möglichen Kanälen. Der Band Wer kuschelt mit den Krabbeltieren, verfasst von der renommierten Kindersachbuchautorin Veronika Straaß, die schon mehrere Bände dieser Serie gestaltet hat, beschäftigt sich mit all den Tieren, die vielen nicht so ganz geheuer sind. Reptilien, Frösche, Spinnen und Skorpione bevölkern diesen optisch sehr gut gestalteten Band. Auf witzige und anschauliche Art erklärt Willi die wichtigsten Fakten über die krabbelnden und auch furchteinflößenden Wesen, die man aus Zoos oder Terrarien kennt. Im Augenblick scheinen Reptilien, Spinnen und Co. bei Jung und Alt ja ziemlich angesagt zu sein und nicht wenige halten sich eine Schildkröte, einen Frosch oder sogar eine Schlange zu Hause. Willi spricht auch mit einem auf Reptilien und Lurche spezialisierten Tierarzt über artgerechte Tierhaltung und befasst sich mit den unschönen Aspekten der Modetierhaltung, z. B. was verantwortungslose TierhalterInnen mit den nicht mehr geliebten Haustieren machen – Stichwort Krokodil im Baggersee. Ab 6 Jahren Peter Hörschelmann Spurensuche am Tatort. So arbeiten Kriminalisten Aus dem Englischen übers. München: Dorling Kindersley 2007. 72 S., € 10,30 Während sich die Eltern im Fernsehen CSI-Serien ansehen, kann sich der Nachwuchs hier im Kommissar-Handwerk betätigen und lernen, wie man knifflige Fälle löst, was es mit Tatortanalyse, Forensik, Dokumentation eines Verbrechens usw. auf sich hat. Geübt werden kann anhand von vier Fällen: ein Kunstraub mit vier Verdächtigen, eine Brandstiftung im Lager eines Textilherstellers, eine Banknotenfälschung und schließlich ein Mord mit unbekanntem Opfer. Je nach Fall wird geschildert, wie man Täterprofile erstellt, Geheimbotschaften sichtbar macht, Leichen analysiert, Feuerwaffen identifiziert etc. Das Buch ist nicht nur mit vielen interessanten Informationen bestückt, sondern auch sehr aufwändig illustriert. Die Fälle wiederum sind gar nicht leicht zu lösen, doch am Ende des Buches finden sich die Auflösungen. Ein garantierter Erfolg bei Kindern, die sich für Kriminologie interessieren. Ab 10 Jahren Doris Wanner 28 Warum laufen Läufer links herum? Verblüffende Antworten über Sport und Olympia Freiburg: Velber 2008. 44 S., € 10,90 Aus der Reihe „Was Kinder wissen wollen“ Mit Antworten auf Fragen wie „Frieren Pinguine an den Füßen?“ oder „Können Fische rülpsen?“ hat diese Reihe schon so manchem Elternteil aus peinlicher Verlegenheit geholfen. Im jüngsten Band geht es um den Sport – im Speziellen um Fragen, die sich im Zusammenhang mit Olympischen Spielen auftun können. Bei einigen Fragen kann man sich allerdings des Eindrucks nicht erwehren, dass sie so niemals aus Kindermund zu hören sein werden. So ist es ziemlich unwahrscheinlich, dass einem Volksschulkind auffällt, dass im Stadion immer linksherum gelaufen wird. Sei’s drum: Das Buch gibt Antwort. Plausibler sind da schon Fragen wie „Warum riecht das Schwimmbad nach Schwimmbad?“ oder „Was bedeuten die Olympischen Ringe?“. 16 Fragen und Antworten mit passen- Kindersachbuch der Zusatzinformation, ein paar Illustrationen und zu jedem Thema ein ganzseitiges Farbfoto – für die angepeilte Zielgruppe gerade richtig in Umfang und Inhalt. Übrigens: Den Rekord im Fußball-Jonglieren halten nicht Pele, Maradona, Christiano Ronaldo, Hans Krankl oder Toni Polster, sondern die 10-jährige Chloe Hegland – mit 155 Ballkontakten innerhalb von 30 Sekunden … Ab 7 Jahren Franz Plöckinger Wines, Jacquie: Ich rette die Welt! Clevere Tipps für Klima-Helden Ill. v. Sarah Horne Frankfurt a. M.: Fischer 2008. 160 S., € 7,20 Jacquie Wines’ Jugendbuch-Debüt ist ein Ratgeber für ein umwelt- und klimafreundlicheres Alltagsleben. Es beginnt mit einem Überblick über den aktuellen Stand des Klimawandels und eine Aufzählung von Belegen für seine Folgen, verbunden mit Kinder- und Jugendliteratur einem Appell an die jugendlichen LeserInnen, Verantwortung zu übernehmen. Wie sie das tun können, wird anschließend in sieben Kapiteln zu den Themen Treibhauseffekt, Aufzucht und Pflege von Pflanzen, umweltgerechtes Einkaufen, Recycling und Mülltrennung, angewandter Umweltschutz, Artenschutz und Umweltprojekte behandelt. Begleitend zu den 110 Tipps gibt es (eher nichtssagende) Illustrationen und Check-Listen für den Umgang mit Energieverbrauch oder Müllaufkommen und -entsorgung. Was der Öko-Fußabdruck ist und wie man ihn für sich berechnen kann, lernt man ebenso wie die Möglichkeit, eigene Putzmittel herzustellen oder einen eigenen Gartenteich oder Komposthaufen anzulegen. Die Intention dieses Buches geht klar dahin, dass Kinder in ihren Familien und deren Umfeld zu Klimawächtern werden sollen. Das kann für Eltern freilich auch anstrengend werden und zu Enttäuschungen bei den jungen „WeltretterInnen“ führen. Ab 10 Jahren Günther Badstuber Bilderbuch Child, Lauren: Mir geht’s so richtig gar nicht gut! Aus dem Englischen übers. Frankfurt a. M.: Fischer 2008. 18 Bl., € 10,20 Wer kennt sie noch nicht? Charlie und Lola, das eloquente Geschwisterpärchen aus der Feder von Lauren Child. Seit Jahren begeistern die unterhaltsamen Geschichten Kinder via Buch und Fernsehen, geben die aus dem Lebensalltag der jungen LeserInnen gegriffenen Abenteuer doch Raum für Identifikation und fantasievolles Weitererzählen. Auch mit dem Band Mir geht’s so richtig gar nicht gut! gelingt Lauren Child eine überaus unterhaltsame Geschichte, die den von PädagogInnen und Eltern oft verlangten Themenkreis „Krankheit“ schon für kleine Kinder mit dem nötigen Augenzwinkern zugänglich macht. Eine Erkältung fesselt Lola ans Bett und macht deren Lieblingsgetränk wie -speise ungenießbar, Riechen unmöglich und Singen zur Tortur. Bei so viel Leid kann nur Charlie helfen, der seine Rolle als großer, tröstender Bruder überaus ernst nimmt und jedem Alleinunterhalter das Wasser reichen kann ... bis die Tücken der Tröpfcheninfektion und eine überaus besorgte kleine Schwester erbarmungslos zuschlagen. So wie die gelungene Schlusspointe überzeugen auch diesmal wieder Lauren Childs vielfältige Illustrationen, die, wie bereits gewohnt, optisch Einiges zu bieten haben: Zahlreiche Collagen, gespeist aus Fotoelementen, Stoffresten oder Naturmaterialien, geben den Bildern Tiefe; die farblich immer wieder neu aufgeteilten Buchseiten und der in Schriftgröße und Form dynamisch gesetzte Text treiben die Geschichte, trotz der statisch ans Bett gefesselten Lola, rasant voran. Wer also immer schon einmal wissen wollte, wie böse Erkältungsbazillen tatsächlich aussehen und was Geschwisterliebe wirklich heißt, sollte sich auch diesen Band der Serie nicht entgehen lassen. Ab 4 Jahren Martina Rényi Kinder- und Jugendliteratur Bilderbuch Dückers, Tanja: Jonas und die Nachtgespenster Ill. v. Nina Spranger München: cbj 2008. 32 S., € 13,40 Wenn Jonas nachts im Bett liegt, erwachen Gespenster in seinem Zimmer. Dinge, die tagsüber völlig harmlos waren, verwandeln sich dann furchterregend. Der Stuhl neben seinem Bett ist plötzlich eine Riesenspinne mit langen, dünnen Beinen und fliegende Gespenster gleiten vor einem Regalmonster durch die Luft, welches zornig seinen wilden Blätterkopf zu schütteln beginnt. Jonas schläft mit seinem älteren Bruder Paul in einem Zimmer. Der scheint sich nie zu fürchten. Eines Nachts treiben es die Geister und Monster besonders arg. Jonas fürchtet sich wie noch nie. Da hört er ein Husten. Paul ist aufgewacht. Jonas erzählt Paul von seiner Angst und die beiden beginnen ein Gespräch. Paul meint, dass die anwesenden Geister nichts Böses im Sinn hätten. Dass darunter auch lustige oder schusselige, wahrscheinlich auch ein paar trottelige Exemplare zu finden seien. Gute, ängstliche Gespenster? Diese Sichtweise ist für Jonas ganz neu – und auf einmal sind die beiden Jungen von vielen bunten, seltsamen Kreaturen umgeben ... Im Tanja Dünckers’ Bilderbuch werden Kinderängste sehr ernst genommen und fantasievoll beantwortet. Die Existenz von Geistern wird nicht abgestritten, sondern der ältere, daher mit mehr Erfahrung ausgestattete Bruder verwandelt diese in lustige, beschützende Wesen. Die Illustratorin Nina Spranger schafft dazu stimmige Bilder: Aus zuerst flächigen, diffusen Formen entstehen im Fortlauf des Gesprächs lustige, farbenprächtige Gestalten. Ab 5 Jahren Maria Hammerschmid Freitag, Thomas (Hg.): Ein Rübenschwein fliegt um die Welt. Gedichte für große und kleine Kinder Ill. v. Barbara Korthues Esslingen: Esslinger 2008. 181 S., € 25,60 „Gedichte sind universelle Spielzeuge, ein Vorrat mit langer Lebensdauer“, sagt der Herausgeber in seinem Nachwort. Das Motto „Lange Lebensdauer“ war sicher leitend bei der Zusammenstellung dieses 29 Familienbuches, denn es versammelt einen traditionellen Gedichteschatz von Martin Luther bis heute. Traditionell ist hier aber im besten Sinne gemeint. Wir finden natürlich die für Lyrik-Anthologien unverzichtbaren Namen wie Johann Wolfgang von Goethe, Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz und unter den moderneren Autoren Ernst Jandl, Robert Gernhardt und Fredrik Vahle. Aber obwohl viele bekannte Namen unter den AutorInnen sind, gibt es viele nicht so bekannte Gedichte zu entdecken. Mehr als in herkömmlichen Anthologien üblich sind auch AutorInnen der „Zweiten Reihe“ aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert vertreten. Man spürt die Absicht, im literarischen Fundus Überraschendes zu Tage zu fördern – Haupt- sache gereimt und lyrisch. Der Herausgeber ist Musikpädagoge und so finden sich auch viele Texte, die ins allgemeine Kinderlied-Repertoire eingegangen sind. Die Gedichte sind um thematische Mottos gruppiert und umfassen so ziemlich alles zwischen Jahreszeiten, kleinen und fantastischen Tieren, Zauberei und Nonsens, Reisen, Kinderleben, Schlafen und Weihnachten. Eine Fülle von humorvollen Zeichnungen bilden nicht nur einen bunten Rahmen, sondern schöne Seitengestaltungen mit verbindenden Elementen. Sorgfältig editiert mit Leinenrücken, Quellen-, Gedicht- und AutorenInnenverzeichnissen kann dieses Buch lange eine Fundgrube für das tägliche Vorlesen sein. Ab 5 Jahren Veronika Freytag Grossmann, Bill: Mariechen fraß ´nen Hasen auf Ill. v. Dorota Wünsch. Deutsche Verse v. Ebi Naumann Wuppertal: Hammer 2008. 28 S., € 13,30 „Mariechen fraß ´nen Hasen auf / Jetzt nimmt die Sache ihren Lauf / und sie wird kotzen, dachen wir, / und zwar total und jetzt und hier. – Tat sie aber nicht.“ Mit diesen Reimen beginnt eine wahre Fressorgie, die sich hier zugunsten mathematischer Grundkenntnisse anbahnt. Denn mit 1 Hasen hat Mariechen nicht genug, es folgen 2 Schlangen (von den ganz besonders langen), 4 „Piratten“ („die an den Füßen Stiefel hatten“), 5 Fledermäuschen und noch anderes gruseliges Getier wie Ameisen, graue Mäuse, Frösche, Würmer und Echsen. Das Allergruseligste kommt am Schluss: „Mariechen aß 10 Erbsen dann. / Ob sie die wohl vertragen kann – / so grün und rund, total gesund??“ Für Mariechen endet die Geschichte nun doch wie anfangs befürchtet, aber alle, die Mitleid mit den Tieren haben, können aufatmen. Diese freche Zählgeschichte, im amerikanischen Original bereits 1966 erschienen, wirkt immer noch erstaunlich frisch. Nicht immer konnten die Reime bei der Übertragung ganz harmonisch aufgelöst werden; aber das große Plus sind die für diese Ausgabe neu gestalteten Illustrationen von Dorota Wünsch. Sie präsentiert Mariechen als freche Göre mit rosa Herzerlpulli und zerrissenen Hochwasserhosen. Ihr sehr dynamischer Stil vereint klare, mit Kohlestift gezeichnete Umrisslinien mit einer interessanten Raumperspektive, welche die jeweils gleiche Raumecke immer neu in Szene rückt. Die sehr „sprechend“ gemalten Tiere liefern sich mit Mariechen ein verrücktes Match, das immer mehr Relikte der Gefressenen im Bildraum zurücklässt. Die etwaige Gemüseunlust von Kindern wird hier auf sehr vergnügliche Weise auf die Schaufel genommen, während der pädagogische Anteil sich aufs Zählen konzentriert. Das Buch verbindet das Zählen von 1 – 10 mit einer vergnüglichen Reimgeschichte, deren Protagonistin sich lieber von allerlei Getier als von Karotten und Erbsen ernährt. Ab 4 Jahren Veronika Freytag Kinder- und Jugendliteratur Bilderbuch 30 Heitz, Bruno: Was ist da passiert? Aus dem Französischen übers. Hildesheim: Gerstenberg 2008. 32 S., € 13,30 Bei einem gemütlichen Gartenkartenspiel belauschen wir diverse Tiere. Katze, Stute, Stier, Maulwurf, Chamäleon und Hamsterbär lassen es sich bei Saft und Keksen wohl sein. Das Chamäleon ist fast taub, dafür sieht der Maulwurf nur Hell und Dunkel und der Stier schummelt ein bisschen. Über die Mauer schaut ein bleiches Gesicht und dann plötzlich: Bumm Badabumm! Was ist passiert? Alle Tiere erschrecken ob des furchtbaren Lärms, aber der mutige Kater nimmt sich ein Herz und schaut nach – und dann die Stute und der Stier, der Maulwurf und zu guter Letzt das Chamäleon. Und – oh Wunder – alle sehen etwas Anderes und etwas anders. Jedes Tier hat sein eigenes Gesichtsfeld und nimmt unterschiedliche Farben wahr, ja das Chamäleon kann sogar die beiden Augen unabhängig voneinander bewegen und fast alles sehen. Daher löst es auch das Rätsel des Lärms auf: Ein Zirkus ist in der Stadt! Und der Clown, der eigentlich Plakate kleben sollte, aber neugierig über die Mauer schaute, hatte das Gleichgewicht auf seiner Leiter verloren ... In diesem interessanten Buch über eine etwas andere Art der Andersartigkeit werden bereits 5-jährige Kinder in einfacher, lustiger, aber nicht diskriminierender Form mit wissenschaftlichen Erkenntnissen konfrontiert. Und schließlich ist es auch ein Buch für VorleserInnen, die ihre eigene Freude daran haben und sogar das eine oder andere daraus lernen können. Ab 5 Jahren Erwin Wögenstein Hübner, Marie: Ich kauf mir einen neuen Bruder Ravensburg: Ravensburger 2008. 28 S., € 12,30 „Du Blödmann! Du bist total faul und denkst nur an Fußball und Computer!“ schreit Frida ihren großen Bruder Jannis an – es muss doch irgendwo bessere große Brüder zu kaufen geben. Vielleicht kann sie ja einen der Brüder ihrer Freundinnen kaufen? So macht sich Frida bewaffnet mit ihrem Schwein und einem Notizblock auf den Weg. Die zwei Brüder ihrer besten Freundinnen sind nicht kleinlich, wenn sie von ihren Heldentaten erzählen. Sie würden immer ganz von allein aufräumen und seien immer sehr nett zu ihren Schwestern, versichern beide eifrig, und Frida kommt gar nicht mit dem Notieren der positiven Eigenschaften nach. Aber wen von den beiden soll sie jetzt bloß nehmen und reicht ihr Taschengeld dafür überhaupt aus? Marie Hübner, bekannt geworden vor allem durch Prinzessin Murks, präsentiert mit Ich kauf mir einen neuen Bruder ein spritziges Buch mit witzigen Illustrationen, bei denen es immer Neues zu entdecken gibt. Besonders bemerkenswert sind zum einen die Bilder, auf denen die „SuperBrüder“ von ihren Leistungen berichten, es jedoch leicht zu erkennen ist, dass die Wahrheit dabei etwas zu kurz kommt; zum anderen Fridas Sparschwein, das mit seiner Mimik recht direkt ausdrückt, was es von den Ersatz-Brüdern hält. Marie Hübner arbeitet das altbekannte Motiv Geschwisterstreit gekonnt auf und zeigt zum Schluss, dass man nicht alles mit Geld kaufen kann. Denn als Frida am Abend allein im Bett liegt, vermisst sie all die lustigen Geschichten, die ihr Jannis immer erzählt hat – Geschichten von früher, als sie noch ganz klein war. Ob die ihr neuer Bruder auch kennt? Aber wie soll das gehen – der war doch damals gar nicht dabei! Da schlüpft Frida zu Jannis ins Bett, so wie jede Nacht, denn wenn man es genau nimmt: So ein schlechter Bruder ist er ja gar nicht ... Angelika Wimmer Holtei, Christa / Jakobs, Günther: Willkommen im Schloss. Eine Schlossbesichtigung für Kinder Stuttgart: Thienemann 2008. 24 S., € 13,30 Dieses Sachbilderbuch gehört in die Kategorie Glücksfälle. Es spannt einen wunderbaren Bogen über den Tagesablauf zweier kleiner Hochwohlgeborener und veranschaulicht mittels der beiden aufgeweckten Königskinder den Alltag und die Aufgaben von SchlossbewohnerInnen – vom Königspaar bis zum Koch. Der formale Aufbau ist einfach und funktioniert wunderbar. Zu Beginn wird eine Schlossanlage aus dem 18. Jahrhundert gezeigt und die wichtigsten Gebäudeteile namentlich angeführt. Dann kommen die Königskinder, Prinz Felix und Prinzessin Leonie, ins Spiel. Sie wachen früh auf und freuen sich auf den Besuch der Braut von Onkel Max. Und schon geht es los! Auf jeweils einer Doppelseite folgen wir den zwei fröhlich-lebendigen Kindern durch das Schloss. Dabei lernen wir die Schlossanlage und die darin lebenden Menschen kennen. Auf jeder Seite gibt ein (im Stil eines Pergamentbogens gestalteter) Kasten Auskunft über Personen, Räume oder Besonderheiten der Zeit. Mit diesem geglückten Handlungsbogen haben alle LeserInnen einen aufregenden Tag und einen guten Einblick in das Leben auf dem königlichen Hof um 1750 er- und verlebt. Die freundlichen, großformatigen Illustrationen haben noch einen sehr netten Zusatz eingebaut: Auf jeder Doppelseite ist auch ein Märchen versteckt. Alle Lösungen werden auf der letzten Seite verraten. Besonders liebenswert ist zum Beispiel das Kapitel über Gästewohnungen in einem Schloss. Vor einem Fenster baumelt der Rapunzelzopf! Eine außerordentlich gelungenes, sympathisches Sachbilderbuch. Ab 5 Jahren Werner Kantner Kinder- und Jugendliteratur Bilderbuch Kuik, Erna: Zwei lange, lange Ohren Zürich: Atlantis 2008. 32 S., € 13,90 Bastian Hase sitzt am Tisch und liest seine holländische Zeitung zum x-ten Mal. Ihm ist fad und selbst im Haus spürt er die Kälte an den Ohren. Beim Zerreißen der Zeitung hat er plötzlich einen Einfall: Rasch holt er Spiegel, Pinsel und Farbe und beginnt, sich zu zeichnen. Selbst seine Freunde schaffen es nicht, ihn abzulenken oder zum Versteckenspielen nach Draußen zu locken – also umlagern und beobachten sie ihn. Als das Bild an der Wand hängt, fehlt ihm genau das, was beim Versteckspiel oft stört: die langen Ohren. Die sieht man nicht im Spiegel und so malt sie Bastian so, wie er sie spürt. Seine Fantasie geht mit ihm durch – bis schließlich die ganze Wohnung mit Selbstporträts samt Ohren in allen Farben bemalt ist ... Erna Kuik zeichnet und erzählt in ihrem geglückten Buch den kreativen Reigen Bastians, der mit Zeichnen und Basteln aus einer zunächst langweiligen Situation einen Tag voll spannend entfalteter Fantasie macht. Ansteckend ist diese Kreativität nicht nur für Bastians Hasenfreunde. Auch die BetrachterInnen des Buches werden durch die gut komponierte Geschichte und die großflächigen Bilder dazu angeregt, aus den langweiligsten Situationen spannendende Abenteuer wachsen zu lassen. Ab 4 Jahren Martina Adelsberger Lestrade, Agnés de: Der liebste Wolf der Welt Ill. v. Constanza Bravo München: Hanser 2008. 32 S., € 13,30 Dieses Buch hieße wohl besser: Rotkäppchen und der vegetarische Wolf. Es ist eine neuzeitliche Variante des weltberühmten Grimm-Märchens und beginnt doppelt interessant: Auf der ersten Doppelseite probt der Wolf Posen und probiert Verkleidungen sowie verschiedene Gesichtsmasken. Dann erfahren wir, dass er einen Riesenhunger hat: „Heute gehe ich in die Stadt und fresse ein Kind.“ Das Mädchen, das der Wolf zu seiner Ernährung auserwählt, ist rotzfrech, redet den Wolf in Grund und Boden, spricht von Blutfettwerten und davon, dass Fleischkonsum das Fell matt werden lässt. Zu sei- 31 ner Verwirrung bietet sie ihm noch an, ihn zu seiner Großmutter mitzunehmen, damit er bei dieser endlich die vegetarische Küche kennen lernt. Doch die erhoffte Bekehrung zum Vegetarier verläuft anders und vor allem turbulenter als erwartet. Ganz wesentlich für diese amüsante Geschichte sind die frechen, frischen und detailreichen Bilder von Constanza Bravo, die nicht eins zu eins illustrierend sind. Die Figuren sind meist disproportioniert. Bunte, gekritzelte Bleistiftspuren und dicke rote Pfeile betonen die Eindringlichkeit und gleichzeitige Leichtigkeit. Eine geniale Mischung aus Text und Bild – und ein kräftiges, vitaminreiches, vegetarisches Märchen, das Lust auf Selbstständigkeit macht! Ab 4 Jahren Werner Kantner Lukas, Patryk: Nachts im Zirkus Zürich: Bohem Press 2008. 32 S., € 13,30 Die Geschichte dieses fein illustrierten Zählbuches ist schnell erzählt: Alfred, das Zirkuspferd, hat Geburtstag und die Tiere im Zirkus bereiten ein Fest für ihren beliebten Kollegen vor: Ein Schwein studiert ein Gedicht ein, zwei Pinguine trainieren Pingpong, drei Hunde balancieren auf dem Kunstrad etc. – bis man Alfred am Ende im Kreis seiner Kollegen sieht, staunend und gerührt von dem liebevoll gestalteten Geburtstagsfest. Jeder Zahl von 1 bis 10 ist jeweils eine Doppelseite gewidmet, die zum längeren Betrachten einlädt. Durch die Kürze des Textes und die originellen und ansprechenden Illustrationen verweilt man bei jedem Bild gerne und lang. Damit erfüllt das Buch seine didaktische Intention, Kindern im Vorschulalter einen Begriff von Zahlen zu vermitteln, der nicht durch mechanisches Abzählen entsteht. Die collageartigen Bilder zeigen vor einem meist einfärbigen Hintergrund wenige Gegenstände und Figuren auf verschiedenen Ebenen, wodurch ein die Fantasie der BetrachterInnen anregender Bildraum entsteht. Die liebenswerten und witzigen Figuren zeigen, wie die gesamte Illustration, großen Variantenreichtum. Trotz der Vermischung verschiedener Gestaltungselemente und Techniken ist der Stil des Buches einheitlich. Ein unterhaltsames Bilderbuch mit künstlerischem Anspruch. Sonja Rabl Lindenbaum, Pija: Paul und die Puppen Aus dem Schwedischen übers. Weinheim: Beltz & Gelberg 2008. 32 S., € 13.30 Mit Paul und die Puppen greift die vielfach ausgezeichnete schwedische Bilderbuch-Künstlerin ein Thema auf, das auch im 21. Jahrhundert noch manche (Klein-)Geister bewegt: Paul, dessen Fußball-besessener Vater ihn täglich zum Spiel mit dem Ball drängt, hat eines Tages die Nase voll von klassischen Jungenspielen. Statt zu kämpfen, zu raufen oder Tore zu schießen, möchte er lieber mit den Mädchen Puppenspielen. Was gar nicht so einfach ist, da ihm als Jungen der Zugang zu dieser Domäne anfangs verweigert wird. Aber Paul gibt nicht auf und sucht mit seiner Barbie so lange Anschluss an die Mädchen, bis diese es mit ihm versuchen – und siehe da: Paul entpuppt sich als ausgesprochen talentierter Puppenspieler und Prinzessinnenröcke-Träger. Mit viel Feingefühl für den Alltag ihrer Zielgruppe und die Überforderung der Kinder durch die Anforderungen der Eltern erzählt Lindenbaum ihre Emanzipationsgeschichte. Während der Text die vordergründige Realität erzählt, sprechen ihre Bilder von den inneren Sehnsüchten und Bedürfnissen des kleinen Paul. So angenehm unaufgeregt der Text ist, so augenzwinkernd verschmitzt sind diese Illustrationen. Ab 5 Jahren Andrea Hirn 32 Mewburn, Kyle: Kein Platz im Haus für eine Maus Ill. v. Freya Blackwood Stuttgart: Urachhaus 2008. 32 S., € 15,00 Im diesem fantastischen Bilderbuch schafft es ein kleiner Junge, seiner Mutter klar zu machen, dass es wichtig ist, das Leben zu genießen. Zu Beginn sieht es nach einem recht öden Leben in einer Kleinstfamilie aus. Am Ende der Geschichte ist das Haus voller Leben, denn Christopher lernt im Park und an anderen öffentlichen Orten Leute kennen, die ihr Zuhause verloren haben und lädt sie kurzerhand ein, in sein Haus zu ziehen ... Mewburns Geschichte regt einerseits zu weitschweifenden psychologischen Interpretationen an, andererseits macht sie einfach Spaß – und das nicht nur wegen der wunderschön aquarellierten Zeichnungen, die alle fantastischen Erlebnisse mit ruhigen, warmen Farben wie die alltäglichsten Dinge darstellen. Bei jedem Mal Umblättern erhält die Geschichte eine neue unwahrscheinliche Wendung, wobei sich Text- und Bildebene genial ergänzen und, am Höhepunkt der Erzählung in eine Art Wimmelbild münden, das einen Ausschnitt des überbevölkerten Hauses über mehrere Stockwerke zeigt. Auch wenn das Titelbild nicht sehr attraktiv wirkt – in diesem empfehlenswerten Buch spielt sich eben alles zwischen diesen vielen kleinen Figuren und zwischen den Zeilen ab. Ab 5 Jahren Josef Mitschan Mueller, Dagmar H.: Opa sagt, er ist jetzt Ritter. Vom Leben mit Parkinson Ill. v. Verena Ballhaus Wien: Betz 2008. 25 S., € 12,95 In diesem siebten Band einer Reihe zu den Themen Gelähmt-Sein, Blindheit, Gehörlosigkeit, Alzheimer, Integrationsunterricht und Adoption steht nun die Parkinson-Erkrankung im Mittelpunkt. Aufbereitet wird das schwierige Thema anhand der Geschichte von Jonathan und seinem Großvater, die zusammen am liebsten Ritter gespielt haben. Und das ist auch der bildliche Vergleich für die Krankheit, der sich durch das ganze Buch zieht: Die Ritterrüstung des Bilderbuch Großvaters ist so schwer, dass sie ihn in seinem Alltagsleben oft behindert, er sich nicht mehr so gut bewegen kann, nicht mehr so verständlich sprechen kann und sich manchmal einsam und gefangen fühlt in diesem dicken Panzer. In einfachen, prägnanten und lebendigen Sätzen lässt Mueller ihren Ich-Erzähler von den Begegnungen, Gedanken und Gefühlen zwischen ihm und dem Opa erzälen. Ballhaus’ treffsicherere Illustrationen, begleiten den Text unaufdringlich und verdeutlichen auf ihre typische, expressive Art die Gefühle der Protagonisten. Ein ausgesprochen gelungenes Buch, das nichts verschweigt, das Angst nimmt und Verständnis für Betroffene schafft. Ab 5 Jahren Andrea Hirn Niemann, Christoph: Der kleine Drache. Eine Geschichte von Freundschaft und chinesischen Schriftzeichen Berlin: Jacoby & Stuart 2008. 32 S., € 13,30 Eines Tages bekommt Lin einen kleinen Drachen geschenkt. Sie ist sehr glücklich Kinder- und Jugendliteratur darüber. Die beiden sind unzertrennlich und haben viel Spaß miteinander – bis unglücklicherweise eine kostbare Vase zu Bruch geht. Lins Vater ist sehr ärgerlich und sperrt den kleinen Drachen in einen Käfig. Am nächsten Morgen ist der Käfig leer! Verzweifelt macht sich das kleine Mädchen auf die Suche nach ihrem Drachen. Ihre abenteuerliche Suche führt sie immer weiter fort, bis sie ihren mittlerweile groß gewordenen Drachen findet und sich von ihm zurück nach Hause bringen lässt. Da der Vater überglücklich ist, seine Tochter wiederzuhaben, hat er auch nichts dagegen, dass die beiden Freunde in Zukunft zusammen spielen. Christoph Niemann versteht es ausgezeichnet, die in seinem Buch vorgestellten Schriftzeichen in die Bilder einzufügen. So entsteht mit Fortschreiten der Geschichte ein „kleines Vokabelheft“, das am Schluss 33 chinesische Schriftzeichen umfasst. Seine fantasievolle Geschichte über Freundschaft gibt auch schon jüngeren Kindern einen ersten Einblick in eine andere Kultur und Tradition. Ab 5 Jahren Brigitte Strohschein Nordqvist, Sven: Wo ist meine Schwester? Aus dem Schwedischen übers. Hamburg: Oetinger 2008. 16 Bl., € 20,50 Er gilt in seiner Heimat Schweden und im deutschsprachigen Raum als einer der beliebtesten Kinderbuchillustratoren: Sven Nordqvist – Verkaufsgarant und geistiger Vater von Figurenlieblingen wie Petersson und Findus. Mit Wo ist meine Schwester? hat sich der 2003 mit dem schwedischen AstridLindgren-Preis ausgezeichnete Autor und Illustrator einen lang gehegten Wunsch erfüllt: Eine detailreich gestaltete Endlos-Reise, die in fantastische Welten führt und ganz im Sinne eines Leporellos dort schließt, wo sie begonnen wurde. Bild für Bild kann man im Großformat einem kleinen Mäuserich folgen, der seine Schwester sucht und immer tiefer in absurd-bizarre Welten gerät: mit Riesen und Zwergen, Schluchten und Bergen, schmalen Brücken und tiefen Meeren, gefinkelten Konstruktionen und archaischen Landschaften. Eineinhalb Jahre hat Nordqvist an dieser Bildgewalt gearbeitet, eigene Figuren wie Mama Muh und Pettersson zitiert, Anleihen bei großen Meistern wie Dalí genommen und immer wieder neue Details geschaffen. Ein beeindruckender Bilderreigen, der zum immer wieder Neuentdecken einlädt. Ein Suchbilderbuch, das viele überraschende Details birgt, ein Geschichtenmeer, das zum Selberfabulieren einlädt und Lust auf mehr macht. Kurzum, solide – in Schweden bereits mit dem August-(Strindberg)-Preis ausgezeichnete – Handarbeit von einem Mann, der weiß, was er tut. Ab 4 Jahren Martina Rényi Kinder- und Jugendliteratur Bilderbuch Pfister, Marcus: Ab ins Bett, Nils! Zürich: NordSüd 2008. 24 S., € 13,20 Abendessen? Nein, das will das kleine Flusspferd Nils auf gar keinen Fall, denn nach dem Abendessen ist es immer bald Zeit zum Schlafengehen. Warum kann er nicht einfach noch etwas mit seiner Eisenbahn spielen – oder besser noch mit seinem Papa … Das immer gleiche Prozedere beim ZuBett-Gehen dürfte dem Großteil aller Eltern bekannt sein. Da werden plötzlich die uninteressantesten Dinge ganz wichtig und alle Spiele müssen noch mal ausprobiert und Geschichten zum hundertsten Mal erzählt werden, nur um noch die eine oder andere Minute länger wach bleiben zu dürfen. Der 1960 in Bern geborene Künstler und Bilderbuchillustrator Marcus Pfister, bekannt durch seinen Bestseller Der Regenbogenfisch, schafft es spielerisch, dieses allgegenwärtige Thema witzig aufzubereiten – was hauptsächlich der kecken und mit viel Liebe zum Detail gezeichneten Titelfigur Nils zuzuschreiben ist. Positiv hervorzuheben ist schließlich, dass Nils von seinem Papa ins Bett gebracht wird – und am Ende ist es auch der Papa, dem vom aufregenden Spielen zuerst die Augen zufallen. Angelika Wimmer Stavaric, Michael: BieBu. Mein Bienen- und Blümchenbuch Ill. v. Renate Habinger St.Pölten: Residenz 2008. 36 S., € 14,90 BieBu ist das originellste Sachbilderbuch zum Thema Bienen, das der Kinderbuchmarkt zu bieten hat. Verpackt in eine aberwitzige Erzählhandlung rund um das erkrankte Bienenvolk von Königin Hannah Honey, die diverse InsektenkollegInnen um Hilfe beim Pollen-Sammeln bittet, erfahren große und kleine LeserInnen Wissenswertes über Bienen. Auf den vier Seiten des Vor- bzw. Nachsatzpapiers gibt es in bei Kindern beliebter Frageform „Wusstest du, dass ...“ Zahlen und Fakten. Auf jeder Doppelseite versucht eines der um Hilfe gebetenen Tiere dem krank darnieder liegenden Bienenvolk zu helfen, die Blüten rechtzeitig zu bestäuben, damit die Tiere und Menschen nicht Hunger leiden müssen. 33 Eine von vielen Besonderheiten dieses Buches sind die zahlreichen klitzekleinen und wunderbar skurrilen Nebenhandlungen und Nebenschauplätze, die Renate Habinger mit untrüglichem Gespür für Michael Stavaric’ hintersinnigen Humor extravagant, fantasievoll und künstlerisch höchst innovativ ins Bild setzt. Da kommt es schon mal vor, dass die Zeilen des Erzähltextes sich über die gesamte Doppelseite erstrecken, quer liegen oder auf dem Kopf stehen, was das Vorlesen zu einer anregenden Herausforderung macht und zum gemeinsamen Entdecken einlädt. Ab 4 Jahren Andrea Hirn Vanden Heede, Sylvia: Ich will Kuchen, sagt Fuchs Ill. v. Thé Tjong-Khing Aus dem Niederländischen übers. Frankfurt a. M.: Moritz 2007. 8 Bl., € 13,30 Kochen ist in. Ob im kulinarischen Krimi oder als Kochsendung im Fernsehen. Auch unsere Jüngsten können sich diesem Trend nicht entziehen. So dreht sich in diesem Bilderbuch alles ums Kochen und Essen. Vor allem darum, dass Fuchs Kuchen will und sich auf die Suche macht. Hase und Eule können ihm dabei nicht helfen. So sucht er in Kasten und Kühlschrank, in Küche und Garten und schließlich im Wald. Einen Kuchen aber kann er nicht finden. Dass er auf seiner Suche allen Zutaten für einen Kuchen begegnet, fällt ihm nicht auf. Als Fuchs allerdings aus dem Wald zurückkommt, riecht er schon an der Tür, was sein Herz begehrt. Hase und Eule haben alles gekocht, was im aufgeschlagenen Kochbuch „Flotte Hasenküche“ steht. Auf Freunde kann man sich eben verlassen. Das große Format und die dicken Seiten, die großflächigen, sich jeweils über zwei Seiten erstreckenden bunten und zum Suchen einladenden Bilder und die in knappen Sätzen erzählte einfache Geschichte sind ideal für unsere ganz Kleinen. Ab 4 Jahren Martina Adelsberger Reynolds, Peter H.: Der Punkt. Kunst kann jeder Hildesheim: Gerstenberg 2008. 32 S., € 10,20 „Kunst kann jeder“ verrät schon der Untertitel des Bilderbuches, das mit wenigen Worten und einfachen Illustrationen das Thema im wahrsten Sinne des Wortes auf den Punkt bringt. Es geht um Ina, die verärgert vor einem weißen Blatt Papier sitzt und wütend darüber ist, nichts zeichnen zu können. Als sie von ihrer Kunstlehrerin aufgefordert wird, einfach irgendetwas zu zeichnen, nimmt sie einen Stift zur Hand und knallt ihn mit voller Wucht wütend aufs Papier. Die Lehrerin beobachtet das Ganze unverdrossen und bittet Ina schließlich ungerührt, ihren Namen darunter zu setzen. Verwundert kommt Ina der Bitte nach, aber nur um eine Woche später noch überraschter festzustellen, dass die Lehrerin den achtlos hingeknallten Punkt wie ein Gemälde aufgehängt hat. Ina reagiert mit Trotz und entwickelt einen Feuereifer in Sachen Punkten. Um zu beweisen, dass sie viel schönere Punkte malen kann, zeichnet sie Punkte in verschiedenen Farben und Größen, experimentiert mit Mustern und Techniken, bis sie schließlich so viele ungewöhnliche Punkte produziert hat, dass diese im Rahmen einer Kunstausstellung für großes Aufsehen sorgen. Als Ina von einem kleinen Jungen angesprochen wird, der von sich behauptet, keinen geraden Strich zeichnen zu können, nimmt sie sich seiner an und die Geschichte beginnt von vorne. Das kleinformatige Bilderbuch vermittelt witzig und pointiert, wie einfach es sein kann, kreativ zu sein. Dabei kann es auch mut- und motivationslose Kinder anregen, etwas aufs Papier zu bringen. Die Zeichnungen im Buch sind sehr einfach gehalten und wirken fast karikatur-ähnlich. Ein Bilderbuch zum Thema Kunst und Vertrauen in eigene Fähigkeiten. Ab 4 Jahren Barbara Eichinger Sachbuch 34 Politisches Flüchtlinge schützen. UNHCR-Filme für Schule und Weiterbildung Genf u.a.: UNHCR 2007. 1 DVD, 202 Min. UNHCR wurde 1951 von der UN-Generalversammlung gegründet, um Millionen von europäischen Flüchtlingen in der Folge des Zweiten Weltkriegs zu helfen. Heute stehen knapp 21 Mio. Menschen unter dem Schutz von UNHCR, dessen wichtigste Aufgabe internationaler Schutz ist. Die Organisation soll sicherstellen, dass die Menschenrechte von Flüchtlingen respektiert werden, dass sie das Recht haben, Asyl zu suchen und dass kein Flüchtling zur Rückkehr in ein Land gezwungen wird, wo er oder sie Verfolgung befürchten muss. UNHCR stellt in vielen Ländern auch materielle Hilfe für Flüchtlinge zur Verfügung. Die zweite zentrale Aufgabe von UNHCR ist die Suche nach dauerhaften Lösungen für die Probleme von Flüchtlingen. Wenn deren Rückkehr nicht möglich ist, hilft UNHCR ihnen dabei, sich ein neues Leben aufzubauen. Die Beschreibung von UNHCR, die hier sehr trocken wirkt, wird durch die vorliegende DVD anhand von ganz konkreten Einsätzen und Personen überaus lebendigvermittelt. Der Überblick über die Einsätze von UNHCR in der ganzen Welt umfasst kurze Reportagen aus den Schwerpunktländer Irak, Tschad, Jemen, Kolumbien und Libanon. In vier kurzen Filmen wer- Bude, Heinz: Die Ausgeschlossenen. Das Ende vom Traum einer gerechten Gesellschaft den Fragen des internationalen Flüchtlingsschutzes behandelt; ein Beitrag befasst sich mit Flüchtlingsfrauen; ein weiterer mit Problemen im vom Krieg zerstörten Afghanistan; einer mit den Schwierigkeiten einer Familie aus Tansania bei der Neuansiedlung in Norwegen. Außerdem beinhaltet die DVD auch drei Filme für den Unterricht: lauter gut gemachte, informative, berührende Kurzfilme, die einerseits die Arbeit des UNHCR sehr gut vermitteln, andererseits den Flüchtlingen „ein Gesicht geben“ und daher in den unterschiedlichsten, auch schulischen Zusammenhängen brauchbar sein können. Beate Wegerer Koch, Egmont R.: Die CIA-Lüge. Folter im Namen der Demokratie Berlin: Aufbau-Verlag 2008. 224 S., € 20,60 München: Hanser 2008. 144 S., € 15,40 In zehn Kapiteln entwirft der deutsche Soziologe und Marktforscher Heinz Bude ein düsteres Bild der künftigen deutschen Gesellschaft, welches in Abstrichen auch auf Österreich anwendbar ist. Im Zentrum seiner Untersuchung stehen die sogenannten „Exkludierten“, also MindestrentnerInnen, BewohnerInnen von Sozialsiedlungen der Neubaugebiete, bildungsschwache Jugendliche aus Einwandererfamilien, aber auch ehemals erfolgreiche Berufstätige, welche nach Verlust ihres Arbeitsplatzes infolge persönlicher Umstände in die Armut abgerutscht sind. Laut Bude bedeutet „soziale Exklusion“ aber nicht nur soziale Ungerechtigkeit und finanzielle Armut, sondern vor allem Ausschluss von der Teilnahme am gesellschaftlichen Leben. Kritisch beleuchtet Bude auch den Wandel des Wohlfahrtsstaates von einem reinen Versorgungsstaat zu einem „fordernden Sozialstaat“, welcher von seinen mündigen BürgerInnen Mobilität und Flexibilität erwartet – und im Gegenzug Frühpensionen aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung abgeschafft hat. Dies hat wirtschaftliche Folgen auf das Leben und Konsumverhalten jedes/r Einzelnen: Die steigende Anzahl von Billiglohnjobs und Teilzeitstellen führt zur Verarmung ganzer Bevölkerungsgruppen und zur Zunahme von SozialhilfeempfängerInnen, aber auch AlleinerzieherInnen mit Studienabschluss müssen zunehmend um ihr finanzielles Überleben kämpfen. Im Bildungsbereich zeigt die PISA-Studie eindrucksvoll den Zusammenhang zwischen Herkunftsfamilie und Bildungsniveau auf: Die kulturelle Praxis der Familie hat demnach unmittelbare Auswirkungen auf Leseund Lernniveau der Kinder, wobei themenbezogene Diskussionen wichtiger sind als die berufliche Position der Eltern. Bude erläutert seine Theorie von der gesellschaftlichen Spaltung aufgrund sozialer und wirtschaftlicher Faktoren. Das Buch bleibt allerdings problemorientiert und lässt konkrete Lösungsansätze vermissen. Dagmar Feltl Guantanamo und Abu Ghraib sind nur zwei Namen, die für Vorwürfe an die USRegierung wegen unfassbarer Menschenrechtsverletzungen stehen. In seinem schockierenden Report entlarvt der bekannte deutsche Fernsehjournalist und Buchautor die Doppelmoral, mit der die USA gegen den weltweiten Terrorismus Krieg führen. Koch belegt unter anderem, dass NaziVerbrecher, darunter Ärzte und Techniker, nach dem 2. Weltkrieg in den USA als Berater zur Weiterentwicklung von Folterstrategien Karriere machten. So lassen sich die brutalen Verhörmethoden der CIA nachweislich bis zu Erkenntnissen aus Menschenversuchen des Dritten Reichs zurückverfolgen. Bis in die 60er-Jahre hinein perfektionierte der amerikanische Geheimdienst die grausame Verhörpraxis der Nationalsozialisten und schrieb sie in einem Folter-Handbuch fest, das heute leider wieder verstärkt Anwendung findet. Etliche Schwarzweiß-Abbildungen ergänzen und veranschaulichen den aufwändig recherchierten Text. Ein umfangreicher Anhang bietet neben Anmerkungen und Bildnachweisen auch einen Überblick über die historische Entwicklung von Foltertechniken und das „Biderman-Konzept“. Claudia Barton SachbuchIn der Welt des Verbrechens Edelbacher, Max: Polizei inside. Was läuft falsch? Wien: Amalthea 2008. 231 S., € 22,90 Die österreichische Bundespolizei stand in den vergangenen Monaten mehr durch negative Schlagzeilen um die Top-Kriminalisten Horngacher, Geiger und Frühwirth als durch eine hohe Aufklärungsquote bei der Verbrechensbekämpfung im Licht der Öffentlichkeit. Der Autor, selbst langjähriger Vorstand des Wiener Sicherheitsbüros, analysiert kritisch die Ursachen und Hintergründe dieser besorgniserregenden Entwicklung und liefert außerdem einen historischen Überblick der Geschichte der österreichischen Kriminalolizei. Im ersten Teil des Buches schildert der Polizeijurist die spektakulärsten Kriminalfälle seiner langjährigen Karriere – darunter die „Mordschwestern von Lainz“, deren Haftentlassung unmittelbar bevorsteht, die Ergreifung des Serienmörders Jack Unterweger, die Entführung der Saliera aus dem Kunsthistorischen Museum oder den Fall Kampusch. Detailliert schildert Edelbacher im zweiten Teil des Buches die Ziele der letzten Polizeireformen und die fragwürdigen Maßnahmen unter Innenminister Strasser. Für Laien verständlich erläutert Edelbacher moderne polizeiliche Ermittlungsmethoden wie Daktyloskopie, Profiling, DNAAnalyse und informiert über die internationale Zusammenarbeit von Polizeibehörden, was das Buch auch für Krimi-AutorInnen zu einer lesenswerten Lektüre macht. Dagmar Feltl Leake, John: Der Mann aus dem Fegefeuer. Das Doppelleben des Jack Unterweger Salzburg: Residenz 2008. 455 S., € 24,90 Der Ex-Kellner, Hilfsarbeiter und DJ Jack Unterweger, der 1974 wegen Mordes an einer Frau verurteilt wurde, avancierte im Gefängnis zum Schriftsteller, aufgrund einer Petition von 700 Intellektuellen entlässt man ihn vorzeitig. Als Shootingstar der Literaturszene gefeiert, gerät er kurze Zeit darauf wiederum in Mordverdacht – die Tatorte sind Graz, Prag, Bregenz, Los Angeles und Wien. Auf der Flucht verhaftet ihn das FBI in Miami. Noch in der Nacht des Urteils beteuert er seine Unschuld und erhängt sich kurz darauf in seiner Zelle. Der Fall schrieb österreichische Kriminalgeschichte als erster Fall, in dem entscheidende Beweise mittels DNA-Analyse erbracht werden konnten. John Leake hat diesen Fall aufgegriffen und vier Jahre intensiv recherchiert. Herausgekommen ist eine solide True-CrimeStory, die auch erzählerisch Einiges hergibt. Peter Sagerschnig Sedivy, Roland: Der Detektiv mit dem Mikroskop. Alltagsgeschichten eines Pathologen Wien: Ueberreuter 2008. 205 S., € 19,95 Der aus Wien stammende und in Wien arbeitende Arzt, Wissenschaftler, Forscher und Autor Roland Sedivy hat sich mit dem vorliegenden Buch die Aufgabe gestellt, die Pathologie aus dem Eck des Todes herauszuholen. Es ist ihm besonders wichtig festzuhalten, dass der Pathologe heutzutage eher ein diagnostischer Arzt wie der Röntgenologe ist und kaum Berührungspunkte mit den in den Krimis gezeigten Leichenöffnern bestehen. Er ist Hauptansprechpartner für die Chirurgie genauso wie derjenige, der Virenbefall, AIDS, Erbkrankheiten etc. untersucht. Eine Obduktion wird nur dann durchgeführt, wenn sie angeordnet wird – weil die Todesursache nicht klar ist, der Verdacht auf Erbkrankheiten, Fremdverschulden, Behandlungsfehler usw. besteht. Grundsätzlich müssen Pathologen technisch talentiert, genau und ausdauernd, sowie Gerüchen und Gewebskonsistenzen gegenüber unempfindlich sein. Frauen ergreifen dieses Spezialgebiet oft deshalb, weil kaum Nachtdienste zu leisten sind und die Arbeitszeit sich mit dem Familienleben besser in Einklang bringen lässt. Das vorliegende Buch ist offensichtlich eine Zusammenstellung und Überarbeitung des Vortragsmaterials, das der Autor über die Jahre gesammelt hat. Es ist daher manchmal launig oder auch tragisch, mit Fallbeispielen aus der Praxis untermauert, etwas „wienernd“ und manchmal – offensichtlich ursprünglich an ein anderes Publikum gerichtet – sehr informativ, lehrreich, technisch und medizinisch ins Detail gehend. Trotz dieser Uneinheitlichkeit 35 kann man beiden Vermittlungsebenen etwas abgewinnen und lernen. Elisabeth Duchkowitsch Summerscale, Kate: Der Verdacht des Mr. Whicher oder Der Mord von Road Hill House Aus dem Englischen übers. Berlin: Berlin Verlag 2008. 431 S., € 20,50 Sommer 1860: In einem englischen Landhaus wird ein grauenhafter Mord am dreijährigem Sohn von Samuel Kent verübt. Schnell ist klar, dass der Schuldige nicht von außen kommt, sondern von innen; Familie und Personal sind dementsprechend verdächtig ... Anhand umfangreicher Recherchen zeichnet die Kate Summerscale nicht nur den Fall minutiös nach, sondern zeigt auch die Reaktionen der „Außenwelt“ auf diesen unerhörten Vorfall – ein Ereignis, das die damals heilige Privatsphäre eines Herrenhauses (die Bourgeoisie galt als Expertin in Sachen Verschwiegenheit) ins grelle Licht der Öffentlichkeit zerrte. Die Schattenseiten der viktorianischen Familie, mit ehelicher Untreue, emotionaler Grausamkeit, Eifersucht, Einsamkeit, ungeratenen Kindern und intrigierenden Dienstboten kommen zu Tage. Dieses Zeitalter der Häuslichkeit war jedoch gleichzeitig ein Zeitalter der Information, der nachrichtenhungrigen Presse. In den Berichten der ständig wachsenden Zahl an Tageszeitungen und in Leserbriefen wird die Causa lebhaft diskutiert. Briefe an die Polizei und die Richter oder gar den Innenminister mit der „Lösung“ des Falles diverser Hobbydetektive sind an der Tagesordnung. Im 19. Jahrhundert, der Zeit des Glaubens an die wissenschaftliche Methode, soll mit Hilfe von neuen Techniken der Kriminalpolizei abweichendes Verhalten erfolgreich bekämpft werden. Auf die (englische) Literatur war der Einfluss dieses Mordfalls immens. Dickens beschäftigte sich ausführlich mit dem Fall und auch A. C. Doyle und Henry James wurden beeinflusst. Mord in einem einsamen Landhaus ist ja beinahe ein Archetyp bei Kriminalgeschichten. Das Buch ist „spannend wie ein Krimi“ und dazu noch informativ. Martin Jäger Sachbuch 36 Kluge Köpfe Erlinger, Rainer: Gewissensfragen. Streitfälle der Alltagsmoral München: Goldmann 2007. 271 S., € 8,20 Seit fünf Jahren führt Rainer Erlinger in der SZ die Kolumne „Gewissensfrage“, wo er Auskunft über Recht und Unrecht im Alltag gibt. Inzwischen hat sich so viel Material angesammelt, dass der Verfasser einen repräsentativen Überblick über die moralischen Anliegen seiner LeserInnen geben kann. Da fragt zum Beispiel ein 14-Jähriger, ob es falsch war, ein unangenehm riechendes Geschirrspülmittel einfach wegzuschütten, wo doch Verschwendung und Umwelt ... Oder eine Schreiberin will wissen, ob sie den Seitensprung der besten Freundin wirklich decken muss. Rechtsverständnis und Gesetzestext klaffen oft weit auseinander. Und es gibt die Dilemmata der Loyalitätskonflikte. Meistens suchen die LeserInnen einfach einen Ausweg aus einem verunsichernden Gefühl von Unrecht, das sie nicht wirklich fassen können, dessen sie sich aber entledigen möchten. Grundsätzlich richtet sich Erlingers „Rechtsprechung“ nach Kants Kategorischem Imperativ, wonach das recht sei, was zum allgemeinen Gesetz erhoben werden könne. Bei weniger gewichtigen Sachverhalten verwendet er die goldene Regel: „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst“ oder die utilitaristische Idee des insgesamt größten Nutzens. Erlinger versucht, jeder seiner Stellungnahmen auch Unterhaltungswert zu geben. Im besten Fall erreicht er das durch ein passendes Bild, welches das Problem mit einem Schlag erhellt, manchmal begnügt er sich mit einer vertraulichen Anspielung auf seine eigene allzu menschliche Seite. Ernst Simanek Godin, Christian: Die Geschichte der Philosophie für Dummies Aus dem amerik. Englisch übers. Weinheim: Wiley-VCH 2008. 544 S., € 25,70 Wahr ist, dass Philosophiegeschichten ganze Bibliotheken füllen. Nicht immer ist wahr, was in diesen Büchern geschrieben ist. Beides Gründe – ob wahr oder nicht – können die Lesenden dazu veranlassen, selbst darüber nachzudenken. Dieser Herausforderung hat sich auch Christian Godin gestellt. Erschienen ist seine Geschichte der Philosophie in der beliebten „... für Dummies“-Reihe. Godin geht klassisch chronologisch vor, indem er die „wirkmächtigsten“ Denker und deren Probleme umreißt, die uns auch heute noch in Atem halten. Godin gelingt es, klassische Problemstellungen auf aktuelle Fragen zu beziehen. Das Durchlaufen der Philosophiegeschichte verfolgt den Zweck, eine Zugangsweise zum philosophischen Fragen zu eröffnen, wobei Fachtermini erläutert werden, ohne an Qualität zu verlieren. Das Buch ist in sechs Teile gegliedert, beginnend mit den Vorsokratikern bis zur Gegenwart, die naturgemäß die Fragen nach dem „Wohin, Warum?“ stellt. Hier steht die Philosophie in einer noch nicht erschlossenen Offenheit. Ein Philosoph des 19. Jahrhunderts schrieb: „Darum ist die Geschichte der Philosophie das wahre Organon [das Werkzeug] der Philosophie, aber nicht die Philosophie selbst.“ Diesen Spruch nimmt Godin neu auf, wenn er am Ende dazu aufruft, das Denken aufzunehmen, nicht zu resignieren vor Absurditäten und Brutalitäten, seien sie politischen, sozialen oder wirtschaftlichen Ursprungs – ein ermunternder Abschluss eines gelungenes Buchs, das Denktraditionen vorstellt, um zum Nachdenken zu animieren und sehr treffend mit Illustrationen, grafischen Hinweisen und Cartoons aufgemacht ist. Andreas Agreiter Höffe, Otfried: Lebenskunst und Moral oder Macht Tugend glücklich? München: Beck 2007. 391 S., € 25,60 Der Philosophie-Professor Otfried Höffe hat bereits mehrere Bücher über Moralphilosophie und Erkenntnistheorie veröffentlicht; zu den wichtigsten Philosophen zählen für ihn Aristoteles und Kant. Eine entsprechende Ausrichtung lässt sich schon am Aufbau seines neuen Buches erkennen: Nach einem ersten Teil „Ethik plus Handlungstheorie“, der in die Problematik einführt, verrät bereits der Titel „Prinzip Glück“ den aristotelischen Schwerpunkt, während der abschließende Teil „Prinzip Freiheit: Autonomie“ den Bezug zu Kant deutlich macht. Georg Trakl behauptete einmal: „Nur wer das Glück verachtet, dem wird Erkenntnis.“ Höffe möchte dagegen plausibel machen, dass Moral und Glück einander keineswegs widersprechen. Gerade das grenzenlose Streben nach Glück braucht Grenzen, d. h. moralische Grundsätze. Umgekehrt wäre ein moralisches Leben ohne Glück zu arm. Indem Höffe die Positionen von Aristoteles und Kant zu vermitteln sucht, beschreibt er Möglichkeiten eines geglückten Lebens, das sich aber dennoch an Maximen der Moral orientiert. Die Arbeit setzt sich mit einer Fülle von Themen überaus sachkundig und klar auseinander. Das gilt auch für ebenso aktuelle wie prinzipielle Problembereiche, etwa die Alternative „Freiheit oder Determinismus“ oder die Herausforderung durch die Erkenntnisse der modernen Hirnforschung. Ein ausführliches Literaturverzeichnis, ein Namens- und ein sehr gut aufbereitetes Sachregister beschließen das umfangreiche Buch. Dessen ungeachtet stellt es große Ansprüche an LeserInnen und kommt wohl nur für ein Fachpublikum in Frage, vor allem für PhilosophInnen und für Angehörige jener Wissenschaften, die von sich behaupten, philosophisch mitreden zu können. Gerade sie sollten aber Höffes Argumente genau studieren, um allfällige eigene, allzu naive Ansichten ein wenig korrigieren zu können. Schon dieser Gewinn würde die Lektüre lohnen. Johanna Vetter Sachbuch Kluge Köpfe Nagel, Thomas: Letzte Fragen. Mortal Questions Hamburg: Europäische Verlagsanstalt 2008. 410 S., € 17,40 Der in Belgrad geborene amerikanische Philosoph gehört zu den heute wohl meist diskutierten Vertretern seines Fachs; der biographischen Notiz des Anhanges zufolge versteht sich Nagel als „Ethiker, Metaphysiker und politischer Philosoph“. Die vorliegende Ausgabe ist bereits 1979 im Original und 1984 in erweiterter deutscher Fassung erschienen. Thomas Nagel geht in dieser Abhandlung der Frage nach, wie überhaupt Erlebnistatsachen zugänglich sein können. Er macht plausibel, dass dies allein auf dem Weg einer Beschreibung ihrer physischen Funktionsweise nicht möglich ist, weshalb die Erklärung subjektiver Phänomene, zu denen auch das Bewusstsein zählt, mit Hilfe naturwissenschaftlicher Erkenntnisse an eine prinzipielle Grenze stößt. Der erste Aufsatz widmet sich der Frage: „Warum ist es eigentlich schlimm zu sterben, wenn der Tod doch das Ende unserer Existenz ist, unwiderruflich und in alle Ewigkeit?“ Wird dieses Ende als Abbruch einer allgemeinen Zeitspanne aufgefasst, dann wäre der Tod ebenso wenig beängstigend wie die Tatsache, dass wir vor unserer Geburt nicht da waren. Trotzdem wird er als Verlust von Möglichkeiten erfahren, entscheidend dafür ist die Richtung der Zeit. 37 Nagel ist immer wieder von der Frage nach der Realität der Wirklichkeit bewegt, daher auch die Konkretheit seiner Themen: sexuelle Perversion, Massenmord, Krieg oder die Rücksichtslosigkeit im öffentlichen Leben. Im Aufsatz „Das objektive Selbst“ meint Nagel, dass Irritationen zur Philosophie gehören, ja sogar das Wichtigste an ihr sind. Dass er dieser Erkenntnis selbst konsequent folgt, zeigt dieses Buch auf hervorragende Weise und in einer vorbildlich klaren Sprache. Editorisch scheint es allerdings nicht besonders gelungen: Die Schrifttypen sind zu klein und ein Sachregister wäre auch kein Unglück gewesen. Johanna Vetter „Der Mensch ist das nicht festgestellte Tier.“ Dieser Satz Nietzsches hat auch heute noch Gewicht. Die traditionelle Abgrenzung des Menschen vom Tier äußert sich in Prädikaten wie „vernünftig“, „sprachbegabt“ oder „sozial“. Vor allem das Phänomen des Geistigen sollte die Vorrangstellung des Menschen Tieren gegenüber sichern. Die Naturwissenschaft aber rückt der Philosophie wie auch der Theologie mit neueren Erkenntnissen zu Leibe; vor allem die Frage nach einer Art Geistigkeit von Tieren wird neu gestellt, sodass das Verhältnis zwischen den kognitiven Fähig- keiten der Tiere und der Vormachtstellung des Menschen neu oder anders formuliert werden kann. Der Berliner Philosoph mit dem treffenden Namen Markus Wild widmet sich diesen Fragen. Er konfrontiert wissenschaftsgeschichtlich untermauerte mentale Leistungen der Tiere mit menschlicher Geistigkeit. Sorgfältig vermeidet Wild hier die Gleichstellung von Mensch und Tier, die weder dem Tier noch dem Menschen gerecht wird. Der Mensch teilt mit Tieren – vornehmlich mit Säugetieren – bestimmte Verhaltensweisen, deren Parallelität auf „Gleichgestimmtheit“ schließen lässt. Doch gibt es sichtlich Differenzen, diese treten beim Menschen durch Denken, Bewusstsein und geplantes, auf die Zukunft gerichtetes Handeln hervor. Bevor Wild die aktuelle Debatte um das Mensch-Tier-Problem in Angriff nimmt, gibt er einen Rückblick über bisherige Forschungen und Ansichten. Nicht zuletzt hält der Autor die LeserInnen mit einer Diskussion um Sprachfähigkeit und Mentalität der Tiere in Atem. Dazu bezieht er keine geringeren Denker als Heidegger und Derrida mit ein. Wilds Buch ist bei weitem kein Resümee einer etablierten Forschungsdisziplin; diese ist erst im Entstehen. Vor allem Artenschutz, Tierschutz, die Ökologiebewegung und natürlich auch die Wirtschaft sollten sich dieses Denkens besinnen. Andreas Agreiter Dan Ariely ist Professor für das noch junge Fach der Verhaltensökonomie und stellt seine Beobachtung vom „vorhersagbaren irrationalen Verhalten“ nun einem breiten Publikum vor. Wohldurchdachte Überlegungen fallen bestimmten Erwartungen, Vorurteilen und Trugschlüssen zum Opfer. Diese aufschlussreichen Erkenntnisse hat der Autor aus zahlreichen Experimenten mit Studierenden gewonnen. Die Ergebnisse brachten Erstaunliches zu Tage. So ist es ein wesentlicher Unterschied, ob wir auf der sozialen oder der geschäftsmäßigen Ebene agieren: Ein und dieselbe Handlung wird völlig unter- schiedlich bewertet. Entscheidend ist, ob es sich um eine bezahlte Tätigkeit oder um einen unentgeltlichen Freundschaftsdienst handelt. Entscheidungen, die in gelassen-kühlem Zustand getroffen werden, verlieren jegliche Grundlage, wenn uns Emotionen beherrschen. Dan Ariely will seinen LeserInnen mit diesem Buch ein Instrument in die Hand geben, mit dem das eigene Verhalten auf den Prüfstand gestellt und Handlungen bei Bedarf hinterfragt werden können. Zahlreiche Experimente sind in den einzelnen Kapiteln aufgelistet und unterstreichen die Thesen des Autors mitunter recht amüsant. Elisabeth Schögler Wild, Markus: Tierphilosophie zur Einführung Hamburg: Junius 2008. 232 S., € 14,90 Seelenwelten Ariely, Dan: Denken hilft zwar, nützt aber nichts. Warum wir immer wieder unvernünftige Entscheidungen treffen München: Droemer Knaur 2008. 315 S., € 20,60 Welchen Einflüssen sind Menschen ausgesetzt, wenn sie eine Entscheidung treffen? Und was hindert sie daran, einen einmal gefällten Entschluss konsequent weiterzuverfolgen? Warum wird das Einhalten von guten Vorsätzen immer wieder auf einen späteren Zeitpunkt verschoben? Wieso ist es so einfach, uns Menschen zu manipulieren? Sachbuch Seelenwelten 38 Deutsch, Dorette: Lebensträume kennen kein Alter. Neue Ideen für das Zusammenwohnen in der Zukunft Frankfurt: Fischer 2007. 174 S., € 15,40 Die Autorin spürt den Beweggründen jener Menschen nach, die sich für neue Formen des Wohnens im Alter interessieren und engagieren. Vorbehaltlos weist sie auf Fallen und Hürden hin, die es für gemeinschaftliche Wohnprojekte gibt. Bei allen beschriebenen Modellen werden die Grundvoraussetzungen des Wohnkonzepts benannt. Die Vorteile finden ebenso Erwähnung wie absehbare Nachteile oder Hürden. In der Regel profitieren alle Beteiligten von der gemeinsamen Anstrengung, ein neues Projekt zu initiieren: die VolontärInnen ebenso wie die AuftragnehmerInnen, die Ökologie und die Kommune durch neue Akzente im Stadtbild. Als günstige Voraussetzungen erweisen sich eine Gruppengröße von 15 bis 25 Personen, ein klar umrissener Gemeinsschaftsgedanke sowie eine Führung des Gruppenprozesses und der Zielsetzung durch erfahrende ModeratorInnen. Außerdem sollten genügend Vorlaufzeit eingeplant und Rechtsverbindlichkeiten geschaffen werden. Ein Buch, das zur Diskussion anregt, um neue Formen der Versorgungssicherheit im Alter. Christa Mayer Huainigg, Franz-Joseph: Auch Schildkröten brauchen Flügel! Ein herausforderndes Leben Wien: Ueberreuter 2008. 256 S., € 21,95 Der Autor ist seit einer Impfung im Säuglingsalter gelähmt und muss beatmet werden. Das hindert ihn aber nicht, ein vielfältiges Leben zu führen, wohl ein vielfältigeres als die meisten seiner nicht behinderten Mitmenschen. Er schreibt Kinder- und Erwachsenenbücher, war schon als Kabarettist tätig, ist Abgeordneter zum Nationalrat und hat zahlreiche Initiativen gegen die Behinderungen im Leben von Behinderten initiiert und durchgeführt. In diesem Buch versucht er einerseits so etwas wie eine Biographie zu schreiben und andererseits jenes tägliche Leben, das für einen an den Rollstuhl Gefesselten und auf die Hilfe anderer Menschen Angewiesenen ein tägliches Abenteuer ist, so darzustellen, dass gar nicht erst der Gedanke auf- kommen kann, ein Dasein im Rollstuhl bedeute, das Leben sei vorbei. Alltägliche Situationen kippen ins Groteske und komplizierte Vorhaben erscheinen durch Witz und Einfallsreichtum plötzlich ganz einfach lösbar zu werden: Der Autor führt vor, dass Behinderte weder Mitleid noch Herablassung brauchen, dass es einfach genügt, wenn die Integration in die Gesellschaft zur Selbstverständlichkeit wird. Eine Selbstverständlichkeit, die es gerade in Österreich noch bei weitem nicht gibt. Hier bewusstseinsbildend tätig zu sein und gesetzliche Rahmenbedingungen mitzugestalten, ist ihm ebenso wichtig wie mit Hilfe seiner Kinderbücher bereits Kinder für eine integrative Haltung zu sensibilisieren. Wolfgang Kauders Kneissl, Reinhard: Feinde, die wir brauchen Kreuzlingen: Hugendubel 2007. 180 S., € 16,95 Es gibt Feindbilder, die sich hartnäckig halten, andere entstehen neu und wieder andere verschwinden nach angemessener Zeit. Der Soziologe Reinhard Kneissl durchleuchtet Dynamik und Funktion von Feindbildern. Ein solcherart sezierter Feind bleibt letztlich substanzlos zurück. Der Autor hat eine größere Auswahl an aktuellen „Feinden“ getroffen und sie in einzelnen Kapiteln untergebracht. Er bekennt sich zu Subjektivität und Unvollständigkeit bei dieser Auswahl und bietet bei Bedarf eine virtuelle Klagemauer im Internet an. Für den sofortigen und persönlichen Gebrauch verfügt das Brevier über drei leere Blätter, auf dem eigene Feinde notiert werden können. Amüsant und unterhaltsam gestaltet sich die Lektüre des Buches. Nach einem kurzen Prolog, in dem der Autor launig über das Entstehen und den Nutzen von Feindbildern und die Arbeit an seinem Werk plaudert, werden die LeserInnen in die einzelnen „Abteilungen“ entlassen. Da Feindbilder stets mit passenden Gegenstücken aufwarten, gibt es viele Verweise zwischen den einzelnen Kapiteln. Ein kluges und witziges Buch zu einem soziologisch ebenso interessanten wie problematischen Thema. Elisabeth Schögler Levine, Stephen: Hör auf deinen Kummer Aus dem amerikan. Englisch übers. Freiburg: Herder 2007. 223 S., 17,40 Der Meditationslehrer Stephen Levine beschäftigte sich mit Überlebenden von Konzentrationslagern, VietnamVeteranen und Opfern sexuellen Missbrauchs. Er kam dabei zu dem Ergebnis, dass nicht verarbeiteter Verlust ins Unterbewusstsein gedrängt wird, nur um bei allen möglichen Gelegenheiten an die Oberfläche gespült zu werden. Depression, Lebensüberdruss oder auffällige Störungen im alltäglichen Verhalten sind die Folge des unbewältigten Schmerzes. Levine empfiehlt, die überwältigenden Gefühle zu „umarmen“. Damit ist ein liebevoller, nachsichtiger Umgang mit dem eigenen Selbst gemeint. Die zurzeit von der europäischen Psychotherapie neu entdeckte buddhistische Achtsamkeitsmeditation soll aufmerksam machen und gleichzeitig beobachtende Distanz schaffen. Die kurze Zeitspanne der Gegenwart soll bewusst erlebt und gelebt werden. Vereinzelte Fallbeispiele unterstreichen die Thesen des Autors. Das Zulassen des Schmerzes, so Levine, sei der Beginn des Heilungsprozesses. Leider geht er bei seinen Ausführungen zu selbstverständlich davon aus, dass seine LeserInnen entsprechendes Vorwissen haben; auch gibt es keine genauen Anleitungen zu den empfohlenen Übungen. Lediglich im Vorwort von Luise Reddemann ist ein Hinweis darauf zu finden, dass es besser sei, den empfohlenen Pfad bei benötigter Hilfe nicht ohne professionelle Begleitung zu betreten. Elisabeth Schögler 39 SachbuchDas Spiel der Mächtigen Benz, Wolfgang: Völkermorde im 20. Jahrhundert Wien: Picus 2008. 60 S., € 7,90 Der Historiker Wolfgang Benz untersucht die Geschichte der Völkermorde, indem er einen Bogen von der Kolonialzeit bis in unsere Gegenwart spannt. So ehrenwert die Wiener Vorlesungen im Rathaus sind, aus denen die Publikation hervorgangen ist, bleibt der Wissenschafter leider nur an der Oberfläche. Ein tieferes Verständnis für diese sozialen Katastrophen wird so nicht möglich. Zweifellos ist der umfassende Ansatz des Autors, sämtliche Genozide der letzten 200 Jahre zu betrachten, sinnvoll. Doch bleiben viele Mordaktionen in den Kolonien unberücksichtigt. Geht man davon aus, dass für viele Menschen heute die Tatsache unbegreiflich und nicht nachvollziehbar ist, dass Personen aufgrund eines Merkmals umgebracht werden, muss der gegenwärtige Stand der Genozidforschung als ein Umkreisen des „unbegreifbaren“ Phänomens Völkermord betrachtet werden. Wir können und müssen heute die „Gestalt“ des Genozids beschreiben, auch wenn es ein sehr zerbrechliches Bild über uns Menschen zeichnet. Robert Aigner Craveri, Benedetta: Königinnen und Mätressen Aus dem Italienischen übers. München: Hanser 2008. 473 S., € 25,60 Unglücklich verheiratete Königspaare gab es zu allen Zeiten, und auch Liebschaften sind seit Ewigkeiten Teil der Geschichte von Herrschenden. Was sich im Laufe der Jahrhunderte allerdings änderte, war der Status der Geliebten, denn dieser wurde ab dem Hochmittelalter immer mehr zu einem halboffiziellen. Ab dem 16. Jahrhundert wurde das Konkubinat nach und nach zur Normalität und brachte ungeschriebene Rechte und Pflichten mit sich. Alle in Craveris Buch porträtierten Frauen lebten in diesem Zeitraum: Caterina de’ Medici, nur Bankierstochter aus Italien, aber mit einer beeindruckenden Mitgift ausgestattet, Königin Margot, Dichterin und frühe Kämpferin für die Rechte der Frauen, Maria de’ Medici, die die blutige Bartholomäusnacht zu verantworten hat, oder die Habsburgerin Marie Antoinette, die erst königlich auftritt, als sie keine Königin mehr ist. Je nach Charakter gingen die Damen unterschiedlich mit ihrem Schicksal um. Manche flüchteten sich in echte Frömmigkeit, andere nahmen eifersüchtig Zuflucht zur Intrige, einige wurden hochmütig und raffgierig und ein paar wenige haben sich gar zu Mord hinreißen lassen. Diese hervorragend recherchierten und brillant erzählten bewegenden Lebens geschichten lassen leicht vergessen, dass es sich um ein historisches Sachbuch und nicht um einen Roman handelt. Gleichzeitig liefert die Autorin eine äußerst spannende und abenteuerliche Kultur- und Sittengeschichte des französischen Hofes, die so manchen historischen Roman in den Schatten stellt. Ingrid Sieger Dox, Georg: Kampf um den Kreml Salzburg: Ecowin 2008. 213 S., € 19,95 Der ORF-Korrespondent Georg Dox betrachtet im vorliegenden Buch die politische Entwicklung Russlands seit dem Ende der Ära Boris Jelzin bis zu den Parlamentswahlen 2007. Gekennzeichnet ist diese Zeit durch den Aufstieg des ehemaligen Geheimdienstmannes Wladimir Putin, der es schaffte, Russland einen Teil seiner aus der Sowjetzeit stammenden Bedeutung wiederzugeben. Zumeist verbindlich im Ton, jedoch hart in der Sache verstand es der Kreml-Chef als globaler Mitspieler im Kreis der Weltmächte, der russischen Stimme Gehör zu verschaffen. Zahlreiche Zwischenfälle zeigen deutlich, dass es in Russland eine Reihe von „nicht politischen Gegenspielern“ gibt, die aus den Kreisen des Militärs und der Geheimdienste stammen und sich der erstarkten russischen Wirtschaft als Waffe bedienen. Die diversen russischen Geheimdienste sind dabei im Hintergrund aktiv, mal miteinander, mal gegeneinander. Und im Zentrum dieser brutalen Machtkämpfe steht immer ein Name: Wladimir Putin. Kampf um den Kreml ist ein spannend geschriebenes, für politisch interessierte LeserInnen höchst interessantes Zeitdokument. Fritz Hartl Krawagna-Pfeifer, Katharina / Thurnher, Armin: Die Wege entstehen im Gehen. Alfred Gusenbauer im Gespräch Wien: Czernin 2008. 213 S., € 24,80 Bundeskanzler werden ist nicht schwer ... Dieser pointierte Schluss drängt sich einem unweigerlich auf, wenn man die geradlinige politische Karriere Alfred Gusenbauers anhand seiner eigenen biografischen Aussagen betrachtet. Dass er Staatsmann werden würde, war für ihn immer klar. Konsequent ist er seinen Weg gegangen. Die Journalistin und ehemalige SPÖKommunikationschefin Katharina Krawagna-Pfeifer und Falter-Chefredakteur Armin Thurnher haben den Kanzler über Monate hinweg in Einzelgesprächen zu seiner Herkunft, seinem Bildungsweg, seiner politischen Sozialisation, zu den brennenden Fragen des Sozialstaates Österreich, zur Zukunft Europas und vielen weiteren Themen politischer wie auch privater Natur befragt. Herausgekommen ist ein Interview-Buch, das klarerweise noch kein politisches Resümee liefern kann und will, das aber jedenfalls eine weit reichende Standortbestimmung darstellt; ein Buch, das Klischees und öffentliche Vorurteile auflöst und das sehr persönliche Porträt eines Menschen zeichnet, für den das Private von Beginn an nicht vom Politischen zu trennen war. Wenn man liest, dass es nur der heftigen Intervention eines cholerischen Lehrers bei seinen Eltern zu verdanken ist, dass Gusenbauer das Gymnasium besuchen konnte, versteht man, warum das Bildungsthema für ihn eine so zentrale Rolle spielt. Gusenbauers Belesenheit und politische Bildung sind im Buch eindrucksvoll unter Beweis gestellt. Es ist insbesondere all jenen politisch interessierten LeserInnen zu empfehlen, die sich gegen das verbreitete „Gesudere“ ein eigenständiges Bild von Österreichs letztem Kanzler machen wollen. Einige großformatige Fotos zeigen ihn privat, am Arbeitsplatz, im Gespräch. Im Übrigen klärt Gusenbauer auch selbst auf, was es mit der Geschichte um die Sandkiste auf sich hat, in der er angeblich schon als Kind das Kanzleramt als sein Lebensziel gesehen haben soll … Franz Plöckinger Sachbuch Das Spiel der Mächtigen 40 Unterreiner, Katrin: Kronprinz Rudolf. „Ich bin andere Bahnen gegangen“ Wien: Styria 2008. 255 S., € 24,95 Seit geraumer Zeit drängen sich die Geschichte der Habsburger im Allgemeinen und die bewegenden Schicksale ihrer bekanntesten Sprösslinge – Kaiserin Sisi, Kaiser Franz Joseph und Kronprinz Rudolf – im Speziellen HistorikerInnen und AutorInnen als Themen für Biographien, Anthologien, Dokumentationen und Romane auf. Betrachtet man die Unmenge an bisher erschienenen Publikationen, meint man, dass eigentlich schon alles gesagt sein müsste. Doch Katrin Unterreiner belehrt die LeserInnen eines Besseren. In ihrem neuesten Werk nimmt sie das kurze Leben des einzigen männlichen Nachkommen des Herrscherpaares unter die Lupe. Die Legenden, die sich um die bis heute ungeklärten Umstände des Todes Rudolfs und seiner Geliebten in Mayerling ranken, sind sattsam bekannt und können auch von der Verfasserin nicht berichtigt werden, denn dieser Skandal wurde vom Wiener Hof zu gründlich vertuscht. Basierend auf zahlreichen, bisher unbekannten Quellen aus privatem Besitz bietet die Autorin neue Einblicke in die tragische Lebensgeschichte Rudolfs. Zum Vorschein kommt eine feinfühlige, vielschichtige und hochbegabte Persönlichkeit, die an der Unsensibilität, Starrheit und Intoleranz seiner höfischen Umwelt gescheitert ist. Eine große Fülle an Bildmaterial ergänzt dieses auf gründlicher Recherche basierende Buch auf eindrucksvolle Weise. Unterreiner schreibt mit viel Einfühlungsvermögen, bleibt aber immer objektiv. So ist ihr ein engagiertes, gut verständliches Werk gelungen, das leider einige Druckfehler aufweist. Ingrid Sieger Hinweis auf die erwähnten VorgängerBände der Reihe auf der Rückenklappe, der so klein gehalten ist, dass man die Titel auf den abgebildeten Umschlägen nicht lesen kann. Vom Residenz-Verlag ist man Professionalität gewohnt. Aber das war wohl einmal – damals in Salzburg … Franz Plöckinger Holde Heimat Bahnmüller, Wilfried: Burgen und Schlösser. Steiermark & Burgenland St. Pölten: Residenz 2008. 255 S., € 19,90 Nach Niederösterreich, Tirol, Südtirol und Vorarlberg hat der bayerische Autor und Fotograf nun auch die Steiermark und das Burgenland nach Burgen und Schlössern durchstreift und in einem handlichen Band die interessantesten und besuchenswertesten zusammengestellt. Das Hauptkriterium für die Auswahl der mehr als 80 Objekte war die öffentliche Zugänglichkeit. Zu Recht weggelassen wurden Ruinen, bei denen nicht mehr viel zu sehen ist oder deren baulicher Zustand einen Besuch zu einem Risiko machen könnte. Den Einzelbeschreibungen vorangestellt findet man einen kurzen Überblick über die geschichtliche Entwicklung der benachbarten Länder. Es folgt eine Beschreibung der wichtigsten Elemente einer Burg und ihrer Funktionen. Die Objekte selbst werden jeweils nach dem gleichen Schema vorgestellt: Allgemeine Information, Geschichte der Anlage, Sehenswürdigkeiten im Objekt und seiner näheren Umgebung, Service-Kästchen mit Hinweisen zu Öffnungszeiten, Anfahrtsweg, Gastronomie und Kontaktadressen. Der Band ist mit vielen einladenden Farbfotos ausgestattet, deren Reproduktionsqualität allerdings zu wünschen übrig lässt. Ein Literatur- und ein Stichwortverzeichnis runden den unterm Strich guten Gesamteindruck ab. Wenig Sinn macht der Bürkl, Anni: Böhmisches Wien. Von Lepschi bis Kolatsche Wien: metro 2008. 128 S., € 9,90 Wien ist über die Jahrhunderte von der nahen Nachbarschaft zu Tschechien, Böhmen und der Slowakei geprägt worden. Erste tschechische Einwanderer fanden sich im 13. Jahrhundert in Wien ein. Ab dem 17. Jahrhundert übersiedelten auch Ämter und Archive der böhmischen Verwaltung nach Wien und mit ihnen kamen Beamte, später auch Handwerker, Kaufleute und Gewerbetreibende. In der industriellen Gründerzeit des 19. Jahrhunderts wurde die Residenzstadt Wien zum Schmelztiegel der Nationen. Tschechische Dienstmädchen, Köchinnen und Ammen machten um die Jahrhundertwende ungefähr zehn Prozent der ZuwandererInnen aus. Der Einfluss der tschechischen Köchinnen auf das Essen in Österreich ist bekannt. Das seinerzeit berühmte Kochbuch Domácí kucharka der tschechischen Autorin Magdalena Dobromila Rettigova durfte damals in keinem Haushalt fehlen. „Die Ringstraße ham uns die Behm baut“, hieß ein geflügeltes Wort in Wien um 1900. Die Arbeits- und Lebensbedingungen dieser Menschen waren unsäglich. Heute schätzt man, dass mehr als ein Drittel aller Wiener Vorfahren in Tschechien, Böhmen und der Slowakei hat. Viele Österreicher nehmen die tschechische Kultur in Wien heute kaum noch wahr. Anni Bürkl nimmt uns mit auf eine Reise zu den Spuren, die Tschechen im Laufe der Jahrhunderte in Wien hinterlassen haben – und immer noch hinterlassen. So erfährt man unter anderem, dass es im „Theater Brett“ tschechische Theaterstücke (in deutscher Sprache) zu sehen gibt, wo man in tschechischen Büchern schmökern oder die Köstlichkeiten der „Böhmischen Kuchl“ genießen kann. Eva Oberleitner Sachbuch Holde Heimat Dmytrasz, Barbara: Die Ringstraße. Eine europäische Bauidee Wien: Amalthea 2008. 240 S., € 29,90 Ähnlich wie Baron Haussmanns Champs Elyseés verdankt die Wiener Ringstraße ihre Entstehung ursprünglich militärischen Erwägungen: Aufmarschstraße für militärische Einheiten, einst von Kasernen flankiert, mit viel freier Schussbahn, dabei ungeeignet zum Barrikadenbau durch revolutionäre Bourgeoisie und das Proletariat. Barbara Dmytrasz legt mit Die Ringstraße zum 150. Jahrestag des Beginns dieser fundamentalen städtebaulichen Veränderung ein 1,7 kg schweres, recht unhandliches Werk vor. Es handelt sich allerdings um die fundierteste und genaueste Gesamtdarstellung dieses Bauprojekts, welches die Residenzstadt aus der mittelalterlichen Enge herauskatapultiert hat. Dabei wertet sie nicht den historischen Kitsch, der für die Wiener Ringstraßenbauten so charakteristisch ist und der unter dem Begriff des Historizismus subsummiert wird, sondern interessiert sich für Entstehungsgeschichte und architektonische Details. Dabei geht sie mit der Entstehungsgeschichte dieses Prachtboulevards durchaus kritisch ins Gericht, eben was den militärpolitischen Aspekt, die unmenschliche Situation der Bauarbeiter, oder die üblen Machenschaften des Wiener Ziegelbarons Heinrich Drasche anbelangt. Dringende Fragen wie die, warum ausgerechnet die Mölkerbastei nicht der Schleifung anheimgefallen ist, werden allerdings auch hier nicht beantwortet. Rudi Hieblinger Egghardt, Hanne: Auf den Spuren Prinz Eugens. Barocke Pracht in und um Wien Wien: Kremayr & Scheriau 2008. 48 S., € 6,90 Der kleine Führer zu verschiedenen Orten in Wien und Niederösterreich, die in Beziehung zu Prinz Eugen und seinem Leben stehen, ist eine ausgezeichnete Ergänzung zu der von Hanne Egghardt 2007 publizierten Biographie des Prinzen. Route eins führt zu den Kunstschätzen Eugens – zu Gemälden aus seiner Sammlung im Kunsthistorischen Museum, Möbeln aus seinen Schlössern im Hofmobiliendepot, dem Denkmal am Heldenplatz, 41 seiner umfangreichen Bibliothek im Prunksaal der Nationalbibliothek etc. Route zwei macht bekannt mit Orten in Wien, die in Bezug zu Prinz Eugens Biographie stehen wie unter anderen Kahlenberg und Leopoldberg, wo er seine Militärlaufbahn begann. Route drei stellt die Schlösser und Parkanlagen des Prinzen in Niederösterreich vor. Abschließend zeigt die Autorin in einem kurzen Schlenker, wo Eugen von Savoyen in Ungarn und Kroatien Besitzungen hatte und wo man dort heute noch seine Spuren finden kann. Ergänzt wird der Führer durch farblich abgesetzte Tipps und durch Hinweise auf mögliche kulinarische Genüsse im Umfeld der Marchfelder Schlösser. Orientierungskarten finden sich in den beiden Buchklappen. Ein knapp gehaltener, aber brauchbarer Führer auf den Spuren Prinz Eugens. Eva Fritschen Frenzel, Monika: Innsbruck. Der Stadtführer Innsbruck: Tyrolia 2008. 144 S., € 8,90 Die Landeshauptstadt Innsbruck gilt in der internationalen Tourismusbranche ob der idealen Lage für Sommer- und Wintergäste als Magnet ersten Ranges: Natur und Kultur werden hier in besonderem Maße auf engstem Raum vereint. Um die Vielzahl der Angebote in übersichtlicher Form darzustellen, wurde mit der Kunsthistorikerin Monika Frenzel eine kompetente und erfahrene Autorin engagiert. Herausgekommen ist ein Büchlein, welches TouristInnen und Einheimischen so manche interessante Information bieten kann und wohl aus diesem Grund auch zeitgleich in Englisch, Spanisch, Italienisch und Französisch erschienen ist. Die sieben Kapitel konzentrieren sich auf je einen speziellen Themenbereich: Nach einem kurzen und prägnanten Überblick über die geschichtliche Entwicklung Innsbrucks respektive Gesamttirols werden die interessantesten Sehenswürdigkeiten der Stadt anhand von sechs Routen gestreift. Ein eigenes Kapitel widmet sich Museen und moderner Architektur, daneben gibt es Tipps für Ausflüge in die nähere Umgebung Innsbrucks oder Naturwanderungen im Karwendelgebiet. Ein umfangreicher Serviceteil mit Wissenswertem von A–Z schließt den reich illustrierten Reiseführer ab. Die etwas eigentümliche Gliederung erweist sich nach kurzem Einlesen als günstig, da rasch und problemlos nach den auf individuelle Interessen zugeschnittenen Informationen geblättert werden kann. Ein Plan inklusive Legende an den beiden Innendeckeln ermöglicht zudem ein schnelles und einfaches Auffinden gesuchter Örtlichkeiten, welche in einem Ortsregister am Ende mit den jeweiligen Koordinaten im Plan versehen sind. Sissy Schiener Hewson, Elisabeth: Prater G’schichten Wien: Pichler 2008. 204 S., € 24,95 Bücher über den Prater und seine Funktion als Vergnügungs- und Erholungsort wurden schon viele geschrieben. Eine ernstzunehmende Sammlung von Geschichten und Berichten um und über die bedeutendsten Typen und Schauplätze des urwienerischen "Wurstelpraters" fehlte bis dato. So haben sich der Historiker Heinz Jankowsky und die gebürtige Wiener Journalistin Elisabeth Hewson entschlossen, die lustigsten, grauslichsten, interessantesten, verkommensten und schrägsten Geschichten und Biographien zu einem Panoptikum dieses Wiener Wahrzeichens zusammenzutragen. Herausgekommen ist ein spannend und unterhaltsam zu lesendes Büchlein mit vielen Detailinformationen, kontroversiellen und abgründigen Szenerien und Pikanterien aus dem Alltag dieses Vergnügungsviertels: Wer weiß schon, woher Jesuitenwiese oder das Schweizerhaus ihre Namen haben? Was verbindet den Dichter Peter Altenberg, Buffalo Bill, den Hanswurst und die Wiener Unterwelt? All diese Fragen und vor allem die historisch mehr oder minder bedeutenden Persönlichkeiten des Praters und ihre Nachfolgegenerationen werden in einem Panoptikum von kunterbunten, teils mit Originalzitaten, Gedichten und Biographien, teils mit historischen Ansichten und Illustrationen untermauerten Geschichten anschaulich, humorvoll und kurzweilig dargestellt. Penibel recherchiert und mit interessantem Bildmaterial aus Archiven, Museen und Privatsammlungen ergänzt, gibt das Buch einen spannenden und nicht nur für Laien aufschlussreichen Überblick über zwei Jahrhunderte Wiener Geschichte. Sissy Schiener Sachbuch Holde Heimat 42 Hofer, Veronika / Benesch, Alfred: Himmelsgrün. Die schönsten Gärten im Klösterreich St. Pölten: Residenz 2008. 159 S., € 24,90 Im Himmelsgrün der Klöster spiegelt sich das Suchen nach der paradiesischen Gartenform. Es ist ein stetes Forschen und Suchen und rhythmisches Schaffen, wie Leben, Arbeiten und Existenz sein können, wenn auf Gottes Wort gehört wird. Gegenwärtig werden Klöster wieder entdeckt, nicht zuletzt wegen der Klostergartenkultur, die aus alten Bildern herrührt. Bildern von in sich ruhenden, himmlisch grünen Orten, die scheinbar zeitenlos sind. Seit den frühen 1990er-Jahren nimmt die Alltags-Gartenkultur einen großen Aufschwung. Damit wird auch die Basis jeg- licher Gartenkultur, im kulturgeschichtlichen Sinne die der Klöster, wieder freigelegt. Da Klöster als Bildungsmacht und Grundherrschaften europaweit agierten, waren sie ästhetisch und gartenkulturell ein Vorbild. So wurden Klöster zur Wiege der europäischen Gartenkunst, zu Bebauern und Bewahrern des Himmelsgrüns. Veronika Hofer und Alfred Benesch durchwandern auf den Spuren der europäischen Gartenkultur den Osten Österreichs. Dabei bekommt neben der Charakteristik der Klostergärten und deren architektonischen Grundlagen vor allem auch das regional Spezielle seinen Raum. Im Anhang des Buches finden sich neben den übersichtlich geführten Kontaktadressen auch Anreisepläne. Der sehr geschmackvoll gestaltete Bildband lädt ein, Franz, Wolfgang: Wien 1908. Ein Zeitreiseführer ins Wien der Jahrhundertwende Wien: metro 2008. 175 S., € 16,90 Wir befinden uns im Monat Juni, der in diesem Jahr sehr heiß ist. Noch ist kein Weltkrieg in Sicht und 1908 ist auch kein Jahr der großen politischen Entscheidungen. So steigen wir mitten in den Alltag ein und lernen die wichtigsten Bereiche des Lebens kennen – etwa welchen Stellenwert damals Sommerfrische und Fremdenverkehr hatten. Menschen mit kleiner Brieftasche bewarben sich in der „Zentralauskunftsstelle für Sommerwohnungen“ um eine hübsche kleine Sommerwohnung in Hütteldorf. Im Kapitel „Krankheit & Tod“ kann man nachlesen, dass die damals verbreitete Lungetuberkulose auch Wiener Krankheit genannt wurde und die meisten Erkrankten in Ottakring lebten. Wer sich 1908 einäschern lassen will, muss übrigens ins Ausland reisen. Weitere Kapitel widmen sich den Themen Wohnen, dem Sport mit Schwerpunkt Fußball, dem Kino, Kriminalität und Polizei, Militär, Bildung, Geld und Arbeit, Verkehr, natürlich auch der Liebe, sowie Kirche, Glauben und Politik. Am 26. Juni gibt es eine Parlamentsschlägerei. Im Reichsrat sind zehn Sprachen zugelassen, aber leider kein Dolmetscher. Der Antisemitismus ist in Wien salonfähig und das Schlagwort bei Wahlen lautet „Wien darf nicht Jerusalem werden“. Jedem Kapitel sind Besuchtipps für Museen und passende Hinweise beigefügt. Die angegebenen Preise sind sowohl in der damaligen Kronen- wie auch in der heutigen Eurowährung nachzulesen. Wien 1908 ist ein Buch, das zum kurzweiligen Schmökern einlädt. Interessante, manchmal auch skurrile Geschichten aus dem Alltagsleben stehen neben viel Wissenswertem. Der Autor besitzt zweifelsohne auch einigen Sinn für Humor. Hinweise auf bestehende Museen und Institutionen stellen einen Bezug zur Gegenwart her. Positiv erwähnen muss man auch die gute und übersichtliche Gliederung der Themenbereiche. Maria Hammerschmid sich der Kontaktadressen zu bedienen, um den einen oder anderen Ort aufzusuchen. Im Mindesten ist es eine Möglichkeit, um sich Anregungen für den eigenen Garten zu beschaffen. Gabriele Egger-Malina Leitner, Carola / Burstein, Fabian: Wiener Plätze und Nebenschauplätze Wien: metro 2008. 166 S., € 16,90 Diese Zusammenstellung von Wiener Plätzen ist ein gelungener Streifzug durch die wechselhafte Geschichte Wiens. Wie oft sind Plätze umbenannt worden! Wobei nicht nur die k.u.k.-Aristokratie vieler Platzbenennungen verlustig wurde, auch das Erbe der NS-Ära bot Anlass zu zahlreichen Neuwidmungen. Eine speziell wienerische Lösung gab es beim Schlesingerplatz, der zunächst nach einem k.u.k.Hochschulprofessor benannt wurde; als dessen Antisemitismus bekannt wurde, wurde der Platzname belassen und kurzerhand einer Namensvetterin übertragen: Therese Schlesinger, einer jüdischen Frauenrechtlerin und Schriftstellerin. Der Band ist nach Bezirken geordnet und eignet sich nicht nur zum Nachschlagen, sondern auch zum Lesen in einem Durchgang. Dabei kann man sich bei diesen Spaziergängen geistig von Platz zu Platz bewegen und erhält dabei Informationen zur Geschichte der vielfach schicksalsbeladenen Räume. Ein durchaus gelungenes Wienbuch also, dessen einzelne Beiträge keineswegs blutarm formuliert sind, vor allem, wenn man die Kürze der Texte – drei Plätze pro Seite – betrachtet. Man bekommt bei der Lektüre dieses Wienlexikons nicht nur Begriffserklärungen und Namensherleitungen geboten, sondern auch einen kurzen Abriss der jeweiligen Stadtfläche, wobei gerade in den letzten Jahren viele Verkehrswüsten so umgebaut wurden, dass die Platzstrukturen wieder sichtbar werden konnten. Originell auch der „(noch) Namenloser Platz“ bei der Kirchengasse. Egal, ob Rooseveltplatz, Schlickplatz (kommt nicht vom Schlamm, sondern ehrt einen General der Kavallerie), Zimmermannplatz oder wie immer sie auch heißen mögen: In jedem Fall gilt es Neues zu entdecken, wobei auch mit so manchen Halbwahrheiten aufgeräumt wird. Mike Stappen Sachbuch Holde Heimat Lindner, Anna: Wiener Literaturschauplätze Wien: metro 2008. 125 S., € 9,90 Aus der Reihe „Wienfacetten“ Die Reihe „Wienfacetten“ umfasst bereits 20 Bände, in denen die vielfältigen Möglichkeiten, sich in dieser Stadt zu vergnügen ebenso kurz und übersichtlich präsentiert werden wie geschichtsträchtige Bauten und die Beziehung der WienerInnen zu Tieren. Im jüngsten Band findet man eine Zusammenstellung der bekanntesten Literaten und Orte, an denen sie häufig anzutreffen waren, sich inspirieren ließen oder die umgekehrt dadurch geprägt und bekannt wurden: Peter Altenberg und das Cafe Central, Felix Salten und der Wurstelprater, Frederic Mortons Ewigkeitsgasse oder ein Kapitel über die Hauptbücherei der Büchereien Wien, der „Pyramide über Pissoir“. Auf jeweils zwei Seiten werden die Schauplätze, Personen und Ereignisse vorgestellt, in kleinen Merktafeln wird auf die heutige Situation eingegangen. Anschließend erleichtert ein Orts- sowie ein Personenregister die Suche. Birgit Hartl-Klasna Mystisches Oberösterreich. Dämonisches, Dunkles, Denkwürdiges Wien: Edition Oberösterreich 2008. 165 S., € 29,90 Nicht nur das mystische und geheimnisumwitterte Waldviertel, auch sein Nachbar Oberösterreich bietet den Suchenden eine Vielzahl an interessanten Orten und denkwürdigen wundersamen Kraftplätzen, welche der unkundige Laie kaum vermuten möchte. Der Autor Peter Pfarl, profunder Kenner und Erforscher alter und heiliger Kultstätten, hat nun gemeinsam mit dem bekannten Fotoreporter Toni Anzenberger ein überaus interessantes und ansprechendes Buch über jene magischen Örtlichkeiten herausgebracht. Da wimmelt es bei genauerem Hinsehen überall von dämonischen Gestalten, Mystikern, Hexen und Teufelsbündlern, von Felszeichnungen, Erdställen, magischen Schalen und heiligen Orten mit seltsamen Geschichten, die sich oft jeglicher Deutung entziehen. So ist zum Beispiel der „Luftg`selchte Pfarrer“ in der Gruft von St. Thomas am Blasenstein längst zu einer volkstümlichen Pilgerstätte für Wunder- 43 gläubige geworden; rechts- und linksdrehende Wässer, alte Heilquellen oder sogenannte „Schlupflöcher“ gelten noch immer als „Geheimtipps“ für Heilungsuchende. Solche und viele andere Mären vereint Pfarl in seinem penibel recherchierten und optisch äußerst ansprechenden Büchlein zu einer interessanten Kultur- und Volkstumsgeschichte Oberösterreichs. Allein die exzellenten Fotos geben einen stimmungsvollen Einblick und machen durchaus neugierig auf diese geheimnisumwitterte Landschaft. Eine bravourös gelungene Mischung aus historischen Fakten und volkskundlichem Aberglauben in einem Land, das aktuell vorzugsweise als Kulturträger im musischen Bereich und als zukünftiges Umland der "Kulturhauptstadt Linz" respektive der Industrie bekannt geworden ist. Sissy Schiener Plitzka, Elisabeth: Die Gärten Niederösterreichs Salzburg: Residenz 2008. 255 S., € 19,90 Nicht nur öffentliche Parks und Gärten, auch private Grünanlagen und Oasen der Gartenkunst bieten BesucherInnen in jüngster Zeit immer öfter kostenlosen Zutritt und die Gelegenheit zum Schauen, Staunen und Nachmachen. Zwei profunde Gartenexpertinnen haben diesen Boom zum Anlass genommen und im Laufe der letzten Jahre mehr als 120 Gärten aus dem Wiener Umland besucht und dabei auch so manche Kleinodien und vor allem viel Neues entdeckt. Ausgehend von der diesjährigen Gartenbaumesse „Die Garten Tulln“ werden von der Wachau über Wald- und Weinviertel bis hin in den Süden Niederösterreichs über 125 Stadt-, Schloss-, Stifts- und private Gärten in ihrer Geschichte, Entwicklung, Gestaltung, Eigentümlichkeit und Besonderheit dargestellt. Auch deren Gestalter und Betreuer kommen zu Wort und definieren ihre Auffassung von Gartenkunst und ihren Ideen, die hinter den Schau-, Erlebnis- und Lehrgärten stehen. Neben Infos zu den einzelnen Gärten mit Anreiseplan, Adressen, Öffnungszeiten und Kurzinformationen zur näheren Umgebung vermittelt eine Fülle von farbigen Illustrationen einen ersten Einblick und Anreiz. Im Serviceteil des Buches finden sich zahlreiche Adressen zu Gärtnereien und Firmen mit Spezialgebiet Garten - gestaltung und Teichbau, sozialtherapeutischen Einrichtungen, Möglichkeiten der Ausbildung zum Gartenspezialisten etc. Eine zusätzlich beigefügte Übersichtskarte bietet eine handliche Unterlage zum Mitnehmen und zur Orientierung vor Ort. Der Gartenführer ist optisch übersichtlich und ansprechend gestaltet, gibt interessante und kompetente Auskunft und eignet sich auch bestens als Begleiter zum Mitnehmen auf einen Wochenendausflug. Einziger Negativpunkt ist das Fehlen eines Sach- oder Ortsregisters, was die Suche nicht gerade erleichtert. Sissy Schiener Posch, Erich M.: Alles, was Sie über Österreich wissen müssen Wien: Ueberreuter 2008. 173 S., € 14,95 Schon wieder ein Buch zum Thema Österreich! So der erste Gedanke zu diesem zunächst als Deutschkurs für Zuwanderer gedachten Band. Daraus ist aber ein vielseitiges Lesebuch geworden, das auch für alle ÖsterreicherInnen interessant sein sollte. Zunächst fällt die übersichtliche Kapitelgestaltung angenehm auf: Den systematisch zitierten Versen der Bundeshymne entlang wird die Landesgeographie erörtert. Man erfährt beispielsweise, dass es im „Land der Äcker“ 220.000 bäuerliche und landwirtschaftliche Betriebe gibt, dass im Burgenland drei Viertel im Nebenerwerb bewirtschaftet werden oder was alles angebaut wird. Die knappe, in leicht fasslicher Sprache gehaltene Art zeichnet das Buch aus, denn hier wurde nicht nur Vieles zusammengetragen, hier besticht die übersichtliche und unaufdringliche Information, bei der sich Altes mit Neuem vermischt – etwa wenn ein Beitrag über die UNO-City auf einen Text über den Wildschweintunnel stößt. So ist das Buch durchaus breit einsetzbar: vom österreichischen Lesebuch bis hin zum Lehrbehelf für die Volksschule, vom Nachschlagewerk für Referatsarbeiten bis hin zur Unterlage für Deutschkurse für Erwachsene. Darüber hinaus lockert Posch die Lektüre mit durchaus erheiternden Textpassagen auf. Von umfassender Information kann hier freilich keine Rede sein; es ist die gezielte Auswahl an Wissenswertem, die dieses Buch lesenswert macht. Mike Stappen Sachbuch 44 Sport oder nicht Sport Huber, Hans / Prohaska, Herbert: Toor! Österreichs größte Fußball-Stars Wien: Ueberreuter 2008. 176 S., € 24,95 Hans Huber, Sportchef des ORF, und die Fußballlegende Herbert Prohaska haben gemeinsam ein Buch geschrieben. Das heißt: Huber hat geschrieben und Prohaska persönliche Kommentare geliefert. Die Auswahl erfolgte nach subjektiven Kriterien. Dennoch ist das Buch mit seinen 65 Porträts ein repräsentativer Querschnitt durch Österreichs Fußballgeschichte. Man erfährt neben Fakten und Karrierestationen der Fußball-Stars auch Episoden aus dem Leben der Kicker, etwa, dass Karl Sesta neben seiner fußballerischen Tätigkeit auch als Wienerliedsänger populär war und dem englischen König nach dessen Gratulation zur Leistung im legendären Match an der Stamford Bridge entgegnete: „Aber auch Sie, Majestät, haben keine schlechte Hack´n.“ Anton Pfeffer wiederum, kein Sprücheklopfer, eher der ernste, fleißige Arbeiter, verewigte sich auch mit einem Spruch. In der Pause des Spiels Spanien : Österreich (5:0 Pausenstand für Spanien) meinte er im Interview trocken: „Hoch werden wir wohl nicht mehr gewinnen.“ Die Karriere von Teamchef Hickersberger nachzulesen ist ebenso interessant wie beinahe vergessenen Namen aus der österreichischen Fußballgeschichte wieder zu begegnen: Wer weiß schon, dass „Pepi“ Hamerl nach seiner Arbeit in der Pensionsversicherungsanstalt mit der Bim ins Stadion fuhr, um beim legendären 7:0 des Wiener Sportklub gegen Juventus vier Tore zu schießen? Sportgeschichte verbindet sich mit Sportgeschichterln zu einem Ensemble vergnüglichen Wissenserwerbs. Christian Jahl Franzobel: Franzobels großer Fußballtest Ill. v. Gerhard Haderer Wien: Picus 2008. 238 S., € 16,90 Stefan Griebl kann es nicht lassen: Wie schon nach der Fußball-WM 2002 und vor der WM 2006 durfte natürlich auch anlässlich der „Heim-Europameisterschaft“ ein Beitrag nicht fehlen. Stefan Griebl, noch nie gehört? Um einiges bekannter ist der Autor wohl unter dem Künstlernamen Franzobel (das Pseudonym entstand aus dem Ergebnis des Matchs Frankreich gegen Belgien: Fran 2:0 Bel). Beim dritten Franzobel-Fußballbuch handelt es im Wesentlichen wieder um eine Kolumnensammlung – ergänzt um andere Texte, darunter ein Filmszenario, dem der Band seinen Titel verdankt und in dem sich Franzobel treffend als „Schriftstellerdribblanski“ bezeichnet. Seinem Ruf als schlampiges Genie der österreichischen Literatur wird der Autor hier insofern gerecht, als das Buch vor Redundanzen strotzt. Abgesehen davon sind etliche Anmerkungen zum Fußball durchaus witzig und geistreich. Die Beobachtung, dass der griechische Nationaltrainer Otto Rehhagel „wie ein nicht Rockstar gewordener Mick Jagger“ aussieht, ist ebenso überzeugend wie der Vergleich von literarischen und fußballerischen Eigenheiten des Landes. Am Ende des Buches wird es dann fast noch ernst: „Ich träume vom totalen Fußball-Overkill, der dann wieder Raum für wesentlichere Dinge schafft.“ Wenn Franzobel spricht, dann aus dem Blickwinkel des liebenden, aber enttäuschten Verehrers, des kenntnisreichen Zynikers und typischen Stammtischphilosophen, der sich in diesen menschlichen „Niederungen” die Lufthoheit erobert. Der Verzicht auf „politische Korrektheit” erfrischt dabei ebenso wie die boshaft karikierenden Blei- und Farbstiftzeichnungen von Gerhard Haderer, der hier ein weiteres Mal in der kleinen Form der hingeworfen wirkenden Skizze glänzt. Thomas Pöltl Nagiller, Rudolf: No Sports! Wien: Orac 2008. 159 S., € 19,90 Rudolf Nagiller, bekannter ORF-Radiound Fernsehjournalist, hat gemeinsam mit Wim Luijpers die Bestseller Gentle Running und Gentle Moving publiziert. Im jüngsten Nachfolgeband fasst er seine Erfahrungen mit über zehn Jahren sanftem Laufen zusammen und möchte seinen LeserInnen vermitteln wieviel Freude und Wohlbefinden regelmäßige Bewegung in den Alltag bringt und wie sehr sie die Lebensqualität verbessern kann. Dabei differenziert Nagiller sehr genau Sport von Bewegung: Im Sport geht es um „Leistung und um Leistungsvergleiche mit anderen oder mit sich selbst; es geht um das Höher, Weiter und Schneller, um Meter und Sekunden oder vielleicht auch nur ums Durchhalten. Das kann sehr bereichernd sein. Aber es ist eine Art von Kulturluxus: Viele Generationen sind ohne diesen ausgekommen. Anders ist es mit der Bewegung: Die braucht jeder (...) sie ist lebenswichtig.“ Rudolf Nagiller redet dem Laufen, Nordic Walken, dem Walken und dem Radfahren ohne Leistungsdruck das Wort. Es wird gezeigt wie regelmäßige Bewegung Körper und Geist positiv beeinflusst, aber auch, wie man sich erfolgreich selbst boykottieren, regelmäßige Bewegung und ihre positiven Folgen für das eigene Wohlbefinden vermeiden kann. In komprimierter Form und ergänzt durch die in den letzten zehn Jahren vom Autor selbst gemachten Erfahrungen beim Training wird die tägliche sanfte Bewegung propagiert. Es wird versucht, die LeserInnen des Ratgebers nachhaltig zu motivieren, sich im Alltag mehr zu bewegen, im Hinblick auf mehr Wohlbefinden zumindest tausend Schritte täglich zu tun. Eine ganze Reihe von interessanten Ideen zum richtigen Atmen und zum dynamischen Sitzen, zum Trinken und zur Ernährung regen dazu an, eigene Verhaltensweisen, aber auch die unterschiedlichen Vorgaben diverser Fitness- und Ernährungsgurus kritisch zu betrachten. Ein alltagstauglicher, zum eigenen Denken und kritischen Ausprobieren von Vorschlägen des Autors anregender, sehr brauchbarer Ratgeber. Eva Fritschen 45 SachbuchLänder Bingham, Hiram: Machu Picchu. Die legendäre Entdeckungsreise im Land der Inka München: Federking & Thaler 2007. 342 S., € 13,40 Der Name des US-amerikanischen Forschungsreisenden Hiram Bingham bleibt mit den atemberaubenden Inka-Ausgrabungen auf Machu Picchu verbunden, obwohl er einerseits nicht der wahre Entdecker war, andererseits anfangs gar nicht richtig wahrnahm, welche bedeutende Entdeckung er am 24. Juli 1911 machte. Irreführend ist der Titel seines Buchs allerdings insofern, als Machu Picchu selbst nur von einem kleinen Teil des Textes behandelt wird. Aber auch Binghams Darstellungen seiner Erstbesteigung des Coropunas, die Tiefenmessung des nur 1,4 m tiefen Parinacocha-Sees oder seine Erkundung des höchsten schiffbaren Sees der Welt, dem Titicaca-See sind kurzweilig und spannend zu lesen. Zusätzlich erfährt man Einiges über die letzte Periode der Inka-Geschichte: die Vertreibung durch die Spanier. Wenige, aber gute Originalaufnahmen verstärken das Gefühl, Bingham bei seinen Entdeckungen über die Schulter zu blicken. Der Forscher hielt seine Erkundungsreise erst sieben Jahre nach der letzten Expedition, 1922, in Buchform fest. Er hielt sich leider nicht an die Chronologie seiner Entdeckungen und fügte auch etliche Details ein, von welchen er zur Zeit der Reise noch keine Kenntnis hatte. Das Buch ist nicht nur für historisch Interessierte zu empfehlen, sondern auch für UrlauberInnen, die bereits in Peru waren oder eine Reise in dieses beeindruckende Land planen. Katharina M. Bergmayr Boll, Klaus: Kulturschock Mexiko Bielefeld: Rump 2008. 264 S., € 15,40 Mexiko ist das größte lateinamerikanische Land Mittelamerikas und zugleich eines der größte Länder der Erde. Mit Mexiko verbindet die ÖsterreicherInnen zweierlei: Zum einen wurde es im 19. Jahrhundert für kurze Zeit vom Habsburger Maximilian regiert; zweitens war Mexiko das einzige Land, das scharfen Protest gegen den Einmarsch von Nazi-Deutschland erhob und zahlreichen EmigrantInnen aus Österreich Zuflucht gewährte. Als Ferienparadies lockt Mexiko nicht nur mit seinen Traumstränden, sondern auch und vor allem mit den Kulturstätten der Azteken und Maya erkunden sowie zahlreichen modernen Architekturbauten, die von der lebendigen sozi-kulturelles Entwicklung in der Zeit nach dem 2.Weltkrieg zeugen. Die Gesellschaft Mexikos ist geprägt von den alten Kulturvölkern Lateinamerikas ebenso wie von den Nachfahren der spanischen Kolonialisten und der geografischen Nähe des (über)mächtigen Nachbarn im Norden, den USA. Neben den Naturreligionen der indogenen Völker, ist der Katholizismus ein bestimmender Faktor in der mexikanischen Gesellschaft. Wie in allen lateinamerikanischen Staaten gibt es ein riesiges soziales Stadt-Land-Gefälle und einen von Korruption und Bestechung gezeichneten Behördenapparat. Die von Mitteleuropa krass abweichenden Lebensumstände hat Klaus Boll hervorragend herausgearbeitet – mit ein Grund, sein Buch allen Mexiko-Reisenden nachdrücklich zu empfehlen. Respekt und Toleranz, aber auch das Umgehen von “Fettnäpfchen” und Missverständnissen, sowie das Einhalten von gesellschaftlichsozialen Regeln dienen der Sicherheit der Reisenden und erleichtern allen Beteiligten das Leben. Fritz Peter Hartl Remus, Joscha: Rumänien und Republik Moldau Bielefeld: Rump 2008. 816 S., € 25,70 Aus der Reihe „Reise Know-How“ Seitdem der für Individualreisende unentbehrliche „Lonely Planet“-Reiseführer auf auf Deutsch erscheint, ist der „Reise KnowHow“-Reihe ernsthafte Konkurrenz erwachsen. Dennoch bieten diese Reiseführer neben fast ebenso knapper und vielfältiger Information noch mehr an Fakten und Anekdoten über Sehenswürdigkeiten, Geschichte und Soziales. Es gibt mehr Farbfotos zum Gustieren und eingestreute Tipps zu besonderen Sehenswürdigkeiten oder Festivitäten. Sogenannte „Exkurse“ bringen den Reisenden verschiedene Kapitel aus der Geschichte, dem sozialen Leben oder den Kultureigenarten des Landes näher. Leider halten einige Beschreibungen im Fall des Rumänienführers der Prüfung vor Ort nicht stand. Zudem enthält er eine Fehlinformation, derzufolge Österreich seine Gefängnisse nach Rumänien ausgelagert haben soll. Davon abgesehen aber handelt es sich um einen soliden, auf Individualreisende zurecht geschnittenen Reiseführer. Kurz Susanne Rohrer, Josef: Sisi in Meran. Kleine Fluchten einer Kaiserin Wien/Bozen: Folio 2008. 112 S., € 15,80 Als Elisabeth im Oktober 1870 zum ersten Mal Meran besucht, wird sie von der wartenden Menge nicht erkannt, da sie auf Prunk und Symbole der Macht verzichtet hat. Es geht ihr ein Ruf außergewöhnlicher Schönheit voraus, aber nur die wenigsten wissen, wie sie wirklich aussieht. In Tirol war sie bis dahin noch nie. Aber selbst in Wien pflegte sie in unauffälliger Kleidung mit ihrem Hund spazieren zu gehen. Die Bilder der Kaiserin waren rar, sie galt als extrem bilderscheu. Ihre erste Reise nach Meran war demnach eher überstürzt und fluchtartig, als von langer Hand geplant. Sie hatte sich, entgegen dem höfischen Zeremoniell, eine eigenständige Wahl ihrer Umgebung ausbedungen. Viele Bildbände und zahlreiche Biografien illustrieren bereits das Leben der unsterblichen Kaiserin von Österreich. Zum ersten Mal allerdings liegt ein Buch vor, daß sich detailliert um Sissis Reisen nach Tirol bemüht. Was hat sie auf ihren zahlreichen Reisen auf den „Südbalkon der Monarchie“ erlebt? Der touristische Aufschwung Merans im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts ist ohne ihre Aufenthalte kaum denkbar. Dieses Buch verdankt sein Entstehen dem ungebrochenen Sisi-Kult, der die Stadtväter von Meran veranlasste, das Projekt zu fördern und voranzutreiben – kommen viele Besucher doch eigens wegen Elisabeth nach Meran. Sisi in Meran ist ein Mosaik von historischen Zeitungsartikeln aus Wiener Archiven, sowie teils unveröffentlichten Briefen, die Elisabeth, Franz Joseph und engste Vertraute von und nach Tirol schrieben. Gabriele Egger-Malina Sachbuch Länder 46 Schaber, Susanne: Großes Welttheater auf kleiner Bühne. Logenplätze in Friaul und Triest Wien: Picus 2008. 132 S., € 13,90 Aus der Reihe „Picus Lesereisen“ Susanne Schaber führt uns in ihrer gut eingeführten Reihe diesmal in einen Landstrich, den viele kennen und doch nicht kennen: Friaul – jene nördliche Region Italiens, die man schnellstmöglich durchquert, um an die beliebten Badestrände an der Adria zu gelangen. Die Einflüsse der slawischen und österreichischen Kultur sind hier stark verwurzelt und haben nicht nur zu eigenen Ausprägungen in der Mentalität der Menschen geführt, sondern sie sind auch in der Kunst und der Küche manifest. Auch die historische Entwicklung als Grenzregion mit wechselnden Zugehörigkeiten, einmal als Tor zur Welt, dann wieder als Bollwerk oder Kriegsschauplatz, haben ihre Spuren hinterlassen. Rilke hat sich in Duino zu seinen Elegien inspirieren lassen, in Triest kann man James Joyce nachspüren und Pier Paolo Pasolini hatte es mit seiner Mutter in die Kleinstadt Casares verschlagen. All dies und noch viel mehr erfährt man in den dreizehn kleinen Geschichten und Reportagen zu dieser Region, die viel Abwechslung und versteckte Schönheiten bieten kann. Susanne Schleif Schmidt, Christian Y.: Allein unter 1,3 Milliarden. Wine chinesische Reise von Shanghai bis Kathmandu Berlin: Rowolt 2008. 315 S., € 20,50 Ein Jahr vor den Olympischen Spielen macht sich ein 50-jähriger Deutscher auf, China von Ost nach West zu durchqueren, nicht so wie andere Touristen, sondern mit Bus, Schiff etc., als werdender Chinese unter Chinesen. Sein Startvorteil: Er ist mit einer Chinesin verheiratet und wohnt seit Jahren in Peking. Seine Chinesisch-Kenntnisse sind nicht besonders gut, die Schrift hat er nicht erlernt. Der Beginn der 5000 km langen Reise gestaltet sich schwierig: Wo, bitte, fährt der Autobus von Shanghai in die nächste westlich liegende Stadt? Ähnliche Rätsel sind auf den ersten 1000 km öfter zu lösen. Als LeserIn tut man sich schwer, dem Autor die Naivität abzunehmen, mit der er die Fahrt beginnt, wo er doch schon jahrelang in China lebt. Zwischen Tempeln, sintflutartigen Regenfällen und schlechten Quartieren mit zudringlichen Chinesinnen kommt er langsam vorwärts. Er betrachtet das Land mit den Augen des unbedarften Europäers, hat immer wieder das Gefühl, von den Chinesen übers Ohr gehauen zu werden und staunt über die Abgründe der chinesischen Wirklichkeit. Nach abenteuerlicher Fahrt erreicht er Lhasa. Sein nüchterner Blick auf die Touristenflut kommt nach den üblichen verzückten Reiseberichten über diese Stadt der Wahrheit sehr nahe. Humorvoll beschreibt der Autor seine Abenteuer, seine Gefühle und die Menschen um ihn herum und vermittelt eine lebhafte Ahnung von den wahren Verhältnissen in China gibt. Johanna Mitterhofer Schön leben Obstkuchen: Einfach & gut! Graz: Stocker 2008. 79 S., € 7,95 Nach einem alphabetischen Register und einem Vorwort beginnt der Rezeptteil, der der nach einheimischen und exotischen Obstsorten sowei Beeren in Kapitel eingeteilt ist. Jede Backanweisung nähert sich über die Beschreibung der Zutaten der Vorbereitung an. Viele der Anleitungen sind nicht nur von einem appetitlichen Foto der fertigen Backware flankiert, sondern auch von ein bis zwei hilfreichen Abbildungen der jeweiligen Arbeitsschritte. Wo deutsche und österreichische Ausdrücke oder Bezeichnungen nicht übereinanderstimmen, werden beide nebeneinander angeführt. So findet man in der Zutatenliste oft Angaben wie die folgende: 125 g Puder/Staubzucker, 500 g Quark/ Topfen, ¼ l Sahne/Obers, 1 Eigelb/Dotter etc. Manche Rezepte benötigen nur eine halbe Seite, andere eine ganze oder sogar eine Doppelseite. Nicht bei jedem Kuchen gibt es eine Anleitung für den Teig. So wird z. B. bei Plunderteig, Strudelteig oder Blätterteig auf Tiefkühlware verwiesen. Alles in allem ist dem Grazer Leopold Stocker Verlag ein wunderbares Kochbuch gelungen, das Lust zum Backen macht. Eva-Maria Baumgartner Phillips, Barty: Wohnen maximal. 500 Ideen für kleine Räume München: Callwey 2008. 143 S., € 20,60 Wer in beengten Wohnverhältnissen lebt, ist gezwungen, seine vorhandenen Raumressourcen optimal zu nutzen. Viele neue, mehr oder weniger geniale Ideen dazu liefert die Autorin in diesem Band. Nach der erforderlichen Ergründung der eigenen Bedürfnisse wird die Raumsituation analysiert und gegebenenfalls ungenutzte Ecken ausfindig gemacht: Nischen, Keller oder Dachböden etwa sind nützliche Staufläche, auch der Raum unter einer Treppe kann vielseitig genutzt werden. Nun gilt es, den entrümpelten Raum optimal auszunutzen. Für jeden ProblemWohnbereich, egal ob ob Bad, Küche, Arbeitsraum oder Wohnzimmer, finden sich Lösungen, unabhängig von Stil und Geldbeutel. Ein eigenes Kapitel widmet sich der Stauraum-Problematik: Was lässt sich wo am Besten unterbringen? Auch wie man im äußersten Fall wenigstens optisch die Enge vertreibt wird gezeigt: Raumillusion mit Hilfe von Spiegeln, Farben etc. erzeugt Weite, wo keine ist. Die Verbesserungsvorschläge eignen sich für Singles, Paare, Familien oder WGs. Ergänzt werden die nützlichen Anregungen durch geschmackvolle Fotos. Ilse Weber Sachbuch Schön leben Ploberger, Karl: Balkone und Terrassen naturnah gestalten Wien: Österreichischer Agrarverlag 2008. 79 S., € 9,90 Der Biogärtner Karl Ploberger ist Herr über 2500 m² Garten, weiß aber aus eigener Erfahrung, dass auch auf dem kleinsten Balkon ein grünes Paradies geschaffen werden kann. Über geeignete Pflanzgefäße, die richtige Erde, die Versorgung mit Nährstoffen und Wasser wird gleich zu Beginn informiert, wie auch über Recht und Sicherheit auf dem Balkon. Anschließend einige Pflanzbeispiele nach Farben sortiert, ein Balkon für Schatten, einer für windige Ecken, und einer mit Wildpflanzen. Ein Balkon mit Kübelpflanzen sorgt für mediterrane Stimmung, und auch Nahrhaftes lässt sich auf kleinem Raum anpflanzen. Etliche Obst- und Gemüsesorten werden speziell für die Bepflanzung von Kästen und Kübeln gezüchtet; für Kräuter reicht sogar das Fensterbrett. Etwas mehr Platz brauchen da schon Bäume und Sträucher, aber bei der richtigen Auswahl und spezieller Pflege ist auch ein kleiner Wald auf dem Balkon zu verwirklichen. Mit einem Kapitel über biologischen Pflanzenschutz und einigen Adressen von Bezugsquellen wird der Band abgeschlossen. Ein Buch vor allem für Balkonpflanzen-Neulinge – nicht zu ausführlich, mit handfesten Tipps und praxisorientiert. Ilse Weber Thinschmidt, Alice / Böswirth, Daniel: Hanggärten. Naturnah gestalten Wien: Österreichischer Agrarverlag 2008. 80 S., € 9,90 Bereits vor der Auswahl eines Grundstücks wollen die Vor- und Nachteile einer Geländeneigung sowie die Lage – zum Haus hin oder davon weg – planerisch gut überlegt sein. Vor allem bei stärkerer Neigung, vielleicht noch bergab zum Haus, ist unbedingt professionelle Hilfe angeraten. Zu groß sind die meist später auftretenden Probleme wie feuchtes Mauerwerk durch Bodenerosion. Weniger schwierig sind bergab verlaufende Gärten. Sie bieten schöne Ausblicke und weniger Risiko. Auf jeden Fall aber muss mit höherem Budget gerechnet werden. Die oftmals als nachteilig empfundenen Anlagen können allerdings durch kre- 47 ative Lösungen neue und interessante Perspektiven eröffnen. Bachläufe und Teiche können in das Gelände integriert werden, Trockenmauern aus Natursteinen werden mit blühenden Sträuchern bepflanzt, auch Kräuter und Gemüse sind möglich. Bei aller Freude ist bei echten Hanggärten die mühsame Rasen -und Wiesenpflege im Alter jedoch nicht zu unterschätzen. Ein Ratgeber, der viele nützliche Tipps zur Überlegung, Planung und Ausführung nicht alltäglicher Gartenanlagen bietet. Renate Zeller Bischoff, Stephan: Vitalküche für Genießer München: Gräfe und Unzer 2008. 176 S., € 17,40 Vitalküche für Genießer will seinen LeserInnen zeigen, dass man mit gesunder Ernährung sein Wohlbefinden positiv beeinflussen kann. Einleitend führt eine Reise durch den Körper und zeigt die Zusammenhänge zwischen Ernährung und Gesundheit. Mit den richtigen Nährstoffen kann man nicht nur länger jung bleiben, sondern auch die Leistungsfähigkeit erhö- hen, die Haut vor schädlichen Umwelteinflüssen schützen und vieles mehr. Nach einer gründlichen, auch für den Laien verständlichen Einführung in die Funktionen unseres Körpers wie Haut, Verdauungssystem, Hormone, Muskulatur, Herz, Kreislauf, Immunsystem, Gehirn und Nerven, Knochen und Gelenke, folgt der nach Jahreszeiten gegliederte Rezeptteil. Die meisten „Genussrezepte“ finden auf einer Doppelseite samt Farbfoto Platz. Der Frühling bietet vitalisierend und aufbauende Rezepte, der Sommer leichte und erfrischende, der Herbst gesunde und stärkende, der Winter wärmende und kräftigende Genussrezepte. Die meisten Zutaten sind im gut sortierten Lebensmittelgeschäft erhältlich, den Rest bekommt man im Reformhaus oder Bioladen. Das Besondere an den Rezepten ist der jeweilige Abschnitt „das sagt die Medizin“, wo die Wirkung der verwendeten Nahrungsmittel auf den Körper erklärt wird. Dieser Ratgeber vereint Gesundheitsratgeber und Kochbuch auf hervorragende Weise und zeigt uns anhand schnell und einfach realisierbarer Rezepte, dass gesund essen auch gut schmecken kann. Erika Fröschl Wittler, Tine: Pralle Prinzessinnen. Styling für starke Frauen Frankfurt: Eichborn 2008. 143 S., € 15,40 Wer von der Natur mit üppigen Formen ausgestattet wurde, hat es im Umgang mit Mode nicht leicht, und oft ist das Ergebnis einer Einkaufstour nicht die erhoffte raffinierte neue Verpackung, sondern Frust. Am Anfang einer solchen Tour sollten laut Tine Wittler daher Selbsterkenntnis und gnadenloses Ausmisten des Kleiderschrankes stehen. Nur Dinge, die wirklich gut sitzen und die eigene Person vorteilhaft zur Geltung bringen haben ein Bleiberecht. Für den folgenden Einkauf liefert ein Survivalguide praktische Hinweise mit Checklisten und moralischer Unterstützung. Nützliche Änderungstipps verraten, wie (noch) nicht ganz perfekt sitzende Kleider umgeschneidert werden können. Doch bevor der Einkaufsmarathon gestartet wird, sollten noch die Kapitel studiert werden, die anhand netter Zeichnungen zeigen, welche Kleidungsstücke die Vorzüge der prallen Prinzessinnen – je nach Figurtyp – betonen und welche weniger vorteilhaft wirken: günstige Schnitte, Farben und Materialien und viele kleine Tricks, die das Leben erleichtern. Tine Wittler zeigt auf amüsante Weise, wie frau ihre üppigen Rundungen perfekt in Szene setzt, anstatt sie zu verstecken. Ilse Weber Sachbuch 48 Über Bücher und Poeten „Ausgewanderte Wörter“. Eine Auswahl der interessantesten Beiträge zur internationalen Ausschreibung Reinbek: Rowohlt 2007. 141 S., € 7,95 Wenn wir es eilig haben, droht „Zeitnot“; dann sucht uns der „Katzenjammer“ heim, weshalb wir uns dem „Weltschmerz“ ergeben. Diese Wörter sind uns allen geläufig, sie gehören zum Alltag. Doch auch Anderssprechende erlauben es sich, beim Deutschen Anleihen zu nehmen. So ist in Finnland jemand, der über alles Bescheid weiß, ein „besservisseri“, Freunde der heimischen Blasmusik hören in Australien die „Oom Pah Pah“-Music, die sich im Deutschen als „Humtata“ wiederfindet; in Israel wiederum wird statt eines Mittagsschlafes eine „Schlafstunde“ eingelegt. Auch abseits des Englischen, dem sich fast niemand entziehen kann, gibt es einen regen Austausch von Begriffen, die Sprachbarrieren überwinden. Das ist zum einen politisch und wirtschaftlich beeinflusst, andererseits trägt auch die Literatur oder das Migrantentum dazu bei. Jutta Limbach, die Herausgeberin von „Ausgewanderte Wörter“ präsentiert eine Sammlung von deutschen Begriffen, die Eingang in Sprachen gefunden haben, welche mit Deutsch nichts gemeinsam haben, z. B. Hebräisch, Arabisch oder Finnisch. Der Aufbau des Bandes entspricht ungefähr dem eines Wörterbuches, Kommentare sind den einzelnen Kapiteln vorangestellt. Damit ergibt sich eine interessante, amüsante, auch lehrreiche Lektüre. Andreas Agreiter Axmann, David: Friedrich Torberg. Die Biographie München: Langen-Müller 2008. 319 S., € 20,50 Am 16. September 1908 erblickte Friedrich Ephraim Kantor, der sich später Torberg nennen wird, das Licht der Welt. Seine Kindheit verbrachte er in Wien, 1921 übersiedelte die Familie nach Prag, nach dem „Anschluss“ flüchtete Friedrich in die USA. Von dort kehrte er 1951 nach Wien zurück, wo er 1979 verstarb. David Axmann hat den 100. Geburtstag dieser literarischen Ausnahmeerscheinung zum Anlass genommen, die erste um- fassende Torberg-Biographie zu schreiben. Das schriftstellerische Multitalent Friedrich Torberg, von Marcel Reich-Ranicki als „Wiener Institution, österreichisches Wunder und deutsches Ärgernis“ bezeichnet, prägte das literarische und kulturpolitische Leben Österreichs und Deutschlands im 20. Jahrhundert ganz entscheidend. Und zwar nicht nur durch die beeindruckende Bandbreite seines Schaffens, welches Gedichte, Romane, Kritiken, Essays und Texte fürs Kabarett ebenso umfasst, wie Anekdotensammlungen, Filmdrehbücher, Reiseund Sportberichte sowie politische Kommentare. Torberg fungierte auch als engagierter Herausgeber, gestaltete Fernsehund Rundfunksendungen und übersetzte Kishons Satiren ins Deutsche. Außerdem war Torberg ein fleißiger Briefschreiber. Zu seinen zahlreichen KorrespondenzpartnerInnen gehörte unter anderen Alma Mahler–Werfel. Schwungvoll, mit viel Liebe zum Detail und trotzdem um wissenschaftliche Genauigkeit bemüht, zeichnet Axmann das Lebensbild dieser außergewöhnlichen Persönlichkeit nach, die sich allen möglichen Gattungen mit voller Aufmerksamkeit und Energie widmete und der Nachwelt eine Vielzahl (kritischer) Texte voller Leidenschaft und Scharfsinn hinterließ. Ingrid Sieger Deckert, Renatus (Hrsg.): Das erste Buch. Schriftsteller über ihr literarisches Debüt Frankfurt: Suhrkamp 2007. 357 S., € 10,30 Einen Text verfassen ist eine Sache; sich später – in manchen Fällen mehrere Jahrzehnte nach dem Erscheinen – erneut mit ihm zu beschäftigen eine andere. Was für die RezipientInnen einerseits bereichernd sein mag, ist für die Schreibenden andererseits oft eher schmerzhaft. Über 90 AutorInnen, allesamt deutschsprachig, jedoch unterschiedlichen Generationen zugehörig und mehr oder weniger prominent, versammelt der Herausgeber chronologisch in diesem Band, um ein buntes Mosaik der Literaturlandschaft von den Nachkriegsjahren bis heute zu gestalten. Es ist aber auch ein Zeitbild – und das ist der besondere Wert dieses Buches, auch veränderte Auseinandersetzung mit den jeweiligen Werken aufzuzeigen. Es ist bemerkenswert, auf welche Weise die einzelnen SchriftstellerInnen an dieses heikle Unterfangen herangehen und zu erfahren, mit welcher Motivaton sie zu Schreiben begannen, unter wessen Einfluss sie standen oder welche Erwartungen sie hegten. Manche der Debüttexte sind bereits in Vergessenheit geraten und der eigentliche Erfolg begann mit den späteren Werken. Das erste Buch vermittelt einen nachhaltigen Eindruck über literarische Lebenswege und darf als absolute Empfehlung gelten. Sabine Baumann Höller, Hans: Peter Handke Reinbek: Rowohlt 2007. 155 S., € 9,30 Peter Handke ist einer der letzten „Großschriftsteller“ im deutschsprachigen Raum – und zweifelsfrei auch einer der bedeutendsten. Wie wenige andere hat er bereits zu Lebzeiten eine Art Klassikerstatus erreicht. Anlässlich von Handkes 65-jährigem Geburtstag hat der Rowohlt-Verlag in der gewohnt knappen und übersichtlichen Form seiner bewährten MonographienReihe eine fundierte Einführung in Leben und Werk des Autors herausgebracht. Hans Höller erzählt vom kometenhaften Aufstieg des Autors, der in den 1960er Jahren als „Literaturbeatle“ Furore machte und vor allem durch seine Stücke – „Kaspar“, „Publikumsbeschimpfung“ etc. – bekannt wurde. Besonders den frühen Jahren im Leben Handkes hat sich Höller ausführlich gewidmet, um zu zeigen, wie prägend die Kindheitsjahre und der multilinguale Background für die literarische Entwicklung des Autors waren. In der Folge setzt sich Höller intensiv mit Handkes Texten auseinander und zeigt einen Menschen, dessen Leben darin besteht, auf alles, was ihm zustößt, sofort mit Sprache zu reagieren. In diesem Sinn ist der vorliegende Band keine klassische Biographie, sondern vielmehr eine Vorstellung der grundlegenden Themen des Handkeschen Werkes. Ein Anliegen Höllers ist es schließlich auch, Handke vor dem Hintergrund seiner von den Medien zum Teil heftig attakierten Wortmeldungen zum Jugoslawienkrieg Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Thomas Geldner Sachbuch Über Bücher und Poeten Murakami, Haruki: Wovon ich rede, wenn ich vom Laufen rede Köln: Dumont 2008. 164 S., € 17,40 Der Mann weiß, wovon er redet! Murakami, in den letzten Jahren der japanische Bestsellerautor schlechthin, beschäftigt sich in diesem autobiographischen Band mit dem Laufen – also mit sich selbst. Er offenbart spielerisch die Bedeutung, die dieser Sport für ihn hat und weit mehr als eine körperliche Betätigung ist. Sie gehört zu ihm wie seine zweite Leidenschaft, das Schreiben – einerseits als Ausgleich zur sitzenden Tätigkeit, andererseits als meditative Methode um den Gedanken freie Entfaltung zu gewähren. Er beschreibt seine Laufstrecken, seine Qualen bei verschiedenen Wettbewerben und die „Urstrecke“ von Athen nach Marathon. Murakami entdeckt seine eigenen Grenzen, die sowohl geistigen als auch körperlichen Veränderungen. Und macht daraus einen spannenden Text, der einen in seinen Bann zieht und durch seine Ehrlichkeit fasziniert. Sabine Baumann Schappert, Christoph: Das kleine Literaturlexikon Stuttgart: Oldenbourg 2007. 143 S., € 10,30 Wer bei seinen SchülerInnen das Interesse an Literatur wecken will, hat derzeit eine gute Auswahl an aktuellen Publikationen – wie zum Beispiel der von Manfred Mai herausgegebene Literaturkanon Das große Lesebuch der Weltliteratur. Ist das Interesse dann einmal geweckt, soll der Nachwuchs auch über Literatur reden und schreiben lernen. Dafür benötigt es Handwerkszeug und Vokabular – und genau das bietet das Kleine Literaturlexikon. In annähernd 270 Einträgen werden die wichtigsten Begriffe von „Abenteuerroman“ bis „Zeitung“ knapp, aber erschöpfend erklärt. Interessant ist, dass auch Journalismus zahlreiche Einträge aufweist, und sehr gelungen ist die doppelte Verweisstruktur. Einmal gibt es Querverweise, die weitere Einträge im Sinnzusammenhang aufzeigen. Dann geben Direktverweise darüber Auskunft, welcher Eintrag zum jeweiligen Stichwort gesucht werden muss. Die jeweiligen Definitionen sind so einfach geschrieben, dass dem Verlagstext zu- 49 zustimmen ist, der das Buch auch schon für die Unterstufe empfiehlt. Dafür spricht auch die Erläuterung von Fachausdrücken aus Metrik und Rhetorik anhand von Beispieltexten. Werke von Walther von der Vogelweide bis Robert Gernhardt zeigen anschaulich, was z. B. mit „Minnesang“ gemeint ist. Das schmale Buch ist mit einem farbenfroh aber relativ nichtssagend gestalteten Umschlag versehen. So erfährt nur, wer sich ans Durchblättern macht, welche Fülle an Material es bietet. Josef Mitschan Strigl, Daniela: „Wahrscheinlich bin ich verrückt...“ Marlen Haushofer – die Biographie Berlin: List 2007. 406 S., € 10,30 Wahrscheinlich bin ich verrückt ist keine Biographie, mit der man sich schnell und einfach über Marlen Haushofers Leben und Werk informieren kann – keine bloße Aneinanderreihung von Daten, Fakten und Jahreszahlen. Vielmehr werden Begeben- heiten aus Marlens Kindheit eindringlich geschildert, die Beziehung zu Eltern und ihrem Bruder psychologisch hinterfragt und literarisch interpretiert. Die Schul- und Studienzeit während des Nationalsozialismus wird genau behandelt und darüber hinaus Marlens Persönlichkeit und ihr literarisches Schaffen kritisch analysiert. Die Germanistin und Literaturkritikerin Daniela Strigl hat ein äußerst eindrucksvolles, fabelhaft recherchiertes und ebenso komplexes Werk über eine der interessantesten Autorinnen des 20. Jahrhunderts verfasst, das sich nicht einfach so nebenbei lesen lässt. Besonders tragisch wirken die Textstellen über Krankheit, Schmerz und Tod, die Marlen bereits in jungen Jahren verfasst hat und dabei viel von ihrem eigenem späteren Leidensweg vorweggenommen und literarisch verarbeitet hat. Eine sehr gut geschriebene, mit persönlichen Fotografien illustrierte Biographie, in der leider die vielen Zitate und Interpretationen, detaillierten Anmerkungen und Quellenverweise den Lesefluss stören. Martina Lammel Tosches, Nick: Muddy Waters isst selten Fisch Aus dem amerikan. Englisch übers. München: Liebeskind 2007. 202 S., € 19,50 Nick Tosches ist in unseren Breitengraden vielleicht nicht so bekannt wie in seiner Heimat USA. MusikliebhaberInnen und FreundInnen der scharfen Zunge ist er aber längst ein Begriff. Er ist neben Hunter S. Thompson wahrscheinlich der bekannteste Vertreter des „Gonzo-Journalismus“ und von Skeptikern eher zur Literatur als zum Journalismus gerechnet. Seine Themen und Fragen bohren tief in den puritanisch-amerikanischen Eingeweiden – zum Beispiel in seinem Vergleich von Edgar Hoover und William Burroughs über homosexuelle (Macht-)Neigungen; oder über das Beinhaarzupfen bei Deborah Harry („Blondie“) als triviales Nebenprodukt. In „Miles Davis: Ein Mann, ein Hut“ arbeitet Tosches typische postmoderne Strömungen der Nachkriegsjahre heraus, die sich im Kult um Miles Davis bündeln: „cool“ steht im Mittelpunkt, die Kunst, die Musik sind Nebenprodukte geworden. Attitüden werden vorangestellt, diese lassen sich besser verkaufen als die Kunst per se. Sein Stil ist witzig, scharf und wohl durchdacht, wie ein naturgemäß gelungenes Veggie Chili, wo zuerst vordergründig Chilis den Namen verteidigen und dann langsam aber nachhaltig Avocado- und Olivenaromen am Gaumen zu wirken beginnen, sich mit Hülsenfrüchten und Kapern im reifen Saft passierter Tomaten vereinen, um schlussendlich einen runden beachtenswerten Abgang zu bescheren. Ein Abgang, den nur Biertrinker verstehen und nur Weinliebhaber in Worte fassen können. Nick Tosches ist das aber egal, bei ihm haben beide nichts zu lachen. Rudolf Kraus Sachbuch 50 Geht’s der Wirtschaft gut ... Fürweger, Wolfgang: Die Red-BullStory Wien: Ueberreuter 2008. 191 S., € 22,95 Jeder liest gerne die Geschichte „Vom Tellerwäscher zum Millionär“. Nun, die wird hier nicht gegeben. Dietrich Mateschitz startete als Marketingdirektor der internationalen Division der Unilever-Tochter Blendax (mit einem Jahresgehalt von 143.000 Euro) in die Selbständigkeit und – er ist längst Milliardär. Trotzdem gehört die Schilderung des Sprungs in die Selbständigkeit, die Geschichte der Entdeckung seines Getränks in Thailand, die Kämpfe mit den Zulassungsbehörden und um eine Marketinglinie eindeutig zu den Stärken des Buches das, da von Dietrich Mateschitz nicht authorisiert, auf Recherchen und Gesprächen mit ExMateschitz-MitarbeiterInnen basiert. Weniger stark ist die seitenlange Aufzählung der Unternehmensbereiche des Dosen-Chefs, zumal seine vielfachen Aktivitäten neben der Energydrink-Produktion (falsch: Mateschitz produziert nicht, er distribuiert und macht das Marketing) ohnedies umfangreich dargestellt werden. Man liest natürlich auch gerne über die Persönlichkeit derartig erfolgreicher Unternehmensführer – der Autor schildert Mateschitz als leger, sportlich, dankbar und mit Handschlagqualität, aber auch als nachtragend gegenüber kritischen Medien und bemüht, sein Privatleben nicht in der Öffentlichkeit breit getreten zu sehen. Das Buch zeichnet eine erstaunliche (für Österreich atypische) Karriere nach. Leider wirkt es durch die Berichterstattung aus zweiter Hand und durch den Stil des Autors ein wenig saft- und kraftlos. Christian Jahl Harrison, Fred: Wirtschaft Krise 2010. Wie die Immobilienblase die Wirtschaft in die Krise stürzt Weinheim: Wiley-VCH 2008. 299 S., € 25,60 Fred Harrison, ehemals Berater der russischen Duma, gilt als einer der führenden Analysten für marktwirtschaftliche Systeme. Im Jahr 2005 erschien die 1. Auflage seiner nun neu bearbeiteten Publikation im englischen Original. Darin weist Harrison bereits nachdrücklich auf die Gefahren der sich abzeichnenden Hypothekarkrise im angloamerikanischen Raum mit verheerenden Folgen für die gesamte Weltwirtschaft hin. Beinahe prophetisch lesen sich die Analysen in der nun vorliegenden deutschsprachigen Ausgabe. Basierend auf der Analyse einer rund 300 Jahre umfassenden Datensammlung der englisch-amerikanischen Immobilienmärkte kommt der Autor zum Schluss, dass alle 18 Jahre die Weltwirtschaft in eine Rezession gleitet – ausgehend von Krisen im Hypothekargeschäft der Banken. Die aktuelle Krise nahm 2006 ihren Anfang in den USA und Großbritannien. Die (Investment-) Banken vergaben zunehmend Hypothekarkredite an finanzschwache Interessenten und versicherten dieses erhöhte Risiko bei anderen Finanzinstituten. Um den Kreislauf aufrecht zu erhalten, wurden Immobilien höher bewertet um den Kreditrahmen ausweiten zu können. Als die Kreditnehmer ihre Verpflichtungen nicht mehr wahrnehmen konnten stürzten die Preise in den Keller. Die Kreditausfälle nahmen so rasant zu, dass gleichzeitig die Papiere auf Investmentfonds einbrachen. Diese riesige Geldvernichtung raste wie ein Dominospiel immer weiter und führte zum Zusammenbruch einstiger Branchenriesen in der Investmentbranche. Nach Harrisons Analysen wird der Höhepunkt der gegenwärtigen wirtschaftlichen Rezession 2010 erreicht sein. Erst danach kann mit einer Erholung der Weltwirtschaft gerechnet werden. Fritz Hartl Heuser, Uwe Jean: Humanomics. Die Entdeckung des Menschen in der Wirtschaft Frankfurt: Campus 2008. 276 S., € 20,50 Langsam scheint sich auch unter den Wirtschaftsjournalisten herumzusprechen, dass das Konzept des „homo oeconomicus“, welches einer überwiegenden Anzahl an wirtschaftlichen Ansätzen und Modellen zugrunde liegt, mit der Lebenswirklichkeit nur bedingt etwas zu tun hat. Für den „Zeit“-Journalisten Uwe Jean Heuser ist es daher an der Zeit, sich mit dem Thema nicht nur zu beschäftigen, sondern auch einen neuen Entwurf des Menschen und seiner Ökonomie zu entwickeln. Er glaubt mit einer Minderheit von Ökonomen, die er „Umstürzler“ nennt, entdeckt zu haben, dass der Mensch in seinem wirtschaftlichen Verhalten sich nicht ausschließlich am Eigennutz orientiert, sondern auch andere Faktoren eine entscheidende, wenn nicht die entscheidende Rolle spielen. Katagorien wie Fairness, der Wille zur Kooperation und ethische Maximen hätten, so Heuser, immer eine Bedeutung gehabt – und sie haben es heute umso mehr, als die Wertschöpfung nicht mehr in der unmittelbaren Produktion stattfindet, sondern als Produkt von Intellekt und sozialer Vernetzung in Erscheinung tritt. Von diesem etwas abgestandenen Gedankengang ist der Weg nicht weit zur entsprechenden Wortschöpfung: „Humanomics“ – jene Ökonomie, in der sich die Akteure als „Homo reciprocans“ in einer Vielfalt von wechselnden Verhaltensmustern bewegen, deren allgemeine Tendenz in die Richtung des Miteinander geht und einen Traum vom Glück in sich birgt. Der kalte Kapitalist wird abgelöst vom Kapitalisten mit menschlichem Antlitz sozusagen. Der Autor versteht es auf recht unterhaltsame Weise, Erkenntnisse aus den verschiedensten Wissenschaftsgebieten herbeizuschaffen und dabei den Eindruck zu erwecken, es begänne jetzt der ganzheitliche Mensch sich in einer ganzheitlichen Wirtschaft dem allgemeinen Glück zu nähern. Das klingt beruhigend, scheint aber mit den in den täglichen Wirtschaftsnachrichten wiedergegebenen Tatsachen nicht ganz kompatibel zu sein. Wolfgang Kauders Sachbuch Geht’s der Wirtschaft gut ... Napoleoni, Loretta: Die Zuhälter der Globalisierung Aus dem Englischen übers. München: Riemann 2008. 382 S., € 19,60 Die Italienerin Loretta Napoleoni, die in London für Unternehmen und im speziellen für Banken lange Zeit als Consultant arbeitete, meint, dass diese Jahre „verglichen mit Heute ruhige Zeiten“ waren. In ihrem Buch betrachtet sie die Vernetzung von legalen und illegalen Geschäften, das Verschwimmen der Grenzen zwischen legal-staatlicher Machtausübung und kriminellen Machenschaften. Schon längst hätten Drogenkartelle, Waffen- und Mädchenhändler ihre kriminellen Aktivitäten unter dem Deckmantel anerkannter Unternehmungen versteckt, sodass auch staatliche Amtsträger zu „freiwillig-erzwungenen“ Mitarbeitern der organisierten Kriminalität würden: „Ich nenne das Kontaminierung, das ist viel mehr als nur Einfluss zu nehmen, denn es gibt keine Regeln mehr.“ Die „freie Marktwirtschaft“ bzw. der Kapitalismus seien im letzten Jahrzehnt zu einem Eldorado für kriminelle Glücksritter und skrupellose Geschäftemacher geworden. Die US-Immobilienkrise, und die damit verbundenen Investment-Banken-Zusammenbrüche samt der damit verbundenen Auswirkungen auf die europäische Wirtschaft, sind für Napoleoni die ersten gravierenden Anzeichen für das Zusam- menbrechen des westlichen Wirtschaftssystems, das sich sämtlicher ethischer Werte entledigt hat. Es ist ein Faktum, dass die „Islamische Wirtschaft“ weltweit die einzige ist, die von den genannten Faktoren völlig unbeeindruckt blieb. Die westliche Gesellschaft wird von einem massiven Umbruch bedroht; die Chancen auf eine Umkehr beurteilt Napoleoni pessimistisch. Ihr Buch liest sich über weite Strecken wie ein Finanzthriller. Unbekannte, unglaublich riskante Vorgänge in den Finanzkreisen denen man Seriosität zubilligen würde, gehen Hand in Hand mit der Schilderung von kriminellen Wirtschaftspraktiken, sodass sich die LeserInnen schaudernd fragen werden, wieso der Zusammenbruch nicht schon längst stattgefunden hat. Fritz Hartl 51 Die Autorinnen des vorliegenden Bändchens nehmen einen bundesdeutschen Durchschnittshaushalt unter die Lupe, um das Konsumverhalten auf seine Umweltverträglichkeit hin zu überprüfen. Wie ist das mit dem „Bio-Siegel“? Ist wirklich „bio“ drinnen, wenn „bio“ darauf steht? In fünf Kapiteln machen Pöppelmann und Goldmann einen Rundgang durch Wohnung, Haus und Garten, inspizieren Küche, Garderoben-, Kosmetik- und Putzschränke. Jedem Abschnitt sind Expertentipps und Checklisten zugeordnet, sodass sich die LeserInnen ihre eigene „Umweltverträglichkeit“ bestimmen können. Die Empfehlungen können zum überwiegenden Teil österreichische Verhältnisse umgelegt werden. Anders hingegen sieht es bei den zahlreichen „Öko-Siegeln“ aus, die in den Regalen heimischer Verbrauchermärkte nicht zu finden sind. Drei Abschnitte des Buches verdienen eine besondere Erwähnung: „Wissenswertes zu Umweltmanagement“ liefert eine Kurzbeschreibung des EU-Verfahrens, das Unternehmensaktivitäten auf ihre Umweltverträglichkeit hin überprüft. „Worauf man beim Kauf von Putzmitteln achten muss“ enthält eine Checkliste für gängige Chemikalien und Wirkstoffe, die in Wohnungen und Häusern in Verwendung sind. „Worauf sollte man beim Kleiderkauf achten?“ schließlich listet Stoffe, Herstellungsverfahren etc., welche den Kauf von Mode(kleidung) ohne schlechtes Umweltgewissen zulässt. Nicht zuletzt erfahren die KonsumentInnen in diesem Buch, welche Umweltbelastungen durch Herstellung, Transport und Entsorgung von Produkten entstehen und welche Produkte verwendet werden können, ohne die Umwelt noch mehr zu belasten. Fritz Hartl im Laufe der Jahrzehnte entstandenen unterschiedlichsten Theorien vorstellt, auf ihre Stichhaltigkeit hin abklopft und allfällige Ungereimtheiten aufzeigt. Dank seiner bemerkenswerten Fähigkeiten als Graphiker gelingt es dem Verfasser, der erstaunlicherweise (zumindest im rein akademischen Sinne) kein einschlägiger Experte ist, anhand detaillierter, ganz hervorragend gestalteter Schaubilder, grundlegende Forschungserkenntnisse – wie zum Beispiel den Aufbau einer „modernen“ Vogelfeder, das Prinzip des Auftriebs oder die uns Säugetiere vor Neid erblassen lassende haushoch überlegene Technik der Vogelatmung – auch dem Laien verständlich zu erklären. Dabei führt Bollen uns überblicksmäßig durch die gesamte paläontologische Wissenschaft. Wie auch der Evolutionsbiologe Richard Dawkins in seinem faszinierenden Buch Gipfel des Unwahrscheinlichen ausführt, sind es nicht zuletzt physikalische Faktoren, in erster Linie das Gewicht, welche die Überwindung der Schwerkraft ermöglichen. So kommt auch Bollen zu dem für uns Menschen wenig schmeichelhaften Schluss, dass eigentlich die Vögel als „Krone der Schöpfung“ zu betrachten wären. Ein faszinierendes, spannendes, wunderschön gestaltetes Buch, an dem naturwissenschaftlich Interessierte große Freude haben dürften. Erich Snobr Pöppelmann, Christa / Goldmann, Melanie: Umweltgerecht einkaufen Berlin: Beuth 2008. 114 S., € 15,30 Schützenfisch & Co. Bollen, Ludger: Der Flug des Archaeopteryx. Auf der Suche nach dem Ursprung der Vögel Wiebelsheim: Quelle & Meyer 2008. 272 S., € 25,70 Nicht so sehr der Titel, sondern vielmehr der Untertitel dieses Buches weist auf die Intention des Verfassers hin. Ludger Bollen Mitarbeiter der Grafikredaktion des deutschen Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“, geht darin dem Rätsel der Vogelwerdung bzw. der Frage nach, wie die Evolution quasi auf die Idee kam, mit einigen ihrer Geschöpfe den Luftraum zu erobern. Er entwirft dabei ein nahezu kriminalistisch anmutendes Szenario, in dem er die Sachbuch Schützenfisch & Co. 52 Bennemann, Markus: Im Fadenkreuz des Schützenfischs Frankfurt: Eichborn 2008. 256 S., € 20,60 Um tierische Mordmethoden der ungewöhnlichen Art, geht es in diesem Buch. Etwa um die südamerikanische Bolaspinne, die ihre Opfer mit dem Parfum fremder Frauen anlockt und sie dann mit einem Lasso fängt. Um den südamerikanischen Schützenfisch, der mit seiner eigenen Spritzpistole jede Grille von Uferpflanzen schießt. Um den griechischen Steinadler, der mit einer ganz eigenen Strategie der unbezwingbaren griechischen Landschildkröte begegnet. Um tierische Mörderbanden, Serienmörder und Psychokiller, um heimliche und sogar um missverstandene Mörder. Dabei ist das Wort „Mord“ wie der Autor zu erkennen gibt, bei Tieren wohl nicht angebracht, handelt es sich doch um Lebewesen, die nicht wie wir Menschen zwischen Gut und Böse unterscheiden. Dennoch sind die in diesem Buch geschilderten Tötungen, so planvoll und mit Bedacht geführt, dass sich das Wort „Mord“ geradezu aufdrängt. Und wenn man – so wie der Autor – etwas großzügiger damit umgeht, ergeben sich die erstaunlichsten Parallelen zur Welt der Kriminalverbrechen. Der Autor, offenkundig ein Darwinist, hat sein Buch nach dem bewährten TäterOpfer-Tatort-Schema aufgebaut. Die Schilderungen sind sachlich und ob des ungewöhnlichen Themas, bisweilen auch faszinierend. Farbabbildungen geben Zeugnis von der Ungewöhnlichkeit der Tötungswerkzeuge. Ein ebenso spannendes wie auch lehrreiches Buch. Gabriele Egger-Malina Kulenkampff, Merle: Alles nur aus Liebe. Mein Leben für die Tiere Wien: Almalthea 2008. 199 S., € 19,90 Merle Kulenkampff – die Tochter von „Kuli“, dem verstorbenen Show- und Quizmasters Hans-Joachim Kulenkampff – erzählt von ihrem Leben mit Tieren und für Tiere. Aufgezeichnet wurden ihre Erinnerungen von der etablierten Journalisten Senta Ziegler. Die Zusammenarbeit der beiden Frauen sorgt für eine leichte und flotte Sprache und gute Lesbarkeit. Merle wuchs in einem wohlhabenden Haushalt auf und hatte immer die Möglichkeit, ihren unkonventionellen Neigungen entsprechend zu leben. Ihre künstlerische Ader lebt sie in der Töpferei und ihre Tierliebe in der ständig wachsenden Menagerie von hilfsbedürftigen Tieren aus. Sie selbst lebst äußerst bedürfnislos, arbeitet körperlich schwer und es mangelt ihr an finanziellem Organisationstalent. Begonnen hat für Merle Kulenkampff alles mit ihrer Liebe zu Pferden und der Reiterei. Heute, nach Jahrzehnten, blickt sie auf eine reiche Erfahrung als engagierte Tierschützerin mit der Hinwendung zu allen Kreaturen, egal ob Haustier, Nutztier oder so genanntem Schädling, zurück. Sie bezeichnet sich selbst als „Animal-Whisperin“. Mit Artenschutz hat ihr Anwesen wenig zu tun; viel hingegen mit der übergroßen, uneigennützigen Tierliebe einer Frau, die sich nicht besonders gut verkaufen kann. Elisabeth Duchkowitsch Soury, Gérard: Wale. Sanfte Riesen der Meere Bielefeld: Delius Klasing 2008. 255 S., € 37,00 Trotz des nicht unbedingt günstigen Preises verdient dieses Buch eine Empfehlung. Es ist in vier Kapitel unterteilt, welche den Bogen von den Anfängen der Wale über die vier „wichtigsten“ Familien mit ihren unterschiedlichen Arten, der schwierigen Beziehung zwischen Wal und Mensch (mit einem etwas kurz geratenen Abriss zur Geschichte des Walfangs) bis hin zu umfangreichen Beobachtungen des Autors und Fotografen Soury an den verschiedensten Plätzen der Welt spannt. Der Stil des vierten, etwas ausufernden Kapitels erinnert an Tagebucheintragungen und ist teilweise zu „reißerisch“ im Ton ausgefallen. Doch für jene LeserInnen, die das Glück hatten, an einem der beschriebenen Orte schon einmal „whalewatchen“ gewesen zu sein, gibt es hervorragend die Gefühle wider, die man bei der Beobachtung eines so beeindruckenden Tieres empfinden kann. Teilweise großartige Farbfotos sind über das ganze Buch hindurch sehr gut in den Text integriert, etliche Karten verweisen auf das genaue Vorkommen der Säugetiere. Ein ausführliches Register (welches auch die lateinischen Bezeichnungen der einzelnen Arten anführt) und Literaturhinweise runden den gelungenen Band ab. Katharina M. Bergmayr Zintz, Klaus: Prima Klima! Umdenken, mitmachen und dabei noch sparen Stuttgart: Kosmos 2008. 189 S., € 15,40 Nach dem Motto: „Kleine Tipps – große Wirkung“ beschreibt der Wirtschaftsjournalist Klaus Zintz, wie man selbst etwas gegen den Klimawandel tun kann. Zwar sind immer mehr Menschen grundsätzlich für die Verminderung des CO2-Ausstoßes und begrüßen entsprechende Gesetze. Hingegen wird die Bereitschaft umso geringer, je konkreter die Maßnahmen werden und je mehr sie eine freiwillige persönliche Einschränkungen verlangen. Die Erörterungen beginnen nach einem historischen Überblick mit dem Kapitel „Energie in Haus und Wohnung” und setzen mit „Richtig heizen heißt Energie sparen” fort. Weitere Abschnitte umfassen die Themen Verkehr, Lebensmittel, das persönliche Klimabudget sowie eine Darstellung der „Energieträger der Zukunft”. Bereits in der Einleitung wird klargelegt: Es gibt einen nachweisbaren, vom Menschen verursachten Klimawandel, dessen Kosten sehr hoch sein werden und dessen Auswirkungen bereits spürbar sind. Mit gekonnt einfach formulierten Erklärungen, die sowohl Sachkompetenz als auch sprachliche Präzision zeigen, werden komplexe Themen von bemerkenswert großer Bandbreite aufbereitet und verständlich gemacht. Das Fazit des Buches: „Taten statt Lippenbekenntnisse auch im eigenen Bereich.“ Beatrix Albrecht-Kammerer SachbuchRein technisch Adler, Almut: Das weibliche Auge. Anders sehen, anders fotografieren München: Addison-Wesley 2008. 287 S., € 30,80 Almut Adler leitet Fotokurse und organisiert Fotoworkshops – viele davon nur für Frauen. Daher kommt auch der sicherlich interessante Ansatz zu diesem Buch, das sich vom Aufbau her auf den ersten Blick gar nicht so sehr von geschlechtsneutralen Fotobüchern unterscheidet. Inhalt und Text aber belehren einen eines Besseren. Als Schwer- und Mittelpunkt wählt die Autorin „Kreative Bildgestaltung“. Es ist nicht entscheidend ob man analog oder digital fotografiert, wichtiger ist, den eigenen Fototyp zu erkennen – dann ergibt sich die Antwort nahezu von selbst. Und: dies wäre auch Männern sehr zu empfehlen. Natürlich bleibt einem auch bei einem Fotokurs für Frauen das Grundlegende der Fotografie nicht erspart: Aufnahmetechnik, Zusammenspiel von Blende und Zeit, Tiefenschärfe etc. In diesem Buch sind diese Dinge aber nicht die beherrschenden Themen. Zentral sind vielmehr Bildaufbau, Licht, Motive, Nachtaufnahmen, also die für kreatives Fotografien wesentlichen Kategorien. Hier gibt es eine Fülle von Anregungen, Tipps und Beispielen. Adlers Buch ist ein anregend gestalteter Fotokurs. Es vermittelt knapp das Wesentliche der Fotografie und gibt den Bildern breiten Raum. Auf jeden Fall macht es Spaß auf Fotografie und vor allem auf unkonventionelle Fotos – und das für Frauen und Männer. Wolfgang Binder Bartel, Raimund: Blogs für alle. Das Weblog-Kompendium Kilchberg: Smart Books 2008. 220 S., € 20,60 Web Logs, also Logbücher im Web, von Web-2.0-Usern kurz und bündig Blogs genannt, sind bereits seit mehreren Jahren „in“. Es wird über alles mögliche, in jeder Situation und in verschiedensten Interessensgruppen, „geblogt“. Und die Zahl der Blogs steigt weiterhin. Bei so viel Auswahl fällt es den Blog-BesucherInnen allerdings schwer, eine passende Auswahl zu treffen. Da die SchreiberInnen von Tagebü- chern beispielsweise möchten, dass ihre „Ergüsse“ auch gelesen werden, gibt der Autor nicht nur eine Anleitung zum richtigen Verfassen der Texte, sondern auch eine Übersicht über die Software (Wordpress oder blogger.com) und eine Erläuterung darüber, auf welche Seite sie gestellt werden und wie sie vernetzt werden müssen, um lesendes Publikum zu bekommen und zu behalten. Auch Begriffe wie Trackback, Feeds, Asides oder Blogrolls bekommen interessierte LeserInnen erklärt. Blogs können aber auch eine Gefahr für ihre VerfasserInnen darstellen. Immer öfters suchen Arbeitgeber nach Daten und Persönlichkeitsmerkmalen ihrer Angestellten oder der StellensucherInnen. Sehr oft werden sie im Internet fündig. Darüber hinaus gibt es Firmen, die sich auf die entsprechende Internetrecherche spezialisiert haben und den Unternehmen ihre Dienste anbieten – ein lukratives Geschäft. Deshalb sollte man mit den Informationen, die man via Internet über sich preisgibt, sehr vorsichtig sein. Blogs für alle ein leicht zu lesendes, verständliches und übersichtliches Buch. Andreas Schleif Caplin, Steve: Fotomontagen mit Photoshop CS3 Aus dem Englischen übers. Heidelberg: Spektrum 2008. 408 S. + 1 DVD-ROM, € 20,60 Was macht Humphrey Bogart am Cover eines Photoshop Ratgebers? Dreht man das Buch um, bekommt man die Antwort: Als Übungsbeispiel steht der Leinwandstar leider nicht zu Verfügung, doch werden an angegebener Stelle im Buch die bei der Bildbearbeitung verwendeten Techniken kurz vorgestellt. In Steve Caplins Handbuch erfahren kreative BenutzerInnen Tipps und Tricks, die das Arbeiten mit dem Programm erleichtern und interessanter machen. Die Arbeitsgänge sind jeweils auf einer Doppelseite abgebildet. Am rechten Seitenrand findet man zusätzliche Tipps wie z. B. die verwendeten Tastaturkürzel zu MAC und WIN oder Symbole wie die Filmrolle, welche auf eine Quick-Time-Filmsequenz auf der beiliegenden DVD hinweist. Am Ende des Buches gibt es Aufgaben, mit de- 53 nen man das zuvor Erlernte überprüfen kann. Dass sich dieses Handbuch, wie vom Herausgeber behauptet wird, an Einsteiger und ambitionierte AmateurfotografInnen richtet, ist allerdings zu relativieren. Bereits in den ersten vier Kapiteln, in denen unabdingbare Grundkenntnisse vermittelt werden, werden Vorkenntnisse vorausgesetzt, deren Fehlen es reinen EinsteigerInnen mühsam und demotivierend machen dürfte, mit diesem Buch zu arbeiten. Erika Fröschl Jeni, Kurt: Umbauen, Anbauen, Aufstocken. Zeitlos, modern, individuell Taunusstein: Blottner 2008. 125 S., € 40,90 Kurt Jenis Buch ist keine Heimwerkeranleitung, sondern eine Beispielsammlung gelungener Renovierungsarbeiten. Anhand von 25 Beispielen zeigt der Autor, was man mit alten Häusern alles anstellen kann, um sie einem zeitgemäßen Standard anzupassen und dass es sich durchaus lohnt, alte Bausubstanz zu retten, anstatt die Objekte einfach abzureißen. Die Beispielhäuser sind aus verschiedenen Baujahren: von richtig alt bis zu 70er-Jahre-Bauten des jüngst vergangenen Jahrhunderts. Einleitend werden jeweils kurz die Geschichte des Bauwerks und seiner neuen BesitzerInnen geschildert, Mängel und/ oder Vorteile des Hauses aufgelistet und die Renovierungshistorie erzählt. Mit exakten Grundrissen und anschaulichen Vorher-Nachher-Fotos werden die Umbauten bestens dokumentiert. Meistens sind es umfassende Arbeiten, welche die alten Häuser neu erblühen lassen: ein Stockwerk dazu, ein halbes Haus in Glas vorne dran, fast vollständiges Entfernen der alten Innenmauern etc. Das Resultat sind helle, großzügige, sonnendurchflutete Wohnräume. Die manchmal sehr beachtlichen Gesamtkosten für die Renovierungsarbeiten werden nicht verschwiegen. Doch es gibt viele Tipps für Finanzierungshilfen (die leider auf Deutschland beschränkt sind), Materialien und Vorgangsweisen. Wer mit dem Gedanken liebäugelt, ein altes Haus zu kaufen und Anregungen für den Umbau sucht, ist hier bestens beraten. Susanne Kurz Sachbuch Rein technisch 54 Langford, Michael / Andrews, Philip: Fotografie für Einsteiger Heidelberg: Spektrum 2008. 385 S., € 30,80 Michael Langford hat sich bis zu seinem Tod im Jahr 2000 immer der Gesamtheit der Fotografie verschrieben und würde auch heute keine Trennung zwischen analoger und digitaler Fotografie zulassen. Oft scheint es, als wäre die Fotografie mit der digitalen Fotografie neu erfunden worden – dem ist natürlich nicht so. Fotografie für Einsteiger ist wohl das umfassendste Buch zum Thema Fotografie und gleichzeitig auch für Amateure leicht lesbar. Langford und Andrews befassen sich mit allem, was für gute Fotos notwendig ist. Das „fotografische Sehen“, die wichtigste Fertigkeit aller guten FotografInnen, ist bei Langford das zentrale Thema. Von hier aus geht er erst weiter zu Bildaufbau und -komposition, zu Licht und Farbe, ehe der technische Teil beginnt, der auch keine Wünsche offen lässt. Neben der Arbeit am PC mit Bildbearbeitungsprogrammen – inklusive Scannen, Drucken und Präsentieren – erörtert das Buch in Form eines guten Überblicks auch die analoge Dunkelkammertechnik. In seinem kompakten und gleichzeitig umfassenden Ansatz ist Fotografie für Einsteiger wohl das zur Zeit beste FotografieBuch, das auch nicht so rasch altern wird. Wolfgang Binder Mies, Daniel: Webseiten erstellen für Einsteiger. Einführung in HTML, CSS, Suchmaschinenoptimierung und jQuery Berlin: Galileo Press 2008. 354 S. + 1 CDROM, € 20,50 Das Ziel der perfekten Erstellung eigener Webseiten vor Augen, gliedert der Autor sein Buch in drei große Abschnitte. Teil eins vermittelt dem Einsteiger die nötigen Grundlagen von HTML und CSS. Im zweiten und größten Kapitel wird der Praxisteil in Angriff genommen: HTML-Strukturen, CSS-Gestaltung, jQuery-Animation, letzte Schliffe bei der Seitengestaltung und, last but not least: die Optimierung für Suchmaschinen, ohne welche die Seite von den wenigsten Internet-Usern gefunden wird. Nach dem learning-by-doing-Prinzip kann man die erworbenen Fähigkeiten auch sofort auszuprobieren. Daniel Mies’ unterscheidet sich in einigen Punkten von der Unzahl ähnlicher Einsteiger-Bücher. In flüssiger Sprache verfasst und aufgelockert durch Screenshots, kommt der Autor den AnfängerInnen ungewöhnlich leicht verständlich entgegen. Einen besonderen Touch erhält das Ganze durch die netten cartoonartigen Illustrationen von „Jojo“ Kretschmar. Andreas Schleif Obermayr, Karl: Adobe Camera Raw. Raw Daten entwickeln Poing: Franzis 2008. 153 S., € 20,50 Wer mit dem Wort RAW-Format etwas anfangen kann oder sogar in diesem Format fotografiert, weiß, dass Fotografie mehr ist als Urlaubsbilder knipsen. Das RAW-Format ist die Königsklasse der digitalen Fotografie, daher bieten die einfachen Kompaktkameras dieses Format gar nicht an. Im RAW-Format werden die Rohdaten des Bildes gespeichert und lassen nun jede weitere Verarbeitung am PC zu. Der Nachteil darf allerdings auch nicht verschwiegen werden: Das RAW-Format generiert sehr große Dateien und verlangt ein profundes Wissen über Fotografie und Bildbearbeitung. Karl Obermayr, bekannt als Autor eini- ger Foto- und PC-Bücher, befasst sich in diesem Buch mit dem Adobe Camera Raw, dem kleinen Bruder von Photoshop. Sein Buch bietet eine leicht fassbare Anleitung zu Import und Bearbeitung eines Formats, dessen Handhabung letztlich jedoch Minderheitenprogramm bleiben wird. Wolfgang Binder Spona, Helma: Digitale Makrofotografie Heidelberg: mitp 2008. 223 S., € 36,00 Edition ProfiFoto Egal über welches Equipment man verfügt, irgendwann wird jede/jeder einmal versuchen, eine Blüte oder eine Biene so nah und so groß wie möglich aufzunehmen. Bei vielen wird dann ein Hobby daraus und sie verfallen der Makrofotografie. Sponas Buch trägt dem Rechnung, ist jedoch ein Fachbuch für Profis oder solche, die es werden wollen. Es ist ein gut gestaltetes Kompendium, das von Beginn an voll in die Materie reingeht und gute Kenntnisse in Kameratechnik und Fotografie verlangt. Ambitionierte FotografInnen dürften allerdings die reinste Freude haben, wenn seitenlang in Schärfentiefeproblemen geschwelgt oder den Vorzügen von Telekonvertern gegangen wird. Wolfgang Binder Männer & Frauen Holler, Christiane: Die kleine Liebesapotheke Wien: Orac 2008. 160 S., € 16,90 Der Anfang, die Gewöhnungsphase, der Alltag – alle Stadien der Liebe, egal ob von diesen oder jenen Gefühlen begleitet, bereiten Probleme. Und „Holly Holunder“ hilft: Die E-Mails oder Leserbriefe, die sie täglich bekommt, zeugen eindeutig vom Bedürfnis nach dem Rat einer Expertin. Was diese nun so rät, ist beispielsweise: sich wieder abzukühlen und klar denkend an die Sache heranzugehen; entweder jetzt zuzugreifen oder alt zu werden und immer daran zu denken, was gewesen wäre, wenn ... Die Autorin bringt Klarheit in das Wirr- warr der Gefühle – sei es einen neuen Anfang zu machen, etwas zu ändern oder etwas zu beenden, um in jedem Fall über die schmerzliche Zeit hinwegzukommen. Zwischen Problem-Aufzeichnungen ihrer SchreiberInnen lässt Holler ihren eigenen Gedanken freien Lauf – beispielsweise über die praktischen Lebenseinstellungen, mit denen es sich nicht immer einfach, letztlich aber ganz gut leben lässt. Oder: die eigenen Erwartungen etwas runterschrauben … und es geht schon wieder! Die kleine Liebesapotheke ist ein heterer „Lebensratgeber“ in Liebesdingen, kurz und prägnant in seinen Vorschlägen, die zwar nicht immer gut ankommen, aber doch menschlich und verständlich sind. Ursula Steinermann Sachbuch Männer & Frauen Hollstein, Walter: Was vom Manne übrig blieb Berlin: Aufbau 2008. 304 S., € 20,60 Die Umschlaggestaltung von Andreas Heilmann, die einen strammen Gockel darstellt, täuscht: Nicht ironisch, sondern todernst geht Walter Hollstein sein Thema an. Es lautet: Männlichkeit in der Krise und Feindinnen ringsum. Ausnahmen bestätigen die Regel. Feministische Ideologie, im deutschsprachigen Raum vor allem durch die angeblich männerhassende Gottseibeiuns Alice Schwarzer repräsentiert, hat auf allen Ebenen gesiegt – und was ist dabei herausgekommen? Gedemütigt durch erzwungenes Sitzpinkeln, mutieren Buben unweigerlich zu glatzköpfigen Neonazis; die Kultur der Männer, die laut Hollstein gegen die Natur der Frauen entstanden ist, versumpft in ebendieser. 115 männliche Totgeburten kommen auf nur 100 weibliche, auch der 55 plötzliche Kindstod ist dank des Sieges des Feminismus mehr Männer- denn Frauensache. Und schauen wir uns erst die unterschiedlichen Lebenserwartungen an ... Aber Unversöhnlichkeit ist Walter Hollsteins Sache nicht: Ohne Frauen geht halt nichts weiter, es braucht allerdings, um sich den Frauen wieder annähern zu können – und zwar ohne Angst, von diesen verschlungen, zerstückelt oder um die männliche Identität gebracht zu werden – wieder ausgewiesene männliche Initiationsriten als Grundbedingung. Von Frauenwitzen gepeinigt, gelangt Hollstein zum Befund bzw. lässt er befinden (denn seine Literaturliste ist elendslang), dass feministische Ideologie ursächlich für den Anstieg pädophiler Neigungen bei Männern verantwortlich ist. In seiner Literaturliste fehlt anstandshalber Eva Hermans „Eva-Prinzip“ – wie auch in seiner Auflistung weiblicher Schreckgestalten Maggie Thatcher nicht vorkommt. Kreutzer, Mary / Milborn, Corinna: Ware Frau. Auf den Spuren moderner Sklaverei von Afrika nach Europa Salzburg: Ecowin 2008. 234 S., € 20,50 Ein heikles Thema: Frauenhandel und all seine Konsequenzen wie sexueller Missbrauch, Prostitution, Korruption, menschenverachtende Gesetze und Missachtung von Menschenrechten. Der Schwerpunkt von Ware Frau liegt auf Frauenhandel zwischen dem afrikanischen Kontinent und Europa. Die Recherchen führten Kreutzer und Milborn nach Nigeria und brachten sie mit Opfern des Frauenhandels in Kontakt. Anhand von Interviews mit den Betroffenen wird das Thema von verschiedenen Seiten beleuchtet. So geht es in einem Kapitel um die Situation im Heimatland, die junge Frauen zu leichter Beute von Frauhändlern macht beziehungsweise ihnen keine andere Wahl lässt, als sich auf den Weg in eine scheinbar bessere Zukunft zu machen. Das Netz der Menschenhändler ist kompliziert verwoben und nicht immer eindeutig. Die Frauen sind durch viele Zwänge an ihre Peiniger gebunden und müssen fürchten, dass ein Verrat zu Lasten ihrer Familien in der Heimat geht. Die ZuhälterInnen sind meist Frauen, die Madames, bei denen die Frauen ihre Schulden für den Weg nach Europa abbezahlen müssen. Sehr bedenklich ist das Kapitel über die Mitschuld der Politik und der Behörden in Europa, wie das österreichische Beispiel des Visahandels zeigt. Die Polizei erweist sich selten als hilfreich für die Opfer, wenn nicht sogar als Gefahr. Die häufigste Konsequenz eines Kontaktes der Opfer mit den Behörden ist eine Abschiebung. Auch der Umgang mit Prostitution in unserer patriarchalisch geprägten Gesellschaft ist ein Nährboden für Frauenhandel. Ein erschütterndes, aber wichtiges Buch, das das Problem anschaulich darstellt und begreiflich macht. Verena Brunner Dem brisanten Thema Sorgerecht nach Ehescheidungen, sowie der Tatsache, dass Frauen in der Regel noch immer weniger Geld für gleichwertige Arbeit bekommen, wird vergleichsweise wenig Raum gegeben. Alles in allem aber ist das Buch ein interessantes Zeitdokument zum Zustand verunsicherter, völlig aus dem Lot geratener Akademiker zu Beginn des 21. Jahrhunderts zu tun. Rudi Hieblinger Saillo, Ouarda: Die Spur der Tränen. Mein Leben in der Fremde Bergisch Gladbach: Lübbe 2008. 333 S., € 18.50 In ihrem ersten Buch Tränenmond verfasste die Marokkanerin Ouardo Saillo eine vielbeachtete Biografie über ihre trostlose Kindheit, in der ihr Vater die Mutter ermordete, und über die schrecklichen Jahre bei Verwandten, von denen sie grausam misshandelt wurde. Der zweite Teil setzt nun dort an, wo sie als junge Frau einen wesentlich älteren Mann, Walter, kennenlernte, der sie mit nach Deutschland nehmen sollte. Walter entpuppt sich als Glücksgriff: Er bringt ihr Deutsch bei, kauft ihr neue Kleider und heiratet sie. Als er sie jedoch immer mehr als seinen Besitz betrachtet, trennt sie sich von ihm. Schnell lernt sie einen neuen Mann kennen und als es Schwierigkeiten mit dem Aufenthaltsrecht gibt, bekommt sie ein Kind und kann damit nicht mehr abgeschoben werden. Nach dem Tod ihres Vaters fährt Saillo wieder in ihre Heimat, wo sie die verhassten Verwandten wiedersieht. Diese Reise wird zum innerlichen Abschied von Marokko und der streng islamischen Welt. Im folgenden Teil beschreibt Saillo vor allem die unerträglichen Umstände unter denen Frauen in Marokko leben müssen: Vergewaltigungen und Vertreibungen sind alltäglich, bestraft werden in dieser streng patriachalen Gesellschaft die Opfer und nicht die Täter. Kinder, die als Hausangestellte arbeiten, sind der Willkür und Mädchen massiver sexueller Gewalt ausgeliefert. Die Autorin gründete mit den Geldern von Tränenmond und Spendeneinnahmen einen Verein, der ein Frauenhaus betreibt und Mädchen in verzweifelten Lagen hilft. Birgit Hartl-Klasna Sachbuch Rein technisch 56 Zschirnt, Christiane: Wir Schönheits-Junkies. Plädoyer für eine gelassene Weiblichkeit München: Goldmann 2008. 255 S., € 18,50 Christiane Zschirnt wendet sich, nach etlichen Publikationen zu literarischen Themen, nun einem Gegenstand zu, welcher sie offensichtlich auch selbst sehr beschäftigt. Ihrem wissenschaftlichen Recherchezugang zum Trotz legt sie ein Sachbuch vor, in dem die Ich-Form dominiert, ihre Familie und ihr Freundeskreis so eine große Rolle spielen, dass sie neben der kriti- schen Beurteilung der Attraktivitätsforschung und Feynmanns Begriff der „CargoCult-Wissenschaft“ stehen. Um zu ihrem „Plädoyer für eine gelassene Weiblichkeit“ zu gelangen, benötigt die Autorin sieben Kapitel – von „Emanzipation“ über „Sexy“ und „Dünn“ bis zu „Älter“. Historische Daten, Untersuchungen, Fallbeispiele, persönliche Erfahrungen, Beispiele aus Werbung, Film und Printmedien werden präsentiert und kritisch hinterfragt. Typische Auswüchse der Schönheits-Welle bzw. des Schönheits-Wahns“ – Magersucht, Schönheitsoperationen bei einer im- mer jüngeren Klientel (und zunehmend auch Männern), das Ideal der ewigen Jugendlichkeit und Sexyness – stehen hinter dem fragwürdigen Bild der perfekten Frau. Das Versprechen des Klappentextes, Möglichkeiten zur Befreiung von der Tyrannei dieses falschen Schönheitsbegriffs zu zeigen, löst das Buch nicht ein. Wohl aber enthält es weniger werbewirksame und auch nicht gerade neue, deswegen aber um nichts weniger aufschlussreiche Informationen über den relativen und wandelbaren Begriff „Schönheit“. Elisabeth Duchkowitsch Fellner, Sabine / Unterreiner, Katrin: Morphium, Cannabis und Cocain. Medizin und Rezepte des Kaiserhauses Lauveng, Arnhild: Morgen bin ich ein Löwe. Wie ich die Schizophrenie besiegte Wien: Amalthea 2008. 192 S., € 19,90 Aus dem Norwegischen übers. München: btb 2008. 221 S., 18,50 € Gesund? Ehgartner, Bert: Lob der Krankheit Bergisch Gladbach: Lübbe 2008. 382 S., € 17,50 Bert Ehgartner zeigt die Manipulation der Pharmaindustrie auf, die mit Hilfe von Medienkampagnen zu Massenpanik vor Masern und ähnlichen Krankheiten in der Bevölkerung führt. Ziel der Industrie ist eine erhöhte Impfbereitschaft und die daraus folgende Gewinnoptimierung. Durch das Verhindern von Kinderkrankheiten wird dem Immunsystem die Möglichkeit genommen, mit diversen Erregern fertig zu werden. Die steigende Häufigkeit von Allergien, chronischen Erkrankungen und auch Krebs sind laut wissenschaftlichen Untersuchungen auf die intensive Anwendung von Antibiotika und Impfstoffen zurückzuführen. Der Autor plädiert für einen vernünftigen Umgang mit Krankheiten: Fieber zulassen, statt fiebersenkende Mittel verwenden, Kontakte mit anderen Kindern und Tieren zulassen. Es werden auch Informationen zu Infektionskrankheiten, wie Pocken, Polio, Windpocken, Masern usw. gegeben und die Vor- und Nachteile von Massenimpfungen unter die Lupe genommen. Hinter dem etwas provozierenden Buchtitel verbergen sich eine seriöse Impfkritik und plausible Überlegungen zu den Auswirkungen der Unterdrückung von Krankheiten. Ehgartner gelingt es, komplizierte Zusammenhänge kritisch zu hinterfragen, gut verständlich darzustellen und Eltern brauchbare Ratschläge zu erteilen. Gabriela Wieri Schon wieder ein Buch über die Habsburger, möchte man seufzen. Sabine Fellner dient das Kaiserhaus allerdings nur als Aufhänger, um einen allgemeinen Einblick in die damaligen gesundheitlichen, hygienischen und medizinischen Verhältnisse sowie Moralvorstellungen zu geben. Zunächst führen die Autorinnen in die Gesellschaftsverhältnisse um 1900 ein und erörtern den fragwürdigen Umgang mit Sexualität und den daraus resultierenden gesundheitlichen Problemen. Danach illustrieren sie anhand von fünf Personen des Kaiserhauses und deren jeweiligen Leiden bestimmte Krankheiten sowie die Versuche, sie (unter anderem mit Wirkstoffen, die heute als Drogen gelten) medizinisch zu behandeln und (vielleicht sogar) zu heilen. Am Ende der einzelnen Kapitel findet man detaillierte Aufstellungen der Rezepte. Das Buch beinhaltet viele Zitate aus zeitgenössischen Quellen, was das Lesen kurzweilig und abwechslungsreich macht. Die Sprache der Autorinnen ist einfach, verständlich und ohne termini technici, ohne zu einer oberflächlichen Betrachtung des spannenden Gegenstands zu führen. Warum sachlich wichtige Grundlagen wie die im Glossar detailliert besprochenen Krankheiten und Medikamente bzw. Drogen nicht direkt in den Text eingearbeitet wurden, bleibt allerdings unklar. Sonja Rabl Noch vor dem Inhaltsverzeichnis werden die LeserInnen mit einem beeindruckenden Gedicht der Autorin konfrontiert, das dem Buch offensichtlich den Titel gab. Es endet mit dem Satz: „Früher verbrachte ich meine Tage als Schaf. Aber morgen bin ich ein Löwe.“ Arnhild Lauveng war früher selbst schizophren, und da Betroffene immer wieder zu hören bekommen, dass diese Krankheit unheilbar ist und man lernen muss, damit zu leben, möchte sie aufzeigen, dass das nicht stimmen muss. In drei großen Abschnitten erzählt sie über ihr Leben mit der Schizophrenie und deren Heilung. Anfangs waren es „nur“ Sinnestäuschungen, dann wurde sie immer „verwirrter“, hatte Angst, nicht zu existieren, dass die Gedanken in ihrem Kopf nicht ihre eigenen wären. Später waren da auch noch die bedrohlichen Wölfe, die nur sie sah, und der Kapitän in ihrem Kopf, der ihr Befehle gab, ihr vorschrieb, wie viel sie zu essen und zu schlafen hätte und ihr auch immer öfter befahl, sich selbst zu verletzen. Lauveng beschreibt weiters die Aufenthalte in verschiedenen Anstalten und schließlich ihren Weg zur Genesung. Ein ungewöhnliche und aufschlussreiche Autobiographie – locker, flüssig und in leicht verständlicher Sprache geschrieben. Eva-Maria Baumgartner Sachbuch Gesund? Tallack, Peter: Wie ein Baby entsteht Aus dem amerikan. Englisch übers. München: Nymphenburger 2008. 159 S., € 25,60 Neu ist die Idee ja nicht, den Schwangerschaftsverlauf sozusagen aus dem Inneren der Gebärmutter zu dokumentieren. Doch der Wissenschaftsjournalist Peter Tallack 57 fährt in seinem Buch mit neuem, revolutionärem Bildmaterial auf. Anhand von lebensnahen Wachsmodellen, 3-D-Ultraschallbildern sowie computergenerierten Illustrationen lässt er die LeserInnen an der unvergleichlichen Welt in der Gebärmutter teilhaben. Anschaulich schildert er die großen und kleinen Veränderungen, die der Körper des Fetus durchläuft. Wie ein Baby entsteht basiert auf einer TV-Dokumentation, die mit großem Erfolg in den USA und in Großbritannien ausgestrahlt wurde. Begleitet werden die unvergleichlichen Bilder von fundierten Textpassagen. Die wissenschaftlichen Informationen sind auf dem neuesten Stand, die Texte, für Laien aber problemlos zu verstehen. Bettina Raab Himmelfahrten Berger, Klaus: Die Urchristen. Gründerjahre einer Weltreligion München: Pattloch 2008. 368 S., € 20,50 Der streitbare und wortgewaltige Theologe Klaus Berger besticht – wie zuletzt mit seinem Buch Jesus – als brillanter Autor, der immer wieder die öffentliche Kontroverse sucht. Die Urchristen ist gewissermaßen die Fortsetzung von Jesus und erörtert die Entstehung der ersten christlichen Gemeinden und damit auch der „Urkirche“. Als „Gründerjahre“ definiert Berger die 50 Jahre bis zum Tod der ersten Generation nach Jesus. Seine Thesen zum „Erfolgmodell“ der Urchristen bieten neben dem theologischen Ansatz auch einen Einblick in die Gesellschaft, in der das Christentum entstand, ausgehend von der Sehnsucht nach einer Leitfigur über die Einstellung zur Rolle der Frau bis hin zum Umgang mit Sklaverei. Berger untermauert seine Überlegungen mit Zitaten aus der Bibel, Ausführungen aus der Kunstgeschichte, Archäologie, Theologie und Soziologie. Obwohl der Verfasser viele Fremdwörter in einer beigefügten Klammer erklärt, stellen seine Gedankengänge doch eine ziemliche Herausforderung dar. LeserInnen mit kirchengeschichtlichem Interesse und theologischem Hintergrundwissen bietet das Werk jedoch eine spanngende Auseinandersetzung mit den Keimzellen der christlichen Kirche. Claudia Barton Kirchmayr, Alfred / Scharmitzer, Dietmar: Opus Dei. Das Irrenhaus Gottes? Klosterneuburg: Va Bene 2008. 256 S., € 19,80 Es wurde bereits viel geschrieben und spekuliert über Opus Dei, der mächtigen katholischen Organisation, die oft mit der Mafia oder einer großen Armee verglichen wird. Selbst ihr Gründer Josemaria Escrivá bezeichnet Opus Dei als Irrenhaus, meint dies aber wohl eher im übertragenen Sinne, wenn er sagt: „Antworte entschieden, dass du Gott für die Ehre dankst, diesem «Irrenhaus» anzugehören.“ Die beiden Autoren versuchen Antworten auf Fragen zu geben, die noch immer unbeantwortet sind: Wozu braucht Opus Dei seine Macht und welcher Geist soll mit seinen Mitteln verbreitet werden? Anders als der Theologe und Psychoanalytiker Kirchmayer war Scharmitzer selbst neun Jahre lang Angehöriger der fundamentalistischen Organisation und konnte sich ihrer nur mühsam entledigen. Das aufrüttelnde Buch beginnt mit einem aufschlussreichen Briefwechsel zwischen Kirchmayr und den Kardinälen König und Schönborn – wobei letzterer ein offenes Gespräch über Opus Dei anscheinend vermieden hat. Darum ist das Buch auch Kardinal Schönborn gewidmet, in der Hoffnung, dass er einem solchen Gespräch doch noch zustimmt. Jacqueline Kebza Bey, Essad: Mohammed. Biographie Köln: Komet 2007. 445 S., € 10,30 Der Titel Mohammed. Biographie ruft bei konservativen LeserInnen vielleicht negative Assoziationen hervor – wird der Islam bzw. seine ins Politische gekehrte Form doch wiederholt für globalen Unfrieden und Terroranschläge verantwortlich gemacht. Tatsächlich führt die Kombination von Religion und Staat allzu oft zu einer gefährlichen Allianz, was das Judentum oder Christentum jedoch gleichermaßen betrifft wie den Islam. Eine Staatsreligion ist per se allerdings immer areligiös. Essad Bey wurde 1905 als Sohn eines jüdischen Unternehmers in Georgien geboren und nahm als Jugendlicher in Berlin, den islamischen Glauben und den arabischen Namen Essad Bey an. Dass Bey den Islam für sich neu entdeckt hat, drückt sich in der Lektüre seiner bereits 1932 erstmals publizierten Biografie über Mohammed aus. Als eifriger Moslem bemüht er sich, das Leben des Propheten detailreich zu schildern. Die Biografie trägt romanhafte Züge, wie man sie eher aus heutigen Werken dieser Art kennt. Der damalige Erfolg des Buches verdankt sich der Offenheit des Autors und zugleich der weitgehenden Unwissenheit damaligen Leserschaft. Der erzählerische Duktus, der im Rückblick ungewöhnlich erscheinen mag, erlaubt es dem Autor, eine Art von Kulturgeschichte zu entfalten, die auch für unsere gegenwärtige Betrachtung des Islam höchst relevante Themen zum Gegenstand hat, auch wenn Beys Darstellungen manchmal überholt und überzogen erscheinen. Abhilfe schafft hier die Barbara Frischmuth, die als gelernte Orientalistin das Vorwort verfasst hat und auf die Aktualität des Themas fokussiert. Andreas Agreiter