Physikalische Therapie 8
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Physikalische Therapie 8
8 Physikalische Therapie z Allgemeine Hinweise zur Therapie Physikalisch-therapeutische Maßnahmen sind ein wesentlicher Bestandteil in der Behandlung rheumatischer Erkrankungen. Die physikalische Therapie ist dabei der planmäßige Einsatz mechanischer, thermischer, elektrischer und aktinischer Energie sowie physikochemischer Faktoren in Prävention, Therapie und Rehabilitation. Die Behandlungen sind überwiegend methodenbezogen und symptomorientiert. Es besteht ein Mangel an kontrollierten Studien zu den verschiedenen Therapieverfahren bei verschiedenen Krankheiten und an einheitlichen und validierten Assessmentverfahren. Methodenunabhängig lassen sich 2 unterschiedliche Wirkprinzipien unterscheiden: z Auslösung kurzfristiger therapeutisch erwünschter Reaktionen (methodenspezifische Immediatwirkungen), z Auslösung länger wirksamer Regulationsvorgänge bei wiederholten Anwendungen (funktionelle Adaptation). Die Hauptaufgaben der physikalischen Therapie in der Behandlung rheumatischer Erkrankungen sind: z Schmerzlinderung, z Entzündungsdämpfung, z Funktionsverbesserung (Kraft, Beweglichkeit, Koordination), z Muskeldetonisation, z Verbesserung von Durchblutung und Trophik, z Verhütung und Korrektur von Fehlstellungen, z Einsparung symptomatischer Medikation, z Vor- und Nachbehandlung rheumaorthopädischer Eingriffe, z Verbesserung der körperlichen Reaktionslage. Die physikalische Therapie ist eine eigenständige Behandlungsform im Zusammenspiel mit anderen Therapieverfahren rheumatischer Erkrankungen. Entsprechend gelten auch spezifische Indikationen und Kontraindikationen. Physiotherapeutische Maßnahmen sind zumeist für den Organismus belastend. Daher sind die Auswahl und Dosierung immer individuell auf die Erkrankung abzustimmen und im Krankheitsverlauf in ärztlicher Überwachung der Belastbarkeit anzupassen. Nichtrheumatische Begleiterkrankungen müssen berücksichtigt werden. Entzündliche rheumatische Erkrankungen sind meist stärker irritabel. Eine Do- 490 z 8 Physikalische Therapie sierung der Physiotherapie ist umso vorsichtiger vorzunehmen, je aktiver ein Krankheitsprozess ist. Kombinierte Verfahren entfalten häufig synergistische Wirkungen. Als Reiz-Reaktionsverfahren benötigen länger anhaltende Leistungsverbesserungen aus chronobiologischen Gründen Mindestbehandlungszeiten, um eine funktionelle oder trophisch plastische Adaptation zu erreichen. Die Möglichkeiten einer physikalischen Therapie bei rheumatischen Erkrankungen können durch eine eingeschränkte Belastbarkeit (Alter, Multimorbidität), durch Krankheitsbesonderheiten (Aktivität, Stadium, Gelenkbefallsmuster, viszerale Beteiligung) oder durch Unverträglichkeiten einzelner Behandlungsformen begrenzt sein. z Mechanotherapie Unter Mechanotherapie werden die Teilgebiete der physikalischen Therapie zusammengefasst, die mechanische Energie in Form von Bewegung, Zug oder Druck auf Gewebsstrukturen therapeutisch nutzbar machen. Krankengymnastik Definition: Krankengymnastik ist die planmäßige, gezielte Anwendung von Bewegungsübungen mit dem Ziel, Schäden an den Bewegungsorganen zu begegnen und funktionelle Defizite auszugleichen. Die unterschiedlichen Behandlungstechniken werden durch die jeweiligen Therapieziele bestimmt. Aufgaben und Behandungsziele der Krankengymnastik bei rheumatischen Erkrankungen sind: z Verbesserung und Erhalt der Funktion der Bewegungsorgane, z Kräftigung und Entspannung der Muskulatur, z Verbesserung der Trophik, z Schmerzlinderung, z Koordinations- und Ausdauertraining, z Gelenkschutz, Haltungsschulung, z Vor- und Nachbehandlung rheumaorthopädischer Eingriffe. Zu den Grundformen der Behandlung gehören passive Maßnahmen (Lagerungen, Extensionen – auch im Wasser –, passive Bewegung unter Aufhebung der Schwerkraft, Sonderformen mit Schüttelungen, Vibrationen, Dehnungen etc.), kombinierte passiv-aktive Bewegungsübungen und aktive Bewegungstherapie (isometrisches Training, frei aktive, unterstützte aktive – assistive –, gegen Widerstand durchgeführte – resistive – Übungen). In der Praxis ergeben sich fließende Übergänge und Kombinationen der verschiedenen Formen. Aus den Grundformen ist eine Vielzahl unterschiedlicher Behandlungstechniken entstanden, die mit und ohne Einsatz von Hilfsmitteln und Geräten unterschiedliche Therapieziele verfolgen: z Gelenkmobilisation (z. B. manuelle Therapie, postisometrische Relaxation etc.), z Stabilisation (z. B. Stemmführung nach Brunkow, Brügger Wirbelsäulenund Gelenkstabilisation, Gelenkschutz etc.), z Komplexbewegungen (funktionelle Bewegungslehre nach Klein-Vogelbach, Krankengymnastik auf neurophysiologischer Grundlage) PNF, Bobath, Vojta 8 Physikalische Therapie z (Cyriax-Behandlung, Klapp-Kriechverfahren, Brügger-Konzept, MaitlandKonzept, McKenzie-Konzept etc.), z Atemtherapie (z. B. kombinierte Ein- und Ausatemtechnik, Giebel-Rohr, Kombination mit Thoraxdehnübungen etc.). Weitere wichtige Therapieformen der Krankengymnastik in der Rheumatologie sind Behandlungen im Schlingentisch, Gangschulung und Unterwasserbewegungstherapie. Im Bewegungsbad müssen besondere Kontraindikationen beachtet werden (kardiopulmonale Dekompensation, akute Infektionen, nicht kontrolliertes Anfallsleiden, (per)akuter systemischer Entzündungsprozess der rheumatischen Grunderkrankung). Prinzipien einer krankengymnastischen Behandlung sind die korrekte Befunderhebung (Status und Funktion der Bewegungsorgane) und die Definition des Behandlungszieles vor Beginn der Therapie. Die Schmerzgrenze muss beachtet werden. Einbeziehung von benachbarten Gelenken und Vermeidung einseitiger Übungen (Wechsel von Lockerung und Kräftigung!) sowie von Ausweich- und Fehlbewegungen. Notwendig ist eine exakte Instruktion. Eine Überforderung des Patienten darf nicht stattfinden. Das Behandlungsergebnis wird verbessert, wenn ein einfaches häusliches Übungsprogramm angeleitet wird (z. B. Tonträger, Video, schriftliche Unterweisung). Die Verordnung von Krankengymnastik ist ärztliche Aufgabe, die Auswahl und Durchführung geschieht in enger Abstimmung durch Krankengymnasten/ Physiotherapeuten. Manuelle Medizin Definition: Die manuelle Medizin nutzt für Diagnostik und Therapie von Funktionsstörungen am Bewegungsapparat definierte Handgriffe und differenzierte manuelle Techniken (Weichteiltechniken, Mobilisationen). Angriffspunkte sind funktionelle, reversible Störungen im Regelkreis Gelenkspiel – nozizeptive Afferenz – motorische Efferenz – Schmerzempfindung. Durch die Wiederherstellung eines regelrechten Gelenkspieles bessern sich nicht nur Schmerzen, sondern auch begleitende reflektorische Symptome (Muskeltonus, Trophik und Turgor, Sudomotorik). Voraussetzung zur manuellen Therapie sind sorgfältige klinische Untersuchungen unter Einschluss bildgebender Verfahren, eine manuell-medizinische Untersuchung sowie die korrekte Lagerung und Fixierung. Bei nachweisbaren Gelenkblockierungen ergeben sich als Indikation für eine manuelle Therapie in der Rheumatologie: z spondylogener Kopfschmerz, zervikozephale Symptome, z Insertionstendinosen, Periarthropathien, z Dorsalgie durch Blockierung von Kostovertebral- oder Iliosakralgelenken, z begleitende Blockierungen von Extremitätengelenken bei anderen rheumatischen Grunderkrankungen, z pseudoradikuläre Syndrome, z Torticollis. 491 492 z 8 Physikalische Therapie Wegen der Gefahr von induzierten Gefügestörungen müssen Kontraindikationen der manuellen Therapie in der Behandlung rheumatischer Erkrankungen beachtet werden: z akute Arthritis oder Spondylitis, z Knochenerkrankungen (hochgradige Osteoporose, schwere Osteomalazie, M. Paget), z Neoplasien (primäre Knochentumore, Knochenmetastasen), z radikuläre, medulläre Kompression, akuter Bandscheibenprolaps, z Hypermobilität der Wirbelsäule oder der peripheren Gelenke, z Gefügelockerungen von Bewegungssegmenten der Wirbelsäule (Zervikalarthritis) oder peripherer Gelenke, z frische Frakturen, z schwere arterielle Durchblutungsstörungen (Halswirbelsäule). z Vorsicht bei hohem Lebensalter! Die manuelle Therapie darf nur von einem entsprechend weitergebildeten Arzt/Physiotherapeuten unter Kenntnis von Indikationen und Kontraindikationen durchgeführt werden. Massage Definition: Die Massage beeinflusst den Muskeltonus (klassische Massage) und wirkt reflektorisch (Bindegewebsmassage) auf Funktion und Durchblutung innerer Organe ein. Methodisch lassen sich klassische manuelle Massagen, Reflexzonenmassagen (Bindegewebsmassage), apparative Massagen und die manuelle Lymphdrainage unterscheiden. Klassische Massage und Unterwasserdruckstrahlmassage wirken auf den Muskeltonus ein. Die klassische Massage nutzt dazu spezielle Massagegriffe. Dagegen greift die Bindegewebsmassage an Verspannungs- und Verklebungszonen der Haut und Unterhaut an und bewirkt über nervale Reize reflektorisch eine Durchblutungsverbesserung innerer Organe. Indikationen für klassische Massage und Unterwasserdruckstrahlmassage sind: z Muskelverspannungen bei weichteilrheumatischen Erkrankungen sowie begleitend bei degenerativen und entzündlichen Wirbelsäulen- und Gelenkerkrankungen, z Insertionstendinopathien, Periarthropathien, z Muskelatrophie und Paresen vor Krankengymnastik, z Nachbehandlung nach gelenkchirurgischen Eingriffen. Indikationen für Bindegewebsmassage sind: z funktionelle arterielle Durchblutungsstörungen (Raynaud-Syndrom), z vaskuläre Zephalgie spondylogener Ursache (auch in Kombination mit klassischer Massage), z funktionelle Organbeschwerden. Folgende Kontraindikationen müssen beachtet werden: z Arteriitis, Phlebitis, Thrombosen, 8 Physikalische Therapie z z z z z z z z Gerinnungsstörung, Blutungsneigung, akute Myositis, Hautinfektionen, -entzündungen im Behandlungsgebiet, komplexes regionales Schmerzsyndrom (CPRS) im Behandlungsgebiet, frische Traumen, schwere Allgemein-, Infektions-, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Fieber, schwere Osteoporose bei Unterwasserdruckstrahlmassage. Bei akuten Gelenkentzündungen dürfen diese Regionen nicht behandelt werden. Das Behandlungsziel ist für die Auswahl der Massageart bestimmend (unterschiedliche Wirkprinzipien). Massagen eignen sich gut zur Kombination mit anderen Physiotherapieformen. Massagen werden seriell durchgeführt, wenn die Indikation geeignet ist. Dauerbehandlungen sind sinnlos. Sporttherapie (Heilsport) Definition: Die Sporttherapie ist die angepasste Anwendung von Körperübungen nach den Grundsätzen der Trainingslehre. In der Behandlung rheumatischer Erkrankungen muss die Sporttherapie den Gelenkschutz und die individuelle Belastbarkeit berücksichtigen. Bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen in akuten Schubsituationen ist die sportliche Aktivität nicht indiziert. Die Sporttherapie unterstützt die krankengymnastischen Übungsziele und führt sie bei vorhandener Belastbarkeit fort. Empfehlenswerte Sportarten sind: z. B. Schwimmen, Wandern, Radfahren (Ebene), Skiwandern, Laufen auf weichem Boden, Tanzen. Im Einzelfall muss die Sportart krankheitsangepasst ausgewählt werden. Nicht empfehlenswert bzw. kontraindiziert sind Kampfsportarten, Schwerkraftsport, Sportarten mit hohem Verletzungsrisiko, extreme Dauerleistungen bzw. einseitige Belastungen. z Thermotherapie Unter Thermotherapie werden die Verfahren der physikalischen Therapie zusammengefasst, die über eine Zufuhr oder einen Entzug von thermischer Energie therapeutische Wirkungen entfalten. Wärmetherapie Definition: Durch Wärmezufuhr wird lokal oder systemisch thermische Energie dem Organismus zugeführt, die den Stoffwechsel, die Durchblutung und die Organfunktionen beeinflusst. Eine örtliche Wärmeanwendung kann mit verschiedenen Physiotherapiemitteln durchgeführt werden: z warme Hydrotherapie (Bäder, Güsse, Wickel, Packungen etc.), z warme Peloide (Fango, Moor, Torf, Schlick etc.), 493 494 z z z z z 8 Physikalische Therapie andere Wärmeträger (Paraffin, Gelpackungen, Heißluft etc.), Hochfrequenztherapie (Tiefenwirkung), Ultraschallbehandlungen (Tiefenwirkung), Infrarot, Rotlicht. Therapeutisch erwünschte Wärmewirkungen sind eine Schmerzlinderung, antiphlogistische Effekte (vorwiegend bei chronischen Entzündungen), eine Muskeldetonisation, eine verbesserte Dehnbarkeit bindegewebiger Strukturen und eine Durchblutungssteigerung. Bei milden systemischen Überwärmungsmaßnahmen (Hyperthermie) sind zusätzliche immunstimulierende Effekte möglich. Unerwünschte Wärmewirkungen sind die Verstärkung von Ödemen und Blutungen sowie bei akuten Entzündungen prophlogistische Effekte. Wärmeanwendungen sind in Abhängigkeit von Dauer, Größe und Intensität belastend für das Herz-Kreislauf-System. Indikationen für Wärmeanwendungen in der Behandlung rheumatischer Erkrankungen sind: z weichteilrheumatische Beschwerden (bei Tendomyosen, Tendinosen, Insertionstendinosen, Fibroostosen, chronische Periarthropathien etc.), z Arthrosen (cave: aktivierte Arthrose!), degenerative Wirbelsäulenveränderungen, chronische Arthropathien, z chronische Arthritiden, Spondylitis ankylosans (cave: akuter Schub!), z Fibromyalgie (individuell sehr unterschiedliche Reaktion möglich). Als wichtige Kontraindikationen für Wärmeanwendungen gelten: z akute Arthritiden und akute Periarthropathien (mögliche Entzündungsverstärkung), z aktivierte Arthrose, z Vaskulitiden, z frischer Bandscheibenvorfall, z arterielle und venöse Durchblutungsstörungen, Ödeme, Blutungen, Blutungsneigung, z Tumore, schwere Allgemeinerkrankungen, z schwere Herz- und Kreislauferkrankungen, Vorsicht bei hohem Lebensalter, z gestörte Thermosensibilität (relative Kontraindikation). Wärmeanwendungen setzen eine funktionstüchtige Thermoregulation des Organismus voraus. Die Dosierung muss dem Krankheitsbild und der Allgemeinsituation angepasst sein. Kältetherapie Definition: Durch Kältezufuhr (Wärmeentzug) wird dem Organismus lokal thermische Energie entzogen. Dadurch entsteht eine Reduktion des Stoffwechsels und der Durchblutung in der behandelten Region. Eine Sonderform ist die Kryotherapie, bei der Temperaturen um 0 8C und darunter eingesetzt werden. 8 Physikalische Therapie z Die Kältetherapie umfasst einen großen Temperaturbereich. Milde Formen liegen zwischen Temperaturen unterhalb der Körperfläche und 15 8C (kalte Hydrotherapie). Die intensivere Kryotherapie nutzt Temperaturen um den Gefrierpunkt bis zu ca. –130 8C (Kaltgasverdampfung). Wichtig ist die Unterscheidung zwischen kurzzeitiger und längerfristiger Kältetherapie. Die Zeitdauer variiert hierbei methodenabhängig. Während kurzzeitige Kälteanwendungen vorwiegend Gefäßreaktionen auslösen (primäre Vasokonstriktion, sekundäre Vasodilatation), induziert die längerfristige Kryotherapie eine anhaltende Abkühlung der Gewebe mit einer Reduktion von Durchblutung und lokalem Stoffwechsel. Die Kältetherapie/Kryotherapie kann in unterschiedlichen Formen durchgeführt werden: z kalte Hydrotherapie (nur kurzfristige Gefäßreaktion!), z Eis (Bäder, Packungen, Massagen, Abreibungen), z nicht verdunstende Flüssigkeiten, z Kältemanschetten, -bandagen, z tiefgekühlte Gelbeutel, z Kaltgas, Kaltluftströmung, Kältekammern, z thermoelektrische Kühlung. Therapeutisch erwünschte Kältewirkungen sind eine ausgeprägte Schmerzlinderung, antiphlogistische Effekte (vorwiegend bei akuten Entzündungen), Muskeldetonisation (bei längerfristiger Kälte), Ödemhemmung, Blutungsstillung und bei kurzzeitiger Anwendung die Auslösung einer reaktiven Hyperämie. Unerwünschte Reaktionen in Form von Gefäßspasmen können ausgelöst werden. Indikationen für eine Kältetherapie in der Behandlung rheumatischer Erkrankungen sind: z akute Arthritiden (unabhängig von der Ursache) einschließlich Gichtanfall, z aktivierte Arthrosen, z akute Periarthropathien, akute Bursitiden und Epikondylopathien, z komplexes regionales Schmerzsyndrom (CPRS) (vorsichtig dosiert), z postoperativ nach rheumaorthopädischen Eingriffen, z Gelenkblockierungen (in Kombination mit Mobilisationen), z chronische Tendomyosen, schlaffe Paresen bei rheumatoider Neuropathie (nur Kurzzeitanwendungen mit Krankengymnastik). Meist nicht sinnvoll ist die Kältebehandlung bei unkomplizierten Arthrosen (z. B. Heberden-Fingerpolyarthrose), Sklerodermie und lokal in der Lumbalregion bei Spondylitis ankylosans. Kontraindikationen für eine lokale Kältetherapie sind: z Raynaud-Syndrom, z Vaskulitiden, z Kälteüberempfindlichkeit (Kälteurtikaria, starke Cold-pressure-Reaktion), z Kältehämoglobinämie, -agglutininkrankheit, Kryoglobulinämie, z lokal bei Nieren- und Blasenaffektionen, z schwere Herz- und Kreislauferkrankungen. 495 496 z 8 Physikalische Therapie Kälte wirkt bei längerfristiger Anwendung ausgeprägt analgetisch und antiphlogistisch. Um eine lokale Abkühlung des Gewebes zu erreichen, muss die Anwendungszeit (methodenabhängig!) ausreichend lange sein (z. B. Gelbeutel 20 Minuten und länger). Allgemeinreaktionen (Kreislauf) sind bei Kälte geringer als bei Wärme. z Elektrotherapie Definition: Die Elektrotherapie nutzt differente Stromqualitäten zur Beeinflussung von Organfunktionen. Neben Gleichströmen werden Wechselströme unterschiedlicher Frequenz eingesetzt, die sich in ihren physikalischen und biologischen Effekten unterscheiden. Niederfrequenztherapie In der physikalischen Therapie werden hierunter Gleichstromanwendungen und niederfrequente Wechselstromanwendungen mit Frequenzen bis 1000 Hz verstanden. Zu den Gleichstromanwendungen zählen die Galvanisation (= einfache Gleichstromanwendung), die Iontophorese (Galvanisation mit Medikamentenzusatz auf den Elektroden) und die hydroelektrischen Bäder (Stangerbad, 2- bzw. 4-Zellen-Bad). Therapeutisch nutzbare Wirkungen der Gleichstromanwendung sind analgetische und hyperämisierende Effekte. Die Iontophorese nutzt in der Therapie rheumatischer Erkrankungen zusätzlich die Wirkungen von topischen Antirheumatika (z. B. Diclofenac etc.), Lokalanästhetika und seltener Vasodilatantien (z. B. Histamin). In hydrogalvanischen Bädern entstehen zusätzlich thermische und muskeldetonisierende Effekte. Niederfrequente Wechselströme – auch als Reizströme bezeichnet – entfalten entsprechend ihrer Applikation (serielle Impulse, Einzelimpulse) schmerzlindernde und durchblutungsfördernde Wirkungen (z. B. diadynamische Ströme, Ultrareizstrom, TENS etc.) oder werden zur Muskelkontraktion eingesetzt (z. B. galvanische Einzelimpulse etc.). Indikationen für eine Niederfrequenztherapie in der Behandlung rheumatischer Erkrankungen sind: z chronische (wenig aktive) Arthritiden, z Arthrosen (nicht aktiviert), z Periarthropathien, Insertionstendinosen, Tendomyosen und andere weichteilrheumatische Schmerzaffektionen, z funktionelle Durchblutungsstörungen, z lokale Schmerzsyndrome unterschiedlicher Genese (z. B. Neuropathie, radikuläre Reizungen etc.), z bei Paresen als elektrisches Muskelfunktionstraining (motorisch wirksame Reizströme). Kontraindikationen für eine Niederfrequenztherapie sind: z akute entzündliche Prozesse im Behandlungsgebiet, 8 Physikalische Therapie z z z z z Hautläsionen, Infektionskrankheiten, akute fieberhafte Infekte, Sensibilitätsstörungen im Behandlungsgebiet, Herzschrittmacher, Metallteile (z. B. Endoprothesen) im Behandlungsgebiet. Mittelfrequenztherapie Der Frequenzbereich liegt zwischen 1000 und 100 000 Hz. Zur Mittelfrequenztherapie zählen die Interferenzströme (nach Nemec), die amplitudenmodulierten Mittelfrequenzströme sowie die direkt an- und abschwellenden Mittelfrequenzströme (Wymoton®). Während die beiden erstgenannten ähnlich Wirkungen wie niederfrequente Reizströme aufweisen (Analgesie, Hyperämie), wirkt die direkte Mittelfrequenzstrombehandlung hauptsächlich muskeltonisierend. Die Indikationen entsprechen der Niederfrequenztherapie. Ergänzend kommt die Inaktivitätsatrophie der Muskulatur für die direkte Mittelfrequenztherapie hinzu. Hochfrequenztherapie Die Hochfrequenztherapie liegt im Frequenzbereich über 100 (500) kHz. Zum Einsatz gelangen Kurzwellen- (Kondensatorfeld, Spulenfeld), Dezimeter- (selten) und Mikrowellenanwendungen. Die Hochfrequenzbehandlung ist eine ausschließliche Thermotherapie mit vorzugsweiser Tiefenerwärmung (Diathermie). Indikationen und Kontraindikationen entsprechen denen der Wärmetherapien. Zusätzliche Kontraindikationen sind Metallteile im Bestrahlungsgebiet und Herzschrittmacher (auch außerhalb des Behandlungsgebietes!). z Phototherapie Definition: Unter Phototherapie wird die Anwendung elektromagnetischer Strahlung des sichtbaren Lichtes sowie der angrenzenden längerwelligen Infrarot- und kürzerwelligen Ultraviolettstrahlung verstanden. Bedeutung in der Behandlung rheumatischer Erkrankungen hat das Infrarotlicht als oberflächennahe Wärmebehandlung. Indikationen und Kontraindikationen entsprechen der Wärmetherapie. Ultraviolettbehandlungen wirken über die Auslösung photochemischer Reaktionen in der Haut. Indikationen in der Rheumatherapie sind die Osteoporose/Osteomalazie (Stimulation der Vitamin-D3-Bildung), die Psoriasisarthritis zur adjuvanten Behandlung der Psoriasis. Wichtige Kontraindikationen sind akute Schübe chronisch-entzündlicher Erkrankungen, Lupus erythematodes, Lichtdermatosen. Cave: antirheumatische Basistherapeutika mit Induktion einer erhöhten Photosensibilität (z. B. parenterales Gold)! 497 498 z 8 Physikalische Therapie z Balneotherapie (Kurorttherapie) Definition: Die Balneotherapie ist die Anwendung der natürlichen, primär ortsgebundenen Heilmittel zur Prävention, Therapie und Rehabilitation. Sie erfolgt meist seriell im Rahmen einer komplexen Kurorttherapie. Neben physikalischen und chemischen Wirkungen der Therapiemittel steht die funktionelle Adaptation als Wirkprinzip im Vordergrund. Die Kurortbehandlung rheumatischer Erkrankungen ist eine komplexe Therapie unter Einwirkung differenter Faktoren: z Balneotherapie mit ortsspezifischen Heilmitteln (Peloide, Heilwässer, Klima etc.), z physikalische Therapie unter Einschluss von Krankengymnastik und Ergotherapie, z medikamentöse Therapie (Fortführung, Ergänzung), z diätetische Therapie, z psychotherapeutische Betreuung, z Entlastung von schädlichen Umwelteinflüssen, z Gesundheitsbildung, z Einleitung sozialmedizinischer Maßnahmen. Die Balneotherapie nutzt die Kombination verschiedener physikalisch-therapeutischer Effekte. So werden thermische Wirkungen (z. B. kalte oder warme Peloide), mechanische Wirkungen (z. B. hydrostatische Effekte, Auftrieb, intravasale Volumenverschiebung in Bädern) und chemische Wirkungen (z. B. Resorption, Deposition, Elution von Salzen, Gasen etc. in Mineralbädern/Heilwässern) eingesetzt. Neben diesen kurzfristig auslösbaren Immediateffekten ergeben sich bei wiederholten (iterativen) Anwendungen länger wirkende Regulationseffekte aufgrund einer funktionellen Adaptation. Häufig genutzte Balneotherapeutika in der Rheumatherapie sind Solebäder, Schwefelwässer, Moorbäder, Radonbäder, Thermalwässer, Peloide. Die Indikationen zur Balneotherapie rheumatischer Erkrankungen entsprechen denen der physikalischen Therapie: z entzündliche Gelenk- und Wirbelsäulenerkrankungen (nicht bei hoher Entzündungsaktivität; cave: „reizintensive“ Behandlungen, z. B. Schwefelwässer, Moorbäder), z Arthrosen und degenerative Wirbelsäulenerkrankungen, z chronische lokale weilteilrheumatische Erkrankungen (Periarthropathien, Fibroostosen etc.), Fibromyalgie, z Nachbehandlung rheumaorthopädischer Operationen, z chronische Gicht, chronische Arthropathien bei stoffwechselbedingten Erkrankungen. Allgemeine Kontraindikationen für eine Balneotherapie sind akute Infektionskrankheiten, Malignome, schwere Herz-Kreislauf-Erkrankungen, schwere Allgemeinerkrankungen. Spezielle Kontraindikationen rheumatischer Erkrankungen sind floride und hochentzündliche Aktivitäten entzündlich rheumatischer Erkrankungen ein- 8 Physikalische Therapie z schließlich Kollagenosen, viszerale Beteiligungen rheumatischer Erkrankungen, schlechter Allgemeinzustand. Eine komplexe Kurortbehandlung ist sinnvoll, wenn ambulante wohnortnahe physikalische Therapie nicht (mehr) möglich ist. Schwere (entzündliche) rheumatische Erkrankungen erfordern auch am Kurort eher eine stationäre klinische Behandlung (Rehabilitationsklinik). z Symptomatische Anwendung der physikalischen Therapie In Abhängigkeit vom jeweiligen Krankheitsbild und dem lokalen Befund wird die physikalische Therapie in der Behandlung rheumatischer Erkrankungen häufig zur symptomatischen Therapie eingesetzt. Voraussetzung ist eine eingehende Befunderhebung mit einer genauen Analyse der Symptomatik. Entzündungen (akut, chronisch), Schmerzen (Belastungsschmerz, Ruheschmerz, Weichteilschmerz, Nervenschmerz, algodystrophischer Schmerz etc.), Bewegungsstörungen (arthrogen, neuromyogen etc.) oder muskuläre Dysfunktionen (Muskelhypertonus, Muskelschwäche etc.) müssen differenziert und gezielt einer entsprechenden Therapie zugeführt werden. Therapieziele lassen sich teilweise mit unterschiedlichen Verfahren erreichen. Eingesetzt werden hierbei u. a. zur z Analgesie: Thermotherapie, Elektrotherapie, Ultraschall; z Entzündungshemmung: Thermotherapie (Kälte bei akuten, Wärme bei chronischen Entzündungen), Iontophorese und niederfrequente Elektrotherapie bei chronischen Entzündungen; z Behandlung von Bewegungsstörungen: Krankengymnastik, Ergotherapie, Sporttherapie; z Muskeldetonisation: Wärme, längerfristige Kälte, klassische Massage; z Muskelkräftigung: Krankengymnastik, Reizstromtherapie, direkte Mittelfrequenzstrombehandlung. Trotz vielfältiger Methoden muss eine Polypragmasie vermieden und eine physikalische Differenzialtherapie angestrebt werden. z Literatur 1. Berliner MN (1992) Kompendium Physikalische Medizin. Steinkopff, Darmstadt 2. Engel JM, Ströbel G (1990) Rheumatherapie. Edition Medizin VCH, Weinheim 3. Mucha C (1996) Entwicklung eines standardisierten Selbstübungsprogrammes für Patienten mit rheumatoider Arthritis. Physikal Therapie 17:538–547, 662–672, 710–714 4. 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