Stellenwert der präkonzeptionellen Folsäuresubstitution Katharina
Transcription
Stellenwert der präkonzeptionellen Folsäuresubstitution Katharina
3. Jahrgang, Oktober 2009, 225-240 - - - Rubrik Apothekenpraxis - - - Stellenwert der präkonzeptionellen Folsäuresubstitution Beratungshinweise für Schwangere und Frauen mit Kinderwunsch Bedeutung der Folsäure Folsäure und Neuralrohrdefekte Zufuhrempfehlungen Folsäure und Frühgeburten Neuralrohrdefekte Beratungsschwerpunkte Präkonzeptionelle Folsäuresubstitution - 226 - Stellenwert der präkonzeptionellen Folsäuresubstitution Katharina Busch*, Pharmaziestudentin und Verena Smodej, PTA, Pharmaziestudentin Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf *Korrespondenzadresse: Katharina Busch Fachbereich Pharmazie Universität Düsseldorf Moorenstrasse 5 40225 Düsseldorf katharina-busch@gmx.net Lektorat: Dr. med. Tamme Goecke Oberarzt Spezielle Geburtshilfe und Perinatologie DEGUM II Universitäts-Perinatalzentrum Franken Frauenklinik, Universitätsklinikum Erlangen Silke Röhl Dipl. oec. troph.(FH), Dipl. Ghl. Universität Osnabrück FB 08/Gesundheitswissenschaften Forschungsschwerpunkt Maternal and Child Health Osnabrück Den Fortbildungsfragebogen zur Erlangung eines Fortbildungspunktes zum Fortbildungstelegramm Pharmazie finden Sie hier: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/Kurzportraet.html Titelbild : Universitätsbibliothek New York , Urheber: Photoprof, Lizenz: Fotolia Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:225-240 Präkonzeptionelle Folsäuresubstitution Abstract Since the discovery that folate supplementation before and during pregnancy has a protective effect on fetal development, such a supplementation has been recommended for pregnant women. Folic acid has several important functions in human organisms and helps considerably to reduce the risk of neural-tube-defects. Neural-tube-defects are congenital malformations of the central nervous system of varying severity. Further protective effects could be the prevention of cleft lip, palate and jaw, congenital malformations of heart and urinary passage and possibly preventing the development of trisomy 21. In contrast to Canada and the USA, there is no food fortification with folic acid in Germany suggesting that the majority of the population lacks sufficient folic acid body levels. More recent studies showed that preconceptional intake of folic acid for at least one year can reduce the risk of preterm birth. Thus, supplementation with folic acid appears highly recommendable for both, pregnant women and those who plan a pregnancy. Abstrakt Seit der Entdeckung, dass eine Folsäuresubstitution bei der Mutter vor und während der Schwangerschaft einen protektiven Einfluss auf die Entwicklung des Embryos hat, wird Schwangeren eine solche Supplementierung empfohlen. Folsäure hat verschiedene wichtige Funktionen im menschlichen Organismus und hilft, das Risiko eines Neuralrohrdefektes beträchtlich zu reduzieren. Neuralrohrdefekte sind angeborene Fehlbildungen des Zentralnervensystems und können unterschiedlich schwer ausfallen. Weitere protektive Effekte können die Verhinderung von Lippen-, Kiefer- und Gaumenspalten, kongenitalen Fehlbildungen des Herzens und der Harnwege sowie der möglichen Ausbildung einer Trisomie 21 sein. In Deutschland ist nur ein geringer Teil der Bevölkerung optimal mit Folsäure versorgt und es gibt keine allgemeine Anreicherung von Lebensmitteln mit Folsäure wie es in Kanada und den USA üblich ist. In neueren Studien wurden gute Hinweise darauf gefunden, dass - 227 - eine einjährige präkonzeptionelle Einnahme von Folsäure das Risiko einer Frühgeburt mindern kann. Die Supplementierung mit Folsäure ist demnach für Frauen mit Kinderwunsch eine empfehlenswerte Methode um bei einer zukünftigen Schwangerschaft Risiken einzudämmen. Einleitung Die Frage, ob eine Supplementierung mit Folsäure prä- und perikonzeptionell positive oder negative Auswirkungen auf den Verlauf einer Schwangerschaft haben könnte, beschäftigt viele Frauen, bei denen Kinderwunsch und Schwangerschaft ein Thema sind. In zahlreichen klinischen Studien haben sich Experten mit der Fragestellung beschäftigt, um insbesondere den protektiven Effekt von Folsäure in Bezug auf Neuralrohrdefekte zu untersuchen. Mit neueren Studien soll außerdem geklärt werden, ob eine präkonzeptionelle Substitution mit Folsäure auch das Auftreten einer Frühgeburt positiv beeinflussen könnte. Bei den angeborenen Fehlbildungen des Zentralnervensystems sind Neuralrohrdefekte am weitesten verbreitet (Weblink 1). Jedes Jahr kommen weltweit schätzungsweise 300.000 Neugeborene mit Spina bifida oder Anenzephalie, den beiden häufigsten Neuralrohrdefekten, zur Welt (1). Es gibt keine flächendeckende Erhebung über angeborene Fehlbildungen für Deutschland und auch die Meldeplicht für eine in den ersten drei Lebenstagen erkennbare Fehlbildung wurde 1997 abgeschafft. Selbst dadurch wurden nur ungefähr 30 % aller Fälle erfasst. In Sachsen-Anhalt wird beispielsweise durch das Ministerium für Gesundheit und Soziales seit 1995 das Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt finanziert und alle angeborenen Fehlbildungen bei Lebendgeburten, Totgeburten sowie Aborten (spontan ab der 16. Schwangerschaftswoche und induziert) in dem Bundesland erfasst und analysiert. Im Jahresbericht 2007 wird die Prävalenz für Neuralrohrdefekte mit 7,4 auf 10.000 Geborene angeben, wobei die Spina bifida den größten Anteil ausmacht (4,0 auf 10.000 Geborene) (Weblink 1). Über Kinder mit Neuralrohrdefekten, die in sehr frühen Schwangerschaftswochen Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:225-240 Präkonzeptionelle Folsäuresubstitution versterben, wurde keine statistische Erhebung durchgeführt. In Deutschland nehmen nur knapp 20% der Bevölkerung die empfohlene Menge von 400 µg des wichtigen Nährstoffs zu sich (Weblink 2). Eine Analyse der Ernährungsgewohnheiten von Schwangeren durch das Vorsorgeprogramm BabyCare hat ergeben, dass 90% der Teilnehmerinnen keine ausreichende Folataufnahme durch die normale Ernährung erreichen. Lediglich 32% der Frauen gaben an, präkozeptionell Folsäure eingenommen zu haben (2). Damit ergeben sich in der Apotheke individuelle und sehr relevante Beratungssituationen, wie mit den folgenden Fallbeispielen verdeutlicht werden soll. Fallbeispiel 1: Eine junge Frau kommt in die Apotheke und erzählt Ihnen, sie habe in einem Internetforum gelesen, dass Folsäure für die Schwangerschaft wichtig sei. Laut des Forums soll das Medikament schon vor einer Schwangerschaft eingenommen werden, um angeborenen Fehlbildungen und einer eventuelle Frühgeburt vorzubeugen. Die Patientin erzählt Ihnen, dass bei ihr seit einiger Zeit ein Kinderwunsch besteht und sie keine Vitamine oder Spurenelemente zusätzlich zu ihrer gesunden Lebensführung einnimmt. Sie möchte wissen, ob Sie ihr ein solches Folsäurepräparat empfehlen würden. Fallbeispiel 2: Eine Patientin überreicht Ihnen ein Rezept ihres Gynäkologen über ein Folsäurepräparat. Sie erzählt ihnen, dass sie gerade erfahren hat schwanger zu sein. Allerdings hat der Arzt ihr keinen Grund für die Verschreibung genannt. Sie ist sich sehr unsicher, ob sie die Tabletten einnehmen soll, da sie gehört hat, dass man in der Schwangerschaft weitgehend auf Medikamente verzichten sollte. Die junge Frau fragt Sie, ob es üblich wäre ein solches Präparat einzunehmen. Mit diesen Fallbeispielen soll verdeutlicht werden, dass in der Apotheke eindeutig ein Beratungsbedarf zum Thema Folsäure besteht. Viele Frauen verunsichert der Gedanke in der Schwangerschaft Präparate einnehmen zu müssen. Neben dem Frauenarzt ist die Apotheke die erste Anlaufstelle für Fragen rund um das Thema. - 228 - Bedeutung der Folsäure Vorkommen und chemische Struktur: Folate kommen in zahlreichen tierischen und pflanzlichen Lebensmitteln vor. Besonders in grünem Blattgemüse wie Spinat und Feldsalat, verschiedenen Kohlarten, Tomaten, Spargel und Gurken, aber auch in Backwaren aus Vollkornmehl, Kartoffeln, Hülsenfrüchten und Leber liegt dieser Mikronährstoff vermehrt vor. Fisch und Obst sind hingegen relativ folatarm. Folat ist extrem licht-, hitze- und oxidationsempfindlich, daher können bis zu 90% durch Lagerung und Zubereitung verloren gehen (3). Folat ist ein wasserlöslicher Teil des Vitamin-B-Komplexes. Für allgemeine Wachstums- und Entwicklungsprozesse ist es unerlässlich. Chemisch gesehen gehört es zu einem Kollektiv an strukturell verwandten Verbindungen, die als Gemeinsamkeit einen Pteridinring aufweisen, der mit einer variierenden Anzahl an Glutamat-Resten konjugiert ist. Obwohl oft die Begriffe „Folsäure“ und „Folat“ für ein und denselben Sachverhalt verwendet werden, muss trotzdem bezüglich der Terminologie klar unterschieden werden: unter Folsäure versteht man die synthetisch hergestellte Form des Vitamins, Pteroylmonoglutaminsäure oder abgekürzt PGA (Abb. 1). Zum Einsatz kommt sie in Medikamenten, bei der Anreicherung von Nahrungsmitteln und in Supplementen. Folat hingegen ist die natürlich vorkommende Form und ist ein Gemisch aus Pteroylmonoglutamat und Pteroylpolyglutamat (Abb. 1) (4,5). Funktionen Alle Folat-beteiligten Prozesse im menschlichen Körper werden durch das Enzym Methyltransferase katalysiert: Folat dient als C1-Donator, d.h. als Überträger von Methyl-, Methylenund Formylgruppen. Als Koenzym ist es am Nucleinsäuremetabolismus beteiligt, ebenso an der Purinbiosynthese. In der Pyrimidinbiosynthese wird Folat für die Ausbildung des Thimidylrestes benötigt und stellt somit den limitierenden Faktor für die DNA-Synthese dar. Ein FolatMangel hat eine geringere DNASyntheserate und eine verminderte Zellteilung zur Folge. Essentiell ist es für die Regulation der Genexpression, da SAdenosylmethionin als Methylgruppen- Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:225-240 Präkonzeptionelle Folsäuresubstitution - 229 - Abb. 1: Chemische Strukturen von Folsäure und Pteroylpolyglutamat. Unter Folsäure versteht man die synthetisch hergestellte Form des Vitamins, Pteroylmonoglutaminsäure oder abgekürzt PGA. Folat hingegen ist die natürlich vorkommende Form und ist ein Gemisch aus Pteroylmonoglutamat und Pteroylpolyglutamat. donator mit Hilfe von Folat im Körper produziert wird und an der Methylierung von RNA und DNA beteiligt ist. Desweiteren ist Folat Kofaktor von MECP2, (Methylcytosinphosphatdieesterguanidin bindendes Protein 2). MECP2 beeinflusst die Chromatinstruktur sowie das Remodeling und Gen-Silencing (Gen-Stilllegung) durch Bindung an methylierte DNA. Bei nichtmethylierter DNA tritt die durch das MECP2 mediatorvermittelte Stilllegung des Gens nicht auf. Als Konsequenz wird die Bildung des Genproduktes (Enzym) verhindert. Im Aminosäurestoffwechsel spielt Folat eine wichtige Rolle bei der Synthese von Glycin, Glutaminsäure und Methionin und ist an der Regulation des Homocystein-Serum-Spiegels beteiligt. Bei der Phospholipidbiosynthese wird in Anwesenheit von Folat Myelin synthetisiert, das die meisten Axone der Neuronen ummantelt. Des Weiteren ist Folat wichtig für die Biosynthese der Neurotransmitter Serotonin, Melatonin und der Katecholamine (6). Resorption Problematisch ist für den Menschen eine ausreichende Folatversorgung, da er Folat als solches nicht de novo synthetisieren kann und somit auf die Zufuhr durch Nahrung / Nahrungsergänzungsmittel angewiesen ist. Biologisch auftretendes Folat in Nahrungsmitteln liegt als Polyglutamat-Form vor und kann wegen seiner Molekulargröße Zellmembranen nicht passieren (Abb. 1). Zur vollständigen Absorption wird es vom Körper mittels eines lysosomalem Enzyms, der γ-Glutamylcarboxypeptidase, in Monoglutamat-Formen hydrolysiert. Dieser Vorgang findet im Bürstensaum der Mukosazellen des Duodenums und des oberen Jejunums statt (Abb. 2) (4,5). Die Bioverfügbarkeit von natürlich vorkommendem Folat beträgt ca. 50%. Folsäure als synthetische Form von Folat ist im Gegensatz dazu chemischphysikalisch stabil und fast 100% bioverfügbar (siehe unten). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:225-240 Präkonzeptionelle Folsäuresubstitution - 230 - Abb. 2: Resorption von Folaten im menschlichen Gastrointestinaltrakt. Nahrungsfolat wird im Dünndarm durch Enzyme aufgespalten und kann anschließend unter Mitwirkung von Carriern resorbiert werden. Metabolismus Hauptort des FolatStoffwechsels im menschlichen Körper ist die Leber: hepatische DihydrofolatReduktase katalysiert den Umbau von Polyglutamatformen über 5-Methyltetrahydrofolat in die aktive Wirkform 5,6,7,8-Tetrahydrofolsäure. Sie wird in die Galle sezerniert und gelangt damit in den enterohepatischen Kreislauf. Befindet sich 5-Methyltetrahydrofolat in der Zelle, wird es durch das Enzym Methionin-Synthase in Anwesenheit von Cobalamin (Vitamin B12) zu Tetrahydrofolsäure umgesetzt (Abb. 3). Dabei handelt es sich um die aktive Form in den folatabhängigen enzymatischen Reaktionen. Diese Umwandlung ist essentiell, um die extrazellulär verfügbare Monoglutamatform des Folates in die biologisch wirksame Form des Vitamins zu überführen. 5-Methyltetrahydrofolat überträgt in einer anderen Reaktion eine Methylgruppe auf Homocystein. Als Reaktionsprodukt entsteht L-Methionin, das als solches in größerem Umfang für die Synthese von S-Adenosylmethionin genötigt wird. Tetrahydrofolat stellt demnach das zweitgrößte Produkt der MethioninSynthase dar. Über das Enzym Serinhydroxymethyltransferase wird Tetrahydrofolat aus 5,10-Methylentetrahydrofolat unter Abgabe von Glycin generiert. Ein weiteres Enzym, Methylentetrahydrofolatreduktase, katalysiert die Entstehung von 5-Methyltetrahydrofolat aus 5,10-Methylentetrahydrofolat (Weblink 3) (4,5,6,7). Transport im Körper Im Blut liegt die Transportform von Folat als 5Methyltetrahydrofolat gebunden an Albumin, α-Makroglobulin und Transferrin vor. Der Folattransport durch biologische Membranen, wie Gastrointestinaltrakt, Plexus choroideus oder Plazenta, und Zellmembranen wird über FolatTransporter und –Rezeptoren reguliert. Die Plazenta dient dem Stoffaustausch (Nährstoffe und Sauerstoff) zwischen Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:225-240 Präkonzeptionelle Folsäuresubstitution Mutter und Embryo und ist gleichzeitig ein selektives Filterorgan zwischen beiden Organismen. Unter Plexus choroideus versteht man ein arteriovenöses Gefäßknäuel im Ventrikelsystem (Hohlraumsystem des Gehirns, gefüllt mit Cerebrospinalflüssigkeit), das für die Produktion von Cerebrospinalflüssigkeit (Liquor cerebrospinalis) verantwortlich ist. Bei dem Folat-Transporter handelt sich um ein Transportsystem mit geringer Affinität, das mit steigender Folatkonzentration aktiviert wird. Bei geringen physiologischen Folat-Konzentrationen erfolgt ein aktiver Transport, der über Folatrezeptoren vermitteltet wird. Die Funktionalität des Folat-Carriers hängt von mehreren physiologischen Parametern ab. Dazu gehören pH-Wert, Temperatur, physiologische Konzentrationen von Natrium-Ionen und Glucose. Das pHOptimum liegt bei 5,8. Der Transporter wird ubiquitär in einer Vielzahl von Geweben exprimiert. Im Gastrointestinaltrakt erfolgt die stärkste Aufnahme von Folat über das Jejunum (Abb. 2). In geringerem Maße wird es ebenso über passive Diffusion entlang eines Konzentrationsgradienten im Körper verteilt. Die im Plasma vorliegende Folatform ist wiederum 5-Methyltetrahydrofolat. Im Plexus choroideus erfolgt der aktive Transport in das Zentralnervensystem. - 231 - Zum einen findet ein Folat-Rezeptorvermittelter aktiver Transport statt. Dieser Rezeptor liegt an der Oberfläche der choroidalen Epithelzellen an der Plasmaseite und bindet plasmatisches Folat. Durch Endozytose gelangt es anschließend in das intrazelluläre Kompartiment der choroidalen Epithelzellen. Zum anderen finden Prozesse statt, die über einen Folat-Carrier vermittelt werden. Der Transporter liegt im Gegensatz zum Rezeptor auf der Seite der Cerebrospinalflüssigkeit. Er erleichtet den Export von Folat aus den Epithelzellen in den Liquor und führt zu einer erhöhten Folatkonzentration. Bei der neuronalen Folatzufuhr spielt der Transport über die BlutHirn-Schranke im Vergleich zur Cerebrospinalflüssigkeit eine eher untergeordnete Rolle (6). Megaloblastäre Anämie Bei der Umwandlung von 5,10-Methylentetrahydrofolat zu Tetrahydrofolat im Folatzyklus wird eine Methylgruppe frei. Ihre Übertragung auf Homocystein generiert Methionin. Diese Reaktion wird durch das Enzym Methionin-Synthase katalysiert. Methionin-Synthase benötigt als Cofaktor Vitamin B12 (Cyanocobalamin). Bei einem entsprechenden Mangel kann Folat zur DNA-Synthese nicht hergestellt werden. Abb. 3: Rolle der Folsäure im menschlichen Organismus: Folsäure wird zur Nukleotidsynthese benötigt. Mit Hilfe der freiwerdenden Methylgruppe aus dem Folatzyklus wird Methionin aus Homocystein generiert, welches letztendlich notwendig ist um DNS, Proteine und Lipide zu methylieren. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:225-240 Präkonzeptionelle Folsäuresubstitution Daher führt ein Defizit an beiden Mikronährstoffen zu einer megaloblastären Anämie, die sich in einer Verminderung der Erythrozytenzahl mit gleichzeitiger Vergrößerung der Erythrozyten (Megaloblasten) äußert (7). Die Inzidenz dieser Erkrankung liegt bei neun Fällen pro 100.000 Einwohner im Jahr (8). Diese Art der Anämie (perniziöse Anämie) bezeichnet Veränderungen im Blutbild, die durch einen autoimmunologisch induzierten Intrinsic-Factor-Mangel hervorgerufen werden. Aufgrund dessen kann kein Cyanocobalamin resorbiert werden. Supplementierte Folsäure wird direkt zu Tetrahydrofolat reduziert und umgeht daher die Cyanocobalamin-induzierte Blockade im Metabolismus. Demzufolge wird damit die Anämie aufgehoben, ebenso sind im Blutbild keine Auffälligkeiten zu sehen, obwohl weiterhin ein Vitamin B12–Mangel besteht. Dadurch werden irreversible Nervenschädigungen hervorgerufen, die in 20-30% aller beobachteten Fälle auftreten. Gleichzeitiger Mangel an Folat und Vitamin B12 führt zu einem erhöhten Risiko für Neuralrohrdefekte. Genauso können arteriosklerotische Prozesse schneller fortschreiten und längerfristig kardiovaskuläre Erkrankungen hervorrufen (Weblink 4). Des Weiteren bestehen bei Frauen im gebärfähigen Alter ungünstige Schwangerschaftsprognosen, beispielsweise kongenitale Fehlbildungen des Herzens und der Harnwege oder auch die mögliche Ausbildung von Lippen-, Kiefer- oder Gaumenspalten (Weblink 3) (7). Bioverfügbarkeit: Die Bioverfügbarkeit von Folaten unterscheidet sich immens. Während Polyglutamatformen nur eine geringe Resorptionsquote von 20% aufweisen, liegt sie bei Monoglutamatformen relativ hoch. In Lebensmitteln zugesetzte synthetisch hergestellte Folsäure wird zu 90-95% resorbiert, Folsäure in Tablettenform zu 100%. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung hat daher den Begriff des Folsäureäquivalentes eingeführt, um die unterschiedlichen Resorptionen zu vereinheitlichen: 1µg Folatäquivalent = 1µg Nahrungsfolat = 0,5 µg synthetische Folsäure. Daraus ist ersichtlich, dass die Bioverfügbarkeit der synthetischen Folsäure doppelt so hoch ist wie die der natürlich vorkommenden Folate (Weblink 1,3). - 232 - Zufuhrempfehlungen Besteht bei Frauen ein Kinderwunsch, sollte die präkonzeptionelle Einnahme von 400 µg Folsäure pro Tag empfohlen werden (1) (Tab. 1, Weblink 1). Bei Eintritt der Schwangerschaft ist eine Einnahme von 800 µg Folsäure ratsam. Wurde allerdings in einer vorangegangenen Schwangerschaft bereits ein Neuralrohrdefekt diagnostiziert oder besteht vielleicht sogar eine positive Eigenanamnese, ist eine Erhöhung der Dosis um das Fünffache auf 4 bis 5 mg pro Tag notwendig. Außerdem sollte mit der Einnahme der Folsäure nach Möglichkeit bereits präkonzeptionell begonnen werden und nicht erst bei Eintritt beziehungsweise Diagnose einer Schwangerschaft (Weblink 3,5). Folsäure (Nahrungsfolat, Äquivalent/Tag) Säuglinge 0 bis 4 Monate 60 µg 4 bis 12 Monate 80 µg Kinder 1 bis 4 Jahre 200 µg 4 bis 10 Jahre 300 µg 10 bis 15 Jahre 400 µg Jugendliche & Erwachsene 15 bis 25 Jahre 400 µg 25 bis 65 Jahre 400 µg > 65 Jahre 400 µg Schwangere & Stillende Standard vorangegangener Neuralrohrdefekt 400-800 µg 4-5 mg Tab. 1: Zufuhrempfehlungen für Folsäure für verschiedene Altersgruppen nach den Ernährungsgesellschaften Deutschland, Österreich und Schweiz (D-A-CH 2000). Außerdem ist die Empfehlung für Frauen, bei denen in einer vorangegangenen Schwangerschaft bereits ein Neuralrohrdefekt diagnostiziert wurde, angegeben (modifiziert nach Weblink 1). Untersuchungen ergaben, dass gesunde Erwachsene mit bereits 50-100 µg syn- Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:225-240 Präkonzeptionelle Folsäuresubstitution thetischer Folsäure Mangelerscheinungen vorbeugen können. Zur ausreichenden Senkung des Homocysteinspiegels allerdings müssen mindestens 400 µg/Tag zugeführt werden. Je nach Erkrankung sollte eine noch höhere Folsäuresupplementierung erfolgen. Dies betrifft vor allem Bevölkerungsteile mit dem Genpolymorphismus C 677 T der Methylentetrahydrofolatreduktase (MTHFR). Dieser Defekt geht mit erhöhtem Homocysteinspiegel im Blut einher und betrifft ca. 10 % der Bevölkerung. Bei Müttern von Kindern mit Neuralrohrdefekt ist der Polymorphismus häufiger zu finden. Hierbei handelt es sich um eine autosomal-rezessiv vererbte Folsäurestoffwechselstörung, bei der aufgrund des MTHFRMangels nur geringe Mengen von Methylentetrahydrofolat gebildet werden, die jedoch für die Regeneration von Methionin aus Homocystein benötigt werden.(Weblink 3, Abb. 4). Neuralrohrdefekte Die Ursachen für Neuralrohrdefekte sind nicht vollständig geklärt. Es wird vermutet, dass es verschiedenste Risikofaktoren für diese Arten der Fehlbildungen gibt. Neben umweltbedingten Risiken wie z.B. Mangelerscheinungen, spielen wahr- - 233 - scheinlich auch genetische sowie sozioökonomische Faktoren eine Rolle (1,9). Neuralrohrdefekte sind Fehlbildungen die sich darauf zurückführen lassen, dass sich das Neuralrohr nicht richtig schließt. Die Entwicklung und der Verschluss des Neuralrohrs erfolgen normalerweise innerhalb von 4 Wochen (ungefähr zwischen dem 22. und 28. Schwangerschaftstag) nach der Konzeption, also zu einem Zeitpunkt, zu dem die meisten Frauen noch gar nicht wissen, dass sie schwanger sind (Abb. 5) (1). Der Schluss zum Neuralrohr beginnt im mittleren Bereich der Neuralplatte und breitet sich von dort nach kranial und kaudal aus. Dabei bleibt an beiden Enden je eine Öffnung, der kraniale Neuroporus und der Neuroporus posterior (Abb. 6). Der kraniale Neuroporus befindet sich im Bereich der Gehirnanlage und schließt sich ein bis zwei Tage nach dem Verschluss des Neuroporus posterior, welcher am 24. beziehungsweise 25. Entwicklungstag erfolgt. Das Lumen des Neuralrohrs stellt die Anlage des Ventrikelsystems des Gehirns und des Zentralkanals des Rückenmarks dar (10). Das Ektoderm, das jetzt das Neuralrohr bedeckt wird später zur Haut und das Mesoderm wird die Wirbelsäule bilden. Die Rückensaite (Chorda dorsalis) entwickelt sich zurück. Abb. 4: Funktion der MTHFR (Methylentetrahydrofolatreduktase) im Folatstoffwechsel. Bei 10% der Bevölkerung in Deutschland ist die Aktivität der MTHFR durch einen Polymorphismus drastisch eingeschränkt. In solchen Fällen liegt ein 5Methyltetrahydrofolsäure-Mangel vor. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:225-240 Präkonzeptionelle Folsäuresubstitution - 234 - hirns (Weblink 1). Spina bifida dagegen kann sehr unterschiedlich stark ausgeprägt sein, abhängig von der Lokalisation und der Schwere des Defekts (Abb. 7). Spina bifida occulta bezeichnet einen unvollständigen Verschluss der hinteren Wirbelbögen und ist von außen nicht sichtbar. Wenn sich die Meningen (Rückenmarkshäute) durch den Spalt des fehlgebildeten Wirbelbogens unter der Haut hervorwölben, spricht man von der mildesten Form der Spina bifida, der Meningozele. Bei der Myelomeningozele dagegen befindet sich außer den Meningen auch das Rückenmark außerhalb des Wirbelbogens (Weblink 6). Tritt bei einem Fötus eine Anenzephalie auf, kommt es häufig zum Abort (Fehlgeburt) oder die Fehlbildung wird im Rahmen der Pränataldiagnostiik entdeckt und die Schwangerschaft daraufhin abgebrochen. Abb. 5: Querschnitt durch die Neuralanlage eines Embryos im Alter von etwa 19 bis 24 Tagen. Der Schluss zum Neuralrohr beginnt im mittleren Bereich der Neuralplatte und breitet sich von dort nach kranial und kaudal aus. Das Lumen des Neuralrohrs stellt die Anlage des Ventrikelsystems des Gehirns und des Zentralkanals des Rückenmarks dar (modifiziert nach (17)). Die strukturellen Defekte können überall entlang der Neuralrinne, von dem sich noch in der Entwicklung befindenden Gehirn bis zum Kreuzbein, auftreten. Oft liegt dabei das Nervengewebe durch einen fehlenden Verschluss des Neuralrohrs frei. Klassischerweise lassen sich die Neuralrohrdefekte in zwei Hauptgruppen einteilen (9). Zum einen in solche Fehlbildungen, die die kranialen Strukturen betreffen, wie z.B. Anenzephalie oder Enzephalozele und auf der anderen Seite die Fehlbildungen die unter dem Sammelbegriff Spina bifida zusammengefasst werden, der alle Arten der Spaltbildung der Wirbelsäule zusammenfasst (Abb. 6). Betrachtet man diese Einteilung, dann sind die kranialen Fehlbildungen klinisch meist offensichtlicher aber auch oft mit dem Leben nicht vereinbar (9). So versteht man unter dem Begriff Anenzephalie das teilweise bis vollständige Fehlen der Schädeldecke, der bedeckenden Haut und des Ge- Abb. 6: Aufsicht auf das Neuralrohr. Die beiden gestrichelten Linien verweisen auf die in Abbildung 5 gezeigten Querschnitte. Nach Verschluss des Neuralrohrs bleibt an beiden Enden erst einmal je eine Öffnung, der kraniale Neuroporus und der Neuroporus posterior. Der kraniale Neuroporus befindet sich im Bereich der Gehirnanlage und schließt sich ein bis zwei Tage nach dem Verschluss des Neuroporus posterior, welcher am 24. beziehungsweise 25. Entwicklungstag erfolgt (modifiziert nach (1)). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:225-240 Präkonzeptionelle Folsäuresubstitution - 235 - Abb. 7: Seitliche Ansicht des Rückenmarks bei drei verschiedenen Formen der Soina bifida (modifiziert nach (1)). Nur die Wenigsten werden ausgetragen und dabei kommt es entweder zu einer Totgeburt oder der Säugling verstirbt kurz nach der Geburt. Im Gegensatz dazu überleben Kinder mit Spina bifida heutzutage aufgrund der guten medizinischen Versorgung, allerdings leiden sie aufgrund der neurologischen Störung häufig lebenslang unter schweren Behinderungen (Weblink 3). Folsäure und Neuralrohrdefekte Bereits Mitte der 1960er Jahre haben Hibbard und Smithells vermutet, dass ein Zusammenhang zwischen der Folsäureversorgung der Mutter und der Entwicklung des Fötus bestehen könnte. Sie konnten zeigen, dass die Mütter der Kinder mit Neuralrohrdefekt häufiger einen gestörten Folsäuremetabolismus aufweisen als die Kontrollgruppe (11). 1981 wurden die Beobachtungen einer randomisierten, kontrollierten Doppelblindstudie von Laurence et al in Wales veröffentlicht. In dieser Studie wurde untersucht, ob bei Frauen die bereits ein Kind mit Neuralrohrdefekt hatten, das Wiederauftreten eines Neuralrohrdefektes bei einer erneuten Schwangerschaft durch die präkonzeptionelle Einnahme von 4 mg Folsäure täglich verhindert werden könnte. Von 44 Frauen in der Verumgruppe hatte keine eine Schwan- gerschaft mit erneutem Neuralrohrdefekt, dagegen wurden in der aus 51 Frauen bestehenden Placebogruppe 4 Neuralrohrdefekte diagnostiziert. Die Autoren schlossen daraus, dass Folsäure helfen könnte das Auftreten von dieser Art der Fehlbildungen zu verhindern (12). Das Ergebnis dieser Studie sollte mit einer großen, internationalen, doppelblinden, randomisierten Multi-CenterStudie von 1983 bis 1991 belegt werden (13). Die Studie wurde von der “Medical Research Council Vitamin Study Research Group” an 33 Standorten in 7 Ländern durchgeführt. In die Studie wurden Frauen eingeschlossen, bei denen in einer vorangegangenen Schwangerschaft bereits ein Neuralrohrdefekt auftrat und die eine weitere Schwangerschaft planten, allerdings noch keinerlei Vitaminpräparate zu sich nahmen. Die 1817 teilnehmenden Frauen wurden randomisiert in 4 Gruppen eingeteilt. Teilnehmerinnen der Gruppe A erhielten täglich eine Kapsel mit 4 mg Folsäure, die der Gruppe B zusätzlich eine Multivitaminpräparat bestehend aus Vitamin A, D, B1, B2, B6, C und Nicotinamid. Dagegen erhielten die Frauen in den Gruppen C und D gar kein Nahrungsergänzungsmittel bzw. nur das Multivitaminpräparat. Die Frauen wurden angewiesen vom Datum der Randomisierung bis zur zwölften Schwangerschaftswoche täglich eine Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:225-240 Präkonzeptionelle Folsäuresubstitution Kapsel einzunehmen. Die Frauen wurden regelmäßig alle drei Monate untersucht und die Compliance überprüft. Die letzte Untersuchung fand in der zwölften Schwangerschaftswoche statt. Die Teilnehmerinnen verblieben solange in der Studie, bis bei einer Schwangerschaft der Fötus als mit oder ohne Neuralrohrdefekt klassifiziert werden konnte. Bei den Gruppen in denen Folsäure verabreicht wurde lag die Prävalenz für einen Neuralrohrdefekt bei 1% in den anderen beiden Gruppen bei 3,5%. Damit konnte eine Reduktion des Risikos um mehr als 70% im Vergleich zu den Kontrollgruppen beobachtet werden (relatives Risiko 0,28). Damit konnte die Studie zeigen, dass in der Tat die Folsäure und nicht die anderen Vitamine für den protektiven Effekt in der Schwangerschaft verantwortlich sind. Die Studie wurde an Frauen durchgeführt die bereits eine oder mehr durch Neuralrohdefekte betroffene Schwangerschaften hinter sich hatten. Bei diesen Frauen ist die Wahrscheinlichkeit erneut betroffen zu sein deutlich höher als bei dem Erstauftreten eines Neuralrohrdefektes (12). Die Autoren sind der Ansicht, dass nichts dagegen spricht, dass die Einnahme von Folsäure das Risiko eines ersten Auftretens von Neuralrohrdefekten auch reduzieren könnte. In den folgenden Jahren wurden weitere Studien durchgeführt, die zusammengefasst ähnliche Resultate aufweisen (Weblink 7). Seit der Entdeckung des Einflusses von Folsäure auf die Entwicklung des Fötus, gibt es auch immer wieder negative Stimmen, die eine Folsäuresubstitution vor und während der Schwangerschaft unter anderem für die Erhöhung des Risikos für spontane Fehlgeburten verantwortlich machen (14). Eine Studie die von amerikanischen und chinesischen Wissenschaftlern gemeinsam in China durchgeführt wurde, wiederlegte diese Behauptung (15). Der Anteil der Frauen, der Folsäure einnahm und eine Fehlgeburt erlitt, lag bei 9,0% und in der Gruppe, die keine Folsäure einnahm bei 9,3%. Insgesamt lag die Gesamtrate an Fehlgeburten bei 9,1% und damit 2% unter den in vergleichbaren europäischen oder amerikanischen Studien festgestellten Fehlgeburtsraten. Mögliche Gründe hierfür könnten even- - 236 - tuell das niedrige Durchschnittsalter der Chinesinnen bei der ersten Schwangerschaft oder der konsequente Ausschluss vorheriger Fehlgeburten. Vorteil der Studie ist, dass sie mit China in einem Land durchgeführt wurde, das eine konsequente Geburtenkontrolle durchführt und deshalb für solche Erhebungen besser geeignet ist als Europa oder die USA. Folsäure und Frühgeburten Eine neue Fragestellung wurde im Mai 2009 im Rahmen einer Kohortenstudie veröffentlicht (16). Die Autoren haben untersucht ob eine präkonzeptionelle Folsäuresubstitution das Risiko einer spontanen Frühgeburt vermindern kann. 34480 Frauen wurde in die Studie eingeschlossen. Der Fötus sollte zu Beginn der Studie zwischen 10 Wochen und 3 Tagen und 13 Wochen und 6 Tage alt sein. Dazu wurde die Rumpflänge per Ultraschall gemessen. Die Teilnehmerinnen sollte selbst darüber Auskunft geben ob im ersten Trimenon eine Substitution mit Folsäure stattgefunden hat und in welcher Form. Anschließend erfolgte die Einteilung in drei Gruppen. 19,6% der Teilnehmerinnen gaben an, Folsäure schon mindestens ein Jahr und länger präkonzeptionell eingenommen zu haben und 36,1% weniger als ein Jahr. 44,3% gaben an gar keine Folsäure substituiert zu haben. Da im Allgemeinen mit höherem Alter auch ein erhöhtes Risiko für unerwünschte Ereignisse in der Schwangerschaft besteht, wurden die Teilnehmerinnen ihrem Alter entsprechend in zwei Gruppen eingeteilt. Auf der einen Seite die Frauen, die zum Zeitpunkt der Geburt 35 Jahre und älter sind und auf der anderen Seite alle Teilnehmerinnen unter 35 Jahren. Eine Geburt war dann eine spontane Frühgeburt wenn der Fötus in Relation zu seiner Rumpflänge zwischen 20 Wochen und 36 Wochen und 6 Tagen zur Welt kam und es nicht durch medizinische Komplikationen zu einer Frühgeburt kam. Als sekundärer Endpunkt wurde auch die Größe des Säuglings in Bezug auf das Alter betrachtet (Small for gestational Age). Durch die Einnahme von Folsäure länger als ein Jahr vor der Konzeption reduziert sich das Risiko einer spontanen Frühgeburt vor der 28. Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:225-240 Präkonzeptionelle Folsäuresubstitution Woche um 70% und zwischen der 28. und 32. Woche um 50%. Außerdem konnte beobachtet werden, dass die „Schutzfunktion“ von Folsäure mit zunehmendem Gestationsalter abnimmt (Abb. 8). Durch die Einbeziehung von Risikofaktoren für eine Frühgeburt (z.B. Rauchen, Alter etc.) hat sich das Ergebnis der Studie nicht signifikant geändert. Bisher gibt es noch keine weiteren Studien zu dem Zusammenhang zwischen Folsäure und Frühgeburten. Beratungsschwerpunkte Vor dem Hintergrund der publizierten Studien ergeben sich damit folgende Beratungsschwerpunkte in der Apotheke: Der in Fallbeispiel 1 vorgestellten Patientin sollte eine Folsäuresubstitution empfohlen werden, da auch bei ausgewogener Ernährung eine ausreichende Versorgung mit Folsäure nicht gewährleistet ist. Vielleicht könnte die Patientin bei ihrem behandelnden Arzt ihren Fol- - 237 - säurespiegel bestimmen lassen. Ein Präparat mit einem Wirkstoffgehalt von 400 µg Folsäure erscheint dabei ausreichend (Tab. 2). Bei bestehendem Kinderwunsch sollte die junge Frau täglich eine Tablette einnehmen und die Dosis bei Eintreten einer Schwangerschaft verdoppeln. Auch der in Fallbeispiel 2 vorgestellten Patientin sollte zu der Einnahme der Tabletten geraten werden. Das Ziel ist in diesem Fall allerdings nicht der vollständige Verschluss des Neuralrohrs, da dieser zu dem Zeitpunkt, zu dem die Schwangerschaft festgestellt wird in den meisten Fällen bereits erfolgt ist. Allerdings sollte die Folsäure trotzdem eingenommen werden, um einen erhöhten Bedarf während der Schwangerschaft abzudecken und den Fötus gleichzeitig vor möglichen kongenitalen Fehlbildungen des Herzens; der Harnwege oder der Ausbildung von Lippen-, Kiefer- oder Gaumenspalten zu schützen (Weblink 3). Abb. 8: Kumulatives Risiko einer spontanen Frühgeburt in Abhängigkeit von der Dauer der präkonzeptionellen Folsäuresubstitution. Einschränkend muss nach Aussage der Autoren festgehalten werden, dass aus verschiedenen Gründen die Sicherheit und Aussagekraft der Studienergebnisse limitiert sein kann. Dazu zählen beispielsweise zum einen, die geringe Anzahl der festgestellten frühen Frühgeburten und zum anderen die Möglichkeit nicht entdeckter Einflüsse (confounders) (modifiziert nach (16)). Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:225-240 Präkonzeptionelle Folsäuresubstitution Handelsname - 238 - Folsäuregehalt Tagestherapiekosten [€]1 Indikation für die Schwangerschaft? DreisaFol® GRY 5 mg 0,26 Nein Folarell® Sanorell 5 mg 0,39 Ja Folcur 1A Pharma 5 mg 0,19 Nein Folgamma®Mono 5 Wörwag 5 mg 0,26 Nein Fol Lichtenstein Winthrop 5 mg 0,27 Nein Folsäure AbZ 5 mg 5 mg 0,19 Ja FOLSÄURE-biosyn 5 mg 0,22 Nein Folsäure-CT 5 mg 5 mg 0,19 Ja Folsäure-Hevert® 5 mg 0,25 Nein Folsäure Lomapharm 5 mg 0,16 Nein Folsäure-ratiopharm® 5 mg 0,20 Ja Folsäure Sandoz 5 mg 0,19 Nein Folsäure STADA® 5 mg 0,19 Nein 0,4 mg 0,18 Ja 5 mg 0,26 Ja 0,4 mg 0,19 Ja 5 mg 0,27 Nein 5 mg 0,21 Ja 0,4 mg 0,27 Nein 5 mg Folinsäure 0,65 Nein ® ® Folsan ® Solvay Folsan® Solvay Folverlan ® Verla Folverlan® Verla GRAVI-FOL ® ASCONEX ® Lafol Valeant Lederfolat® TEOFARMA2 Tab. 2: Monopräparate mit Folsäure aus der Roten Liste online. Tagestherapiekosten wurden für alle Präparate mit der Packungsgröße N1 berechnet. Es ist angegeben, ob die Präparate, entweder im Beipackzettel oder falls vorhanden in der Fachinformation, eine Indikation für die Schwangerschaft explizit angeben.1Preisangaben nach Stand September 2009, 2enthält Folsäure in Form von Calciumfolinat ( Folinsäure) (Weblinks 8, 9). Beiden Patientinnen sollte deutlich gemacht werden, dass die Substitution mit Folsäure eine vergleichsweise einfache Methode ist, um die Risiken für mögliche Fehlbildungen deutlich zu vermindern. Es besteht keine Gefahr der Überdosierung mit Folsäure, da selbst bei einer Dosierung von 10 mg pro Tag über einen Zeitraum von fünf Jahren keine Nebenwirkungen beobachtet wurden. Zu unerwünschten Effekten, wie beispielsweise Schlafstörungen oder gastrointestinale Beschwerden kann es möglicherweise bei einer längerfristigen Einnahme von 15 mg pro Tag kommen (3). Da eine Substitution mit Folsäure einen Vitamin B12Mangel maskieren würde, besteht bei der Einnahme von Folsäure nur dann das Risiko einer megaloblastären Anämie, wenn ein solches Defizit unerkannt vorliegt. Fazit Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Frauen bei denen der Wunsch nach einer Schwangerschaft besteht, nicht auf eine ausreichende Folsäureversorgung verzichten sollten. Die meisten Schwangeren wissen zu dem Zeitpunkt, zu dem der wichtige Verschluss des Neuralrohrs beim Embryo erfolgt, noch gar nicht, dass sie schwanger sind. Von daher ist Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:225-240 Präkonzeptionelle Folsäuresubstitution es ratsam, möglichst früh mit der Folsäuresubstitution zu beginnen. Liegt bei einer Frau im gebärfähigen Alter eine positive Familienanamnese für einen Neuralrohrdefekt vor, ist es ratsam, präkonzeptionell mit einer Folsäuresubstitution von 4 bis 5 mg pro Tag zu beginnen. Gleichzeitig sollte vielleicht eine ärztliche Untersuchung hinsichtlich eines mögli- - 239 - chen MTHFR-Polymorphismus erfolgen. Außerdem wäre es ratsam, Frauen mit fehlendem Konzeptionsschutz eine Substitution von Folsäure zu empfehlen, da in diesem Fall die Wahrscheinlichkeit einer ungeplanten Schwangerschaft recht hoch ist. Auf dieser Argumentation sollte eine Beratung in der Apotheke basiert sein. Die Autorinnen Katharina Busch wurde 1983 in Düsseldorf geboren. Sie hat ihre schulische Laufbahn 2003 in Ratingen mit dem Abitur abgeschlossen und studiert seit 2004 Pharmazie an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Verena Smodej wurde 1979 in Freudenberg geboren. Nach ihrem Abitur machte sie eine Ausbildung zur pharmazeutisch-technischen Assistentin in Hagen. Im Anschluss daran Tätigkeit in einer Apotheke in Hagen. Studium der Pharmazie in Frankfurt, seit Sommersemester 2008 in Düsseldorf. Währenddessen tätig bei Socratec R+D in Oberursel und in einer Apotheke in Düsseldorf. Weblinks: 1. 2. 3. 4. Homepage des Fehlbildungsmonitoring Sachsen-Anhalt, mit vielen nützlichen Informationen zum Thema, beispielsweise Inzidenzzahlen und Lehrmaterial. http://www.angeborene-fehlbildungen.com Das Bundesinstitut für Risikobewertung beantwortet verschiedene Fragen rund um das Thema Folsäure. http://www.bfr.bund.de/cd/8906 Das Ärzteblatt wird von der Bundesärztekammer herausgegeben und beschäftigt sich in diesem Artikel mit der gesundheitlichen Bedeutung der Folsäurezufuhr. Der Abschnitt über den Einfluss der Folsäure auf kardiovaskuläre Erkrankungen kann allerdings als obsolet betrachtet werden. http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=42187 Diese Seite gibt Informationen zum Thema Onkologie und Hämatologie und beschreibt recht ausführlich entsprechende Erkrankungen und Therapien. http://www.onkodin.de/zms/content/e8/e12933/e12934/index_ger.html Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:225-240 Präkonzeptionelle Folsäuresubstitution 5. 6. 7. 8. 9. - 240 - Der ‚Frauenarzt‘ ist das offizielle Organ des Berufsverbands der Frauenärzte e.V. (BVF) sowie der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e.V. (DGGG). In diesem Artikel sind unter anderem Zufuhrempfehlungen für Folsäure beschrieben. http://www.frauenarzt.de/1/2007PDF/07-08/2007-08-wenderlein.pdf Hierbei handelt es sich um einen Online Embryologiekurs für Studierende der Medizin der von den Universitäten Fribourg, Lausanne und Bern in der Schweiz entwickelt wurde. http://www.embryology.ch/allemand/hdisqueembry/patholdisque03.html Das Medical Research Council ist eine Organisation, die weltweit die wissenschaftliche Forschung unterstützt und Ergebnisse auf ihrer Homepage veröffentlicht, unter anderem eine Übersicht über bereits durchgeführte klinische Studien zum Thema. http://www.mrc.ac.uk/Achievementsimpact/Storiesofimpact/Folicacid/index.htm Onlineportal der Roten Liste mit aktuellen Preisen https://www.rote-liste.de Arzneimittelinformationen für Ärzte und Apotheker online http://www.fachinfo.de/ Literatur: 1) Botto LD, Moore CA et al. Neural Tube defects. N Eng J Med. 1999 Nov 11;341(20):1509-19 2) Kirschner W: Ernährungssituation und Ernährungswissen bei Schwangeren. Ernährung & Medizin 2003; 18: p 71-6 3) Schauder P, Ollenschläger G: Ernährungsmedizin: Prävention und Therapie. Urban & Fischer, 3. Auflage, 2006, p 109-10 4) Löffler G, Petrides PE, Heinrich PC: Biochemie und Pathobiochemie, Springer Verlag, 8. Auflage, 2007, p 707-8 5) Voet D, Voet JG. Biochemie. VCH Verlagsgesellschaft mbH. 1. Auflage, 1994, p 714-16 6) Djukic A. Folate-Responsive Neurologic Diseases. Pediatric Neurology. 2007 Dec;37(6):387-97 7) Varela-Moreiras G, Murphy MM, Scott JM: Cobalamin, folic acid and homocysteine. Nutrition Reviews. 2009 May;67(Suppl. 1):69-72 8) Herold G et al: Innere Medizin – Eine vorlesungsorientierte Darstellung. Köln, 2008, p 27 9) Frey L, Hausner WA. Epidemiology of Neural Tube Defects. Epilepsia. 2003;44(Suppl. 3):4-13 10) Sinowatz F, Seitz J, Bergmann M: Embryologie des Menschen. Deutscher Ärzteverlag, 1. Auflage, 1998, p 171-2 11) Hibbard ED, Smithells RW. Folic acid metabolism and human embryopathy. Lancet. 1965 June;1:1254 12) Laurence KM, James N, Miller MH. Double-blind randomized controlled trial of folate treatment before conception to prevent recurrence of neural-tube defects. British Medical Journal (Clin Res Ed). 1981 May;282(6275):1509-11 13) MRC Vitamin Study Research Group. Prevention of neural tube defects: Results of the Medical Research Council Vitamin Study. Lancet. 1991 July;338( 8760):131-37 14) Hook EB, Czeizel AE. Can Terathanasia explain the protective effect of folic-acid supplementation on birth defects? Lancet. 1997 Aug;350(9076):513-15 15) Gindler J, Li Z, Berry RJ, Zheng J et al. Folic acid supplements during pregnancy and risk of miscarriage. Lancet. 2001 Sep;358(9284):796-800 16) Bukowski R, Malone FD, Porter FT, et al. Preconceptional Folate Supplementation and the Risk of Spontaneous Preterm Birth: A Cohort Study. PLoS Med. 2009 May;6(5): e1000061.doi:10.1371/journal.pmed.1000061 17) Benninghoff A: Anatomie: Makroskopische Anatomie, Histologie, Embryologie, Zellbiologie Band 1. Elsevier, München, 17. Auflage, April 2008, p 223 Impressum: http://www.uni-duesseldorf.de/kojda-pharmalehrbuch/FortbildungstelegrammPharmazie/impressum.html Fortbildungstelegramm Pharmazie 2009;3:225-240