Indigene Völker in Lateinamerika
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Indigene Völker in Lateinamerika
Ch@t der Welten Indigene Völker in Lateinamerika Hintergründe – Fakten Anregungen für den Unterricht Impressum Herausgeber: Internationale Weiterbildung und Entwicklung InWEnt gGmbH Regionales Zentrum NRW Wallstraße 30 40213 Düsseldorf www.inwent.org Verantwortlich: Karin Kopshoff-Müller Regionales Zentrum NRW Fon: 0211 8689165 Fax: 0211 8689151 E-Mail : Karin.Kopshoff@inwent.org Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH Dag-Hammerskjöld-Weg 1-5 Postfach 5180 65726 Eschborn www.gtz.de Silke Spohn, OE2120 Koordinationsstelle Indigene Völker in Lateinamerika und der Karibik (KIVLAK) Fon: 06196 796215 Fax: 06196 797257 E-Mail : Silke.Spohn@gtz.de Redaktion: Heidi Feldt, Karin Kopshoff-Müller, Silke Spohn Autorinnen und Autor: Heidi Feldt, Kapitel 1, 2, 3, 6, 7, Zusammenstellung der Arbeitsmaterialien Dr. Sabine Speiser, 2, 3, 4.1, 4.2, 4.4, 5, 8, 9, 10 Dr. Birgitta Huse, 11, 12, 13 Dr. Volker von Bremen 4.3, 7.5 Dr. Ludgera Klemp 5.3 Gestaltung: spartacom:düsseldorf Druck: Printart, Bochum Auflage: 1500 Exemplare Dezember 2005 ISBN 3-937235-85-X Gefördert aus Mitteln des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) Der Inhalt dieser Publikation gibt nicht unbedingt die Meinung der InWEnt – Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH und der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH wieder. Vorwort Indigene Völker in Lateinamerika Wenn wir in Europa an Indianer denken, haben wir meist die Zeit des „Wilden Westens“ in Nordamerika im Kopf. Wir denken auch an eine andere Lebenswelt, eine andere Kultur und an eine Naturverbundenheit, die unsere Zivilisation nicht mehr hat. Der Begriff „Indianer“ löst bei vielen von uns eine besondere Faszination und vielleicht sogar Sehnsucht aus. Tatsächlich leben Indigene auf allen Kontinenten der Welt. Allein in Lateinamerika gibt es mehr als 400 indigene Völker und weltweit 300 Millionen Menschen, die diesen Bevölkerungsgruppen angehören. Bekannte Völker sind die Sioux in den USA, die Aborigines in Australien, die Maori in Neuseeland, die Maya in Guatemala und Mexiko, die Quechua und Aymara in den Andenländern Südamerikas, die Inuit in Grönland und Kanada, und die Saamen in Norwegen, Schweden und Finnland. Meist wissen wir wenig von diesen Menschen. Wer sind sie? Wo und wie leben sie? Das vorliegende Buch befasst sich mit den indigenen Völkern Lateinamerikas und soll uns Antworten auf viele offene Fragen nach ihrer Geschichte, Kultur und Lebensweise geben. Vor allem ihre heutige politische, wirtschaftliche und soziale Lage haben wir ausführlich dargestellt. Wir wollen damit Verständnis wecken für uns völlig fremde Kulturen, die voller Geschichte, Erfahrungen und Geheimnisse stecken. Aber auch die Bedrohung der Indigenen und die Zerstörung ihrer Lebensgrundlagen werden von der „Entdeckung“ bis in die heutige Zeit thematisiert. Das Thema indigene Völker wurde mit finanzieller Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaft- Karin Kopshoff-Müller Regionales Zentrum Nordrhein-Westfalen Internationale Weiterbildung und Entwicklung (InWEnt) gGmbH liche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) gemeinsam von InWEnt, Regionales Zentrum Nordrhein-Westfalen (NRW) und der Koordinationsstelle Indigene Völker in Lateinamerika und der Karibik (KIVLAK) der Deutschen Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH erstellt. Die Materialien sind auch auf der Internetseite des Schulprojektes „Ch@t der Welten“ eingestellt, das von InWEnt gGmbH in Kooperation mit dem Landesinstitut für Schule NRW und Klima-Bündnis e. V. initiiert und von der Deutschen Bundesstiftung Umwelt und der Nordrhein-Westfälischen Stiftung für Umwelt und Entwicklung finanziell unterstützt wurde. Nähere Informationen zum „Ch@t der Welten“ finden Sie im Anhang und unter www.chatderwelten.de. Unser Dank gilt dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) für die Förderung des Projektes, Heidi Feldt für dessen Realisierung, den Autorinnen und Autoren des Buches für ihre Beiträge, dem Landesinstitut für Schule NRW und dem Klima-Bündnis für ihre Kooperation, Lioba Rossbach-de Olmos, Christina Adam, Joachim Möller und Dr. Raimund Schramm für ihre Anregungen, den Fotografen und Projektleitern für die zur Verfügung gestellten Materialien und natürlich allen Lehrerinnen und Lehrern, Schülerinnen und Schülern, die dieses Buch für ihren Unterricht nutzen. Wir wünschen viel Freude bei dieser Lektüre und dem Kennen lernen der indigenen Völker in Lateinamerika und ihrer kulturellen Vielfalt. Silke Spohn Koordinationsstelle Indigene Völker in Lateinamerika und der Karibik (KIVLAK) Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit (GTZ) GmbH 3 Inhalt Indigene Völker in Lateinamerika Hintergründe – Fakten Anregungen für den Unterricht 1. 2. Indigene Völker im Unterricht . . . . . . . . . . . . . 5 Wer sind die indigenen Völker Lateinamerikas? . . . . . . . . . . 7 2.1. Indigene Völker – weltweit . . . . . . . . . . . . . . . . 7 2.2. Indigene Völker in Lateinamerika . . . . . . . . . . . 8 2.3. Wer sind indigene Völker? – die schwierige Frage der Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9 8. 8.1. Indigene Weltanschauung und Kultur . . . . . . 84 Christentum und die Verschmelzung der Religionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 8.2. Gesundheit und Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . 85 8.3. Tanz und Musik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 8.4. Kunsthandwerk . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 9. 3. 3.1. 3.2. 3.3. Geschichte der indigenen Völker Lateinamerikas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Mesoamerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 Südamerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 Zeittafel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 4. Zusammenleben und soziale Strukturen bei indigenen Völkern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4.1. Wer gehört dazu? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 4.2. Soziale Organisation im Wandel . . . . . . . . . . . 31 4.3. Kindheit und Jugend . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 34 4.4. Männer und Frauen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 5. 5.1. 5.2. 5.3. Indigene Organisationen . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 Lokale soziale Strukturen und politisch aktive Organisationen . . . . . . . . 48 Indigene Frauenorganisationen . . . . . . . . . . . 48 Frauen fordern ihre Rechte als Indígenas und Staatsbürgerinnen am Beispiel Guatemalas . . 49 6. 6.1. Rechte indigener Völker . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 Internationales Recht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 7. 7.1. 7.2. 7.3. 7.4. 7.5. Indigene Wirtschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 Beispiele indigener Wirtschaftsweisen . . . . . . 70 Die Amazonasregion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 71 Der Andenraum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Die Mapuche in Chile . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 72 Die Globalisierung und die indigenen Völker – Am Beispiel des Gran Chaco . . . . . . 77 4 9.1. 9.2. 9.3. 9.4. 9.5. 9.6. 10. 11. Sprache und Kultur – eine komplexe Beziehung . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Was ist Sprache? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 89 Sprache als Ausdruck des Denkens . . . . . . . . 89 Sprachpolitik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 Ein Volk – eine Sprache – eine Kultur? . . . . . 90 Orale Tradition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91 Interkulturelle zweisprachige Bildung in Grundschulen . . . . . . . . . . . . . . . . 92 Natur und das Verhältnis des Menschen zu ihr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 Kleidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 12. Ernährung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 12.1. „Vom Boden in den Mund“ – Ernährung im indigenen Lateinamerika . . . . . . . . . . . . . 107 12.2. Mais . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 12.3. Die Schöpfung der Menschen . . . . . . . . . . . . . 111 13. Migration . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 13.1. Was ist Migration? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 113 13.2. Migration in Mexiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 Anhang 1 Ch@t der Welten 2 Service 3 Glossar 4 Autoren 5 Fotonachweis Einleitung 1. Indigene Völker im Unterricht Mit dem vorliegenden Band bieten wir Ihnen umfassende Informationen zur Situation indigener Völker in Lateinamerika sowie Arbeitsmaterialien, Quellentexte und Anregungen für den Unterricht. Damit Sie die Texte leichter zuordnen können, sind Anregungen und Aufgaben für den Unterricht grau unterlegt und Arbeitsmaterialien als solche gekennzeichnet. Neben diesen schriftlichen Informationen ermöglichen InWEnt und die GTZ den Schülerinnen und Schülern über das Projekt „Ch@t der Welten“ mit indigenen Gesprächspartnern aus den unterschiedlichen Regionen Lateinamerikas via Internet direkt in Kontakt zu treten. Dies erlaubt eine vielseitigere und authentischere Gestaltung des Themas im Unterricht als es allein durch Materialien möglich wäre. Geographie Völker und Kulturen (Sek I) Raumstrukturen und raumwirksame Prozesse von natürlichen Systemen und Eingriffe von Menschen, im Spannungsfeld von Aktionen und Konflikten sozialer Gruppen, Staaten und Kulturgemeinschaften (Sek II) Politik und Wirtschaft (Sek I) die Nord-Süd-Frage Umweltfrage Geschichte Geschichte Lateinamerikas Religion/Philosophie Gemeinschaft in der Welt im Spiegel von Religionen und Kulturen, Lebenswelten: Wahrung der Menschenrechte, Wahrung und Förderung kultureller Identitäten (Gesamtschule Sek I) Natürlich eignet sich das Thema indigene Völker Lateinamerikas für den Einsatz im Spanischunterricht (Sek II). Arbeitsmaterialien und Originaltexte in spanischer Sprache sind unter www.chatderwelten.de Konkret können sie mit Mitarbeitern der Entwicklungs- eingestellt. zusammenarbeit, die in den Projekten arbeiten, sowie mit Repräsentantinnen und Repräsentanten indigener Stellenwert des Themas Völker aus Guatemala, Panama, Peru und Ecuador per Das Thema erlaubt ein selbstbestimmtes und kooperatives Lernen der Schülerinnen und Schüler. Durch Internet kommunizieren. die Auseinandersetzung mit einem komplexen Thema und dem unmittelbaren Kontakt zu den unterschiedIn den vorliegenden Materialien werden folgende lichen Interessengruppen erlaubt es authentisches Themenkomplexe aufgegriffen: Lernen und fördert eine grenzüberschreitende und Geschichte der indigenen Völker Lateinamerikas authentische Kommunikation. Es unterstützt somit Ihre heutige Situation interkulturelle Lernprozesse. Ihre Religion und Weltbild Nachhaltige Entwicklung und das Verhältnis Der Kontakt mit Vertreterinnen und Vertretern indigener Völker zu ihrer Umwelt indigener Völker aus Lateinamerika fördert die MehrDie Globalisierung und ihre Auswirkungen sprachigkeit, da die Kommunikation überwiegend in auf indigene Völker Spanisch durchgeführt wird. Rechte indigener Völker und Menschenrechte Sozialstrukturen indigener Völker Durch die eigenständigen Rechercheaufgaben zu den Themen im Internet aber vor allem durch die notwenDie Zielgruppe sind Schülerinnen und Schüler der dige Unterscheidung zwischen wichtigen und unwichSekundarstufen I und II. tigen, seriösen und unseriösen Informationen und die Die Materialien eigenen sich für den Einsatz in Verarbeitung von einer Informationsvielfalt wird die Sozialwissenschaften Globalisierung und ihre Auswirkungen, Gesellschafts- Medienkompetenz der Schülerinnen und Schüler strukturen und sozialer Wandel, nachhaltige Entwicklung erhöht. 5 Einleitung Lernchancen des Themas Das Thema ermöglicht: Perspektivenwechsel / Empathie Erkennen von Zusammenhängen aus verschiedenen Sachbereichen Fördert die Meinungsbildung und das Einordnen von Informationen Konfliktanalyse, ermöglicht das Durchspielen von Problemlösungsstrategien z.B. im Interessenkonflikt um natürliche Ressourcen zwischen indigenen Völkern und Staat bzw. Industrie Herausforderungen zur Positionsfindung Aktives Zuhören, argumentieren, Fremdwahrnehmung in der direkten Kommunikation mit lateinamerikanischen indigenen Organisationen Abbau von Vorurteilen Reflexion der eigenen Position Verknüpfung von Konsumverhalten, Umweltschutz und Menschenrechte 6 Wer sind die indigenen Völker Lateinamerikas? 2. Wer sind die indigenen Völker Lateinamerikas? Unsere Vorstellung von lateinamerikanischen indianischen Völkern ist geprägt vom edlen Wilden am Amazonas, der im Einklang mit der Natur lebt, vom Indio des Andenhochlands, der in unseren Fußgängerzonen traurige Weisen auf der Panflöte spielt und von den bunten Trachten der Indígenas in Guatemala, Ecuador und Bolivien, die Kunsthandwerk verkaufen. Doch wie sieht die wirkliche Lebenssituation indigener Völker aus? Wie leben und wirtschaften sie? Wie gestaltet sich das Verhältnis von indianischen Völkern zur nicht-indianischen Bevölkerung in den Ländern? Wir wollen im Folgenden einen Einblick in die Vielfalt der Kulturen, Sprachen, Weltanschauungen und Lebenssituationen dieser Völker geben. Unser Ziel ist es darzustellen, dass es unterschiedliche Möglichkeiten des Zusammenlebens, des Umgangs mit der Umwelt und der Weltanschauungen gibt. Und dass die kulturelle Vielfalt ein Reichtum für die Menschheit ist. In der Begegnung mit dem „Anderen“ wollen wir auch zum Nachdenken über unsere Lebenssituation anregen, denn die Auseinandersetzung mit dem „Anderen“ ist immer auch gleichzeitig eine Auseinandersetzung mit uns selber. 2.1. Indigene Völker – weltweit Ungefähr 300 Millionen Menschen leben heute als Angehörige indigener Völker in mehr als 70 Staaten dieser Welt. „Indigene Völker“ (lat.: „eingeboren“) meint nichts anderes als „Ureinwohner“ oder „Eingeborene“. Da diese Begriffe jedoch im Deutschen oft einen abwertenden Klang haben, wird von indigenen Völkern gesprochen. Indigene Völker weltweit Aus: Ethel (Wara) Alderete (comp.): The Health of Indigenous Peoples, World Health Organization (WHO), 1999. Erläuterungen zur Karte 1. Arktis : Aleut, Chipewyan, Inuit, Saami 2. Subarktischer Gürtel: Cree, Dene, Naskapi, Ojibwa Nordamerika 3. Wälder im Osten: Algonquin, Haudenosaunce (Six Nations), Huron, Micmac, Potawatomi, Shawnee 7 Wer sind die indigenen Völker Lateinamerikas? 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. Südosten: Cherokee, Chickasaw, Creek, Seminole Große Savanne: Arapaho, Cheyenne, Pawnee, Sioux Nordwesten: Nez Perce, Wasco, Yakima Kalifornien: Cahuillia, Pomo Große Ebene: Shoshone, Ute Südwesten: Apache, Dine (Hopi), Navajo, Zuni nordöstliche Pazifikküste: Bella Coola, Chinook, Haida, Kwakiutl, Salish, Tlinqit 11. Zentralamerika: Bribri, Cakchiquel, Chol, Chuj, Cora, Guaymi, Huichol, Ixil, Kekchi, Kuna, Lacandon, Lenca, Maya (descendants), Miskito, Nahua, Pipile, Quiche, Rama, Seri, Sumu, Tarahumara, Yaqui, Yucatec 12. Karibik: Akawaio, Bari (Motilones), Choquie, Guajiro, Karina, Kogi, Otomac, Paez, Yarawato, Yukpa Südamerika 13. Amazonien: Aguaruna, Amarakaeri, Amuesha, Arara, Arawak, Ashaninca, Asurini, Gaviao, Kayapo, Kreen-Akarore, Matsigenka, Mundurucu, Nambikwa, Parakana, Quichua (Oriental), Sanema, Secoya, Shipibo, Shuar (Jivaro), Tukano, Ufaina, Waimiri-Auroari, Waorani, Wayana, Xavante, Yagua, Yanomami 14. Mato Grosso: Borbora, Botocudo, Ge (Canela, Central), Guato, Kaduveo, Kaingang, Karaja, Kayapo (Southern), Tupi 15. Gran Chaco: Ache, Ayoreo, Chamacoco, Chiriguano, Guana, Mataco, Mbaya, Toba-Maskoy 16. Andenvorland: Occidentales, Cayapas, Colorados 17. Andines Hochland: Aymara ,Huancas, Kolla, Mojo, Otavalo, Quechua, Salasaca, Uros 18. Patagonien: Aracuanian, Mapuche, Ranquel, Tehuelche Asien 19. Nord- und Zentralasien: Ainu, Hui, Manchu, Miao, Mongolian, Taiwan Aborigines, Tibetan, Uighur, Yi, Zhuang 20. Südasien: Bhils, Chenchus, Dalflas, Dandami, Gadabas, Garos, Gond, Hos, Irula Kurumbas, Juangs, Kadras, Kameng, Khassis, Khonds, Kolis, Lohit, Mundas, Naga, Oraons, Pathan, Santal, Savaras, Sholegas, Toda Kotas, Vedda 21. Chittagong Hill: Tract Peoples, Chakma, Marma, Tripura 22. Südostasien: Chin, Hmong, Kachin, Karen, Kedang, Lisu, Semai, Shan Afrika 23. Sahara, Sahel: Fulani, Tuareg, 24. Sudan: Dinka, Hamar, Kawahla, Lotuko, Mondari, Nuba, Nuer, Rashaida, Shilluk, Zande 25. Ostafrika: Barabaig, Eritrean, Maasai, Oromo, Somali, Tigrayan 26. Wüste Kalahari: San 27. Ituri Wald: Efe, Lese, Mbuti 28. Australien und Pazifischer Raum: Aboriginals, Arapesh, Asmat, Bangsa, Bontoc, Chamorro, Dani, Dayak, Hanunoo, Hawaiian, Iban, Ifugao, Kalinga, Kanak, Kayan, Kedang, Mae-Enga, Maori, Mundugumur, Penan, Rapa Nui, Tahitian, Torres Strait, Islanders, Tsembaga In Lateinamerika bezieht sich „indigen“ auf die Nachkommen der vorkolumbischen Bevölkerung. Da Kolumbus damals meinte, Indien entdeckt zu haben, nannte er die Bewohner „Indios“, was ins Deutsche mit Indianer übersetzt wurde. Allerdings bezeichnet sich kein Indigener selbst als „Indio“. Dies war der Begriff der europäischen Eroberer. 8 Sie selber bezeichnen sich mit dem Namen ihres Volkes, in ihrer Sprache bedeutete dies zumeist „Mensch“. Die Zuschreibung „Indio“ war sozusagen eine Erfindung, die es den Eroberern erlaubte, die unterworfenen Gesellschaftsgruppen „über einen Kamm zu scheren“. Sie wurden nicht als Menschen gleichen Ranges angesehen. Bis zum heutigen Tage sind Indigene in den lateinamerikanischen Gesellschaften benachteiligt und bleiben vom gesellschaftlichen Reichtum, staatlichen Dienstleistungen und politischer Beteiligung weitgehend ausgeschlossen. 2.2. Indigene Völker in Lateinamerika In Lateinamerika leben über 400 indigene Völker, und man zählt mehr als 700 gesprochene indigene Sprachen. Brasilien weist dabei mit über 170 Sprachen – neben der portugiesischen Staatssprache – auf seinem Territorium die größte Vielfalt auf. Indigene Kulturen und Staaten in Lateinamerika Quelle: BARIÉ, C. G., 2003: Pueblos Indígenas y derechos constitucionales en América Latina: un panorama, Comisión Nacional para el Desarrollo de los Pueblos Indígenas/Gobierno de México, La Paz hatten. Dazu gehören auch die Reitervölker der Araukaner in Chile und Argentinien. Diese Völker waren früher vor allem Jäger und Sammler und haben sich lange gegen die spanische Invasion verteidigen können. In der Amazonas- und Orinokoregion leben viele kleine und kleinste Völker, die meist Bauern, Jäger und Sammler sind. Die Dorfgemeinschaften leben meist isoliert voneinander und im Gegensatz zu den Hochkulturen haben sie keine starken Hierarchien herausgebildet. Die indigenen Völker Lateinamerikas leben in der kalten und unwirtlichen Welt der Anden, in den feuchtheißen Regenwäldern, in der Dornbuschsteppe des Chaco und an den Küsten. Diese verschiedenen Ökosysteme verlangen ganz unterschiedliche Lebensund Wirtschaftsweisen. Es ist daher schwer, von den indigenen Völkern zu sprechen, da es eine Vielfalt an Kulturen, Wirtschaftsweisen und Formen des Zusammenlebens gibt. Der Alltag der indigenen Völker Lateinamerikas, ihre Probleme und Herausforderungen sind die Themen der folgenden Kapitel. Doch vorher ist es notwendig zu klären, welches die Charakteristika eines indigenen Volkes sind. Nach Schätzungen leben etwa 30 Millionen Indigene in Süd- und Mittelamerika, der Karibik und in Mexiko. Die Angaben liegen für das Jahr 2000 zwischen 12,6% (Weltbank) und 7,2% (Instituto Indigenista Interamericano in Mexiko) der Gesamtbevölkerung. Allein 90% der indigenen Bevölkerung lebt in den fünf Ländern Bolivien, Guatemala, Ecuador, Mexiko und Peru. In Lateinamerika ist Uruguay das einzige Land, in dem keine indigene Bevölkerung mehr existiert. Jedes indigene Volk hat seine eigene Entwicklungsgeschichte und Kultur. Sie lassen sich daher nur schwer zusammenfassend beschreiben. Zu den indigenen Völkern in Lateinamerika gehören die Nachfahren der Hochkulturen der Maya und Azteken in Mexiko und Mittelamerika sowie der Inka im Andenhochland Südamerikas. Dies waren Gesellschaften mit einer ausgeprägten Hierarchie, an dessen Spitze Herrscher standen und die große städtische Zentren geschaffen Internetrecherche: Indigene Völker in Lateinamerika leben unter ganz unterschiedlichen Bedingungen und haben unterschiedliche Gesellschaften herausgebildet. In Kleingruppen sollen unterschiedlichen Merkmale der Völker wie der Mapuche, der Maya, der Aymara, der Kuna, der Ayoreo und der Kayapó durch Internetrecherche herausgearbeitet werden. Jedes dieser indigenen Völker lebt in einer anderen Region und einem anderen Ökosystem. 2.3. Wer sind indigene Völker? – die schwierige Frage der Definition Wer genau sind indigene Völker? Die Frage ist relativ schwierig zu beantworten. Für Lateinamerika ist es noch relativ einfach, da alle Völker, deren Wurzeln auf vorkolumbische Zeit zurückgehen, „indigen“ sind. Aber in Afrika und Asien sieht es anders aus. Hier gehen viele Regierungen davon aus, dass die ganze Bevölkerung indigen ist. 9 Wer sind die indigenen Völker Lateinamerikas? Eine wirklich genaue Definition gibt es nicht. Am häufigsten wird die Begriffsbestimmung von dem UN-Sonderberichterstatter José Martínez-Cobo (UN-Dokument Nr. E/CN.4/Sub.2/1986/87) genutzt, der 1986 in seiner Studie über die Diskriminierung indigener Völker vier Kriterien benannte: Indigene Völker sind relativ die „ersten“ Bewohner eines Gebietes Sie bewahren freiwillig ihre kulturelle Eigenständigkeit wie Sprache, Gesellschaftsorganisation, Religion, Produktionsweisen und/oder Institutionen. Indigene Völker sind kulturell deutlich von der herrschenden Gesellschaft unterschieden. Sie identifizieren sich selber als „indigen“ und werden auch von anderen als solche anerkannt. Sie haben Unterdrückung, Enteignung oder Ausschluss aus der nationalen Gesellschaft erfahren, wobei die Unterdrückung noch heute fortbestehen kann oder auch nicht. 10 Auch in Europa leben indigene Völker: die Samen („Lappen“) in Skandinavien, die Inuit auf Grönland und zahlreiche Völker in Russland. Die Sorben in Deutschland gehören nicht dazu. Für sie trifft das Merkmal „erste Bewohner“ einer Region nicht zu, da sie zugewandert sind. Sie werden daher als ethnische Minderheit bezeichnet. Ähnliches gilt auch für die Basken, Friesen oder Katalanen. Sie haben ihre eigene Sprache und Kultur, aber unterscheiden sich in ihrer Lebensweise kaum von der Mehrheit der Gesellschaft. Auch sie können daher den Status „indigen“ nicht für sich beanspruchen. Aber wie gesagt, eine wirklich eindeutige Definition, wer zu einem indigenen Volk gehört und wer nicht, gibt es nicht. Auch die Versammlung der indigenen Völker, die sich jedes Jahr unter dem Dach der Vereinten Nationen in Genf treffen, haben dafür gestimmt, den Begriff nicht zu eng zu definieren. Geschichte der indigenen Völker Lateinamerikas 3. Geschichte der indigenen Völker Lateinamerikas Der Amerikaner, der den Kolumbus zuerst entdeckte, machte eine böse Entdeckung. Georg Christoph Lichtenberg derungswellen aus Asien statt. Aber es gibt auch Vermutungen, dass die Beringstrasse nicht der einzige Siedlungsweg war. Archäologische Funde wie Steinwerkzeuge, die Ähnlichkeit mit der europäischen Art der Bearbeitung von Werkzeugen aufweisen, könnten auch auf Einwanderer aus Europa hinweisen. Eventuell haben auch aus dem polynesischen Raum Seefahrer nach Lateinamerika gefunden. Allerdings liegt dies alles im Bereich der Vermutungen. Die Besiedlung des amerikanischen Kontinents begann vor etwa 30.000 Jahren. Amerika und Asien waren damals noch über die Beringstrasse – die Landbrücke zwischen Kamtschatka und Alaska – verbunden. 20.000 Jahre später war der gesamte Kontinent bis hinunter zur Südspitze des heutigen Chile besiedelt. Wie genau die Besiedlung vor sich ging, darüber muss weitgehend noch spekuliert werden. Höchstwahrscheinlich fand die Besiedlung in mehreren Einwan- 3.1. Mesoamerika Mesoamerika liegt in der Mitte des amerikanischen Kontinents. Es umfasst das heutige südliche Mexiko und den Norden Mittelamerikas. Archäologen haben das Gebiet in fünf Regionen eingeteilt, die dem Einflussbereich der bedeutendsten Kulturen entsprechen. Im heutigen Mexiko an der Golfküste siedelten ab 1.500 v.Chr. die Olmeken, ihr kulturelles Zentrum war La Venta, dessen Ruinen heute noch besichtigt werden können. Quelle: www.indianer-welt.de Quelle: Mongne, Pascal (2004) Die Azteken, Fleurus-Verlag 13 Geschichte der indigenen Völker Lateinamerikas Die Olmeken Die Olmeken waren das Wasser und die Feuchtigkeit gewohnt: Im heutigen Tabasco und Veracruz gab es ein verzweigtes Labyrinth von Flüssen, Seen und Lagunen, dazwischen Wälder und Sümpfe, der Boden war sehr fruchtbar. Es gab zwei Ernten im Jahr, und auf den größeren Wasserläufen begannen die Olmeken eine kleine Handelsschifffahrt. Der erwirtschaftete Überschuss an Lebensmitteln machte es möglich, dass einzelne Gruppen der Gesellschaft zur Beschäftigung mit Kunst und Wissenschaften freigestellt wurden: dies war der Beginn der ersten Hochkultur Amerikas. Quelle: www.indianer-welt.de/meso/olmek/olmek-kopf.htm die Olmeken die Erfinder einer Schrift, die bereits viel Ähnlichkeit mit der späteren Hieroglyphenschrift der Maya und Azteken hatte. Wichtigstes Nahrungsmittel der Olmeken, aber auch der folgenden Hochkulturen der Region – der Maya und Azteken und des Stadtstaates Teotihuacán – war der Mais. Hinzu kamen Süßkartoffeln, Bohnen und Maniok, Fisch, gesammelte Früchte und erlegtes Wild. Die üblichen Nutztiere der Olmeken waren Hunde, Truthähne und Honigbienen. Sie besaßen ein fast mystisches Verhältnis zu dem Material Stein. Berühmt sind die steinernen Kolossalköpfe der Olmeken. Das Rohmaterial für diese Köpfe musste über eine Entfernung von mehr als 100 km herangebracht werden. Die Suche nach dem begehrten Material führte mit der Zeit zu einer Ausbreitung der olmekischen Kultur. Man fand Handelsniederlassungen in den Bergen von Oaxaca. Vermutlich waren 14 Die Maya Ab 900 v. Chr. erstarkte, zunächst noch unter dem kulturellen Einfluß der Olmeken, die Kultur der Maya. Die Maya waren eine Sammlung verschiedener Völker, die lediglich eine gemeinsame Sprache und Religion verband. Ihr Gebiet war dominiert von einer Reihe unabhängiger politischer Einheiten, die den Stadtstaaten der Sumerer und Griechen ähnelten. Diese Zentren lagen in einem fast dauerhaften Kriegszustand miteinander, dennoch entwickelten die Maya eine gemeinsame Kultur. Sie teilten die gleichen Mythen, dieselbe Schöpfungsgeschichte, die gleiche Religion und die Vorstellungen von dem Leben nach dem Tode. Die Maya dominierten das Gebiet von Yucatán in Mexiko und Guatemala zwischen 250 und 900 nach Christus, in dieser Zeit entstanden die berühmten Tempel in Mexiko (Palenque, Chichén Itzá), Honduras (Copán) und Guatemala (Tikal). Diese Tempel waren Mittelpunkt der Stadtstaaten, den kulturellen, wirtschaftlichen und politischen Zentren der Maya. Die Maya waren eine hochentwickelte Kultur. Sie verfügten über das einzige vollständige Schriftsystem des vorkolonialen Amerika. Es sind ein paar wenige Bücher, die sogenannten Códices, gefunden worden, die von der Schrift der Maya zeugen. Die Hieroglyphen wurden auf die Rinde einer bestimmten Feigenart aufgetragen, und enthalten Mythen und Gründungserzählungen, Pflanzkalender und astronomische Angaben. Tikal, Guatemala Der Niedergang des Maya-Reiches fand im ausgehenden 9. Jahrhundert statt. Ab 800 nach Christus brach aus dem Norden das kriegerische Volk der Tolteken unter der Führung ihres Fürsten Mixcoatl in das Tal von Mexiko ein, gründete sein kulturelles und politisches Zentrum Tula und „übernahm“ die zu diesem Zeitpunkt rätselhafterweise fast verlassene Stadt Teotihuacán. Als um 1200 das Toltekenreich zerfällt – die Gründe dafür sind bis heute nicht erforscht – ist auch Tula bald verlassen und zerstört. Quelle: www.tu-dresden.de/slub/proj/maya/maya.html Almanache der Mondgöttin Dargestellt wird sie als Göttin der Heilkunst und Überbringerin von Krankheiten. Die Krankheiten werden von Vögeln personifiziert, die Göttin I auf dem Rücken trägt. Der Name der Mondgöttin war in vorspanischer Zeit Ixchel. Ob die Göttin I im Codex allerdings Ixchel heißt, ist bisher fraglich. Im Popol Vuh, dem heiligen Buch der Quiché-Maya, werden die religiösen Vorstellungen der Maya und der Aufbau der Welt in Unterwelt, Welt der Menschen und Himmel erläutert. Weitere wichtige Errungenschaften der Maya waren der systematische Anbau von Mais, die Entwicklung eines präzisen Kalenders und einer ausgeklügelten Mathematik. Metall wurde nur zu rituellen Zwecken, nicht aber zur Waffenherstellung benutzt. Teotihuacán Etwa 150 v. Chr. wurde Teotihuacán gegründet, die im Laufe der Jahrhunderte zu einer der größten Metropolen der damaligen Welt heranwuchs. Der Name der Stadt ist aztekisch, von seinen ursprünglichen Bewohnern ist leider nichts bekannt. Teotihuacán war kein politisches Zentrum einer bestimmten Kultur, seine Bewohner nennt man daher einfach die Teotihuacaner. Wohl keine Stadt hatte größeren kulturellen Einfluss auf das übrige Mesoamerika als Teotihuacán, auch nicht die Stadtstaaten der Olmeken, der Tolteken oder der Azteken. Die Stadt bedeckte mehr als 20 Quadratkilometer, die Einwohnerzahl lag viele Jahrzehnte lang über 100.000. Es gab monumentale Bauwerke in der Stadt. Sie lebte von der erfahrenen landwirtschaftlichen Arbeit der Bewohner, es gab eine weit entwickelte handwerkliche Kultur, Malerei, Weberei, Töpferei. Teotihuacán besaß ein ausgebautes Handelsnetz nach außen. Nach wiederkehrenden Überfällen von Nomaden aus dem Norden seit dem 6. Jahrhundert wird die Stadt im 7. Jahrhundert endgültig aufgegeben und verlassen. Grabwächter von San Agustin, Kolumbien 15 Geschichte der indigenen Völker Lateinamerikas Eine wohl geordnete Gesellschaft Die Azteken sind die Nachkommen der kriegerischen Chichimeken. Von ihren Vorfahren haben sie bestimmte egalitäre Traditionen sowie eine ausgeprägte Lust an der Kriegsführung übernommen. Unter dem Einfluss der Tolteken haben sie dann eine Kultur begründet. Ordnung, Hierarchie und Privilegien gehören seitdem zu ihrer Welt. DER TLATOANI DER TECUHTLI Die aztekische Gesellschaft ist sehr hierarchisch aufgebaut. Bei aller Strenge ist sie aber auch gerecht, denn sie sorgt dafür, dass jeder nach seiner Funktion und seinen Möglichkeiten einen Platz findet. Wer sich an die Regeln hält, wird beschützt – aber wehe dem, der sie bricht! DER KRIEGER DER HANDWERKER UND DER POCHTECA STRENGE GESETZE In den Dörfern und auf dem Land wird die Ordnung aus Furcht vor den oft erbarmungslosen Strafen geachtet. Alle Männer, auch die mächtigsten und die Prinzen, unterliegen dem Gesetz. Wer sich des Diebstahls oder eines anderen Vergehens schuldig macht, wird zur Sklaverei verurteilt, denn bei DER TLALMAITL den Azteken gibt es keine Gefängnisse. Andere Verbrechen gelten dagegen als weitaus schlimmer. Der gefürchtete Medizinmann wird oft geopfert, ebenso wie jene, die mit seinen Kräften im Bunde stehen. Eine noch schlimmere Gefahr ist die Trunksucht; mit Ausnahme der Alten darf niemand Alkohol DER MACEHUAL DER TLACOTLI trinken: Wer betrunken erwischt wird, der wird geschlagen und danach erwürgt. Das schwerwiegendste Verbrechen in dieser puritanischen Gesellschaft ist schließlich der Ehebruch. Die schuldig gesprochenen Männer und Frauen werden gesteinigt. Quelle: Mongne, Pascal (2004) Die Azteken, Fleurus-Verlag Die Azteken In die Zeit des Zerfalls der letzten Maya-Dynastien fiel im 12. Jahrhundert der Aufstieg der Azteken, die sich selbst „Mexica“ nannten. Sie brachten die meist in Konkurrenz zueinander lebenden Fürstenhäuser um den See Texcoco unter ihren Einfluss (dieser See wurde später trocken gelegt, auf ihm ist die heutige Stadt Mexiko errichtet). Um 1325 gründeten sie dort ihre Hauptstadt Tenochtitlán. Die Geschichte der Azteken war voll von kriegerischen Expansionen. Das Aztekenreich selbst war ein autori- 16 tär geführtes Militärregime mit einem Berufsheer. Von den unterjochten Gruppen wurden Abgaben eingefordert. Der Zusammenhalt des etwa 1,5 Millionen Menschen zählenden Reiches der Azteken mit seinen unterschiedlichen Ethnien (Mixteken, Zapoteken, Maya, Totonaken, Mixtla u.a.) durch eine autoritäre kriegerische Führung blieb stets gefährdet. Regiert wurde es von einem Städtebund aus Tenochtitlán, Texcoco und Tlacopan. Der wichtigste Beamte – als solche verstanden sich damals die Politiker – der Regierung in Tenochtitlán war gleichzeitig der aztekische Imperator und Herrscher des Reiches. Die heute DER TLATOANI Der Herrscher ist die wichtigste Person in der aztekischen Welt. Er heißt Tlatoani,„derjenige, der spricht“, denn in der Welt der Indianer haben das Wort und kultivierte Diskussionen einen hohen Stellenwert. DER TECUHTLI (FEUDALHERR) Die Mitglieder des aztekischen Adels sind wichtige Persönlichkeiten: Prinzen im Gefolge des Herrschers, Feldherren, Hohepriester und hohe Beamte. Sie führen das Reich und sind sehr mächtig. Trotz mancher Privilegien haben sie auch Pflichten und ihre Titel sind nicht vererbbar. DER KRIEGER Jeder Mann muss sich als Krieger verdingen und sein Leben opfern, so wie es die Götter getan haben. Auch die niedrigsten und ärmsten Azteken können zu höchsten Ehren gelangen, wenn sie Mut beweisen. Sie werden berühmt und bewundert und steigen ihrerseits in den Rang eines Tecuhtli auf. DER HANDWERKER UND DER POCHTECA Sie sind keine Adligen, üben jedoch eine wichtige Funktion innerhalb der Gesellschaft aus: Sie bereichern sie durch Kunst und Handel. Außerdem wächst ihre Einflussnahme mit der Zeit – vor allem die der Händler. Die Mächtigsten unter ihnen schicken ihre Kinder auf die Adelsschulen, die Calmecacs. DER MACEHUAL (EINFACHER MANN) Die Menschen aus dem Volk stellen den Großteil der aztekischen Bevölkerung dar: Bauern, Fischer und Kleinhandwerker, die Gegenstände des täglichen Lebens herstellen. Sie alle arbeiten hart für ihren Lebensunterhalt und um die vom Staat geforderten Steuern zu bezahlen. Für die Instandhaltung der Straßen und Dämme, der öffentlichen Gebäude und Tempel werden sie zu Frondiensten herangezogen, also zur Zwangsarbeit. Wenn Krieg herrscht, müssen sie außerdem für das Reich kämpfen. Die Machhualli sind jedoch nicht unglücklich, denn sie erhalten jeder ein kleines Stück Land und ein Haus. Ihre Kinder haben ebenso das Recht auf eine Ausbildung in den örtlichen Schulen. DER TLALMAITL (LANDLOSER) Diese Bauern sind keine freien Männer, denn sie sind an das Land, das sie bearbeiten, gebunden. Sollte dieses den Besitzer wechseln, werden sie quasi mitverkauft. Dafür zahlen sie keine Steuern und unterliegen nicht der Fronarbeit. DER TLACOTLI (SKLAVE) Ganz unten in der Gesellschaftspyramide stehen die Sklaven, deren Herkunft sehr unterschiedlich ist: Bewohner entlegener Landstriche, die von Menschenhändlern entführt wurden; Lastsklaven, die mit ihrer Tragelast verkauft wurden; Kriegsgefangene, die der Opferung entgangen sind; Männer, die aufgrund schwerer Verfehlungen wie etwa Diebstahl zu Sklaven herabgestuft wurden. Schließlich verkaufen manche auch sich selbst oder ihr Kind zur Begleichung einer Schuld. Die Lebensbedingungen der Sklaven in der aztekischen Gesellschaft sind nicht so hart wie jene der Sklaven in der Alten Welt oder in der Antike. Sie werden korrekt behandelt und jede ungerechtfertigte Gewaltanwendung gegen sie wird bestraft. Sie dürfen Güter und sogar wiederum eigene Sklaven besitzen und sich ihre Freiheit zurückkaufen. Ihre Kinder werden als freie Menschen geboren. Kaiser Izcoatl war selber der Sohn eines Sklaven ... berühmtesten sind Moctezuma I, der von 1440 bis 1468 die Grenzen des Aztekenreiches erheblich erweiterte und Moctezuma II, der zur Zeit der Ankunft der Spanier herrschte. Die Azteken gelten durch ihre weit entwickelte Verwaltung, die Erfolge in Wissenschaften und kulturellen Bereichen als Hochkultur, die allerdings keine Eisenverarbeitung kannte. Die Religion der Azteken war polytheistisch, d.h. sie glaubten an eine Vielzahl von Göttern. Der höchste unter ihnen war Huitzilopochtli (Gott der Sonne und des Krieges). Weitere wichtige Götter waren Tláloc (Gott des Regens) und Quetzalcoatl – ursprünglich eine Schlangen-Gottheit der Tolteken –, er war Gott des Windes, des Himmels, des Krieges. Bekannt sind die Azteken auch für ihre religiösen Menschenopfer. Das Náhuatl, die Sprache der Azteken, ist heute die am meisten gesprochene indigene Sprache Mittelamerikas. Die Eroberung Mesoamerikas Als 1519 die Spanischen Eroberer unter Hernán Cortés in das Land einfielen, fanden sie in den anderen indi- 17 Geschichte der indigenen Völker Lateinamerikas genen Völkern Verbündete gegen die verhassten Azteken. Nach mehrmonatiger Belagerung musste Tenochtitlán 1521 kapitulieren, die größte Stadt der damaligen Welt – fünfmal größer als das damalige London – wurde von den Spaniern dem Erdboden gleichgemacht. Der Aztekenherrscher Moctezuma wurde gefangen genommen. Mesoamerika fiel unter die Herrschaft der spanischen Krone. Die kriegerischen Auseinandersetzungen um die Unterwerfung der indigenen Völker und Gruppen des Subkontinents dauerten bis 1697, als die bis dahin noch Teilautonomie genießenden Maya in ihrem Reich Tayasal (am heutigen See Petén in Guatemala) von den Spaniern angegriffen und unterworfen wurden. 3.2. Südamerika Im Süden des amerikanischen Kontinents lebten bereits 10.000 Jahre vor Christus Jäger und Sammler, sie waren Nachkommen der Siedler, die einst über die Landbrücke von Asien nach Amerika gekommen waren. Ab 1.000 vor Christi Geburt lassen sich durch archäologische Funde mehrere eigenständige Kulturen nachweisen, z. B. die von Nasca, die Tiahuanaco, die Moche oder die Chimú, von denen einige bis weit in das erste nachchristliche Jahrtausend ausstrahlten. Dennoch dauerte es einige Jahrhunderte, bis das hoch entwickelte Reich der Inka entstand und sich dann beständig durch Kriege ausweitete. zahlenmäßig deutlich kleiner und weniger mächtig als die anderen umliegenden Kulturen im Gebirge der Anden. Ursprünglich hieß nur der Herrscher „Inka“, später bezeichnete man das gesamte Volk mit diesem Namen. Mitte des 15. Jh. n. Chr., auf dem Höhepunkt seiner Macht, zählte das Inkareich 12 Millionen Menschen. Es war straff organisiert und lebte von einem ausgeklügelten Tribut- und Abgabesystem. Berühmt waren die Inka für ihre hochentwickelte Städteplanung, meisterhafte Techniken der Steinbearbeitung, die Metallurgie und das Kunsthandwerk der Keramik sowie für ihre Straßenbaukunst. Ein ausgedehntes Straßennetz von ungefähr 40 000 km durchzog das Reich. Auch die Landwirtschaft hatten die Inka mit dem Anbau von Kartoffeln, Mais, Quinoa und verschiedenen Gemüsearten sehr weit entwickelt. Sie legten Bewässerungssysteme und ausgedehnte Terrassen an. Als Nutztiere hielten die Inka Meerschweinchen und Hunde, Lama und Alpaka, die Leder, Wolle und Fleisch lieferten. Kolibri, Nasca, Peru Das Inkareich Der Ursprung des Inkareiches liegt in der Stadt Cuzco. Um 1.000 n. Chr. datieren die ersten Belege für die Existenz der Inka in diesem Gebiet, über ihre Herkunft ist nur wenig bekannt. Sie waren zunächst 18 Ausbreitung der Inka von 1438-1528, Copyright by Geo Quelle: www.indianer-welt.de/sued/inka/inka-karte.htm Menschenopfer spielten in den religiösen Riten eine nur geringe Rolle – ganz anders als in Mittelamerika. Dem Sonnengott Inti waren mächtige Tempel geweiht, deren Wände mit Gold und Silber verkleidet waren. Er und die Mondgöttin Mamaquilla waren ein Paar. Der Inka galt als irdische Inkarnation der Sonne und seine Schwester und seine Gemahlin waren die Verkörperung des Mondes. Außerdem verehrten die Inka Götter, die verschiedene Naturkräfte symbolisieren. Im Gegensatz zu den Hochkulturen Mesoamerikas existierte in Südamerika in vorkolumbischer Zeit keine Schrift. Die Inka arbeiteten zum Zählen und Aufzeichnen mit einer Knotenschrift, dem sogenannten Quipu. Die Staatssprache im Inkareich war Quechua. Auch heute wird diese Sprache noch von mehreren Millionen indigenen Bauern in Bolivien, Peru und Ecuador gesprochen. Auf einer Höhe von 3.500 Metern gründeten die Inka in den heutigen peruanischen Anden ihre Hauptstadt: Cuzco. Sie wurde zum politischen, religiösen und kulturellen Zentrum eines Reiches, das von Ecuador im Norden bis hinunter nach Chile und Nordwestargentinien reichte. Bei der Ankunft der Spanier in Peru lebten in Cuzco rund 200 000 Menschen. Die Besatzer legten die Stadt 1533 n. Chr. in Schutt und Asche, und erbauten auf den Ruinen das heutige Cuzco. Der Inka-Staat in seiner hochorganisierten Form und einem trotz seiner Größe funktionierenden zentralistischen Staatsapparat hatte nur etwa 90 Jahre Bestand. 1528 erreichte der spanische Kriegsherr Francisco Pizarro erstmals das Inka-Territorium, deren Reich durch einen Bruderkrieg um die Herrschaftsnachfolge erheblich geschwächt war. Bereits kurze Zeit später besiegten die Spanier das Inkareich und ermordeten Atahualpa, den letzten Inka-Fürsten. Indigene Völker im Amazonasgebiet Die Geschichte der indigenen Völker des Amazonasbeckens hat mit der Eroberung durch die Spanier, die in der Mitte des 16. Jahrhunderts begann, einen tiefen Einschnitt erfahren. Bis dahin hatten sich die indigenen Völker der östlichen Ausläufer der Anden erfolgreich gegen das Vordringen der Inka gewehrt, die im Hochland der Anden von Südkolumbien bis Machu Picchu, Peru Nordchile ein großes Imperium errichtet hatten. Doch mit der spanischen Eroberung begann für immer mehr indigene Völker des Amazonas eine Zeit der Fremdherrschaft. Seit der spanische Generalleutnant Francisco de Orellana ab 1540 den Amazonasfluss erstmals bis zu seiner Mündung hinabfuhr, hat eine Vielzahl von einzelnen Ereignissen stattgefunden. Ein Beispiel ist der Aufstand der Shuar-Indianer im Jahre 1599. Er richtete sich gegen die Erhöhung des Tributs in Goldstaub, den die Indianer an die spanische Kolonialmacht entrichten sollten. Es heißt, dass sie einen hohen Kolonialbeamten gefangen nahmen und ihm eingeschmolzenes Gold in die Kehle gossen, um damit seinen Golddurst ein für alle Mal zu stillen. Die Motive für die Eroberung des Amazonasbeckens sind im Verlaufe der Geschichte weitgehend die gleichen geblieben. Die „Nichtindianer“, die Amazonien unter ihre Kontrolle bringen wollten (spanische Eroberer, Kolonialbeamte, Armeeangehörige), waren auf der Suche nach Rohstoffen aller Art (Gold und andere Bodenschätze, Rohgummi, Holz oder Erdöl) oder sie verfolgten die Absicht, die „Indianer“ zu einer anderen Religion oder Lebensweise zu bekehren (Missionare). 19 Geschichte der indigenen Völker Lateinamerikas Bedeutung der Kirche Einer Personengruppe, der man seit den frühen Tagen der spanischen Eroberung in Amerika begegnet, sind die Missionare. Sie spielen eine herausragende Rolle in der „Zivilisierung“ der sogenannten „Wilden“. Wie überall versuchten sie auch in Amazonien, die Mitglieder der indianischen Völker zum Christentum zu bekehren. Es gab natürlich Missionare, die sich für die Indianer einsetzten. Ein Beispiel mag der Jesuitenpater Antonio Vieira sein. Er hat mit Überzeugung und einer Reihe von Geschenken, die Aru, die Ingaíba und die Anajá an der Nordostküste Brasiliens überredet, zum Christentum überzutreten, in der Hoffnung, die Indianer dadurch vor der Sklaverei zu retten. Zuerst ging diese Rechnung auch auf, die Indianer konzentrierten sich an den Missionsorten, dann aber wurden sie Opfer von Seuchen wie den Pocken und mussten sich zunehmend den Übergriffen weißer Siedler erwehren. Gleichzeitig sank in Europa der Einfluß des mächtigen Jesuitenordens auf die Politik des Vatikans. Sie wurden entmachtet und viele, darunter auch Antonio Vieira verhaftet. Die christianisierten Indianer blieben schutzlos zurück. Aus der Haft entlassen reiste Vieira nach Lissabon. Dort gelang es ihm, dass König Pedro II die Sklaverei aussetzte. Auf Vieiras Betreiben hin schaffte man Sklaven aus Afrika an den Amazonas und ersetzte so ein Unrecht durch ein anderes. Für die drei Völker an der Nordostküste kam Kirchenfest der Maya in Chiapas, Mexiko 20 jede Hilfe zu spät. Krankheiten und Sklavenjäger haben sie vernichtet. Nicht selten arbeiteten die Missionare Hand in Hand mit den militärischen Machthabern aus Europa und versuchten durch die Christianisierung die indianische Bevölkerung in das europäische Wertesystem zu integrieren und den indianischen Widerstand zu brechen. Heute wirken vor allem evangelikale Sekten in der Amazonasregion. Sie haben sich in der Praxis oft als Wegbereiter für die Erdölkonzerne erwiesen. So gingen das Erdölunternehmen Texaco-Gulf und Missionare des Sommerinstitutes für Linguistik ein Bündnis ein. Das Sommerinstitut ist eine weltweite protestantische Organisation mit Sitz in Texas, die sich der Übersetzung der Bibel in indianische Sprache widmet. In Ecuador haben sie in den 60er und 70er Jahren mit Geschenken und Versprechungen das Volk der Huaorani in Missionsstationen konzentriert. Texaco nutzte die Zeit, um eine Strasse in das Huaorani Gebiet zu bauen, die deren Gebiet jetzt durchschneidet und als Versorgungsweg für die Erdölförderung genutzt wird. Auf der anderen Seite haben Missionen in neuerer Zeit viel dazu beigetragen, dass die indianischen Völker sich organisieren und national und international gehört werden. So ging die Organisation der Shuar in Ecuador, die sich in den 70er Jahren des letzten Jahrhunderts gegründet hat, aus der Arbeit der katholischen Mission hervor. 3.3 Zeittafel Amerika Übrige Welt Um 1200 v. Chr. bis 400 v. Chr. Entstehung der ersten Hochkultur: in Mexiko die Kultur der Olmeken, in Peru jene der Chavin. In Nordamerika entwickelt sich der Ackerbau Um 1000 v. Chr. Die Phönizier entwickeln die alphabetische Schrift und verbreiten sie im Mittelmeerraum Um 300 v. Chr. Die Zapoteken bauen ihre Hauptstadt im Hochland von Oaxaca. Monte Albán wird die erste Großstadt Amerikas. Die Zapoteken beherrschen ca. 1000 Jahre lang das Tal von Oaxaca, um ca. 700 n.Chr. verlassen sie aus ungeklärten Gründen die Stadt und siedeln fortan im Tal. Um 300 v. Chr. Beginn des Baus der Chinesischen Mauer Um 100 v. Chr. In Mesoamerika entsteht das kleine Dorf Teotihuacán, dass sich zwischen dem 3. und 7. Jahrhundert zur größten Stadt Amerikas entwickelt. Zu der Zeit leben mindestens 100.000 Menschen dort. 264 bis 146 v. Chr. Die drei punischen Kriege zwischen Rom und Karthago, Rom gewinnt und beherrscht den Mittelmeerraum. 300 bis 900 n. Chr. Blütezeit der Maya Kultur auf dem Gebiet der heutigen Staaten Guatemala, Belize, Honduras, El Salvador und im Süden Mexikos 370 Die Hunnen fallen in Europa ein ab 750 n. Chr. werden alle Städte im Maya Tiefland verlassen, höchstwahrscheinlich in Folge von politischer Instabilität, Bevölkerungswachstum und Nahrungsmittelknappheit. Die letzte große Stadt der Maya, Mayapán, geht um 1440 unter, danach existieren nur noch kleine Stadtstaaten. 476 Der germanische Heerführer Odoaker setzt den weströmischen Kaiser Romulus Augustus ab. Damit endet das weströmische Reich. Dieses Datum gilt gemeinhin als Ende der Antike und Beginn des Mittelalters. Ab 600 n. Chr. In Westmexiko wird zum erstenmal Metall (Silber, Kupfer) verarbeitet Um 700 Unter dem Einfluss der mesoamerikanischen Kulturen kommt es im Mississippi zu Stadtgründungen mit Erdpyramiden. 711 Die Araber besetzen Spanien und damit beginnt die Blütezeit der maurischen Kultur Um 800 Die klassische Mayakultur im Hochland geht unter. Um 800 Die Normannen greifen die Küsten an 21 Geschichte der indigenen Völker Lateinamerikas Um 900 Im Südwesten der heutigen USA erleben indianische Hochkulturen (Hohokam, Anasazi, Mogollon) ihre Blütezeit. Ab 900 Das fränkische Königreich wird in viele unabhängige Lehen (geliehener Grundbesitz) aufgeteilt. Dafür leisten die Vasallen dem Lehnsherr Gefolgschaft und übernehmen Ritterdienste. Das Lehnwesen ist ein Grundpfeiler der mittelalterlichen Gesellschaft. Um 1200 In den Bergen Südperus begründet König Ayar Manco die Dynastie der Inka. Unter der Herrschaft von König Mayta Cápac beginnen die Inka 1260 mit der Eroberung ihrer Nachbarregionen. Um 1200 Die Mongolen führen unter ihrem Anführer Dschingis Khan ihre Eroberungszüge durch. Ab 1215 Die Azteken erreichen das Hochtal von Mexiko. Ihr Herkunftsgebiet ist unbekannt, sie kommen höchstwahrscheinlich aus dem Norden Mexikos oder dem Südwesten der heutigen USA. 1232 Beginn der Inquisition Zeit der Kreuzzüge 1212 Kinderkreuzzug 1325 Gründung der Aztekenstadt Tenochtitlán auf einer Insel im Texcoco See, dem heutigen Mexiko-Stadt. Unter Moctezuma I (1440 – 1468) weiten die Azteken ihre Macht auf 450 Städte aus 1348 Gründung der ersten Universität im Heiligen Römischen Reich deutscher Nationen in Prag 1428 Pachacutec Inka Yupanki übernimmt die Macht und erobert Teile Perus. Das Inka Reich ist gegründet. 1455 Johannes Gutenberg erfindet die Buchdruckkunst. 12. 10. 1492 Kolumbus erreicht Amerika. 1494 Spanien und Portugal teilen sich Amerika. Laut Vertrag von Tordesillas gehört der amerikanische Kontinent östlich einer Linie, die etwa dem 46. Grad westlicher Länge entspricht, dem portugiesischen König, westlich davon dem spanischen. 1493 bis 1525 Unter der Herrschaft von Huayana Cápac erlebt das Inkareich seine Blütezeit. Es erstreckt sich von Quito, Ecuador bis nach Valparaiso in Chile 1501 Amerigo Vespucci erkundet die Küsten Brasiliens, nach ihm wird Amerika benannt. 1519 Hernán Cortés landet an der mexikanischen Küste und erreicht im November Zenochtitlán, wo er von Moctezuma II als göttliches Wesen empfangen wird. 1521 Tenochtitlán wird von den Spaniern und verbündeten Indianern belagert und zerstört. 1532 Fransisco Pizzarro dringt in das Inkareich vor. Innerhalb weniger Monate und nur mit wenigen hundert Mann zerstört er das größte Reich des amerikanischen Kontinents. 22 1521 Martin Luther wird aus der katholischen Kirche ausgeschlossen. Aus der Biografie von Kolumbus (geschrieben von seinem Sohn): „Der Admiral rief die beiden Kapitäne und die andern, die mit ihm an Land gegangen waren ... Sie alle rief er mit Namen auf und bat sie, folgendes zu bezeugen und zu beurkunden: dass er gekommen sei, um von dieser Insel Besitz zu ergreifen und dies hiermit im Namen seines Königs und seiner Herrin vollzöge, unter Beachtung der für diesen Vorgang notwendigen feierlichen Erklärungen ... Viele Indianer liefen zu dieser Feierlichkeit zusammen, und der Admiral, der sah, dass es sich um ein freundliches und friedliebendes Volk handelte, gab ihnen einige rote Mützchen, Glasperlen... und andere Gegenstände von geringem Wert, welche sie des höchsten Preises für würdig hielten.“ Königin Isabella Die Unterwerfung der Indianer durch königliches Recht Isabella, von Gottes Gnaden Königin von Kastilien und León etc. [1503]: Da der König, Mein Herr, und Ich durch die Instruktion, die Wir dem Don Nicolás de Ovando [dem ersten Gouverneur Hispaniolas] zur Zeit seiner Statthalterschaft auf den Inseln und dem Festland des Ozeans erteilen ließen, befohlen haben, dass die auf der Insel Española ansässigen Indianer freie Menschen und keiner Dienstbarkeit unterworfen sein sollten (wie das näher in der genannten Instruktion enthalten ist), Ich jetzt aber erfahren habe, dass die Indianer infolge der ihnen gegebenen reichlichen Freiheit die Christen fliehen, Gespräch und Umgang mit ihnen meiden, auch gegen Lohn nicht arbeiten wollen und sich müßig herumtreiben, geschweige sich denn dazu gewinnen lassen, belehrt und zu Unserem heiligen katholischen Glauben bekehrt zu werden, dass deshalb die dort auf der Insel wohnenden Christen keine Arbeitskräfte für ihre Farmen und für die Goldgewinnung finden können, wodurch den einen wie den andern Schaden erwächst, und weil Wir wünschen, dass die genannten Indianer sich zu Unserem heiligen katholischen Glauben bekehren und darin unterrichtet werden, dies sich aber besser tun lässt, wenn die Indianer mit den auf der Insel wohnenden Christen in Berührung kommen, mit ihnen umgehen und zu tun haben, beide einander helfen und so die Insel kultiviert, bevölkert und ertragreich gemacht wird, auch Gold und andere Metalle gefördert werden, und Meine Königreiche und deren Bewohner daraus Nutzen ziehen, so habe Ich diese Verfügung wie folgt ausfertigen lassen und befehle hiermit Euch, Unserem Gouverneur, dass Ihr von dem Tage an, wo Ihr diese Meine Verfügungen erhaltet, künftig die Indianer nötigt und antreibt, mit den Christen der genannten Inseln Umgang zu pflegen, in ihren Häusern zu arbeiten, Gold und andere Metalle zu schürfen und Landarbeit für die auf der Insel ansässigen Christen zu leisten, und dass Ihr jedem für den Arbeitstag Tagelohn und Unterhalt geben lasst, wie sie Euch nach der Beschaffenheit des Bodens, des Arbeiters und der Tätigkeit angemessen erscheinen, dass Ihr jedem Kaziken [Häuptling] auferlegt, eine bestimmte Anzahl Indianer bereitzuhalten, um sie jeweils da, wo es nötig ist, zur Arbeit einsetzen zu können, und damit sie sich an den Festtagen, und wann es sonst erforderlich scheint, zusammenfinden, um an den dafür bestimmten Orten über die Dinge des Glaubens zu hören und darin unterrichtet zu werden, dass jeder Kazike die von Euch jeweils vorgeschriebene Zahl von Indianern beibringt und an die von Euch benannten Personen zur Arbeit überlässt, gemäß näherer Anweisung dieser Personen und gegen einen von Euch festzusetzenden Tagelohn. Die genannten Verpflichtungen sollen sie als freie Personen leisten, die sie ja sind, nicht als Sklaven. Ihr habt dafür zu sorgen, dass diese Indianer gut behandelt werden, und zwar diejenigen unter ihnen, die Christen sind, besser als die andern; Ihr dürft nicht dulden oder Anlass geben, dass irgendjemand ihnen Leid oder Schaden zufügt oder sie ungebührlich behandelt. [...] Quelle: Urs Bitterli, Die Entdeckung und Eroberung der Welt, Verlag C.H.Beck, München 23 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Antonio de Ayanz (ca. 1580) Die Silberminen von Potosí; oder Die Gnade, für Zwangsarbeit zahlen zu dürfen In der ganzen Welt sind die großen Silberschätze bekannt, die aus diesem Reich Peru, vor allem aus dem Berg und den Silberminen von Potosí kommen. [...] Aus den übrigen Bezirken oder Provinzen [des Landes] kommen alljährlich insgesamt 13 000 Indios, um in den Bergwerken zu arbeiten. Zwar erfüllen einige Orte ihre Verpflichtung, Arbeiter zu stellen, in voller Höhe, doch die meisten sind nicht in der Lage, die von ihnen geforderte Zahl von Arbeitskräften zu entsenden. [...] 1. Diese Indios nehmen normalerweise ihre Frauen und Kinder mit, so dass sich ihre Gesamtzahl auf über 7000 Seelen beläuft. Jeder Indio nimmt zudem mindestens 8-10 Lamas sowie einige Pacos oder Alpakas als Schlachttiere mit. Andere, die mehr Besitz haben, nehmen 30-40 Lamas mit, auf denen sie Nahrungsmittel, Kochgerät sowie die groben Wolldecken transportieren, mit denen sie sich zudecken und vor der Kälte schützen, denn sie schlafen immer im Freien. [...] So machen sich diese Indios mit all ihrer beweglichen Habe auf den Weg nach Potosí, und für die Strecke von etwa 100 Meilen brauchen sie normalerweise zwei Monate, denn sie können das Vieh nicht zu größerer Eile antreiben. Auf dem ganzen Hinweg und auch auf dem Rückweg in ihre Dörfer verpflegen sie sich auf eigene Kosten, ohne dass sie für diesen beträchtlichen Aufwand irgendeine Entschädigung erhalten. 2. Sie lassen ihren Heimatort, ihre Herden und Äcker schutzlos zurück. Auch wenn einige das wenige, was sie zurücklassen, ihren Verwandten anvertrauen und tatsächlich zurückkehren, finden sie ihren Besitz so verwahrlost und schlecht geführt vor, dass sie es für besser halten, überhaupt nicht mehr heimzukommen, weil sie aus Erfahrung wissen, dass nur neue Not und Mühsal auf sie zukommen. 3. Bei der Trennung spielen sich zwischen den Dorfbewohnern bewegende und traurige Szenen ab, wie bei Leuten, die gegen ihren Wunsch ihre Heimat verlassen und sich in offenkundige Lebensgefahr begeben [...] und die aus gutem Grund befürchten müssen, darin umzukommen. [...] 4. Wenn alle diese Leute in Potosí angekommen sind, wird ihre Zahl überprüft, und wenn einer fehlt oder wenn von denen, die die Provinz verlassen haben, 100 oder 200 Indios in die Täler geflohen sind, die zu beiden Seiten des Weges liegen, wird ein Justiz- 24 beamter auf Tagegeld von Potosí ausgesandt, um Ersatz für die Fehlenden [...] aus ihrer Provinz zu holen. Da aber nie nach denen gesucht wird, die in die Täler geflohen sind, und da so wenige aus Potosí zurückkehren, hat die Bevölkerung immer mehr abgenommen. [...] 5. Wenn die Indios sich in ihren Pfarrgemeinden niedergelassen haben, werden sie zur Arbeit in den Bergwerken gezwungen; diejenigen, die diese Zwangsarbeit verrichten, werden Indios Cédulas genannt. Wenn ein Spanier oder Minero [Grubenverwalter] eine Cédula [meist eine königliche Verfügung, eine bestimmte Anzahl Zwangsarbeiter zu rekrutieren] für 10 oder 20 Indios erhält, geht er zu ihren Unterkünften und holt sie mit roher Gewalt unter Peitschenhieben und Misshandlungen heraus, wenn sie sich nicht so beeilen, wie er es wünscht. Wenn der zum Anführer ernannte Indio ihm nicht die volle auf der Cédula genannte Anzahl von Indios bereitstellt, wird er oft geohrfeigt und misshandelt, bis die volle Zahl erreicht ist. Wenn der Minero seine Indios soweit gebracht hat, dass sie in das Bergwerk einfahren und das Metall abbauen, und wenn sie ihm dann nicht genug herausholen, bekommen sie solche Peitschenhiebe und Fußtritte, dass viele behaupten, die Peitschenhiebe auf den Galeeren seien weniger schlimm. Dabei kann der arme Indio oft gar nicht mehr, denn die Mine ist sehr tief, die schweren Lasten erschöpfen seine Kräfte, und er muss befürchten, zu stürzen und zu Tode zu kommen. Da das Metall sehr hart ist und der Arbeiter mit der Brechstange nur sehr wenig fördern kann, fürchten die Indios diese harte und schwere Arbeit sehr, zumal es oft vorgekommen ist und immer noch geschieht, dass die Spanier die Indios mit Tritten und Peitschenhieben zu Tode schinden. 6. Der Lohn, den sie als Entschädigung wöchentlich erhalten, beträgt 21/2 Pesos heutiger Währung, was 20 Realen entspricht. Um ermessen zu können, in welch schlimme und elende Lage sie durch einen solchen Hungerlohn versetzt werden, soll hier gesagt werden, wieviel sie bei größter Einschränkung zum Leben ausgeben müssen. [...] Es ergibt sich so ein Gesamtbetrag von 281/2 Pesos; nicht eingerechnet sind dabei die Ausgaben für Kochgeschirr, für die Decken, die bei der Arbeit im Bergwerk schadhaft werden, für Kleidung, für die jährliche Steuer von 30 Pesos heutiger Währung sowie die Ausgaben für Essen und Kleidung von Frau und Kindern, die mindestens genauso hoch sind wie für den Indio selbst. Zu all diesem kommt noch, dass der Minero ihm oft nicht den vollen Lohn zahlt, weil er angeblich seine Arbeit nicht im vollen Umfang erledigt hat, so dass der arme Indio im Monat nur so viel bekommt, wie er für seine eigene Person ausgibt. Mit Steuern und Ausgaben für Kleidung wären dies mehr als 32 Pesos, wozu dann noch Essen und Kleidung für die Familie kommen, was über 60 Pesos ergibt. Der Lohn dagegen, den er ausbezahlt bekommt, beträgt oft nur 111/2 Pesos. [...] 7. Neben den obengenannten Verlusten, der Strenge und den Peitschenhieben der Mineros sowie den anderen bereits geschilderten elenden Lebensumständen fürchten die Indios vor allem die große Lebensgefahr, in die sie sich beim Einfahren in die Gruben begeben. Diese sind nämlich sehr tief und das Ein- und Ausfahren wegen der häufigen Erdrutsche und des Steinschlags äußerst gefährlich; viele sind durch herabfallendes Gestein schon übel zugerichtet oder gar getötet worden. Manche rutschen auch auf den aus Lederriemen gefertigten Leitern aus, und wenn einem Vorausgehenden etwas aus der Hand fällt oder er durch irgendein Missgeschick ausgleitet, verletzt oder tötet er die hinter ihm Gehenden. So werden jede Woche mindestens sieben oder acht Bergarbeiter verletzt, erleiden Bein-, Arm- oder Schädelbrüche oder Verletzungen am ganzen Körper. Alle zwei Wochen werden ein bis zwei tödliche Unfälle bekannt, ganz abgesehen von jenen Vermissten, die wohl zerschmettert am Grunde des Schachts liegen. Darüber hinaus gibt es oft Unfälle mit 30 oder 40 Toten, wenn ein Teil des Bergwerks einstürzt und die Arbeiter verschüttet. Manche werden bei lebendigem Leib begraben, und von benachbarten Stollen nimmt man ihnen mit lauten Rufen die Beichte ab. All diese Dinge müssen größtes Bedauern und Mitleid erwecken, und diejenigen, die sie erleiden, fürchten sie mehr als den Tod. Und so geschieht es, dass manche dieser unglücklichen Indios – Gott gebe es, es wären nicht so viele – unter dem Druck der erfahrenen Mühsale, bei denen sie so viel von ihrer Habe verloren und nur die anderen bereichert haben, aus Furcht vor der Gewalttätigkeit und Härte der ihre Arbeit beaufsichtigenden Mineros, angesichts der beständigen Lebensgefahr und vor Kummer darüber, dass sie ihre Heimat verlassen mussten, sich vom Teufel in falscher Hoffnung täuschen lassen, am Leben verzweifeln und sich erhängen. So hat es allein in einem Dorf dieser Provinz fast jedes Jahr einen Fall von Erhängen gegeben; doch das wird verschwiegen, und man versucht nicht mehr, solche Fälle bei Stellen vorzubringen, von denen man sich Abhilfe erhofft. [...] Während bisher [der Rückkehr der Indios in ihre Heimatdörfer] keinerlei Beachtung geschenkt wurde, erscheint es zweckmäßig, hier anzugeben, wie viele zurückkehren, was sie von ihrem ursprünglich mitgeführten Besitz wieder zurückbringen und wie viel sie in Potosí verdient haben. Auf Grund von gesicherten Aussagen und nicht nur von Vermutungen und Annahmen ist bekannt, dass [...] weniger als die Hälfte der] Indios zurückkehren, während der Rest mit Frauen und Kindern, zusammen etwa 5000 Seelen, in Potosí bleibt oder in den Tälern abseits des Weges verschwindet. [...] Von den mehr als 30 000 Stück Vieh, die sie mit sich geführt hatten, kommen weniger als 1000 oder gar 500 zurück, und die Indios kehren so arm und zerlumpt zurück, dass es Mitleid erregt, wie sie von Tür zu Tür und bei den Vorübergehenden um Almosen betteln. [...] Wenn ein Indio etwas Geld mit heimbringt, dann ist es keiner von denen, die gearbeitet haben, sondern einer, der angeschafft hat. Wenn man nun überschlägt, dass jeder dieser 2200 Indios 30 Pesos an Steuern an den König gezahlt hat, welch große Mengen an Silber die Mineros aus den Bergwerken abgebaut haben, wie reich sie durch die Arbeit der Indios geworden sind und wie viel sie davon als Quinto [Fünftel] an seine Majestät entrichtet haben; ferner, dass viele, denen 10 oder 20 Indios de Cédula zugeteilt wurden, pro Jahr an jedem Indio schätzungsweise 100 Pesos verdient haben; [wenn man zudem bedenkt,] dass die bedauernswerten Indios von ihrem Besitz mehr als 320000 Pesos mitgebracht und völlig verbraucht haben, um sich ernähren, kleiden und die Steuern bezahlen zu können, und ohne einen Real oder Maravedi zurückkehren; dass diejenigen, die in die Täler fliehen oder in Potosí bleiben, ganz ohne Mittel dastehen, so ist aus dieser Rechnung nur der Schluss zu ziehen, dass sich alle anderen an ihnen bereichern und sie allein in der beschriebenen Weise verarmen. Quelle: Wirtschaft und Handel der Kolonialreiche, Dokumente zur Geschichte der europäischen Expansion, Band 4, herausgegeben von Eberhard Schmitt, übersetzt von Lieselotte Engl, Theo Engl und Walter Demm, Verlag C. H. Beck, München 25 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Mireille Simoni-Abbat Die vielen Gesichter des Quetzalcoatl Im Bereich der Kunst ist Quetzalcoatl das bezeichnendste Beispiel, weil in ihm alle Mehrdeutigkeiten und Widersprüche der verschiedenen [altmexikanischen] Religionen vereint sind. Im Gegensatz zu anderen Göttern, wie Tlaloc, mit ziemlich gleichbleibenden Attributen, ist Quetzalcoatl im Laufe der Jahre immer wieder von andern für sich beansprucht worden, von der vorklassischen Periode bis zum Christentum, das in ihm eine Verkörperung des heiligen Thomas sah. Sein Name, mit dem man die meisten seiner Darstellungen benennt, ist aztekisch (quetzal, wertvoller Vogel; coatl, Schlange); aber entspricht er auch immer dem gleichen Bild des Gottes? Seit der vorklassischen Periode ist die Schlange im Bild dargestellt worden, wenn sie für Erde und Wasser stand und für die Erneuerung der Vegetation, weil sie sich häuten kann. Im klassischen Teotihuacán ist die gesamte Fassade eines Tempels abwechselnd mit ihrem Maul und einem stilisierten Gesicht geschmückt, das an Tlaloc erinnert, aber vielleicht auch ihr eigenes nächtliches Gesicht darstellen soll; hier ist sie das doppelköpfige Ungeheuer. Ihr mit Seemuscheln verzierter, gewundener Körper umgibt den gesamten Bau. Man weiß nur wenig über die Bewohner von Teotihuacán, denn über Sprache und Mythos geben ausschließlich ihre Monumente Auskunft. Quetzalcoatl hat hier nicht mehr die Gestalt einer einfachen Schlange, weil sein Maul von einer Federkrause umgeben ist. Später bei den Tolteken erhielt er ein Menschengesicht. Damals begann man, die Geschichte schriftlich niederzulegen, und Geschichte und Mythos mussten miteinander in Einklang gebracht werden. Eines Tages wurde ein Fürst geboren, der ce acatl (,,1 - Schilf“), Topiltzin („unser Fürst“), Quetzalcoatl hieß. Sein Kalendername ,,1 - Schilf“ und das Patronat des Gottes Quetzalcoatl waren bestimmend für sein Schicksal als Fürst. Den meisten Quellen zufolge war er Sohn eines Chichimeken, also eines „Barbaren“, und einer Nonoalaca-Prinzessin von einem der zivilisiertesten Völker im Tal von Mexiko, die die Zerstörung von Teotihuacán überlebt hatten. In ihm stießen zwei Traditionen aufeinander, und seine Geschichte bestand nur aus Widersprüchen. Als weiser Herrscher, Freund der Künste, Feind der Menschenopfer förderte er die Tugenden und die edelsten Künste. Aber er unterlag seinem Rivalen Tezcatlipoca, dem ersten der Götter ohne Gesicht, die im mexikanischen Abenteuer eine Rolle spielten. Nun triumphierten die Kälte, der Norden, der Krieg, die Finsternis in den Hochtälern. Jener friedfertige Herrscher jedoch zog ans atlantische Ufer 26 und verbreitete Macht und Blutvergießen im MayaGebiet. In Zentralmexiko hingegen verkörperte er alle kulturstiftenden Ideale. Quelle:Mireille Simoni-Abbat, Mexiko, Universum der Kunst, Verlag C.H.Beck, München Mit Genehmigung des Verlags C.H.Beck, München Pater António Pires (1558) Die Bekehrung der Kannibalen Brasiliens Ehrwürdiger Vater [Provinzial des Jesuiten-Ordens in Lissabon], Ihr werdet bereits aus den beiden Mitteilungen, die im Verlauf dieses Jahres 1558 von hier abgegangen sind, entnommen haben, was Unser Herr in Seinem bedürftigen Weinberg durch die Patres und Brüder der Gesellschaft Jesu getan hat. Aber obwohl es nicht sehr von dem abweicht, was in der Vergangenheit bereits berichtet wurde, möchte ich [...] etwas über die Früchte sagen, die in der Folgezeit mit göttlicher Hilfe und Gnade eingebracht werden konnten. [...] Vor allem, Ehrwürdiger Vater, müsst Ihr wissen, dass wir allezeit die größtmögliche Mühe darauf verwenden, den hiesigen Indios die wahre Kenntnis unseres Heiligen Glaubens zu vermitteln. Zu diesem Zweck suchen wir die einfachste und angenehmste Weise [der Vermittlung], denn wir erhoffen längerfristig bessere Ergebnisse unserer Bemühungen, als wir sie bisher vorfinden. [...] So haben wir nach Wegen gesucht, damit mehr Indios als bisher unterrichtet und intensiver im Glauben unterwiesen werden können. Um aber diese Absicht auszuführen, ist es zunächst notwendig, mit einigen Hindernissen fertig zu werden, die die Indios selbst aufgerichtet haben. Dabei war der erste Schritt – und er bedeutete schon einen großen Erfolg –, die Indios aus vier verstreuten Ansiedlungen zu einem großen Dorf zusammenzufassen. Während zuvor viele von uns notwendig waren, um sie zu lehren und zu unterweisen, da sie verstreut waren, werden nunmehr nach der Zusammenlegung wenige von uns gebraucht. Darüber hinaus ist es auf diese Weise einfacher, ihre Irrungen und Sünden zu bekämpfen, denen sie zuvor noch nachhingen, als sie räumlich so verteilt waren. Wir hoffen, mit dieser von Gott gegebenen guten Ordnung und Harmonie mehr Erfolg bei ihnen zu haben. Und das wird zu Ehre und zum Ruhm Seines Heiligen Namens und zum genaueren Verständnis [Seines Glaubens] gereichen. Behinderungen, die wir inständig hofften überwinden zu können, waren die andauernden und grausamen Kriege, die sie untereinander austragen. Ihre Unrast war das Haupthindernis für eine gegenseitige Verständigung. Ihre ständigen kriegerischen Auseinandersetzungen hatten viele Tote zur Folge, und sie würden sich gegenseitig verspeisen, ein [Brauch], der sehr schwer zu unterbinden war, auch wenn sie ihm nicht länger anhängen. Zumindest ist kein Fall bekannt, dass sie es getan hätten, denn wenn es herauskommt, werden sie dafür sehr streng bestraft, wie sie es für eine solche schwerwiegende und menschlichen Gebräuchen zuwiderlaufende Sünde verdienen. Wenn dieser Fortschritt weiter so verläuft, wie er dies mit Gottes Gnade zu tun scheint, dann werden wir in der Lage sein, in der Zukunft eine noch größere Ernte einzubringen. Ganz zu Anbeginn, als der Gouverneur beschloss, das Land zu befrieden und alle jene verbrecherischen Kriegsbräuche, wie Mord und das Essen von Menschenfleisch, zu verbieten, und als er ein Gesetz verabschiedete, um all dieses zu unterbinden, machten sich einige Indios darüber lustig. Zuvor waren sie nämlich nicht sehr [streng] für Verstöße bestraft worden, und sie stellten den Verzehr von Menschenfleisch nicht ein, auch wenn sie vortäuschten, dies zu tun. Aber sobald der Gouverneur davon erfuhr, befahl er, den nächstbesten, der Menschenfleisch aß, gefangenzusetzen. Ohne jemand weiter um Rat zu fragen außer den Heiligen Geist [...], befahl er, Soldaten und Boote bereitzustellen. Und er ordnete an, zwei Häuptlinge, Vater und Sohn, festzunehmen. Alle Indios überkam daraufhin große Angst, und noch viel größer war der Kummer des Teufels, weil ihm so viele verlorene Seelen entrissen worden waren. Als die Dinge so standen, trug sich ein ähnliches Vorkommnis zur Zeit des Gouverneurs Dom Duarte da Costa zu. Ein anderer Indio, und zwar der hochmütigste in der ganzen Gegend, in dessen Dorf wir ein Missionsgebäude errichten wollten, lebte in solcher Ungebundenheit, dass es schien, als fürchte er niemanden. Und er war dagegen, dass das Gebäude dort errichtet würde. Darüber hinaus missdeutete er die Zeichen der Zeit, verachtete die Gesetze und aß mit seinen Anhängern an großen Festtagen Menschenfleisch. Der Gouverneur befahl ihn aus diesem Grunde zu sich und sagte, andernfalls wolle er seine Gefangennahme anordnen. Als der Indio dies vernahm, kam er sofort. Er glaubte, er werde nunmehr hingerichtet, wie es ihm der Bote, der ihm den Befehl des Gouverneurs überbracht hatte, gesagt hatte. Bevor er seine Leute zurückließ, sprach er zu ihnen und sagte, sie sollten sich anstrengen, um gut zu werden. Sie sollten aber bleiben, wo sie waren, denn er würde für sie alle bezahlen. Als der Indio dann in der Residenz des Gouverneurs ankam, wurde er von diesem unfreundlich empfangen. Der Indio aber warf sich dem Gouverneur zu Füßen, küsste diese, bat ihn um Vergebung und bot an, die Patres in seinem Dorf aufzunehmen und alle ihre Anordnungen auszuführen. Er brachte dies alles so bußfertig vor, dass er Gnade verdiente. [Einige Zeit später] kam ein weiterer Häuptling und tat das gleiche. Dies sind die Früchte, die der Herr von einem Acker erntet, der bisher brach lag, und im Dienste Gottes wurde beschlossen, sofort zum Dorf des Indios aufzubrechen und dort ein Gebäude zu errichten, wo die Indios unterrichtet werden konnten. Quelle: Der Aufbau der Kolonialreiche, Dokumente zur Geschichte der europäischen Expansion, Band 3, herausgegeben von Eberhard Schmitt, übersetzt von Matthias Meyn Verlag C.H.Beck, München 27 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Bartolomé de Las Casas (1511) Der Kampf der Dominikaner gegen Unterdrückung und Versklavung der Indios Zu dieser Zeit [1511] hatten die Mönche [Dominikaner] in Santo Domingo [auf La Española] das traurige Leben und die harte Knechtschaft der Eingeborenen dieser Insel beobachtet. Sie sahen, wie sie zugrunde gingen, ohne dass ihre spanischen Herren sich darum kümmerten, als seien es unnütze Lebewesen. Von ihrem Hinsterben nahmen sie nur insoweit Notiz, als sie ihnen in den Goldminen und bei anderen einträglichen Arbeiten fehlten; aber deshalb dachten sie nicht etwa daran, den Überlebenden mehr Mitgefühl und Menschlichkeit entgegenzubringen, sondern fuhren fort, sie in der gewohnten Weise zu unterdrücken, auszubeuten und zu verderben. Gewiss gab es unter den Spaniern Unterschiede [...]; aber allen, den einen wie den anderen, waren ausgesprochen oder unausgesprochen ihre eigenen, privaten und diesseitigen Interessen wichtiger als das Heil, das Leben und die Errettung dieser Unglücklichen. [...] Als nun die Mönche lange Zeit hindurch sahen, beobachteten und feststellten, was die Spanier den Indios zufügten, wie wenig sie sich um deren leibliches und seelisches Wohl kümmerten und wie groß die Unschuld, die nicht geachtete Geduld und Sanftmut der Indios war, begannen sie als geistlich gesinnte gottesfürchtige Männer die Wirklichkeit am Gesetz zu messen und miteinander über dieses schändliche und unerhörte schreiende Unrecht zu reden. Sie fragten sich: „Sind das nicht Menschen? Muss man nicht an ihnen das Gebot der Liebe und Gerechtigkeit erfüllen? Hatten sie nicht ihre eigenen Länder, ihre angestammten Herren und Obrigkeiten? Haben sie uns irgendetwas zuleide getan? Sind wir nicht verpflichtet, ihnen das Gesetz Christi zu predigen und mit aller Kraft an ihrer Bekehrung zu arbeiten? Wie ist es möglich, dass die zahlreiche Bevölkerung, die, wie man uns berichtet hat, auf dieser Insel gelebt haben soll, in der kurzen Zeit von fünfzehn oder sechzehn Jahren so grausam vernichtet werden konnte?“ [...] In ihrem Entsetzen über solche aller Menschlichkeit und allem christlichen Handeln hohnsprechenden Taten fassten die Brüder Mut, dieser schrecklichen Form tyrannischen Unrechts von Anfang bis Ende den Kampf anzusagen. Getragen von Eifer und Sorge für die Ehre Gottes und schmerzlich berührt über die schmähliche Missachtung der Gesetze und Gebote Gottes, über den Schaden, der dem Christentum zugefügt wird durch die Taten, die zum Himmel stinken, und voller Erbarmen für die große Zahl von 28 Seelen, die, da sich niemand ihrer annahm, gestorben waren und weiterhin stündlich starben, flehten sie Gott an und befahlen sich ihm, beteten, fasteten und wachten, um nicht irre zu gehen in einer so wichtigen Sache; denn ihnen war klar bewusst: Diese in einen so abgrundtiefen Schlaf gesunkenen Menschen aus ihrer Gefühllosigkeit aufzuwecken war völlig neu und musste einen gewaltigen Skandal hervorrufen. Schließlich wurden sie nach wiederholter gründlicher Beratung einig, öffentlich in der Predigt von den Kanzeln zu verkündigen und zu erklären, diejenigen unserer Landsleute, die diese Menschen in ihrer Gewalt hatten und unterdrückten, befänden sich im Stand der Sünde; sie würden, wenn sie darin stürben, am Ende für ihre Unmenschlichkeit und Habsucht ihren Lohn empfangen. Die Gelehrtesten unter ihnen einigten sich auf Anordnung des Paters Pedro de Córdoba, ihres Vikars, eines überaus klugen Dieners des Herrn, über eine Predigt, die als erste in dieser Sache gehalten werden sollte, und bestätigten sie alle mit ihrer Namensunterschrift, damit es klar sei, dass es sich hier nicht nur um eine Sache des dazu bestimmten Predigers, sondern um ein Vorgehen nach Beratung und mit Zustimmung und Billigung aller handle. Der Vikar bestimmte, dass diese Predigt von dem Bruder Antón Montesinos, dem hervorragendsten Kanzelredner außer ihm, gehalten werden sollte. Er war der Zweite von den Dreien, die diesen [Dominikaner-] Orden hier einführten [...]. Dieser Pater Antón Montesinos hatte eine Gabe zum Predigen; schroff verurteilte er die Laster, farbig und wirkungsvoll waren seine Predigten und Worte, und so brachte er, oder man nahm es zumindest an, reiche Frucht. Weil er stark und aufrecht war, übertrugen sie ihm die erste Predigt über diese für die Spanier auf der Insel so neue Angelegenheit. Die Neuheit bestand in nichts anderem, als zu bekräftigen: Diese Menschen zu töten sei eine größere Sünde als Wanzen zu zertreten. [...] Damit die ganze Stadt Santo Domingo zu der Predigt erscheine und niemand fehle, wenigstens von den Honoratioren, suchten sie den zweiten Admiral [Diego Colón, den Sohn des Kolumbus], der damals die Insel regierte, die königlichen Beamten und alle gelehrten Juristen, die dort wohnten, persönlich auf und luden sie zu ihrer Predigt am Sonntag in die Hauptkirche ein. Sie betonten, wie wichtig ihr Erscheinen ihnen sei; denn sie hätten etwas zu verkünden, was alle angehe. Alle sagten gerne zu, einerseits sowohl wegen der ehrerbietigen Aufwartung, die sie ihnen gemacht hatten, wie auch, weil man sie wegen ihrer Tugenden und bescheidenen Lebensweise und ihrer Strenge in Glaubenssachen hochschätzte, andererseits, weil jeder hören wollte, was es denn sei, was sie alle in so hohem Maße anginge. Hätten sie geahnt, um was es ging, man wäre nicht dazu gekommen, es ihnen zu predigen, denn so etwas wollten sie nicht hören, noch hätten sie es zugelassen, dass es gepredigt würde. Als nun der Sonntag und die Zeit der Predigt gekommen war, bestieg Pater Antón Montesinos die Kanzel und nahm als Thema und Grundlage seiner schriftlich vorbereiteten und von den übrigen Brüdern gegengezeichneten Predigt das Wort: „Ego vox clamantis in deserto“ [“Ich bin die Stimme eines Rufers in der Wüste“; Joh. 1,23]. Nach den einführenden Worten, die sich auf die Adventszeit bezogen, begann er ihnen eindringlich darzulegen, wie die Gewissen der Spanier dieser Insel eine unfruchtbare Wüste seien, wie blind sie dahinlebten, in welcher Gefahr ewiger Verdammnis sie stünden, weil sie die überaus schweren Sünden gar nicht bemerkten, in die sie, ohne es zu fühlen, versunken seien und in denen sie sterben müssten. Auf seinem Thema beharrend, fuhr er fort: „Um euch [eure Sünden] vor Augen zu führen, habe ich, der ich die Stimme Christi auf dieser Insel bin, die Kanzel bestiegen; euch aber tut Not, dass ihr aufmerksam, von ganzem Herzen und mit all euren Sinnen auf sie hört; sie ist für euch so ungewohnt, so schroff, so hart, so schrecklich und gefährlich, wie ihr nie vermeintet, sie zu hören.“ Diese Stimme sprach über eine gute Weile eindringlich mit strafenden, erschrecklichen Worten auf sie ein; sie fingen an zu zittern, und sie fühlten sich wie am Tage des Jüngsten Gerichts. Es war eine große, allumfassende gewaltige Stimme, die ihnen erklärte, was es mit dieser Stimme auf sich habe und was sie aussage. „Diese Stimme“, so fuhr er fort, „sagt: Ihr seid alle in Todsünde und lebt und sterbt in ihr wegen der Grausamkeit und Tyrannei, die ihr gegen jene unschuldigen Völker gebraucht. Sagt, mit welchem Recht und mit welcher Gerechtigkeit haltet ihr jene Indios in einer so grausamen und schrecklichen Knechtschaft? Wer hat euch Vollmacht gegeben, so verabscheuungswürdige Kriege gegen diese Menschen zu führen, die ruhig und friedlich ihre Heimat bewohnten, von denen ihr unzählige durch unerhörte Mord- und Gewalttaten ausgelöscht habt? Wie könnt ihr sie so unterdrücken und plagen, ohne ihnen zu essen zu geben noch sie in ihren Krankheiten zu pflegen, die sie sich durch das Übermaß an Arbeit, die ihr ihnen auferlegt, zuziehen, und sie dahin sterben lassen oder, deutlicher gesagt, töten, nur um täglich Gold zu graben und zu erschachern? Was tut ihr, um sie zu lehren, dass sie Gott, ihren Schöpfer, erkennen, getauft werden, Messe hören, Feiertage und Sonntage halten? Haben sie nicht vernunftbegabte Seelen? Seid ihr nicht verpflichtet, sie zu lieben wie euch selbst? Das versteht ihr nicht? Das fühlt ihr nicht? Was für ein tiefer Schlaf, welche Lethargie hält euch umfangen? Seid sicher, dass ihr in diesem Zustand, worin ihr euch befindet, genauso wenig das Heil erlangen werdet wie Mauren und Türken, die den Glauben an Jesus Christus nicht haben und auch nicht danach fragen!“ Solcher Art legte er ihnen die Stimme [Christi] aus. Viele waren sprachlos, einige wie von Sinnen, die anderen verstockt, manche sogar zerknirscht, aber keiner, wie ich später hörte, bekehrt. [...] Quelle: Wirtschaft und Handel der Kolonialreiche, Dokumente zur Geschichte der europäischen Expansion, Band 4, herausgegeben von Eberhard Schmitt, übersetzt von Lieselotte Engl und Theo Engl, Verlag C.H. Beck, München 29 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Zusammenleben und soziale Strukturen bei indigenen Völkern 4. Zusammenleben und soziale Strukturen bei indigenen Völkern Jedes Volk, jede Gruppe von Menschen organisiert sich, gibt sich Regeln und verortet sich in seinem Umfeld. Daraus entstehen eine Vielzahl von Strukturen und Organisationsformen. Dies gilt auch für die indigenen Völker Lateinamerikas. Im folgenden Text werden einige Beispiele von der Vielfalt möglicher sozialer Strukturen aufgezeigt. 4.1. Wer gehört dazu? Das Grundelement fast jeder sozialen Organisation ist die Familie. Aber wer gehört zur Familie? Das bestimmt jedes Volk für sich. Die Familie bildet bei indigenen Völkern in der Regel den Kern der Gemeinschaft und die verwandtschaftlichen Beziehungen spielen eine große Rolle in der Organisation des sozialen Lebens. Bei einigen indigenen Völkern des Amazonastieflands ist die kleinste Einheit die erweiterte Familie, die auch unter einem Dach leben kann. Die Shuar in Peru und Ecuador bauten beispielsweise Häuser von mehr als 30 Meter Länge, in denen ca. 100 Personen zusammenlebten. Zum Teil findet sich diese Organisations- und Wohnform bis heute. Manchmal bestand somit ein Dorf aus einem einzigen dieser großen Häuser, manchmal aus mehreren mit ihren jeweiligen Familien. Andere indigene Völker – vor allem in den Anden – leben in der erweiterten Kleinfamilie, d. h. die Eltern mit ihren Kindern und Enkeln, begleitet manchmal von alten oder versorgungsbedürftigen Verwandten. Im Andenhochland spielt die Dorfgemeinschaft eine ebenso große Rolle wie die Familie. Der „compadre“ oder die „comadre“, was sich nur unzureichend mit Pate oder Patin übersetzen lässt, haben eine große Bedeutung. Sie beziehen nicht verwandte Kenu-Frau mit Enkelkind Personen mit in die Familie ein 30 und binden Paten und Patenkind sowie die Eltern und die Paten wirtschaftlich und sozial eng aneinander. Der „compadre“ ist für die ökonomischen Zukunftschancen eines Kindes mindestens so wichtig wie die Eltern. Ehe und Kinder bleiben bei indigenen Völkern, viel mehr als etwa in Deutschland, unter der Francisco Zamata aus Q’eros, Peru Obhut, Kontrolle und Fürsorge der Gemeinschaft, das heißt nicht nur der Kleinfamilie, sondern mindestens der erweiterten Familie, zuweilen auch der Dorfgemeinschaft. Das Lebensalter hat in indigenen Gemeinschaften oft eine andere Bedeutung als in westlichen Kulturen. Alte Menschen haben ihre Bedeutung weniger entsprechend ihrer „Verwertbarkeit“ auf dem Arbeitsmarkt sondern viel mehr durch traditionelle Rollenzuweisung. Alte Menschen verlieren nicht ihre Bedeutung als Mitglied der Gemeinschaft und der Familie. Als erfahrene und kenntnisreiche Menschen haben sie teil an allen Aktivitäten, Festen und Arbeiten. Häufig bekommen die Alten ganz besondere Rollen und Aufgaben zugeteilt, wie in politischen Vertretungsorganen der Gemeinschaft (z. B. Ältestenrat), als Richter oder Dorfvorsteher. Ihre Versorgung ist eine selbstverständliche Aufgabe der Familie und Gemeinschaft, die allerdings mit der sich verschärfenden Wirtschaftskrise schwieriger wird. Allerdings kann man in indigenen Gemeinschaften auch gelegentlich den vereinsamten und vernachlässigten Alten finden, wenn es keine Kinder gibt, die sich um ihn kümmern. So werden bei den Warao, die im OrinokoDelta in Venezuela leben, alte Männer nur notdürftig versorgt, während die alten Frauen in ihren Familien integriert bleiben. Alle indigenen Völker haben für sich die Rollen geklärt, die die Einzelnen im Familienverband oder der Verwandtschaftsgruppe wahrnehmen: Wer ist das Familienoberhaupt, wer entscheidet, wer erledigt welche Arbeit, wer ist für die Erziehung der Kinder, Hof in der Nähe von Ayapata, Cordillera Carabaya, Peru für die Kontakte zu anderen Familien, zu anderen Dörfern zuständig, wer heiratet wen? Da gibt eine Vielzahl von Regelungen. Bei den ostbolivianischen Mía (Sirionó) sind junge Frauen und Männer z. B. zur Kreuzkusinen- bzw. Kreuzvetternheirat verpflichtet. Ein Mann muss die Tochter des Mutterbruders (Onkel), eine Frau den Sohn der Vaterschwester (Tante) heiraten. Alle anderen möglichen Verbindungen gelten als inzestuös. Die Wohnung bezieht das neue Paar dann beim Vater der Frau, der gleichzeitig der Mutterbruder (für uns Onkel) des Mannes ist. Eine wichtige Frage, die dabei auch geklärt werden muss ist, wer erbt, d.h. vor allem wer erbt das Land? Bis auf wenige Ausnahmen basieren Familiengefüge auf einem patrilinearen System, das heißt die Erbfolge geht vom Vater auf den Sohn. In den Anden wird der Zugang zu Land über beide Linien vererbt, d. h. die Frau vererbt ihr Land an die Töchter, der Mann an die Söhne. Nur wenige indigene Völker haben eine matrilineare Erbfolge wie zum Beispiel die Wayú, die in der Grenzregion von Venezuela und Kolumbien an der Karibikküste leben. Es ist für alle sozialen Gruppen, in besonderer Weise aber für kleinere indigene Völker wichtig, genau zu wissen, wer sie sind und zu welcher Gruppe sie gehören. Dies betrifft nicht nur die Familie, sondern die Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe, zu einem Volk. Sie benötigen eine Gewissheit über ihre eigene Identität. Dies stellt den Schutzraum dar, in dem unter meist widrigen Umständen der natürlichen Umgebung ein Überleben möglich ist. Genau zu wissen, wer man ist, bedeutet jedoch auch, genau zu wissen, wer man nicht ist. Die Abgrenzung zu anderen Völkern festigt somit den inneren Zusammenhalt in der eigenen Gruppe. Die Kenntnis und Befolgung der eigenen Regeln gewährleistet den Fortbestand dieser Gruppe 4.2. Soziale Organisation im Wandel In indigenen Dörfern und Siedlungen lassen sich Art und Weise des Zusammenlebens von denen nichtindigener Gemeinschaften noch deutlich unterscheiden. Die Gemeinschaft übernimmt in indigenen Sozialstrukturen Aufgaben, die in westlichen Gesell- Dorfbewohner auf dem ecuadorianischen Hochland schaften häufig innerhalb der Familien geregelt werden oder gar bereits gänzlich dem Staat oder dem Markt überlassen sind: Erziehung, Umgang mit Krankheit oder Tod, aber auch Ernährung sind Bereiche, die kollektiv geregelt sind und an denen die gesamte Gemeinschaft teilhat. Dafür existieren Werte und Konzepte wie individuelle Freiheit oder Selbstverwirklichung nur in geringem Maße. Da viele indigene Gemeinschaften mit der westlichen Lebensweise in Kontakt stehen und sich nach und nach verändern, werden auch Dinge wie persönliche Lebensplanung, Privatbesitz von Geld und Grund zunehmend bedeutender. Das Überleben indigener Gemeinschaften fußt aber oft auf dem Verständnis gemeinschaftlichen Besitzes. Daher stellt die Einführung von Privatbesitz von Boden oder Lohnarbeit eine Bedrohung für die Zukunft der Gemeinschaften dar. Mittlerweile leben viele Indigene auch in Städten, wo sie ihre sozialen Organisationsstrukturen nicht so wie im Dorf aufrechterhalten. Sie sind in der Stadt nicht mehr in der Landwirtschaft, auf der Jagd oder beim Fischfang tätig, sondern arbeiten in Verwaltungen, Firmen oder als Kleinunternehmer. Die meisten haben jedoch keine feste oder nur eine sehr schlecht bezahlte Arbeit. In vielerlei Hinsicht passen sie sich den Werten und Umgangsformen in den Städten an – auch als Reaktion auf den allseits verbreiteten Rassismus und die Diskriminierung, der sie ausgesetzt sind und der sie durch Anpassung zu entgehen suchen. Oft haben Indigene aber in diesen neuen Situationen ihre eigenen Formen des Zusammenlebens, der sozialen 31 Zusammenleben und soziale Strukturen bei indigenen Völkern Verständigung, der politischen Vertretung und Meinungsbildung bewahrt, bzw. entsprechend angepasst oder neu entwickelt. Nicht immer ist das für Außenstehende leicht erkennbar. Staatliche Einrichtungen wie Wahlen, Schulen, Ämter, Gerichte oder Gefängnisse liegen der Lebensweise von Indigenen in ländlichen Regionen oft fern. Die wesentlichen damit verbundenen Aufgaben haben indigene Völker für sich selbst organisiert, wie beispielsweise die Erziehung und Unterweisung der nächsten Generation, die Rechtsprechung und wenn nötig Bestrafung und Streitschlichtung. Nun aber leben indigene Völker nicht nur in ihrer Familie oder im Dorf, sondern sind einbezogen in nationalstaatlich organisierte Gesellschaften. Meist wollen sie in diesen Gesellschaften ihr Recht auf Anerkennung durchsetzen und sich im Rahmen der Möglichkeiten aktiv beteiligen. Sie sind daher auch an politische Verfahren, wie Wahlen und Gerichtsbarkeit gebunden. Damit sind jedoch andere Wertvorstellungen und Lebensweisen verbunden. Diese müssen für indigene Völker, insbesondere im Fall der zahlenmäßig kleinen und teilweise noch isoliert lebenden Völker im Tiefland des Amazonas, speziell vermittelt werden. Gleichzeitig fordern indigene Völker die Freiheit, nach ihren eigenen Wertvorstellungen und Typische Dorfanlage der Cayapó mit zentralem Männerhaus in den von ihnen entwickelten Sozialstrukturen leben zu können. Dies führt zu Spannungen und beinhaltet auch soziale Konflikte und Auseinandersetzungen zwischen der nicht indigenen Gesellschaft und den Indigenen. So kann es zum Beispiel sein, dass Frauen zwar an den allgemeinen Wahlen im Staat teilnehmen sollen, aber von den politischen Entscheidungsprozessen innerhalb des eigenen Volkes ausgeschlossen sind. moderne politische Spielregeln Mehrheitsentscheidungen bevorzugen. Bei vielen indigenen Gemeinschaften werden aber Entscheidungen nach dem Konsensprinzip getroffen. Beratungen über zu treffende Entscheidungen können sich über Tage oder Wochen hinziehen, bis ein Dorf einen Konsens findet, der von allen getragen wird. Wie sich im Zuge der Integration in die Nationalgesellschaften und in kapitalistische Produktionsweisen sowie der zunehmenden Globalisierung die Rollen und sozialen Strukturen der indigenen Gemeinschaften bewahren und ändern werden, bleibt abzuwarten. Nicht zu erwarten ist, dass alles so bleibt wie es war, denn lebendige Strukturen entwickeln sich weiter. Erhalten bleibt, was dem Überleben der eigenen Gruppe nützt – dieses Grundprinzip wird auch die zukünftigen Veränderungsprozesse bei indigenen Völkern bestimmen. Hof in Q’eros, Peru 32 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Der Filmemacher Gernot Schley hat eine Fernsehreihe über „Indianer – die unbekannten Völker“ erstellt, die vom Bayerischen Rundfunk ausgestrahlt und dann auch von anderen Fernsehsendern übernommen wurde. Der Autor und der Bayerische Rundfunk haben uns die Erlaubnis erteilt, Schulen diese Filme im Rahmen des „Ch@t der Welten“ Projektes gegen Portogebühr zur Verfügung zu stellen. Die einzelnen Filme dauern 60 Minuten und geben einen authentischen Einblick in das soziale Leben der besuchten Völker. Folgende Filme können bezogen werden: 1. Die Shuar – Kopfjäger im Regenwald 2. Die Shipibo – Volk der Künstler 3. Die Chinchero – Nachkommen der Inka 4. Die Sacambaya – Volk im Canyon 5. Die Katukina – Volk der Panther 6. Die Waiapí – Volk des Dschungels 7. Die Warao – Volk der starken Frauen 8. Die Aymara – Volk der Hochanden Bezug über: InWEnt – Regionales Zentrum NRW Elisabeth Helmke Wallstr. 30 40213 Düsseldorf elisabeth.helmke@inwent.org 33 Zusammenleben und soziale Strukturen bei indigenen Völkern 4.3. Kindheit und Jugend Die Region des „Chaco“ liegt im Länderdreieck von Bolivien, Paraguay und Argentinien. Das Leben dort ist hart. Im Sommer steigen die Temperaturen auf über 400 Celsius an, im Winter kann es zu Nachtfrösten kommen. Niederschläge sind rar und unregelmäßig. Eine nur schwer zu durchdringende Vegetation von ausgedehntem „Dornbusch“ und weiten Sumpfgebieten machte diese Region Südamerikas für die spanischen und portugiesischen Eroberer als Siedlungsgebiet uninteressant. Hier leben die ChacoIndianer, die durch Sammeln, Jagen und Fischen ihren Lebensunterhalt sichern. Im Chaco leben heute über 200.000 Indianer, die 19 Ethnien angehören. Das größte Volk sind die Guaraní, die in vorkolumbischer Zeit aus dem heutigen Brasilien eingewandert sind. Die Nivaklé, von denen im folgenden Beitrag öfter die Rede ist, leben in Paraguay. 34 Am Beispiel der Chaco-Indianer wird die Kindheit und Jugend bei indigenen Völkern geschildert. Aufwachsen in einer Großfamilie In der Tradition indigener Völker des Gran Chaco leben die Familien dort, wo die Frauen bzw. Mütter zu Hause sind. Das ist nicht immer an einen bestimmten geographischen Ort gebunden, sondern viel mehr durch die Lebensgewohnheiten der Familie gegeben. Früher waren die verschiedenen Gruppen sehr beweglich und wechselten im Laufe des Jahres mehrmals den Lager- oder Siedlungsplatz innerhalb ihres Gebietes. Heute sind die Gemeinschaften sesshafter geworden. Im Allgemeinen leben zwei oder drei Generationen von Müttern zusammen. Das heißt die Großeltern mit ihren verheirateten Töchtern und deren Kindern. Die Söhne ziehen zu den Familien ihrer Frauen, wenn sie heiraten. Die Großeltern gestalten ganz wesentlich die Erziehung ihrer Enkelkinder. Die Großmutter ist in Familienangelegenheiten die höchste Autorität. Sie waltet über die Lebensmittel und deren Verteilung innerhalb der Großfamilie. In früheren Zeiten, als noch die Kindstötung praktiziert wurde, entschied sie über Leben und Tod des Neugeborenen. Sie gibt auch den Kindseltern die wichtigsten Instruktionen im Hinblick auf die Erziehung der Kinder und ist sehr häufig mit der Namensfindung beauftragt. Die Hütten der verheirateten Töchter wurden früher unmittelbar angrenzend an die der Mutter gebaut. So wuchsen die Kinder in enger Gemeinschaft dieser Großfamilie auf und nahmen am Leben der Erwachsenen teil. Es gab keine Trennung zwischen Angelegenheiten der Erwachsenen und dem Leben der Kinder. Dies hat sich teilweise verändert, wenn über Entwicklungsprojekte festere Häuser aus Ziegel gebaut wurden und eine Raumordnung eingeführt wurde, die sich an den Bedingungen der Weißen orientiert. In vielen städtischen Vierteln, wo indianische Gemeinschaften leben, wird die verwandtschaftliche Nachbarschaft so weit wie möglich beibehalten. Geburt Die Geburt eines Kindes gehört zum Alltagsgeschehen einer Großfamilie. Ein Nivaklé-Indianer erzählt: „Als mein jüngerer Bruder geboren wurde, befanden wir uns beim Umzug von einem Lagerplatz zu einem anderen. Meine Mutter bat die Familie, Rast zu machen. Während wir äßen, könne sie sich ein wenig hinlegen, meinte sie. Dort gebar sie meinen Bruder. Nicht lange danach machten wir uns wieder auf den Weg, gemeinsam mit meiner Mutter und dem Neugeborenen, das sie an ihrer Brust in einem Tragegurt trug.“ Eltern und Hebammen müssen bestimmte Tabus beachten, um die Ankunft des Kindes in der Gemeinschaft zu erleichtern und es nicht zu erschrecken. So findet die Geburt in großer Stille statt. Die Mutter darf bis 30 Tage nach der Geburt kein Fleisch und keinen Honig essen, damit das Blut von Mutter und Kind gestärkt bleibt. Der Vater darf sich körperlich nicht schweren Anstrengungen aussetzen und scharfe Gegenstände wie Messer, Axt und Machete benutzen, um das Wachstum des Kindes nicht zu gefährden. So kam ein frisch gebackener Vater, der als Helfer eines Tierarztes tätig ist, drei Wochen lang nicht zur Arbeit. Als er die Arbeit wieder aufnahm, sagte er seinem Chef, seine Mutter habe ihm geraten, nicht zur Arbeit zu gehen, da der Umgang mit Spritzen sich auf ihn wie auf das Neugeborene negativ auswirken könne. Ein Vater, der diesen Regeln nicht mehr traute, ging drei Wochen nach der Geburt seines Kindes auf die Jagd und kam mit gemachter Beute wieder heim. In der darauf folgenden Nacht begann sein neugeborener Sohn zu weinen. Offensichtlich hatte er Augenschmerzen. Am darauf folgenden Tag konnte er seine Augen nicht mehr öffnen, da sie stark angeschwollen waren. Die Verwandten sprachen mit dem Vater und wiesen ihn darauf hin, dass dies geschehen sei, weil er das Tabu gebrochen habe. Der Nordwind habe ihm den Rauch der Flinte in die Augen geweht und seinen Sohn verletzt. Kinder im Chaco Kinder in der Schule im Chaco 35 Zusammenleben und soziale Strukturen bei indigenen Völkern Welche Traditionen gab es in Deiner Verwandtschaft im Umfeld der Geburt eines Kindes? Erzähle Eltern und Großeltern, was Du über Geburt bei Indianern gelernt hast. Frage Eltern, Großeltern nach ihren Erfahrungen und ihrem Wissen. Vergleiche das Wissen der Eltern mit dem der Großeltern. Was geschieht heute im Umfeld einer Geburt? Falls Du jüngere Geschwister hast: Erinnerst Du Dich an die Zeit, als sie geboren wurden? Was passierte da? Nimm Kontakt mit einer Hebamme auf. Erzähle ihr, was Du über Geburt bei Indianern gelernt hast und frage sie nach ihren Erfahrungen und Kenntnissen in der Betreuung und Begleitung von Schwangeren und jungen Müttern. Der Säugling Dem Säugling wird die größtmögliche Aufmerksamkeit zuteil. Sobald er unruhig wird, stillt ihn die Mutter. Er sollte nie nach Muttermilch und mütterlicher Wärme schreien müssen, weshalb die Mutter ihn auch meist bei ihren Aktivitäten dabei hat. Ihre Nähe und Fürsorge bildet das Fundament der Entwicklung von Sicherheit und Geborgenheit des Kindes. So wird verständlich, wenn die Indianer sagen, dass mit der Muttermilch nicht nur der Körper gestärkt, sondern auch die Seele genährt und entwickelt wird. Die Stillperiode kann bis zum fünften Lebensjahr reichen. Da heute indianische Frauen jedoch mehr Kinder großziehen müssen als früher und somit ein weiteres Kind häufig schon früher als erst nach fünf Jahren zur Welt gebracht wird, verkürzt sich die Stillzeit entsprechend. Von früher Kindheit an lernen die Kinder auch, sich zu beschränken und den Lebensbedingungen der Gemeinschaft und dem Verhalten der Erwachsenen anzupassen. So wird das Kleinkind gestillt, wann immer es danach verlangt. Wenn es jedoch groß genug ist, um andere Nahrung zu sich zunehmen, so isst es nur, wenn ihm Essen gegeben wird. Es lernt, seine Bedürfnisse zu beschränken, sich in Geduld zu üben und den Lebensbedingungen anzupassen. 36 Wichi-Indianer im Chaco Lernen durch Nachahmung „Das Indianerkind lernt das Leben im Spiel. Wenn die Mutter mit ihrem Töchterchen im Arme Wasser holt, so trägt das Mädchen einen winzig kleinen, dem der Mama ganz gleichen Krug. Füllt die Mutter ihren großen Wasserkrug, so füllt sie auch den ihres kleinen Töchterchens. Das Mädchen wächst und der Krug wächst. Sie begleitet ihre Mutter bald zu Fuß und trägt gleich ihr einen eigenen Krug auf dem Kopfe. Spinnt die Mutter, so spinnt auch ihr Kind auf einer Spielzeugspindel. Der kleine Junge spielt mit seinem Netz im Dorfe. Er fängt Laub, er fängt Tonscherben. Oft sind die Großväter die Lehrer. Ist er größer, so erhält er vom dem Großvater ein größeres Netz und begleitet ihn auf den Fischfang. Anfänglich fängt er nicht viel. Er und das Netz wachsen, und der Knabe, der Laub und Tonscherben gefischt hat, fängt große Panzerwelse, Palometas und vieles andere. Auf dieselbe Weise lernen die Kinder alles, was sie zu wissen nötig haben. Spielend lernt das Indianerkind den Ernst des Lebens.“ So beschrieb der schwedische Ethnologe Erland Nordenskjöld die Entwicklung der Kinder am Rio Pilcomayo zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Erziehung durch mündliche Überlieferung Durch seine Teilnahme am Alltagsleben wird das Kind Schritt für Schritt in das Leben der Gemeinschaft integriert, wobei die Erwachsenen auf Alter und Geschlecht Rücksicht nehmen. So lernen die Mädchen die Nahrungspflanzen genauer kennen, die die Mütter und Großmütter sammeln und zubereiten: Früchte, Wurzeln, Medizinpflanzen. Ebenso lernen die Jungen, wie man Honig sammelt, fischt und jagt. Mit den Techniken werden die entsprechenden Mythen weitergegeben, die die verschiedenen Handlungen in ihren geistig-religiösen Zusammenhang stellen. Diese begrün- Mädchen in Guatemala den auch die Verbote und den Respekt vor der Natur. Mit Hilfe der Mythen und Erzählungen erfahren die Kinder Schritt für Schritt wie die Welt nach den Vorstellungen ihres Volkes aufgebaut ist. So lernen sie, Werte und Normen der eigenen Gemeinschaft zu respektieren. Heute wird auch der Umgang mit Geld, mit Händlern und Arbeitgebern von den Kindern beobachtet. Häufig sind sie in diesem Bereich schon viel früher aktiv als es ihre Väter waren, da sie durch die Schule und die Kontakte zu den Weißen schneller Spanisch lernen. Umgang mit Beschränkungen und Verboten Ein Indianer erzählte, wie ihnen beigebracht wurde, sich zu beschränken: „Als in der Lagune, bei der wir wohnten, nur wenig Wasser vorhanden war, wurde uns Kindern verboten, in der Nähe des Wassers zu spielen, da es ausschließlich zum Trinken dienen musste und deshalb nicht schmutzig werden durfte. Damit wir diesem Verbot auch Folge leisten würden, drohten die Erwachsenen, dass andernfalls die Alte, die „Hüterin des Wassers“, kommen und uns stechen würde. Sie hatte Krallen wie der Ameisenbär und würde uns schwer verletzen können, falls wir nicht folgten.“ Die Androhung von Strafe durch Dritte ist weit verbreitet. Waren es früher ausschließlich die Hüter der Welt, so wird heutzutage auch mit der „Macht der Weißen“ gedroht. Es kann passieren, dass ein zweibis fünfjähriges Kind sich beim Anblick eines nichtindianischen Fremden weinend hinter der Mutter versteckt, weil die Eltern vorher mit der Bestrafung durch Weiße gedroht haben. Kinder lernen schon früh, auf ihr eigenes Verhalten Acht zu geben. Denn in der Gemeinschaft wird man leicht Opfer von Gelächter, Anschuldigungen oder Klatsch. So entwickeln sie einen Sinn für das, was gut und was nicht gut ist. Gleichzeitig lernen sie, sich mit Scham zurückzuziehen, wenn sie etwas falsch gemacht haben. Fühlt sich ein Kind schuldig, nimmt es Abstand von der Gemeinschaft und verlässt den engsten Familienkreis nicht mehr. Später, im Erwachsenenalter, ist es üblich, sich bei einem größeren Konflikt ebenfalls von der Gemeinschaft zu trennen und woanders hin zu gehen, bis über den Vorfall nicht mehr gesprochen wird. Umgang mit einem kindlichen Dickkopf Gelingt es der Mutter nicht, das Kind zu beruhigen, und besteht dieses auf seinem Willen oder wird gar zornig, so schenken die Eltern ihm keine weitere Beachtung und überlassen es sich selbst mit seinem Zorn. Folgende Begebenheit mag dies veranschaulichen: Eine Mutter, die mit ihrem dreijährigen Sohn und den beiden älteren Töchtern in einem Nachbardorf zu Besuch gewesen war, wollte den Heimweg antreten. Der Sohn, der schon müde war, wollte nicht mehr laufen und bestand darauf, dass die Mutter ihn in ihrer Tasche tragen möge. Doch die Mutter sagte ihm, diese sei schon voll, und machte sich mit den Mädchen auf den Weg. Der Junge trotzte und begann zu schreien. Nach einer Weile folgte er der Mutter langsam, schrie aber und protestierte heftig weiter. Schließlich schmiss er sich auf die Erde und schrie aus Leibeskräften. Die Mutter unterhielt sich mit ihren Töchtern und würdigte den Jungen keines Blickes, während sie weitergingen. Plötzlich hörte der Junge auf zu schreien, kam wieder zu sich und folgte der Mutter laufend, die schon über hundert Meter weit entfernt war. Als er sie erreichte, wurde weder von der Mutter noch von den Schwestern der Vorfall weiter kommentiert. Gib mit eigenen Worten wieder, was in der Begebenheit zwischen Mutter und Kindern geschah. Wie endete der Konflikt? War jemand verletzt oder beleidigt? Mädchen auf dem peruanischen Hochland 37 Zusammenleben und soziale Strukturen bei indigenen Völkern Was machen meine Eltern, wenn ich einen Dickkopf habe und meinen Willen durchsetzen will? Erzähle Erlebnisse aus der eigenen Familie mit Vater und Mutter? Wie habt Ihr Euch schließlich geeinigt? War das schwer? Kannst Du Dir einen anderen Umgang vorstellen? Spielzeug Kinder können stundenlang mit kleinen bzw. jungen Tieren spielen (Hunden, Straußen, Reihern, Papageien usw.). Eltern und Großeltern basteln Spielzeug wie Puppen, Reifen, Bälle, kleine Gebrauchsgegenstände wie Taschen, Schälchen, Pfeil und Bogen aus Knochen, Kürbis, Holz und Fasern. Mit der Nähe zum Markt erhält auch Plastikspielzeug immer stärker Einzug in die Dörfer, doch auch die verschiedensten Abfälle wie alte Kartons und Autoreifen werden zu Spielzeug umfunktioniert. Arbeitsauftrag an Lehrer: „Spielen mit wenig Spielzeug“ Sammeln Sie Abfallmaterial (Kartons, Schrauben, Verpackungsmaterial usw.) und/oder natürliches, unbehandeltes Material Ihrer Umgebung (Äste, Zweige, Fasern, Steine usw.). Teilen Sie die Klasse in Kleingruppen auf; geben Sie jeder Gruppe ein paar Materialien (wenig!) Lassen Sie die Schüler sich in Kleingruppen mit diesem (und nur diesem) Material spielerisch beschäftigen (nicht zu kurz; mindestens 20 Minuten). Werten Sie gemeinsam die Erfahrungen aus. Teilungspflicht Das Leben der Großfamilie basiert auf dem Grundsatz, dass alle Lebensmittel selbstlos miteinander geteilt werden. Auch wenn es heutzutage unter dem Einfluss der Weißen zu Veränderungen kommt, die nicht selten mit großen Schwierigkeiten für die Familien verbunden sind, bleibt dieses Grundprinzip weiterhin als Orientierung des Sozialverhaltens bestehen. Bei Jäger- und Sammlervölkern wie denen im Gran Chaco ist dies besonders wichtig, da der Jagderfolg 38 des einzelnen nicht immer gesichert ist. Dies gilt in ähnlicher Weise für die heutige Situation auf dem Arbeitsmarkt. Die unabdingbare Teilungspflicht innerhalb der Gruppe erfährt das Kind dadurch, dass entweder alle zu essen haben oder alle hungern. Neid und Habsucht sind die schlimmsten Beleidigungen, die den Indianern nachgesagt werden können. Als eine der größten Tugenden gilt es, persönlichen Vorteil auszuschlagen. Dazu folgendes Beispiel: Als der Großvater nach einem harten Arbeitstag nach Hause kam, gab er seinen beiden Enkelsöhnen von dem Mahl, das ihm gegeben worden war, und behielt für sich selbst nur wenig. Da wurde er gefragt, warum er denn nicht mehr essen wolle, wo er doch müde und hungrig von der Arbeit zurückgekehrt sei und nun wieder zu Kräften kommen müsse. Er antwortete: „Jetzt müssen die Jungen Kräfte sammeln, nicht ich!“ Durch die Erfahrung selbstloser Verteilung lernen die Kinder die Verpflichtung und Ansprüche kennen, die innerhalb der Gemeinschaft bestehen und denen man durch Teilen von dem, was man bekommt, genügt. So kann man bereits bei kleinen Kindern beobachten, wie sie ihr Essen mit ihren Geschwistern teilen. Mit der gegenseitigen Abhängigkeit wächst auch ein starkes Gefühl der Verbundenheit sowie der Respekt und die Verantwortung gegenüber dem anderen. Nur ganz selten kommt es vor, dass jemand einem Mitglied der Familie einen einmal ausgesprochenen Wunsch verweigert. Denn ein klares „Nein“ wird wie ein Faustschlag ins Gesicht gesehen. Mädchen auf dem ecuadorianischen Hochland Mädchen aus Q’eros, Peru Beschreibe das Leben in einer indianischen (Groß-)Familie! wer lebt zusammen? wer nimmt welche Rolle ein? Welche Rollenverteilung kennst Du? Sind diese der indianischen Rollenverteilung identisch? Schule Im Leben indianischer Kinder wird die Schule zu einem wichtigen Bestandteil in ihrem Leben. Abgesehen von Schulspeisungen, die in verschiedenen Ländern den Kindern gewährt werden und für deren Ernährung sehr wichtig sind, stellen Eltern inzwischen hohe Erwartungen an die Schule, um die Kinder und Jugendlichen auf das Leben als Bürger ihres Landes vorzubereiten und die dafür notwendigen Kenntnisse zu vermitteln. Je nach Zugangsmöglichkeiten schicken die Eltern die Kinder in die Schule, wenn sie ins schulfähige Alter gelangen. Doch die Enttäuschungen sind auf allen Seiten sehr groß. Viele brechen die Schule während des ersten Jahres ab, viele erscheinen sehr unregelmäßig und kommen meist über die dritte oder vierte Klasse nicht hinaus. In Paraguay gibt es im Landesdurchschnitt in indianischen Schulen nach der dritten Klasse bereits über 50% weniger Schüler als in die erste Klasse eingeschult wurden. Das hat viele Gründe, von denen die wichtigsten hier erwähnt seien: a) Die meisten Lehrer sind formal wie inhaltlich vollkommen ungenügend ausgebildet. Viele haben nur einen Primarschulabschluss, eine besondere pädagogische Ausbildung für den Unterricht mit indianischen Gemeinschaften gibt es in den meisten Fällen nicht. b) Schule als Teil der Erziehung ist den indianischen Kindern und Jugendlichen fremd. Außerdem geht man in den Schulen nicht auf die Werte und Vorstellungen der Jugendlichen ein sondern verlangt von ihnen, dass sie sich an die „offizielle“ Kultur anpassen. c) Da der weitaus größte Teil des Unterrichts auf Spanisch (bzw. in Brasilien auf Portugiesisch) und nicht in der indigenen Sprache erfolgt, können viele Kinder dem Unterricht nicht angemessen folgen. d) Viele Familien sind nicht sesshaft oder arbeiten als Saisonarbeiter immer wieder in anderen Gegenden. Darauf ist der Schulbetrieb nicht eingestellt und viele Eltern müssen ihre Kinder dann von den Schulen nehmen. Wie erleben indianische Kinder und Jugendliche die Schule? Was verändert sich für indianische Kinder und Jugendliche durch die Schule? Passt die Schule mit der indianischen Lebensweise zusammen? Welche Möglichkeiten bleiben indianischen Kindern und Jugendlichen verwehrt, wenn sie keine Schulbildung bekommen? Die Initiation – Übergang von der Kindheit zur Jugend Entscheidende Punkte im Jahresablauf sowie im Lebenslauf waren und sind für alle indianischen Völker die Feste und Feierlichkeiten. Ganz besondere Bedeutung haben die Initiationsrituale, durch welche die Kinder den Übergang zum Jugendlichen vollziehen. Bei den verschiedenen Völkern können Einzelheiten sehr unterschiedlich sein. Immer geht es jedoch darum, innerhalb der Gemeinschaft deutlich zu machen, dass die Jugendlichen nun ins Alter der Geschlechtsreife eintreten. Wenn bei den Jungen der Stimmbruch einsetzt und die Mädchen ihre erste Monatsblutung haben, ist die Zeit für die Teilnahme an diesem Ritual gekommen. Es sind für Jungen und Mädchen jeweils verschiedene Feste mit unterschiedlicher Ausprägung. Heute gibt es auch Gemeinschaften, die durch die Christianisierung die alten Formen nicht mehr pflegen, sondern im Rahmen von Patronats- oder Tauffesten die Initia- 39 Zusammenleben und soziale Strukturen bei indigenen Völkern tionsrituale integriert haben. Bei manchen Chacovölkern, wie z.B. den Wichí und den Nivaklé, wurden die Mädchen früher im Alter von 7 bis 10 Jahren im Gesicht tätowiert. Dieser Brauch ist heute fast völlig verschwunden. Für die Jungen ist die Initiationsfeier mit ernsthaften Prüfungen verbunden. So wird die Standhaftigkeit, Courage, die Besonnenheit und der Mut durch verschiedene Handlungen, durch Fasten, Geißelung, aber auch durch zeitweilige Isolierung von der Gemeinschaft gestärkt und geprüft. Außerdem wird der Jugendliche in Kenntnisse und Weisheiten eingeweiht, die von den Vorfahren überliefert und von Generation zu Generation weiter getragen werden. Mit dem Erlernen von Gesängen erhält der Jugendliche die nötigen Fähigkeiten, um mit den Hütern der Natur und der Welt in Verbindung treten zu können und ein erfolgreicher Jäger zu werden. Auch die Mädchen mussten sich beim Initiationsfest Nahrungstabus unterwerfen und Durchhaltekraft und Ausdauer beweisen, um in bestimmte spirituelle Gesänge und die damit verbundenen Kräfte eingeführt werden zu können. Für beide Geschlechter hat die Initiation große erzieherische Bedeutung auf dem Weg, erwachsen zu werden. Die Jugendlichen erhalten ihren entsprechenden Status innerhalb der Gemeinschaft mit den diesem Alter entsprechenden Rollen, in die sie weiter hinein wachsen, bis sie schließlich als erwachsene Mitglieder in die Gemeinschaft aufgenommen werden. So beginnen die Jungen, an den Versammlungen des Dorfes teilzunehmen, ohne jedoch mitreden zu dürfen. Das Rederecht ist dort im Wesentlichen den Alten und Erfahrenen vorbehalten. Das Fleisch einer gefangenen Anaconda wird bei den Cayapó anlässlich von Jünglingsinitiationen verspeist. 40 Wie und was erleben indianische Kinder beim Übergang ins Jugendalter? Gibt es bei uns vergleichbares? Jugend und Heirat Heutzutage heiraten Männer und Frauen fünf bis zehn Jahre früher als in früheren Generationen. So gibt es Frauen, die bereits mit 14 Jahren Mutter werden. Dadurch verringert sich die Jugendzeit erheblich. Im traditionellen Sozialsystem lebte die Jugend eine Phase großer sozialer und sexueller Freiheit, ehe sie heiratete. Es ist genau die Entwicklungsphase eines Menschen, in welcher die körperlichen und seelischen Reifungsprozesse den einzelnen Menschen stark in Anspruch nehmen. Der Einfluss christlicher Moral und der damit verbundene Wertewechsel verurteilte die sexuelle Freizügigkeit der Jugend als Sünde. Während die Jugendlichen früher in ganzen Gruppen von Dorf zu Dorf zogen und von den Gemeinschaften entsprechend mit großer Gelassenheit mitversorgt wurden, sehen sie sich heute viel früher dazu gedrängt zu heiraten. Und da die traditionellen Methoden der Familienplanung ebenfalls größtenteils verdammt wurden, nimmt die Anzahl der Kinder in der jüngeren Generation entsprechend zu. Kindererziehung unter schwierigen Bedingungen Heute leben die Indianer des Gran Chaco vorwiegend in Dörfern, teilweise auch in Arbeitervierteln der Städte. Meist wohnen die Verwandtschaftsgruppen weiterhin zusammen. Je nach Arbeitsmöglichkeiten verlassen die Männer ihre Familien, manchmal sogar während der ganzen Woche oder noch länger. Wenn es möglich ist, versuchen die Männer, die Familien mitzunehmen. Doch inzwischen ist es auch nicht mehr ungewöhnlich, dass die Kinder mit den Großeltern und den anderen Verwandten, die zur Großfamilie gehören, im Dorf bleiben, während Vater und Mutter unter der Woche irgendwo arbeiten. Diese Situation ergibt sich auch durch die Schulpflicht der Kinder. Wenn es dann aber nicht genug zu essen gibt, nehmen die Großeltern die Enkelkinder mit zum Betteln bei den Reichen. Für viele Kinder ist dies zu einer geschätzten Abwechslung geworden, da sie so ein neues Umfeld und die möglichen Sammelgründe Mädchen in der Comarca (Provinz Ngöbe-Buglé, Panama) in den Dörfern und Städten der Weißen kennen lernen. Viele Kinder begleiten auch ihre Eltern, wenn diese nach der Lohnauszahlung in die Läden zum Einkaufen gehen. Wie alle Kinder schauen sie mit großen, neugierigen Augen auf all die Dinge, die in den Läden angeboten werden. So entstehen neue Wünsche, die sie dann Yanomami-Mädchen auch gegenüber den vom Rio Ocamao Eltern ausdrücken. Dies kann zu großen Schwierigkeiten führen. Denn aufgrund ihrer Erziehung können sich die Eltern einem starken und wiederholt vorgetragenen Wunsch der Kinder kaum entziehen. Und so kommt es vor, dass ein Vater mehrere seiner Ziegen verkauft oder ein Vielfaches seines Lohns ausgibt, um dem Sohn ein Motorrad zu kaufen. Obwohl er dadurch die Lebensgrundlage der Familie aufs Spiel setzt, ist es für ihn wichtiger, dem Sohn den Wunsch zu erfüllen, um nicht „Nein“ sagen zu müssen. Ein Alter beschreibt es so: „Früher kannten wir nur das, was wir brauchten; heute bleibt alles dem Schicksal überlassen. Heute wird den Jungen schwindelig bei all den Dingen, die es gibt. Damit umzugehen, ist sehr schwierig. Jetzt erkennen wir, dass wir arm sind.“ Veränderungen „Seit die Urgroßeltern Kinder waren, hat sich das äußere Leben stark verändert. Nicht aber seine Regeln und Grundlagen.“ So fasst ein „moderner“ Indianer im Gran Chaco zusammen, was in den letzten 80 Jahren geschehen ist, seit sich die Weißen ihres Landes bemächtigt und das Leben der indianischen Völker auch im Gran Chaco verändert haben. Denn mit dem Einzug des Christentums und der wachsenden Abhängigkeit von Lohnarbeit scheinen sich viele Dinge gewandelt zu haben. Man trägt westliche Kleidung, hört Radio und Kassetten bzw. CDs, fährt Fahrrad und Motorrad, trägt das Haar modisch und schmückt sich mit Dingen, die man im Laden kauft. Doch die Grund- prinzipien der Lebensgestaltung und des Lebensinhalts sind dieselben. So werden in vielen Gemeinden die Initiationsfeiern nicht mehr in der Form zelebriert wie früher. Stattdessen gibt es Tauffeste, Patronatsfeste und andere, die vordergründig die traditionellen Rituale verdrängt zu haben scheinen. Doch in der neuen Form verbergen sich die Wahrheiten, welche auch früher die Alten den Jungen weitergaben. So gibt es kein Tauf- oder Patronatsfest, bei dem die Jugend sich nicht im Fußballspiel misst und dabei mit großer Inbrunst die eigenen Kräfte prüft wie früher in traditionellen Spielen. Und die Alten walten weiterhin ihres Amtes in der Übermittlung der Lebensweis heiten und Prinzipien an die Enkel. Aber nicht nur bei Festen auch im Arbeitsleben und dem Verhältnis zur Arbeit hat sich viel verändert. Für Kinder im Alter von 10 bis 12 Jahren, die schon nicht mehr in die Schule gehen, entsteht durch die Veränderung der äußeren Lebensbedingungen eine Leere, da sie kaum noch auf Jagd- und Sammelstreifzüge gehen können. Wenn die Eltern Arbeit haben, begleiten sie sie häufig zum Beispiel auf die Felder großer Plantagen oder in Viehzuchtbetriebe. Allerdings klagen viele Eltern, dass ihre Kinder ihnen nicht wirklich helfen, sondern schnell müde werden oder einfach keine Lust haben. Ein Vater erklärt dies folgendermaßen: „Früher kannten wir keine „Arbeit“. Das Leben war abwechslungsreich. Die Kinder lebten gemeinsam mit den Erwachsenen ihren vielfältigen Alltag und teilten stärker die Erfahrungen und Erlebnisse miteinander. Heute müssen wir unseren Kindern beibringen zu arbeiten.“ Unter „Arbeit“ wird eine monotone Tätigkeit zum Gelderwerb verstanden, die vom sozialen Leben der Familie und Gemeinschaft stärker getrennt ist. Wenn ein Kind an dieser Tätigkeit nicht teilnehmen will, lassen die Eltern es in Ruhe, so wie sie es in einem solchen Fall auch früher immer getan haben, als es noch nicht die „Arbeit“ gab. Nicht selten lässt sich beobachten, wie die Eltern hart arbeiten, während die Jugendlichen Fußball spielen oder unter einem Baum sitzend Radio hören. „Unsere Kinder spielen bei Festen und sozialen Treffen, aber sie lernen das Alltagsleben kaum mehr spielend kennen“, meint ein alter Indianer. 41 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien „Brot für die Welt“ hat 2004 eine Aktion „Zeigt uns eure Welt!“ gestartet. Diese richtet sich an Kinder zwischen vier und zehn Jahren. Durch Erzählen und Anschauen erfahren sie spielerisch und kreativ etwas über das Leben der Wichi-Indianer am Rio Pilcomayo. Und sie sollen lernen, dass auch Kinder sich engagieren können und Möglichkeiten haben, diese Welt ein Stück gerechter zu machen. Die Grundidee ist, dass die Wichi-Kinder unseren Kindern in Bildern von ihrem Alltag erzählen. Es werde Themenkreise wie Familie, Wohnen, Essen und Spielen angesprochen, Bereiche des täglichen Lebens also, die auch unseren Kindern vertraut sind. Wer sind die Wichi-Indianer? Der Beitrag „Die Wichi-Indianer von Rio Pilcomayo“ stellt die Wichi-Indianer, ihre Heimat und ihre Lebensweise vor. „Brot für die Welt“ hat Informationsmaterial über die Wichi, ihren Lebensraum und ihre Kultur und über die Hintergründe ihres Kampfes um Landrechte zusammengestellt und der Altersgruppe gerecht aufgearbeitet. Die Themen sind: 1. Meine Freunde und Freundinnen und ich 2. Die Menschen, mit denen ich zusammenlebe 3. Mein Vater bei der Arbeit 4. Meine Mutter bei der Arbeit 5. Die Umgebung, in der ich lebe 6. Der Fluss (der Rio Pilcomayo) 7. Wie wir Fische fangen 8. Was wir essen 9. Wie wir spielen 10. Unsere Schule Informationen dazu finden Sie im Internet unter www.brot-fuer-die-welt.de/wichi oder Sie können es direkt in Stuttgart bestellen: Tel.: 0711 / 21 59-183, Fax: 0711 / 21 59 515 E-Mail: k.knocke@brot-fuer-die-welt.de 42 Zusammenleben und soziale Strukturen bei indigenen Völkern 4.4. Männer und Frauen Aufgaben und Rollen für Männer und Frauen sind klar definiert. Diese sehen zwar bei den einzelnen indigenen Völkern unterschiedlich aus, gemeinsam ist ihnen jedoch eine klare Orientierung entlang der Geschlechterlinie. Die Organisation der Geschlechterrollen folgt in den meisten indigenen Gesellschaften den Grundlinien eines dualen Weltbildes, wonach Männer und Frauen jeweils kosmische Kräfte wie Sonne und Mond, Tag und Nacht, heiß und kalt zugeordnet werden. Darüber wird dann auch die entsprechende Aufgaben- und Rollenteilung begründet und innerhalb des Weltbildes nachvollziehbar. In indigenen Weltbildern ergänzen sich diese Dualitäten und werden nicht als gegensätzlich angesehen. Frauen kümmern sich um den Haushalt und seine Ökonomie, um die Familie und die Erziehung der Kinder. Sie garantieren die Basisversorgung der Familien, stellen Haushaltswaren und Kunsthandwerk her, sie bereiten die Nahrung zu oder bearbeiten sie zur Lagerung. Sie arbeiten auf dem Feld, sammeln Festlich geschmückter Krieger der Yoplopoiteri Zoé-Indianer auf der Jagd Traditionelles Tauziehen der Yanomami mit einer Liane Awajun-Frauen, Peru Früchte, waschen die Kleidung und holen Wasser im Fluss oder am Brunnen. Männer erledigen körperlich schwere Aufgaben und dort, wo indigene Völker naturnah leben, fällt ihnen meist die Jagd zu. Oft kommt indigenen Frauen innerhalb ihrer Gemeinschaften eine wichtige Rolle in den Bereichen Gesundheit und Natur zu: als Mittlerinnen zwischen Natur und Mensch, als Heilerinnen, als Hebammen. Nur selten werden ihnen Aufgaben und Rollen verliehen, die eher öffentlich sind. Priester, Dorfvorsteher, Älteste sind meist Männer. Ebenso werden die modernen gesellschaftlichen Ämter, wie Abgeordneter, Bürgermeister oder Repräsentant in indigenen Organisationen meist von Männern wahrgenommen. Indigenen Frauen geht es im täglichen Leben nicht besser als nicht-indigenen: die ganz alltägliche Benachteilung greift auch in indigenen Dorfgemeinschaften und Siedlungen und erschwert den Frauen einen gleichberechtigten Zugang zu Besitz, Ressourcen, Dienstleistungen und Entscheidungsprozessen. Frauen spielen zwar in den indigenen Gemeinschaften eine wichtige Rolle, werden aber nicht immer gleichberechtigt anerkannt. Mit dem Verweis auf vermeintlich kulturelle Regeln und Vorgaben wird ihre Beteiligung zuweilen eingeschränkt. Sie werden auf einen häuslichen Platz verwiesen, der ihnen längst zu eng geworden ist. 43 Zusammenleben und soziale Strukturen bei indigenen Völkern Frauengruppe in Q’eros, Peru Frauen beim Schälen von Kaffee-Bohnen, Panama Innerhalb der multiethnischen Gesellschaften ihrer Nationalstaaten sind sie mehrfach benachteiligt: als Indigene, als Frauen und als Mitglieder armer Bevölkerungsgruppen. Gleichwohl sind Frauen oft diejenigen, die den sozialen Zusammenhalt in der Familie, im Dorf oder in der Gemeinschaft pflegen. Sie besinnen sich oft eher als Männer der alten Traditionen und praktizieren überlieferte Heilungs- oder Herstellungsverfahren. Es gibt keinen Grund, warum dies Männer nicht ebenso tun könnten. Männer sind zwar oft mit Lohnarbeit oder mit der Arbeit auf dem eigenen Land beschäftigt, haben jedoch auch manchmal Probleme mit dem Konsum von Alkohol, Drogen und einer hohen Gewaltbereitschaft. Das soziale Netz innerhalb der Familien und Gemeinschaften hängt häufig vor allem von den Frauen ab. Mädchen erlernen diese Rollen schon sehr früh und unterstützen ihre Mütter in den Aufgaben des Haushalts und der Versorgung kleinerer Geschwister – ein Grund warum indigene Mädchen seltener als indigene Jungen die Schule besuchen. Vielleicht lässt sich auch in der Tatsache, dass Frauen länger als Männer an der traditionellen Kleidung festhalten und diese oft auch in der Stadt noch tragen, ein Hinweis auf ihre stärkere Verankerung in der eigenen indigenen Kultur sehen. 44 Suruahà-Mädchen mit Menstruationsmaske, die sie anlässlich ihrer ersten Menstruation während einer neuntägigen Isolation tragen muss Paarbeziehungen sind in den meisten indigenen Völkern nicht streng monogam, d. h. herausgestellte Persönlichkeiten können beispielsweise auch eine zweite Frau nehmen. Die meisten Paare leben jedoch monogam. Monogamie und das Konzept von Ehe sind durch die christlichen Kirchen stark beeinflusst. Folgerichtig sind sie auch dort weiter verbreitet, wo die Völker schon seit mehreren Jahrhunderten missioniert sind, wie beispielsweise in den Anden und weniger im Amazonastiefland, das erst im Zuge des 20. Jahrhunderts durch die Nationalstaaten „kolonisiert“ wurde. Allerdings ist der Einfluss evangelikaler Freikirchen im 20. Jahrhundert auch in dieser Beziehung wesentlich unerbittlicher als der der katholischen Kirche. Paarbeziehung, Ehe und Familiengründung finden meist innerhalb des eigenen Volkes statt. Lebensläufe Rigoberta Menchú Tum, Friedensnobelpreisträgerin 1992 Rigoberta Menchú Tum, Indígena, Maya-Quiché, wurde am 9. Januar 1959 in dem Dorf La Chimel, Provinz Quiché, in Guatemala geboren. Rigoberta wuchs zwischen den Bergen von Quiché und den Plantagen an der guatemaltekischen Südküste auf. Auf diese Plantagen ziehen jedes Jahr tausende von Indigenen um dort auf den reichen Böden der Großgrundbesitzer für einen miserablen Lohn, Kaffee, Zucker, Baumwolle und andere Exportprodukte zu ernten. Sie ist die Tochter von Vicente Menchú Pérez, einem Kämpfer für das Land und die Rechte der Indigenen, und Juana Tum K´otoja´, Hebamme. Bereits in ihrer Kindheit hat sie von den Eltern gelernt, die Natur und das gemeinschaftliche Leben der indianischen Völker zu respektieren. Aber sie lernte auch die Ungerechtigkeit, die Diskriminierung, den Rassismus und die Ausbeutung kennen, die tausende von Indigenen in Guatemala in extremer Armut halten. Die Armut zwang sie, ihren Lebensunterhalt in der Hauptstadt zu suchen, aber in den indianischen Dörfern hat sie gelernt, sich zu organisieren und ihre Interessen zu verteidigen. Respekt und die Anerkennung der Rechte der indigenen Völker ein. Aufgrund ihrer Geschichte sowie ihrer Arbeit für die Menschenrechte und vor allem für die Rechte der indigenen Völker wurde ihr 1992 der Friedensnobelpreis verliehen. Sie wurde vom Preiskomitee ausgezeichnet „für ihre Bemühungen um soziale Gerechtigkeit und die Aussöhnung der Völker und Kulturen Lateinamerikas“. Quelle: www.rigobertamenchu.org, Übersetzung: H. Feldt Erläuterung Das Massaker in der spanischen Botschaft Im Januar 1980 besetzten Angehörige der Bauernbewegung Guatemalas aus Protest gegen die widerrechtlichen Landaneignungen der Militärs die spanische Botschaft. Mit der friedlichen Botschaftsbesetzung wollten sie gegen die Landvertreibungen demonstrieren. Die guatemaltekische Polizei und das Militär haben jedoch die Immunität des diplomatischen Ortes nicht respektiert, die Botschaft gestürmt und in Brand gesetzt, obgleich der friedliche Auszug der Bauern und Landarbeiter mit dem spanischen Botschafter Cajal bereits vereinbart gewesen war. Bis auf einen Indígena und den spanischen Botschafter Cajal, die sich durch einen Sprung aus dem Fenster retten konnten, wurden die Botschaftsbesetzer und das Botschaftspersonal getötet. Der überlebende Guatemalteke wurde einen Tag später aus dem Hospital entführt und erschossen. Der zweite Überlebende, der Botschafter, konnte sich in die Residenz des nordamerikanischen Botschafters retten. In dem Kampf für das Land verlor sie ihren Bruder Patrocinio, der am 9. September 1979 vom Militär entführt und höchstwahrscheinlich ermordet wurde. Bis heute fehlt jede Spur von ihm. Vier Monate später, am 31. Januar 1980, verlor sie ihren Vater. Er starb zusammen mit 36 anderen Personen in dem Massaker in der spanischen Botschaft. Die Mutter von Rigoberta wurde am 19. April 1980 entführt. Es gibt unterschiedliche Versionen über ihre Ermordung. Auch von ihr fehlen bis heute Spuren ihrer Leiche. Ihr Bruder Víctor Menchú Tum wurde am 8. März 1983 vom Militär ermordet. Diese Geschehnisse sind die Grundlage für ihren Kampf um Gerechtigkeit und gegen die Straflosigkeit der Schuldigen. Rigoberta gelang es vor dem Terror in Guatemala 1981 nach Mexiko zu fliehen. Von dort aus setzte sie ihre Arbeit fort, informierte weltweit über den Völkermord in Guatemala und setzte sich für den 45 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Andrés Chambi, Bolivien Andrés Chambi wurde am 30. November 1972 im Ayllu Quta de Qara nördlich von Potosí geboren. Zu der Zeit als seine Eltern noch jung waren, gab es keine Schule. Sie können weder schreiben noch lesen und haben ihr Leben lang in der Landwirtschaft gearbeitet. Seit frühester Kindheit musste er auf dem Feld und im Haus helfen. Bereits mit fünf Jahren hütete er die Schafherde des Ortes. Erst mit 7 Jahren konnte er zur Schule gehen. In der Schule wurde jedoch nur bis zum 3. Schuljahr unterrichtet. Er erinnert, dass „der Lehrer uns mit Stöcken schlug, er sagte, dass wir keine Intelligenz hätten und er zwang uns, alles auswendig zu lernen.“ Andrés ging jeden Morgen 2 Stunden hin und nachmittags 2 Stunden zurück. „Mein Mittagessen bestand aus Maisfladen oder gekochten dicke Bohnen mit Kartoffeln.“ Manchmal hat er mit Mitschülern geteilt, die auf gleiche Weise versuchten, den Hunger zu überdecken. „Wir aßen kein Fleisch, Käse oder Eier – das gab es nur zu Festtagen. Wir kannten auch keine Kleidung aus Baumwolle, sondern die Kleidung wurde von der Familie selber hergestellt. Am „Tag des Indios“ mussten wir den Lehrer mit Musik, Getränken und vielen Geschenken feiern.“ Weil die Familie kein Geld hatte, musste er die Schule verlassen. Mit 12 Jahren verlor er Vater und Mutter. Jetzt war er gezwungen, zwei Geschwister mit zu ernähren und musste außerdem den Anforderungen der Dorfgemeinschaft gerecht werden. Er wurde Mitglied der Agrargemeinschaft, wurde erst zweiter Schatzmeister, dann erster bis er schließlich Generalsekretär wurde. Mit 25 Jahren heiratete er. Jetzt haben sie 3 Kinder. Die Pflichten in einem Ayllu sind sehr schwer. Es müssen viele Feste ausgerichtet werden und viele Leitungsaufgaben für die Dorfgemeinschaft sind zu erfüllen. Aber es gibt keine Einnahmen. Als der Bergbau in der Region noch funktionierte, „konnten wir zumindest noch einige Produkte verkaufen. Heute wissen wir nicht, wie wir zu Einnahmen kommen können. Wir arbeiten jeden Tag in der Landwirtschaft und hüten die Tiere. Aber die Landwirtschaft reicht nur für die Subsistenz. Der Ertrag ist nicht sicher, oft wird es so kalt, dass die ganze Ernte erfriert oder es regnet nicht oder es hagelt – Trockenheit oder Überschwemmungen – hier ist es kein Leben.“ Schon sehr jung wurde er in die Leitung des Ayllu gewählt, reiste weit zu Kongressen und den Bauerntreffen. „Oft hatten wir Probleme mit der Verpflegung, Unterbringung und den Fahrtkosten, einige Treffen wurden von den politischen Parteien finan- 46 ziert. Die Regierung verspricht uns immer viel, aber wenn wir dann in die Büros der Regierungsbeamten wollen, werden wir fast nie empfangen. Ihre Sekretäre behandeln uns sehr abwertend. In der Stadt kann ich nicht lange bleiben und warten, weil ich kein Geld habe. Die Funktionäre sprechen unsere Sprache nicht. Ich möchte nicht, dass meine Kinder dasselbe erleiden müssen. Wir haben keine anerkannten Besitzurkunden für unser Land. Deshalb befürchten wir, dass sie uns eines Tages das Land wegnehmen.“ GTZ, basierend auf einem Interview vom 25. März 2004 im Büro der Föderation der Ayllus im nördlichen Potosí, Übersetzung aus dem Spanischen: Heidi Feldt 5. Indigene Organisationen Es gibt verschiedene Formen der sozialen Organisation bei den indigenen Völkern. Manchmal treten die traditionellen Institutionen, wie zum Beispiel der Ältestenrat in einer Gemeinschaft, in Konkurrenz zu den staatlichen politischen Strukturen. Wenn es dann an gegenseitiger Anerkennung und am Verständnis mangelt, kann es zu sozialen Konflikten kommen. Bereits die Eroberer erkannten schnell die Stärken und Schwächen der sozialen Organisation der unterworfenen indigenen Völker. So wurden im Fall der andinen zentral organisierten Hochkulturen zunächst die „Köpfe“ getötet, die dann ohne ihre Führer leichter zu besiegen waren. Teilweise wurden auch ganze Bevölkerungsgruppen umgesiedelt, wie dies bereits zuvor die Inkas zur Beherrschung neu eroberter Teile ihres Reiches taten. Diese Umsiedlungen dienten in der Kolonialzeit meist ökonomischen Zwecken wie der Konzentration von Arbeitskräften für die Ausbeutung der großen Bergwerke. Die Sozialstrukturen der Gemeinschaftsarbeit dagegen wurden in die Organisation der kolonialen Verwaltung integriert und genutzt. Beispiel hierfür ist das System der „encomienda“: Besondere Verdienste der Eroberer belohnte Spanien mit der Verleihung von Land sowie der darauf lebenden Indios, über deren Arbeitskraft der „Encomendero“ frei verfügen konnte. Zwar waren die „Encomenderos“ dazu ange- halten, die eingeborene Bevölkerung zu beschützen und sie zum Christentum zu bekehren, doch im Grunde war das Encomienda-System eine Form von Sklaverei zugunsten der Plantagen- und Minenbesitzer. Indigene Organisationsformen des Alltags haben sich, ebenso wie die nicht-indigener Gesellschaften, im Laufe der Zeit gewandelt. Für einige indigene Völker sind zum Beispiel Dorfgemeinschaften selbst keine ursprüngliche Form des Zusammenlebens. Viele Indigene leben noch heute eher in Streusiedlungen und errichten ihr Wohnhaus auf dem von ihnen bewirtschafteten Land. Dörfer entstanden unter den Bedingungen des Kolonialreiches, bzw. danach als die neugegründeten Staaten versuchten die indigenen Völker in ihr Gesellschaftssystem zu integrieren und sie zwangen, sich in Dörfern anzusiedeln. Die Kolonialherren und später die Großgrundbesitzer zwangen einst die Bevölkerung zur Arbeit in den Haciendas (landwirtschaftlich genutzter Großgrundbesitz). Die indigenen Bauern verloren die Möglichkeit, selbst ihren Unterhalt zu produzieren, verloren ihr Land und wurden so mehr und mehr in die Lohnarbeit und damit in die Geldwirtschaft gezwungen. Die Menschen, die auf den Haciendas arbeiteten, bildeten dort vielfach erste kleine Dorfgemeinschaften mit Kirche, eigener Gerichtsbarkeit und kleinen Läden. Noch heute ist der Prozess der Ansiedlung in Dörfern nicht abgeschlossen, neue Dörfer entstehen in jüngster Zeit auch rund um die Schulen, die in den letzten Jahrzehnten auch in indigenen Siedlungsgebieten entstanden. Indigenen Tagung in Quito, Ecuador Oktober 2004 47 Indigene Organisationen Versammlung der Vertreter der Indigenen Völker der Amazonasregion Ecuadors 5.1. Lokale soziale Strukturen und politisch aktive Organisationen Neben den traditionellen lokalen Strukturen haben Indigene mittlerweile auch eigene Organisationen aufgebaut, mittels derer sie für ihre Rechte und ihre Interessen kämpfen. Es gibt bereits große Netzwerke, die regional und international in Kontakt stehen und zusammenarbeiten. Die indigenen Organisationen werden mittlerweile nicht nur national von ihren Regierungen gehört und sind als Verhandlungspartner in Reformprozessen anerkannt. Auch international haben sie ihre Gremien auf UN-Ebene gebildet. Kaum eine der großen UNWeltkonferenzen wird durchgeführt, ohne dass Indigene und ihre Organisationen zu Wort kommen. Vielfach hat diese Organisierung die Indigenen vor Raub, Enteignung und physischer Bedrohung bewahrt. Damit diese Organisationen überhaupt als Gesprächspartner für Regierungen, internationale Organisationen, UN etc. sichtbar werden, ist es nötig, dass sie sich im wesentlichen nach westlichem Muster organisieren und damit auch traditionelle Formen der Sozialstrukturen verlassen. So ist es beispielsweise auch für indigene Frauen möglich, sich an den Organisationen zu beteiligen, bzw. ihre eigenen Frauenorganisa- 48 tionen zu gründen und zu führen, eine Rolle, die ihnen die meisten Völker in den traditionellen Strukturen nicht zugedacht hatten. Das Verhältnis zwischen alten und neuen Autoritäten bei den indigenen Völkern ist nicht immer reibungslos. Die Ältestenräte, Schamanen, traditionellen Ortsvorsteher u.a. sind meist nicht in der Lage mit NichtIndigenen zu verhandeln (häufig sprechen sie auch nicht die Nationalsprache). Ein großes Problem ist dies, wenn diese Verhandlungen auf Nationalebene, weit außerhalb des eigenen Siedlungsgebiets in den Hauptstädten, mit Regierungen oder internationalen Vertretern stattfinden. Dadurch nimmt ihre Autorität und Macht im Rahmen des eigenen Dorfes ab. Manchmal treten die Lehrer in den Dörfern, die eine eigene Autorität aufbauen und sich als Vermittler zur Außenwelt darstellen, in Konkurrenz zu den traditionellen Führern. Auch in politischen Fragen hört man häufig nicht mehr auf sie. Die Mitglieder der modernen indigenen Organisationen übernehmen die Aufgabe der politischen Führung, auch wenn sie häufig viel jünger sind und nicht über die traditionellen Rituale in ihre Funktion gekommen sind. Aber es gibt zu diesen modernen Organisationen keine Alternative. Ohne die Präsenz der indigenen Organisationen in den lateinamerikanischen Hauptstädten und ohne den Dialog mit den Regierungen und der internationalen Gemeinschaft hätten indigene Völker ihre Rechte wesentlich weniger erfolgreich einfordern können. Ihre Aufgaben sind jedoch noch längst nicht erfüllt. 5.2. Indigene Frauenorganisationen Indigene Frauen sind nicht nur Opfer gesellschaftlicher Verhältnisse, sondern verändern diese auch. Oft sind es Frauen, die sich sozial engagieren, für mehr Gerechtigkeit, für die eigenen Rechte und diejenigen ihrer Mitmenschen. Indigene Frauen sind zunehmend in sozialen Bewegungen oder in Nichtregierungsorganisationen (NRO) engagiert und organisiert. Seit den 1980er Jahren entstehen lokale Frauengruppen und kleine Organisationen indigener Bäuerinnen. Sie verfolgen praktische und erreichbare Ziele, gewinnen externe Unterstützung, häufig in Form von Klein- krediten und erreichen Verbesserungen in ihrem Alltag und dem ihrer Familien und Dorfgemeinschaften. Indigene Frauengruppen und -organisationen sind gern gesehene Kleinkreditnehmerinnen, da sie im allgemeinen die Kredite zurückzahlen und realistisch mit den Geldern umgehen. Häufig werden die indigenen Organisationen, insbesondere die der Frauen, deren Rolle sich traditionell mehr auf Familie und Dorfgemeinschaft beschränkt, kritisch betrachtet: Werden mit diesen Organisationen die Traditionen zerstört? Gelten neben diesen neuen und modernen Organisationen die alten Strukturen der Gemeinschaften, die Ältesten und Wissenden (meistens Männer) nichts mehr? Die indigenen Frauen selbst verstehen es meist recht gut, ihre neuen Aufgaben und Rollen in den Organisationen mit der Erfüllung ihrer traditionellen Pflichten zu verbinden und damit die Bedenken zu entkräften. Die lokalen Organisationen schließen sich häufig regional zusammen und bilden bis auf Landesebene Organisationen für indigene Frauen, so beispielsweise die Organisation „Bartolina Sisa“ der Quechua- und Aymara-Bäuerinnen des bolivianischen Hochlandes. Sie ist Teil der Bauerngewerkschaft, die in Bolivien die Indigenen des Hochlandes vertritt. Auch hier ist es nicht immer leicht, sich als Frauen in den von indigenen Männern beherrschten Gremien der Organisationen Gehör zu verschaffen und sich durchzusetzen. Während die Frauen beispielsweise bei den großen indigenen Märschen der 1990er Jahre in Ecuador und Bolivien eine wichtige und von den Medien auch international viel beachtete Rolle gespielt haben, waren sie bei den Verhandlungen mit den Regierungsvertretern nicht mehr präsent. Wie stellt sich die Rolle der modernen indigenen Frau dar? Welchen Spagat leistet sie, um auf den verschiedenen ihr möglichen „Bühnen“ präsent zu sein? Diskutiere mögliche Positionen dazu! Organisierte indigene Frauen, Peru 5.3 Frauen fordern ihre Rechte als Indígenas und Staatsbürgerinnen am Beispiel Guatemala Ein Jahr nachdem Aung San Suu Kyi, Führerin der Demokratiebewegung in Myanmar, 1991 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden war, erhielt die Guatemaltekin Rigoberta Menchú Tum diesen Preis. Der geschichtliche Augenblick, der eine MayaFrau vor zehn Jahren zu einer international bekannten Persönlichkeit machte, hat symbolische Bedeutung: Erstmals konnte sich die Stimme einer Indígena-Frau international Gehör verschaffen und die Weltöffentlichkeit auf die Situation der indigenen Bevölkerung in Guatemala aufmerksam machen. Nach langwierigen Verhandlungen zwischen den Kriegsparteien wurde 1996 der Bürgerkrieg nach 36 Jahren durch den Abschluss der Friedensverträge beendet. Diese legen die Grundlagen für eine Friedensgesellschaft, deren zentrale Elemente die Achtung der Menschenrechte, Kollektivrechte der indigenen Bevölkerung und Frauenrechte sowie der Aufbau eines demokratischen Rechtsstaates sind. Der Archetyp der starken „Großmutter“ lebt in den Frauen fort Zahlreiche Vereinbarungen der verschiedenen Friedensverträge beziehen sich auf die Gleichberechtigung und Verbesserung der Situation von Frauen. Die Defensoría de la Mujer Indígena, eine Ombudsstelle zur Verteidigung der Rechte indigener Frauen, geht aus dem Abkommen über „Identität und Rechte der indigenen Bevölkerung“ hervor; gegründet wurde sie 49 Indigene Organisationen vor zwei Jahren. In dem Friedensabkommen werden weiterhin indigene Selbstverwaltungsstrukturen und Rechtspraktiken sowie die verschiedenen Sprachen anerkannt. Zur indigenen Bevölkerung zählen die Maya, Garífuna (Afroguatemalteken) und Xinca, wobei die Maya mit über 20 linguistischen Gruppen die stärkste Volksgruppe darstellen. Die „Ladinos“, die das Land politisch und wirtschaftlich dominieren, definieren sich heute hauptsächlich darüber, keine Indígenas zu sein. Die Wahrheitskommission unter der Leitung des deutschen Völkerrechtlers Christian Tomuschat hat in ihrem Bericht Erinnerung an das Schweigen (1999) Zeugnis über die an Frauen und Mädchen begangenen Verbrechen abgelegt. Es ist das Verdienst der Kommission, auf die unbewältigte Demütigung und Traumatisierung von Maya-Frauen aufmerksam gemacht zu haben. Während des Bürgerkrieges wurden sie misshandelt und Opfer grausamer Menschenrechtsverletzungen. Die systematische Vergewaltigung von Frauen war gezielte Strategie der Streitkräfte, um die Würde der Maya-Bevölkerung zu zerstören. Über die Vergangenheit schweigen viele, doch ist die Erinnerung an Genozid und Vertreibung zum Bestandteil der kollektiven Identität der Indígena-Bevölkerung geworden. Für Frauen hat der Friedensprozess neue Handlungsspielräume eröffnet. Viele von ihnen, darunter Frauen, die Massaker, Vertreibung und Exil überlebt haben, sind in unzähligen Gruppen, lokalen Initiativen und dörflichen Entwicklungskomitees organisiert. Ihre Tatkraft beziehen Maya- Frauen aus der Existenz ihrer Vorfahren und weiblichen Vorbilder. Zu diesen zählt die Mondgöttin Ixmucané. Sie verkörpert den Archetyp der starken „Großmutter“, Heilerin und „alten Weisen“. Über ihr Wirken und Tun berichten viele Legenden. Trotz jahrhundertelanger Kolonisierung, Unterdrückung und Bürgerkrieg wurden die weiblichen Archetypen mit ihren innewohnenden Kräften im Bewusstsein vieler Maya-Frauen nicht verschüttet. Heute trägt eine der zahlreichen Frauenorganisationen den Namen dieser Mondgöttin: Ixmucané setzt sich für Landeigentum für Frauen ein, fördert Mädchenbildung und die Alphabetisierung von Indígena-Frauen, 50 die wichtige Grundlagen für ihre persönliche Identität und Stärke bilden. Die Gründung der Ombudsstelle zeugt davon, wie schwierig es ist, als Indígena-Frau in Guatemala zu leben und gleichzeitig Rechte als aktive Staatsbürgerin wahrzunehmen. Neben dem Kulturministerium ist die Ombudsstelle die einzige staatliche Behörde, die von einer Indígena-Frau geleitet wird. Die erste Ombudsfrau ist Juana Catinac, eine selbstbewusste Maya-K’iché. Mit über 600 000 Mitgliedern sind die K’ichés die größte Maya-Gruppe. Sie sind stolz auf die Pyramiden und Tempel von Tikal, das heilige Buch der Maya, den Popol Vuh, der die spanische Eroberung überlebt hat und als der bedeutendste in K’iché verfasste Text gilt. Der Popol Vuh wurde vermutlich Mitte des 16. Jahrhunderts in lateinischer Sprache festgehalten und gilt als eindrucksvoller Ausdruck indigener Literatur. Bereits als junge Frau engagierte sich Juana Catinac in ihrer Gemeinschaft, etwa bei der Lösung von Landkonflikten und Vermittlung von Streitigkeiten zwischen Gemeinschaften. Jetzt versucht sie, das Rechtsbewusstsein unter den Frauen zu fördern, damit sie sich gegen Diskriminierung und Gewalt wehren können. Sie erwarb Fähigkeiten, die ihr heute zugute kommen. Ihr Jurastudium brach sie wegen der Gewalt und zunehmenden Armut ihrer Familie ab. Trotz fehlendem Universitätsabschluss wurde ihr das Amt der Ombudsfrau übertragen. Mit ihrer Herkunft und Identität, ihren Kenntnissen über die Geschichte des Landes und frauenrelevante internationale und nationale Rechtsinstrumente erfüllte sie die wesentlichen Voraussetzungen. Je stärker sie politisch aktiv wurde, desto häufiger machte sie die Erfahrung, was es bedeutet, Maya-Frau zu sein. In ihr Bewusstsein hat sich eine wiederkehrende Bemerkung eingeprägt: „Hört nicht auf sie, was hat eine Indígena schon zu sagen!“ Hüterin der Kultur Wie in den meisten Gesellschaften ist auch in Guatemala die Frau Hüterin der Kultur. Die Mehrheit der Maya-Frauen trägt die handgewebten huipil-Blusen und Wickelröcke (corte). Die farbenprächtigen Blusen, Haarbänder und kunstvollen Kopfbedeckungen werden von antiken und modernen Mustern sowie Blumen und Tieren geziert. Der huipil ist häufig eine offene „Enzyklopädie“, weil seine Abbildungen verschlüsselte Botschaften über Mythologie und Geschichte der Maya enthalten. Tiere wie der Jaguar und zweiköpfige Adler verkörpern den Widerstand gegen die spanische Kolonisierung. Weben und Erzählen bilden eine Einheit. Noch heute stellen Maya-Frauen ihre Kleidung selbst an Hüftwebstühlen her. Darüber hinaus ist für viele Frauen das Weben und der Verkauf von Textilien eine der wenigen Möglichkeiten, Einkommen zu erwirtschaften. Schutzpatronin und Erfinderin der Webkunst ist die Mondgöttin Ixchel. Auf präkolumbischen Stelen ist sie mit einem Webstuhl dargestellt. Alltagsleben und Lebensweise sind stark von der Kosmovision der Maya beeinflusst, denn die gedankenund gestaltreiche Mythologie lebt in den Frauen fort. Darin ist der Mensch Teil der Natur, die es zu schützen und in ihrer biologischen Diversität zu erhalten gilt. Insbesondere mit dem Land verbindet IndígenaFrauen eine vielschichtige und spirituelle Beziehung. Eine wesentliche Quelle der Kultur und Kosmovision bildet die „Mutter Erde“. Sie ist der Ort des sozialen Lebens und der Gemeinschaftsarbeit, sie liefert Nahrungsmittel und beherbergt die Toten. Viele Seen, Flussläufe, Wälder, Berge und Hügel gelten als heilige Stätten, die in Zeremonien geehrt werden. Zahlreiche Bäume werden vor menschlichen Eingriffen geschützt, weil sie wichtige Lebensfunktionen erfüllen, wie die Ceiba, die den Lebensbaum und die Achse der Welt verkörpert. An sakralen Plätzen und Monumenten, die zum Teil während des Bürgerkrieges zerstört wurden, finden die religiösen Zeremonien statt, die für die Maya von existentieller Bedeutung sind. Im Maya- Kalender hat jeder Tag einen Hüter (nawal), der als „Tagesgott“ die Menschen beschützt. Von ihnen beziehen sie ihre spirituelle Nahrung und Energie, die ihnen ihre Tatkraft verleiht. Frauen haben sich als „die Weberinnen des Friedens“ (tejedoras de la paz) durch neue Formen politischer Netzwerkarbeit einen Namen gemacht. Richtungweisend ist das nationale Frauenforum, ein ethnienübergreifender und landesweiter Zusammenschluss, der die Umsetzung der geschlechterrelevanten Friedensvereinbarungen kritisch überwacht. Geschlechterungleichheit und gemeinsame Nöte helfen dabei, traditionelle Feindbilder zwischen Indígenas und Ladinas abzubauen. Wie in anderen Nachkriegsgesellschaften sind auch in Guatemala Frauen die treibende Kraft beim Wiederaufbau ihrer Gemeinschaften, obwohl in den Dörfern Opfer und Täter in enger Nachbarschaft leben. Als Witwen und Hinterbliebene tragen Indígena- Frauen die Verantwortung für ihre Familien. Unter schwierigen Bedingungen haben sie eine protagonistische Rolle als Wegweiserinnen des Friedens übernommen. Von ihnen ging weder die Gewalt aus, noch waren sie an den Verbrechen des Bürgerkrieges und anderen Gräueltaten beteiligt. Obwohl die Erinnerungen an die Vergangenheit nicht verblassen, ist es für sie leichter, verfestigte Trennlinien zu überwinden und Brücken zu bauen. Diskriminierung im Alltagsleben Heute ist die Situation von Indígena-Frauen von sozialer Heterogenität gekennzeichnet. Doch ist die Mehrheit einer dreifachen Diskriminierung ausgesetzt: als Frau, Angehörige einer ethnischen Volksgruppe und Teil der Armutsbevölkerung. Die überwiegende Mehrheit lebt in extremer Armut unter Bedingungen sozialer, kultureller, wirtschaftlicher und politischer Ausgrenzung. Auch Indígena-Frauen mit Universitätsabschluss stoßen auf gesellschaftliche Widerstände, die ihre beruflichen Möglichkeiten und Aufstiegschancen einschränken. Allgemein verfügen sie über weniger soziale und wirtschaftliche Chancen, werden schlechter bezahlt als Männer und sind häufig Opfer familiärer und sexueller Gewalt. In der Öffentlichkeit werden Indígena-Frauen oft diskriminiert. Die Tatsache, dass sie die traditionelle Kleidung tragen, macht sie besonders verletzlich. Selbst die Tourismusbranche scheut manchmal nicht davor zurück, herkömmliche Diskriminierungsmuster zu reproduzieren, indem sie mit hellhäutigen, in Maya-Trachten gekleideten Frauen für die folkloristischen „Reize“ des Landes wirbt. Indígena-Frauen fühlen sich beleidigt, wenn sie als „Inditas“ und „Marias“ angesprochen werden. Einige nehmen nach einer ungeschriebenen Regel in öffent- 51 Indigene Organisationen lichen Verkehrsmitteln auf den hinteren Sitzen Platz, weil die vorderen für Ladinos reserviert sind. Wenn sie es nicht tun, werden sie oft dazu aufgefordert: „Nach hinten María, dort ist dein Platz!“ Selbst in Supermärkten und Restaurants machen sie nicht selten die Erfahrung, unerwünscht zu sein. Viele finden sich mit dieser Realität ab und schweigen über ihr Leid. Im gebeugten Gang der Frauen offenbart sich die harte körperliche Arbeit sowie ihr verinnerlichtes Unsicherheits- und Minderwertigkeitsgefühl. Während die Älteren in der Subsistenzlandwirtschaft überleben, wandern viele junge Frauen in die Städte ab, in denen sie als billige Arbeitskräfte in Lohnveredelungsbetrieben (Maquila), als Hausangestellte und im informellen Wirtschaftssektor arbeiten. Vor allem die Landfrage ist noch ungelöst. Immer wieder kommt es zu Landkonflikten, weil der fruchtbare und landwirtschaftlich nutzbare Boden sehr ungleich verteilt ist. Allerdings gibt es erste, bescheidene Lösungsversuche, die den Landerwerb der indigenen Bevölkerung fördern und sogar das Miteigentum von verheirateten Frauen ermöglichen. Aufgrund der Diskriminierung in den eigenen Gemeinschaften gelingt es nur einer Minderheit von Frauen, Land zu besitzen und die Kontrolle darüber auszuüben. Auch öffentliche Dienstleistungen nehmen wenig Rücksicht auf die Kosmovision, Normen und Wertvorstellungen der indigenen Bevölkerung. Das Gesundheitssystem erkennt das traditionelle indigene Wissen nicht in ausreichendem Maße an, wie die Anwendung von Naturheilverfahren und Entbindungspraktiken, die vorzugsweise an zeremoniellen, therapeutischen Orten oder in den traditionellen Dampfbädern (temascales) stattfinden. Es mangelt an angepassten therapeutischen Beratungsangeboten für die Heilung seelischer Krankheiten, wie die tiefen Wunden, die der Bürgerkrieg hinterlassen hat. Weiterhin ist in den meisten öffentlichen Einrichtungen Personal beschäftigt, das nur Spanisch spricht. Ebenso zeichnen sich im Bildungsbereich erst allmählich multiethnische pädagogische Ansätze ab. Eine multilinguale Bildungspolitik und eine an der Multiethnizität ausgerichtete Gesundheitspolitik sind jedoch für die kollektiven sowie individuellen Lebens- und Verwirklichungschancen von elementarer Bedeutung. 52 Ebenso benachteiligt das Justizsystem Indígena-Frauen. Zum offiziellen Justizsektor haben sie kein Vertrauen, da sie den Behörden, die ihnen während des Bürgerkrieges keinen Schutz geboten haben, nicht vertrauen. Wegen der Schwellenängste und Sprachbarrieren sowie des Kosten- und Zeitaufwandes des offiziellen Rechtsweges scheuen sie davor zurück, diesen Weg in Anspruch zu nehmen. Insbesondere die auf dem Land lebenden Frauen sind monolingual und stoßen auf Schwierigkeiten. Noch ist es für die meisten Frauen nicht selbstverständlich, Rechte wahrzunehmen und gegen Diskriminierung, Geschlechtergewalt und Erbschaftskonflikte vorzugehen. Fehlendes Rechtsbewusstsein und Furcht vor Sanktionen hindern Frauen daran, Beratung zu suchen und Rechte in Anspruch zu nehmen. Darüber hinaus spielt im Alltag das Gewohnheitsrecht in der traditionellen Konfliktmediation eine wichtige Rolle. Daher hat auch die Wahrheitskommission die Stärkung indigener Rechtspraktiken innerhalb der guatemaltekischen Rechtsordnung gefordert – jedoch nur soweit ihre Normen mit der Verfassung und mit völkerrechtlich verbindlichen Konventionen vereinbar sind. Bei familiären oder gesellschaftlichen Konflikten wenden sich Betroffene oft an Ältestenräte oder religiöse Autoritäten. Die zentralen Rechtsprinzipien basieren auf Konsenskultur und Wiederherstellung der Harmonie durch Mediation, d. h. auf dem Ausgleich von Gegensätzen und Wiedergutmachung von angerichteten Schäden. Hierin unterscheiden sich traditionelle Rechtsnormen von modernen, die weitgehend auf einer Konfliktkultur gründen. Ohne Zweifel bieten traditionelle Rechtspraktiken Vorteile: Ihre Autoritäten befinden sich im sozialnahen Raum, es bestehen keine sozialen oder Sprachbarrieren, die Verfahren sind schnell und kostenlos. Doch obwohl die Frau als Trägerin der Kultur vielfach „verehrt“ wird, bietet ihr das Gewohnheitsrecht keinen ausreichenden Schutz. Es bewahrt sie weder vor Diskriminierung noch vor Gewalt. Zwar ergänzen sich in der Kosmovision der Maya Frauen und Männer in der Wahrnehmung ihrer Geschlechterrolle und Funktionen harmonisch, doch sieht die Lebensrealität der Frauen meist anders aus. Für sie verbindet sich das Gewohnheitsrecht mit Widersprüchen und Nachteilen. Die fehlende Anerkennung von Frauen als eigenständige Rechtsperson, ein sie benachteiligendes Erbrecht sowie frühe und arrangierte Ehen sind für sie kein Grund, das traditionelle Recht zu idealisieren. Männergewalt gegen Frauen wird noch weitgehend als „normal“ betrachtet oder mit dem erhöhten Alkoholkonsum des Partners entschuldigt. Dennoch macht der Veränderungswille von Frauen auch vor privaten Geschlechterbeziehungen nicht Halt. Am eigenen Leib spüren sie die Folgen männlicher Geschlechteridentität in der noch militarisierten Nachkriegsgesellschaft und fordern das Recht auf ein Leben ohne Gewalt. Sie wollen als Rechtspersonen anerkannt sein, über einen gleichberechtigten Zugang zu wirtschaftlichen und produktiven Ressourcen verfügen, ein Recht auf Schul- und Berufsbildung, auf Geburtenkontrolle und integrale Gesundheit haben. Dieser Prozess verläuft nicht konfliktfrei – Frauen, die für ihre Rechte eintreten, gelten oft als „schlechte“ Frauen und stoßen in ihren Gemeinschaften auf Misstrauen. Die Stadt gilt als kein guter Aufenthaltsort, weil sie einen „schlechten“ Einfluss auf die weibliche Identität hat. Indígena-Frauen fordern„spezifische Rechte“ Mit der Ombudsstelle existiert erstmals eine Institution für die Rechts- und Sozialberatung von IndígenaFrauen. Sie zeugt von der Notwendigkeit, geschlechtsspezifische Gewalt und Diskriminierung auf breiter Basis abzuwehren. Ihre normativen Grundlagen bilden das Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Diskriminierung der Frau, die vom guatemaltekischen Staat ratifizierten frauenrelevanten regionalen Abkommen sowie die Konvention Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über die kollektiven Rechte indigener Völker. Die Ombudsstelle setzt sich für die Umsetzung aller frauenrelevanten Gesetze und ratifizierten internationalen Abkommen ein. Sie steht daher vor einer doppelten Herausforderung: einerseits den kollektiven Rechten der indigenen Bevölkerung, ihren Normen und Institutionen Geltung zu verschaffen, andererseits gewohnheitsrechtliche Praktiken in Einklang mit modernen Rechtsnormen zu bringen. Von elementarer Bedeutung ist die Anerkennung der spezifischen Rechte von Indígena-Frauen, die in einem Katalog zusammengefasst wurden: Recht auf ethnokulturelle Identität, – Recht auf Identifizierung als Indígena-Frau, Rigoberta Menchu; rechts Recht, nicht von einer fremden Kultur assimiliert zu werden, Recht auf Partizipation in Leitungsfunktionen innerhalb und außerhalb ihrer Gemeinschaften, Recht auf Veränderung von Gewohnheiten und Traditionen, die ihre Würde und Gleichberechtigung verletzen, d. h. beispielsweise das Recht auf Landeigentum und freie Partnerwahl, Recht auf ein Leben ohne physische, psychische und seelische Gewalt, Recht auf Wiedergewinnung von Gewohnheiten und Traditionen, die ihre Identität stärken, sowie das Recht auf menschenwürdige und respektvolle Behandlung. Weitere Rechte beziehen sich auf den Zugang zu Land und gesicherte (individuelle wie kollektive) Eigentums- und Nutzungsrechte, die Anerkennung unbezahlter Haus- und Gemeinschaftsarbeit, Verbesserung der Arbeitsbedingungen auf Grundlage der geltenden Arbeitsgesetzgebung, Chancengleichheit in der Erziehung, das Recht auf integrale Gesundheitsversorgung, Schutz gegen geschlechtsspezifische Gewalt sowie faire Aufteilung von Verantwortung und Entscheidungsbefugnissen innerhalb der Familie. 53 Indigene Organisationen Durch gezielte Aktionen und in Zusammenarbeit mit staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren strebt die Ombudsstelle danach, die Rechtsposition von Frauen zu verbessern und Gewalt gegen Frauen zu sanktionieren. Frauen werden rechtlich und sozial beraten, Klagen an die entsprechenden Rechtsinstanzen weitergeleitet sowie Frauen und Männer über die spezifischen Rechte der Frau aufgeklärt. Die Mehrheit der Klientinnen sucht Hilfe in Fällen von intrafamiliärer und sexueller Gewalt, bei Erbschafts- und Landkonflikten sowie für die Erstellung persönlicher Ausweispapiere. Häufig kommt es vor, dass Mädchen bei Geburt nicht registriert werden und infolgedessen keine persönlichen Dokumente besitzen. Darüber hinaus setzt sich die Ombudsstelle dafür ein, dass einzelne Sektoren der Politik, öffentliche Programme und Dienstleistungen die Multiethnizität des Landes und die spezifischen Interessen von Frauen berücksichtigen. Der Aufbauprozess der Ombudsstelle ist mühsam – vor allem mangelt es an Ressourcen für die Errichtung von Büros außerhalb der Hauptstadt (Guatemala-Stadt). Für die Beratungsarbeit fehlen ausgebildete Juristinnen und Psychologinnen, die Frauen in den lokalen Sprachen beraten und durch die offiziellen Rechtsinstanzen begleiten. Zwar fördern die Vereinten Nationen und die deutsche Entwicklungszusammenarbeit die institutionelle und personelle Stärkung, doch können sie nicht die notwendigen Eigenleistungen der guatemaltekischen Regierung ersetzen. Gewalt gegen Frauen in Nachkriegsgesellschaften Ein großes Hindernis für die Demokratisierung der Geschlechterbeziehungen in Nachkriegsgesellschaften ist die überall präsente Kultur der Gewalt. In militarisierten Gesellschaften liegt die Hemmschwelle für die Anwendung von Gewalt niedrig, weil diese zur Lösung von Konflikten und Durchsetzung eigener Interessen eingesetzt und weitgehend akzeptiert wird. Hinzu kommt die weite Verbreitung von legalen und mehr noch illegalen Handfeuerwaffen. Als alltägliches Phänomen erzeugt Gewalt ein gesellschaftliches Klima der Angst und sozialen Ohnmacht. Unrechtsund Gewalterfahrungen schlagen immer öfter in eigenmächtiges Handeln der Bevölkerung um. Verzweifelte Menschen greifen zur Selbstjustiz, weil sie 54 keinen anderen Ausweg finden, um Fehlverhalten und Straftaten zu sanktionieren oder auf Konflikte zwischen Gemeinschaften zu reagieren. Oftmals ist Lynchjustiz eine kollektive Reaktion auf die Unfähigkeit des Staates, Bürger- und Rechtssicherheit zu garantieren. Physische und psychische Gewalt gegen Frauen gilt als legitimes Mittel von Ehemännern, um das Verhalten ihrer Frauen zu „korrigieren“. Das häusliche Umfeld verwandelt sich in einen gefährlichen und unsicheren Aufenthaltsort für Frauen und Mädchen. Fehlendes Selbstwertgefühl und die verinnerlichte Minderwertigkeit führen dazu, dass Frauen männliche Gewalt akzeptieren und sich nicht wehren. Auch in öffentlichen Räumen sind Frauen und Mädchen Sicherheitsrisiken ausgesetzt. Mit dem Einbruch der Dunkelheit verschärfen sich Gefahren für sie. Auf Schul- und Heimwegen in unsicheren Stadtvierteln, auf Universitätsparkplätzen oder in der Umgebung der Maquilas müssen Frauen wachsam sein, weil sich Gewaltakte häufen. Das kürzlich in Kraft getretene Gesetz zur Sanktionierung intrafamiliärer Gewalt ist ein historischer Meilenstein. Mit diesem Gesetz wurde das strafrechtliche Prinzip der Gleichbehandlung häuslicher und außerhäuslicher Gewalt eingeführt, das nunmehr Polizei und Justizbehörden verpflichtet, bei Gewalt gegen Frauen einzugreifen und die Täter zu bestrafen. Dennoch ist für viele Frauen eine Strafanzeige gegen (Ehe-)Partner noch immer die „letzte“ Option, weil es für sie nicht leicht ist, mit den sozialen Folgen fertig zu werden. Viele Frauen kennen ihre Rechte nicht und/oder haben bisher kaum Zugang zu Rechtsinstanzen. Daher bleibt Gewalt im Geschlechterverhältnis im Verborgenen. Um dieses zu ändern, arbeitet die Ombudsstelle mit traditionellen Autoritäten (Dorfautoritäten, Maya-Priestern), Justizbehörden und der neuen Polizei unter ziviler Kontrolle zusammen. Für die Ombudsstelle ist das Recht auf Sicherheit integraler und unveräußerlicher Bestandteil der Menschenrechte. Bürgersicherheit bedeutet, ohne Bedrohung der persönlichen Integrität leben und individuelle Freiheitsrechte ausüben zu können. Die Schaffung von gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die Gewalt und Diskriminierung mindern und Sicherheit fördern, ist für den Aufbau einer demokratischen Gesellschaft unabdingbar. Ohne ein Mindestmaß an Sicherheit ist die Wahrnehmung von staatsbürgerlichen Rechten kaum möglich. Daher ist ein wesentlicher Aspekt des Aufbaus demokratischer Gesellschaften die Bürgersicherheit, die der Staat und seine nachgeordneten Instanzen garantieren müssen. Der Übergang von der Doktrin der „Staatssicherheit“ hin zur „Bürgersicherheit“ hat konkrete Auswirkungen auf die Funktionen von Militär und Polizei. In einer Demokratie ist das Mandat des Militärs auf die Wahrung der „äußeren Sicherheit“, d. h. der national-territorialen Sicherheit, begrenzt. Die Zuständigkeit für „öffentliche Sicherheit“ obliegt der Polizei, Justiz und dem Strafvollzug. Dabei wird die Polizeiarbeit von einer militarisierten auf eine zivile Polizei unter Zuständigkeit der Innenministerien übertragen. In zahlreichen Ländern sind die Entmilitarisierung und Demokratisierung der Polizei eng mit der Gleichstellung von Frauen innerhalb der Polizei und mit der Sanktionierung geschlechtsspezifischer Gewalt verbunden. Das Engagement von Frauenorganisationen bei der Gestaltung von Polizeireformen hängt mit der Einführung des strafrechtlichen Prinzips der Gleichbehandlung von häuslicher und außerhäuslicher Gewalt zusammen. Seit Ende der achtziger Jahre hat in Lateinamerika die Frauenbewegung Forderungen nach entsprechender Sensibilisierung und Ausbildung der Polizeikräfte sowie Einrichtung von Frauenkommissariaten als Antwort auf die überall verbreitete Gewalt gegen Frauen erhoben. Lange Zeit war die Polizei eine Männerdomäne, die weder für die gleichberechtigte Mitarbeit von Frauen noch für den Schutz von Frauen gedacht und darauf vorbereitet war. Nur wenige Leitungspositionen sind bisher mit Frauen besetzt, und die Ungleichheit der Chancen steigt mit den Rängen. Noch heute wird die gleichberechtigte Partizipation von Frauen in einer zivilen Polizei durch Vorurteile, fehlende Infrastruktur, Kasernierung der Polizeikräfte und die Form der Arbeitsschichten erschwert. In einigen Ländern (z. B. Brasilien, Peru, Nicaragua) entstanden seit Ende der achtziger Jahre Frauenkommissariate, in denen meist nur Polizistinnen tätig sind, die weibliche Gewaltopfer rechtlich beraten und in einigen Ländern in Zusammenarbeit mit Nichtregierungsorganisationen betreuen. Allgemein werden in Lateinamerika spezialisierte Polizeieinheiten als wesentlicher Beitrag zur Stärkung der Frauenrechte betrachtet. Darüber hinaus gilt die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Justizbehörden und Frauenbewegung als wichtige strategische Allianz zwischen dem staatlichen Sektor und Nichtregierungsorganisationen. Neben der Erhöhung der Anzahl von Frauen in der Polizei geht es darum, die Polizei für ihre Aufgaben zu qualifizieren – insbesondere bei Prävention, Sanktion und Beseitigung von Gewalt im Geschlechterverhältnis sowie bei polizeilichen Dienstleistungen gegenüber Opfern geschlechtsspezifischer Gewalt. Polizeiinterventionen bei häuslicher und sexueller Gewalt erfordern ein grundsätzliches Umdenken, weil diese fortan keine „Privatangelegenheit“ mehr ist oder ein „Familienstreit“, den es zu schlichten gilt, sondern eine strafrechtlich zu sanktionierende Form von Gewalt. Entmilitarisierung der Polizei Mit den Friedensverträgen wurde in Guatemala die Zuständigkeit für öffentliche Sicherheit auf die neu gegründete demilitarisierte Polizei übertragen. Unter „guter Polizeiarbeit“ wird eine zivile, professionelle und bürgernahe Polizei verstanden, die ihre präventive Arbeit an den Sicherheitsinteressen aller Volksund Bevölkerungsgruppen ausrichtet, Rechenschaft über ihre Tätigkeit ablegt, die Menschenrechte respektiert und korruptionsfrei ist. Als dienstleistungsorientierte Institution zählt es zu ihren Aufgaben, das Leben der Menschen und deren Güter zu schützen, Straftaten präventiv zu verhindern oder diese aufzuklären und zu bekämpfen. Die Polizeireform in Guatemala ist eingebettet in lateinamerikaweite Modernisierungsprozesse der Polizeiinstitutionen. Inzwischen hat eine regionale Vernetzung der mit dem Thema befassten Einrichtungen stattgefunden. In einer Erklärung hochrangiger Polizistinnen in Zentralamerika und der Karibik wurden im Jahre 2001 wichtige Forderungen an die Polizeileitungen gestellt: Integration der Geschlechtergleichheit in Polizeiethik, Richtlinien, Handlungsstrategien sowie in Aus- und Fortbildung aller Polizeikräfte; Einrichtung von spezialisierten Einheiten mit rechtlichen, psychologischen sowie sozialen 55 Indigene Organisationen Unterstützungsangeboten für die Opfer geschlechtsspezifischer Gewalt; Erstellung von geschlechterdifferenzierten Polizeistatistiken sowie Bereitstellung zusätzlicher Mittel für die Umsetzung dieser und anderer Maßnahmen. Die Polizeileitungen der betreffenden Länder haben sich zur Umsetzung dieser Forderungen verpflichtet und legen regelmäßig Rechenschaft über Fortschritte auf Regionalkonferenzen ab. In Guatemala impliziert die Polizeireform die Transformation der Polizei von einem Instrument politischer und militärischer Repression in eine demokratisch-zivile Institution. Sie sieht ebenfalls die repräsentative Vertretung aller ethnischen Volksgruppen sowie die Partizipation von Frauen vor. Eine multiethnische und an Geschlechtergleichheit orientierte Polizei eröffnet neue Wege der Zusammenarbeit mit der Bevölkerung. Bürgernähe in multiethnischen Gesellschaften setzt voraus, dass die Polizei Männer und Frauen beschäftigt, die lokale Sprachen sprechen. Erst die Verständigung mit den verschiedenen Volksgruppen ermöglicht Bürgernähe, Schlichtung von Konflikten und allgemeine Gewaltprävention. Die Behörde der Vereinten Nationen zur Verifizierung der Friedensverträge (MINUGUA) beurteilt u. a. die Handlungskapazität der Polizei, ihren multikulturellen Charakter, die Partizipation von Frauen und die Qualität der Polizeiausbildung. In den Verifizierungsberichten werden Fortschritte der Polizei anerkannt, wie der Rückgang der von Polizeikräften ausgeübten Menschenrechtsverletzungen und Unregelmäßigkeiten. Gleichzeitig weisen die Berichte mahnend auf das langsame Tempo der Transformation der „alten“, militarisierten Polizei in eine zivile mit „multiethnischem Charakter“ hin – ebenso auf die geringe Präsenz von Frauen: Erst zehn Prozent des Personals sind weiblich, und insgesamt vierzehn Prozent aller Polizeikräfte sind indigener Herkunft. Untersuchungen belegen, dass heute die Bevölkerung weniger Angst vor der Polizei hat, aber noch kein Vertrauen in das neue Polizeimodell. Dies 56 gilt insbesondere für Indígena-Frauen, die noch oftmals von Polizisten diskriminiert und abgewiesen werden. Allerdings wächst das Vertrauen der Menschen dort, wo die Polizei gemeindenah tätig ist, die lokalen Sprachen spricht und weibliche Polizeikräfte präsent sind. Inzwischen wurden innerhalb der Polizei auf nationaler und regionaler Ebene Büros zur Förderung der Geschlechtergleichheit eingerichtet (Oficina de Equidad de Género), deren Aufgaben und Ziele gemeinsam mit der Ombudsstelle beraten wurden. Eine der Aufgaben des Genderbüros ist, die Multiethnizität und Multikulturalität innerhalb der Polizei zu fördern. In einer Nachkriegsgesellschaft mit hohem Gewaltpotenzial, wie sie sich in Guatemala darstellt, kann eine Polizeireform allein keine Wunder an Sicherheit bewirken. Entscheidend sind gesellschaftliche Reformen sowie Reformen im Straf und Zivilrecht und dem Strafvollzug. Ebenso wichtig sind Rechtsaufklärung, die Präsenz des Rechtsstaates und justizrelevante Institutionen wie die der Ombudsstelle für Indígena-Frauen. Der Transformationsprozess der Polizei ist noch lange nicht abgeschlossen. Aufgrund ihrer personellen und finanziellen Ausstattung ist sie nicht in der Lage, in allen Landesteilen im Sinne des „neuen“ Polizeimodells präsent zu sein. Hierzu müssen die notwendigen finanziellen Mittel bereitgestellt und die Anzahl der Polizeikräfte (insbesondere Frauen und Indígenas) erhöht werden. Ohne Bürgerrechte, Identität und Differenz kein Frieden Die Friedensverträge erkennen erstmals die Multiethnizität und Vielsprachigkeit des Landes an. Darüber hinaus verpflichten sie Regierung und Zivilgesellschaft, die Rechte von Frauen zu stärken. Multiethnizität und die Gleichberechtigung von Frauen und Männern können sich nur auf der Grundlage sozialer Gerechtigkeit sowie politischer und wirtschaftlicher Partizipation entwickeln. Wo Bürgerrechte, Identität und Differenz keine Anerkennung finden, wachsen Konfliktpotenziale. Und die kumulativen sozialen Folgekosten von Diskriminierung, ungleich verteilten Ressourcen und Lebenschancen sind kaum zu ermitteln, dennoch werden sie von der gesamten Gesellschaft getragen. Aus der Wechselbeziehung von struk- tureller und politischer Gewalt (Makrogewalt) sowie interpersoneller Gewalt (Mikrogewalt) lässt sich schlussfolgern: Je weniger soziale, politische, wirtschaftliche und kulturelle Ausgrenzung es gibt, je gerechter gesellschaftliche Strukturen, je egalitärer Paarbeziehungen, je demokratischer Gesellschaftsordnungen sind, desto geringer ist das Gewaltaufkommen. Ohne politische Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit der Gewaltthematik und ihren geschlechtsspezifischen Dimensionen, ihren Ursachen und Folgen, ist nachhaltige Sicherheit für beide Geschlechter und alle Volksgruppen kaum möglich. Der Friedensprozess kommt nur schleppend voran, weil die Rechte der Indígena-Bevölkerung in einem langsamen und widersprüchlichen Prozess umgesetzt werden. Die überwiegende Mehrheit ist auch weiterhin sozial, politisch und ökonomisch marginalisiert. Frauen sind in besonderer Weise von den Folgen ausbleibender Reformen betroffen. Noch immer steht die Frage nationaler Versöhnung und Entschädigungen für die Bürgerkriegsopfer ungelöst auf der politischen Tagesordnung. MINUGUA hat erst kürzlich die im Land vorherrschenden Verhältnisse als Apartheid-System kritisiert. Allgemein sind die Organisationen der internationalen Gebergemeinschaft wichtige Verbündete der Organisationen und Institutionen, die sich für die Umsetzung der Friedensverträge einsetzen. Friedenssichernd sind Bemühungen, die die Stärkung demokratischer Verhältnisse und sozialer Chancengleichheit mit kultureller Gleichwertigkeit und Toleranz verbinden. Auf allen Ebenen öffentlicher Politik und bei allen öffentlichen Dienstleistungen müssen Identität und Differenz berücksichtigt werden und sichtbar sein. Hierzu zählt die Repräsentanz ethnokultureller Vielfalt in Regierung und nachgeordneten Behörden sowie Sektorpolitiken, die der Multiethnizität Rechnung tragen. In dem Maße, in dem es Politik gelingt, ethnokulturelle Diversität auf allen Ebenen nachhaltig zu verankern, werden kulturelle Gleichwertigkeit und gegenseitige Toleranz gestärkt sowie fortbestehende Konfliktpotenziale gemindert. Eine am Frieden ausge- richtete Regierungsführung betrachtet daher Diversität nicht als Störfaktor und Nachteil, sondern als Potenzial für den Aufbau einer Friedensordnung. Daher lässt sich der politische Wille für eine integrierende Gesellschaftsordnung nur im Licht der steuernden politischen Eingriffe zum Abbau vorhandener Bürgerrechtsverletzungen und Ausgrenzungsprozesse beurteilen. Der Friedensprozess in Guatemala hat in dem Maße Zukunft, in dem die Angehörigen der verschiedenen Kulturen und ethnischen Gruppen bereit sind, an dem Aufbau einer multiethnischen Gesellschaft mitzuwirken und notwendige Veränderungen in der eigenen Lebenswelt und Kultur zuzulassen, um ein konfliktfreies Zusammenleben zwischen den verschiedenen Volksgruppen, sozialen Schichten und Geschlechtern zu ermöglichen. Dieses setzt gesellschaftlichen Bewusstseinswandel und weitreichende Veränderungen voraus. Bedauerlicherweise wird die Dynamik dieser Prozesse dadurch erschwert, dass sich bisher nur Minderheiten in Regierung und Bevölkerung mit der Aufarbeitung der Vergangenheit und den Empfehlungen der Wahrheitskommission aktiv auseinander setzen. Die Wächter der Friedensverträge sind die Institutionen, die aus diesen hervorgegangen sind, sowie Organisationen der Zivilgesellschaft. Mehr als zehn Jahre, nachdem Rigoberta Menchú Tum den Friedensnobelpreis erhielt, ist ihre damalige Aussage noch aktuell, dass der Preis ein Aufruf an alle Guatemaltekinnen und Guatemalteken sein soll, Verantwortung für den Aufbau einer soliden und dauerhaften Friedensgesellschaft zu übernehmen. Von der Erfüllung dieser Aufgabe kann erst dann gesprochen werden, wenn die Rechte der am stärksten diskriminierten Bevölkerungsgruppe anerkannt sind, nämlich die Rechte der indigenen Frauen als Indígenas und Staatsbürgerinnen. Hierzu leistet die Ombudsstelle einen wichtigen Beitrag. 57 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Tomasa Yarhui Jacome, Bolivien Es ist das erste Mal in der Geschichte Boliviens, dass eine indigene Frau Ministerin der Regierung wird. Im März 2002 wird Tomasa Yarhui Jacome zur Ministerin für Landwirtschaft ernannt. Tomasa Yarhui Jacome war vorher im Stadtrat von Sucre und ist engagiertes Mitglied des Movimiento Bolivia Libre (Bewegung für ein freies Bolivien). „Ich bin sehr glücklich, nicht nur für mich, sondern vor allem für unser Land“, sagt sie bei ihrer Amtseinführung. „Es wird aber nicht einfach sein. Ich gehöre zu den Indigenen unseres Landes, und ich fühle mich ihnen stark verpflichtet. Als Ministerin werde ich mich aber ebenso für die Interessen der Bauern und Bäuerinnen unseres Landes einsetzen, und natürlich für die der Frauen.“ Im gleichen Jahr wird in Ecuador Nina Pacari von der Partei Pachakutik – Nuevo País, die von der nationalen indigenen Organisation CONAIE gegründet worden ist, Außenministerin des Landes. Auch dies wäre ohne den erstarkten politischen Einfluss indigener Organisationen auf ihre Regierungen und der direkten Beteiligung an Regierungen durch eigene Parteistrukturen in Lateinamerika nicht denkbar gewesen. Beide Frauen gehören mittlerweile den neuen Regierungen in ihren Ländern nicht mehr an. Aus einem Interview der BBC mit Tomasa Yarhui, 8.3.2002 BBC: Was bedeutet die Ernennung zur Landwirtschaftsministerin für Sie persönlich und für indigenen Frauen Boliviens, da es ja das erste mal in der Geschichte ist, dass eine indigene Frau Ministerin wird? „Ich bin sehr glücklich. Es war nicht nur für mich sondern für das Land eine Überraschung. Wir haben die Ernennung akzeptiert, allerdings ohne parteipolitische Verpflichtung sondern allein mit der Aufgabe für das Land zu arbeiten, aber vor allem für die Bauernbewegung und für die Frauen.“ BBC: Wie kommt es, dass heute zum ersten mal eine indigene Frau Ministerin wird? „Ich glaube, dass in unserem Land die Frauen nicht gewürdigt werden, vor allem nicht die indigenen Frauen. Jetzt ist unser Augenblick. Ich habe die Wahlen zur Abgeordneten gewonnen. Dabei habe ich eher an die Bauernbewegung gedacht aber ich glaube jetzt ist der Moment, um für die Frauen zu arbeiten. Außerdem glauben wir, dass wir als Bauernbewegung an die Macht kommen und eine andere 58 Politik machen müssen – im Dienste der Dorfgemeinschaften, im Dienste der armen Bauern.“ BBC: Sie haben gesagt, dass es leider mehr Machismus in der Bauernbewegung gibt als allgemein in der Gesellschaft. Warum haben Sie das gesagt? „Leider gibt es den Machismus in meinem Land und vor allem auf dem Land. In einigen Gebieten wird die Frau geschätzt, aber in anderen wie zum Beispiel der Leitung von Organisationen gibt es immer noch keine aktive Beteiligung der Frauen, zumindest keine mit Entscheidungsbefugnis. Ich gehe davon, dass dies ein Prozess ist und dass wir auch von diesem Ministerium aus das Thema der Gleichberechtigung angehen müssen, damit Männer und Frauen die selben Rechte haben.“ BBC: Haben Sie das Gefühl, Geschichte zu schreiben? „Ja. Das gab es noch nie und es ist die erste Chance, die wir als Bauernbewegung und Bewegung der indigenen Frauen Boliviens haben.“ BBC Mundo, 8.3.2002, Übersetzung: Heidi Feldt Moderne Indigene Organisationen Das Beispiel der COICA – die Koordination der indigenen Organisationen des Amazonasbeckens Die Geschichte der COICA Am 16. März 1984 kamen die Vertreter von fünf nationalen Organisationen der Amazonasindianer aus Peru (AIDESEP), Brasilien (UNI), Ecuador (CONFENIAE), Bolivien (CIDOB) und Kolumbien (ONIC) in Lima zusammen, um über die Menschenrechtssituation indigener Völker und die schwerwiegenden Probleme des Ausverkaufs von indigenem Land an Rinderfarmer, Holzfirmen, Erdöl- und Bergbaugesellschaften durch die jeweiligen Regierungen zu diskutieren. Man entschied, sich gegenseitig im Kampf um die Anerkennung indigener Landrechte und das Überleben der eigenen Kulturen zu unterstützen, und rief die COICA ins Leben. Evaristo Nungkuag Ikanan, Vertreter der peruanischen nationalen Organisation AIDESEP und Angehöriger des indigenen Volkes der Aguaruna, wurde zum ersten Präsidenten des neugegründeten Dachverbandes gewählt und übernahm dieses Amt von 1984 bis 1992. Der Gründung der COICA war bereits ein längerer Organisationsprozess der indigenen Gemeinschaften auf nationaler, lokaler und regionaler Ebene vorausgegangen. Die indigenen Völker bedienten sich unterschiedlicher Organisationsformen, um ihrem Protest gegen Verkauf ihres Landes Ausdruck zu verleihen. In Föderationen, Indianerräten und Vereinigungen begannen sie, ihre Territorien und ihre Lebensweise gegenüber fremden Zugriffen zu verteidigen. Den Anfang machte die Föderation der Shuar-Zentren (FICSH), die 1965 im östlichen Tiefland Ecuadors gegründet wurde und bald Vorbild für eine ganze Reihe ähnlicher Basisorganisationen war, die sich Anfang der siebziger Jahre im Amazonasgebiet bildeten. Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre entstanden in den einzelnen Ländern Zusammenschlüsse von solchen Basisorganisationen. Sie sind parteipolitisch unabhängig und verfolgen die politischen Ziele: Landsicherung, Selbstbestimmung, den Aufbau eigener Erziehungs- und Bildungsprogramme sowie die Förderung einer selbstbestimmten wirtschaftlichen Entwicklung. Die Gründung der COICA war ein wichtiger Schritt im Prozess der Selbstorganisation der indigenen Völker Amazoniens. Ihr Wirkungsfeld liegt vor allem auf der internationalen Ebene. Nach ihrem Selbstverständnis ist die COICA die internationale Koordinierungsinstanz für ihre Mitgliedsorganisationen, deren Tätigkeit allen indigenen Völker Amazoniens zugute kommen soll. Seit dem IV. Kongress in Manaus/Brasilien im Jahre 1992 gehören der COICA folgende nationale Indigenenorganisationen aller 9 Amazonasstaaten an: Vereinigung der amerindianischen Völker Guyanas (APA) Organisation der Indianervölker Surinams (OIS) Föderation der Amerindianischen Organisationen von Französisch Guayana (FOAG) Nationaler Indianerrat Venezuelas (CONIVE) Koordination der Indigenenorganisationen des brasilianischen Amazonasgebietes (COIAB) Interethnische Vereinigung zur Entwicklung des peruanischen Waldes (AIDESEP) Konföderation der indigenen Nationalitäten des ecuadorianischen Amazonasgebietes (CONFENIAE) Organisation der indigenen Völker des kolumbianischen Amazonasgebietes (OPIAC) Konföderation der indigenen Völker Boliviens (CIDOB) Themen, Aufgaben und Ziele der COICA Die Ziele der COICA wurden auf ihrer Gründungsversammlung definiert und sind, wenn man von zeitweiligen Umgewichtungen in der Prioritätensetzung einmal absieht, bis heute die gleichen geblieben: Aufbau, Förderung und Entwicklung von Maßnahmen, die den Informations- und Erfahrungsaustausch zwischen den indigenen Völkern und unter den COICA-Mitgliedsorganisationen sicherstellen Verteidigung der Rechte auf eigenes Territorium, Selbstbestimmungsrecht indigener Völker und die Einhaltung der Menschenrechte Koordinierungsstelle gegenüber den verschiedenen zwischenstaatlichen und nicht-staatlichen Organisationen, die im Amazonasgebiet tätig sind Stärkung der Einheit und die Zusammenarbeit der indigenen Völker Amazoniens Wiederaufwertung und Anerkennung der indigenen Kultur Quelle: www.klimabuendnis.org Recherchiere im Internet, welche Aufgaben indianische Organisationen für sich sehen. Internetadressen vieler Organisationen findest im Anhang. Was ist ihre Aufgabe im Unterschied zu den traditionellen Autoritäten indigener Völker? Führt das unweigerlich zum Konflikt zwischen beiden? Gibt es dafür Lösungen? 59 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Rechte indigener Völker 6. Rechte indigener Völker Artikel 7 Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und haben ohne Unterschied Anspruch auf gleichen Schutz durch das Gesetz. Alle haben Anspruch auf gleichen Schutz gegen jede Diskriminierung, die gegen diese Erklärung verstößt, und gegen jede Aufhetzung zu einer derartigen Diskriminierung. Artikel 2 Jeder hat Anspruch auf die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten ohne irgendeinen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Überzeugung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand. So steht es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die am 10. Dezember 1948 von den Vereinten Nationen verabschiedet wurde. In ihr sind die Rechte eines jeden Menschen festgelegt, die sich allein aus der Tatsache ableiten, dass er als Mensch geboren wurde. Außer diesen individuellen Menschenrechten gibt es auf internationaler Ebene und in den Ländern Südamerikas darüber hinaus spezielle Rechte indigener Völker. Was sind indigene Rechte? Der große Unterschied zwischen den oben erwähnten individuellen Menschenrechten und den indigenen Rechten ist, dass letztere ihnen das Leben und die Weiterentwicklung als Völker, als Gemeinschaft ermöglichen sollen. Indigene Rechte sind Kollektivrechte. Versammlung anlässlich der Demarkierung von Indianerland 60 6.1. Verankerung indigener Rechte in Lateinamerika In fast allen lateinamerikanischen Ländern wird in der Verfassung die Existenz indigener Völker anerkannt. Das war nicht immer so. Noch bis in die 1980er Jahre fanden indigene Völker keine Erwähnung in den Verfassungen. In Venezuela dauerte es sogar bis 1999, erst mit der neuen Verfassung aus diesem Jahr wurden sie anerkannt. Die Wortwahl in den einzelnen Verfassungen ist unterschiedlich: einige sprechen von „ethnischer und kultureller Vielfalt“ (Kolumbien), von „Multiethnizität“ (Bolivien), von „Plurikulturalität“ (Ecuador) oder „Multikulturalität“, andere wiederum vom „Recht der Gemeinschaften auf ihre eigene Kultur“ (Guatemala). Damit sind zwar unterschiedliche Konzepte verbunden, aber gemein ist allen, dass sie anerkennen: es gibt in ihrem Staat eine Gesellschaft, die die Mehrheit bildet und es gibt darüber hinaus indigene Völker mit ihrer eigenen Kultur und Sprache. Auch bei uns wird viel von „Multikulti“ gesprochen. Ist damit dasselbe wie in den lateinamerikanischen Verfassungen gemeint? Aus dieser verfassungsmäßigen Anerkennung leiten sich einige grundlegende Rechte der indigenen Völker ab: Das Recht auf Wahrung ihrer ethnischen Identität. Dies umfasst die Religion, den Schutz heiliger Stätten, die Sprache, die Kultur. Das Recht auf Anerkennung ihrer eigenen internen Struktur. Damit ist zum Beispiel gemeint, dass sie das Recht haben sich innerhalb ihrer Völker so zu organisieren, zu „verwalten“ und zu regieren, wie es ihren Traditionen entspricht. Das Recht auf das eigene Land, auf das Territorium, auf dem sie traditionell leben. Dies ist ganz wichtig für die indigenen Völker, die Jäger und Sammler sind und ihr Leben nur auf einem entsprechend großen Gebiet gestalten können. Daher brauchen sie auch das Nutzrecht für diese Gebiete, um sie vor Eindringlingen von außen wie Goldsucher, Holz- und Bergbauunternehmen schützen zu können. Aus diesem Grund ist das Recht auf das eigene Territorium eine ganz zentrale Forderung der Organisationen der Amazonasindianer. Zwar Aymara Bauer auf dem ecuadorianischen Hochland ist das Recht auf ein eigenes Territorium in vielen Ländern Lateinamerikas gesetzlich verankert, aber die Umsetzung wird oft verschleppt oder nicht eingehalten. Das Recht, ihre eigenen Rechtsverfahren zur Regelung interner Angelegenheiten auszuüben. Dies ist ein ganz sensibler Bereich und nur in sehr wenigen Ländern zum Beispiel in Kolumbien vorgesehen. Oft spricht man von der Ausübung des Gewohnheitsrechts. Dieses Recht ist meist nicht in Paragraphen niedergeschrieben und basiert auf den (mündlich überlieferten) Traditionen der Völker. Ein Problem tritt dann auf, wenn das Gewohnheitsrecht eines Volkes und das nationale Recht sich widersprechen. So werden bei einigen Völkern in Kolumbien, Diebe mit Ausschluss aus der Gemeinschaft bestraft. Sie müssen dann allein auf sich gestellt, im Urwald überleben. Dies widerspricht den nationalen Gesetzen. Darauf angesprochen sagte Abadio Green, ehemaliger Vorsitzender der nationalen indigenen Organisation Kolumbiens, „Ihr werft uns ein unmenschliches Vorgehen vor. Aber ihr sperrt eure Diebe hinter dicken Mauern weg. Ist das besser?“ Ganz klar ist, dass die individuellen Menschenrechte über allen anderen Rechten stehen und dass das Gewohnheitsrecht nur bei internen Angelegenheiten des Volkes Anwendung findet. Aber es gibt bisher in keinem lateinamerikanischen Land eine richtige Regelung, wofür das Gewohnheitsrecht eingesetzt werden darf und wofür nicht. Das Recht auf politische Beteiligung. Natürlich haben Indigene das Recht sich ganz individuell am politischen Leben zu beteiligen. Das war allerdings nicht immer so. Noch bis in die 1950er Jahre wurde ihnen in einigen Ländern zum Beispiel das Wahlrecht verweigert. Gemeint ist hier allerdings das Recht der politischen Beteiligung als indigene Völker eines Landes. So steht in der venezolanischen Verfassung, dass die Indigenen drei Abgeordnete ins venezolanische Parlament wählen können. Diese Wahl findet parallel zur allgemeinen Wahl statt. In Kolumbien können die Indianer zwei Senatoren direkt stellen. In Deutschland könnte man dies mit der Vertretung der dänischen Minderheit in Schleswig-Holstein vergleichen. Dies sind die Rechte, wie sie formal in Verfassungen und Gesetzen festgehalten sind. Die Realität sieht jedoch meist anders aus. In Ecuador wurde zwar 1998 die Verfassung im obigen Sinne geändert, aber bis heute sind die indigenen Völker nicht formal als Eigentümer ihrer Territorien anerkannt. Das ist immer dann ein großes Problem, wenn Erdöl- , Bergbau- oder Holzunternehmen auf indigenem Gebiet arbeiten wollen und es zu Konflikten mit der lokalen Bevölkerung kommt. Oder wenn Siedler aus dem Andenhochland in das Amazonasgebiet vordringen und dann dort Land besetzen, das eigentlich indianisches Gebiet ist. Es ist daher immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen den einzelnen Interessengruppen gekommen. 6.2. Internationales Recht Interessanterweise ist es die Internationale Arbeitsorganisation (International Labour Organisation, ILO, eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen), die das bisher einzige international verbindliche Übereinkommen zu indigenen Völkern verabschiedet hat: die „ILO Konvention 169 über indigene und in Stämmen lebende Völker“. Warum beschäftigt sich die ILO mit indigenen Völkern und ihrem Recht auf Land, auf Bildung, auf Anerkennung als Volk? Bereits in den 1920er Jahren, in den Anfängen der Arbeit der ILO, hat sich diese Organisation mit den Arbeitsbedingungen von Sklavenarbeitern auf den Zuckerplantagen in Südamerika auseinandergesetzt. Fast alle Sklavenarbeiter waren indigener Herkunft. Aus dieser Zeit stammt auch eine der ersten Konventionen der ILO: die Konvention 29 gegen Zwangsarbeit. Nach dem zweiten Weltkrieg nahm die ILO ihre Arbeit zu den indigenen Völkern wieder auf und veröffentlichte eine Studie zu „den Lebens- und Arbeitsbedingungen der Ureinwohner in unabhängigen Ländern“. Damals wie heute gehörten Indigene zu der am stärksten ausgebeuteten Bevölkerungsgruppe: sie hatten die schlechtesten Arbeitsbedingungen und Verträge. Um indigene Arbeiter zu schützen, hat die ILO dann bald erkannt, dass es nicht ausreicht, Bestimmungen gegen Sklavenarbeit zu erlassen sondern 61 Rechte indigener Völker dass indigene Völker die Möglichkeit haben müssen, auf ihrem Territorium ihrer eigenen Entwicklung nachzugehen. Daher wurde 1989 die Konvention No. 169 verabschiedet, die mittlerweile von 17 Ländern5 ratifiziert wurde. Die Konvention deckt einen weiten Rahmen ab wie Landrechte, Zugang zu den natürlichen Ressourcen, Gesundheit, Bildung, Arbeitsbedingungen und Verträge. (www.ilo.org/indigenous) Deutschland hat die ILO Konvention 169 nicht unterzeichnet. Nach Aussagen der Bundesregierung wird geprüft, ob eine Unterzeichnung sinnvoll ist und welche konkreten Auswirkungen dieses hätte. Was meinst Du: Sollte Deutschland die ILO Konvention 169 unterzeichnen, obwohl bei uns keine indigenen Völker leben? Was wären die möglichen Vorteile oder Nachteile einer solchen Unterschrift? Außerdem gibt es Bestrebungen in den Vereinten Nationen, eine Erklärung über indigene Rechte zu verabschieden. Allerdings ist dieses Vorhaben noch nicht sehr weit gediehen: bisher konnte sich die Staatengemeinschaft auf keinen gemeinsamen Text einigen. Umstritten ist vor allem das Selbstbestimmungsrecht indigener Völker, das von diesen vehement eingefordert, von den Regierungen der Staaten aber abgelehnt wird. Selbstbestimmungsrecht Das Recht auf Selbstbestimmung der Völker ist eines der grundlegenden Prinzipien der internationalen Demarkierungsarbeiten 62 Staatengemeinschaft. Im Internationalen Pakt der Vereinten Nationen über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (1966) und im Pakt über zivile und politische Rechte (1966) wird dieses Recht festgehalten. Im gemeinsamen Art.1 steht: (1) „Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung. (2) Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage des gegenseitigen Wohles sowie aus dem Völkerrecht erwachsen. In keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen Existenz beraubt werden.“ Dieses Recht auf Selbstbestimmung war ein sehr wichtiges Prinzip in dem Prozess der Unabhängigkeitsbestrebungen vieler Kolonialstaaten und spielte in der Anerkennung der neuen Nationalstaaten durch die Vereinten Nationen eine große Rolle. Das Recht auf Selbstbestimmung findet nach dem Völkerrecht bisher seine Anwendung nur bei Nationalstaaten. Inwieweit dieses Konzept auch auf indigene Völker angewendet werden kann, ist Gegenstand einer kontroversen Debatte. Kern dieser Diskussion ist die Definition des Begriffs „indigene Völker“. Die Konvention 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO), die die entscheidende Grundlage für alle internationalen Vereinbarungen bezüglich indigener Völker bildet, spricht zwar von indigenen Völkern, schränkt aber in Art. 1.3 ein: „Die Verwendung des Ausdrucks „Völker“ in diesem Übereinkommen darf nicht so ausgelegt werden, als hätte er irgendwelche Auswirkungen hinsichtlich der Rechte, die nach dem Völkerrecht mit diesem Ausdruck verbunden sein können.“ Der Begriff ‚indigene Völker’ beinhaltet also keinen Rechtsanspruch als Volk im völkerrechtlichen Sinne und die ILO Konvention 169 vermeidet konsequent den Begriff der Selbstbestimmung. Damit soll vor allem verhindert werden, dass sich Separationsbewegungen indigener Völker auf die ILO Konvention berufen können. plötzlich zu verfeindeten Nationen, ohne dass sie mit diesem Krieg etwas zu tun hatten oder haben wollten. In dem Waffenstillstandsabkommen versuchten dann die Staaten der spezifischen Situation Rechnung zu tragen und nahmen eine spezielle Vereinbarung für die indigenen Völker in der Grenzregion auf, die ihnen die freie Kommunikation untereinander erlaubt. Demarkierungsarbeiten Aufstellung von Verbotsschildern durch die staatliche brasilianische Indianerbehörde FUNAI zur Festlegung der Gebietsgrenzen Die Debatte, ob indigene Völker ein Recht auf Selbstbestimmung als Völker haben oder nicht und wenn ja, wie dieses definiert wäre, ist noch nicht beendet. Häufig wird der Ausweg in der Unterscheidung zwischen interner und externer Selbstbestimmung gesucht, wobei die Inhalte der internen Selbstbestimmung dem Konzept der Autonomie entsprechen. Die Forderung nach Autonomie vieler indigener Organisationen scheint demzufolge auch leichter durchsetzbar, da der (liberale) Staat viele Formen der Autonomie innerhalb seines politischen Systems kennt. Autonomie Die Autonomie für indigene Völker umfasst die Anerkennung der Territorien, das Nutzungsrecht über die Ressourcen, die Anerkennung der indianischen Autoritäten, der Sprache, der traditionellen Medizin und die Ausübung des Gewohnheitsrechts. Damit meint Autonomie die Bildung einer eigenständigen Einheit innerhalb eines souveränen Staates. Die Autonomie ist durch das indigene Territorium und seine Grenzen sowie durch das soziale Gefüge des indigenen Volkes bestimmt. Die Autonomie richtet sich im Wesentlichen nach innen und es werden keine hoheitlichen Aufgaben des Staates im Rahmen der Sicherheits- und Außenpolitik beansprucht. Eine besondere Situation besteht für die indigenen Völker, die in zwei oder mehr Staaten leben. Als es in den 90er Jahren zu einem Krieg zwischen Peru und Ecuador kam, wurde diese spezielle Problematik offensichtlich. Die Indianer vom Volk der Quechua, die auf beiden Seiten der Grenzen lebten, gehörten Grundvoraussetzung für die Autonomie ist ein abgrenzbares Territorium, das ausschließlich oder mehrheitlich von einem indigenen Volk bewohnt wird. Dies ist im Tiefland Amazoniens, im Chaco und in Teilen Zentralamerikas möglich, wo indianische Gebiete eindeutig abgrenzbar sind. Im Hochland der Anden oder aber in den Städten des Kontinents sieht die Realität anders aus. Trotzdem haben auch diese Völker ihre eigenen Traditionen, die ihnen eine autonome Verwaltung ihrer Dörfer und Gemeinschaften ermöglichen. Wie ist es um die Autonomie in der Realität bestellt? In einigen Ländern wie in Kolumbien und Nicaragua wird den indigenen Völkern rechtlich die politischadministrative Autonomie über ihre Gebiete zugestanden. Allerdings wird überall eingeschränkt, dass die Verfügungsgewalt über die Bodenschätze beim Staat liegt. In der Realität werden die rechtlichen Vorgaben jedoch wenig beachtet. So kommt es immer wieder zu tiefgreifenden Konflikten zwischen indigenen Völkern und dem Staat, Siedlern und Unternehmen, die die Ausübung der Autonomie entscheidend beeinträchtigen: Erdöl in Ecuador, Kohle in Kolumbien, Drogenanbau bzw. Drogenbekämpfung in Peru, Kolumbien und Bolivien sowie Gold und Holzeinschlag in Brasilien und Ecuador sind nur einige Beispiele für Konflikte um Ressourcen, die die Autonomie indigener Territorien bedrohen. Was ist der Unterschied zwischen Selbstbestimmungsrecht und Autonomie? Gibt es bei uns Beispiele für Autonomie? 63 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Auszüge aus dem Übereinkommen 169 Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern, 1989 Dieses Übereinkommen ist am 5. September 1991 in Kraft getreten. Die Allgemeine Konferenz der Internationalen Arbeitsorganisation, die vom Verwaltungsrat des Internationalen Arbeitsamtes nach Genf einberufen wurde und am 7. Juni 1989 zu ihrer sechsundsiebzigsten Tagung zusammengetreten ist, verweist auf die internationalen Normen in dem Übereinkommen und der Empfehlung über eingeborene und in Stämmen lebende Bevölkerungsgruppen, 1957; erinnert an die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte und die vielen internationalen Übereinkünfte über die Verhütung von Diskriminierung; stellt fest, daß die Entwicklungen, die seit 1957 im internationalen Recht eingetreten sind, sowie die Entwicklungen in der Lage eingeborener und in Stämmen lebender Völker in allen Regionen der Welt es geboten erscheinen lassen, neue einschlägige internationale Normen anzunehmen, um die auf Assimilierung abzielende Ausrichtung der früheren Normen zu beseitigen; anerkennt die Bestrebungen dieser Völker, im Rahmen der Staaten, in denen sie leben, Kontrolle über ihre Einrichtungen, ihre Lebensweise und ihre wirtschaftliche Entwicklung auszuüben und ihre Identität, Sprache und Religion zu bewahren und zu entwickeln; stellt fest, daß in vielen Teilen der Welt diese Völker nicht in der Lage sind, ihre grundlegenden Menschenrechte im gleichen Umfang auszuüben wie die übrige Bevölkerung der Staaten, in denen sie leben, und daß ihre Gesetze, Werte, Bräuche und Perspektiven oft ausgehöhlt worden sind; verweist auf den besonderen Beitrag der eingeborenen und in Stämmen lebenden Völker zur kulturellen Vielfalt und sozialen und ökologischen Harmonie der Menschheit sowie zur internationalen Zusammenarbeit und zum internationalen Verständnis; stellt fest, daß die nachstehenden Bestimmungen in 64 Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen, der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, der Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur und der Weltgesundheitsorganisation sowie dem Interamerikanischen Indianischen Institut auf entsprechender Ebene und in ihrem jeweiligen Tätigkeitsbereich ausgearbeitet worden sind und daß beabsichtigt ist, diese Zusammenarbeit bei der Förderung und Sicherstellung der Anwendung dieser Bestimmungen fortzusetzen; hat beschlossen, verschiedene Anträge anzunehmen betreffend die Teilrevision des Übereinkommens (Nr. 107) über eingeborene und in Stämmen lebende Bevölkerungsgruppen, 1957, eine Frage, die den vierten Gegenstand ihrer Tagesordnung bildet, und dabei bestimmt, daß diese Anträge die Form eines internationalen Übereinkommens zur Neufassung des Übereinkommens über eingeborene und in Stämmen lebende Bevölkerungsgruppen, 1957, erhalten sollen. Die Konferenz nimmt heute, am 27. Juni 1989, das folgende Übereinkommen an, das als Übereinkommen über eingeborene und in Stämmen lebende Völker, 1989, bezeichnet wird. Teil I. Allgemeine Grundsätze Artikel 1 1. Dieses Übereinkommen gilt für a) in Stämmen lebende Völker in unabhängigen Ländern, die sich infolge ihrer sozialen, kulturellen und wirtschaftlichen Verhältnisse von anderen Teilen der nationalen Gemeinschaft unterscheiden und deren Stellung ganz oder teilweise durch die ihnen eigenen Bräuche oder Überlieferungen oder durch Sonderrecht geregelt ist; b) Völker in unabhängigen Ländern, die als Eingeborene gelten, weil sie von Bevölkerungsgruppen abstammen, die in dem Land oder in einem geographischen Gebiet, zu dem das Land gehört, zur Zeit der Eroberung oder Kolonisierung oder der Festlegung der gegenwärtigen Staatsgrenzen ansässig waren und die, unbeschadet ihrer Rechtsstellung, einige oder alle ihrer traditionellen sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen und politischen Einrichtungen beibehalten. 2. Das Gefühl der Eingeborenen- oder Stammeszugehörigkeit ist als ein grundlegendes Kriterium für die Bestimmung der Gruppen anzusehen, auf die die Bestimmungen dieses Übereinkommens Anwendung finden. 3. Die Verwendung des Ausdrucks „Völker“ in diesem Übereinkommen darf nicht so ausgelegt werden, als hätte er irgendwelche Auswirkungen hinsichtlich der Rechte, die nach dem Völkerrecht mit diesem Ausdruck verbunden sein können. Artikel 2 1. Es ist Aufgabe der Regierungen, mit Beteiligung der betreffenden Völker koordinierte und planvolle Maßnahmen auszuarbeiten, um die Rechte dieser Völker zu schützen und die Achtung ihrer Unversehrtheit zu gewährleisten. 2. Im Rahmen dieser Aufgabe sind Maßnahmen vorzusehen, deren Zweck es ist, a) sicherzustellen, daß die Angehörigen dieser Völker von den Rechten und Möglichkeiten, welche die innerstaatliche Gesetzgebung anderen Angehörigen der Bevölkerung gewährt, gleichberechtigt Gebrauch machen können; b) die volle Verwirklichung der sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Rechte dieser Völker unter Achtung ihrer sozialen und kulturellen Identität, ihrer Bräuche und Überlieferungen und ihrer Einrichtungen zu fördern; c) den Angehörigen der betreffenden Völker dabei zu helfen, das zwischen eingeborenen und anderen Angehörigen der nationalen Gemeinschaft gegebenenfalls bestehende sozioökonomische Gefälle in einer Weise zu beseitigen, die mit den Bestrebungen und der Lebensweise dieser Völker vereinbar ist. Artikel 3 1. Die eingeborenen und in Stämmen lebenden Völker müssen in den vollen Genuß der Menschenrechte und Grundfreiheiten ohne Behinderung oder Diskriminierung kommen. Die Bestimmungen des Übereinkommens sind ohne Diskriminierung auf männliche und weibliche Angehörige dieser Völker anzuwenden. 2. Es darf keine Form von Gewalt oder Zwang in Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten der betreffenden Völker, einschließlich der in diesem Übereinkommen enthaltenen Rechte, angewendet werden. Artikel 4 1. Es sind gegebenenfalls besondere Maßnahmen zum Schutz der Einzelpersonen, der Einrichtungen, des Eigentums, der Arbeit, der Kultur und der Umwelt der betreffenden Völker zu ergreifen. 2. Diese besonderen Maßnahmen dürfen nicht im Widerspruch zu den frei geäußerten Wünschen der betreffenden Völker stehen. 3. Diese besonderen Maßnahmen dürfen die Ausübung der allgemeinen Staatsbürgerrechte, die nicht durch unterschiedliche Behandlung geschmälert werden darf, in keiner Weise beeinträchtigen. Artikel 5 Bei der Durchführung der Bestimmungen dieses Übereinkommens a) sind die sozialen, kulturellen, religiösen und geistigen Werte und Gepflogenheiten dieser Völker anzuerkennen und zu schützen und ist der Natur der Probleme, denen sie sich als Gruppen und als Einzelpersonen gegenübergestellt sehen, gebührend Rechnung zu tragen; b) ist die Unversehrtheit der Werte, Gepflogenheiten und Einrichtungen dieser Völker zu achten; c) sind mit Beteiligung und Unterstützung der betroffenen Völker Maßnahmen zur Milderung der Schwierigkeiten zu ergreifen, denen diese Völker angesichts neuer Lebens- und Arbeitsbedingungen begegnen. Artikel 6 1. Bei der Durchführung der Bestimmungen dieses Übereinkommens haben die Regierungen a) die betreffenden Völker durch geeignete Verfahren und insbesondere durch ihre repräsentativen Einrichtungen zu konsultieren, wann immer gesetzgeberische oder administrative Maßnahmen, die sie unmittelbar berühren können, erwogen werden; b) Mittel zu schaffen, durch die diese Völker sich im mindestens gleichen Umfang wie andere Teile der Bevölkerung ungehindert auf allen Entscheidungsebenen an auf dem Wahlprinzip beruhenden Einrichtungen sowie an Verwaltungs- und sonstigen Organen beteiligen können, die für sie betreffende Maßnahmen und Programme verantwortlich sind; c) Mittel zu schaffen, die es diesen Völkern ermöglichen, ihre eigenen Einrichtungen und Initiativen voll zu entfalten, und in geeigneten Fällen die für diesen Zweck erforderlichen Ressourcen bereitzustellen. 2. Die in Anwendung dieses Übereinkommens vorgenommenen Konsultationen sind in gutem Glauben und in einer den Umständen entsprechenden Form mit dem Ziel durchzuführen, Einverständnis oder Zustimmung bezüglich der vorgeschlagenen Maßnahmen zu erreichen. 65 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Artikel 7 1. Die betreffenden Völker müssen das Recht haben, ihre eigenen Prioritäten für den Entwicklungsprozeß, soweit er sich auf ihr Leben, ihre Überzeugungen, ihre Einrichtungen und ihr geistiges Wohl und das von ihnen besiedelte oder anderweitig genutzte Land auswirkt, festzulegen und soweit wie möglich Kontrolle über ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung auszuüben. Darüber hinaus haben sie an der Aufstellung, Durchführung und Bewertung von Plänen und Programmen für die nationale und regionale Entwicklung mitzuwirken, die sie unmittelbar berühren können. 2. Die Verbesserung der Lebens- und Arbeitsbedingungen sowie des Gesundheits- und Bildungsstandes der betreffenden Völker mit ihrer Beteiligung und Unterstützung muß in den allgemeinen Plänen für die wirtschaftliche Entwicklung der von ihnen bewohnten Gebiete Vorrang haben. Auch die besonderen Entwicklungspläne für diese Gebiete sind so zu gestalten, daß sie diese Verbesserung begünstigen. 3. Die Regierungen haben sicherzustellen, daß in Zusammenarbeit mit den betreffenden Völkern gegebenenfalls Untersuchungen durchgeführt werden, um die sozialen, geistigen, kulturellen und Umweltauswirkungen geplanter Entwicklungstätigkeiten auf diese Völker zu beurteilen. Die Ergebnisse dieser Untersuchungen sind als grundlegende Kriterien für die Durchführung dieser Tätigkeiten anzusehen. 4. Die Regierungen haben in Zusammenarbeit mit den betreffenden Völkern Maßnahmen zu ergreifen, um die Umwelt der von ihnen bewohnten Gebiete zu schützen und zu erhalten. Artikel 8 1. Bei der Anwendung der innerstaatlichen Gesetzgebung auf die betreffenden Völker sind deren Bräuche oder deren Gewohnheitsrecht gebührend zu berücksichtigen. 2. Diese Völker müssen das Recht haben, ihre Bräuche und Einrichtungen zu bewahren, soweit diese mit den durch die innerstaatliche Rechtsordnung festgelegten Grundrechten oder mit den international anerkannten Menschenrechten nicht unvereinbar sind. Erforderlichenfalls sind Verfahren festzulegen, um Konflikte zu lösen, die bei der Anwendung dieses Grundsatzes entstehen können. 3. Durch die Anwendung der Absätze 1 und 2 dieses Artikels dürfen Angehörige dieser Völker nicht daran gehindert werden, die allen Bürgern zuerkannten 66 Rechte auszuüben und die entsprechenden Pflichten zu übernehmen. Artikel 9 1. Soweit dies mit der innerstaatlichen Rechtsordnung und den international anerkannten Menschenrechten vereinbar ist, sind die bei den betreffenden Völkern üblichen Methoden zur Ahndung der von Angehörigen dieser Völker begangenen strafbaren Handlungen zu achten. 2. Die strafrechtlichen Bräuche dieser Völker sind von den zuständigen Behörden und Gerichten in Betracht zu ziehen. Artikel 10 1. Werden Strafen, die in der allgemeinen Gesetzgebung vorgesehen sind, gegen Angehörige dieser Völker verhängt, so sind deren wirtschaftliche, soziale und kulturelle Besonderheiten zu berücksichtigen. 2. Andere Methoden der Bestrafung sind dem Freiheitsentzug vorzuziehen. Artikel 11 Mit Ausnahme der gesetzlich für alle Staatsbürger vorgesehenen Fälle ist es unter Strafandrohung zu verbieten, daß Angehörige der betreffenden Völker zwangsweise in irgendeiner Form zu persönlichen Dienstleistungen, gleich ob entgeltlicher oder unentgeltlicher Art, verpflichtet werden. Artikel 12 Die betreffenden Völker sind gegen den Mißbrauch ihrer Rechte zu schützen und müssen die Möglichkeit haben, entweder individuell oder durch ihre Vertretungsorgane, ein Gerichtsverfahren einzuleiten, um den wirksamen Schutz dieser Rechte sicherzustellen. Es sind Maßnahmen zu treffen, um dafür zu sorgen, daß Angehörige dieser Völker in einem Gerichtsverfahren verstehen und verstanden werden können, nötigenfalls mit Hilfe eines Dolmetschers oder durch andere wirksame Mittel. Teil II. Grund und Boden Artikel 13 1. Bei der Durchführung der Bestimmungen dieses Teils des Übereinkommens haben die Regierungen die besondere Bedeutung, die die Beziehung der betreffenden Völker zu dem von ihnen besiedelten oder anderweitig genutzten Land oder den von ihnen besiedelten oder anderweitig genutzten Gebieten, oder gegebenenfalls zu beiden, für ihre Kultur und ihre geistigen Werte hat, und insbesondere die kollektiven Aspekte dieser Beziehung, zu achten. 2. Die Verwendung des Ausdrucks „Land“ in den Artikeln 15 und 16 schließt den Begriff der Gebiete ein, der die gesamte Umwelt der von den betreffenden Völkern besiedelten oder anderweitig genutzten Flächen umfaßt. Artikel 14 1. Die Eigentums- und Besitzrechte der betreffenden Völker an dem von ihnen von alters her besiedelten Land sind anzuerkennen. Außerdem sind in geeigneten Fällen Maßnahmen zu ergreifen, um das Recht der betreffenden Völker zur Nutzung von Land zu schützen, das nicht ausschließlich von ihnen besiedelt ist, zu dem sie aber im Hinblick auf ihre der Eigenversorgung dienenden und ihre traditionellen Tätigkeiten von alters her Zugang haben. Besondere Aufmerksamkeit ist diesbezüglich der Lage von Nomadenvölkern und Wanderfeldbauern zu schenken. 2. Die Regierungen haben, soweit notwendig, Maßnahmen zu ergreifen, um das von den betreffenden Völkern von alters her besiedelte Land zu bestimmen und um den wirksamen Schutz ihrer Eigentums- und Besitzrechte zu gewährleisten. 3. Im Rahmen der innerstaatlichen Rechtsordnung sind angemessene Verfahren festzulegen, um Landforderungen der betreffenden Völker zu regeln. Artikel 15 1. Die Rechte der betreffenden Völker an den natürlichen Ressourcen ihres Landes sind besonders zu schützen. Diese Rechte schließen das Recht dieser Völker ein, sich an der Nutzung, Bewirtschaftung und Erhaltung dieser Ressourcen zu beteiligen. 2. In Fällen, in denen der Staat das Eigentum an den mineralischen oder unterirdischen Ressourcen oder Rechte an anderen Ressourcen des Landes behält, haben die Regierungen Verfahren festzulegen oder aufrechtzuerhalten, mit deren Hilfe sie die betreffenden Völker zu konsultieren haben, um festzustellen, ob und in welchem Ausmaß ihre Interessen beeinträchtigt werden würden, bevor sie Programme zur Erkundung oder Ausbeutung solcher Ressourcen ihres Landes durchführen oder genehmigen. Die betreffenden Völker müssen wo immer möglich an dem Nutzen aus solchen Tätigkeiten teilhaben und müssen einen angemessenen Ersatz für alle Schäden erhalten, die sie infolge solcher Tätigkeiten erleiden. Artikel 16 1. Vorbehaltlich der nachstehenden Absätze dieses Artikels dürfen die betreffenden Völker aus dem von ihnen besiedelten Land nicht ausgesiedelt werden. 2. Falls die Umsiedlung dieser Völker ausnahmsweise als notwendig angesehen wird, darf sie nur mit deren freiwilliger und in voller Kenntnis der Sachlage erteilter Zustimmung stattfinden. Falls ihre Zustimmung nicht erlangt werden kann, darf eine solche Umsiedlung nur nach Anwendung geeigneter, durch die innerstaatliche Gesetzgebung festgelegter Verfahren, gegebenenfalls einschließlich öffentlicher Untersuchungen, stattfinden, die den betreffenden Völkern Gelegenheit für eine wirksame Vertretung bieten. 3. Wann immer möglich, müssen diese Völker das Recht haben, in ihr angestammtes Land zurückzukehren, sobald die Umsiedlungsgründe nicht mehr bestehen. 4. Ist eine solche Rückkehr nicht möglich, wie einvernehmlich oder mangels Einvernehmens durch geeignete Verfahren festgestellt, ist diesen Völkern in allen in Frage kommenden Fällen als Ersatz für ihren früheren Landbesitz Grund und Boden von mindestens gleich guter Beschaffenheit und mit mindestens gleich gutem Rechtsstatus zuzuweisen, dessen Ertrag ihre gegenwärtigen Bedürfnisse deckt und ihre künftige Entwicklung sicherstellt. Ziehen die betreffenden Völker eine Entschädigung in Form von Geld- oder Sachleistungen vor, so ist ihnen eine solche Entschädigung unter Gewährung angemessener Garantien zuzusprechen. 5. Den auf diese Weise umgesiedelten Personen ist für jeden durch die Umsiedlung entstandenen Verlust oder Schaden voller Ersatz zu leisten. Artikel 17 1. Die von den betreffenden Völkern festgelegten Verfahren für die Übertragung von Rechten an Grund und Boden unter Angehörigen dieser Völker sind zu achten. 2. Die betreffenden Völker sind zu konsultieren, wenn ihre Befugnis geprüft wird, ihr Land zu veräußern oder auf andere Weise ihre Rechte daran an Personen außerhalb ihrer eigenen Gemeinschaft zu übertragen. 3. Personen, die diesen Völkern nicht angehören, sind daran zu hindern, deren Bräuche oder deren Gesetzesunkenntnis auszunützen, um Eigentums-, Besitzoder Nutzungsrechte an deren Grund und Boden zu erwerben. 67 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Artikel 18 Durch Gesetz sind angemessene Strafen für das unbefugte Eindringen in das Land der betreffenden Völker oder seine unbefugte Nutzung festzulegen, und die Regierungen haben Maßnahmen zu ergreifen, um solche strafbaren Handlungen zu verhindern. Artikel 19 In staatlichen Agrarprogrammen ist den betreffenden Völkern eine gleich günstige Behandlung wie den übrigen Teilen der Bevölkerung zu sichern in bezug auf a) die Zuweisung weiteren Landes, wenn die diesen Völkern zur Verfügung stehenden Bodenflächen zur Gewährleistung einer normalen Lebensführung oder im Hinblick auf ihren künftigen Bevölkerungszuwachs nicht ausreichen; b) die Gewährung der erforderlichen Mittel zur Hebung der Ertragsfähigkeit des bereits im Besitz dieser Völker befindlichen Bodens. Artikel 23 1. Handwerk, ländliche und gemeinschaftliche Gewerbe sowie der Eigenversorgung dienende und traditionelle Tätigkeiten der betreffenden Völker, wie Jagen, Fischen, Fallenstellen und Sammeln, sind als wichtige Faktoren in der Bewahrung ihrer Kultur und in ihrer wirtschaftlichen Eigenständigkeit und Entwicklung anzuerkennen. Die Regierungen haben, mit Beteiligung dieser Völker und falls angebracht, dafür zu sorgen, daß diese Tätigkeiten gestärkt und gefördert werden ... Teil V. Soziale Sicherheit und Gesundheitswesen Artikel 24 Die Systeme der Sozialen Sicherheit sind schrittweise auf die betreffenden Völker auszudehnen und anzuwenden, ohne diese zu diskriminieren........ Teil VI. Bildungswesen und Kommunikationsmittel Teil III. Anwerbung und Beschäftigungsbedingungen Artikel 20 1. Die Regierungen haben im Rahmen der innerstaatlichen Gesetzgebung und in Zusammenarbeit mit den betreffenden Völkern besondere Maßnahmen zu treffen, um einen wirksamen Schutz der den betreffenden Völkern angehörenden Arbeitnehmer in bezug auf Anwerbung und Beschäftigungsbedingungen zu gewährleisten, soweit sie durch die für die Arbeitnehmer allgemein geltenden Gesetze nicht wirksam geschützt sind. 2. Die Regierungen haben alles zu unternehmen, was in ihrer Macht steht, um jede unterschiedliche Behandlung der den betreffenden Völkern angehörenden Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern zu verhindern, insbesondere in bezug auf: a) die Zulassung zur Beschäftigung, einschließlich der Facharbeit, sowie Beförderungs- und Aufstiegsmaßnahmen; b) gleiches Entgelt für gleichwertige Arbeit; c) ärztliche und soziale Betreuung, Arbeitsschutz, alle Leistungen der Sozialen Sicherheit und andere berufsbezogene Leistungen sowie Unterbringung; d) das Vereinigungsrecht und die freie Ausübung jeder rechtmäßigen Gewerkschaftstätigkeit sowie das Recht zum Abschluß von Gesamtarbeitsverträgen mit Arbeitgebern oder Arbeitgeberverbänden. 68 Artikel 26 Es sind Maßnahmen zu treffen, um sicherzustellen, daß den Angehörigen der betreffenden Völker mindestens die gleichen Bildungsmöglichkeiten aller Stufen zur Verfügung stehen wie der übrigen Bevölkerung des Landes. Artikel 27 1. Die Bildungsprogramme und -dienste für die betreffenden Völker sind in Zusammenarbeit mit ihnen zu entwickeln und durchzuführen, um ihren speziellen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, und haben ihre Geschichte, ihre Kenntnisse und Techniken, ihre Wertsysteme und ihre weiteren sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Bestrebungen einzubeziehen. 2. Die zuständige Stelle hat für die Ausbildung von Angehörigen dieser Völker und ihre Beteiligung an der Aufstellung und Durchführung von Bildungsprogrammen zu sorgen, damit die Verantwortung für die Leitung dieser Programme gegebenenfalls schrittweise auf diese Völker übertragen werden kann. 3. Darüber hinaus haben die Regierungen das Recht dieser Völker anzuerkennen, ihre eigenen Bildungseinrichtungen und -möglichkeiten zu schaffen, vorausgesetzt, daß diese Einrichtungen die von der zuständigen Stelle in Beratung mit diesen Völkern festgelegten Mindestnormen erfüllen. Zu diesem Zweck sind angemessene Mittel bereitzustellen. Artikel 28 1. Der Unterricht im Lesen und Schreiben für Kinder der betreffenden Völker hat, falls durchführbar, in deren Eingeborenensprache oder in der von der Bevölkerungsgruppe, der sie angehören, am meisten verwendeten Sprache zu erfolgen. Ist dies nicht durchführbar, haben die zuständigen Stellen Konsultationen mit diesen Völkern vorzunehmen, um Maßnahmen festzulegen, die die Erreichung dieses Ziels gestatten. 2. Es sind ausreichende Maßnahmen zu treffen, um dafür zu sorgen, daß diese Völker die Gelegenheit haben, die Landessprache oder eine der Amtssprachen des Landes so zu erlernen, daß sie sie fließend beherrschen. 3. Es sind Maßnahmen zu treffen, um die Entwicklung und den Gebrauch der Eingeborenensprachen der betreffenden Völker zu schützen und zu fördern. Artikel 29 Die Bildung hat darauf abzuzielen, den Kindern der betreffenden Völker allgemeine Kenntnisse und Fertigkeiten zu vermitteln, die ihnen eine volle und gleichberechtigte Beteiligung in ihrer eigenen Gemeinschaft und in der nationalen Gemeinschaft erleichtern. Artikel 30 1. Die Regierungen haben den Überlieferungen und Kulturen der betreffenden Völker entsprechende Maßnahmen zu treffen, um sie über ihre Rechte und Pflichten, insbesondere auf dem Gebiet der Arbeit, der wirtschaftlichen Möglichkeiten, der Bildungs- und Gesundheitsangelegenheiten, der sozialen Dienste und der sich aus diesem Übereinkommen ergebenden Rechte, aufzuklären. 2. Erforderlichenfalls hat dies durch schriftliche Übersetzungen und Massenkommunikationsmittel in den Sprachen dieser Völker zu geschehen. Artikel 31 Unter allen Teilen der Bevölkerung, insbesondere dort, wo die unmittelbarste Berührung mit den betreffenden Völkern besteht, sind erzieherische Maßnahmen zu treffen, um gegebenenfalls bestehende Vorurteile gegen diese Völker zu beseitigen. Zu diesem Zweck sind Anstrengungen zu unternehmen, um sicherzustellen, daß die Geschichtsbücher und das sonstige Bildungsmaterial eine gerechte, genaue und informative Darstellung der Gesellschaften und Kulturen dieser Völker bieten. Teil VII. Grenzüberschreitende Kontakte und Zusammenarbeit Artikel 32 Die Regierungen haben geeignete Maßnahmen zu ergreifen, auch mittels internationaler Vereinbarungen, um grenzüberschreitende Kontakte und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zwischen eingeborenen und in Stämmen lebenden Völkern zu erleichtern, einschließlich Tätigkeiten im wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen, geistigen und Umweltbereich. Teil VIII. Verwaltung Artikel 33 1. Die Behörde, welche für die in diesem Übereinkommen behandelten Angelegenheiten zuständig ist, hat sicherzustellen, daß zur Durchführung der Programme, die die betreffenden Völker berühren, Verwaltungsstellen oder andere geeignete Mechanismen bestehen und daß diese die zur ordnungsgemäßen Erfüllung der ihnen übertragenen Aufgaben erforderlichen Mittel haben. ... Artikel 38 1. Dieses Übereinkommen bindet nur diejenigen Mitglieder der Internationalen Arbeitsorganisation, deren Ratifikation durch den Generaldirektor eingetragen ist. 2. Es tritt, zwölf Monate nachdem die Ratifikationen zweier Mitglieder durch den Generaldirektor eingetragen worden sind, in Kraft. 3. In der Folge tritt dieses Übereinkommen für jedes Mitglied zwölf Monate nach der Eintragung seiner Ratifikation in Kraft. www.ilo169.de Auf der Internetseite www.chatderwelten.de/Indigene sind die vollständige ILO Konvention 169 und folgende Dokumente zum download hinterlegt: Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, pdf Der Entwurf einer Erklärung über die Rechte indigener Völker in den Vereinten Nationen, pdf 69 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Indigene Wirtschaft 7. Indigene Wirtschaft Die Produktionseinheit Die wichtigste Produktionseinheit ist die Familie. Das ist besonders ausgeprägt bei den indigenen Völkern, die sich durch die eigene Landwirtschaft, Jagd und Fischfang selbst versorgen. Dabei hat jeder seine Aufgaben und die Kinder werden in die Arbeitsprozesse schon früh einbezogen: Landwirtschaft (bei den Amazonasindianern spricht man auch von Gartenanbau), Sammeln von Waldprodukten, Flechten, Weben, Zubereitung von Speisen und Getränken und die Versorgung der Kleinkinder ist Aufgabe der Frauen. Männer bereiten die Felder zur Aussaat vor, gehen auf die Jagd und bauen die Häuser. Ältere Kinder werden dann jeweils nach ihrem Geschlecht vom Vater oder der Mutter in ihre zukünftigen Aufgaben eingeführt und dabei erzogen. Manche Arbeiten lassen sich jedoch nicht alleine verrichten: Sowohl große und komplexe Arbeitsprozesse wie der Bau eines Hauses als auch aufwändige Vorbereitungen für Feste, wie die Herstellung von Maisoder Maniokbier, bei dem der Mais oder Maniok gekaut werden muss, damit er später gärt, können nur in einer Gruppe von Männern bzw. Frauen bewältigt werden. Auch hierfür haben die indigenen Völker eigene Regeln entwickelt: wie sich die Gruppen zusammensetzen, wie man die Hilfe erwidert oder gar entlohnt, welche Verpflichtungen man dabei eingeht, usw. In den Anden beispielsweise schließen sich die Männer zu Gruppen zusammen, die reihum die Felder der Gruppenmitglieder für die Aussaat vorbereiten. Es ist dabei selbstverständlich unmöglich, sich aus der Gruppe zurückzuziehen, wenn das eigene Feld bestellt ist. Aufgabe der Frauen ist es, an diesen Tagen große Mahlzeiten für alle Helfer und ihre Familien vorzubereiten, die meist verbunden mit religiösen Ritualen auf den Feldern eingenommen werden. In dieser Tradition zeigt sich die Bedeutung der Gegenseitigkeit (Reziprozität), die den Umgang miteinander noch heute und nicht nur bei indigenen Völkern bestimmt. Die Verpflichtung zur Reziprozität heißt, dass jeder den Menschen, mit denen er über Verwandtschaftsbeziehungen verbunden ist, zur Hilfe verpflichtet ist. Diese können aber im Gegenzug von 70 Köhler in der Region Madre de Dios, Peru ihnen auch jederzeit Unterstützung erwarten. Auch diese Verpflichtungen werden nach der festgelegten Erbfolge weitergegeben. Bei den Amazonasvölkern ist Lohnarbeit untereinander weitgehend unbekannt. Es gibt auch bei indigenen Völkern ökonomische Unterschiede, Arbeitgeber und Arbeitnehmer und somit auch Formen der Lohnarbeit. Historisch kannten zum Beispiel die Inka Formen von Zwangsarbeit, zu der sie die unterjochten Völker nötigten. Die meisten Erfahrungen mit Arbeitsausbeutung und Zwangsarbeit machten Indigene allerdings seit der Kolonialzeit durch Nicht-Indigene. Arbeit ist einer der externen Faktoren, die auch die Geschlechterrollen stark verändert haben. Dies gilt sowohl für die Kolonialzeit, als die Männer in den Bergbau und zur Arbeit auf den Feldern der Großgrundbesitzer gezwungen wurden als auch heute. Auf den großen Plantagen sind es wieder die Männer, die als entlohnte Arbeitskräfte eigentlich traditionelle Frauenarbeiten, wie säen und ernten, verrichten. Für Frauen bedeuten solche Veränderungen häufig einen Verlust an Einfluss und Gewicht in der Gemeinschaft. 7.1. Beispiele indigener Wirtschaftsweisen Die indigenen Völker in Lateinamerika haben Wirtschaftsweisen entwickelt, die zum Einen von den gegebenen ökologischen Bedingungen, zum Anderen von der unterschiedlich starken Einbindung der indianischen Wirtschaft in die Marktwirtschaft und die nationale Gesellschaft geprägt sind. Da diese Bedingungen sehr unterschiedlich sind, gibt es in Lateinamerika nicht die eine indigene Wirtschaftsweise. So unterscheidet sich zum Beispiel die Wirtschaft der indianischen Bauern im Andenhochland oder in den Savannen grundlegend von der der Amazonasvölker. 7.2. Die Amazonasregion Die Wirtschaft der meisten Amazonasindianer basiert auf der tropischen Land- und Waldwirtschaft, die den Brandrodungsfeldbau, die Anlage von Gemüsegärten, die Jagd, das Fischen und Sammeln von Waldfrüchten umfasst. Dies wird allgemein als Subsistenzwirtschaft bezeichnet. Die Grundlage für diese Subsistenzform bildet der tropische Regenwald. Da der Urwaldboden oft nährstoffarm ist, kann er nicht über einen längeren Zeitraum bewirtschaftet werden. Einer kurzen (meist vierjährigen) landwirtschaftlichen Nutzung folgt eine Zeit der Nutzung durch mehrjährige Pflanzen und dann die lange Zeit der Brache, in der die indianischen Dorfgemeinschaften gezwungen sind, neues Land zu roden. Diese extensive Nutzung und die Begrenzung der Ressourcen im Wald erlauben nur eine geringe Bevölkerungsdichte. Große Siedlungen wird man bei den Amazonasvölkern daher nicht antreffen. Allerdings darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei den Amazonasvölkern nicht um Überbleibsel früher Formen der Wirtschaftsentwicklung der Menschheit handelt, sondern – wie es der nordamerikanische Ethnologe Steward bezeichnet – um einen hochentwickelten und besonders gut an seine Umwelt angepassten Kulturtypus. Ein Beispiel für ein Bewirtschaftungssystem, das auf jahrhundertelange Erfahrung und Beobachtung der natürlichen Verhältnisse aufbaut, ist die Felderwirtschaft der Kayapó. Die Kayapó Die Kayapó bewohnen ein großes Territorium im brasilianischen Bundesstaat Pará, das sich über verschiedene Ökosysteme vom tropischen Regenwald bis zur Savanne ausdehnt, wobei die Kayapó allein neun verschiedene Begriffe für die unterschiedlichen kleinräumigen Ökosysteme der Savanne haben. Sie haben ein komplexes Bewirtschaftungssystem entwickelt, das auf die Gegebenheiten der Ökozonen Wald, Savanne und Gebirge abgestimmt ist. Dazu dient ihnen das Wissen über die spezifischen Pflanzen und Tiere der jeweiligen Ökozone, aber vor allem ihr Wissen über die Verbindungen und Interaktionen von Pflanzen, Tieren, Bodenbeschaffenheit und Menschen. Ethnobiologen wie D. Posey (2002) haben festgestellt, dass die Kayapó nicht nur die große Artenvielfalt der Region optimal nutzen sondern die biologische Vielfalt durch ihre Anbauweise erhöhen. Für Posey stellt das Wissen der Kayapó, das über Jahrhunderte aufgebaut wurde, einen großen Schatz auch für die moderne Welt dar, „da es fundamentale Prinzipien enthält, das eine Entwicklung in den feuchten Tropen erlaubt, die sowohl ökologisch als auch sozial verträglich ist.“ (Posey 1985: 140). Allerdings sind die Wirtschaftsweisen der Amazonasvölker schon längst kein in sich geschlossener Kreislauf mehr, der auf Subsistenz ausgerichtet ist. Holzeinschlag, Bergbau und Goldsucher, Viehzucht, Sojaanbau sowie die Ölförderung überlagern die indianischen Wirtschaftsweisen. Früchte, Kautschuk und Holz werden aus dem Amazonaswald für die regionalen, nationalen und auch internationalen Märkte produziert. In den meisten Regionen des Amazonas besteht heute eine Verflechtung zwischen Subsistenz- und Marktwirtschaft. Einige indianische Dörfer versuchen mit Tourismusprojekten sowie dem Verkauf von kunsthandwerklichen und landwirtschaftlichen Produkten eigene marktwirtschaftliche Projekte aufzuziehen. Ergeben sich durch die Verbindung zum Markt neue (wirtschaftliche) Möglichkeiten für die Amazonasindianer oder verlieren sie dadurch nur? Was könnten die positiven und was die negativen Auswirkungen sein? Abb. Siedlungsgebiet der Kayapó, www.vanderbilt.edu/AnS/Anthro/Anth210/kayapo.htm 71 Indigene Wirtschaft 7.3. Der Andenraum Die Indigenen im Andenraum gehören mehrheitlich zu den Aymara und Quechua. Sie sind meist Kleinbauern oder arbeiten als Lohnarbeiter auf den größeren Farmen der Region. Meist sind sie dort nur saisonal während der Erntezeit beschäftigt. Die wirtschaftliche Situation der Aymara und Quechua unterscheidet sich kaum von jener nicht-indigener Bauern der Region. Ihr Leben ist bestimmt durch karge, erosionsgefährdete Böden der Anden, eine schlechte Anbindung an die nationalen Märkte, um ihre Produkte verkaufen zu können, niedrige Preise, die sie für ihre landwirtschaftlichen Produkte erhalten und die fehlenden Möglichkeiten außerhalb der Landwirtschaft arbeiten zu können. Der Ethnologe Mark Münzel (1985) kommt zu dem Schluss, dass die Subsistenzwirtschaft der Indigenen in den Zentralanden höher entwickelt ist als die aller anderen Ureinwohner Amerikas, aber gleichzeitig ihre materielle Situation zu der schlechtesten des ganzen Kontinents gehört. Als Beleg führt er an, dass die Mehrheit der indianischen Andenbauern chronisch unterernährt ist. Das Klima und die durchschnittlichen Lebensbedingungen der Zentralanden erfordern einen täglichen Kalorienbedarf von über 3000 pro Kopf. Aber der tatsächliche Konsum liegt durchschnittlich nur bei 1721 Kalorien. Viele leiden daher unter Vitaminmangel, der ein wichtiger Grund für die häufig vorkommenden Erkältungskrankheiten ist. Erkältungskrankheiten zählen zu den häufigsten Todesursachen im Hochland. Ein aufkommendes Hungergefühl bekämpfen Indigene meist durch Kauen der mit Asche von Pflanzen oder Knochen oder mit Kalk vermischten Kokablätter. Die Kartoffel Die Kartoffel ist die wichtigste Anbaupflanze in den Anden. Sie wurde bereits bei den Inkas angebaut und wurde von den spanischen Eroberern nach Europa gebracht. Es gibt sie in über 650 Varietäten, die immer wieder auch zur Veredelung unserer Sorten in Europa genutzt wurden. Um die geringe Konservierbarkeit der Kartoffel zu überwinden, entwickelten die Andenbauern einen Prozess zur Herstellung konservierbarer Stärkepro- 72 dukte. Sie setzen die Kartoffel absichtlich den extremen Höhenbedingungen von abwechselnd heftiger Sonnenbestrahlung, Nachtfrösten und Feuchtigkeit aus und stampfen anschließend die Knollen, um ihnen das Wasser zu entziehen. Typisch für die Hochkultur der Zentralanden in vorkolonialer Zeit war das ausgeklügelte Bewässerungssystem, das in Terrassenanlagen ausgebaut war. Die meisten dieser Terrassenanlagen sind heute zerstört. 7.4. Die Mapuche in Chile Auch die Mapuche sind überwiegend Bauern. Die wichtigsten Pflanzen sind Mais, Kartoffeln und Bohnen. Ursprünglich wurde auch die Körnerpflanze Quinoa, die jetzt wieder in unseren Bioläden Einzug hält, angebaut. Aber sie wurde durch europäische Pflanzen wie Weizen fast vollständig verdrängt. Der Weizen, der auch auf nährstoffärmeren Böden als die Kartoffel gedeihen kann, ist heute zu einer der wichtigsten Anbaupflanzen geworden. Reich werden die Mapuche durch den Weizenanbau jedoch nicht. Viele Mapuche sind gezwungen, den Weizen zur Erntezeit zu verkaufen, wenn er am billigsten ist, da sie zu wenig Geld und kaum Lagerkapazitäten zur Verfügung haben, um später zu verkaufen. Eine andere Einkommensquelle ist die Viehzucht, die im bescheidenen Maße durchgeführt wird. Für den Eigenbedarf werden Gemüsegärten mit Bohnen, Erbsen, Zwiebeln und Salaten in der Nähe der Häuser angelegt. Außerdem besitzt fast jede Familie drei bis vier Apfelbäume, deren Früchte für die Herstellung eines leichten Apfelweins verwendet werden. Das ursprünglich rebellische Reitervolk Mittel- und Südchiles, das sich lange der spanischen Kolonialmacht wiedersetzte, besitzt heute eine „unexotische Bauernkultur“, wie Münzel sie nennt, die der andinen weitgehend ähnelt. Ackerbau und Viehzucht reichen jedoch nicht mehr, um die Ernährung der Mapuche zu sichern. In dem relativ reichen Chile bildet die MapucheBevölkerung die ärmste Schicht. Viele versuchen in den Städten des Landes Arbeit zu finden und bilden auch dort wieder die ärmste Bevölkerungsschicht. Neuere Studien der Weltbank über die wirtschaftliche Lage der indigenen Völker in Lateinamerika verdeutlichen, dass sich trotz einiger Projekte an dieser Situation in den letzten 20 Jahren nichts grundlegend verändert hat. Wo einer isst, essen alle Unsere indianischen Wirtschaftsweisen, die auf Reziprozität beruhen und die seit Jahrhunderten unsere Lebensgrundlagen garantieren, sind am stärksten von dem Strukturwandel, den unsere Regierungen durchsetzen, betroffen. Wir leben heute umzingelt von Interessen und Konflikten. Regierungen, Kirchen, Bergbau-, Holz- und Erdölkonzerne, kleine und mittlere Beraterunternehmen und – nicht zu vergessen – Nichtregierungsorganisationen der unterschiedlichsten Prägung dringen in unsere Dörfer ein. Da es nie einen Dialog auf Augenhöhe gegeben hat, wurden unsere autonomen und freien Ökonomien zu abhängigen Wirtschaftsweisen und wir selber zu „Armen und Marginalisierten“ gestempelt. Das Einbeziehen in die Marktwirtschaft sei es als Konsumenten oder als Arbeitskraft ist eine Realität für alle Amazonasvölker. In den letzten 30 Jahren wurden uns in unseren Dörfern die unterschiedlichsten Vorschläge von Personen aus allen möglichen Ländern präsentiert. Es waren Wirtschaftsprojekte aus verschiedenen Bereichen und meist mit dem merkwürdigen Begriff des „Kollektivs“ versehen. Alles wurde kollektiv vom Vorratslager bis zur „Chacra“ (einem Feld, auf dem alles angebaut wird, was für die Subsistenz notwendig ist, Anmerkung Übers.). Ein merkwürdiges System, aber den Ideologen zu Folge basiert es auf unserer eigenen Realität! In der Zeit der Projekte nutzten wir die Minga, die Gemeinschaftsarbeit bis an die Grenzen ihrer Möglichkeiten. Es ist offensichtlich, dass wir uns gegenseitig nicht verstanden haben. Unser sozioökonomisches System der Reziprozität wurde nie verstanden. Unsere Kollektivität besteht nicht darin, alles gemeinsam zu machen. Nein, was uns hervorhebt, ist, dass wir eine Verantwortung als Gruppe haben oder mit anderen Worten: wo einer isst, essen alle. Die Aktivitäten, die wir in der Familiengruppe durchführen und die Produkte, die dabei erstellt werden, sind es, die im System der Reziprozität ausgetauscht werden. Nicht weil eine „Chacra“ Gemeinschaftseigentum ist, sondern weil sie deins ist. Der Individualitätssinn ist präsent aber der Unterschied ist, dass wir mit den anderen teilen. So sind alle Mitglieder der Gemeinschaft Nutznießer der individuellen Arbeit. In unseren Völkern hat alles einen Besitzer, mit Ausnahme der wilden Tiere und Pflanzen auf dem Land und der Fische im Wasser, weil die durch höhere Kräfte geerntet werden. Aber für die Sicherheit und die Nutznießung aller ist ihre Jagd oder Sammeln Regeln unterworfen und Verletzungen dieser Regeln werden geahndet. Mit der Zeit kamen Fremde mit ihren neuen Bedürfnissen und den anderen Wirtschaftsweisen. Sie griffen nach unserem Land. Aber unser Land ist für unsere Existenz als Völker unverzichtbar. So stehen wir vor der Notwendigkeit, unser Land verteidigen zu müssen. ............. Wir sind nicht arm und noch viel weniger verelendet. Was wir heute erleben, ist die Zerstörung unserer Ressourcen und von daher sind wir nicht bereit bis zum totalen Kollaps unserer Umwelt und uns selber zu warten. Alles im Namen einer „Entwicklung“, die für uns vor allem bedeutet, die Bedürfnisse anderer zu befriedigen. Wir hoffen, dass viele mit uns sind in unserem Bestreben, unseren eigenen sozialen, wirtschaftlichen und kulturellen Weg zu gehen, mit unseren eigenen Formen des Konsums, der uns erlaubt auf unseren Territorien zu leben und leben zu lassen. COICA, Koordination der indigenen Organisationen des Amazonasbeckens aus der Zeitschrift: Nuestra Amazonía, Nr. 24, Quito, Übersetzung: Heidi Feldt In diesem Artikel der COICA wird auf das unterschiedliche Verständnis von wirtschaftlicher Entwicklung und Kollektivität von Amazonasvölkern und „Fremden“, der Marktwirtschaft eingegangen. Worin mögen die Unterschiede bestehen? 73 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien B. Traven, Der Großindustrielle aus: Abenteuergeschichten, © 1974, Diogenes Verlag AG, Zürich Der Großindustrielle In einem kleinen indianischen Dorf im Staate Oaxaca erschien eines schönen Tages ein Amerikaner, der Land und Leute zu studieren gedachte. Bei seinem Hinundherwandern gelangte er zur Hütte eines indianischen Klein-Landwirtes, der sich seinen bescheidenen Lebensunterhalt dadurch verbesserte, dass er in der freien Zeit, die ihm von seiner Tätigkeit auf seinem Maisfeld blieb, kleine Körbchen flocht. Diese Körbchen wurden aus Bast geflochten, der in verschiedenen Farben, die der Indianer aus Pflanzen und Hölzern zog, gefärbt war. Der Mann verstand diese vielfarbigen Baststrähnen so künstlerisch zu verflechten, dass, wenn das Körbchen fertig war, es aussah, als wäre es mit Figuren, Ornamenten, Blumen und Tieren bedeckt. Dass diese Ornamente nicht auf das Körbchen etwa aufgemalt waren, sondern als Ganzes sehr geschickt hineingeflochten waren, konnte auch einer, der nichts davon verstand, sofort erkennen, wenn er das Körbchen innen betrachtete. Denn innen kamen alle die Ornamente an der gleichen Stelle wie außen zur Ansicht. Die Körbchen mochten verwandt werden als Nähkörbchen oder als Schmuckkörbchen. Wenn der Indianer etwa zwanzig Stück dieser kleinen Kunstwerke geschaffen hatte, und er war in der Lage, sein Feld für einen Tag allein zu lassen, dann machte er sich frühmorgens um zwei Uhr auf den Weg zur Stadt, wo er die Körbchen auf dem Markte feilbot. Die Marktgebühr kostete ihn zehn Centavos. Obgleich er an jedem einzelnen Körbchen mehrere Tage arbeitete, so verlangte er für ein Körbchen nie mehr als fünfzig Centavos. Wenn der Käufer jedoch erklärte, das sei viel zu teuer, und er begann zu handeln, dann ging der Indianer auf fünfunddreißig, auf dreißig und selbst auf fünfundzwanzig Centavos herunter, ohne je zu wissen, dass dies das Los vieler, vielleicht der meisten Künstler ist. Es kam oft genug vor, dass der Indianer nicht alle seine Körbchen, die er auf den Markt gebracht hatte, verkaufen konnte; denn viele Mexikaner, die glauben betonen zu müssen, dass sie gebildet sind, kaufen bei weitem lieber einen Gegenstand, der in einer Massenindustrie von zwanzigtausend Stück täglich hergestellt wird, aber den Stempel Paris oder Wien oder Dresdner Kunstwerkstatt trägt, als dass sie die Arbeit eines Indianers ihres eigenen Landes, der nicht zwei Stücke 74 ganz genau gleich anfertigt, in ihrem Einzigkeitswert zu schätzen verstünden. Wenn der Indianer seine Körbchen nicht alle verkaufen konnte, dann ging er mit dem Rest von Ladentür zu Ladentür hausieren, wo er, je nachdem, mit barscher, mit gleichgültiger, mit wegwerfender, mit gelangweilter Geste behandelt wurde, wie Hausierer, Buch und Einrahmungsagenten behandelt zu werden pflegen. Der Indianer nahm diese Behandlung hin wie alle Künstler, die allein den wirklichen Wert ihrer Arbeit zu schätzen wissen, derartige Behandlung hinnehmen. Er war nicht traurig, nicht verärgert und nicht missgestimmt darüber. Bei diesem Forthausieren des Restes wurden ihm oft nur zwanzig, ja sogar fünfzehn und zehn Centavos für das Körbchen geboten. Und wenn er es selbst für diese Nichtigkeit verkaufte, so sah er häufig genug, dass die Frau das Körbchen nahm, kaum richtig ansah, und dann, noch in seiner Gegenwart, das Körbchen auf den nächsten Tisch warf, als wollte sie damit sagen: „Das Geld ist ja völlig unnütz ausgegeben, aber ich will doch den armen Indianer etwas verdienen lassen, er hat ja einen so weiten Weg gehabt. Wo bist du denn her? – So, von Tlacotepec. Weißt du, kannst du mir nicht ein paar Truthühner bringen? Müssen aber sehr billig sein, sonst nehme ich sie nicht.“ Die Amerikaner sind ja nun mit solchen kleinen Wunderwerken nicht so verwöhnt wie die Mexikaner, die, von einigen Ausnahmen abgesehen, nicht wissen und nicht schätzen, was sie in ihrem Lande an Gütern haben. Und wenn nun auch der allgemeine Amerikaner den wirklichen Wert an unvergleichlicher Schönheit dieser Arbeiten nicht abzuschätzen versteht, so sieht er doch in den meisten Fällen sofort, dass hier eine Volkskunst vorliegt, die er würdigt und um so rascher erkennt und schätzt, als sie in seinem Lande fehlt. Der Indianer hockte vor seiner Hütte auf dem Erdboden und flocht die Körbchen. Sagte der Amerikaner: „Was kostet so ein Körbchen, Freund?“ „Fünfzig Centavos, Señor“, antwortete der Indianer. „Gut, ich kaufe eines, ich weiß schon, wem ich damit eine Freude machen kann.“ Er hatte erwartet, dass das Körbchen zwei Pesos kosten würde. Als ihm das klar zum Bewusstsein kam, dachte er sofort an Geschäfte. Er fragte: „Wenn ich Ihnen nun zehn dieser Körbchen abkaufe, was kostet dann das Stück?“ Der Indianer dachte eine Weile nach und sagte: „Dann kostet das Stück fünfundvierzig Centavos.“ „All right, muy bien, und wenn ich hundert kaufe, wieviel kostet dann das Stück?“ Der Indianer rechnete wieder eine Weile: „Dann kostet das Stück vierzig Centavos.“ Der Amerikaner kaufte vierzehn Körbchen. Das war alles, was der Indianer auf Vorrat hatte. Als der Amerikaner nun glaubte, Mexiko gesehen zu haben und alles und jedes zu wissen, was über Mexiko und die Mexikaner wissenswert ist, reiste er zurück nach New York. Und als er wieder mitten drin war in seinen Geschäften, dachte er an die Körbchen. Er ging zu einem Schokoladengroßhändler und sagte zu ihm: „Ich kann Ihnen hier ein Körbchen anbieten, das sich als sehr originelle Geschenkpackung für feine Schokoladen verwenden lässt.“ Der Schokoladenhändler besah sich das Körbchen mit großer Sachkenntnis. Er rief seinen Teilhaber herbei und endlich auch noch seinen Manager. Sie besprachen sich, und dann sagte der Händler: „Ich werde Ihnen morgen den Preis sagen, den ich zu zahlen gewillt bin. Oder wieviel verlangen Sie?“ „Ich habe Ihnen bereits gesagt, dass ich mich nur nach Ihrem Angebot richten kann, ob Sie die Körbchen erhalten. Ich verkaufe diese Körbchen nur an das Haus, das am meisten dafür bietet“ Am nächsten Tag kam der Mexikokenner wieder zu jenem Händler. Sagte der Händler: „Ich kann für das Körbchen, mit den feinsten Pralinen gefüllt, vier, vielleicht gar fünf Dollar bekommen. Es ist die originellste und schönste Packung, die wir dem Markte anbieten können. Ich zahle zwei und einen halben Dollar das Stück, Hafen New York, Zoll und Fracht auf meine Lasten, Verpackung zu Ihren Lasten.“ Der Mexikoreisende rechnete nach. Der Indianer hatte ihm bei einer Abnahme von hundert das Stück für vierzig Centavos angeboten, das waren zwanzig Cents. Er verkaufte das Stück für zwei und einen halben Dollar. Dadurch verdiente er am Stück zwei Dollar dreißig Cent oder ungefähr zwölfhundert Prozent. „Ich denke, ich kann es für diesen Preis tun“, sagte er. Worauf der Händler antwortete: „Aber unter einer wichtigen Bedingung. Sie müssen mir wenigstens zehntausend Stück dieser Körbchen liefern können. Weniger hat für mich gar keinen Wert, weil sich sonst die Reklame nicht bezahlt, die ich für diese Neuheit machen muss. Und ohne Reklame kann ich den Preis nicht herausholen.“ von welchem Betrage nur die Reise abging und der Transport bis zur nächsten Bahnstation. Er reiste sofort zurück nach Mexiko und suchte den Indianer auf. „Ich habe ein großes Geschäft für Sie“, sagte er. „Können Sie zehntausend dieser Körbchen anfertigen?“ „Ja, das kann ich gut. Soviel wie Sie haben wollen. Es dauert eine Zeit. Der Bast muss vorsichtig behandelt werden, das kostet Zeit. Aber ich kann so viele Körbchen machen, wie Sie wollen.“ Der Amerikaner hatte erwartet, dass der Indianer, als er von dem großen Geschäft hörte, halbtoll werden würde, etwa wie ein amerikanischer Automobilhändler, der auf einen Schlag fünfzig Dodge Brothers verkauft. Aber der Indianer regte sich nicht auf. Er stand nicht einmal hoch von seiner Arbeit. Er flocht ruhig weiter an seinem Körbchen, das er gerade in den Händen hatte. Es waren vielleicht noch fünfhundert Dollar extra zu verdienen, womit die Reisekosten hätten gedeckt werden können, dachte der Amerikaner; denn bei einem so großen Auftrag konnte der Preis für das einzelne Körbchen sicher noch ein wenig herabgedrückt werden. „Sie haben mir gesagt, dass Sie mir die Körbchen das Stück für vierzig Centavos verkaufen können, wenn ich hundert Stück bestelle“, sagte er nun. „Ja, das habe ich gesagt“, bestätigte der Indianer. „Was ich gesagt habe, dabei bleibt es.“ „Gut dann“, redete der Amerikaner weiter, „aber Sie haben mir nicht gesagt, wieviel ein Körbchen kostet, wenn ich tausend Stück bestelle.“ „Sie haben mich nicht darum befragt, Señor.“ „Das ist richtig. Aber ich möchte Sie jetzt um den Preis für das Stück fragen, wenn ich tausend Stück bestelle und wenn ich zehntausend Stück bestelle.“ Der Indianer unterbrach jetzt seine Arbeit, um nachrechnen zu können. Nach einer Weile sagte er: „Das ist zu viel, das kann ich so schnell nicht ausrechnen. Das muss ich mir erst gut überlegen. Ich werde darüber schlafen und es Ihnen morgen sagen.“ Erzähl die Geschichte zu Ende. „Abgeschlossen“, sagte der Mexikokenner. Er hatte rund etwa vierundzwanzigtausend Dollar verdient, 75 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Der Großindustrielle 2. Teil Der Amerikaner kam am nächsten Morgen zum Indianer, um über den neuen Preis zu hören. „Haben Sie den Preis für tausend und für zehntausend Stück ausgerechnet?“ „Ja, das habe ich, Señor. Und ich habe mir viel Mühe und Sorge gemacht, das gut und genau auszurechnen, um nicht zu betrügen. Der Preis ist ganz genau ausgerechnet. Also wenn ich tausend Stück machen soll, dann kostet das Stück zwei Pesos, und wenn ich zehntausend Stück machen soll, dann kostet das Stück vier Pesos.“ Der Amerikaner war sicher, nicht richtig verstanden zu haben. Vielleicht war sein schlechtes Spanisch daran schuld. Um den Irrtum richtig zustellen, fragte er: „Zwei Pesos für das Stück bei tausend und vier Pesos das Stück bei zehntausend? Aber Sie haben mir doch gesagt, dass bei hundert das Stück vierzig Centavos kostet.“ „Das ist auch die Wahrheit. Ich verkaufe Ihnen hundert das Stück für vierzig Centavos.“ Der Indianer blieb sehr ruhig, denn er hatte sich alles ausgerechnet, und es lag kein Grund vor, zu streiten. „Señor, Sie müssen das doch selbst einsehen, dass ich bei tausend Stück viel mehr Arbeit habe als mit hundert, und mit zehntausend habe ich noch viel mehr Arbeit als mit tausend. Das ist gewiss jedem vernünftigen Menschen klar. Ich brauche für tausend viel mehr Bast, habe viel länger nach den Farben zu suchen und sie auszukochen. Der Bast liegt nicht gleich so fertig da. Der muss gut und sorgfältig getrocknet werden. Und wenn ich so viele tausend Körbchen machen soll, was wird denn dann aus meinem Maisfeld und aus meinem Vieh? Und dann müssen mir meine Söhne, meine Brüder und meine Neffen und Onkel helfen beim Flechten. Was wird denn da aus deren Maisfeldern und aus deren Vieh? Das wird dann alles sehr teuer. Ich habe gewiss gedacht, Ihnen sehr gefällig zu sein und so billig wie möglich. Aber das ist mein letztes Wort, Señor, verdad, ultima palabra, zwei Pesos das Stück bei tausend und vier Pesos das Stück bei zehntausend.“ Der Amerikaner redete und handelte mit dem Indianer den halben Tag, um ihm klarzumachen, dass hier Rechenfehler vorliegen. Er gebrauchte ein neues Notizbuch voll von Blättern, um an Ziffern zu beweisen, wie der Indianer für sich ein Vermögen verdienen könne, bei einem Preis von vierzig Centavos für das 76 Stück, und wie man Unkosten und Materialkosten und Löhne verrechnet. Der Indianer sah sich die Ziffern verständnisvoll an, und er bewunderte die Schnelligkeit, mit der der Amerikaner die Ziffern niederschreiben und aufsummieren, zerdividieren und durchmultiplizieren konnte. Aber im Grunde machte es wenig Eindruck auf ihn, weil er Ziffern und Buchstaben nicht zu lesen vermochte und aus der klugen, volkswirtschaftlich sehr bedeutenden Vorlesung des Amerikaners keinen anderen Nutzen zog als den, dass er lernte, dass ein Amerikaner stundenlang reden kann, ohne etwas zu sagen. Als der Amerikaner dann endlich erkannte, dass er den Indianer von seinen Rechenfehlern überzeugt hatte, klopfte er ihm auf die Schulter und fragte: „Also, mein guter Freund, wie steht nun der Preis?“ „Zwei Pesos das Stück für tausend, und vier Pesos das Stück für zehntausend.“ Der Indianer hockte sich nieder und fügte hinzu: „Ich muss jetzt aber doch wieder an meine Arbeit gehen, entschuldigen Sie mich, Señor.“ Der Amerikaner reiste in Wut zurück nach New York, und alles, was er zu dem Schokoladenhändler sagen konnte, um seinen Vertrag lösen zu können, war: „Mit den Mexikanern kann man kein Geschäft machen, für diese Leute ist keine Hoffnung.“ So wurde New York davor bewahrt, von Tausenden dieser köstlichen kleinen Kunstwerke überschwemmt zu werden. Und so wurde es möglich, zu verhüten, dass diese wunderschönen Körbchen, in die ein indianischer Landmann den Gesang der Vögel, die um ihn waren, die Farbenpracht der Blumen und Blüten, die er täglich im Busch sah, und die ungezwungenen Lieder, die in seiner Seele klangen, hineinzuweben gewusst hatte, zermanscht und zerstampft in den Kehrrichttonnen der Park Avenue gefunden wurden, weil sie keinen Wert mehr hatten, nachdem die Pralinés herausgeknabbert waren. Vergleiche den Schluss mit der eigenen Geschichte. Nach welchen (wirtschaftlichen) Überlegungen handelt der Amerikaner, nach welchen der indigene Mexikaner? Von welchen wirtschaftlichen Überlegungen ist Dein Schluss der Geschichte geprägt? Welche Haltung mag der Autor haben, wo liegen seine Sympathien? Indigene Wirtschaft 7.5. Die Globalisierung und die indigenen Völker – Am Beispiel des Gran Chaco Da die Spanier seinerzeit das ersehnte Gold nicht fanden und die Einwohner des Gran Chaco sich gegen ihr Eindringen heftig zur Wehr zu setzen wussten, blieb diese Region im Herzen Südamerikas bis zum Ende des 19. Jahrhunderts von fremder Besiedlung weitgehend frei. Das harte Klima mit Sommertemperaturen von über 40 Grad, relativ spärlichen und sehr unregelmäßigen Niederschlägen, einer nur schwer zu durchdringenden Vegetation von ausgedehntem Dornbusch und weiten Sumpfgebieten trugen ihren Teil dazu bei, den Gran Chaco als Siedlungsgebiet uninteressant bleiben zu lassen. Wegen der feindlichen Haltung seiner Bewohner gelang es auch den emsigen und hochmotivierten Jesuiten im 18. Jahrhundert nicht, eine direkte Landverbindung zwischen ihrem Missionsgebiet im Chiquitos – dem heutigen Ostbolivien – und Paraguay zu schaffen. Feindliche Indianer setzten ihren Expeditionen ein jähes Ende, und der Versuch, eine jesuitische Missionssiedlung („Reduktion“) dauerhaft im nördlichen Gran Chaco zu unterhalten, musste nach einem 30 Jahre dauernden Experiment wieder aufgegeben werden. Die legendäre Reduktionssiedlung „San Ignacio de Zamuco“ konnte nur solange gehalten werden, wie die Jesuiten-Missionare sich der indianischen Lebensweise anzupassen wussten. Denn Projekten, mit deren Hilfe Indianer zu einer dauerhaften Sesshaftigkeit in einer Siedlung gebracht werden sollten, erteilten die stark nomadisierenden Sammlerinnenund Jäger-Völker des Chaco eine Abfuhr – damals wie auch heute. Nicht nur die Jesuiten liefen seinerzeit dem Traum von einer auf Selbstversorgung gegründeten, bäuerlichen Siedlung indigener Gemeinden hinterher. Bis heute schwebt er den meisten vor, die etwas für die indigenen Chaco-Völker tun wollen. Sammeln, Jagen, Fischen – damit sicherten sich die indigenen Chaco-Völker ihre Versorgung und gestalteten ihr Leben. Die Ökologie des Chaco ließ die Entwicklung einer auf Ackerbau basierenden Landwirtschaft größeren Ausmaßes nicht zu. Schon die Guaraní-Bauern mussten das erfahren, als sie sich auf der Suche nach neuem Siedlungsland in vorkolumbischer Zeit aus dem heutigen Brasilien und Ostparaguay kommend, nicht im Chaco niederlassen konnten, sondern bis an den Fuß der Anden wandern mussten, ehe sie wieder ökologisch angemessene Bedingungen für ihre ackerbäuerliche Lebensweise vorfanden. Die Chaco-Völker hingegen pflegten weiterhin ihre Sammlerinnen- und Jäger-Kultur, auch wenn sie mit einem bescheidenen Gartenbau begannen. Der Garten blieb jedoch eher ein erweiterter Sammelgrund denn eine bäuerlich gepflegte und genutzte Fläche. So überließ man die Aussaat auf kleinen Flächen sich selbst und kam auf den periodischen Sammelzügen zum 77 Indigene Wirtschaft Zeitpunkt der möglichen Ernte wieder zurück. Die unregelmäßigen und örtlich sehr unterschiedlichen Niederschläge verhinderten eine dauerhafte Siedlung an einem Ort. Denn das Risiko fehlenden Regens für die Anlage größerer, auf einen Ort konzentrierter Pflanzungen war zu groß. Ganz verstreut im traditionellen Wohngebiet wurden die kleinen Gärten angelegt und boten so die Gewähr, auf den Sammelstreifzügen auch einige Ernteprodukte mit nach Hause bringen zu können. Angepasst an diese ökologischen Bedingungen waren auch die indianischen Lebens- und Organisationsformen: Über die Verwandtschaftsgruppe hinaus gab es keine festeren, dauerhaften Sozialverbände. Zwar lebten verschiedene Familien durchaus in größeren Gruppen zusammen, konnten sich jedoch je nach Jahreszeit und interner Situation auch wieder in ihre einzelnen Familiengruppen aufsplittern und neu gruppieren. In Zeiten extremer Trockenheit, wenn der Wald „verschlossen“ und das Leben mit vielen Tabus belegt war, splitterte sich die Gruppe grundsätzlich in kleinere Familienverbände auf und durchstreifte die Wälder. In der „Zeit des Überflusses“, wenn der Wald nach üppigem Regen in seiner Vielfalt lebte und Nahrung lieferte, fand man sich in größeren Gruppen wieder zusammen und teilte das Leben in größerer Gemeinschaft. So war es den indigenen Völkern möglich, trotz erheblicher Schwankungen der äußeren Lebensbedingungen eine innere gesellschaftliche und kulturelle Stabilität zu sichern. Vorboten der Globalisierung Für eine weitergehende Erschließung durch Europäer und ihre lateinamerikanischen Nachfahren wurde der Chaco erst wieder im Zuge der Industrialisierung gegen Ende des 19. Jahrhunderts interessant. Schifffahrt und Eisenbahnbau erleichterten Transport und Zugang. Entlang des Rio Paraguay entstanden eine Reihe von Häfen, von denen aus der rote QuebrachoBaum aus dem Chaco geholt, zu Tannin (Gerbstoff) verarbeitet und exportiert wurde. Auch für den Bau der Eisenbahnlinien, die den argentinischen Chaco durchquerten, mussten Abertausende von Quebrachobäumen fallen, die als Schwellen dem Schienenweg dienten. Mit der Erschließung neuer Rohstoffquellen und dem Interesse an deren Ausbeutung wurde es 78 notwendig, die nationalen Grenzen auch in jenen entlegensten Gebieten festzulegen und so den Chaco auch physisch unter eine gewisse staatliche Kontrolle zu nehmen. Am Anfang des 20. Jahrhunderts begannen militärische Expeditionen von paraguayischer und bolivianischer Seite, die schließlich mit der Perspektive der Nutzung möglicher Ölvorkommen im Chaco-Krieg der 30er Jahre mündeten. In Argentinien wurden zur Sicherung der nationalen Grenzen zu Bolivien und Paraguay organisierte Kolonisationskampagnen durchgeführt, die wagemutige, hartgesottene Abenteurer anlockten. Nachfahren dieser Kriegs- und Kolonisationsfront sind heute die als „chaqueños“ oder „criollos“ bezeichneten Siedlerfamilien, die eine ganz eigene Kultur als Jäger und kleine Viehzüchter ziemlich abseits von Staat und Gesellschaft entwickelten. Für die ursprüngliche, indigene Bevölkerung brach die Zeit einer dramatischen Destabilisierung mit tragischen Konsequenzen bis zur Vernichtung ganzer Gruppen an: die wichtigsten Wasserstellen wurden von Militärposten besetzt. Versuche indigener Verteidigung wurden mit Massakern beantwortet. Die dauerhafte Besetzung lebenswichtiger Orte durch Militär und bewaffnete Siedler erhöhte den territorialen Druck innerhalb und zwischen indigenen Völkern und Gruppen, die sich teilweise untereinander heftigst bekriegten. Andererseits wurden indigene Gruppen neugierig auf die Güter, die von den neuen Besetzern des Landes mitgebracht wurden: vor allem Eisenwerkzeug und Textilien weckten das Interesse und führten zu friedlichen Kontakten. Das Militär missbrauchte Indianer auch als Pfadfinder und Späher in der Erschließung der Region. Aus Angst vor möglicher Spionage schossen daher bolivianische wie paraguayische Soldaten während des Chacokrieges ohne jegliche Vorwarnung auf jeden Indianer, den sie zu Gesicht bekamen. Heimtückischer als die Wirkung der Waffen waren jedoch jene eigenartigen, scheinbaren Freundschaften zwischen Soldaten und einzelnen Indianergruppen, deren zweifelhafter Gewinn für die Indianer im Geschenk von Abfallprodukten der Militärposten bestand, während sich die Soldaten bei den Indianerfrauen schadlos hielten. Verheerende Grippe und Masernepidemien und Geschlechtskrankheiten rotteten ganze Gemeinschaften in der ersten Generation nach der Kontaktaufnahme aus. Der aktive Widerstand wurde endgültig in Argentinien mit dem Massaker an Toba-Indianern in Napalpi (im Jahre 1924), in Bolivien mit der friedlichen Kontaktaufnahme zu den Ayoréode im Zusammenhang mit dem Bau der Eisenbahnlinie nach Brasilien (Ende der 40er Jahre), und in Paraguay mit der Missionierung der Ayoréode durch katholische und protestantische Missionare im Zusammenhang mit Ölprospektionen und Pelztierfallenstellerei in den 60er Jahren gebrochen. Heute gibt es im gesamten Chaco nur noch eine Untergruppe von ungefähr 40 Ayoréode in Paraguay, die weiterhin unabhängig von der nationalen Gesellschaft und den internationalen Märkten in den Restwäldern lebt. Die wichtigste Voraussetzung für den Globalisierungsprozess war damit geschaffen: Die Erschließung des Marktes für den Chaco und des Chaco für den Markt hatte begonnen. mehr als den Eigenverbrauch und konzentriert sich hauptsächlich auf Ziegen und Rinder. Diese Familien verfügen über keine größeren Installationen, das Vieh wird größtenteils sich selbst überlassen und frisst das, was die Natur bereitstellt. Je nach Trockenheit und Vegetation kommt es vor, dass das Vieh sich sehr weit von der Hofstelle entfernen muss, um noch Futter zu finden. Die Möglichkeiten, eine solche extensive, unkontrollierte Viehzucht weiter zu betreiben, werden Mit der Öffnung von Märkten und der kulturell und gesellschaftlich vielfach nicht mehr nachvollziehbaren Geschwindigkeit der technologisch-materiellen Entwicklung insbesondere in den Industrieländern wird der Chaco in den letzten Jahrzehnten in eine Reihe fremdbestimmter Entwicklungsprozesse hineingezogen, die nicht mehr den Bedürfnissen der sozial und kulturell im Chaco beheimateten Bevölkerung sowie den ökologisch bedingten Möglichkeiten einer nachhaltigen Nutzung entsprechen. Fleisch für den Markt Militärische Besetzung und missionarische Tätigkeit bei indigenen Gruppen erleichterten die Inbesitznahme des Chaco vor allem durch Viehzüchter, die im Laufe des 20. Jahrhunderts zunächst noch recht verhalten, in den letzten zwei Jahrzehnten jedoch mit ständig wachsender Geschwindigkeit stattfand. Viehzüchter ist im Chaco aber nicht gleich Viehzüchter. Heute lassen sich im Wesentlichen drei Kategorien von Viehzüchtern unterscheiden. Da ist zum einen der Kleinbauer, der mit Familie bzw. Großfamilie häufig noch relativ isoliert lebt und für das Land, das er bewohnt und nutzt, in der Regel keinen Besitztitel hat. Die Viehzucht reicht kaum für 79 Indigene Wirtschaft immer schwieriger: zum einen wird der Weidegrund und Busch durch diese Art der Bewirtschaftung und Nutzung zerstört, die Landschaft verödet; zum anderen drängen immer mehr kapitalkräftigere Landbesitzer mit staatlich anerkannten Landtiteln bis in die entlegensten Regionen und beanspruchen die von den Kleinbauern genutzten Flächen. Dadurch werden diese gezwungen, sich entweder in noch entlegenere Gebiete zurückzuziehen, oder die Viehzucht aufzugeben und in die Städte abzuwandern, oder ihre Produktion auf eine intensivere Wirtschaftsweise umzustellen. Dazu bräuchten sie jedoch entsprechendes Kapital, technisches Wissen und gesicherte Landtitel. All dies erfordert eine erhebliche Umstellung und Veränderung der eigenen Kultur und Lebensformen, häufig auch ihrer Lebensinhalte. Zum anderen gibt es jene Viehzüchter, die selbst im Chaco leben, ihre Wirtschaft auf eigenem Landbesitz selbst betreiben, aber in Abgrenzung zu den Kleinbauern vollständig von der Marktproduktion abhängen und ihre Rinderzucht bei gegebener Marktkonkurrenz mit entsprechender Kapitalinvestition unterhalten müssen. Sie verwandeln Busch in Weideland, legen zunehmend Kunstweide an und zäunen ihr Land ein, einerseits um das Vieh und die Weiden besser unter Kontrolle zu haben, andererseits um die Nutzung der natürlichen Ressourcen durch Indianer und Kleinbauern zu unterbinden. Sie verfügen über künstlich angelegte Wasserreservoirs und organisieren den Verkauf Frau bei der Feldarbeit in Amanti, Peru 80 des Rindes bereits meist über den LKW-Transport. Eine dritte Gruppe von Viehzüchtern bilden jene, die zwar legale Besitzer des Bodens sind und das Kapital für Aufbau und Unterhalt der Wirtschaft stellen, selbst aber nicht im Chaco leben. Die eher traditionellen Landbesitzer unter ihnen, denen häufig sehr große Flächen gehören, haben in der Vergangenheit eine Viehzucht betrieben mit dem Interesse, ihr städtisches Leben zu finanzieren. Die Investitionen in den Betrieb beschränkten sich darauf, ein entsprechendes Produktionsvolumen zu unterhalten. Der größte Teil des Gewinns wurde abgeschöpft und nicht in die Entwicklung der Region reinvestiert. Hierin gleichen sie jenen Landbesitzern, die an dem Chaco und seiner Entwicklung nur in Bezug auf eine lukrative Geldanlage interessiert sind. Dies kann sich auf reine Bodenspekulation beschränken: Land wird gekauft, um es nach einiger Zeit Gewinn bringend wieder zu verkaufen, wenn sein Wert gewachsen ist, zum Beispiel durch den Bau einer Straße oder die Errichtung von Viehzuchtbetrieben in der näheren Umgebung. Oder das Geld wird in den Aufbau einer Viehzucht investiert, die ohne Rücksicht auf langfristige Schäden an Boden, Vegetation und Umwelt allein auf den möglichst schnellen und hohen Gewinn ausgerichtet ist. Langfristige Bodenversalzung, Versteppung und Verwüstung werden billigend in Kauf genommen, solange die kurzfristige Rendite der Investition stimmt. Zu dieser Kategorie gehören vor allem ausländische, auch deutsche Investoren, deren Motivationen fern ab vom Chaco und seiner Lebenswirklichkeit begründet liegen und deren Kalkulationen mit einer dem Chaco und seiner ökologischen Besonderheit vollkommen fremden Mentalität entstehen. Gewinn und verantwortungslose Plünderung stehen hier im Vordergrund. In den letzten Jahren dringen immer mehr brasilianische Landbesitzer in den Chaco vor, nachdem ihr ressourcenzerstörender Raubbau in ihren früheren Produktionsgebieten zu verheerenden Schäden riesiger Regionen in Südbrasilien und Ostparaguay geführt haben und sie daher gezwungen wurden, ihre Betriebe dort aufzugeben. Der Verkauf ermöglicht ihnen, billigeres Land in noch unzerstörten, weniger erschlossenen Gebieten günstig zu kaufen und ihr räuberisches Unwesen gnadenlos ‘fortzusetzen. Da sie Geld haben, finden sich trotz v’erbesserter Umweltgesetze immer Möglichkeiten, kurzfristige Gewinne auf Kosten von Mensch und Umwelt zu erwirtschaften. Korrupte Strukturen in ‘der öffentlichen Verwaltung tragen ihren Teil dazu bei und ihren eigenen kurzfristigen Nutzen davon. Verbindungswege vom Atlantik bis zum Pazifik An der Verbesserung des Straßennetzes sind viele interessiert. Man verspricht sich Fortschritt und Wohlergehen. Indianer denken an die Erweiterung ihres Beziehungsnetzwerkes, Milch- und Joghurtproduzenten an den klimaunabhängigen, sicheren Zugang zu regionalen Handelszentren, Fleischfabrikanten an die industrielle Verarbeitung ihrer Produkte, Regionalpolitiker an Standortverbesserungen und internationale Unternehmen an die Verknüpfung von Großregionen. Unter dem Namen „Zicosur“ („Zona de Integración del Cono Sur“) fördern Politiker und Unternehmer eine verstärkte regionale Integration zwischen Brasilien, Paraguay, Argentinien, Bolivien und Chile mit dem Ziel, kommerzielle Beziehungen innerhalb dieser Region aber auch zu Märkten bis nach Asien auszudehnen. Als ein wichtiger Schritt in diese Richtung wird der Ausbau des Straßennetzes im paraguayischen Chaco durch einen entsprechenden Kredit der Interamerikanischen Entwicklungsbank gefördert, deren Mitglied auch Deutschland ist. Einen weiteren Meilenstein bildet der Bau der Brücke von Misión La Paz über den Rio Pilcomayo im Länderdreieck von Argentinien, Bolivien und Paraguay und der damit eng zusammenhängende Aufbau eines entsprechenden Grenzpostens. Indianische Gemeinden verschiedener Völker sehen sich angesichts dieser Aktivitäten Veränderungen ausgesetzt, deren Auswirkungen auf ihr Leben und die Zukunft ihrer Kinder sie kaum einschätzen können. Wurde ihr Wohngebiet bis vor wenigen Jahren noch zu den unzugänglichsten Winkeln des Chaco gezählt, sind sie heute mit den negativsten Auswüchsen der Globalisierung konfrontiert, die sich an südamerikanischen Grenzübergängen besonders konzentrieren: die Willkür von Grenzbeamten, illegaler Handel und Schmuggel, Alkoholismus, Prostitution, Betrug und Gewalt. Die Förderung des Welthandels fordert an diesem Ort einen bitteren Preis: Individuen und Gemeinschaften mit einer sehr feinen, fast einzigartigen Kultur, die an die Lebensbedingungen des Chaco angepasst war, werden in ihrer Integrität, ihren Werten und ihrer Gestaltungsfähigkeit mit Blick auf die Entwicklung ihrer Dörfer und Gemeinden zerstört. Und während die Anerkennung ihrer verfassungsmäßig verbrieften Landrechte über Jahre und Jahrzehnte verschleppt wird, schreiten die Großprojekte auf Kosten ihrer Zukunft mit großer Geschwindigkeit voran. Öl- und Gasförderung und -export Öl war schon in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts ein Grund für Konflikte und im Chaco-Krieg 90.000 Menschen in den Tod zu schicken. Die Suche nach diesem Rohstoff ließ Menschen und Maschinen mit Mitteln und Aufträgen aus fernen Ländern Tausende von Kilometern Weg in den Chacobusch schlagen, die auch die letzten Winkel nicht verschonten. Da die Suche vielerorts erfolglos blieb, nahm der Busch die Schneisen wieder in seinen Besitz. Doch die Suche nach Öl hört seit jener Zeit nicht auf. Im Gegenteil: besonders im bolivianischen und argentinischen Teil des Chaco nehmen Prospektionen gerade in jüngerer Zeit wieder zu, und an vielen Stellen wird heute Öl und Gas gefördert. Das Wachstum dieses Wirtschaftszweiges wurde in den letzten 10 Jahren so groß, dass vor allem Erdgas aus den Fördergebieten über Rohrleitungen – so genannter „Gasoductos“ – bis nach Chile und Brasilien transportiert wird. Die Gewinne aus Förderung und Export sind erheblich, bleiben jedoch zum allergrößten Teil der Region und ihren Menschen vorenthalten. Die indianischen Gemeinden, in deren Wohngebieten die Suche und Förderung stattfindet, versuchte man zunächst mit kleinen Geschenken für erlittenen Schaden und Verluste zufrieden zu stellen, selbst dort, wo ihre Landrechte bereits staatlich anerkannt sind. Verhindern können sie die Arbeiten auch als rechtmäßige Landbesitzer nicht, da die unterirdischen Bodenschätze dem Staat gehören und Schürfrechte vom Staat direkt an die entsprechenden Unternehmen vergeben werden. 81 Indigene Wirtschaft Über die Dimensionen dessen, was Öl- und Gasförderung für ihr Leben und das ihrer Umwelt bedeuten, werden sich die indianischen Gemeinden erst langsam und über zum Teil bitterste Erfahrungen im klaren – dann, wenn nichts mehr rückgängig gemacht werden kann: wenn Arbeitstrupps die Dörfer und Lager in der Nachbarschaft ihrer Baustellen auf der Suche nach Abwechslung und Vergnügen heimgesucht haben; wenn in der Folge Krankheiten nicht nur physischer Art Individuen und Familien zerstört haben; wenn neben verlassenen Bohrlöchern das verseuchte Wasser in extra angelegten Auffangbecken hoch giftiger Chemikalien von Bienen getrunken wird und deren Honig dadurch ungenießbar macht, welchen Indianer konsumieren und zu verkaufen suchen; wenn sich Dritte aufgrund der Öl-/Gasförderung auf bereits rechtlich anerkanntem Indianerland so etabliert haben, dass sie nicht mehr ohne weiteres zum Verlassen aufgefordert werden können, wenn die Indianer viel später endlich mehr über ihre Rechte erfahren haben. In jüngster Zeit beginnen indianische Gemeinden und Organisationen jedoch, sich genauer über ihre Rechte und Möglichkeiten informieren und beraten zu lassen, um sich besser gegen Missbrauch und Zerstörung wehren zu können. Wasser und das Leben mit einem eigenwilligen Fluss Einer der wenigen Flüsse des Gran Chaco ist der Rio Pilcomayo, der in den bolivianischen Anden entspringt und sich in den Weiten der Ebene verläuft. Auf historischen und geographischen Karten dient er – auch heute noch – als Grenzfluss zwischen Argentinien und Paraguay und seiner Mündung bei Asunción in den Rio Paraguay, obwohl dies wohl kaum je wirklich so war. Eigensinnig ist er und eigenartig: unserem Bild eines Flusses mit kontinuierlichem Flussbett von der Quelle bis zur Mündung entzieht er sich. Denn er bildet temporäre Überschwemmungszonen („bañados“), ändert seinen Kurs fast jährlich zumindest teilweise, überhäuft sich selbst mit Sand, bildet ständig neue Ufer und Kanäle und ist in stetiger Unruhe begriffen. Die Indianer, die mit ihm und von ihm leben, erklären seine Entstehung und seine Eigenart damit, dass das ursprünglich bestehende Tabu, den goldenen Fisch nicht zu fangen, gebrochen wurde. Als gleichsam auf den Boden verschüttetes Wasser bildete er daraufhin seine willkürlichen Betten und Überschwemmungszonen, die Jahr für Jahr den Mythos vom Tabubruch wiederholen, wenn der Fluss im Sommer anschwillt und seine Präsenz ändert. Dass er seinen Lauf und die Überschwemmungszonen verändert, ist also nichts neues, sondern ritueller Ausdruck eines in den Ursprüngen verletzten Tabus. 82 In Kenntnis dieses eigenwilligen Verhaltens des Flusses entwickelten die Indianer ihr Leben und ihre historischen Erfahrungen im Umgang mit dem Fluss und passten ihr Leben an seine Launen an. Liest man heute Artikel, technisch-wissenschaftliche Studien oder politische bzw. politisch motivierte Kommentare über den Pilcomayo und seine „Krise“, erhält man den Eindruck von ökologisch in jüngster Zeit begründeten Katastrophen: Überschwemmungen durch Entwaldung, Veränderungen des Flusslaufes durch verstärkte Sedimentierung, Zonen extremer Dürre. Sie alle fordern die Staatengemeinschaft dazu heraus, größere Projekte zu planen und umzusetzen, um diesen Fluss zu zähmen und Viehzüchtern und Landbesitzern der Region eine möglichst gleichmäßige Wasserversorgung liefern zu können. Mit Unterstützung der Europäischen Kommission soll ein großes Projekt zum „Management“ der Flussregion des Pilcomayo entwickelt werden, unter Einschluss verschiedener regulierender Maßnahmen (Deich- und Kanalbauten u. a.). Was aus der Sicht von Technikern, Entwicklungsplanern und Politikern als Bedrohung und Katastrophe erscheint, war für die indianischen Nachbarn der Motor, der ihr Verhältnis zum Fluss bestimmte und eine an dieses Ökosystem angepasste Lebens- und Nutzungsform entwickeln ließ. In Abhängigkeit vom jahreszeitlich unterschiedlichen Flussverhalten legten sie ihre Siedlungen immer wieder neu dort an, wo sie für die entsprechende Nutzung der Ressourcen am günstigsten waren. Die Durchsetzung modernen Landrechts und die Privatisierung von Landbesitz, die Gründung von Missionssiedlungen und klar definierten und begrenzten Territorialrechten drängten die indianischen Gemeinden auch am Pilcomayo zur Bildung stabilerer Siedlungen mit größerer Sesshaftigkeit. Stärken im eigenen Handeln Die Globalisierungsbestrebungen von Welthandel und Weltwirtschaft machen vor den Toren des Gran Chaco nicht halt. Land und Leute werden auch dort von diesem Sog erfasst. Und wenn wir in Europa schon große gesellschaftliche Schwierigkeiten haben, uns der Dynamik anzupassen, die die Beschleunigung von technologischen und organisatorischen Veränderungen uns bis in unser persönliches Leben hinein aufzuzwingen sucht, lässt sich unschwer ausmalen, was dies für Gesellschaften bedeutet, die die Ge schichte der Aufklärung und des wissenschaftlichtechnischen Fortschritts weder selbst entwickelt noch selbst durchlebt haben, sondern lediglich mit ihren Ergebnissen und Ausdrucksformen in Berührung kommen. Mit ihren eigenen erprobten Strategien der Anpassung und einer tiefen Verwurzelung in ihren kulturellen Grundpfeilern und Grundwerten versuchen sich indianische Gemeinschaften und Organisationen des Gran Chaco den Herausforderungen auf ihre Art zu stellen. Viele Opfer wurden ihnen bereits teilweise in brutaler, schmerzhafter Art und Weise abverlangt, was sich in absehbarer Zukunft auch nicht ändern dürfte. Denn bisher wird kaum wahrgenommen, dass indianische Völker im Chaco in einer kleiner werdenden Welt wichtige Beiträge zur Gestaltung der Zukunft leisten können. Nachdruck des Beitrags „Die Globalisierung und die indigenen Völker – Am Beispiel des Gran Chaco“ mit freundlicher Genehmigung von „Brot für die Welt“. Weberin im Chaco 83 Indigene Weltanschauung und Kultur 8. Indigene Weltanschauung und Kultur Die verschiedenen indigenen Weltsichten und Glaubensvorstellungen bringen Rituale und schamanische Praktiken hervor, Konzepte und Ideen über Ursachen von Träumen und Krankheiten, Vorstellungen von Tod und Wiedergeburt. Sie gestalten, gliedern und deuten Lebenswelt und Umwelt, sie geben Erklärungen auf existenzielle Fragen. Dadurch regeln sie soziales Verhalten. Sie drücken sich aus in Mythen, Gebeten, Zeremonien, Reden, Versammlungen, Festen, Riten, Musik und Tanz. Indigene Weltbilder sind meist kosmologisch, das heißt sie sehen den Menschen als Teil eines größeren Ganzen, dem er in gewisser Form ein- oder untergeordnet ist. Indigene Kosmologie definiert den Menschen als Teil eines universalen Systems, und das Überleben dieses Systems ist Grundbedingung und Lebensvoraussetzung für den Menschen. Daher ordnet sich der Indigene den Bedürfnissen und Funktionsweisen jenes größeren Ganzen unter. Mensch und Natur bilden eine untrennbare Einheit. Die eigene Existenz wird geistig und geschichtlich in einen Zusammenhang gestellt, der sehr viel größer und umfassender ist als das eigene Leben und die eigene Umwelt. Ahnen, Überlieferungen und Traditionen spielen daher eine große Rolle im indianischen Weltbild. Familien sind ebenso Teil des Weltsystems wie die ganze Gemeinschaft. Dieses Weltsystem ist nicht nur irdisch, sondern schließt die Welt der Götter und Ahnen mit ein. Schamane aus der Amazonasregion Schamanen sind die Mittler zwischen diesen Welten, zwischen dem Sichtbaren und Unsichtbaren. Schamanen können Männer und Frauen sein. Sie sind meist nicht von Geburt an zum Schamanen bestimmt, sondern ihnen wird diese Rolle erst später von der Gemeinschaft übertragen. 84 Das indianische Regenfest wird in einer christlichen Kirche gefeiert, Chiapas, Mexiko Sie müssen einen langen Lernprozess bei einem älteren Schamanen durchlaufen. Danach sind sie Lehrer, Politiker, Richter, Arzt, Priester und Heiler in einem. Sie verfügen über ein großes ökologisches Wissen, kennen Heilpflanzen und ihre Wirkungen und vertreten den Respekt und die Ehrfurcht vor ökologischen Zusammenhängen. Der Schamanismus ist daher eine bestimmte Form, die Welt und den Menschen und alle Dinge und Lebewesen in einem großen Ganzen zu erkennen. Alles Existierende hat in dieser Hinsicht spirituelle Qualitäten. Aber Schamanen haben auch ganz andere Kräfte und bewegen sich in anderen Dimensionen und Wirklichkeiten. Denn es gibt eine andere Welt, parallel zur Alltagswelt. In dieser „Anderswelt“ wird über Ereignisse, Zustände und Schicksale in der sichtbaren Welt bestimmt. In jener Dimension befinden sich die spirituellen Kräfte, Götter und Geister, die Ahnen leben hier, es ist auch das Reich der Toten. Schamanen können die Grenzen zwischen den beiden Welten überschreiten und auf besondere Weise mit den „anderen Wesen“ kommunizieren, sie sind die Vermittler zwischen den Welten. Mythos und Ritual sind die Hauptpfeiler indigener Religion. Im Mythos werden durch Geschichten und Sagen Welterklärungen und Deutungen überliefert, im Ritual werden diese Zusammenhänge dann erfahrbare Wirklichkeit. Mythen und Rituale helfen den Indigenen, den Alltag zu deuten und Phänomene wie die Zeit oder den Tod, aber auch tagesaktuelle Ereignisse, Gefahren und extreme Situationen wie Katastrophen zu verstehen. Religionen und Weltanschauungen sind, wie Kultur im allgemeinen, permanenten Veränderungen ausgesetzt. Der Kontakt zu anderen Kultu- Maya-Schamane, Mexiko Regenfest – Junge Maya-Frauen, Chiapas, Mexiko ren, Vorstellungen und Ideen, die Auseinandersetzung mit neuen Phänomenen und Problemen oder kollektiven Erfahrungen wie Krieg, Dürre, oder die Einführung bislang unbekannter technischer Geräte wie das Fernsehen sind Beispiele dafür, dass sich Weltbilder – und ihre religiösen Entsprechungen – ständig verändern und neu bestimmen. 8.1. Christentum und die Verschmelzung der Religionen Mit der spanischen Eroberung kamen die Missionare, die die heidnischen Wilden bekehren sollten. Die katholische Kirche unterstützte damit die Eroberung und Kolonisierung der indigenen Völker. Erst im 16. Jahrhundert fiel die Entscheidung der Amtskirche in Rom, Indigenen eine Seele und sie somit als Menschen anzuerkennen, wobei sie aus Sicht der Kirche immer als „Kinder“ betrachtet wurden. Vereinzelt übernahm die Kirche oder einige ihrer Vertreter auch Schutzfunktion für indigene Völker. Am bekanntesten hierfür wurde Bartholomé de las Casas aus dem Vizekönigreich Peru, sowie die von den Jesuiten geleiteten „reducciones“ im Süden des Kontinents. Die Missionierung erfolgte mit Gewalt, die Missionare ließen keine Alternativen zu Taufe und Bekehrung zum Christentum zu. Die indigenen Völker hatten zwar nicht die Möglichkeit, sich der Christianisierung zu verweigern, taten aber alles um ihre eigenen Gottheiten und Überzeugungen unter dem Deckmantel der katholischen Kirchen zu bewahren. Bis heute finden wir in der Praxis der katholischen Religion auf dem Kontinent viele Beispiele für sogenannte Synkretismen, das heißt Verschmelzungen und Synthesen verschiedener Formen der Religionsausübung. In einer katholischen Messe in Guatemala werden noch heute mit Räucherstäbchen und Gesängen Opfer dargebracht, und Pachamama, die Mutter Erde, ist in den Andenländern ebenso präsent wie die Jungfrau Maria. Der Marienkult in Mexiko verweist auf die Anbetung von Fruchtbarkeitsgöttinnen vor der Ankunft der Spanier. Die indigenen Völker konnten ihre Gottheiten und Rituale vor den Missionaren und für sich selbst retten. Sie „kleideten“ sie neu ein und gaben ihnen neue Namen. Andere Formen der kulturellen Bewahrung und des Widerstands hätten angesichts des inneren Zusammenspiels von Kolonialmacht und Kirche, also der politischen Kolonisierung und geistigen Missionierung, das Leben gekostet. Der Synkretismus in den Religionen und Weltanschauungen steht oft im Gegensatz zu einem Konzept des „Ursprünglichen“ oder „Reinen“. Wir können heute davon ausgehen, dass alle Kulturen, Musikrichtungen, Ideologien, Sprachen oder Religionen, die wir auf dem Erdball finden, Synthesen darstellen und nicht eindeutig einer einzigen Quelle zuzuordnen sind. Suche weitere Beispiele für die Verschmelzung der Religionen und überlege, welche Vorteile diese Strategie für die indigenen Völker hatte! 8.2. Gesundheit und Krankheit Indigene Völker haben unterschiedliche Heilungsmethoden entwickelt und entsprechende Spezialisten hervorgebracht. Diese Heiler, meist Männer, sind Träger jahrhundertealten Wissens um die Heilungskraft von Pflanzen, aber wenden auch spirituelle und religiöse Heilungsriten an. Heilungsrituale sind nicht mechanische „Reparaturarbeiten“ am kranken Körper, sondern sie beziehen sich auf Körper und Seele. Sie finden unter aktiver Teilnahme von Ahnen, Geistern und Göttern statt. Häufig werden Krankheiten auch mit Hexerei in Verbindung gebracht, d. h. die Indigenen befürchten, dass ihnen jemand aus ihrem sozialen Kontext schaden will und eine Krankheit „anhext“. In diesem Fall schließt die Heilung die Lösung des dahinter stehenden sozialen Problems ein. Es kann Impfung in einer indigenen Gemeinde, Peru 85 Indigene Weltanschauung und Kultur Heilungszeremonie durch einen Yanomami-Schamanen Badefreuden und Körperhygiene Schamane der Secoya unterschiedliche Heiler geben, die auf bestimmte Krankheitsbilder wie Schlangenbisse oder Knochenbrüche spezialisiert sind. Manchmal übernehmen auch die Schamanen Heilerfunktionen, indem sie unter Anrufung und Beteiligung von Geistern und Ahnen Krankheiten mit „magischen“ Ursachen heilen. Körper und Seele sind ebenso verbunden wie die irdische und die überirdische Welt, dies zeigt sich im Verständnis von Krankheiten ebenso wie in deren Heilung. 8.3. Tanz und Musik Tanz und Musik sind wichtige Ausdrucksformen traditioneller indigener Kulturen. Musik zu spielen und sich nach ihr zu bewegen ist eine Form indigener Spiritualität, in der die Menschen in Interaktion treten mit der Natur, den Gottheiten, mit den Ahnen oder dem Universum. Religiöse Zeremonien werden mit traditioneller kultureller Musik begleitet, mit Instrumenten wie Flöte, Trommel, Violine oder Gitarre. Trance spielt eine wichtige Rolle, vor allem für den Priester (Schamanen) oder Heiler, der die Zeremonie leitet. Männer spielen meist die Instrumente, Frauen singen. Beide Geschlechter tanzen, selten jedoch paarweise. 86 Trotz der spanisch-portugiesischen Kolonialisierung ist in Lateinamerika die Vielfalt traditioneller Musik lebendig geblieben, insbesondere bei den indigenen Völkern. Traditionelle Musik, musikalische Riten und Gebräuche haben sich vielfach erhalten, wurden dabei aber auch verändert und weiterentwickelt. Dasselbe gilt auch für Instrumente wie Flöten und Trommeln. Indigene Musik gibt Zeugnis anderer Wirklichkeitsund Realitätskonzepte und ist zumeist Teil religiöser Rituale und Zeremonien. Heute wird sie jedoch auch außerhalb religiöser Feste gespielt oder für Besucher und Touristen nur „vorgespielt“. 8.4. Kunsthandwerk Die Herstellung von Kunsthandwerk gehört zu den Praktiken aller Kulturen. Tradierte Techniken werden bewahrt, gehen verloren oder werden weiter entwickelt. Ton, Holz, Stoffe und natürliche Produkte wie Wolle oder Leinen, aber auch Edelmetalle oder Edelsteine sind die Grundmaterialien des Kunsthandwerks. Oft werden heutzutage die ursprünglichen Materialien durch synthetische ersetzt. Formen und Farben verändern sich. Indigene Kunst ist Ausdruck eines komplexen Systems von symbolischer Repräsentation der Welt: Kunst ist eine Form der Aneignung und Verarbeitung von Erfahrungen, von umgebender Natur und Wissen. Kunst erlaubt die Reflektion über bestimmte Themen und Fragen und stellt sie dar. In Formen und Farben kommen Elemente indigener Lebensweise und ihrer Kosmovision zum Ausdruck. Traditionell finden sich Gottheiten, Riten, aber auch Szenen aus dem Alltag auf den Gebrauchsgegenständen. Heute werden die einstmals damit verbundenen Aussagen und Bedeutungen oft nicht mehr verstanden, auch nicht von den Indigenen selbst. Das Wissen darum ist auf dem Weg der Vermittlung von Generation zu Generation und unter dem gegebenen externen Druck verloren gegangen. In Zeiten, in denen sich immer mehr Menschen der modernen Gesellschaften für Geschichte, Brauchtum und naturnahe Lebensweisen interessieren, wird Kunsthandwerk auch genutzt, um mehr von anderen Kulturen erfahren zu können. Gleichzeitig wird sie oft zur Ware, mit der sich Indigene ein Einkommen erwirtschaften können. Die Xukurú in Brasilien Die Xukurú feiern das Ritual Toré. Sie tanzen und beten, kleiden sich in Gewänder aus Mais- oder Palmstroh, schmücken sich mit Vogelfedern und bemalen ihre Körper. Ein Mann tanzt beim Toré immer an der Spitze, gibt mit der Maracá den Rhythmus vor und singt, und alle anderen beginnen, das Ritual zu tanzen. Das Ritual ist ein Teil der religiösen Überlieferung, in dem die Indigenen ihren Vatergott Tupã und Mutter Tamain verehren. Der Pajé ist eine weise Person, denn er erhielt vom König Tupã die Gabe der Weisheit und das Wissen von allen Vorfahren. Der Pajé kennt alle Zauber aus vergangener Zeit und alle Heilpflanzen der Region. Der Pajé kennt die Regeln und weiß, wie die Ahnen im Ritual angesprochen werden können. Er gilt als Priester und religiöser Führer. Für die Xukurú ist der Pajé ein Meister der Weisheit. Am frühen Morgen des 25.01.2005 begrüßten indigene Völker aus Amerika die Sonne und eröffneten damit das V. Weltsozialforum in Porto Alegre. Das Ritual organisierten die Guaraní und die Pataxó aus Brasilien, der Pajé Adolfo Verã Guaraní leitete die Zeremonie. Er bat den Gott Tupã um einen guten Geist für die 120.000 Teilnehmer aus Ländern aller Kontinente. Die Schlange Murui Muinane, die Weißen gaben ihnen vor langer Zeit den Namen Huitoto. Die Murui leben im Amazonasgebiet zwischen den Flüssen Putumayo, Caraparaná und Caquetá. Ihre Sprache heißt Huitoto, die Dialekte heißen Mika, Minika, Búe und Nipoode. Im Maloca, dem Großfamilienhaus, wird jeden Tag die „Mambeadero“ Zeremonie durchgeführt. Inmitten des Hauses werden die heiligen Pflanzen Coca und Tabak, vermischt mit natürlichem Salz, verbrannt. Die Maloca sind die Wohnstätten der Murui. Dort leben die Eltern mit ihren Söhnen und deren Familien. Jeder im großen Haus hat eine bestimmte Aufgabe. Es gibt den Schamanen, den Sänger oder den Zubereiter der Coca. Der „Hausherr“ ist die maximale Autorität, er ist der sogenannte Großvater, er muss vor Krankheiten schützen und ist der Verantwortliche für die Rituale und Zeremonien. Für die Murui hat das Sprechen, das „Rafue“, eine hohe, entscheidende Bedeutung. Seine schöpferische, lebensspendende Macht wandelt das Wort in die Idee, den Begriff und die fundamentale Realität des Lebens. „Der Großvater, der Hausherr verkörpert die Tradition, er trägt das Wort, das „Rafue“. Dieses Wort wird kundgetan während der Vorbereitungen zum Tanz. In diesem Moment wird der „Somara“ vorgeführt – ein in besonderem Ton vorgetragener Bericht über die Tradition des Volkes – und der „Yorai“, der Einladungstanz und die Geschichte, das „Rafue“, das vorgetragen wird seit Anbeginn der Zeit bis zum heutigen Tag, auf das sich diese Weisheit in Arbeit verwandele.“ Quelle: www.paginadigital.com.ar/articulos/ museos/instrumentos.html und der Mensch Wir Menschen sind alle gleich, denn wir stammen alle von den gleichen Stücken der gleichen Boa. Alle Menschengruppen sind gleich, denn ebenso gleich waren die Teile in die sich die große Schlange zerlegte. So groß war die Behutsamkeit in der Verteilung, dass man das zentrale Stück, wo die Boa am dicksten ist, nicht auch aufteilte, denn man hatte von beiden äußeren Enden aus begonnen, und in der Mitte angekommen war die Verteilung zu Ende, denn man wollte keine Ungerechtigkeiten. Aus diesem mittleren Stück wird das heilige Trommelpaar schlüpfen, das Maguaré, dessen Stimme die Einheit der Menschen im Ritual beschwört, insbesondere in der Zeremonie des Yadiko, dem Schlangentanz. Die Völker vereinen sich in diesem Tanz von Zeit zu Zeit, in der einenden Unbestimmtheit der gemeinsamen Herkunft. Diese Geschichte erzählt ein Mann aus dem Volk der 87 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Laufen fürs Leben – Die brasilianischen Canela-Indianer Laufen ist für die Canela-Indianer Nordost-Brasiliens Lebensinhalt. Sie laufen, um die Kraft der Sonne und den Fortbestand der Welt zu sichern. Sie sehen darin keinen Sport, sondern Rituale, die ihre frühen Vorfahren von mythologischen Wesen gelernt haben. Eines der eindruckvollsten Beispiele für diese Bewegungskultur der Canela ist das sowohl von Männern als auch Frauen durchgeführte Klotzrennen. Dabei treten zwei Gruppen gegeneinander an, wobei die Läufer jeder Gruppe abwechselnd einen schweren Holzstamm (bei Männern bis zu 150 kg, bei Frauen bis zu 80 kg) auf der linken Schulter tragen und über kilometerlange Strecken befördern. Bedeutsam ist bei diesen Klotzrennen nicht nur die hohe physische Leistungsfähigkeit hinsichtlich von Kraft und Ausdauer, sondern die kulturelle Einbindung in den gesamtgesellschaftlichen Kontext. Für die Canela ist Laufen ein Sinnbild des Lebens! Daher werden bereits Kinder und Jugendliche in entbehrungsreichen Initiationsriten als Läufer für das Leben in der Gemeinschaft erzogen. Die grundlegende Orientierung ihres Lebens sehen die Canela in den Gegensätzen amji krin, was so viel bedeutet wie fröhlich sein, glücklich sein, und amji krit, was mit Traurigkeit, Stillstand gleichgesetzt werden kann. Zu der Kategorie amji kin gehören: Wohlgeruch, Stärke, Widerstandsfähigkeit, Gesundheit, Schönheit, Geschicklichkeit und Weisheit; zu amji krit übler Geruch, Schwäche, Empfindlichkeit, Hässlichkeit, Übel und Dummheit. Diesen beiden Kategorien werden auch Naturphänomene zugeordnet. So wird die Trockenzeit mit amji kin, die Regenzeit mit amji krit identifiziert. Das heißt, die Regenzeit ist ihrem Wesen nach traurig, vom Stillstand gezeichnet, übelriechend und birgt Krankheiten, wird aber von der positiv gesehenen Trockenzeit abgelöst. Dies entspringt ihrer sinnlichen Erfahrung. Der krasse Gegensatz zwischen dem heißen, trockenen Savannensommer und dem feuchtwarmen Tropenwinter prägt den Charakter der Umwelt, in der die Canela leben. Das Gebiet der Canela liegt im Übergangsbereich zwischen Regenwald und Savanne. Es beheimatet ein außergewöhnlich reichhaltiges Tierund Nahrungsangebot für den Menschen, dass in der Trockenzeit einfach gejagt bzw. gesammelt werden kann. In dieser Jahreszeit trifft man kaum auf Giftschlangen, Spinnen und Skorpione, die durch Grasbrände vertrieben werden. Im trockenheißen Klima 88 treten nur wenige Krankheiten auf. Ganz im Gegensatz steht dazu die Regenzeit. Krankheitsfälle sind häufiger, lebensgefährliche Epidemiewellen können die Existenz ganzer Dörfer bedrohen. Mücken werden im feucht-heißen Klima zu einer regelrechten Plage. Insgesamt erzeugt der Wechsel von Trockenzeit und Regenzeit ein Spannungsfeld, das für die Canela den „Lauf der Welt“ bestimmt. Ebenso wie der Jahreszyklus steht der Einzelne im ständigen Spannungsfeld zwischen amji kin und amji krit. Ein Mensch befindet sich zunächst im Zustand des amji krit. Ein Kind ist zum Beispiel besonders anfällig für Krankheiten. Die Eltern, das Haus, die Dorfrundstrasse, das Runddorf – alles amji kin – gewähren ihm Schutz. Für den Heranwachsenden beginnt dann nach dem ersten rituellen Sexualverkehr – im Alter zwischen 8 und 15 Jahren – eine lange entbehrungsreiche Phase, die u. a. gekennzeichnet ist von Fastenzeiten. Hält er diese Zeit durch wird er schließlich Klotzläufer und zählt als solcher zur amji kin Kategorie. Steht er die Initiationszeit nicht durch, fällt er wieder in die amji krit Kategorie zurück. Ein solches Individuum bleibt weiterhin übelriechend und schwach. Nur ein echter Läufer ist demzufolge zu einem gesunden und glücklichen Leben befähigt und hält die Gemeinschaft am Leben. Der Klotzlauf nimmt in der Weltauffassung der Canela eine Schlüsselrolle ein. Er wird gleichgesetzt mit dem Überleben der Kultur, der Menschenwelt, indem er für die Gemeinschaft das amji kin bewirkt. Im Ritual des gemeinschaftlichen Klotzlaufes wird amji kin erreicht. Damit dies so ist, reichen die Klotzläufe zu den Festen nicht aus. Während der Trockenzeit findet nahezu täglich ein Lauf statt. Der Klotzlauf dient also keineswegs nur einer vordergründigen körperlichen Ertüchtigung, er ist ein „Lauf für das Leben“. Quelle: basierend auf: J. Mehringer, A. Kowalski, J.Dieckert, Laufen für das Leben, ein Besuch bei den brasilianischen Canela-Indianern, aus der Schriftenreihe des Landesmuseums für Natur und Mensch, Oldenburg, Heft 26, 2003 Dokumentarfilm Dieckert, Jürgen / Mehringer, Jakob: Amji-Kin: Der Lauf der Welt. Dokumentarfilm zum Klotzlauf der brasilianischen Canela-Indianer (44 Min.) VHS-Kassette ausleihbar unter Nr. D 1836 bei Institut für wissenschaftlichen Film, Nonnenstieg 72, 37075 Göttingen, Deutschland Sprache und Kultur – eine komplexe Beziehung 9. Sprache und Kultur – eine komplexe Beziehung In Lateinamerika werden fast 700 verschiedene Sprachen gesprochen. Dialekte dieser 700 indigenen Sprachen gibt es sicherlich Tausende. Die indigenen Sprachen Lateinamerikas sind in etwa 100 unterschiedlichen Sprachfamilien beheimatet. Offiziell sind lediglich das Spanische und in Brasilien das Portugiesische, nur in Paraguay ist Guaraní als Zweitsprache neben dem Spanischen national anerkannt, wird dort aber von der gesamten Bevölkerung gesprochen. Die indigenen Sprachen sind meist nicht anerkannt. Selbst wo dies der Fall ist, wie beispielsweise für Quechua in Peru, das in der Verfassung als offizielle Sprache benannt ist, hat diese Anerkennung gesellschaftlich und sprachpolitisch kaum Bedeutung: Kein einziges Formular lässt sich in Quechua ausfüllen, keine Gerichtsverhandlung führen und kaum ein Arzt spricht es mit seinen Patienten. 9.1. Was ist Sprache? Sprache ist ein Ausdrucksmittel der Menschen für die Welt, die sie umgibt. Mittels Sprache eignet man sich die Welt an. In Sprache manifestiert sich daher das Weltbild einer bestimmten Gruppe. Sprache bringt kulturelle Muster und soziale Organisationsstrukturen zum Ausdruck. Da sich die Umwelten und kollektiven (gemeinsamen) Erfahrungen der Gesellschaften und Völker unterscheiden, sind auch Sprachen unterschiedlich: nicht nur in anderen Vokabeln, sondern auch in den verschiedenen Bedeutungen und im unterschiedlichen Gebrauch. In den Anden beispielsweise existieren für die vielen verschiedenen Sorten der Kartoffel viele unterschiedliche Begriffe, in Deutschland kennen wir nur das eine Wort „Kartoffel“ und unterscheiden Zuchtsorten und Kocheigenschaften. Für die vielen Arten des Mais existieren in Mittelamerika jeweils eigene Begriffe. Andererseits verfügen indigene Sprachen über keine Wörter für Gegenstände des modernen Lebens. Dinge wie „Flugzeug“ oder „Computer“ können nur umschrieben werden. „Arbeiten“ im Sinne von Lohnarbeit wird bei den Kuna in Panama direkt mit dem aus dem Deutschen eingeführten Wort, das als „arbaed“ ver- schriftlicht wurde, benannt, da die Kuna früher keine Lohnarbeit kannten. Auch die Zahlen werden häufig in der Nationalsprache verwandt. Die „fehlenden“ Begriffe werden oft eher aus der Nationalsprache übernommen, als selbst einen neuen Begriff für die eigene Sprache zu entwikkeln. Dafür sind die indigenen Sprachen aufgrund fehlender Sprachförderung meist bereits zu schwach und durchsetzt mit Begriffen aus der Nationalsprache, und in ihrer Sprachpraxis zu sehr auf den häuslichen und dörflichen Alltag beschränkt. Bei lebendigen Sprachen „bürgern“ sich mit der Zeit auch neue Begriffe ein und formen sich neue Bedeutungen (schließlich existierte vor 20 Jahren auch in Deutschland das Wort „Handy“ oder „simsen“ noch nicht). Welche anderen Begriffe könnten deiner Meinung nach in indigenen Sprachen fehlen oder müssten aus den Nationalsprachen importiert werden? Warum gibt es sie nicht? Wie gehen wir mit diesem Phänomen im Deutschen um? Welche anderen Möglichkeiten gibt es? 9.2. Sprache als Ausdruck des Denkens Die Sprache spiegelt das Bild wieder, das sich Menschen von der Welt und den Bedeutungen der Dinge machen – schließlich auch von sich selbst, als Teil der Welt und Teil ihrer Geschichte. Sprache ist also Ausdruck gemeinsam geteilter Weisen des Begreifens und Denkens. Sprachgruppen wie etwa das Quechua teilen häufig ähnliche Konzepte der Welt, der Religion, Fragen der Herkunft und Welterklärung (Weltanschauung). Der Forderung nach dem Schutz und dem Erhalt der Sprachen indigener Völker sowie deren Anerkennung und Förderung kommt deshalb eine wichtige Bedeutung zu. Mit den Sprachen gehen Konzeptionen und Weltanschauungen verloren, die in einer anderen „fremden“ Sprache nicht adäquat ausgedrückt werden können, oder in anderen sprachlich-kulturellen Kontexten vor dem Verlust der eigenen Sprache nicht bekannt geworden sind. Der Begriff der Pachamama ist ein gutes Beispiel für das Wechselverhältnis von Sprache und Kultur. Pachamama ist zunächst ein Begriff aus dem Quechua und bezeichnet die Muttergottheit der andinen Religionen, 89 Sprache und Kultur – eine komplexe Beziehung die „Mutter Erde“. Der Begriff spiegelt aber auch das duale, also zweigeteilte Weltbild der andinen Kulturen: „Pacha“ bedeutet nicht nur Erde, sondern auch Lebensraum, Welt, Zeit, Universum. „Erde“ meint daher nicht nur die physische Materie, sondern den Raum, in dem der Mensch sich bewegt, und mit dem der Mensch in einem kommunikativen Verhältnis steht. Erde und Mensch reagieren aufeinander. Die „Mutter Erde“ stellt dabei den Mittelpunkt des Ganzen dar, sie ist die zentrale Kraft, in der sich das „Himmlische“ (die hohen, heiligen Berge der Anden) mit dem „Irdischen“ (die Gewässer, die Erde) verkörpert und integriert. Die Erdgottheit Pachatata . Pachamama und Pachatata („pacha“ Erde, „tata“ oder „taita“ Vater) bilden darüber hinaus das symbolische Paar, das in seiner Beziehung für die Dualität und Gegensätzlichkeit der Welt steht. Dies bringt das Grundprinzip dualen Denkens der Andenvölker zum Ausdruck: Anders sein, und doch gleichberechtigt, beide Pole der Dualität, der Verschiedenheit gehören an ihren Platz, sind notwendig, zwischen beiden spannt sich der Bogen der Gegensätze. Verschieden sein, und doch Teil eines Ganzen: Sonne-Mond, Tag-Nacht, Mann-Frau, Geist-Materie. Das Eine existiert nicht ohne das Andere. Das eine kann ohne das andere nicht existieren, nicht das eine ist gut, das andere schlecht, sondern beide sind Teil der Wirklichkeit, die sich in ihrem Spannungsverhältnis erschließt. Mittlerweile ist „Pachamama“ in den andinen – auch den nicht-indigenen – Gesellschaften weit verbreitet und hat einen folkloristischen Klang angenommen, bzw. wurde einfach zu einem Synonym für „Erde“. Somit beinhaltet diese Übernahme einen Bedeutungsverlust. 9.3. Sprachpolitik Um eine Gleichstellung der indigenen Gruppen mit der Gesamtbevölkerung zu erreichen, kommt der Sprachpolitik in den lateinamerikanischen Ländern eine große Bedeutung zu. Sie muss der Forderung nach Anerkennung der Sprachen Rechnung tragen, muss Indigenen den Zugang zu Behörden und Institutionen ermöglichen und die Teilhabe von Indigenen am öffentlichen Leben befördern. Anerkennung von indigenen Völkern meint daher auch dafür zu sorgen, 90 dass ihre Sprachen Verkehrssprachen werden, dass Indigene mit Lehrern, Ärzten oder Politikern sprechen können, dass es keine sprachliche Diskriminierung gibt. Sprachpolitik muss demzufolge auch Ausdrucks- und Entwicklungsmöglichkeiten der Sprachen unterstützen. Die sogenannte Normierung, also die grammatikalische und lexikalische Erfassung einer Sprache, ihre wissenschaftliche Erforschung und praxisnahe Vereinheitlichung ist unerlässlich. Sie ist Voraussetzung zur Erhaltung einer Sprache. Aber eine Sprache kann auch nur erhalten werden, wenn sie sich weiter entwickelt, wenn sie für die Sprecherinnen und Sprecher praktikabel und nützlich bleibt, um sich in der Welt, in der sie leben, auszudrücken und verstanden zu werden. In den lateinamerikanischen Städten leben viele Indigene, die ihre Muttersprache nicht mehr sprechen und deren Kinder diese Sprache nicht mehr erlernen. Dies hat vielerlei Gründe. Einer davon ist die Diskriminierung, unter der Indigene leiden. Um als gleichwertig anerkannt zu werden, legen Indigene da, wo sie mit Nicht-Indigenen zusammen leben und arbeiten, oft ihre Sprache sowie ihre Trachten und kulturellen Bräuche ab. Ein weiterer Grund ist der Funktionsverlust, den die indigene Sprache in einem mehrheitlich nationalsprachlichen Kontext erfährt, weil z.B. alles in Spanisch erledigt werden muss. So kann eine indigene Sprache schnell (im Laufe von 3 bis 4 Generationen) in Vergessenheit geraten und damit gänzlich verloren gehen, denn sie ist ja häufig auch nicht verschriftlicht. Die UNESCO, die Weltorganisation für Bildung, Wissenschaft und Kultur, macht darauf aufmerksam, dass solche Verluste für die gesamte Menschheit und nicht nur die jeweilige Sprechergruppe ein Verlust sind. Was ist denn so wichtig an Sprachen? Geht uns allen etwas verloren, wenn einzelne Sprachen auf immer verschwinden? 9.4. Ein Volk – eine Sprache – eine Kultur? Die Zuordnung indigener Völker anhand ihrer Sprachen ist schwieriger als zunächst erwartet. Oft lässt sich keine direkte Verbindung zwischen der sprachlichen Vielfalt und der Vielfalt kultureller Ausdrucks- Schulkinder in Guatemala formen in indigenen Gemeinschaften ziehen. So wird nicht selten die gemeinsam gesprochene Sprache als Kriterium der Zugehörigkeit zu ethnischen Gruppen herangezogen, allerdings kann die Kultur (soziale Organisation, Handwerkskunst, Religion) sich innerhalb dieser Sprachgemeinschaften unterscheiden. Dies ist der Fall in Ecuador, wo sich die Indigenen des Hochlandes einer einzigen Sprache, des Quichua, der Sprache des ehemaligen Inkareiches, bedienen, sich aber kulturell voneinander unterscheiden und sich als jeweils unterschiedliche Völker verstehen: als Otavalos, als Saraguros, als Salasaca, usw. Umgekehrt stellt sich die Situation in Guatemala dar: die Nachkommen der Maya sehen sich als ein Volk, sprechen aber viele verschiedene Sprachen. Eine wirkliche Übereinstimmung zwischen ethnischer Identität, Kultur und Sprachfamilie lässt sich also nicht finden. Abb. Maya Hieroglyphen 9.5. Orale Tradition Sprachen wurden in den alten indigenen Kulturen Lateinamerikas meist gesprochen, aber nicht geschrieben. Eine bekannte Ausnahme sind die Bilderzeichen der Maya, die bis heute als Schrift nicht vollständig dekodiert werden konnten. Man findet sie in Bauwerken der Tempelanlagen und kann sie trotz zahlreicher Untersuchungen nicht „lesen“. Auch die heutige Mayabevölkerung kann sie nicht mehr entziffern. Die Zahlen der auf der Grundlage der Zahl 20 basierenden Mayamathematik dagegen haben sich durchgesetzt und werden bis heute in den Mayakalendern genutzt und verstanden. Auch die Inka hatten ein System zur Dokumentation entwickelt. Allerdings war die Quipu, die Knotenzeichen der Inka, keine Schrift sondern ein Dokumentationssystem für die Verwaltung: Anhand der Knoten wurde beispielsweise dokumentiert, welche Abgaben die einzelnen unterworfenen Völker und gesellschaftlichen Gruppen des Inkareiches bereits bezahlt hatten. Die Quipu waren eine Art Verwaltungsmathematik für das ausgeklügelte Abgabensystem der Inka. Quipu-Knotentechnik und andine Rechentafel Die meisten indigenen Gesellschaften sind jedoch „orale Kulturen“, keine „Schriftkulturen“, d. h. sie haben keinerlei Schrift entwickelt. Das hat erhebliche Auswirkungen auf die Kulturentwicklung, auf die Bewahrung, Vermittlung und die Veränderung von indigenem Wissen. Die Geschichte und Identität eines Volkes mag anfälliger sein, wenn sie allein auf oraler, also mündlicher Weitergabe beruht, und sich nicht der Schrift bedient. Nur das bleibt erhalten, was weiter erzählt wird. Wenn die Alten sterben und ihr Wissen nicht weiter gegeben haben, ist es für die zukünftigen Generationen verloren. Verschriftlicht wird indigenes Wissen in jüngerer Zeit durch Externe, wie Ethnologen, Linguisten, Journalisten und andere Interessierte, die jedoch meist für andere Leserkreise schreiben und deren geschriebene Darstellung die mündliche Tradition und ihre Dynamik nicht ersetzen kann. Mit wachsender Bildung nehmen auch Indigene selbst an dieser Dokumentation aktiv teil, allerdings schreiben auch sie vorzugsweise in der Nationalsprache und für eine externe Leserschaft. In einigen interkulturell und zweisprachig orientierten Schulen und Bildungseinrichtungen wird das Wissen der indigenen Gemeinschaften ebenfalls gesammelt, um es in diesen Gemeinschaften selbst wieder zu beleben. Das sind jedoch neue Ansätze, über deren Erfolg noch keine Aussagen getroffen werden können. Bei den Mapuche in Chile zeigte sich, dass diese Arbeit sich lohnt, die indigenen Gemeinschaften 91 Sprache und Kultur – eine komplexe Beziehung und Dörfer selbst wieder stärker an ihrer Sprache und Kultur interessiert sind und die Anzahl der Sprecher der Mapuche-Sprache Mapudungun sogar ansteigt. Sprechen bedeutet in allen Gesellschaften ohnehin viel mehr als nur funktionaler Informationsaustausch. Sprechen ist Teil des sozialen Lebens, und findet hierin eine eigene Bestimmung. Je größer die orale Tradition eines Volkes ist, umso wichtiger wird die soziale Bedeutung, die das Sprechen bekommt. Sprachliche Kommunikation transportiert Emotion und Affekt, stellt soziales Gefüge her, wartet ab, versucht, erläutert, schlägt die Zeit tot, stellt Fragen, gibt soziale Anerkennung, und ersetzt in diesem Sinne Zeitung und Nachrichten, Rezeptbuch, Lexikon, Märchensammlung und Tagebuch. 9.6. Interkulturelle zweisprachige Bildung in Grundschulen Neben der Forderung nach ausreichend eigenem Land ist die Forderung nach Bildungsangeboten in der eigenen Sprache eine Jahrzehnte alte Forderung indigener Völker und Organisationen in allen lateinamerikanischen Ländern. Was ist damit gemeint? Zunächst einmal, dass indigene Kinder, die vor allem in den ländlichen Gemeinden bei Schuleintritt die Nationalsprache nicht beherrschen, das Recht haben, in ihrer eigenen Sprache lesen und schreiben zu lernen. Man kann nur das sinnvoll lesen, was man auch versteht. Dafür muss die Sprache verschriftlicht sein und Schulbücher müssen in dieser Sprache erstellt werden. Die Lehrerinnen und Lehrer müssen diese Sprache nicht nur sprechen, sondern sie auch lesen, schreiben und vor allem unterrichten können. Ein gar nicht so leichter Prozess! Die Nationalsprache wird zuerst mündlich erlernt. Meist ab der dritten Klasse werden dann einzelne Fächer in der Nationalsprache und andere in der indigenen Sprache unterrichtet. In einigen Ländern, wie in Guatemala endet der zweisprachige Unterricht nach der dritten Klasse und wird nur in Spanisch fortgesetzt. Bei den Mapuche in Chile und den Saraguros in Ecuador hat diese Grundschulbildung aber auch den Effekt gehabt, dass Mapudungun, bzw. Quichua wieder belebt wurden und die Eltern selbst sich heute mehr dafür interessieren. Aber diese Bildung soll auch interkulturell sein, d. h. den indigenen und den nicht-indigenen Kindern nicht nur Kenntnisse und Werte aus der Nationalkultur sondern ebenfalls aus der jeweils eigenen und den anderen indigenen Kulturen vermitteln, und dabei bei dem ansetzen, was die Kinder aus ihrem Umfeld kennen. In den Andenländern, wo es jeweils mehrere Millionen Sprecher von Quichua und Aymara gibt hat man bereits viele Erfahrungen mit diesem Bildungsmodell gemacht. Aber auch für einige der „kleineren Sprachen“ beispielsweise im Amazonastiefland wird zweisprachiger Unterricht für einige Völker umgesetzt. Vereinzelt kann man auch in zwei Sprachen bis zum Abitur lernen und mittlerweile sogar indigene Universitäten besuchen, in denen allerdings die meisten Fächer in den Nationalsprachen unterrichtet werden. Spanisch und Portugiesisch sind auch für die Indigenen Lateinamerikas die Sprachen, um sich untereinander zu verständigen. Sollte es ein Recht auf Unterricht in der Muttersprache geben? Warum ist das so wichtig? Welche Vorteile hat Zweisprachigkeit in der Schule? Welche Nachteile? Warum meint ihr, gibt es so viel Widerstand gegen zweisprachige Schulen in Lateinamerika? Welche Bezüge lassen sich zur Situation der Migranten in der deutschen Gesellschaft herstellen? Warum setzt sich eine zweisprachige Schulausbildung bei uns nur schleppend durch? Schulmädchen in Guatemala 92 Natur und das Verhältnis des Menschen zu ihr Regenwald 10. Natur und das Verhältnis des Menschen zu ihr Die Weltbilder der indigenen Völker haben Auswirkungen auf die Weise, wie sie mit ihrer Umwelt umgehen. Weltbilder stellen Regeln auf, an die die Menschen sich halten müssen. Nehmen die Menschen der Natur etwas weg, so tun sie das nur behutsam und nicht ohne Mutter Erde („Pachamama“) dafür zu danken. Eine intensive landwirtschaftliche Monokultur, die mutwillige Verschmutzung der Gewässer oder der sinnlose Mord an Tieren ist eher Ausdruck der Ausbeutung, Unterordnung der Umwelt und Maximierung von Gewinnen. Dieser Umgang entspricht nicht den indigenen Konzepten, die sich jedoch unter dem Nutzungsdruck auf die Ressourcen nicht ungebrochen durchhalten lassen. Indigene Völker kennen traditionellerweise keine individuellen Landrechte, sondern nur kollektive: das Land gehört der Gemeinschaft. Die indigene Definition von Territorium steht dabei in einem ökologischen und kulturellen Zusammenhang, der den traditionellen und gemeinschaftlichen Umgang der indigenen Völker mit ihrem Land hervorhebt. Es ist der Ort, wo die Ahnen begraben liegen, wo die Gottheiten und Geister erscheinen, es ist das Land, das Nahrung hervorbringt und der Gemeinschaft ein Zuhause gibt. Insbesondere auf Grund der fehlenden oder sehr späten Anerkennung kollektiver Landrechte durch die lateinamerikanischen Nationalstaaten haben indigene Völker diese Orientierung auf gemeinschaftlichen Landbesitz nicht durchgehalten und akzeptieren mittlerweile auch individuellen Landbesitz, wenn es ihnen so gelingt, ihre Landrechte umzusetzen. Die Kultivierung von Land hat rituellen Charakter und ist eng mit einem sakralen Umgang mit der Umwelt verbunden. Die Erdoberfläche besitzt eine weibliche, fruchtbare und spirituelle Kraft, oft entspricht Mutter Erde einer besonderen weiblichen Gottheit. In den Anden wird die neue Bewirtschaftung eines Feldes nach der Brache mit einem Ritual für Pachamama, die Mutter Erde, begonnen. Ein westliches Konzept von Natur, das den Menschen als Fremdkörper für die Natur beschreibt, ist einem indigenen Weltbild fern. Daher stoßen europäische Naturschutzmodelle auf Ablehnung, denn auch hier liegt die Trennung von Mensch und Natur zu Grunde. Gleichzeitig stellt diese Form des Naturschutzes den Umgang der westlichen Industriegesellschaft mit der Natur nicht generell in Frage, sondern isoliert und schützt kleinere Gebiete. Eine Trennung in Bodenoberfläche und unterirdische Bodenschätze, wie sie dem staatlichen Zugriff auf die Bodenschätze zu Grunde liegt, entspricht den indigenen Konzepten ebenso wenig. Die Forderung nach „territorialer Selbstbestimmung“ der indigenen Organisationen bildet die Grundlage für den eigenen Fortbestand und ist daher für indigene Völker eine Frage des Überlebens. Sie ist zugleich die Forderung, das Verhältnis Mensch-GesellschaftNatur selbst und autonom bestimmen und gestalten zu können. 10.1 Die Bedeutung traditionellen Wissens indigener Völker über die biologische Vielfalt Vom Stellenwert des indigenen Wissens Auf die traditionellen Kenntnisse und Praktiken, die indigene Gemeinschaften im Laufe von Generationen über ihre lebendige Umwelt ausgebildet und fortentwickelt haben, will die internationale Staatengemeinschaft nicht verzichten, wenn sie nach Mitteln und Wegen sucht, die bedrohte biologische Vielfalt unseres Planeten zu schützen und auf nachhaltige Weise zu nutzen. Im Rahmen unterschiedlicher Übereinkommen, Programme und Unterorganisationen der Vereinten Nationen wird über die Bedeutung dieses Kaiman 93 Natur und das Verhältnis des Menschen zu ihr Tukan Wissens nachgedacht und mittlerweile mit Beteiligung indigener Vertreter beraten. Man versucht, das Potential von überlieferten umweltverträglichen und naturnahen Nutzungsformen indigener Gemeinschaften zu bestimmen. Es wird nach Maßnahmen gesucht, die den Fortbestand dieses Wissens sichern. Man will den wirtschaftlichen Wert des indigenen Heilpflanzenwissens bemessen und sucht nach Möglichkeiten, die geistigen Eigentumsrechte der Inhaber dieses Wissens vor dem unlauteren Zugriff Dritter zu schützen. Traditionelle Wissenssysteme, die gemessen an den Standards wissenschaftlicher Forschung als nicht exakt und kaum überprüfbar galten, erfahren dadurch eine Aufwertung. Die Gründe dafür sind einsichtig, die Folgen aber außerordentlich komplex. Dies liegt daran, dass in jenen Weltregionen, die eine mannigfaltige Vielfalt an Arten und Ökosystemen ausgebildet haben, auch eine große kulturelle Vielfalt zu verzeichnen ist. Dies trifft vor allem für die tropischen und subtropischen Regionen zu, wo eine große biologische Diversität und eine Vielfalt indigener Kulturen existieren. Es wird davon ausgegangen, dass über die Hälfte aller Pflanzen- und Tierarten in den Tropischen Regenwäldern beheimatet ist. In ähnlicher Weise konzentriert sich hier eine Vielzahl menschlicher Kulturen, und zwar gerade auch indigene Völker unterschiedlicher Größe, Sprache und Kultur. Ihr besonderes Geschick liegt nicht, wie beispielsweise bei den hochkulturlichen Völkern der Inka oder Maya des amerikanischen Kontinents, in Architektur und Verwaltung, sondern im alltäglichen Umgang mit einem empfindlichen Ökosystem. Es scheint also einen Zusammenhang, wenn nicht gar eine Wechselbeziehung von biologischer und kultureller Vielfalt zu geben. 94 Wasserfall San Rafael, Ecuador Amazonien – Das Miteinander von biologischer und kultureller Vielfalt Amazonien bietet sich als Beispiel an, um diesen Zusammenhang aufzuzeigen. Es umfasst rund sieben Millionen km2 und stellt ganz zweifellos eines der artenreichsten Gebiete unserer Erde dar. Beispielsweise sollen sich hier bis zu 700 Schmetterlingsarten bei einer einstündigen Sammelaktion erfassen lassen. Neun Anrainerstaaten haben sich das Amazonasbecken aufgeteilt. Vier von ihnen, Brasilien, Kolumbien, Ecuador und Peru, zählen zu den 12 Megadiversitätsländern der Erde, in welchen sich 70 Prozent der weltweiten biologischen Vielfalt konzentrieren. Amazonien ist das größte noch zusammenhängende Regenwaldgebiet der Erde. Nach innen hin bildet es jedoch keine in sich geschlossene Einheit, sondern besteht aus einer Vielfalt unterschiedlicher Ökosysteme, die man sich wie einen Flickenteppich vorstellen kann. Hinsichtlich der indianischen Bewohner der Region ergibt sich ein ähnliches Bild. In Amazonien leben nach Angaben des 1984 gegründeten Dachverbandes der Indianerorganisationen des Amazonasbeckens COICA (Coordinadora de Organizaciones Indígenas de la Cuenca Amazónica) 400 unterschiedliche indigene Völker, die zusammen rund 2,5 Millionen Men- Brüllaffe schen zählen. Vertrauenswürdige Angaben staatlicher Stellen sind noch immer schwer zu bekommen. Man trifft dabei auf kleine Ethnien, die wie die Matapi im kolumbianischen Amazonasgebiet nur wenige Hundert Personen zählen, oder große Völker wie die Aguaruna, die am oberen Marañon in Peru leben und Zehntausende umfassen. Zwischen diesen Völkern bestehen einige Gemeinsamkeiten. Fast alle ergänzen den Brandrodungsfeldbau mit Sammel- und Jagdtätigkeit oder auch Fischfang. Bitterer und süßer Maniok (Manihot esculenta) sind weit verbreitet und in vielen Sorten bekannt. Es handelt sich um eine der ersten domestizierten Pflanzen Amazoniens, die seit 4000 bis 5000 Jahren von den indianischen Bewohnern der Region angebaut wird. Das Volk der Desâna unterscheidet bis zu 40 Kultivare, bei den Tukano sollen es 75 sein. Darüber hinaus ist Ayahuasca oder Yage (Banisteriopsis caapi) unter den Medizinmännern Amazoniens weit verbreitet. Neben solchen Gemeinsamkeiten überwiegen dennoch die Unterschiede in den Sprachen, bei den Siedlungsmustern oder der materiellen Kultur. Zwar haben Sprachwissenschaftler und Völkerkundler die rund 400 indigenen Völker Amazoniens in vier große Kulturareale und ebenso viele Sprachfamilien eingeteilt, doch sind selbst bei verwandten Ethnien die Unterschiede so groß, dass sie als unterschiedliche Völker anzusehen sind. Diese ethnische Vielfalt darf nicht mit der Multikulturalität modernen Großstadtlebens oder dem europäischen Regionalismus mit seinen Dialekten und kulinarischen Spezialitäten verwechselt werden, auch wenn dies natürlich ebenfalls ein Ausdruck kultureller Diversität darstellt. Man hat es hier vielmehr mit Völkern zu tun, die trotz aller Unterschiede dasselbe Schicksal teilten, nachdem sie erst einmal unter europäische Kontrolle gelangt waren ... Solange diese Völker einen Lebensstil pflegten, der noch nicht von Straßenbau, Bergbau, Erdölförderung oder Plantagen- und Viehwirtschaft in Mitleidenschaft gezogen war, blieb ihren Territorien eine reiche biologische Vielfalt erhalten. Man mag darüber streiten, ob es sich hier um eine Anpassung an die vorgefundene Umwelt handelt oder um eine gezielte Naturgestaltung zum Nutzen der lokalen Biodiversität. „Je komplexer ein Ökosystem, je ärmer die Böden, um so größer muss (in jedem Fall, d. V.) das Wissen sein, um einen Eingriff so zu gestalten, dass der Nährstoffkreislauf nicht unterbrochen, die Regeneration der Flora und Fauna nicht unterhöhlt wird“ (Müller-Plantenberg 1988). Indigenenorganisationen wie die oben erwähnte COICA verstehen die indianischen Völker als „Hüter„ der biologischen Reichtümer auf ihren Territorien, weil sie „durch die Anwendung ihres traditionellen Wissens die harmonische Beziehung Mensch–Natur zu erhalten wussten“ (Klima-Bündnis/Alianza del Clima e.V. & COICA 2000). Neben der Tatsache, dass ihre vorsichtigen Eingriffe und Entnahmen von Pflanzen und Tieren die biologische Vielfalt innerhalb eines Ökosystems vielleicht sogar gefördert haben, sollte auch die Bedeutung indigener und lokaler Gemeinschaften für die weltweite Ernährungssicherung nicht unerwähnt bleiben. Durch die jahrhundertelange Nutzung, die mit gezielter Auslese und Anpassung an die jeweiligen Standortbedingungen verbunden war, haben lokale Gemeinschaften weltweit eine riesige Vielfalt auch innerhalb einzelner Arten geschaffen. Heute stammen rund zwei Drittel der Weltbevölkerung von Nahrungsmitteln ab, die in irgendeiner Weise auf traditionelles Wissen zurückgehen ... Muster dieser Nutzpflanzen sind zwar mittlerweile in Genbanken eingelagert, doch muss die moderne Züchtung auf diesen ursprünglich von indigenen und lokalen Gemeinschaften geschaffenen Genpool zurückgreifen, um Sorten weiterzuentwickeln oder Resistenzzüchtungen gegen Krankheiten und Schädlingsbefall vorzunehmen ... Mittlerweile ist jedoch in den Gebieten der indigenen Völker die biologische Vielfalt in Gefahr. Es ist beispielsweise bekannt, dass in den Tropischen Regenwäldern eine große Zahl von Pflanzen und Tieren durch die Zerstörung des Lebensraums bedroht ist. Darüber hinaus sind die Folgen des vom Menschen verursachten Klimawandels auf die biologische Vielfalt noch nicht abzusehen. Es wird angenommen, dass in 25 Jahren von den heute geschätzten 12,5 Millionen Arten (die meisten davon Insekten) 1,5 Millionen ausgestorben sein werden, wenn sich der Artenschwund ungehindert fortsetzt. Die Dringlichkeit, der weltweiten Gefährdung der Biodiversität Einhalt zu gebieten, verbietet es, die traditionellen Kenntnisse und Praktiken jener Gemeinschaf- 95 Natur und das Verhältnis des Menschen zu ihr ten außer Acht zu lassen, die über Generationen hinweg mit dieser Biodiversität nachhaltig umgingen. So sieht es jedenfalls das „Übereinkommen über die biologische Vielfalt“, das 1992 auf „Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung“ in Rio de Janeiro unterzeichnet wurde. Es beabsichtigt, den Schutz mit der umsichtigen Nutzung der biologischen Vielfalt zu verbinden und stellt den Ländern des Südens für die Bereitstellung von biologischen Ressourcen einen Ausgleich in Aussicht. Traditionelles Wissen in der Biodiversitätskonvention Dieses Übereinkommen, das oft auch kurz „Biodiversitätskonvention“ genannt wird, hat traditionell lebende indigene und lokale Gemeinschaften aufgrund ihres umweltverträglichen Lebensstils als Partner bei dem Bemühen identifiziert, die biologische Vielfalt zu schützen und in einer nachhaltigen Weise zu nutzen. Es wird in der Präambel des Übereinkommens sowie in vier weiteren Artikeln auf indigene und lokale Gemeinschaften sowie ihr traditionelles Wissen Bezug genommen. Die Bestimmungen zu „traditionellem Wissen“ stehen zwar nicht im Mittelpunkt der Biodiversitätskonvention, haben aber seit deren Inkrafttreten im Jahre 1993 eine bemerkenswerte Diskussion in Gang gesetzt. Die wichtigste Bestimmung findet sich im Artikel 8, bei dem es ganz allgemein darum geht, für den Schutz der biologischen Vielfalt an ihrem natürlichen Standort, also „in-situ“, Sorge zu tragen. Dieser Artikel nimmt unter dem Abschnitt j besonderen Bezug auf dieses Wissen indigener und lokaler Gemeinschaften: Paragraph 8j „Jede Vertragspartei wird, soweit möglich und sofern angebracht, ... im Rahmen ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften Kenntnisse, Innovationen und Gebräuche eingeborener und ortsansässiger Gemeinschaften mit traditionellen Lebensformen, die für die Erhaltung und nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt von Belang sind, achten, bewahren und erhalten, ihre breitere Anwendung mit Billigung und unter Beteiligung der Träger dieser Kenntnisse, Innovationen und Gebräuche begünstigen und die gerechte Teilung der aus der Nutzung dieser Kenntnisse, Innovationen und Gebräuche entstehenden Vorteile fördern.“ 96 Diese Berücksichtigung indigener und lokaler Gemeinschaften ist in vielerlei Hinsicht als positiv zu beurteilen, nicht zuletzt weil im Unterschied zu herkömmlichen Schutzkonzepten die ortsansässige Bevölkerung einbezogen wird. Dennoch hat diese Bestimmung aus indigener Sicht einige Mängel, und es ist keineswegs klar, wie die damit zusammenhängenden Probleme zu lösen sind. So etwa steht die Bestimmung zum traditionellen Wissen indigener und lokaler Gemeinschaften im Artikel 8, der, wie erwähnt, Schutzmaßnahmen am natürlichen Standort behandelt. Die Konvention interessiert sich demnach vor allem für jene Aspekte des traditionellen Wissens, die für den Schutz und die nachhaltige Nutzung der biologischen Vielfalt „vor Ort“ wichtig sind. In den indianischen Kulturen Amazoniens lässt sich aber das biodiversitätsrelevante Wissen nur schwer aus seinem kulturellen Zusammenhang herauslösen. Als Beispiel seien die DesânaIndianer genannt, die ihre Kenntnisse über die jährlich wiederkehrenden Sternenkonstellationen nutzten, um einen eigenen Wirtschaftskalender zu entwickeln. An Sternbildern, die indianische Namen tragen, werden die Zeiten für das Roden und Anlegen der Pflanzungen, die Laichzeiten und Wanderungen der Fische, das Reifen der Früchte und das Sammeln von essbaren Tieren (z. B. Larven) abgelesen. Traditionelles biodiversitätsbezogenes Wissen steht hier in direktem Zusammenhang mit astronomischen Beobachtungen. Ein anderes Beispiel ist Curare, ein von Amazonasindianern aus u.a. Strychnos toxifera gewonnenes Pfeilgift. Seine Herstellung ist aber nicht einfach ein technisches Verfahren. Sie ist vielmehr mit zeremoniellen Handlungen verbunden und erfolgt unter strikter Geheimhaltung. Für die kommerzielle Nutzung durch Dritte sind diese kulturellen Zusammenhänge unerheblich. Die pharmazeutische Industrie identifiziert die für sie wichtigen Aspekte dieses Wissens und isoliert die interessanten Wirkstoffe. Curare etwa wurde Secoya Medizinmann zeigt eine Ayahuasca-Pflanze Jaguar Zoé-Kinder mit wilder Papaya wegen seiner lähmenden Wirkung in der modernen Medizin als Mittel gegen Starrkrampf und in der Narkosetechnik eingesetzt, bis es durch synthetische Präparate ersetzt wurde. Beim traditionellen Wissen der Indianer jedoch besteht ein enger Zusammenhang zwischen dem Pfeilgift und den Zeremonien zu seiner Herstellung. Der Verlust des zeremoniellen Wissens kann auch das ethnobotanische Wissen in Mitleidenschaft ziehen. In einer Metaphorik, die dem Indianischen nachempfunden zu sein scheint, empfiehlt ein bekannter deutscher Völkerkundler deshalb alle jenen, die sich für den ökologischen Lebensstil der Indianer interessieren, auch darauf zu achten, „wie diese Waldlandbauern mit ihrem Boden sprechen und von ihren Bienen träumen – unabhängig vom ökologischen Nutzen“ (Münzel 1991). Indianervertreter der COICA hingegen haben sich wissenschaftliche Begriffe zu eigen gemacht und sprechen vom „holistischen“ (ganzheitlichen) Charakter ihres Wissens, wenn sie die gegenseitige Abhängigkeit von biodiversitätsrelevanten und anderen Wissensgebieten herausstellen. Für das Überleben des traditionellen Wissens wird es in jedem Fall wichtig sein, dass sein kultureller Zusammenhang erhalten bleibt. Dabei kommt den indianischen Sprachen eine wichtige Rolle zu, weil Wissen immer an Sprache gebunden ist und der Verlust der indigenen Sprachen eine direkte Beeinträchtigung für das traditionelle Wissen darstellt. Der Artikel 8(j) des Übereinkommens über die biologische Vielfalt hat die Beachtung, Erhaltung und Bewahrung des traditionellen Wissens zum Ziel. Wer diese Bestimmung ernst nimmt, muss das traditionelle Wissen und die übrige Kultur als Einheit begreifen und die indigene Kultur als Ganzes schützen. Eine andere Schwierigkeit des Artikels 8(j) ist eng mit den völkerrechtlichen Neuerungen verknüpft, welche die Biodiversitätskonvention eingeführt hat. Um die Position der Entwicklungsländer zu stärken, wurde diesen die Oberhoheit über die biologischen Ressourcen übertragen. Danach unterstehen alle Pflanzen, Tiere, Ökosysteme und Bestandteile derselben, an denen indigene Gemeinschaften ihre Kenntnisse und Praktiken ausgebildet haben, der Oberhoheit der jeweiligen Nationalstaaten. Welche Ansprüche nun die indianischen Träger des traditionellen Wissens auf die zugrunde liegende Biodiversität erheben können, ist in der Konvention nicht festgelegt. Hier ist das nationale Recht der jeweiligen Mitgliedstaaten der Konvention maßgebend. Nun gestehen zwar viele Länder Lateinamerikas den indigenen Völkern Landrechte gemeinschaftlichen Zuschnitts zu, die Verfügungsgewalt über die Ressourcen jedoch, die sich auf dem Land oder unter seiner Oberfläche befinden, sind dem Staat vorbehalten. Diese Frage hat für die Biodiversitätskonvention besondere Brisanz erlangt. Die Anerkennung des Landes gehört zu den zentralen Forderungen der indigenen Organisationen und hat auch in der internationalen Diskussion eine hohe Priorität. In allen wichtigen internationalen Übereinkommen und Dokumenten, wie, um nur einige zu nennen, das Übereinkommen Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über indigene und in Stämmen lebende Völker aus dem Jahre 1989 oder der Entwurf einer Erklärung der Vereinten Nationen über die Rechte indigener Völker, sind solche Landrechtsgarantien enthalten bzw. vorgesehen. Die Biodiversitätskonvention steht vor dem Problem, dass sie Bestimmungen zum traditionellen Wissen indigener Völker zu einer Zeit völkerrechtlich definiert hat, als es diesen Völkern und ihren Vertretern gelungen war, internationale Zustimmung für eine ganze Reihe von Rechtsansprüchen zu finden. Seit den achtziger Jahren beschäftigt sich die internationale Staatengemeinschaft unter dem Dach des Wirtschafts- und Sozialrats der Vereinten Nationen mit dem Status und den Rechten indigener Völker. Anlässlich der UN-Menschenrechtskonferenz in Wien wurde 1993 das Internationale Jahr der indigenen Gemeinschaften der Erde ausgerufen und ein Jahr darauf die Internationale Indigene Dekade (19952005). Der Anspruch auf Landrechte, Selbstbestimmung, Autonomie oder Mitsprache bei staatlichen 97 Natur und das Verhältnis des Menschen zu ihr Der rote Farbstoff Rukú dient den Zoé nicht nur als Schmuckfarbe sondern auch zum Schutz gegen Insekten Entscheidungen, die Folgen für indigene Völker haben, stößt mittlerweile auf immer breitere internationale Akzeptanz. Die Vertreter dieser Völker sehen nun nicht ein, warum man hinter Erreichtes zurückfallen soll. So wird die Frage der Anerkennung des Landes, auf dem sich die dem traditionellen Wissen zugrunde liegende Fauna und Flora befindet, immer wieder an die Biodiversitätskonvention herangetragen, obgleich diese als Umweltübereinkommen für Landrechtsfragen kein Mandat hat. Dennoch wäre zu wünschen, dass die Konvention sich aufgrund ihrer entwicklungspolitischen Ziele gehalten sähe, diesen Fragen nachzugehen. Ein Teil der Vertreter der indigenen Gemeinschaften begegnet jenen Zielen der Biodiversitätskonvention mit Zurückhaltung, nach denen indigene Völker ihr traditionelles Wissen mit Dritten teilen sollen, welche es kommerziell nutzen und den ursprünglichen Inhabern dafür eine Entschädigung gewähren. Dies ist eine klare Zielsetzung des Artikels 8 (j). Welche tatsächliche Nachfrage es seitens der kommerziellen Nutzer am traditionellen Wissen indigener Völker gibt, ist schwer zu ermitteln ... Über den wirtschaftlichen Wert des traditionellen Wissens gibt es zur Zeit nur sehr allgemeine Daten. Es ist bekannt, dass rund 50 % der in Deutschland gebräuchlichen Arzneimittel auf pflanzliche Wirkstoffe zurückgehen. Darunter finden sich auch solche, die Kenntnisse indigener Gemeinschaften verwerten. Was nun die kommerzielle Nutzung indigenen Wissens durch Dritte und die Gewährung einer Entschädigung angeht, sind zwei Optionen in der Diskussion. Bei einer handelt es sich um Verträge zwischen indigenen Gemeinschaften und den an der kommerziellen Nutzung ihres Wissens interessierten Unternehmen. Die andere sucht nach Lösungen im Zusammenhang mit den vorhandenen Instrumenten der geistigen Eigentumsrechte, wie Patentrechte, Autorenrechte oder Handelsmarken. Bei der Umsetzung des Artikels 8(j) hat die Biodiversitätskonvention hier Prioritäten gesetzt. Die existierenden geistigen Eigentums- 98 rechte sollen zunächst daraufhin ausgewertet werden, ob sie für den Schutz indigenen Wissens zweckmäßig sind. Darüber hinaus soll über neue rechtliche Schutzinstrumente für dieses Wissen nachgedacht werden, wofür existierende Modelle als Vorbild herangezogen werden. Die Wünsche, die mit den vertraglichen Vereinbarungen verbunden sind, liegen auf der Hand. Theoretisch könnten beide Seiten auf die Modalitäten der Wissensbereitstellung und Gewinnbeteiligung Einfluss zu nehmen bzw. diese Modalitäten auszuhandeln. Praktisch fehlen den meisten indigenen Gemeinschaften dazu die Fachleute. Dennoch gibt es bereits eine Reihe solcher Vereinbarungen. In Peru wurde schon 1992 eine Vereinbarung zwischen dem Rat der Aguaruna und Huambisa sowie der nordamerikanischen Shaman Pharmaceuticals unterzeichnet, die sich von herkömmlichen Pharma-Unternehmen zumindest dadurch unterscheidet, dass sie eine Stiftung unterhält, welche Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt ergreift. 1996 erfuhr man von einem weiteren Liefervertrag über biologische Ressourcen mit anderen Teilen der Aguaruna-Indianer, ohne dass die Details, wie meist in solchen Fällen, publik wurden. Auch in Ecuador ist es zu Vereinbarungen zwischen indigenen Gemeinschaften und im pharmazeutischen Bereich tätigen Unternehmen gekommen. Man kann davon ausgehen, dass die Industrie derartige bilaterale Vereinbarungen ohne weitere Einmischung bevorzugt, während Indigenenund Nichtregierungsorganisationen klare und sogar international verbindliche Regeln verlangen. Gerade im Hinblick auf die bilateralen Verträge erhebt sich die Frage, welche soziale Einheit auf indigener Seite berechtigt sein sollte, einen Vorteilsausgleich für die Bereitstellung von traditionellem Wissen an, sagen wir, ein pharmazeutisches Unternehmen auszuhandeln. Man wird dabei auf die Sprachregelungen der Biodiversitätskonvention zurückverwiesen. Dort ist von „indigenen und lokalen Gemeinschaften“ die Rede. Die Väter der Biodiversitätskonvention sind nicht der Sprachregelung der Übereinkunft Nr. 169 der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) über indigene und in Stämmen lebende Völker gefolgt und haben nicht den Begriff des „Volkes“ zugrunde gelegt, der nach der ILO-Konvention 169 zwar keine uneingeschränkte Souveränität bedeutet, wohl aber eine kollektive Einheit mit Der Ozelot gehört zu den bedrohten Tierarten Amazoniens Abholzung von Regenwald einer Reihe von Rechten. Auch der Begriff „Bevölkerung“ wurde nicht verwendet, auf den stets zurückgegriffen wird, wenn solche Souveränitätsansprüche zurückgewiesen werden sollen. Offensichtlich hoffte man, diesen Disput von der Biodiversitätskonvention fernzuhalten, indem man einen von der internationalen Debatte unvorbelasteten und von völkerrechtlichen Konnotationen freien Begriff wählte, nämlich den der „Gemeinschaft“. Die „indigene oder lokale Gemeinschaft“ lässt nun aber eher an eine örtliche Gemeinde denken, die ihr Wissen unabhängig von einer Nachbargemeide desselben Volkes, die dieses Wissen ebenfalls besitzt, an Dritte weitergibt. In der Tat ist es schon vorgekommen, wie im Fall der peruanischen Aguaruna-Indianer, dass ein bilateraler Vertrag mit Gemeinschaften eines indigenen Volkes vereinbart und unterzeichnet wurde, von der andere Gemeinschaften desselben Volkes nichts wussten und nichts zu erwarten hatten, obwohl sie Teilhaber desselben kulturellen Wissens sind. Nochmals neue Probleme stellen sich bei Pflanzen, die von mehreren Völkern genutzt werden. Man kann sich leicht vorstellen, dass derartige Unklarheiten der Akzeptanz der einschlägigen Bestimmungen der Biodiversitätskonvention bei den indigenen Gemeinschaften nicht förderlich sind. Eine Ablehnung solcher Verträge ist nicht möglich, auch wenn immer wieder Stimmen aus den Reihen der Indigenen laut werden, die ein Moratorium für Bioprospektion verlangen, bis es eine angemessene Regelung für den Schutz des geistigen Eigentums am kollektiven Wissen indigener Gemeinschaften gibt. Die zweite Option, nämlich Vorteile aus traditionellem indigenem Wissen zu erwirken, indem man dieses Wissen dem Schutz des geistigen Eigentums unterstellt, Patente anmeldet, Lizenzen vergibt und daraus Vorteile zieht, weist andere Schwierigkeiten auf. Die hohen Kosten, die Patenanmeldungen in der Regel verursachen, und der Verwaltungsaufwand in den jeweiligen Ländern ist dabei nur ein Problem. Darüber hinaus ist es der Zuschnitt der konventionellen geistigen Eigentumsrechte, der für den Schutz traditionellen Wissens nur bedingt tauglich ist. Patente schützen nämlich nur für eine zeitlich begrenzte Dauer die Möglichkeiten der kommerziellen Nutzung einer individuellen Erfindung. Indigene Völker weisen aber darauf hin, dass indigenes Wissen einen kollektiven und generationsübergreifenden Charakter besitzt, der nicht in erster Linie kommerzielle Absichten verfolgt. Die Aufgabe des Übereinkommens über die biologische Vielfalt ist es deshalb zu prüfen, ob und wie ein neues rechtliches Modell für den Schutz kollektiver geistiger Eigentumsrechte geschaffen werden kann, das indigenem Wissen angemessen ist. Minimalanforderung müsste sein, dass bei Patenten die Herkunft der genetischen Ressourcen offengelegt wird und dass die Verwendung traditionellen Wissens deklariert werden muss. Darüber hinaus müssten Vertreter indigener Gemeinschaften an den Verfahren zur Erteilung geistiger Eigentumsrechte beteiligt werden. Sie müssten umfassend unterrichtet sein und Einspruchsrechte besitzen (Klima-Bündnis e. V. & COICA 2000). Die Beurteilung der herkömmlichen geistigen Eigentumsrechte für den Schutz traditionellen Wissens und die Entwicklung von Vorschlägen für ein neues Schutzsystem für dieses Wissens beschäftigen zur Zeit die „Weltorganisation für geistiges Eigentum“ (WIPO). Diese erhielt dazu von den Vertragsstaaten der Biodiversitätskonvention den Auftrag. Sie hat im Juli 2000 die Ergebnisse ihrer sogenannten „fact-finding“-Mission vor- und zur Diskussion gestellt. Diese Mission hatte das Ziel, weltweit den Bedarf am Schutz geistigen Eigentums für traditionelles Wissen zu ermitteln. Von der Biodiversitätskonvention wurde mittlerweile eine eigene Arbeitsgruppe eingerichtet, die die Umsetzung des Artikel 8(j) weiter verhandelt. Diese Arbeitsgruppe, die erstmals im März 2000 im spanischen Sevilla zusammentrat, ging daran, ein Arbeitsprogramm zur Umsetzung des Artikels 8(j) zu entwickeln und Prioritäten festzulegen. Dabei ist es den Indigenenorganisationen gelungen, ein großes Maß an Beteiligung zu erwirken. Das „Internationale Indigenenforum zur biologischen Vielfalt“ hat mittlerweile einen Beraterstatus bei der Biodiversitätskonvention erhalten. Aus: Sacha Runa – Menschen im Regenwald, Lioba Rossbach de Olmos 99 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Das unterschiedliche Verständnis vom Umgang mit der Natur zwischen indigenen Weltanschauungen einerseits und der Marktwirtschaft andererseits zeigt sich zum Beispiel an der Frage der Erdölförderung in der ecuadorianischen Amazonasregion. „Offener Brief der Huaorani an die Regierung von Alfredo Palacio, an die Einwohner von Ecuador und an die Welt: Für die Selbstbestimmung der Huaorani und gegen Petrobras in Block 31 Die Gemeinschaften der Huaorani-Nation lehnen die Übereinkunft des ehemaligen Vorsitzenden der ONHAE, Armando Boya, mit Petrobras ab, denn die Gemeinschaften wurden nicht mit einbezogen und die Übereinkunft repräsentiert nicht das, was wir von unserer Zukunft erwarten. Kein Vertreter der ONHAE hat das Recht, irgendwelche Übereinkünfte mit irgendjemandem abzuschließen, ohne zuvor unsere Gemeinschaften darüber zu informieren und unsere freie Einwilligung zu haben. Wir wollen keine weiteren Erdölunternehmen auf unserem Gebiet oder im Yasuní Nationalpark. Wir wollen nicht noch mehr Geld von den Unternehmen. Unser Gebiet dehnte sich einst vom Fluss Curaray bis zum Napo aus. Wir verloren unser Gebiet durch die Ankunft der Missionare, die mit der Erdölindustrie zusammenarbeiteten. Das Wenige, was uns jetzt noch bleibt, wird nun von genau diesen Erdölunternehmen aufgeteilt und verschmutzt. Heute ist das jetzt von Petrobras besetzte Gebiet der einzige Ort, der uns noch bleibt. Wir haben nichts mehr. Deshalb möchten wir sie nicht in unserem Gebiet. Was wird passieren, wenn unsere Kinder erwachsen werden? Wo werden sie leben, wenn sie älter sind? Unsere Flüsse sind ruhig und in den Wäldern finden wir die Nahrung, Arzneien und anderen Dinge des täglichen Bedarfs, die wir brauchen. Was wird passieren, wenn die Erdölunternehmen das zerstört haben, was uns noch geblieben ist? In den Vereinbarungen, die wir mit anderen Unternehmen wie Repsol YPF unterzeichnet haben, haben sich die Dinge schlecht für uns entwickelt. Unser gesamtes Vermögen wird von Unternehmen wie etwa Entrix verwaltet, die sich daran bereichern. Sie verwenden unser Geld um uns zu entzweien. Sie schaffen und erhalten ein System der Abhängigkeit, das das Leben der Huaorani gefährdet. Es ist 15 Jahre her, dass wir uns zu einer Nation zusammengeschlossen haben, aber die Unternehmen sind gekommen, um uns wieder zu trennen. Nun 100 verlassen die Huaorani ihr Land um für die Unternehmen zu arbeiten. Und wir werden dabei ständig ärmer. Die Huaorani kaufen Alkohol von dem Geld, das sie von den Erdölunternehmen verdienen, und sie siedeln nach Puyo um. Andere haben sich am MaxusHighway angesiedelt; sie leben nicht mehr, wie wir zuvor gelebt haben. Sie kaufen Waffen und verkaufen Tiere, und deswegen gibt es keine Affen mehr; es gibt nichts mehr zu essen. Sie gehen nach Coca und trinken Bier. Unsere Dschungel werden leer, und auf diese Weise wird unsere Nation getötet. Die Schuld an all dem tragen die Erdölunternehmen. Die Gemeinschaften der Tagaeri und Taromenani sind in Gefahr. Vor zwei Jahren wurden Mitglieder dieser Gemeinschaften ermordet. Die Erdölindustrie schafft ein Klima der Gewalt zwischen unseren Gemeinschaften und zu den Nachbargemeinschaften, und das sollte nicht zugelassen werden. Andere Menschen kommen entlang all dieser Ölstraßen auf unser Gebiet. Sie fällen Bäume, um sie zu verkaufen, und sie jagen auch die Tiere des Waldes. Es gibt niemanden, der das kontrolliert. Wir sind nur sehr wenige. Wir sind darauf angewiesen, dass sie uns respektieren, damit wir nicht verschwinden. Wir müssen uns mit unseren indigenen Brüdern des gesamten Amazonasgebiets vereinigen. Wir dürfen nicht gegeneinander kämpfen. Nur gemeinsam werden wir in der Lage sein, uns zu verteidigen, aber wir müssen dafür sorgen, dass niemand mehr in unser Gebiet kommt. Wie viel Geld gibt Repsol YPF im Namen der Huaorani aus? Was wird geschehen, wenn diese Vereinbarung endet? Wir möchten sie nicht verlängern. Wir haben davon überhaupt nicht profitiert. Diejenigen, die für das Verhältnis zu den Gemeinschaften verantwortlich sind, dringen ohne unsere Erlaubnis in unsere Gemeinschaften ein. Sie schaffen viele Konflikte zwischen den Gemeinschaften. Sie sind diejenigen, die uns an die Erdölunternehmen aushändigen. Das ist mit Milton Ortega passiert. Er darf das Land der Huaorani nicht mehr betreten. Wir wissen nun, was die Erdölunternehmen tun, wenn sie unser Land betreten. Sie verunreinigen es, wie Texaco und andere Erdölunternehmen es getan haben, und nach den Erdölunternehmen kommen die Holzfäller. Wir können so nicht weitermachen. Unsere Gemeinschaften sind diejenigen, die entscheiden müssen, wie wir unser Leben leben wollen. Wir möchten, dass die Entscheidungen in unseren Gemeinschaften sich mehr auf die Mitwirkung der Basis stützen, und dass unsere Ältesten an den Entscheidungen teilnehmen, die die weisesten Mitglieder unserer Nation sind. Sie respektieren unsere Umgebung und unsere Bräuche. Unsere Rechte sind kollektiv. Wenn Entscheidungen das Leben der Huaorani betreffen, müssen wir sie gemeinschaftlich treffen. Im Yasuní Nationalpark leben viele Fremde, die mit den Wissenschaftsstationen gekommen sind. Sie sind Biologen, Anthropologen und andere Wissenschaftler, und sie bringen uns überhaupt keine Vorteile. Zuvor gehörte unser Gebiet uns selbst. Nun ist es ein Nationalpark und Huaorani-Gebiet, und alles ist in Blöcke unterteilt. Wir verstehen das alles nicht. Wir möchten unser gesamtes Gebiet verwalten. Wir möchten weiterhin als Huaorani leben. Im Mai diesen Jahres besuchten zwei Repräsentanten der Huaorani das Treffen des Permanenten Forums für Indigenenangelegenheiten der Vereinten Nationen. Dort unterrichteten wir die Welt von unseren Problemen mit den Erdölunternehmen und vom Leid anderer Völker – Völker, die ins Nichts verschwinden. Wir möchten ihnen nicht folgen. Angesichts all dessen fordern wir: 1. Dass die Regierung von Ecuador umgehend ein zehnjähriges Moratorium für die Suche und Förderung von Erdöl auf dem Gebiet der Indigenen erlässt. 2. Dass die Regierung von Ecuador, der Internationale Währungsfonds IMF sowie die Weltbank sich mit den Indigenen Ecuadors treffen, um über das Moratorium sowie über den teilweisen Erlass der Auslandsschulden Ecuadors zu sprechen. 3. Dass Lula da Silva, der Präsident Brasiliens, das Unternehmen Petrobras aus dem Yasuní Nationalpark und dem Gebiet der Huaorani entfernt. 4. Dass eine Delegation der Regierung Ecuadors hierher kommt und sich ansieht, was die Erdölunternehmen im Yasuní Nationalpark und auf dem Gebiet der Huaorani getan haben, so dass sie selbst die Verschmutzung und die Auswirkungen auf unser Gebiet sehen können. 5. Dass der Staat Ecuador seine Verpflichtung gegenüber den Huaorani erfüllt, was Ausbildung, Gesundheitsvorsorge und andere grundlegend notwendige Dinge betrifft, so dass unsere Abhängigkeit von den Erdölunternehmen beendet wird. 6. Dass die Regierung Ecuadors den UN-Sonderbeauftragten für Menschenrechte und Freiheit indigener Völker einlädt, Ecuador zu besuchen, so dass dieser sich ein Bild von dem Leben indigener Völker in der heutigen Zeit machen kann. 7. Dass die Regierung Ecuadors das Gebiet der Tagaeri- und Taromenani-Gemeinschaften unter ihren besonderen Schutz stellt. 8. Dass die Regierung Ecuadors die Huaorani beim Erhalt einer finanziellen Entschädigung für die von Texaco und anderen Erdölunternehmen verursachten Umweltschäden und sozialen Probleme unterstützt. 9. Dass die Regierung Ecuadors eine Untersuchung von Entrix und anderen Organisationen einleitet, welche Zahlungen im Namen der Huaorani erhalten. 10. Dass Milton Ortega und andere Sprecher von Unternehmen und Regierung unser Gebiet verlassen. 11. Dass die Regierung Ecuadors andere Formen der Energiegewinnung findet als Erdöl, die weder das Leben der Menschen noch die Umwelt zerstören. Wir laden alle indigenen Nationen in Ecuador, in der Amazonasregion und auf der gesamten Welt ein, sich uns anzuschließen. Wir laden auch die Umweltschützer, Nichtregierungsorganisationen und Einzelpersonen dazu ein, sich uns in diesem Kampf um unser Leben anzuschließen, damit unsere Kinder und alle Lebewesen auf dieser Erde auf Dauer eine Zukunft haben. Organisation der Huaorani, 27. Juli 2005 (Quelle: www.pro-regenwald.de Übersetzung: Pro REGENWALD, Petra Fischbäck) weitere Informationen zu den Huaorani siehe auch: www.huaorani.de 101 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Kleidung 11. Kleidung Webende Maya-Frau aus Zinacantán, Mexiko Gewebter Frauenumhang aus Zinacantán, Mexiko Kleidung ist ein wichtiger Ausdruck der Identität. Über die Kleidung wird auch bei uns die Zugehörigkeit zu einer Gruppe oder zu einer bestimmten sozialen Schicht ausgedrückt. Für viele indigene Völker ist die Kleidung Bestandteil ihrer Kultur und sogar ihrer Weltanschauung. Verdeutlicht wird dies im Folgenden am Beispiel der Textilkunst der Maya. Textilkunst der Maya Die viel bewunderte Textilkunst der Maya-Indianer hat zwar eine lange Tradition, die Bedeutung dieser Kunst und ihre Verwendung unterliegen jedoch seit Jahrhunderten deutlichen Veränderungen. Zwar wird es hier um die Textilkunst im Zusammenhang mit einer sich wandelnden Bekleidung der Maya gehen, es bleibt aber festzuhalten, dass vergleichbare Entwicklungen auch anderswo in Lateinamerika und in anderen ethnischen Zusammenhängen zu beobachten sind. Dies gilt sicher nicht nur für den Textilbereich, sondern in ähnlicher Weise auch für andere Bereiche künstlerischen Aus- 102 drucks wie z. B. die Herstellung und Verzierung von rituellen und auch von alltäglichen Gebrauchsgegenständen (z. B. Körbe, Tongefäße) sowie die Bemalung des eigenen Körpers. Immer wieder wird betont, dass es sich bei der Textilherstellung der Maya-Indianer um eine Jahrtausende alte Textilkunst handelt, die bis heute erhalten ist. Gerne wird am Beispiel der Maya-Trachten in Mexiko und Guatemala die Verbundenheit mit einer „uralten“ Tradition und Kunst verdeutlicht. Es entsteht der Eindruck, die Maya-Indianer lebten bis heute genauso wie vor über 2000 Jahren. Nicht zuletzt sind es gerade auch die oft bunten, gemusterten und fremdartigen Trachten, die allein schon das äußere Erscheinungsbild verschiedener Ethnien weltweit für den europäischen Betrachter interessant erscheinen lassen. Daran scheint sich seit der Eroberung Lateinamerikas durch die Spanier vor über 500 Jahren nicht wirklich etwas verändert zu haben. Nicht immer waren die Maya-Frauen jedoch mit handgewebten Huipiles (Blusen) aus Baumwolle bekleidet: Bevor die Spanier die von den Maya bewohnte Region eroberten, waren es nämlich nur Göttinnen und besonders wohlhabende, in der hierarchischen Gesellschaft der Maya hoch stehende Frauen gewesen (z. B. Königinnen), die solche wertvollen Huipiles tragen durften. Erst nachdem die Spanier die Macht übernommen hatten, kam es nach und nach dazu, dass alle Frauen sich mit einem Huipil bekleideten. Für die christlichen Spanier waren die nackten Oberkörper der Frauen untragbar gewesen, d.h. sie drängten die indigenen Frauen und auch Männer durch Kleidervorschriften dazu, sich „anständig“, d. h. eher den Vorstellungen der Spanier entsprechend, zu kleiden. Für die Männer bedeutete dies, nicht mehr nur einen Lendenschurz zu tragen, sondern darüber eine weite Beinkleidung. Wer ein öffentliches Amt anstrebte, hatte Schuhe, lange Hosen, Jackett und Hut zu tragen. Das Rückengurtwebgerät, mit dem viele Jahre lang besondere und weniger auffällige Huipiles gewebt wurden und noch werden, hat sich seit vielen Jahrhunderten nicht wesentlich verändert: Es besteht aus mehreren Stöcken, die letztendlich durch die mit ihnen gespannte Webkette zum Rückengurtwebgerät werden (s. Abbildung). Rückengurtwebgerät (Skizze) Die Weberin arbeitet meist kniend mit dem Gerät, das sie mit Hilfe eines breiteren Gurtes um ihre Hüfte herum an ihrem Körper befestigt hat – daher der Name „Rücken-gurt-webgerät“. Der obere Teil des Gerätes wird an einem Baum oder einem Hauspfosten befestigt. Das Gewebe entsteht dann durch regelmäßiges Einführen des Schussfadens, das quer zur gespannten Webkette stattfindet. Das Weben mit dem Rückengurtwebgerät ist zeitaufwändig: Für die Herstellung eines Huipiles sind je nachdem, welche sonstigen Aufgaben die Weberin hat, mehrere Wochen nötig. Allein die Vorbereitung des Webgerätes ist langwierig: Der Faden muss zur Erstellung der Webkette um ein besonderes Gerät gewickelt und die Umwicklungen dabei gezählt werden, dann wird das Ganze von dem Wickelgerät abgenommen und die Webstangen in die Schlaufen eingeschoben. Alle Fäden der bis zu 80 cm breiten Webkette müssen sehr genau nebeneinander sortiert werden, damit überhaupt gewebt werden kann, anschließend müssen Teile der Fäden auf den so genannten Fadenkamm aufgezogen werden. Erst dann kann überhaupt mit dem Weben begonnen werden. Zur Herstellung eines Huipiles werden nach dem Weben zwei oder drei gewebte Streifen zusammen genäht. Der Huipil ist also kein aus Stoff geschneidertes Kleidungsstück, sondern ein nicht zugeschnittener Überwurf mit einer rechteckigen Form, der durch Seitennähte zu einer Art Bluse wird. Handelt es sich um ein Textil aus Schafwolle, so ist die Vorbereitung deutlich aufwändiger: Die Schafe müssen geschoren, die Wolle gewaschen und gezupft und dann gekämmt und gesponnen werden, bevor die Webkette vorbereitet werden kann. Die Webkette ist breiter als bei Baumwolltextilien, weil die fertigen Gewebe vor dem Zusammennähen zu einem Wollhuipil noch gewalkt werden, wodurch sie schrumpfen. Beim Walken wird das Gewebe immer wieder aufgerollt und mit Wasser übergossen und mit den Händen oder Füßen geknetet. Das Gewebe zieht sich zusammen und wird so besonders dicht und wasserabweisend, eine Eigenschaft, die im kühlen Hochland zumal in der Regenzeit einen guten Schutz vor Regen und Kälte bietet. Besondere Aufmerksamkeit erregt die Technik des Brokatwebens. Dabei wird ein gesonderter Zierfaden zusätzlich zum Schussfaden in die Webkette eingeführt. So entstehen Muster, die zentrale Vorstellungen der Maya über die Welt, die Götter, die Tiere und Menschen widerspiegeln. Der in der Brokattechnik gewebte Teil des Huipils, der Teil um den Halsausschnitt, bedeckt die Schultern sowie die Brüste und den oberen Rücken der Trägerin. Es heißt, dass das viereckige Brokatgewebe die Welt der Maya darstelle, die Trägerin befindet sich also im übertragenen Sinne im Zentrum der Mayawelt. Für die Maya-Indianer ist die Welt viereckig, sie besteht aus drei Ebenen: erstens der Oberwelt mit dem Gott des Wissens bzw. dem Himmelsvogel Itzamná, der über die Sonnenbahn wacht, zweitens der Mittelwelt, die der Erdoberfläche entspricht und auf der die Menschen leben, und drittens der Unterwelt, in die Höhlen hinab führen und die das Reich der Ahnen und Götter ist. Dieser dreigeteilte Kosmos wird vom Weltenbaum zusammen gehalten, der sich in der Mitte befindet. Der Erdoberfläche werden je nach Himmelsrichtung vier verschiedene Farben zugeordnet, Farben, die sich auch im Brokatgewebe eines Huipils wiederfinden: Rot (Osten), Gelb (Süden), Schwarz (Westen) und Weiß (Norden). Kleidung ist ein wesentlicher Bestandteil der Alltagskultur. Mit Kleidung drücken Menschen etwas aus über ihre gesellschaftliche Position (z. B. ein Amt, das sie „bekleiden“), ihre Gruppenzugehörigkeit (z. B. zu einer bestimmten Ethnie), in unterschiedlichem Maße über ihre persönlichen Vorlieben (z. B. Material, 103 Kleidung Farbe, Ausgestaltung) und nicht zuletzt sind für Insider meist die jeweiligen finanziellen Möglichkeiten des Trägers oder der Trägerin an der Kleidung abzulesen. Diskussion: Überlegt, welche unterschiedlichen Kleidungsstile euch bekannt sind. Dabei könnt ihr z. B. Uniformen berücksichtigen genauso wie eure eigene Kleidung. Wer trägt was und warum? Was will der Träger/die Trägerin mit der Kleidung ausdrücken? Ebenso wie in Europa ist die jeweilige Botschaft nur denjenigen verständlich, die die jeweilige „Sprache dieser Kleidung“ kennen und zu verstehen wissen. So bleibt ein mit vielen Mustern versehener Huipil (Bluse) einer Maya-Indianerin für den europäischen Betrachter einfach nur ein „buntes, farbenfrohes, interessant gemustertes, exotisches“ Kleidungsstück. Genau deshalb erwerben die meisten Touristen es auch. Innerhalb des direkten Lebensumfeldes einer Indianerin oder eines Indianers spielt die mit der Kleidung transportierte Botschaft dagegen eine große Rolle. Deutlich zu erkennen ist zunächst die Dorfzugehörigkeit, ein Merkmal, das sich jedoch höchstwahrscheinlich erst durch die Spanier entwickelte. Die Spanier wollten nämlich die Indigenen an bestimmte Gegenden binden, um so u. a. auch durch die unterschiedliche Kleidung von Dorf zu Dorf deren Kontrolle zu erleichtern. Entsprechend trägt z. B. eine Maya-Frau aus San Juan Chamula in Südmexiko, die zur Gruppe der TzotzilMaya gehört, einen schwarzen Wollrock mit rotem, breitem Gürtel und eine einfarbige Bluse mit Stickerei am Halsausschnitt und Borten an den Schultern und Armen, während eine ebenfalls zur Gruppe der Tzotzil-Maya gehörende Frau aus dem Nachbardorf San Lorenzo Zinacantán sich mit einem schwarzen Baumwollrock und einem weißen, im Kreuzstich auf Vorderund Rückenteil viel besticktem Huipil sowie einem Umhang mit Blumenstickerei bekleidet. Ebenso sind die dazu gehörenden Männer ganz deutlich bezüglich ihrer Dorfzugehörigkeit zu unterscheiden: Zwar verwenden vor allem jüngere Männer beider Dörfer auch Blousonjacken bekannter Basketballmannschaften sowie Jeans, Sportschuhe und Schirmmützen – trotzdem wird man nur bei den Männern aus Chamula 104 über einem Oberhemd westlichen Zuschnitts weiße Überwürfe aus Schafwolle finden und nur bei den Männern aus Zinacantán aus Baumwolle gewebte Überwürfe mit aufgestickten Motiven in den Farben Rot, Rosa, Violett, Grün und Schwarz. Diese Kleidung muss nicht immer nur ein Hinweis darauf sein, dass die so bekleidete Person in dem jeweiligen Dorf lebt. Vielmehr wird sie auch von Frauen und Männern sowie Kindern getragen, die ihr Dorf verlassen haben und in der Stadt San Cristóbal de Las Casas, dem Zentrum der Hochlandregion von Chiapas/Südmexiko mit über 100.000 Einwohnern, leben. Das heißt, dass die Kleidung allgemein die Herkunft und Gruppenzugehörigkeit einer Person anzeigt. Interessant ist der Kleidungswechsel im Falle einer Heirat: Heiratet z. B. eine Frau aus irgendeinem Hochlanddorf einen Mann aus Chamula, so wird sie ihre bisherige, dorftypische Kleidung ablegen und die für Chamula-Frauen übliche Kleidung übernehmen. Eine weitere Botschaft, die mit der Kleidung übermittelt wird, ist die aktuelle gesellschaftliche Position. Zu offiziellen Anlässen, und davon gibt es viele in Chamula, zeichnen sich Amts- und Würdenträger wie z. B. der Präsident einer Gemeinde, der Richter, die Polizisten und andere durch eine besondere Bekleidung aus. Anders als die Nicht-Würdenträger sind sie mit einem großen, mit bunten herabhängenden Bändern verziertem Hut behütet, ein schwarzer Wollüberwurf wird mit einem Ledergürtel ohne Schnalle zusammen gehalten, die Beine sind mit einer dreiviertellangen, weißen Baumwollhose bekleidet und, ebenso auffällig wie der Hut, sind die so genannten Caites, Sandalen mit einer bis zur Mitte der Waden reichenden Ferse. Bei den Würdenträgerinnen, die vor allem im Zusammenhang mit religiösen Zeremonien in der Öffentlichkeit auftreten, fallen eine wollene, bestickte Kopfbedeckung sowie ein schwarzer Wollhuipil (Wollbluse) auf, der von einer Kette mit vielen bunten Bändern begleitet wird. Hinzu gehört ein Baumwollhuipil, der sich im Schulter- und Brustbereich durch Brokatweberei in Blau auszeichnet. Von zentraler Bedeutung ist auch die Qualität der in diesen offiziellen Zusammenhängen getragenen Kleidung: Die Oberfläche der Wolltextilien ist besonders dicht und flauschig, d. h., dass möglichst langhaarige und deshalb wertvollere Wolle zur Herstellung verwendet wird. Detail – gewebter Frauenumhang aus Zinacantán, Mexiko Obwohl in den Augen von Außenstehenden, die die „Sprache“ dieser Kleidung nicht beherrschen, alle Chamula-Indianer im Hinblick auf die Kleidung gleich auszusehen scheinen, gibt es persönliche Vorlieben und je nach den persönlichen finanziellen Möglichkeiten Unterschiede in der Bekleidung. Nach traditionellen Vorstellungen erlernt jedes Mädchen die Webkunst. So sollte sie den Idealvorstellungen nach später, also als verheiratete Frau, die Bekleidung für alle Familienmitglieder herstellen. Es wird gesagt, dass eine gute Weberin auch eine fleißige, verantwortungsvolle Frau sei – Eigenschaften, die sie für einen zukünftigen Ehepartner interessant machen. Gleichzeitig gibt es aber schon lange Ausnahmen von dieser Regel: Bereits früher webten besonders befähigte Weberinnen die Huipiles in auffälliger Qualität für die Heiligenfiguren in ihrer Dorfkirche. Inzwischen fertigen Spezialistinnen im Sinne einer beruflichen Spezialisierung Kleidungsstücke für Mitglieder derselben Ethnie in Auftragsarbeit an. Teilweise werden mit dem Rückengurtwebgerät gewebte Textilien für den indigenen Gebrauch auch in andere Regionen Mexikos verkauft, nämlich an dort lebende Maya, die das Weben selbst nicht mehr praktizieren. Meistens tun sie dies nicht mehr, weil ihre ganztägige Arbeit an einem Verkaufsstand für Touristen sie daran hindert, mit dem Rückengurtwebgerät zu weben. Textilkunst für Touristen Inzwischen ist in Südmexiko seit den 1970er Jahren die Herstellung von Textilien zum Verkauf an Touristen zu einer bedeutenden Einnahmequelle geworden: Zum Einen werden mit dem Rückengurtwebgerät wollene Überwürfe, Schulterschals und Westen produziert, die nicht mehr viel mit den Textilien der indigenen Weberinnen für den eigenen Gebrauch zu tun haben (so genannte „Airport Art“); zum Anderen werden aber auch hochwertige, handgearbeitet Textilien in indigenen Kooperativgeschäften an Touristen verkauft. Der Verkauf an Touristen hatte in Verbindung mit anderen ökonomischen und gesellschaftlichen Entwicklungen im Hochland von Chiapas nicht nur im Hinblick auf die textilen Kunstwerke selbst Folgen, sondern auch für die beteiligten Menschen und ihre (Kleidungs-)Kultur bzw. Gesellschaft: Nicht jedes indigene Mädchen erlernt heute die Webkunst; es ist zu einer beruflichen und räumlichen Spezialisierung gekommen, wobei die Produzentinnen meist in abgelegenen Orten die Händlerinnen in touristischen Zentren leben. Da viele indianische Familien nicht von der Landwirtschaft leben können, sind immer mehr Frauen auf den Verkauf von kunsthandwerklichen Produkten an Touristen angewiesen, so dass sich die Zahl der Anbieterinnen in der Region seit 1990 drastisch erhöht hat. Eine Folge davon ist, dass immer mehr Frauen aus den Dörfern in andere touristische Regionen abwandern. Kleidung heute Die Kleidung der Indigenen verändert sich heute schneller als in den Jahrhunderten zuvor – sie unterliegt modischen Veränderungen, die durch ein entsprechendes Warenangebot auf Märkten und in Geschäften angeregt werden. Zu einem solchen Angebot gehören hübsche Garne in neuen Farben, auch u. a. Lurexgarne, genauso ein breiteres Angebot an verschieden farbigen Blusen, Produkte wie z. B. Schulterschals (Rebozos) aus anderen mexikanischen Regionen und nicht zuletzt jede Menge Altkleidung aus Europa und den USA, die für wenig Geld auf den Märkten zu kaufen ist. Überlegt zuerst, was ihr mit euren Kleidern macht, die ihr nicht mehr braucht oder haben wollt. Schenkt ihr sie jemand anderem? Oder werft ihr sie in den Altkleidercontainer? Recherche: Informiert euch über das Thema „Altkleider“ (z. B. im Internet bei „Südwind“, oder bei der Kommunalverwaltung oder caritativen Einrichtungen, die Altkleidersammelcontainer aufstellen). Wer sammelt Altkleider? Was passiert mit den Altkleidern, wenn sie aus dem Container kommen? In welche Länder werden sie geschickt? Wer kauft sie dort? Diskussion: Überlegt und diskutiert in der Klasse, welche Folgen euer jeweiliger bisheriger Umgang mit euren abgelegten Kleidern hat. Welchen Umgang mit Altkleidern findet ihr sinnvoll und gut? 105 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Hier siehst du zuerst ein Kosmos-Modell der Maya. Weiter unten findest du zwei Fotos: Eines zeigt einen Huipil aus San Andrés Larrraínzar, Chiapas, Mexiko; ein weiteres ein Detail von diesem Huipil. Es heißt, dass insbesondere ein handgewebter Zeremonialhuipil den Maya-Kosmos widerspiegelt. Aufgabe: Findest du die beschriebenen Tiere und Symbole auf dem Ausschnitt des Huipils wieder? Verbinde jeweils die Beschreibung/Zeichnung durch einen Strich mit dem entsprechenden Motiv auf dem Huipil. Du kannst diese Seite auch ausdrucken und die zueinander passenden Motive in Schwarz-Weiß in der Reihenfolge untereinander auf ein Blatt Papier aufkleben wie sie auf dem Foto mit dem Huipil zu erkennen sind. Abb.: Gefiederte Schlange bzw. Maisfeld (Quelle: Morris, Walter F. : A Millennium of Weaving in Chiapas. Mexico 1986, S. 12) Das Kosmos-Modell der Maya (Quelle: GEO -Epoche Nr. 15, Gruner+Jahr, Hamburg, 2004, S. 74) Huipil aus San Andrés Larraínzar, Chiapas/Mexiko Huipil aus San Andrés Larraínzar, Chiapas/Mexiko Abb.: Diamant (Quelle: Morris, Walter F. : A Millennium of Weaving in Chiapas. Mexico 1986, S. 11) Abb.: Unsere Ahnen, Vater und Mutter (Quelle: Morris, Walter F. : A Millennium of Weaving in Chiapas. Mexico 1986, S. 13) Abb.: Halber Diamant (Quelle: Morris, Walter F. : A Millennium of Weaving in Chiapas. Mexico 1986, S. 11) Abb.: Heilige und Kröte (Quelle: Morris, Walter F. : A Millennium of Weaving in Chiapas. Mexico 1986, S. 12) 106 Ernährung 12. Ernährung Maya-Frau im Maisfeld 12.1. „Vom Boden in den Mund“ – Ernährung im indigenen Lateinamerika In den unterschiedlichen Regionen Lateinamerikas sind verschiedene Nutzpflanzen seit langem bekannt. So lassen sich Kulturpflanzen im mittelandinen Hochland seit etwa 6000 v.Chr. nachweisen. Mais wurde in Mexiko bereits 5000 v. Chr. geerntet. Bis heute spielen diese Pflanzen wie zum Beispiel Bohnen, Kartoffeln und Maniok eine große Rolle in den indigenen Kulturen Süd- und Mittelamerikas. Mais ist das Grundnahrungsmittel in Mittelamerika und Mexiko, Maniok in den meisten Gebieten Amazoniens und die Kartoffel im Andenhochland. Aufgrund der zentralen Bedeutung einzelner Pflanzen als Nahrungsgrundlage haben die meisten indigenen Gruppen eine enge Beziehung zur jeweiligen Pflanze. Es gibt Geschichten über das Verhältnis von Mensch und Pflanze. In einigen Völkern wird die Entstehung der Menschheit direkt mit einzelnen Pflanzen in Verbindung gebracht. Die Pflanzen haben nicht selten einen wichtigen Platz in den jeweiligen Glaubensvorstellungen der Menschen, für die sie überlebenswichtig ist. Die Produktion der Nahrung nimmt einen bedeutenden Platz im Alltag Indigener in Süd- und Mittelamerika ein. An erster Stelle steht die erfolgreiche Pflanzenproduktion, der Anbau und die Ernte. Zum Bestellen der Äcker wird das Brandrodungssystem genutzt. Die Fläche wird zu Beginn der Trockenzeit gerodet und bleibt die Trockenzeit über auf dem Feld liegen. Vor Beginn der Regenzeit und der Aussaat wird die getrocknete Vegetation abgebrannt. Die Asche dient als Dünger. Eine genaue Kenntnis der Abfolge von Trocken- und Regenzeit ist notwendig, um den richtigen Zeitpunkt für das Roden, Brennen und Säen zu bestimmen. Der Boden laugt relativ schnell aus. Meist können die Äcker nur zwei bis vier Jahre genutzt werden, danach muss eine längere Brache folgen. Das Brandrodungssystem kann also nur funktionieren, wenn genügend Land für den Ackerbau zur Verfügung steht. Die Zubereitung der Nahrung und die Nahrungsaufnahme in der Gruppe nehmen viel Zeit im Tagesablauf ein. Bei der Zubereitung werden besondere Geräte und Techniken verwendet, die bei uns nicht bekannt sind. So werden bei den Wayana in Brasilien Maniokpressen aus Korbwaren verwendet, um den giftigen Saft des Maniok zu entfernen. Außerdem gibt es eine bestimmte „Kultur der Nahrungszubereitung“, es gibt Regelungen, wer die Nahrung wann, wie und für wen zubereitet. Zur Zubereitung der Mahlzeiten für ein Fest wird gemeinsam gearbeitet. Die Yanomami im Amazonasgebiet reiben zum Beispiel gemeinsam den Maniok für die Festtagssuppe an einem ausgehöhlten Baumstamm. Die Suruahá entgiften zerriebenen Maniok in riesigen Körben im Fluss 107 Ernährung Ebenso ist die Nahrungsaufnahme geregelt: Wo und wie wird gegessen und, ganz wichtig, mit wem? Die Nahrungsaufnahme ist in vielen indigenen Kulturen ein wichtiger „sozialer Event“. Die Rollenverteilung bei der Nahrungsaufnahme lässt Rückschlüsse auf bestehende soziale Beziehungen zu. Natürlich sind indigene Kulturen in vielen Fällen nicht gänzlich unberührt von so genannten „modernen“ Einflüssen. Dies gilt auch für die Ernährung. Lebensumstände verändern sich, beispielsweise durch Arbeitskontakte oder Umzug in die Stadt. In der Stadt ist die Familie oft nicht mehr vollständig und die Rollenverteilung bei der Zubereitung der Mahlzeiten verlagern sich. Ernährungs- und damit verbundene Gewohnheiten verändern sich teilweise in rasantem Tempo. Auch spielen weltweite wirtschaftliche Zusammenhänge eine Rolle. Hierzu gehören der Import und Export von Grundnahrungsmitteln ebenso wie der Einfluss des Tourismus auf indigene Kulturen. Um eine konkrete Vorstellung zu den bisher aufgeführten Aspekten zum Thema „Essen“ bei indigenen Gruppen in Lateinamerika zu bekommen, werden diese im Folgenden am Beispiel der Maya-Indianer in Südmexiko erläutert. Dies bietet sich an, weil Mais das Grundnahrungsmittel in Mexiko und gleichzeitig auch hierzulande gut bekannt ist. Dies ermöglicht einen Vergleich, der über die Pflanzenanalyse bzw. Daten und Fakten zur Ernährungslage weit hinaus- Maiskolben auf dem Markt 108 geht. Angeregt wird ein „Blick über den eigenen Tellerrand“ auf die eigene und die „fremde“ Esskultur mit ihren Unterschieden und Gemeinsamkeiten. Hintergründe werden erkennbar und die Analyse von Zusammenhängen zwischen Nahrung/Essen und sonstigen kulturellen Bereichen (z. B. soziale Beziehungen und materieller Kultur) werden gefördert. 12.2. Mais „Du bist, was du isst“ ist ein Ausspruch, der hierzulande modern geworden ist. Auch in Lateinamerika ist der Zusammenhang zwischen „Menschsein“ und Ernährung nicht unbekannt. Die Ursprungsmythen der Maya-Indianer in Mexiko beschreiben, wie die Maya aus der Maispflanze heraus entstanden sind. Bis heute bezeichnen sich die Maya auch als „Maismenschen“. Der Maisgott Hun Hunahpu spielt im Glauben der Maya eine wichtige Rolle. Mais ist eine in Lateinamerika seit langem bekannte Kulturpflanze. Zusammen mit Bohnen und Kürbissen gehört der Mais zu den ersten Feldfrüchten, die die Bewohner Mesoamerikas anbauten. Bereits 5000 v.Chr. wurde im heutigen Mexiko Mais geerntet. Er ist bis heute das Grundnahrungsmittel in Mexiko, insbesondere für die indigene Bevölkerung. Die Vielfalt der Maiszubereitung Die zentrale Bedeutung von Mais, auch bei der nichtindigenen Bevölkerung, zeigt sich in der Vielfalt an Speisen, deren Grundlage Mais ist. Hier einige Beispiele: Maisfladen, Tortillas genannt, werden fast zu jeder Mahlzeit gegessen. Ein nahrhaftes Getränk aus Maismasse ist die Atole, die auch mit Kakao zu verfeinern ist – ein über dem Feuer gerösteter oder in Wasser gekochter Maiskolben wird mit Chili und Mayonnaise bestrichen und mit Limettensaft beträufelt zu einer köstlichen Zwischenmahlzeit für unterwegs. 60 % der täglichen Kalorienmenge deckt ein Maya im Durchschnitt durch Maisfladen ab. An Festtagen gibt es etwas Besonderes zu essen: Gemüsesuppe mit Hühnerfleisch und seltener auch Rindfleisch, außerdem Tamales, eine weitere Maisspezialität. Tamales bestehen aus Maisteig, der z. B. mit Bohnen oder Rindfleisch durchmengt und zu einer länglichen Kugel geformt wurde, um dann in Bananenblättern in Wasser gekocht zu werden. Vor dem Essen werden die Tamales ausgewickelt, die Blätter werden nicht mitgegessen. Die Tortilla Rund um die Tortillas rankt sich eine entsprechende Koch- und Esskultur. Besonders in ländlichen Regionen stellen die Frauen den Maisteig für die Tortillas selbst her. Sie lösen zunächst die Maiskörner vom Kolben und weichen die Körner in Wasser mit Kalk oder Herdasche über Nacht ein. Frühmorgens im Morgengrauen sind es die Frauen, die als erste aufstehen, um frische Tortillas für die ganze Familie zu backen. Sie gießen zuerst das Wasser von den eingeweichten Maiskörnern ab. Dann mahlen die Frauen auf dem Boden kniend den gekochten Mais auf dem „Metate“, einem steinernen Mahltisch, mit einer Handwalze, dem „Mano“. Dazu wird immer ein wenig gekochte Maismasse auf den Stein gegeben, der „Mano“ zwischen beide Hände genommen und die Masse immer feiner gemahlen. Aus der Masse werden flache, runde Fladen, die Tortilla, geformt, die dann zum Backen auf den so genannten „Comal“, einer großen auf dem offenen Feuer liegenden Platte aus Ton oder Blech gelegt wird. Jede Tortilla muss nach kurzer Zeit gewendet werden damit sie von beiden Seiten gebacken wird. Bläht sie sich auf, ist sie fertig. Anschließend wird sie in eine Kalebasse, eine birnenartig geformte, größere kürbisartige Frucht des Kalebassenbaums, gelegt. In der Kalebasse, die mit einem Deckel zugedeckt wird, bleiben die Tortillas warm, bis sie nach und nach von der Familie gegessen werden. Die frischen, noch warmen Tortillas werden einfach mit etwas Salz und Chili oder auch mit Bohnenmus bestrichen gegessen. Es gibt bestenfalls einen etwa 30 cm hohen Tisch für alle, auf dem die Kalebasse mit den Tortillas steht, ein Näpfchen mit Salz sowie eine Schale mit Bohnenmus oder Suppe und, nicht zu vergessen, einige auf dem Tisch liegende, kleine, rote Chilischoten. Jeder bedient sich mit den Fingern, die natürlich zuvor gewaschen wurden, wer etwas Bohnensuppe möchte, trinkt direkt aus der Schale. Das Essen aus einer Schale verdeutlicht die enge Beziehung der Familienmitglieder zueinander, entsprechend wird auch nicht jeder beliebige Fremde zum Essen eingeladen. Auch bei uns war es in einigen Regionen bis vor kurzem durchaus üblich, aus einem Topf gemeinsam zu essen. Wie haben sich bei uns die Essgewohnheiten entwickelt und was sagen sie über das Verhältnis der Menschen zueinander aus? Zwei Mahlzeiten am Tag werden von den Familienmitgliedern gemeinsam eingenommen: das Frühstück im Morgengrauen und eine weitere Mahlzeit am späten Nachmittag. Vor allem die zweite Mahlzeit wird für gemeinsame Gespräche genutzt. Am Feuer sitzend wird Neues vom Tage ausgetauscht, Probleme besprochen oder einfach das Beisammensein genossen. Bereits gegen 19 Uhr wird es dunkel, und da viele Haushalte nicht mit Elektrizität ausgestattet sind und der neue Tag mit dem Morgengrauen gegen fünf Uhr beginnt, bildet die Mahlzeit am späten Nachmittag einen angemessenen Tagesabschluss. Der soziale Aspekt der gemeinsamen Nahrungsaufnahme ist nicht zu unterschätzen. Mais und Bohnen bilden eine gesunde Ernährungsgrundlage. Sie sind viel nahrhafter als das Weizenmehl, das zunehmend Maismehl in den Städten verdrängt. Allerdings führt auch eine nur auf die beiden Produkte beschränkte Nahrung zu Mangelerscheinungen und muss daher durch Ei und Hühnerfleisch sowie Obst ergänzt werden. Essen und Nahrung sind wesentliche Bestandteile einer Kultur. Gewohnheiten in diesem Lebensbereich sind ziemlich fest verankert. Auch wohlhabende indigene Familien, die sich eine gesündere und vielfältigere Ernährung finanziell leisten könnten, erweitern ihre Ernährung kaum um Fleisch. Nur zu besonderen Festtagen leisten sich wohlhabende Familien eine Portion Rindfleisch für jedes Familienmitglied, dazu gibt es Reis. Der Anbau der Nahrungsmittel Auf kleinen so genannten „Milpas“ bauen die Maya neben Mais und Bohnen, Tomaten, Kartoffeln, Zwiebeln, Gurken und Kürbisse an. Bei der „Milpa“ handelt es sich um ein für die Aussaat brandgerodetes Stück Land. Ursprünglich war die Wirtschaft der Maya auf 109 Ernährung Subsistenz ausgerichtet. Seit über 100 Jahren reicht die Ernte allein aber nicht mehr, um eine Familie ausreichend zu versorgen. In vielen Maya Dörfern steht den Bauern nicht mehr genügend Land zur Verfügung und das Problem des Landmangels wird immer größer. Schuld daran ist die Erbfolge, die die Grundstücke unter den erbenden Kindern zu gleich großen Teilen aufteilt, sowie die ungerechte Landverteilung zwischen Großgrundbesitzern, die oft über riesige Plantagen verfügen, und den Maya Gemeinden. So werden die Milpas immer kleiner und reichen für die Versorgung der Familie mit eigenen Nahrungsmitteln nicht mehr aus. Nahrungsmittel, auch Grundnahrungsmittel wie Mais und Bohnen, müssen hinzu gekauft werden. Insgesamt ist auch Hunger keine Seltenheit, wenn die Familie nicht genügend Land und keine anderen ausreichenden Einnahmequellen, wie z. B. die Arbeit als Schreiner oder der Verkauf von kunsthandwerklichen Produkten an Touristen, zur Verfügung hat. Viele Bauern sind daher gezwungen, als Tagelöhner auf den großen Plantagen zu arbeiten. Selbst Kleinbauern, die einen kleinen Überschuss erwirtschaften, können diesen noch nicht einmal zu Preisen verkaufen, die die Produktionskosten decken. Mexiko wird „überflutet“ mit großen Mengen an aus den USA importiertem Mais. Da der Mais in den USA staatlich subventioniert wird, ist sein Preis niedriger als der mexikanische. keiten in den Dörfern und tragen so zu einer eher ungesunden Ernährung bei. Die Indigenen, die ihr Dorf und das Hochland verlassen haben, passen sich in der jeweiligen neuen Umgebung in Bezug auf die Ernährung weitgehend der übrigen mexikanischen Bevölkerung an. Arbeitsbedingt werden die warmen Mahlzeiten nicht selten an einem Stand auf einem Markt eingenommen. Dort gibt es weit mehr als nur Tortillas mit Salz, Chili und Bohnen: Tacos (oft mit Fleisch gefüllte und aufgerollte Tortillas), Quesadillas (mit Käse gefüllte Tortillas), Reisgerichte mit Gemüse, gefüllte Paprikaschoten und vieles mehr umfasst das Angebot. Die Tortillas, die bei keiner Mahlzeit fehlen dürfen, werden inzwischen in stadtnahen Gebieten und in den Städten meist in der Tortilleria zum Kilopreis käuflich erworben. Die Lebensumstände wie Stadt oder Land, Arbeitszeiten etc. haben einen großen Einfluss auf die Ernährung. Ernährung verändert sich genauso wie die dazu gehörige Esskultur. Ein weiteres Problem ist die Bodenerosion, die durch die Übernutzung der Böden und das Abholzen der Wälder für Feuerholz im Laufe der letzten Jahrzehnte zugenommen hat. Durch die früher übliche Haltung von etwa 40 Schafe umfassende Herden zur Wollproduktion für das Weben von Textilien, ist es zu einer Überweidung der Weideflächen gekommen. Wandel der Esskultur Im Allgemeinen lässt sich ein eher negativer Wandel in der Ernährungsweise feststellen. Vor allem problematische Verhaltensweisen der nicht-indigenen Bevölkerung werden übernommen. Es gibt in jedem Dorf Getränke wie Coca Cola, Fanta, Sprite u. a. zu kaufen, dasselbe gilt für Chips, Dauerlutscher, Schokolade und ähnliches. Auch Touristen verteilen oft Süßig- 110 Verschiedene Brotsorten auf dem Markt 12.3. Die Schöpfung der Menschen Aus dem Popul Vuh Im Popul Vuh wird die Schöpfung der Menschen beschrieben. Das Popul Vuh ist ein Dokument der K´iché- Maya (heutiges Guatemala) aus der frühen Kolonialzeit, d.h. nach der Eroberung durch die Spanier. Der Dominikanermönch Francisco Jiménez übersetzte das Dokument etwa Ende des 17. Jahrhunderts und schrieb es in lateinischen Buchstaben nieder. Aufgabe: Lies den Text zur Schöpfung des Menschen. Beantworte danach die unter dem Text stehenden Fragen. „Dies ist der Anfang der Menschwerdung, der Entschluss zur Fleischwerdung. Es sprachen Urahnin und Urahne, der Schöpfer und Former, jene auch, die sich Tepeu und Gucumatz nannten: „Schon will es Morgen werden. Lasset uns das Werk der Schöpfung schön vollenden. Erscheinen sollen, die uns erhalten und ernähren, die leuchtenden Söhne des Lichts. Es erscheine der Mensch! Belebt sei der Erde Antlitz!“ So sprachen sie. an köstlicher Nahrung herrschte in jenem Ort, genannt Paxil und Cayalá. Nahrungsmittel aller Art gab es. Die Tiere zeigten den Weg. Und indem sie die gelben und weißen Maiskolben zerrieb, machte Ixmucané neun Getränke. Und dieser Stoff verlieh Kraft und Fülle, und aus ihm schufen sie die Kraft und die Stärke des Menschen. So taten sie, die genannt werden Alóm, Caholóm, Tepeu und Gucumatz. Und sie überlegten weiterhin die Schöpfung und Formung unserer ersten Mutter und unseres ersten Vaters. Aus gelbem und weißem Mais machten sie sein Fleisch. Aus Maisbrei machten sie die Arme und Beine des Menschen. Einzig Maismasse trat in das Fleisch unserer Ahnen, der vier Menschen, die geschaffen wurden. Dies sind die Namen der ersten Menschen, die geschaffen und geformt wurden: Waldjaguar, der erste. Der zweite Nachtjaguar. Nachtherr war der dritte. Und der vierte Mondjaguar. Dies sind die Namen unserer Ahnen.“ Abb.: Hun Hunahpu, der Maisgott, steigt aus der Erde (als Schildkröte In Nacht und Dunkelheit kamen sie zusammen und erwogen alles in ihrer Weisheit. Sie überlegten, suchten, bedachten und besprachen es. Und dann gelangten sie zur Einsicht. Sie fanden dann den Lebensstoff. Die Erleuchtung kam ihnen, woraus des Menschen Fleisch zu schaffen. Und wenig fehlte, dass Sonne, Mond und Sterne über den Schöpfern und Formern erschienen. dargestellt) empor, so wie nach Aus Pan Paxil und Pan Cayalá kamen die gelben und weißen Maiskolben. Die Tiere aber, die ihnen den Lebensstoff brachten, waren die Wildkatze, der Coyote, der Papagei und der Rabe. Ihrer vier waren die Tiere, die den gelben, den weißen Mais brachten. Von Pan Paxil kamen sie und zeigten den Weg nach Paxil. So fanden jene den Lebensstoff. Aus dem schufen sie, formten sie des Menschen Fleisch. Wasser war das Blut, in Menschenblut verwandelte es sich. So ging der Mais durch der Erzeuger Werk in die Schöpfung ein. „Man sagt, dass jene erschaffen und geformt wurden, nicht Mutter hatten sie, nicht Vater, doch nannte man sie Männer. Sie wurden nicht aus einem Weibe geboren, von Schöpfer und Former wurden sie nicht erzeugt, auch nicht von Alóm und Caholóm. Nur durch ein Wunder, durch Zauber wurden sie geschaffen und geformt, von Tzakól, Bitól, Alóm, Caholóm, Tepeu und Gucumatz. Und da sie wie Menschen aussahen, waren sie Menschen. Sie sprachen, unterhielten sich, sahen und hörten, liefen und ergriffen Dinge. Es waren gute und schöne Menschen und ihr Körper war der des Mannes. Und da erfüllte sie Freude, denn sie hatten ein wunderschönes Land voller Annehmlichkeiten gefunden, mit einem Überfluss an gelbem und weißem Mais, mit einem Überfluss auch von Paxtáte und Kakao, voller unzähliger Früchte und voller Honig. Überfluss jeder Ernte und nach jeder Aussaat die Maispflanze aus der Erde wächst. (Quelle: Miller, Mary; Karl Taube: An Illustrated Dictionary of The Gods and Symbols of Ancient Mexico and the Maya. London, 1993, S. 69) Vernunft war ihnen gegeben. Sie schauten und sogleich sahen sie in die Ferne; sie erreichten, alles zu sehen, alles zu kennen, was es in der Welt gibt. 111 Indigene Völker in Lateinamerika – Ernährung Arbeitsmaterialien Indigene Völker in Lateinamerika – Ernährung Arbeitsmaterialien Wenn sie schauten, sahen sie sogleich alles im Umkreis und ringsherum sahen sie die Kuppel des Himmels und das Innere der Erde. Alle fernverborgenen Dinge sahen sie, ohne sich zu bewegen. (...) Groß war ihre Weisheit. (...) Und sie dankten darauf dem Schöpfer und dem Former.(...) Bald kannten sie alles. (...) Aber der Schöpfer und der Former hörten das nicht gerne: „Es ist nicht gut, was unsere Geschöpfe, unsere Werke sagen. Alles wissen sie, das Große und das Kleine.“ Also sprachen sie. Und sie hielten neuerlich Rat mit den Erzeugern. „Was sollen wir jetzt mit ihnen tun?“ „Daß sie nur das Nahe sehen, nur ein wenig vom Antlitz der Erde.“ (...) „Unterdrücken wir ein wenig ihre Wünsche, denn was wir sehen, ist nicht gut. Sollen sie am Ende uns gleich sein, die wir sie schufen, und die wir in weite Ferne sehen, alles wissen und alles sehen?“ (...) und sogleich veränderten sie die Art ihrer Werke und Geschöpfe. Es warf das Herz des Himmels einen Schleier über die Augen. Und sie trübten sich, wie wenn ein Hauch über den Spiegel geht. Ihre Augen trübten sich: sie konnten nur noch sehen, was nahe war, nur was klar war. So wurden zerstört die Weisheit und alle Kenntnisse der vier Menschen des Ursprungs und Anfangs. So wurden geschaffen und geformt unsere Ahnen, unsere Väter. Vom Herzen des Himmels, vom Herzen der Erde.“ (Quelle: Popul Vuh – Das Buch des Rates (aus dem Quiché übertragen und erläutert von Wolfgang Cordan), Köln 1987, S. 102-105) Fragen zur Schöpfungsgeschichteim Popul Vuh: 1. Wer stellte erste Überlegungen zur Schaffung des Menschen an? 2. Woraus schufen sie das Fleisch des Menschen? 3. Wer half ihnen dabei bzw. wer brachte das Material dazu? 4. Woraus war das Blut des Menschen? 5. Wodurch erhielten die Menschen Kraft? 6. Wie viele Menschen erschufen sie? 7. Wie waren ihre Namen? 8. Was konnten und wussten die Menschen? 9. Begrüßten dies die Erschaffer der Menschen? 10. Was taten die Erzeuger der Menschen? 11. Kennst du Geschichten in deiner eigenen Kultur, in denen ein Nahrungsmittel eine wesentliche Rolle spielt? 112 Kochen in einem indigenen Maya-Haus in Südmexiko und in Deutschland Feuerstelle in einem Maya-Haus Welche Gegenstände kannst du auf dem Foto erkennen? Einige Hinweise dazu gibt dir der einführende Text. Liste die Gegenstände in der Tabelle auf und schreibe hinzu, welchem Zweck sie dienen. Dann überlege, welche vergleichbaren Gegenstände sich in der Küche bei dir zu Hause finden. Migration 13. Migration Indigene in Lateinamerika leben auch heute wenn möglich in Regionen, die bereits von den Vorfahren oder zumindest seit der Zeit der spanischen Eroberer bewohnt wurden. Letztere hatten beispielsweise in Mexiko Indigene in neu gegründeten Dörfern zwangsweise angesiedelt, um eine bessere Kontrolle über die Eroberten ausüben zu können. In vielen Ländern Lateinamerikas ist der Lebensraum indigener Völker jedoch zunehmend bedroht. Urwaldregionen werden von internationalen Firmen eingenommen, um an Holz zu kommen, um nach Öl zu suchen oder auch nach anderen Bodenschätzen wie z. B. Gold. Wieder andere indigene Regionen und Dörfer werden von einem Touristenstrom regelrecht „überflutet“. Obwohl dies einigen Wohlstand in den Regionen vermuten ließe, gehören Indigene häufig zu den Ärmsten der Armen. Im Allgemeinen wird ihnen die gleichberechtigte Teilhabe an solchen wirtschaftlichen Erfolgen verwehrt bzw. sie sind in der Regel nicht oder nur am Rande an Entscheidungsprozessen beteiligt. Dass Menschen ihre Heimat verlassen, ist keine Seltenheit und auch kein Phänomen der heutigen Zeit. Weltweit waren es am Ende des 20. Jahrhunderts etwa 22 Millionen Menschen, die aus ihrem Heimatland ausgewandert sind. So leben heute Europäer in Südamerika und Südamerikaner in Europa. Aber auch ein Umzug in eine andere Region innerhalb desselben Landes ist ein Verlassen der vertrauten Umgebung, der Heimat. Obwohl es also Migration schon früher gegeben hat, haben Migrationsbewegungen im Zeitalter der Globalisierung stark zugenommen, unterstützt durch den technischen Fortschritt, der eine schnelle Überwindung räumlicher Distanzen möglich macht. 13.1. Was ist Migration? Migration, auch Wanderung genannt, ist ein Prozess „räumlicher Bewegung von Menschen (...). In der amtlichen Statistik bezeichnet W. (Wanderung, Migration) den mit einem Umzug verbundenen Wechsel der Hauptwohnung. Die W. wird unterteilt in Binnen-W. (W. Innerhalb eines Gebietes) und Außen-W. (über die Grenzen des Gebietes)...Die W. hat in den letzten Jahrzehnten ständig zugenommen und spielt (...) eine große Rolle“ (Quelle: Meyers großes Taschenlexikon, Bd. 24, 1999, S. 238). Häufig gibt es sehr interessante, oft aber auch traurige Geschichten über das bewegte Leben eines Menschen oder einer Familie zu erzählen, die ihre Heimat verlassen hat. Die Gründe für das Abwandern in eine neue Umgebung, ein anderes Land sind verschieden: Arbeitslosigkeit, Flucht vor Kriegen, Armut und Hunger, Verfolgung aus politischen oder religiösen Gründen und nicht zuletzt auch die Liebe zu einem Menschen aus einem anderen Land. Unterschieden werden so genannte „Push“- und „Pull“-Faktoren (Druck- und Sogfaktoren). Die „Push“-Faktoren sind solche, die eine Abwanderung aus einer Region begründen; die „Pull“Faktoren sind solche, die eine andere Region als Zielgebiet interessant machen. Ein „Push“-Faktor ist z. B. die Arbeitslosigkeit in der eigenen aktuellen Umgebung, ein „Pull“-Faktor ist die Arbeitsmöglichkeit in einer anderen Region. Den verschiedenen Gründen für eine Migration entsprechend verläuft der Migrationsprozess unterschiedlich. Einerseits ist ein direkter Wechsel möglich: Jemand zieht von seinem Heimatland in ein anderes Land, wo sie/er dann dauerhaft lebt. Andererseits verlässt jemand seine Heimat, lebt einige Zeit in einer anderen Region/einem anderen Land, verlässt dann diese Region wieder, um in eine dritte abzuwandern usw. Ebenso gibt es viele Fälle, in denen jemand für eine Zeit woanders lebt und arbeitet, um danach wieder in seine Herkunftsregion zurück zu kehren. Es handelt sich dabei um eine zeitlich begrenzte Migration. Migration ist also keine Einbahnstraße, eine Rückkehr in ein früheres Lebensumfeld ist möglich. Besonders anziehend sind in Lateinamerika aber auch anderswo auf der Welt die großen Städte: Im Jahr 2000 zogen 1.064.684 Menschen in den Großraum MexikoStadt (Bundesdistrikt und Bundesstaat Mexiko zusammen), um dort ihr Glück zu versuchen. Gleichzeitig verließen in demselben Jahr insgesamt 368.565 Menschen die eher ländlichen Bundesstaaten Chiapas, Guerrero und Oaxaca. Eine weitere Bewegung neben der Landflucht ist die Migration in ein anderes Land. So waren bereits 1990 offiziell 13,5 Millionen Einwohner der USA mexikanischer Abstammung. Diese Zahl dürfte in Wirklichkeit deutlich höher sein, weil sich viele Mexikaner illegal in den USA aufhalten und dort arbeiten. 113 Migration 13.2. Migration in Mexiko Die Lebensbedingungen in ländlichen Regionen Mexikos sind schwierig: Es gibt zu wenig landwirtschaftliche Fläche für Kleinbauern, und der Ertrag der kleinen Felder reicht nicht einmal zum Überleben der eigenen Familie So sind die indigenen Bauern letztendlich gezwungen, die Landwirtschaft aufzugeben und sich anders ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Die Glücklichen unter ihnen finden in Mexiko eine Arbeit z.B. auf dem Bau, als Gärtner oder als Lastenträger auf dem Markt, in den USA als Saisonarbeiter in der Landwirtschaft oder in der industriellen Produktion. Die weniger Glücklichen leben auf der Straße und versuchen durch den Straßenverkauf von verschiedenen Produkten, wie z.B. Jeans, Feuerzeuge, Süßigkeiten ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Das Leben in der Stadt ist meist schwierig, aber wer möchte schon gerne in sein Dorf zurückgehen und den Misserfolg zugeben müssen. Auch scheint die Stadt in vielen Fällen trotz harter Lebensbedingungen immer noch besser als das Leben auf dem Land zu sein. Bisher wurde in Wissenschaft und Politik meist davon ausgegangen, dass es im Bereich der Arbeitsmigration Männer sind, die ihre Heimat verlassen und ihre Familien zunächst dort zurücklassen, um sie später „nachzuholen“. So wurde es immer wieder in Lateinamerika und auch in Europa (Thema: „Gastarbeiter“ in Deutschland) beobachtet. Inzwischen wird aber zunehmend eine Migration von Frauen festgestellt. So sind z.B. junge, verheiratete Türkinnen in den 1970er Jahren nach Deutschland gekommen, um hier zu arbeiten, oder auch Südamerikanerinnen, die in europäischen Ländern beispielsweise als Haushaltshilfe hoffen, Geld zu verdienen. Auch indigene Frauen in Mexiko ergreifen immer häufiger die Initiative und wandern in andere, von ihrer Heimatregion weit entfernte mexikanische Regionen ab oder auch ins Nachbarland USA. Zunehmend thematisiert werden Arbeitsund Lebensbedingungen von Frauen, die ärmere Weltregionen in Asien und Lateinamerika verlassen, um in Europa, den USA oder Kanada zu arbeiten. Die Migration zeigt ihre Auswirkungen in allen Lebensbereichen der Betroffenen. Sie müssen sich sprachlich zurecht finden, ihre Identität in einer neuen Umgebung neu definieren, Vorstellungen über Aufgaben von Frauen und Männern sowie von einer bestimmten 114 Art von Familienleben entsprechen nicht mehr unbedingt der neuen Realität, hinzu kommen oft ein ungewohntes Klima, bisher nicht praktizierte Wohnweisen und andere Bekleidung. Darüber hinaus müssen die Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, neue soziale Netzwerke in einer bisher fremden Umgebung aufbauen. Gleichzeitig suchen sowohl die Zurückgebliebenen als auch die Abgewanderten nach Möglichkeiten, den Kontakt zu ihrer Familie irgendwie zu halten. Meist sind ihre Familien, auch die für das lateinamerikanische Familienverständnis so wichtigen Verwandten im Heimatdorf zurückgeblieben. Viele Frauen, die nach Europa migrieren, um dort zu arbeiten, lassen ihre Kinder bei den Eltern oder anderen Verwandten zurück. Sie sehen ihre Kinder kaum und diese müssen ohne Mutter oder Eltern auskommen, erhalten aber regelmäßig Geld vom abwesenden Elternteil. Die Beziehungen von Frauen und Männern zueinander verändern sich nicht selten in einem neuen Lebensumfeld. Für beide ist die neue Umgebung ungewohnt, beide müssen gleichermaßen Strategien entwickeln, um sich zurecht zu finden. Die Paare sind in noch größerem Maße aufeinander angewiesen als dies in der dörflichen Umgebung der Fall war; andere Ansprechpartner z. B. aus der weitläufigen Verwandtschaft stehen nicht mehr zur Verfügung. Beide machen neue Erfahrungen und erleben andere Lebensstile aus nächster Nähe mit. Anders als sonst in indianischen Familien üblich, besuchen kleinere Kinder bereits einen Kindergarten und verbringen so viel Zeit außerhalb der Familie. Nicht nur die Beziehung zwischen den Eltern, sondern auch die Eltern-Kind Beziehungen unterliegen einschneidenden Veränderungen im Alltag. Der Bereich der Kleidung ist ein weiterer wichtiger Bereich, der Veränderungen im Zusammenhang mit Migration unterliegt: Kleidung ist für jeden sichtbar und macht Mitglieder indigener Gruppen auch in einem städtischen Umfeld deutlich erkennbar. Viele indigene Gruppen haben eine bestimmte Kleidung und eine bestimmte Art, ihren Körper zu gestalten. Indianer fallen z.B. in Südmexiko in einer größeren Stadt auf, weil die indianischen Frauen gewickelte Röcke tragen, oft selbst gewebte Huipiles (Blusen) mit für den städtischen Betrachter ungewöhnlichen Mustern und Farben, außerdem gehen sie oft barfuss und tragen mit einem Tuch einen Säugling auf dem Rücken. Anders als viele Stadtfrauen hat fast jede Indianerin im Hochland von Chiapas ihr Haar in zwei lange Zöpfe geflochten, die auf dem Rücken mit einem farbigen Band zusammen gehalten und verziert sind. Auch, wenn die indianischen Männer seltener in ihrer Tracht zu sehen sind, so fallen sie doch in ihrer westlichen Kleidung meist auf, weil sie die bekannten Kleidungsstücke (z. B. sportliche Blousons einer Basketballmannschaft) in für Europäer ungewöhnlicher Weise mit anderen Kleidungsstücken kombinieren. Ein verändertes Zugehörigkeitsgefühl und eine neue, veränderte Identität entwickeln sich im Alltag außerhalb der früheren indigenen Dorfgemeinschaft. Die zunehmende Orientierung am „westlichen“ Lebensstil führen zur Loslösung von indianischen Werten und Lebensweisen. Die Sprache verschiebt sich zugunsten des Spanischen. Zwar wurde bereits in ihrem Dorf je nach Anlass Spanisch und die indianische Sprache Tzotzil gesprochen, allerdings war dort das Tzotzil wichtiger. In der Stadt nun überwiegt Spanisch in allen Gesprächssituationen außerhalb der eigenen vier Wände. Insgesamt durchleben Migranten einen Prozess der Akkulturation. Sie müssen sich in einer neuen kulturellen Umgebung zurecht finden – ein Kulturwandel findet statt. „Akkulturation“ ist eine Form von Kulturwandel, bei dem ein Angleich an eine als überlegen angesehene Kultur (hier die westliche, städtische Lebensweise) versucht wird. Wie oben dargestellt sind indigene Zuwanderer, die z. B. aus ländlichen Gebieten in eine Stadt ziehen, meist sehr aufgeschlossen für so genannte „moderne“ Verhaltensweisen, die sie in einem städtischen Umfeld beobachten können. Trotzdem bleibt der Unterschied zwischen „nichtindianischer“ und „eher indianischer“ Bevölkerung weitgehend erhalten. 115 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Die Maya-Indianerin Carolina erzählt: „Ich heiße Carolina und bin 21 Jahre alt. Geboren bin ich in San Juan Chamula, einem Dorf im Hochland von Chiapas in Mexiko. Bis ich 13 Jahre alt war, habe ich mit meiner Familie in der „Cabecera“ von Chamula gelebt, d.h. im Zentrum der Gemeinde Chamula. Dort gibt es eine Kirche, das Rathaus, mehrere kleine Geschäfte, einen großen Marktplatz und einen Kunsthandwerksmarkt. Der große Markt findet jeden Sonntag statt. Es gibt Tomaten, Kohl, Bohnen, Zwiebeln, Mangos, Ananas, Bananen und anderes auf dem Markt zu kaufen, aber auch Wolle, Strickjacken und Blusen sowie Spindeln zum Spinnen von Garnen und Haarspangen. Bis ich 17 Jahre alt war habe ich mit meinen Eltern und meinen Geschwistern und teilweise deren Frauen zusammen gelebt. Ich habe drei ältere Schwestern und zwei Brüder, einen jüngeren und einen älteren. Die beiden ältesten Schwestern haben geheiratet und wohnen mit ihren Ehemännern und Kindern auch in Chamula, mein älterer Bruder wohnt mit seiner Frau und seinen Kindern bei meinen Eltern. Als ich klein war verbrachte, ich viel Zeit mit meiner älteren Schwester. Wir haben die Schafe auf die Weide gebracht und zu Hause gearbeitet. Sie hat Textilien zum Verkauf an Touristen gewebt und ich habe zugeschaut, bei leichteren Arbeiten auch mitgeholfen und so gelernt, wie mit dem Rückengurtwebgerät gewebt wird. Dann, als ich sieben Jahre alt war, hat sich mein Leben verändert. Ich bin in die Schule gegangen, um Lesen und Schreiben zu lernen, nachmittags habe ich dann meiner Mutter beim Verkauf von Kunsthandwerk an die Touristen geholfen. Ich konnte besonders gut rechnen und Spanisch zu sprechen fiel mir auch leicht. Nach und nach wurde unser Verkaufsgeschäft immer erfolgreicher. Inzwischen lebt einer meiner Brüder in einer weit entfernten mexikanischen Stadt. Er verkauft dort Blusen, die ich in Chamula herstellen lasse. Regelmäßig packe ich große Pappkisten, die ich dann zum Busbahnhof bringe, wo sie ein Bus mitnimmt und meinem Bruder in Guadalajara übergibt. Meinen Mann habe ich hier im Dorf kennen gelernt. Er hat ein gut gehendes Geschäft hier, und so können wir unsere beiden Kinder gut versorgen. Meine Mutter hilft mir nur manchmal am Verkaufsstand. Es ist gut, dass sie in der Nähe wohnt. So können meine kleineren Kinder bei ihr sein, während ich am Marktstand arbeite. Nur kurze Zeit am Tag sind meine Töchter bei mir am Stand. Erst, wenn sie etwas älter sind, werden sie bei mir lernen wie ein Verkaufsstand zu führen ist.“ 116 Die Maya-Indianerin Margareta erzählt: „Ich heiße Margareta und bin 24 Jahre alt. Geboren bin ich in Chamula, wo ich auch mit meinen Geschwistern zusammen bei meinen Eltern aufgewachsen bin. Ich habe einen älteren Bruder, eine ältere Schwester und zwei jüngere Schwestern. Als ich sechs Jahre alt war, sollte ich zur Schule gehen. Ich habe es auch wirklich versucht, hatte es aber sehr schwer. Außerdem ist meine Mutter sehr krank geworden, und, weil meine Schwester inzwischen geheiratet hatte und nicht mehr in Chamula lebte, musste ich mich um meine kranke Mutter kümmern. Ich konnte nicht mehr zur Schule gehen, meine Mutter brauchte mich. Mein Vater war oft und monatelang von zu Hause weg. Er hat immer wieder auf Kaffeeplantagen im Tiefland als Saisonarbeiter gearbeitet. Unsere kleinen Felder reichten nicht mehr aus, um unsere Familie zu ernähren. Dann hatten meine Schwester und ihr Mann solche Probleme miteinander, dass sie zu meinen Eltern zurück gekommen ist. Weil wir dringend Geld für die Medizin meiner Mutter brauchten und ich einen Verkaufsplatz auf dem Kunsthandwerksmarkt bekommen konnte, habe ich angefangen, Textilien an Touristen zu verkaufen. Ich hatte zwar nur einen kleinen Platz auf dem Boden, wo ich auf einer Plastikfolie meine Ware ausbreiten konnte, aber das Geschäft lief gut. Es kamen so viele Touristen, die etwas bei mir kaufen wollten, dass ich nicht so schnell Gürtel zum Verkauf knüpfen konnte wie es nötig gewesen wäre. Auch hatte ich kein Geld, um andere Frauen für mich arbeiten zu lassen. Bald begannen die Touristen lieber zu größeren Verkaufsständen zu gehen, an denen sie auch mehr Auswahl hatten. Der Markt war inzwischen erheblich angewachsen. Immer mehr Mädchen und Frauen hatten angefangen, dort, oder auch im Dorf umherlaufend, ihre Produkte zu verkaufen. Überall gab es plötzlich Gürtel zu kaufen und ich konnte nicht mehr genug verdienen. Meine Mutter war so krank geworden, dass sie gestorben ist. Zusammen mit meiner Schwester habe ich dann angefangen, nach Palenque zu fahren und dort meine Gürtel zu verkaufen. Dort gibt es Maya-Ruinen, die von vielen Touristen besucht werden. Ich konnte auch ganz gut verkaufen, aber ich musste ja von dem Geld auch noch die fünfstündige Busfahrt und ein kleines Zimmer zum Übernachten bezahlen. Ich war sehr froh als ich eine Frau kennen lernte, die mich fragte, ob ich bei ihr als Hausmädchen in Mérida arbeiten wollte. Mérida ist eine große Stadt auf der Halbinsel Yucatán. Einige Jahre lebte ich Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien bei dieser Frau und arbeitete für ihre Familie. Schwierig wurde es aber, als ich einen Mann kennen lernte und ein Kind bekam. Ich wollte schließlich auch mit meinem Mann und meinem Kind zusammen leben, auch verstand ich mich mit meiner Arbeitgeberin nicht mehr gut. So sind mein Mann und ich zusammen gezogen. Inzwischen leben wir in Cancún. Mein Mann handelt mit verschiedenen Textilprodukten und verkauft sie an die Händler auf den Märkten der Region. Ich habe endlich einen eigenen Verkaufsstand, an dem ich sehr gut verkaufe. Immer wieder kann ich durch meinen Mann neue Produkte aus Chiapas anbieten, an meinem Stand gibt es besondere Blusen und Taschen, die erst einmal niemand sonst in Cancún verkauft. Außerdem unterhalte ich mich gerne mit Menschen aus anderen Ländern. In der Stadt kann ich zusammen mit meinem Mann und meinem Sohn so leben wie wir es möchten. Ich kann den ganzen Tag arbeiten, mein Sohn geht in den Kindergarten und soll danach eine gute Schule in der Stadt besuchen. Auch kann ich mit meinem Mann zusammen leben, der zwar immer wieder auf Reisen ist, um Ware einzukaufen, aber wir verbringen mehr Zeit miteinander, als wenn er monatelang z.B. auf Kaffeeplantagen arbeiten würde.“ Vergleiche beide Lebensläufe und schreibe die Gründe für das jeweilige Verhalten in eine Tabelle. Warum hat Margareta das Hochland verlassen und ist in die Stadt umgezogen? Warum hat sich Carolina entschieden, in Chamula zu bleiben? Recherchiere dann in deiner Umgebung: Sind z. B. deine Eltern oder andere Verwandte schon einmal umgezogen? Welche Gründe gab es dafür? Vergleiche diese Gründe mit denen von Margareta. Gibt es Unterschiede? Vergleich der Lebenssituationen Maya-Frau beim Schafehüten Maya-Frau am Verkaufsplatz in der Stadt Sieh dir die Fotos genau an und überlege die Antworten zu folgenden Fragen: 1. Wer ist auf dem einzelnen Foto zu sehen? 2. Was arbeiten die abgebildeten indianischen Frauen jeweils? 3. Was ist von der Umgebung der beiden Frauen zu sehen? 4. Mit welchen anderen Menschen haben die beiden Frauen wohl in dieser Umgebung jeweils zu tun? 5. Von welchen Geräuschen und Gerüchen sind die beiden Frauen wohl umgeben? 6. Versuche, dich in jede der Frauen hineinzuversetzen. Was glaubst du sind mögliche Vor- und Nachteile für jede der beiden Frauen? Was stellst du dir in der jeweiligen Situation/Umgebung als angenehm vor? Wo und wie würdest du lieber leben und warum? 117 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien Tagesablauf Hier erfährst du etwas über den Tagesablauf der Maya-Familie Santiz in ihrem Heimatdorf Chamula und über ihren Tagesablauf in der Stadt nachdem sie ihr Dorf verlassen hat. Die Tochter und der Sohn sind im Dorf 8 Jahre alt, in der Stadt 9 Jahre. Bearbeite danach die Aufgaben am Ende des Begleitmaterials 4. Uhrzeit Tätigkeit im Dorf Tätigkeit in der Stadt 5:30 Uhr Mutter und Tochter: Aufstehen, Feuer machen, Tortillas backen Vater und Sohn: stehen später auf Schlafen 7:00 Uhr Frühstücken Frühstücken 7:30 Uhr Tochter: Schafe mit dem Maulkorb versehen und auf die Weide bringen Mutter: Kochstelle aufräumen Vater: Vorbereiten des Arbeitsplatzes (Schreinerberuf zu Hause) Sohn: zur Schule gehen Tochter: zur Schule gehen Mutter: Küche aufräumen Vater: Vorbereiten einer Einkaufsreise (Waren für den eigenen Souvenir-Verkaufsstand und andere) nach Chiapas, Einpacken von Kleidung, Papieren und Geld Sohn: zur Schule gehen 8:30 Uhr Mutter und Tochter: Wäsche waschen Mutter und Vater: Besprechen der gemeinsamen Geschäfte Tochter und Sohn: Schule 10 Uhr Mutter: Weben mit dem Rückengurtwebgerät zu Hause Vater: Beginn der Schreinerarbeit Tochter: Verkaufsplatz auf dem Kunsthandwerksmarkt belegen, Waren ausbreiten Sohn: Schule Mutter und Vater: Eröffnen des Verkaufsplatzes auf dem Markt Tochter und Sohn: Schule 11 Uhr Mutter: sieht nach den Schafen Vater: Stellt einen Tisch her Tochter: Verkauft an Touristen Sohn: Schule Mutter: Verkauft am Marktstand Vater: Fährt vom Busbahnhof aus in die frühere Heimat ins Hochland von Chiapas Tochter und Sohn: Schule 12:30 Uhr Vater und Mutter: essen gemeinsam eine Kleinigkeit und trinken einen Kaffee an der Kochstelle im Haus Tochter: Geht mit einer Freundin auf den Markt und isst dort einen gerösteten Maiskolben Sohn: Pause in der Schule Mutter: arbeitet am Verkaufsplatz und besorgt sich am Nachbarstand eine Kleinigkeit zu essen Vater: ist auf der Reise (18 Stunden mit dem Bus) Tochter und Sohn: Schule 13 Uhr Vater: verlässt das Haus, um ein Geschäft mit einem Bekannten zu besprechen Mutter: Webt einen neuen Umhang für ihre Tochter Tochter: Verkauft an Touristen und knüpft dabei ein Makrameé-Armband Sohn: Schule Mutter: arbeitet am Verkaufsplatz Vater: ist auf der Reise (18 Stunden mit dem Bus) Tochter und Sohn: Schule 118 Mutter: kauft in der Tortilleria Tortillas (Maisfladen) Meine Tätigkeit in Deutschland Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Arbeitsmaterialien 14 Uhr Mutter: webt Vater: ist unterwegs bei Geschäftspartnern Sohn: Kommt nach Hause und macht Hausaufgaben Tochter: Arbeitet am Verkaufsstand Tochter und Sohn: Kommen nach Hause und machen Hausaufgaben und essen eine Kleinigkeit zu Hause Sohn: arbeitet auf dem Markt als Tütenträger für Marktkunden Tochter: geht zur Mutter an den Verkaufsstand, um sie abzulösen 16 Uhr Mutter: holt die Schafe von der Weide und bereitet das Abendessen vor Tochter: hat Verkaufsplatz aufgeräumt und ist nach Hause gekommen Vater und Sohn: sind nach Hause gekommen Mutter: Erledigt Hausarbeiten Tochter: arbeitet am Verkaufsstand Sohn: arbeitet auf dem Markt 18 Uhr Gemeinsames Abendessen der Familie Ausklang des Tages, eventuell Besuche von Freunden, Verwandten, Nachbarn Mutter: geht wieder an den Verkaufsstand Tochter: arbeitet mit Mutter am Verkaufsstand Sohn: ist mit Freunden unterwegs 21 Uhr Schlafen gehen Bis auf den Vater, der auf Reisen ist, kommen alle nach Hause Sie essen etwas zusammen und gehen gegen 22 Uhr schlafen Vergleiche die beiden Tagesabläufe miteinander. Welche Unterschiede fallen dir auf? Kannst du erklären, warum das Leben für die indianische Familie in der Stadt anders ist als im Dorf? Überlege und schreibe auf, wie dein Tagesablauf bzw. der deiner Familie aussieht. Was würde sich ändern, wenn du z.B. nach Mexiko auswandern würdest? 119 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Ch@t der Welten land und leistet einen Beitrag zu der von den Vereinten Nationen ausgerufenen Dekade „Bildung für nachhaltige Entwicklung“ (2005–2014). Umwelt- und entwicklungspolitische Themen in Schule und Unterricht Ein Internet- und Kommunikationsangebot für Schulen Ch@t der Welten „Globale Nachhaltigkeit“ ist seit der Konferenz in Rio 1992 in aller Munde und trotzdem für viele weiterhin ein abstraktes Schlagwort geblieben. Gerade der jüngeren Generation fällt es schwer, einen Bezug des Begriffs und den dahinterliegenden weltweiten Zusammenhängen zwischen Ökologie, Wirtschaft, Gesellschaft sowie der Nord-Süd Problematik zum eigenen Leben herzustellen. Ähnlich verhält es sich mit Lösungsansätzen und konkreten Bemühungen, globalen Problemen Einhalt zu gebieten. Mit dem Projekt Ch@t der Welten besteht nun ein Projekt, das sich zum Ziel gesetzt hat, mit Hilfe geeigneter Themen globale Phänomene für Schülerinnen und Schüler der Klassen 5 bis 12 erfahrbar zu machen und in ihre (Lern-) Realität zu integrieren. Sie können via Internet auf ein breites Informationsund Kommunikationsangebot zu diesen Themen zurückgreifen, das ihnen erlaubt, die Probleme aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu beleuchten und das ihnen Hilfestellung bei der sinnvollen Informationsaufarbeitung durch das Internet gibt. Der Ch@t der Welten bietet Jugendlichen die Möglichkeit, unmittelbar mit den verschiedenen Interessensgruppen und Akteuren vor Ort in Lateinamerika, Asien und Afrika zu kommunizieren. Sie können sich so ein direktes Bild über die Problemlagen und die Lösungsansätze zur Verbesserung der Situation der Menschen machen. Gleichzeitig bietet der Ch@t der Welten für die Partner vor Ort ein Forum, um auf ihre ökologischen, ökonomischen oder soziokulturellen Probleme aufmerksam zu machen. Das Projekt fördert den Dialog zwischen Nord und Süd und erleichtert Schülerinnen und Schülern den Zugang zum Thema „Globale Nachhaltigkeit“. Der Ch@t der Welten ist ein innovatives Mittel der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit in Deutsch- 120 Einsatz im Unterricht Die unterschiedlichen Themen eröffnen im Schulalltag spezifisch fachliche sowie. interdisziplinäre Zugänge der Bearbeitung des Lehrstoffs. Neben den gesellschaftswissenschaftlichen Fächern (Geschichte, Politik, Sozialwissenschaften, Geografie), den Naturwissenschaften (Biologie, Physik, Chemie) sind auch sprachliche Kompetenzen (Englisch, Spanisch) von Bedeutung. Kaum ein anderes Thema bietet unter dem Gesichtspunkt des Globalen Lernens vergleichbar viel Konflikt- und Diskussionsstoff, u. a. durch: Erkennen der globalen Zusammenhänge zwischen dem Lebensstil im Norden und der Armut/Ausbeutung in den Ländern des Südens Kennen lernen von Macht- und Interessenskonflikten im Spannungsfeld von Ökologie, Ökonomie und sozialen Belangen Einblicke in die Diskussion über Nutzungsrechte von Ressourcen Prüfung von Handlungsmöglichkeiten und -alternativen Die Handlungsebene der Schülerinnen und Schüler steht im Vordergrund der Projektarbeit, u.a. durch: direkten Austausch über eine Kommunikationsund Kooperationsplattform mit Partnern in Lateinamerika, Afrika und Asien Einbinden von Sachverständigen/Experten in den Unterricht Entwicklung und Ausgestaltung von partizipativen Formen des Lernens (Planspiele, Lernwerkstätten u. a.) Kooperation und Vernetzung mit weiteren Schulen Dokumentation und Publikation der Ergebnisse Themen Erdöl im Regenwald Nicht nur in den arabischen Ländern auch in den Regenwaldregionen des Amazonasgebietes wird Erdölund Erdgas gefördert – mit zum Teil verheerenden Auswirkungen auf die lokale Bevölkerung und die Umwelt. Müssen die lateinamerikanischen Staaten auf die Erdölförderung verzichten, wenn sie nicht ihre biologische Vielfalt zerstören wollen oder gibt es Möglichkeiten einer „nachhaltigen Erdölförderung“? Welche Vorstellungen haben die einzelnen Interessensgruppen – indigene Organisationen, staatliche Institutionen und Erdölkonzerne – zur Lösung des Problems? Aufbauend auf ein umfangreiches Informationsmaterial zu Erdöl allgemein und der Erdölförderung im Amazonas im Besonderen können sich Schülerinnen und Schüler mit indigenen Organisationen, (internationalen) Erdölunternehmen und Energieministerien der Länder sowie Umweltorganisationen auseinandersetzen. Wasserversorgung im südlichen Afrika Wasserprobleme sind komplexe Entwicklungsprobleme. Weltweit haben rund 1,1 Milliarden Menschen keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser und mehr als 2,4 Milliarden sind nicht an eine minimale Sanitärversorgung angeschlossen. Gibt es also eine globale Krise der Wasserversorgung? Was bedeuten diese nüchternen Zahlen für den Alltag vieler Menschen im südlichen Afrika oder im Jemen? Was hat das Wasserproblem mit uns zu tun? Welche Lösungsansätze werden von internationalen Gremien z. B. im Rahmen der Wasserdekade (2005 bis 2015) vorgeschlagen? Welche Lösungen sehen die Menschen im Süden? Als Gesprächspartner stehen Ihnen Expertinnen und Experten aus dem südlichen Afrika, von hiesigen Nichtregierungsorganisationen und internationalen Institutionen zur Verfügung. Schutz der biologischen Vielfalt Am Beispiel des Regenwaldes in Lateinamerika wird die biologische Vielfalt dieses Ökosystems aufgezeigt aber auch gleichzeitig die große Herausforderung, die es bedeutet, dieses Ökosystem zu erhalten. Oft stehen Naturschutzgedanke und wirtschaftliche Interessen im Widerspruch zueinander. Welche Naturschutzkonzepte gibt es? Wie werden sie umgesetzt? Welche Interessen spielen eine Rolle und wer setzt sich durch? Diese und andere Fragen können mit Mitgliedern der großen Umweltschutzverbände, Entwicklungshelferinnen und -helfern in Lateinamerika, Organisationen der Indígenas aber auch mit Experten in Deutschland diskutiert werden. Nutzung nachwachsender Rohstoffe / Schwerpunkt Papier, Holz Dieses Thema ist eng mit dem Thema „Schutz der biologischen Vielfalt“ verbunden. Beispielhaft an den Produkten Papier und Holz wird die Produktlinie nachgezeichnet und Handlungsmöglichkeiten zum schonenden Umgang mit diesen Ressourcen aufgezeigt. Es geht unter anderem um die Kulturgeschichte des Papiers und des Holzes, die Stoffströme, die Umweltfolgen und alternative Handlungsansätze bei der Papier- und Holzproduktion. Klima- und Energiepolitik Längst ist der Klimawandel keine Zukunftsprognose mehr, denn er findet bereits statt. Eine angepasste Klimapolitik und zukunftsfähige Energieversorgungskonzepte, die die Lebensgrundlagen für alle Menschen langfristig sichern, müssen daher Bestandteil politischer Bemühungen sein. Zentrale Fragen sind: Wie können klimaschonende Energiekonzepte funktionieren? Welche Innovationen gibt es weltweit zur nachhaltigen Energiegewinnung und -versorgung? Wie können wir uns an der Förderung von erneuerbaren Energien beteiligen? Wie kann der wachsende Energiebedarf von Drittweltländern klimaschonend gedeckt werden? Diese und weitere Fragen können die Schülerinnen und Schüler mit deutschen Expertinnen und Experten aus dem Bereich Klima- und Energiepolitik sowie mit Vertretern aus den Partnerländern (z.B. aus Brasilien und China) diskutieren. Indigene Völker in Lateinamerika Unsere Vorstellung von lateinamerikanischen indigenen Völkern ist geprägt vom edlen Wilden am Amazonas, der im Einklang mit der Natur lebt, vom Indio des Andenhochlands, der in unseren Fußgängerzonen traurige Weisen auf der Panflöte spielt und von den bunten Trachten der Indígenas in Guatemala, Ecuador und Bolivien, die Kunsthandwerk verkaufen. Wie sieht die wirkliche Lebenssituation indigener Völker aus? Wie denken, leben und wirtschaften sie? Neben der Information über indigene Völker in Südund Mittelamerika bietet der Ch@t der Welten die Möglichkeit, sich mit indigenen Vertretern und Vertreterinnen über ihren Alltag sowie über politische und philosophisch-ethische Themen auszutauschen. 121 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Ch@t der Welten Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Ch@t der Welten Konzeption und Koordination InWEnt gGmbH InWEnt – Internationale Weiterbildung und Entwicklung gGmbH ist eine gemeinnützige Einrichtung des Bundes, der Länder und der Wirtschaft für internationale Personalentwicklung, Weiterbildung und Dialog. Ihre praxisorientierten Programme richten sich an Fach- und Führungskräfte sowie an Entscheidungsträger aus Politik, Verwaltung. Zivilgesellschaft und Wirtschaft aus aller Welt. Ein weiterer Schwerpunkt ist die entwicklungspolitische Bildungsarbeit im Inland. Das Projekt Ch@t der Welten wird gemeinsam von dem Regionalen Zentrum NRW und der Abteilung Umwelt, Energie und Wasser durchgeführt. InWEnt stellt den Kontakt zu den Partnern in Lateinamerika, Afrika und Asien her und übernimmt die fachliche Ausgestaltung des Programms. Die Abteilung „E-learning, Global Campus, Lifelong Learning“ unterstützt das Projekt durch die Bereitstellung des Global Campus 21® als Arbeitsplattform. Regionales Zentrum NRW Ansprechpartner: Karin Kopshoff-Müller Wallstr.30, 40213 Düsseldorf Fon: 0211-8689-165 karin.kopshoff@inwent.org Ch@t der Welten wird als innovatives Projekt durch das Landesinstitut konzeptionell begleitet, unterstützt und weiter entwickelt. Die Schwerpunkte liegen in der methodisch-didaktischen Ausgestaltung sowie mediendidaktischen Qualifizierungen und Beratungen im Bereich E-Learning und Neues Lernen. Das Informations- und Serviceportal Ch@t der Welten im Bildungsserver learn.line.nrw unterstützt die schulischen Aktivitäten vor Ort. Landesinstitut für Schule Ansprechpartner: Rolf Schulz Paradieser Weg 64, 59494 Soest Fon: 02921-683307 Fax: 02921-683228 rolf.schulz@mail.lfs.nrw.de Das Projekt wird unterstützt von Landesinstitut für Schule des Landes Nordrhein-Westfalen Das Landesinstitut für Schule arbeitet im Auftrag des Ministeriums für Schule, Jugend und Kinder zu bildungspolitischen Schwerpunkten des Landes Nordrhein-Westfalen. Mit dem Arbeitsbereich „Agenda 21 in Schule und Jugendarbeit“ bündelt das Landesinstitut die Unterstützungsleistungen, Erfahrungen und Ressourcen verschiedener Initiativprogramme und BLK-Modellversuche und führt das breite Spektrum an Instrumenten zur Realisierung von Leitbildern einer „Bildung für eine nachhaltige Entwicklung“ sowohl im schulischen als auch im außerschulischen Bereich zusammen. 122 Nordrhein-Westfälische Stiftung für Umwelt und Entwicklung Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Service Spiele Die Rettung Amazoniens Heinrich-Mann-Gymnasium Köln, Lehrer Joachim Möller Aus der Beschreibung: „In dem Spiel „ Die Rettung Amazoniens“, welches sich an das bekannte Gesellschaftsspiel „Die Siedler von Catan“ anlehnt, geht es um die „Sanierung“ des Regenwaldes. Der Regenwald, die Tiere und die indigenen Völker wurden von vier großen Ölfirmen verdrängt, die ihre Ölraffinerien und Pipelines quer durch den Lebensraum Regenwald errichteten. Der Spieler hat nun die Möglichkeit selbst aktiv zu werden und sich mit dem Thema Regenwald in verschiedenen spielerischen, aber auch Wissensaufgaben zu befassen und die Probleme des Regenwaldes und dessen Bewohnern zu lösen. Wir haben uns diesem Thema nicht nur oberflächlich gewidmet, sondern ausgesuchte Fragen erstellt, die den Wissensdurst der einzelnen Spieler voll und ganz sättigt. Dennoch haben wir versucht den Aspekt „Spaß“ nicht zu verdrängen und so wurde aus unserem Spiel ein vielseitiges Erlebnis, dass sich der Problematik „Rettung des Regenwaldes“ angemessen widmet. Unser Spiel wurde mit einfachen, klar aufgebauten Mitteln, mit Wiedererkennungswert, erstellt und durch die Verwandtschaft zum Spiel „Die Siedler von Catan“ dem Mitspieler verständlich gemacht (ähnlicher Aufbau, Regeln, Symbole etc.). Dennoch hat es unsere individuelle Note erhalten. Anna Stollenwerk, Brigitte Bonn, Ciara Flock, Lili Tran, Nathalie Schäfer“ Die Anleitung können Sie über karin.kopshoff@inwent.org beziehen. 123 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Service Literaturhinweise ARA e. V. Indianerland Rondonia, Arbeitsgemeinschaft Regenwald und Artenschutz, Bielefeld Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit (1996) Konzept zur Entwicklungszusammenarbeit mit indianischen Bevölkerungsgruppen in Lateinamerika, BMZ-Konzept Nr. 73 C. Müller-Plantenberg (1998) Indianerprojekte und Großprojekte in Brasilien, Universität Kassel H.J. Prem (1996) Die Azteken, C.H. Beck Wissen B. Riese (2002) Die Maya, C.H. Beck Wissen D. Cech, E. Mader , S. Reinberg (2001) Tierra. Indigene Völker, Umwelt und Recht, Brandes u. Apsel, Frankfurt T. Todorov (1982) Die Eroberung Amerikas – Das Problem der Anderen, Edition Suhrkamp H. Feldt, D. Gawora, A. Nufer, T. Rathgeber, M. Raomao, K. Rummenhöller (2003) Ein anderes Amazonien ist möglich. Träume, Visionen und Perspektiven aus Amazonien, Universität Kassel (2003) G. Urton (2002) Mythen der Inka, Reclam, Stuttgart R. Garve und W. Jesco (1995) Indianer am Amazonas – Südamerikas Ureinwohner zwischen Isolation, Integration und Untergang,Tanner-Verlag In deutscher Sprache R. Garve, M. Garve, C. Kasburg, (2002) Unter Amazonas-Indianern, Herbig-Verlag D. Gawora, C. Moser (1993) Amazonien. Die Zerstörung, die Hoffnung, unsere Verantwortung, Misereor, Aachen (1993) Gesamthochschule Kassel (Hrsg.) (1996) Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte indigener Völker, Entwicklungsperspektiven 59/60, Kassel Utta von Gleich (2000) Indigene Völker in Lateinamerika. Konfliktfaktor oder Entwicklungspotential, Frankfurt GTZ (Hrsg.) (2004) Indigene Völker in Lateinamerika und Entwicklungszusammenarbeit, kostenlos zu beziehen über die GTZ, Koordinationsstelle indigene Völker in Lateinamerika und der Karibik, Postfach 5180, 65726 Eschborn C. Julien (2001) Die Inka, C.H. Beck Wissen F.Lalana Lac (1995) Welt, Natur und Mensch aus indianischer Sicht, 25 Sagen aus Lateinamerika, Schmetterling Verlag, Stuttgart W. Lindig und M. Münzel (1985) Die Indianer Mittel- und Südamerikas, dtv München H. Meyer-Peters (Hrsg.) (1990) Schutz für den Regenwald: Bankrott und Zerstörung, Göttingen (1990) Mongne , Pascal (2004) Die Azteken, Fleurus-Verlag W. Müller (1985) Die Indianer Amazoniens, C.H. Beck 124 Internetadressen Die Gesellschaft für technische Zusammenarbeit (GTZ) bietet auf Ihren Seiten zahlreiche Informationen zum Thema Indigene Völker in Lateinamerika & der Karibik, inklusive eines umfangreichen Glossars www.gtz.de/indigenas/ Informationen zu indigenen Völkern und zu Amazonien unter www.chatderwelten.de Das Klima-Bündnis /Alianza del Clima e. V.ist ein Zusammenschluss europäischer Städte und Gemeinden, die eine Partnerschaft mit indigenen Völkern der Regenwälder Amazoniens eingegangen sind. www.indigene.de/ Die Kampagne für die Ratifizierung des ILO- (Internationale Arbeitsorganisation) Übereinkommens 169 zur Indigene Völker in der globalisierten Welt will die Menschenrechte stärken. Auf der Seite finden sich Beispiele zum Thema Rechte indigene Völker aus der ganzen Welt. www.ilo169.de Die Gesellschaft für bedrohte Völker hat auf ihren Seiten neben Informationen zu den verschiedenen Projekten und Schwerpunkten der Arbeitsgebiete auch Publikationen, Pressemitteilungen usw. www.gfbv.de Zu den Shipibo in Peru www.shipibo-conibo.de Die Organisation „Amnesty International“ hat auf den deutschen Seiten unter „Länder“ Informationen über die Menschenrechts-Situation in Ländern Südamerikas zusammengestellt www.amnesty.de Amazonlink.org wurde 2001 als NGO (Non-Governmental Organization) in Rio Branco, im brasilianischen Bundesstaat Acre gegründet und bietet eine Linkliste zum Thema Amazonas sowie einen Nachrichtenservice www.amazonlink.org/amazondeut.htm In spanischer Sprache Institut für Ökologie und Aktions-Ethnologie mit Sitz in Köln www.infoe.de Instituto Indigenista Interamericano gibt einen Überblick über die Rechtssituation der indigenen Völker in Lateinamerika www.cdi.gob.mx/conadepi/iii Zur ethnologischen Mythenforschung siehe www.lateinamerikastudien.at/content/kultur/mythen/mythen-5.html In englischer Sprache Die internationale Allianz der Indigenen und Völker des Regenwaldes ist ein weltweites Netzwerk www.international-alliance.org/ Die COICA (Coordinadora de las Organizaciones Indígenas de la Cuenca Amazónica) ist der Dachverband indigener Organisationen des Amazonasbeckens und als Interessenvertretung aktiv www.coica.org.ec International Work Group for Indigenous Affairs WGIA ist eine unabhängige, internationale Organisation aus Spezialisten für indigene Angelegenheiten. Sie bietet gute Informationen über die Hintergründe zum Thema www.iwgia.org Das center for World Indigenous Studies bietet einen Überblick über internationale Rechtsentwicklung und indigene Völker. www.cwis.org Das Carribbean Amerindian Centrelink, CAC, Internetportal von indigenen Organisationen in der Karibik mit zahlreichen Informationen wie Geschichte der indigenen Völker und aktueller Situation, viele Links. www.centrelink.org/ Folgende Internetseiten geben einen Überblick über die Kulturen Mesoamerikas und die Códices www.angelfire.com/jazz/bernaldiaz/codizes.htm www.geocities.com/codicesmexicanos www.mexico-tenoch.com/lanacion/aztecas.html Eine Auswahl von Internetseiten indigener Organisationen www.redindigena.net www.native-net.org Portal Cultural de la Región Andina www.quechuanetwork.org Indigenous Peoples International Centre for Policy Research and Education www.tebtebba.org Mapuche, Chile www.mapuche.info Amerindian Peoples Association, Guyana www.adnp.org.gy/apa CONAIE, Ecuador www.conaie.org Ecuarunari, Ecuador www.ecuarunari.org CIDOB, Bolivien www.cidob-bo.org Koordination der indigenen V ölker des Amazonasbeckens www.coica.org.ec Das Instituto Socioambiental gibt Informationen zu indigenen Völkern in Brasilien (in engl. und portugiesischer Sprache www.socioambiental.org 125 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Die private Seite von Antje Baumann widmet sich den Indianern Nord- und Südamerikas. Auf der Seite finden sich vielfältige Informationen zur Kultur der Inkas, Azteken, Mayas, aber auch bspw. eine Auflistung mit TV-Sendungen zum Thema www.indianer-welt.de/indianer.htm Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Glossar Glossar Ayllu Vorkolumbische (Dorf-) Struktur im Andenraum Indio Bezeichnung der Ureinwohner Amerikas. Da Kolumbus dachte, er hätte Indien entdeckt, nannte er die Bewohner „Indios“. Nach dem man den Irrtum bemerkt hatte, wurde der Begriff beibehalten, um die unterschiedlichen Völker in einen Sammelbegriff zu fassen und sie von der europastämmigen Bevölkerung abzugrenzen. Heute wird dieses Wort oft als Schimpfwort benutzt. Allerdings greifen einige indigene Organisationen den Begriff „Indio“ wieder für sich auf und benutzen ihn mit einem neuen Selbstbewusstsein. „Indianer“ ist die deutsche Übersetzung. Indigene leitet sich von dem lateinischen Wort für „eingeboren“ ab und ist der Sammelbegriff für indigene Völker weltweit. Indígena ist der in Lateinamerika genutzte Sammelbegriff für indigene Völker. Konnotation mit einem Wort verbundene zusätzliche Vorstellung, z. B. „Nacht“ bei „Mond“ Mestize Mischling aus einer europäisch – indianischen Verbindung Subsistenzwirtschaft Subsistenzwirtschaft ist ein System der Selbstversorgung mit allen lebensnotwendigen Gütern. Die Subsistenzwirtschaft muss aber nicht autark sein, sondern kann Teil eines regionalen Netzes von Tauschbeziehungen sein. Ziel ist nicht die Schaffung von Mehrwert sondern die Erwirtschaftung von Gütern für den Lebensunterhalt. 126 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Autoren Autorenverzeichnis Heidi Feldt MSc in Ressourcenmanagement und Umweltpolitik, Universität London, freiberufliche entwicklungspolitische Beraterin, arbeitet seit fünfzehn Jahren zu Themen der Entwicklungszusammenarbeit mit indigenen Völkern, Schwerpunkt: Konflikte um Ressourcen, Beraterin des Projektes „Chat der Welten“ Dr. Sabine Speiser Studierte in Regensburg, Rom und Berlin Sozialwissenschaften. Sie arbeitete als Dozentin an Universitäten in Ecuador und Deutschland und ist seit 1993 in der Entwicklungszusammenarbeit, seit 1999 freiberuflich tätig (www.interculture-management.de). Inhaltliche Schwerpunkte ihrer entwicklungspolitischen Beratung sind Bildung, Gender und Minoritäten. Als Organisationsberaterin begleitet sie Prozesse interkultureller Verständigung. Dr. Birgitta Huse M.A., Ethnologin, Referentin, Trainerin, Projektmitarbeiterin/und -leiterin in Jugend-/Erwachsenenbildung (seit 1996; u.a. Schulen, Museen, Landesverband der VHS von NRW, Deutscher VHS Verband; Multiplikatorenfortbildungen und Zertifikatslehrgänge; Ethnologie in Schule und Erwachsenenbildung (ESE) e. V.). Seit 1997 Lehrbeauftragte an der Universität Dortmund. Arbeitsschwerpunkte: Interkulturelles Lernen/Interkulturelle Kompetenz, Globalisierung/Textilhandwerk/Kleidung, Tourismus/Kulturwandel, Migrations/Geschlechterforschung, Didaktik und Methodik. Dr. Volker von Bremen Ethnologe, er pflegt seit über 26 Jahren Kontakte zu indigenen Gemeinden und Völkern im Gran Chaco Südamerikas. Er begleitet und berät indigene Gemeinschaften und Organisationen sowie lateinamerikanische, europäische und internationale Institutionen zu Fragen der Entwicklungszusammenarbeit. Dr. Ludgera Klemp Soziologin, Auslandsaufenthalte für Friedrich Ebert Stiftung in Tanzania und Honduras sowie für die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit in Guatemala. Jetzt Mitarbeit im BMZ, Referat Governance; Demokratie; Frauen- und Menschenrechte. Zahlreiche Publikationen zur Entwicklungspolitik. 127 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Fotonachweis Titelseite Grabwächter von San Agustin, Kolumbien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk Zoé-Indianer auf der Jagd. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve Mutter und Kind aus Ollantaytambo, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk Seite 15 Oben: Tikal, Guatemala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karsten Leckebusch Unten: Grabwächter von San Agustin, Kolumbien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk Seite 18 Kolibri, Nasca, Peru. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk Seite 19 Machu Picchu, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk Seite 20 Kirchenfest der Maya in Chiapas, Mexiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herby Sachs Seite 30 Kenu-Frau mit Enkelkind . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Spohn Francisco Zamata aus Q’eros, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk Seite 31 Hof in der Nähe von Ayapata, Cordillera Carabaya, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk Dorfbewohner auf dem ecuadorianischen Hochland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Spohn Seite 32 Links unten: Hof in Q’eros, Peru. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk Rechts oben: Typische Dorfanlage der Cayapó mit zentralem Männerhaus . . . . . . . . Jesco von Puttkamer Seite 35 Kinder in der Schule im Chaco . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chaco-Ausstellung, gtz Kinder im Chaco . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Chaco-Ausstellung, gtz Seite 36 Wichi-Indianer im Chaco . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Henning Reetz/Brot für die Welt Seite 37 Oben: Mädchen in Guatemala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . A. Begemann Unten: Mädchen auf dem peruanischen Hochland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sylvia Reinhardt Seite 38 Mädchen auf dem ecuadorianischen Hochland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Spohn Seite 39 Mädchen aus Q’eros, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk Seite 40 Das Fleisch einer gefangenen Anaconda wird bei den Cayapó anlässlich von Jünglingsinitiationen verspeist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jesco von Putkamer Seite 41 Oben: Mädchen in der Comarca (Provinz Ngöbe-Buglé, Panama) . . . . . . . . . . . . . . . Silke Spohn Unten: Yanomami-Mädchen vom Rio Ocamao . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve Seite 43 Links: Festlich geschmückter Krieger der Yoplopoiteri . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve Zoé-Indianer auf der Jagd. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve Unten: Traditionelles Tauziehen der Yanomami mit einer Liane . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve Rechts: Awajun-Frauen, Peru. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Werner Seite 44 Links: Frauen beim Schälen von Kaffee-Bohnen, Panama . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karsten Leckebusch Rechts: Frauengruppe in Q’eros, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk Rechts unten: Suruahà-Mädchen mit Menstruationsmaske, die sie anlässlich ihrer ersten Menstruation während einer neuntägigen Isolation tragen muss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve Seite 47 Indigenen Tagung in Quito, Ecuador Oktober 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Spohn Seite 48 Versammlung der Vertreter der Indigenen Völker der Amazonasregion Ecuadors. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Tom Jungh 128 Seite 49 Organisierte indigene Frauen, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Karin Werner Seite 53 Rigoberta Menchu; links. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jens Holst Seite 60 Versammlung anlässlich der Demarkierung von Indianerland . . . . . . . . . . . . . . . . . . GTZ Seite 61 Aymara Bauer auf dem ecuadorianischen Hochland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Spohn Seite 62 Demarkierungsarbeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GTZ Seite 63 Links: Demarkierungsarbeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GTZ Rechts: Aufstellung von Verbotsschildern durch die staatliche brasilianische Indianerbehörde FUNAI zur Festlegung der Gebietsgrenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve Seite 70 Köhler in der Region Madre de Dios, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Archivo Programa Gobernabilidad der GTZ Seite 80 Frau bei der Feldarbeit in Amanti, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk Seite 83 Links: Weberin im Chaco . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . GTZ Seite 84 Oben: Das indianische Regenfest wird in einer christlichen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herby Sachs Kirche gefeiert, Chiapas, Mexiko Links: Schamane aus der Amazonasregion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve Rechts: Maya-Schamane, Mexiko. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herby Sachs Seite 85 Oben: Regenfest – Junge Maya-Frauen, Chiapas, Mexiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Herby Sachs Unten: Impfung in einer indigenen Gemeinde, Peru . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Klas Heising Seite 86 Oben: Heilungszeremonie durch einen Yanomami-Schamanen . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve Unten links: Badefreuden und Körperhygiene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Jesco von Putkamer Unten rechts: Schamane der Secoya . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve Seite 91 Schulkinder in Guatemala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annelies Merkx/Projekt PACE Seite 92 Schulmädchen in Guatemala . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Annelies Merkx/Projekt PACE Seite 93 Oben: Regenwald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve Unten: Kaiman . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve Seite 94 Links: Tukan . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Miriam Garve Rechts: Wasserfall San Rafael, Ecuador. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk Seite 95 Brüllaffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve Seite 96 Secoya Medizinmann zeigt eine Ayahuasca-Pflanze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve Seite 97 Rechts: Jaguar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve Links: Zoé-Kinder mit wilder Papaya. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve Seite 98 Der rote Farbstoff Rukú dient den Zoé nicht nur als Schmuckfarbe sondern auch zum Schutz gegen Insekten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve Seite 99 Rechts: Der Ozelot gehört zu den bedrohten Tierarten Amazoniens . . . . . . . . . . . . . . Miriam Garve Links: Abholzung von Regenwald . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve 129 Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Fotonachweis Ch@t der Welten – Indigene Völker in Lateinamerika Fotonachweis Seite 102 Oben: Webende Maya-Frau aus Zinacantán, Mexiko. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgitta Huse Unten: Gewebter Frauenumhang aus Zinacantán, Mexiko. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgitta Huse Seite 105 Detail – gewebter Frauenumhang aus Zinacantán, Mexiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgitta Huse Seite 106 Huipil aus San Andrés Larraínzar, Chiapas/Mexiko . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgitta Huse Seite 107 Links: Maya-Frau im Maisfeld . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgitta Huse Rechts: Die Suruahá entgiften zerriebenen Maniok in riesigen Körben im Fluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Roland Garve Seite 108 Maiskolben auf dem Markt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Daniel Schenk Seite 109 Backen von Tortillas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgitta Huse Seite 110 Verschiedene Brotsorten auf dem Markt. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Spohn Seite 112 Feuerstelle in einem Maya-Haus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgitta Huse Seite 115 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Silke Spohn Seite 117 Oben: Maya-Frau beim Schafehüten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgitta Huse Unten: Maya-Frau am Verkaufsplatz in der Stadt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Dr. Birgitta Huse Mädchen aus Q’eros Peru 130 Daniel Schenk Indigene Völker in Lateinamerika ISBN 3-937235-85-X