Kreativer NEUBEGINN

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Kreativer NEUBEGINN
Kreativer
NEUBEGINN
Eine alte Fabrikanlage im Berliner
Stadtteil Alt-Treptow wurde in
ein Zentrum für die Kreativszene
verwandelt. Das Konzept ging auf.
Heute arbeiten in den KiefholzAteliers Gründer und etablierte
Unternehmen Tür an Tür.
Rückblicke
K I E F H O L Z-AT E L I E R S
I
m Herbst 2000 wurden, von
großer medialer Aufmerksamkeit begleitet, die Kiefholz-Ateliers eröffnet. Berlin hatte
einen neuen Standort für die Modeund Kreativwirtschaft bekommen.
Die ehemalige Fabrikanlage am
Landwehrkanal, an dem früher nur
ein paar Meter entfernt die Mauer
entlanglief, bot gute Voraussetzungen dafür. Der gebogene, 130 m
lange und nur 12 m tiefe Baukörper
ermöglichte die flexible Aufteilung
in Einheiten von 28 bis 800 m2. So
konnten Ateliers unterschiedlicher
Größe entstehen, die sich frei den
Roter Backstein und Sprossenfenster – Industriecharme außen
wie innen
Bedürfnissen ihrer Nutzer anpassen ließen. Das Projekt wurde wegen seiner flexiblen, branchenorientierten Konzeption mit Mitteln
des Europäischen Regionalfonds
gefördert.
Nach anfänglich gutem Zuspruch zog sich zwar die Modebranche langsam vom Standort zurück,
doch die Kreativbranche hat feste
Wurzeln an diesem Ort geschlagen.
Heute haben eine Vielzahl an Agenturen aus den Bereichen Werbung,
Kommunikation, Marketing, Eventmanagement, Film und IT ihren
Sitz an der Kiefholzstraße, einige
von ihnen sind dort groß geworden, wie z. B. hartmannvonsiebenthal oder dan pearlman. Auch das
Unternehmen Liebeskummerpillen
mit seiner Gefühlsapotheke, auf die
man in so manchem Laden stößt,
schickt seine Produkte aus Alt-Treptow in die Welt, und der Schuhhersteller Trippen, der sich mit seinen
extravaganten Fußbekleidungen einen Namen gemacht hat, war lange
Zeit dort Mieter.
Die Lage wird allgemein geschätzt. »Die Nachfrage ist groß«,
sagt Hartmut Mosdzen, Berliner
Immobilienmakler, der das Gebäude fast von Beginn an betreut. »Der
Vorteil dieses Standortes ist einfach, dass er noch relativ zentral ist,
gleichzeitig aber nicht die Enge von
Berlin-Mitte hat. Hier ist es ruhig,
es gibt keinen Durchgangsverkehr,
und die Parkplatzsituation ist entspannt.« Zudem handele es sich hier
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Arbeiten auf ehemaligem Dachboden. Der Dachgeschossausbau
erweiterte das Flächenangebot
aufgrund des besonderen Gebäudes
um keinen 08/15-Standort, ergänzt
er, und vermerkt: »Es ist hier nicht
so anonym wie an anderen Gewerbestandorten. Man kennt sich, und
es wird sich um die Anliegen der
Mieter gekümmert.«
Der Industriebau mit dem markanten 35 m hohen Schornstein
wurde in den Dreißigerjahren des
20. Jahrhunderts für das Unternehmen Fritz Weber & Co errichtet,
das Maschinenteile, während des
Krieges dann Munition und anderes Kriegsmaterial herstellte. Nach
1945 zog die VEB Berliner Werkzeugmaschinenfabrik dort ein, die
nach der Wende aufgegeben wurde.
Heute zählt das Gebäude zu den Berliner Industriedenkmalen und steht
unter Denkmalschutz. Vom ehemaligen Mauerstreifen ist nichts mehr
zu erkennen. Die frühere Grenzlage
hat wieder den Anschluss an das
Zentrum Berlins gefunden.
Ein wenig Dornröschenschlaf
HAR TMANNVONS IE BE NTH AL
»Wir haben unser Unternehmen 2006 zu zweit in einem Wohnzimmer in Schöneberg gegründet. 2007 waren wir bereits 29 Mitarbeiter
und haben hier im Haus eine 200 Quadratmeter große Fläche
im Dachgeschoss angemietet, die uns anfangs recht groß erschien.
Bis heute haben wir auf etwa 1.500 Quadratmeter erweitert und
sind froh, dass wir hier wachsen konnten. Wir suchten damals
nach einem urbanen Standort in Berlin und nach Räumen mit
Loftcharakter. An der Spree hatten wir uns ebenfalls Flächen angesehen, die allerdings sehr viel teurer waren. Insofern war auch
die vergleichsweise moderate Miete für uns als Firmengründer
ein wichtiger Aspekt. Der Stadtteil Alt-Treptow hat noch sehr viel
Ursprüngliches, hat sich nach der Wende nicht so schnell gewandelt, wie zum Beispiel Prenzlauer Berg, und das gefällt uns gut.«
Urs von Siebenthal und Ralph Hartmann sind Gründer und Geschäftsführer von hartmannvonsiebenthal.
Mit 70 Mitarbeitern in Berlin und einem dichten Netzwerk an Spezialisten gehört das Unternehmen zu den
führenden Agenturen auf dem Gebiet der Markeninszenierung im Raum.
Raum für die Kreativwirtschaft
DAN PE AR LMAN
»Wir sind seit unserer Gründung vor über 15 Jahren in der Kiefholzstraße beheimatet. Von anfangs einer halben Etage haben wir uns auf
mehrere Etagen ausgedehnt und sind hier auf 100 Mitarbeiter gewachsen. Damals wie heute sind wir glücklich über die Wahl des Standortes. Uns hat vor allem die Idee der Eigentümer des Gebäudes überzeugt,
dort einen Standort für die Kreativwirtschaft zu entwickeln. Außerdem waren wir schon damals in diesem Kiez verwurzelt und sind ihm
bis heute treu geblieben. Das ging vor allem auch dadurch, dass wir
hier genügend Platz und Raum zum Wachsen und zur Weiterentwicklung hatten. Wir vier Gründer und unsere Mitarbeiter schätzen vor
allem die grüne Umgebung mit den vielen Parks und Kanälen und den
Blick über das Grün bis zum Alexanderplatz mit dem Fernsehturm.«
Kieran Stanley, Volker Katschinski, Nicole Srock.Stanley und Marcus Fischer sind die Gründer von
dan pearlman, einer strategischen Kreativagentur, die Unternehmen dabei berät, wie sie ihre Marke intern
den Mitarbeitern und extern den potenziellen Kunden am besten vermittelt.
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FA K T E N
Lage
Alt-Treptow, Berlin
Kiefholzstraße 1–4
Grundstück
9.600 m2
Projektvolumen
9.000 m2 BGF
Architektur
Grüntuch Ernst Architekten,
Berlin
Leistungen
Revitalisierung eines
ehemaligen Fabrikgebäudes
Projektierung
1998 – 1999
Bauzeit
1999 – 2000
Heute deutlich aufgeräumter:
Der Innenhof mit dem
historischen Schornstein
Historisch, aber wenig
charmant: Bestandsfoto
der Anlage aus den
Neunzigerjahren
DREI FRAGEN AN
Frühes Modell eines Co-Working-Space
1
3
Welche
Maßnahmen
waren
notwendig, um
die ehemalige
Fabrik für eine
künftige Nutzung
zu ertüchtigen?
Insgesamt handelte es sich um
eine minimalinvasive Instandsetzung. Der Verfall sollte gestoppt,
gleichzeitig die besondere Aura
des Bauwerks erhalten werden.
Bei der Sanierung wurde
viel Wert auf die Wiederherstellung der Fassaden gelegt,
bei der Innenausstattung auf
die Erhaltung und Betonung
des Industriecharakters geachtet. Der Hofbereich wurde durch
den Abriss der Lagerhallen
bereinigt. Wegen der früheren
Produktion von Metallteilen
musste im Hof der verunreinigte
Boden ausgetauscht werden,
ebenso wurden alle Estriche im
Gebäude erneuert. Man kann
sagen, dass das Gebäude auf
die frühere Tragstruktur zurückgebaut und »repariert« wurde,
wo es nötig war. Es entstanden
im Gebäude große und kleine
Einheiten. Alles Weitere konnten
dann die späteren Mieter nach
ihren Bedürfnissen bestimmen.
Was macht
für Sie den
besonderen
Charme des
Gebäudes aus?
Armand Grüntuch hat 1991
mit Almut Grüntuch-Ernst das
gemeinsame Architekturbüro in
Berlin gegründet. Die realisierten
Projekte wurden vielfach veröffentlicht und mit nationalen
und internationalen Preisen
ausgezeichnet.
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Das Gebäude bietet eine hohe
Multifunktionalität. Es kann
einem Produktionsstandort Raum
bieten, großzügige Ateliers
beherbergen oder Kleinstbüros,
und das alles gleichzeitig. Und
es ist dabei sehr flexibel anpassbar an die eine oder andere
Nutzungsart. Für mich ist es
so eine Art früher Co-WorkingSpace. Außerdem konnte seine
ursprüngliche Optik bewahrt
werden. In meinen Augen hat es
auch Vorteile, wenn Sanierungen
dieser Art mit übersichtlichem
Budget erfolgen. So bleiben
Gebäude authentisch.
Das Gebäude steht unter
Denkmalschutz. Gab es
spezielle Auflagen?
Insgesamt ging es darum, das Altbauflair des Gebäudes beziehungsweise der ganzen Anlage, zu der ja auch der Schornstein gehört, als
Industriedenkmal zu bewahren. Das erfolgte in enger Zusammenarbeit
mit dem Denkmalschutzamt. Die Sprossenfenster mussten erhalten
und bei der Mauerwerksausbesserung musste auf die Farbe der neu
hinzukommenden Steine geachtet werden. Beim Dachgeschossausbau ging es darum, die neuen Dachflächenfenster möglichst stimmig
in die Gebäudehülle zu integrieren.
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