Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
Manuskript zum Beitrag: Ulrich Nachbaur, Gesetzgebung und Verwaltung. In: Vorarlberg. Zwischen Fußach und Flint, Alemannentum und Weltoffenheit, hg. von Franz Mathis/Wolfgang Weber. Wien/Köln/Weimar 2000 (Geschichte der österreichsichischen Bundesländer seit 1945 6/4), S. 464-521. Alle Rechte beim Autor. www.landesarchiv.at Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 Ulrich Nachbaur1 Mit dem Ostmarkgesetz 1939 war das “ehemals österreichische Land Vorarlberg” als Verwaltungsbezirk und Selbstverwaltungskörperschaft dem Reichsstatthalter in Tirol unterstellt worden (Reichsgau Tirol-Vorarlberg)2. Das Kleinwalsertal war bereits 1938 Bayern angegliedert worden3. Die Selbständigkeit und Einheit des Landes waren daher das Ziel, für das die Franzosen gewonnen werden mußten, die Vorarlberg Anfang Mai 1945 befreit und besetzt hatten. 1. Wiedergründung des Landes unabhängig von Wien Wie 1918 wurde Vorarlberg auch 1945 unabhängig von Wien als selbständiges Land wiedergegründet, erneut in einem staatsrechtlich “revolutionären” Akt4. Diesmal aber nicht eigen1 Für Kritik und Anregungen danke ich Wilfried Längle, Klaus Plitzner und Wolfgang Weber. Gesetz (künftig: G) über die Verwaltung in der Ostmark (Ostmarkgesetz) vom 14.4.1939, Reichsgesetzblatt Teil I (künftig: RGBl I) S. 777, § 1 Abs. 2. Zum Rechtscharakter: Helfried Pfeifer, Die Ostmark. Eingliederung und Neugestaltung. Historisch-systematische Gesetzessammlung nach dem Stande vom 16.4.1941, Wien 1941, S. 530-619. Gerhard Botz, Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich. Planung und Verwirklichung des politisch-administrativen Anschlusses (19381940), ²Wien 1976, S.109; Elmar Grabherr, Vorarlberger Geschichte. Eine volkstümliche Darstellung, Bregenz 1986, S. 268269. (Der Spitzenbeamte Grabherr war von der “Stunde Null” an bis Ende der 1970er Jahre direkt in die Arbeit der Landesregierung involviert. Insofern kommt seiner aus sehr persönlicher Sicht verfaßten “volkstümlichen Darstellung” über weite Strecken auch Quellencharakter zu). Im übrigen: Margit Schönherr, Vorarlberg 1938. Die Eingliederung Vorarlbergs in das Deutsche Reich 1938/39, Dornbirn 1981, S.83-103. Margit Schönherr, Die Verwaltung und der Verlust der Selbständigkeit, in: Vorarlberger Landesmuseum (Hg.), Vorarlberg 1938, Ausstellung im Rahmen der Veranstaltungen des Gedenkjahres 1988, Bregenz 1988, S. 81-90. 3 G vom 1.10.1938 über Gebietsveränderungen im Lande Österreich, RGBl I S. 1333, Gesetzblatt für das Land Österreich (künftig: GBlÖ) 443/1938. die früheren Zollausschlußgebiete Mittelberg und Jungholz (Tirol) wurden mit Erlaß des bayerischen Staatsministers des Innern vom 14.10.1938 dem Bezirksamt Sonthofen (Schwaben) zugewiesen. Pfeifer (wie Anm. 1), S. 93. 4 Peter Pernthaler, Die Staatsgründungsakte der österreichischen Bundesländer. Eine staatsrechtliche Untersuchung über die Entstehung des Bundesstaates, Wien 1979, besonders S. 35-39 und 98-102; Werner Brandtner/Franz Hämmerle/Johannes Müller, Der Vorarlberger Landtag, in: Herbert Schambeck (Hg.), Föderalismus und Parlamentarismus in Österreich, Wien 2 Vorarlberger Landesarchiv Kirchstraße 28 A-6900 Bregenz www.landesarchiv.at DVR 0058751 Tel: #43(0)5574/511-45005 Fax: #43(0)5574/511-45095 E-Mail: landesarchiv@vlr.gv.at mächtig, sondern mit Ermächtigung einer Besatzungsmacht; und nicht in halbwegs geordneten Bahnen, sondern nach Jahren der Diktatur in einem völligen Chaos. Mit Ermächtigung der französischen Militärregierung Bereits im Vormarsch begannen die französischen Truppenkommanden mit der Einsetzung neuer Bürgermeister. Auch die 1938 abgesetzten Bezirkshauptleute wurden sofort wieder in ihre Funktionen berufen. Aber erst auf Drängen der Bürgermeister und Bezirkshauptmänner erkannten die Franzosen auch den Landesausschuß an, den Christdemokraten und Sozialdemokraten gebildet hatten. Denn für diesen kam nur die Anerkennung als Organ eines wiedergegründeten Landes Vorarlberg in Frage. Wenn sich die zentralistisch geprägten Franzosen schließlich zu diesem “Fait accompli” durchrangen, der “die Selbständigkeit Vorarlbergs garantieren würde”5, dann dürfte dies dadurch begünstigt worden sein, daß sie in Vorarlberg “festsaßen”. Im “Wettlauf der Armeen” waren die Franzosen gleich hinter dem Arlberg auf die Amerikaner gestoßen; ihre Besatzungszone reichte zunächst nur bis Pettneu. Das französische Kommando residierte in Feldkirch, das damit auch zum Sitz des Landesausschusses bestimmt wurde. Erst Anfang Juli übernahmen die Franzosen vereinbarungsgemäß Nordtirol und das Kleinwalsertal6. Mit Erlaß des kommandierenden Generals vom 24. Mai 1945 wurde der “Vorarlberger Landesausschuß” als “oberste Behörde der zivilen Verwaltung des Landes Vorarlberg” unter Kontrolle der Militärregierung autorisiert7. Bei der Konstituierung am selben Tag erklärte Ulrich Ilg als Präsident des Landesausschusses, daß mit dem Bestellungsdekret die “Selbstverwaltung” des Landes Vorarlberg wieder hergestellt sei, “wenn auch unter Überwachung einer Besatzungsmacht”. Der Landesausschuß werde Wert darauf zu legen haben, sein Mandat “im Vorarlberger Volk selbst zu verankern”. Immerhin hätten sich die Bürgermeister der zwölf größten Gemeinden für die Autorisierung des Landesausschusses verwendet. Seine Tätigkeit werde, 1992, S. 539-588, hier S. 563-566; Ulrich Nachbaur, Chronologie zur organisatorischen Entwicklung der Vorarlberger Landesverwaltung seit 1918, in: Amt der Vorarlberger Landesregierung, Bd. 1, Typoskript, Bregenz 1997 (Vorarlberger Landesarchiv), S. 47-49. 5 Ulrich Ilg 1969, zitiert nach Dietlinde Löffler-Bolka, Vorarlberg 1945. Das Kriegsende und der Wiederaufbau demokratischer Verhältnisse in Vorarlberg im Jahre 1945, Bregenz 1975, S. 143. Zur Gründungsphase ebd., S. 142-144; Klaus Plitzner, “Vorarlberg muß Österreichs gute Stube bleiben.” Die Vorarlberger Volkspartei von 1945 bis 1994, in: Robert Kriechbaumer/Franz Schausberger (Hg.), Volkspartei - Anspruch und Realität. Zur Geschichte der ÖVP seit 1945, Wien-Köln-Weimar 1995, S. 601-644, hier S. 604-605; Ende und Anfang. Erinnerungen an die Maitage 1945. Niederschrift von Radiointerviews, die 1965 für eine Hörfunk-Dokumentation über die Bildung einer provisorischen Landesregierung im Mai 1945 aufgenommen worden sind, hg. vom ORF Landesstudio Vorarlberg, Dornbirn, 1985, Interview mit Ulrich Ilg 1965, S. 8-9; Marcello Jenny, Rational-Choice-Theorien der Regierungsbildung: Eine Anwendung auf die Regierungen des Bundeslandes Vorarlberg 19451994, Diplomarbeit (masch.) Wien 1994, S. 68-76. 6 Klaus Eisterer, Französische Besatzungspolitik. Tirol und Vorarlberg 1945/46, Innsbruck 1991, S. 14-22; Löffler-Bolka (wie Anm. 5), S. 141; Grabherr (wie Anm. 1), S. 277. 7 Erlaß des Kommandierenden Generals des Gebietes von Vorarlberg über die Bestellung des Vorarlberger Landesausschusses vom 24.5.1945, Vorarlberger Landesamtsblatt (künftig: VLABl) 1/1945. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 2 / 53 “hoffentlich nicht in allzuferner Zeit”, mit der Bildung neuer Vertretungskörper im Wege einer geordneter Wahl beendet sein8. Grafik 1: Zivile “Landesregierungen” 1925, 1929 1934 Landeshauptmann mittelbare Bundesverwaltung Landesregierung Landtag Landesverwaltung 1938 1939/40 Reichsstatthalter in Tirol und Vorarlberg staatliche Verwaltung und Selbstverwaltung 1945, 24.5. Vorarlberger Landesausschuß staatliche Verwaltung und Selbstverwaltung 1945, 11.12. Landeshauptmann mittelbare Bundesverwaltung Landesregierung Landtag Landesverwaltung Quelle: Nachbaur, Chronologie zur organisatorischen Entwicklung der Vorarlberger Landesverwaltung seit 1918 (1997), S. 6. Der Landesausschuß knüpfte zunächst - zumindest formell - nicht an die Landesverfassung von 1923 an. Er beschloß die sinngemäße Geltung der Geschäftsordnung der 1932 letztmals demokratisch gewählten Landesregierung, errichtete ein “Amt des Vorarlberger Landesausschusses” und faßte zur “Klarstellung des geltenden Rechtszustandes” folgenden Beschluß: “Die gesamten im Zeitpunkt der Besetzung durch die Alliierten in Geltung stehenden Rechtsvorschriften bleiben vorläufig weiter in Kraft, soweit dies nicht dem Sinn der Neuordnung (Beseitigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft) widerspricht. Was dem Sinn der Neuordnung widerspricht, bestimmt der Vorarlberger Landesausschuß. Soweit in den Rechtsvorschriften die Zuständigkeit einer außerhalb Vorarlbergs liegende Stelle vorgesehen ist, wird dieselbe vom Vorarlberger Landesausschuß wahrgenommen”.9 Wiedererrichtung des Bundesstaates 8 Vorarlberger Landesarchiv (VLA), Vorarlberger Landesregierung, Schachtel 11, Niederschrift (künftig: NS) 1. Sitzung des Vorarlberger Landesausschusses (künftig: LA) am 24.5.1945. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 3 / 53 Erst am 15. September 1945 wurde eine auf 24. Mai zurückdatierte Verordnung des Landesausschusses “über die vorläufige Ausübung der öffentlichen Gewalt im Lande Vorarlberg” herausgegeben, und zwar auf Verlangen der Militärregierung10. Es wurde nicht nur ausdrücklich bestimmt, “daß bis zur endgültigen gesetzlichen Regelung über die Einrichtung des österreichischen Staates [..] die öffentliche Gewalt im Lande Vorarlberg nach den Bestimmungen der Vorarlberger Landesverfassung 1923 ausgeübt [wird]” und der Landesausschuß vorläufig die Funktion von Landesregierung und Landtag ausübt. Es wurde der Anschein erweckt, als sei der Landesausschuß von Beginn an nur in einer Art “Auftragsverwaltung” für den Bund tätig geworden, “vorläufig” und nur soweit, “als es zur Vermeidung von Schäden notwendig ist”11. - Das entsprach nicht den Tatsachen. Die Beschlüsse der provisorischen Staatsregierung in Wien waren für Vorarlberg - sofern überhaupt bekannt12 - zunächst ohne Rechtskraft. “Selbstverständlich mußte die Einheit möglichst bald erreicht werden, aber nicht unter Aufzwingung einer neuen Verfassung und nur unter Hintanhaltung eines zu großen kommunistischen Einflusses.”13 Darin wußte sich Ilg mit Militärregierung einig. Für den Landesausschuß kam nur eine Wiedergründung Österreichs als Bundesstaat auf Grundlage der Bundesverfassung 1920 in der Fassung von 1929 in Frage14, und damit setzten sich die Ländervertreter auf der ersten Länderkonferenz vom 24. bis 26. September 1945 auch durch15. Erst jetzt genehmigte der Landesausschuß formell die einschränkende Verordnung vom 15. September16. Nach der Landtagswahl vom 25. November stellte er zur Vorbereitung der Landtagskonstituierung nochmals die vorläufige Anwendung der Landesverfassung 1923 und der Landtagsgeschäftsordnung 1932 klar17. Am 11. Dezember beschloß der Landtag die Wiederinkraftsetzung der Landesverfassung und bestellte eine reguläre Landesregierung. Am 18. Dezember 1945 wurde schließlich das 2. Verfassungs-Überleitungsgesetz des Bundes kund9 NS 1. Sitzung LA 24.5.1945 (wie Anm. 8). Darauf wies 1986 Grabherr (wie Anm. 1), S. 278, erstmals hin; vgl. Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S 564-565 Anm. 181. Zur Eigenständigkeit u.a. auch: Lorenz Konzett, Die Organisation der gewerblichen Wirtschaft Vorarlbergs nach 1945, in: Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Vorarlberg (Hg.), 100 Jahre Handelskammer und gewerbliche Wirtschaft in Vorarlberg, Feldkirch 1952, S. 77-106, hier S. 77-81. 11 VLABl 2/1945. 12 Vgl. Grabherr (wie Anm. 1), S. 280. 13 Ulrich Ilg, Meine Lebenserinnerungen, Dornbirn 1985, S. 59. Ilg. 14 1920 wurde die Kompetenzverteilung und Behördenorganisation in den Ländern noch weitgehend offen gelassen und erst durch die Novelle 1925 geklärt. Da die Novelle 1929 zu Lasten der Länder ging (u.a. Zentralisierung des Sicherheitswesens!), wäre ein Anknüpfung an das B-VG 1920 in der Fassung von 1925 aus Ländersicht vorteilhafter gewesen. Als Anknüpfungspunkt wurde vermutlich einfach die letzte Fassung der demokratischen Bundesverfassung gewählt. 15 Ilg (wie Anm. 13), S. 59-63; Lois Weinberger, Tatsachen, Begegnungen und Gespräche. Ein Buch um Österreich, Wien 1948, S. 269. Pernthaler (wie Anm. 4), S. 42-48. Vgl. auch die Dokumente und Beiträge in: NÖ Institut für Landeskunde/ Kulturabteilung des Amtes der NÖ Landesregierung (Hg.), Die Länderkonferenzen 1945, Wien 1995, speziell S. 127-134; Felix Ermacora, Österreichischer Föderalismus. Vom patrimonialen zum kooperativen Bundesstaat, Wien 1976, S. 76-78; Grabherr (wie Anm. 1), S. 278-281. 16 Vorgeblich “als Zusammenfassung der Beschlüsse vom 24.5.1945”. NS Interne Sitzung LA 19.10.1945 (wie Anm. 8). Der Veröffentlichung der Verordnung am 15.9.1945, VLABl 2/1945, war allein mit Zustimmung des Präsidenten erfolgt. 17 Verordnung vom 4.12.1945. VLABl 13/1945; Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S. 566. 10 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 4 / 53 gemacht, mit dem in den Ländern die Gesetzgebung der Provisorischen Landesregierungen auf die Landtage übertragen wurde18. Damit blieben auch Pläne eines Komitees für eine Konföderation “Donau-Alpenland” Episode19. 2. Vorarlberg als Vorreiter einer Bundesstaatsreform Zu den Konstanten der von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) dominierten Vorarlberger Regierungspolitik zählt der Föderalismus, die Wahrung und eine Stärkung der Bundesstaatlichkeit20. Für alles, was die Länder selbst zweckmäßig bewältigen können, sollen sie auch zuständig sein. Als Stärken dieser bürgernahen Konzeption werden eine den regionalen Bedürfnissen angepaßte Gesetzgebung, eine effizientere und sparsamere Verwaltung und mehr Demokratie dank gestärkten Landtagen und einer ausgeprägteren Gewaltenteilung zwischen Bundesstaat und Gliedstaaten ins Treffen geführt21. “Stammkundschaft” beim Verfassungsgerichtshof 1947 beauftragte der Landtag die Landesregierung ausdrücklich, “mit besonderer Sorgfalt die Rechte des Landes und des Landtages zu bewachen”22. Die Sorge war nicht unbegründet. Schon während der Besatzungszeit wurden Länderkompetenzen in Gesetzgebung und Verwaltung kontinuierlich beschnitten23 und die Große ÖVP-SPÖ-Koalition auf Bundesebene setzte diesen Kurs auch nach 1955 fort. Besonders um die Finanzverfassung wurde heftig gerungen. Mit der Eingliederung ins Deutsche Reich war die Steuerhoheit der Länder beseitigt worden. Hingegen hatte das nationalsozialistische Regime die Abgabenrechte der Gemeinden gestärkt (Fremdenverkehrsbeiträge, Kurtaxen, Getränke- und Vergnügungssteuer). Den Ländern gelang es nicht, ihre alte Position wiederzuerlangen. Das Finanz-Verfassungsgesetz 1948 behielt wesentliche Elemente der zentralistischen reichsdeutschen Finanzordnung bei. Als bescheidener Ausgleich wurden die 18 Staatsgesetzblatt (künftig: StGBl) 232/1945, Art. VI Abs. 3. Jürgen Klöckler, Föderalistische Neugliederungskonzepte nach 1945: Vorarlberg als Teil der “Donau-Alpen-Konföderation” oder “Alemanniens”? In: Montfort 47 (1995) 3, S. 249-265. Episode blieb auch der Wunsch des Bürgermeisters von Weiler im Allgäu, der eine Wiederangliederung des 1814 endgültig zu Bayern geschlagenen Landgerichtes Weiler an Vorarlberg anstrebte. Der Landesausschuß teilte höflich mit, daß ihm eine Angliederung “nicht wünschenswert” erscheine. NS interne Sitzung LA 27.7.1945 (wie Anm. 8); vgl. Grabherr (wie Anm. 1), S. 277. 20 Ilg (wie Anm. 13), S. 77-78. Herbert Keßler, Arbeit für Vorarlberg. Drei Jahrzehnte Landespolitik, Dornbirn 1995, S. 13-27 und 64-107. 21 Vgl. z.B. Hannes Müller, Die staatliche Ordnung, in: Vorarlberg - unser Land, Jungbürgerbuch, hg. von der Vorarlberger Landesregierung, ²Bregenz 1983, S. 35-129, hier S. 72. 22 SteSi 16. LT, 2. Sitzung 24.3.1947, S. 6 und 62. 23 Ermacora (wie Anm. 15), S. 79-98. 19 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 5 / 53 Gemeinden zu einer Landesumlage zugunsten der Länder verpflichtet. Anstelle einer angemessenen Steuerhoheit wurden die Länder als “Kostgänger” stärker an den Bundesabgaben beteiligt. Stammten 1938 immerhin noch die Hälfte der Steuereinnahmen der Länder aus Landesabgaben, so waren es in den 90er Jahren gerade noch 4 Prozent; während die Steuereinnahmen der Gemeinden immer noch zu 45 Prozent aus eigenen Abgaben resultierten.24 Landtag und Landesregierung scheuten den Konflikt mit dem Bund nicht und trugen ihn zunächst bevorzugt auf dem Rechtsweg aus. Dabei konnte sie sich auf ihren Präsidialchef und Verfassungsexperten Elmar Grabherr verlassen, der - so Landeshauptmann Ulrich Ilg - schon früh zum Ruf Vorarlbergs beigetragen habe, “Stammkundschaft” beim Verfassungsgerichtshof zu sein25. Dabei konnte das Land durchaus Erfolge erzielen26. Als große Niederlagen wurden allerdings 1952 die Bestätigung der Suspendierung von Heimatrecht und Landesbürgerschaft27 und 1954 die Entscheidung gegen die Rundfunkhoheit der Länder28 empfunden. Landeshauptmännerkonferenz und Forderungsprogramme Durch den Staatsvertrag von 1955 fiel das Argument der besatzungsbedingten Notwendigkeit zentraler Regelungen weg. Bald nach 1945 hatten die Landesamtsdirektoren begonnen, auf Beamtenebene die Länderpositionen in Konferenzen abzustimmen. Nun wurde auf Initiative des neuen Vorarlberger Landesamtsdirektors Elmar Grabherr für den Fall neuerlicher “zentralistischer Vorstöße” ein Katalog von Gegenforderungen erarbeitet, der aber für einige Länder noch zu weitreichend war29. Er bot aber eine Grundlage für das erste “Forderungsprogramm”, das dem Bund vorgelegt wurde, als dieser 1963 von den Ländern ein “Notopfer” zur Sanierung der Bundesfinanzen verlangte. Bereits 1952 war eine “Verbindungsstelle der Bundesländer” eingerichtet worden, die jedoch seitens des Bundes erst 1966, von der ÖVP-Alleinregierung, offiziell zur Kenntnis genommen wurde. Nun waren auch die sozialistischen Landeshauptleute bereit, sich an regelmäßigen Landeshauptmännerkonferenzen zu beteiligen. Obwohl in der Verfassung nicht vorgesehen, nahm nun hauptsächlich die Landeshauptleutekonferenz die 24 Im Überblick: Egon Mohr, Finanzrecht. Unterrichtsbehelf für die allgemeine Grundausbildung von Landes- und Gemeindebediensten. Stand: Jänner 1999. Masch. Skriptum. Bregenz 1999, S. 2-11. 25 Ilg (wie Anm. 13), S. 77-78. Zum Vorarlberger Föderalismus ebd. S. 282-284, 311-320. 26 Beispiele bei Franz Vögel: Hundert Jahre Vorarlberger Landtag 1861-1961, in : Land Vorarlberg (Hg.), Landstände und Landtag in Vorarlberg, Bregenz 1961, S. 91-1992, S. 181-184; Gustav Bachmann, Vorarlberg 1918-1968, Entwicklungslinien im Halbjahrhundert der Selbständigkeit, in: Vorarlberger Landesregierung (Hg.), 50 Jahre Selbständiges Land Vorarlberg 1918-1968, Bregenz (1968), S. 49-144, hier S. 67-74 ; Grabherr (wie Anm. 1), S. 282-284; Benedikt Bilgeri, Geschichte Vorarlbergs, Bd. 5, Wien-Köln-Graz 1987, S. 216. 27 Peter Pernthaler/Karl Weber, Landesbürgerschaft und Bundesstaat. Der Status des Landesbürgers als Kriterium des Bundesstaates und Maßstab der Demokratie in den Ländern, Wien 1983, S. 20-29; Grabherr (wie Anm. 1), S. 282, Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S. 566-567. Die Landesbürgerschaft wurde 1984 wieder in die Landesverfassung aufgenommen. 28 Ermacora (wie Anm. 15), S. 92-99. Ilg (wie Anm. 13), S. 78; Grabherr (wie Anm. 1), S. 284. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 6 / 53 Länderinteressen wahr, anstelle des faktisch wirkungslosen, von den Landtagen bestellten Bundesrates30. Wissenschaftliche Unterstützung erhielten die Länder durch das “Institut für Föderalismusforschung”, das Tirol, Vorarlberg und Salzburg 1975 gemeinsam in Innsbruck errichteten31. Eine Möglichkeit, die Kompetenzregelung der Bundesverfassung zu umgehen oder gegenseitig zu unterlaufen, bot die Privatwirtschaftsverwaltung, zumal über die Installierung von Fonds. Die Folge waren Doppelgleisigkeiten, wobei die Länder befürchteten, auf ihre Kosten über den Finanzausgleich die Förderungspolitik des Bundes auch noch mitfinanzieren zu müssen. Deshalb schloß sich der Vorarlberger Landtag 1953 einer Initiative an, die eine Verwaltungsreform durch freiwillige Abgrenzung bzw. Koordinierung der privatrechtlichen Tätigkeit der öffentlichrechtlichen Körperschaften zum Ziel hatte32. Einen wichtigen Erfolg erzielten die Länder 1987 mit der Verländerung der Wohnbauförderung. Die Schweiz als Vorbild und die VN im Nacken In Vorarlberg wurde der Föderalismus besonders leidenschaftlich und konsequent vertreten. Eine wichtige Rolle mag dabei die unmittelbare Nachbarschaft zur lange Zeit sehr erfolgreichen, radikal-föderalen Schweiz gespielt haben, auf die die “kantonale” Landesverfassung von 1919 ausgerichtet war. Vorbilder waren die kleinen direktdemokratischen Kantone. Ihre Landsgemeinden erinnerten an die alten Vorarlberger Landstände, die - so das mitunter verkürzte offiziöse Geschichtsbild bis in die 1990er Jahre33 - die Landesrechte gegen Habsburgs Zentralismus verteidigten. Die Pflege der Erinnerung an die Anschlußbestrebungen nach dem 29 Grabherr (wie Anm. 1), S. 311. Klaus Berchtold, Die Verhandlungen zum Forderungsprogramm der Bundesländer seit 1956, Wien 1988, S.9-14. 30 Ermacora (wie Anm. 15), S.154-155; Grabherr (wie Anm. 1), S. 284; Keßler (wie Anm. 20), S. 98-100; Heinz Schäffer, Gesetzgebung und Kontrolle, in: Herbert Dachs u.a. (Hg.), Handbuch des politischen Systems Österreichs, Wien 1991, S. 744754, hier S. 751-752; Bundesrat Jürgen Weiß im Interview mit den Vorarlberger Nachrichten 11.12.1997, S. A8. Peter Pernthaler/Karl Weber, Landesregierung, in: Handbuch des politischen Systems (wie Anm. 29), S.755-773, hier S. 754, sehen in diesem Phänomen “Ansätze eines politischen Paritätssystems im Bundesländer-Verhältnis”. 31 Vorarlberg Bericht (1976) 15. Das Institut erstattet jährlich einen “Bericht über die Lage des Föderalismus in Österreich”. Von 1976 bis 1996 sind zudem in der “Schriftenreihe des Instituts für Föderalismusforschung” 69 einschlägige Monographien erschienen. 32 Die Initiative ging von Oberösterreich aus. SteSi 17. LT, Beilage 9/1953, S. 341-343, und 6. Sitzung 26.10.1953, S. 122; Grabherr (wie Anm. 1), S. 284. 33 Zurecht gerückt wurde dieses Bild u.a. durch die Festschrift 75 Jahre selbständiges Land Vorarlberg (1918-1993), hg. von Vorarlberger Landtag und Vorarlberger Landesregierung, Bregenz 1993, redigiert vom Vorarlberger Landesarchiv. Bei einem offiziellen Festakt des Landes anläßlich des österreichischen Milleniums 1996 am 26.10.1996 in Bregenz zeigte auch LH Purtscher u.a. auf, daß die protodemokratische landständische Verfassung nicht trotz, sondern nur dank Habsburg entstehen konnte und erst der Absolutismus ein “Land Vorarlberg” geformt hat. Eine entsprechende Linie wird auch in der Vorarlberg Chronik, hg. vom Land Vorarlberg, Bregenz 1997, vertreten als neuem Jungbürgerbuch vertreten. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 7 / 53 Ersten Weltkrieg34 taten ein übriges, daß im Vorarlberger Verständnis Föderalismus und direkte Demokratie Hand in Hand gingen. Mehr als einmal war die Landesregierung allerdings weniger treibende, denn getriebene Kraft. Treibende Kraft waren häufig die “Vorarlberger Nachrichten” und von ihr unterstützte Bürgerinitiativen35. Vor allem von zwei Ereignissen ging eine österreichweite Impulswirkung aus: zum einen von der “Fußacher Schiffstaufe” 1964, gleich zu Beginn der Regierungszeit des jungen Landeshauptmanns Herbert Keßler36; zum andern von der “Pro Vorarlberg”-Bewegung 1979, die von der Landesregierung im Juni 1980 in einer Volksabstimmung aufgefangen wurde. Mit einer Zustimmung von 69 Prozent wurden die Vertreter des Landes beauftragt, in Verhandlungen mit dem Bund dem Land (den Ländern) mehr Eigenständigkeit und den Gemeinden eine Stärkung ihrer Stellung zu sichern37. Neue Dynamik durch die europäische Integration Den Forderungsprogrammen der Länder (1963/64, 1970, 1976, 1985), einer Staatsreform in kleinen Schritten, war jedoch nur bescheidener Erfolg beschieden38. Eine neue Dynamik brachte die Vorbereitung auf den EU-Beitritt, der neue Kompetenzverluste erwarten ließ. Landtagspräsident Bertram Jäger (1987-1994) bezeichnete es als “historische Aufgabe”, dafür zu sorgen, “daß die Landtage auch nach der Integration noch eine echte Funktion und damit eine Existenzberechtigung haben”39. “Auf dem Weg nach Europa” unterbreitete die Landesregierung der Bundesregierung 1991 ein Memorandum, die auf eine Erfüllung von Vorarlberger 34 “Pro Vorarlberg” war z.B. bereits die Bezeichnung der Anschlußinitiative 1918/19 gewesen. Gerhard Wanner, Schiffstaufe Fußach 1964, Bregenz 1980, S. 26-28; Rainer Nick, Österreichs Alemannen - Die “besseren” Demokraten? Eine Untersuchung über plebiszitäre Tendenzen, Demokratie und Landesbewußtsein in Vorarlberg, in: Susanne Dermutz/Peter Klein/Rainer Nick/Anton Pelinka, Anders als die Anderen? Politisches System, Demokratie und Massenmedien in Vorarlberg, Bregenz 1982, S. 105-191, hier S. 152-158, 164-169; Susanne Dermutz, Massenmedien in Vorarlberg, in: Dermutz/Klein/Nick/Pelinka (wie Anm. 34), S. 192-235; Peter Klein, Was bewirken Massenmedien? In: Susanne Dermutz/Peter Klein/Rainer Nick/Anton Pelinka (wie Anm. 30) S. 236-257; Keßler (wie Anm. 20), S. 77-84; Gerhard Wanner, Landespolitik 1964-1987. Bilanz, Rechenschaft und Kritik, Dornbirn, in: Keßler (wie Anm. 20), S. 377-473, hier S. 382 und 386; Ernst Winder, Zwischen Fußach und Europa. Drei Jahrzehnte Vorarlberger Landespolitik. Hohenems 1998, S. 11-14 und 92-114. Zu “Pro Vorarlberg” und der Volksabstimmung: SteSi 23. LT, Beilage 7/1979, 2. Sitzung 28.3.1980, S. 34-87, Beilage 9/1980, 4. Sitzung 20.5.1980, S. 138-173, Beilage 18/1980, 6. Sitzung 2./3.7.1980, S. 305-310. 36 Ermacora (wie Anm. 15), S. 120-122. 37 SteSi 22. LT, Beilage 9/1980; Vorarlberg Bericht (1980) 31; Die Vorarlberger Volksabstimmung vom 15. Juni 1980. Voraussetzungen - Begründung - Ergebnis, in: Montfort 32 (1980) 1, S.7-17 (mit Gemeindeergebnissen); Institut für Föderalismusforschung in Innsbruck (Hg.), 5. Bericht über die Lage des Föderalismus in Österreich (1980), Wien 1982, S. 39-91; Siegbert Morscher: Pro Vorarlberg, in: Andreas Khol/Alfred Stirnemann (Hg.), Österreichisches Jahrbuch für Politik (künftig: ÖJBfP) 1980, München-Wien 1981, S. 31-54; Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S. 570-574. Als Mitinitiator von “Pro Vorarlberg”: Grabherr (wie Anm. 1), S. 317-320; Nick (wie Anm. 34), S. 164-169; Markus Barnay, Pro Vorarlberg. Eine regionalistische Initiative, Bregenz 1983, S. 6, 14-16; Keßler (wie Anm. 20), S. 87-94; Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 386-388. 38 Bertold (wie Anm. 28); Keßler (wie Anm. 20), S.94- 98. 39 SteSi 25. LT, 10. Sitzung 12./13./14.12.1990, S. 892; Wolfgang Burtscher, EG-Beitritt und Föderalismus. Folgen einer EGMitgliedschaft für die bundesstaatliche Ordnung Österreichs, Wien 1990; Jürgen Weiss, Föderalismus in einem neuen Europa, in: Schambeck (wie Anm. 4), S. 643-657; Andreas Kiefer: Länderrechte, Regionalismus und EG, in: ÖJBfP 1992, S. 155-181; Helmut Schreiner, Die Mitwirkung der Länder im Zuge der EG-Integration, in : ÖJBfP 1992, S. 183-210; Institut für Födera35 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 8 / 53 und Länderforderungen abzielte40. Der Vorarlberger ÖVP-Landesparteisekretär und Bundesrat Jürgen Weiß wurde als Föderalismusminister in die Bundesregierung berufen41. Den Ländern gelang es, sich noch vor Ratifizierung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) im Frühjahr 1992 weitgehende Mitwirkungsrechte in Integrationsfragen zu sichern. Im Oktober 1992 paktierte die Landeshauptleutekonferenz mit der Bundesregierung eine umfassende Bundesstaatsreform, an deren Ausarbeitung Purtscher, Weiss und Landesamtsdirektor Werner Brandtner wesentlichen Anteil hatten. Sie wurde als Regierungsvorlage noch wenige Tage vor der Volksabstimmung über einen Beitritt zur Europäischen Union (EU) im Juni 1994 dem Nationalrat zugeleitet, dort aber zunächst verschleppt und schließlich so verwässert, daß die Landeshauptleutekonferenz sie für unannehmbar erklärte42. - Die “Staatsreform als großes Verfassungskonzept” war damit, zumindest vorerst, gescheitert43. Die Errichtung Unabhängiger Verwaltungssenate der Länder als zweite Instanz in verschiedenen Verwaltungsverfahren (in Vorarlberg 1991) bedeutete nicht nur einen rechtsstaatlichen Fortschritt, sondern vielleicht auch den ersten Schritt für einen künftigen Landesverwaltungsgerichtshof und damit eine gewisse Föderalisierung der Gerichtsbarkeit44. Jahrzehntelang wurde die Vorarlberger Föderalismuspolitik mit dem Topos der “freiheitsliebenden Alemannen” untermauert, was identitätsstiftend, aber auch ab- und ausgrenzend wirkte45. Erst zu Beginn der 1990er Jahre, unter den Vorzeichen der europäischen Öffnung, bekannte sich die Landesregierung auch zur Tradition als Ein- und Zuwanderungsland46. Landeshauptmann Purtscher, einer der Vorkämpfer für den EU-Beitritt, übertrug das föderalistische Programm auf den Prozeß der europäischen Einigung. Vehement vertrat er das Ziel eines föderalen “Europa der Regionen”, denen 1994 mit der Einrichtung eines “Ausschusses der Regionen” eine erste Mitsprachemöglichkeit im Rahmen der EU eröffnet wurde47. Gleichlismusforschung, 19. Bericht über die Lage des Föderalismus in Österreich (1994), SteSi 26. LT, Beilage 2/1996, S. 31-47; SteSi 25. LT, 8. Sitzung 9.10.1991 S. 554-580; Vorarlberg Bericht (1991) 67, S. 19, (1991) 69, S. 2. 40 Auf dem Weg nach Europa. Memorandum der Vorarlberger Landesregierung an die Österreichische Bundesregierung. Bregenz 1991, hg. vom Amt der Vorarlberger Landesregierung. 41 Bundesminister für Föderalismus und Verwaltungsreform 1991-1994. 42 Andreas Kiefer, Die Bundesstaatsreform im Jahr 1993, in: ÖJBfP 1993, S. 413-438; Theo Öhlinger, Das Scheitern der Bundesstaatsreform, in: ÖJBfP 1994, S. 543-558; Peter Pernthaler/Gert Schernthanner, Bundesstaatsreform 1994, in ÖJBfP 1995, S. 559-595. Jürgen Weiss, Föderalismus, S. 648-656; Landeshauptmann (künftig: LH) Purtscher SteSi 25. LT, 9. Sitzung 15.12.1993, S. 744-747; Institut für Föderalismusforschung (wie Anm. 34), S. 1-14; Jürgen Weiss, Der Bundesrat und die Bundesstaatsreform, in: Herbert Schambeck (Hg.), Bundesstaat und Bundesrat in Österreich, Wien 1997, S. 497-525. 43 Föderalismusminister a.D. und Bundesrat Jürgen Weiss, Vorarlberger Nachrichten 29.12.1994, S. A3. 44 LGBl 34/1990; Vorarlberg Bericht (1991) 68, S. 6-7; Friedrich Lehne, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit im Blickfeld des Föderalismus, in: Montfort 36 (1984) 3, S. 207-217. 45 Nick (wie Anm. 34), S. 171-183; Markus Barnay, Die Erfindung des Vorarlbergers. Ethnizitätsbildung und Landesbewußtsein im 19. und 20. Jahrhundert, Bregenz 1988, S. 439-492. 46 Projekt KultUrsprünge Vorarlberg Bericht (1991) 91, S. 22-23, Zuwandererfest Vorarlberg Bericht (1993) 75. 47 Vorarlberg Bericht (1994) 77, S. 2-5, (1991) 69, S. 2-7, (1996) 85, S. 2-7, (1997) 88, S. 14-17; Andreas Kiefer, Länder und Gemeinden im Ausschuß der Regionen (AdR) der EU, in: ÖJBfP 1995, S. 485-520. Ernest F. Enzelsberger, Die Bodenseeregi- Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 9 / 53 zeitig forcierte Purtscher die interregionale Zusammenarbeit, die Vorarlberg bereits seit 1972 vor allem im Rahmen der “Arbeitsgemeinschaft Alpenländer” (ARGE ALP) praktizierte48. Bestrebungen, Vorarlberg als Vollmitglied in einen verbindlichen “Viererlandtag” der ehemals von Innsbruck aus verwalteten Länder Tirol, Südtirol, Trentino und Vorarlberg einzubeziehen, blockte Purtscher 1993 ab49; er setzte auf die Weiterentwicklung der “Internationalen Bodenseekonferenz” (1972) zu einer “Euregio Bodensee”50. 3. Selbstbewußte Reform der Landesverfassung Als erstes beschloß der neugewählte Landtag am 11. Dezember 1945 die Wiederinkraftsetzung der Landesverfassung 1923, die ab 1949 zunächst im kleineren Schritten novelliert wurde (1949 Ausbau der direkten Demokratie, 1959 Vergrößerung des Landtages, 1969 Verankerung der Gemeindeorganisation)51. Im Zeichen von “Pro Vorarlberg” und Konkurrenzdemokratie Beeinflußt durch die “Föderalismusabstimmung” von 1980 als Folge der “Pro-Vorarlberg”-Bewegung wurde die Landesverfassung 1984 grundlegend reformiert. Dabei knüpfte der Landtag an die Tradition der Landesverfassung von 1919 an52. Es wurde die Stellung des Landes als selbständiger Gliedstaat deutlich gemacht, der sich zu den “Grundsätzen der freiheitlichen, demokratischen, rechtsstaatlichen und sozialen Ordnung bekennt” (Art. 1). Erstmals wurden in eine Landesverfassung Ziele und Grundsätze staatlichen Handels und wie 1919 wieder Grundrechte aufgenommen, die wesentlich der Katholischen Soziallehre entsprechen. Die Kontrollrechte des Landtages wurden ausgebaut, die direktdemokratische Prägung des Ver- on in der EU, in: ÖJBfP 1995, S. 461-483, hier S. 482-483. Zur Rolle Purtschers im Integrationsprozeß vgl. Vorarlberg Bericht (1997) 88, S. 14-16. 48 Grabherr (wie Anm. 1), S. 308-310; Vorarlberg Bericht (1974) 9, (1988) 56, (1992) 71, S. 2-3; Keßler (wie Anm. 20), S. 4654; Hubert Senn, Die Entstehung der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer, in: Nachbarn im Herzen Europas. 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft Alpenländer, München 1992, S. 9-19. 49 SteSi 25. LT, 6. Sitzung 7.7.1993, S. 401-413; SteSi 26. LT, 4. Sitzung 17.5.1995, S. 175; Vorarlberger Nachrichten 18.4.1995, S. A3; Enzelsberger (wie Anm. 46), S. 482. 50 Vorarlberg Bericht (1993) 74, S.17, (1994) 77, S. 26-27; Mette Bach, Grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit am Beispiel der Internationalen Bodenseekonferenz, Praktikumsprojekt (masch.), St. Gallen 1996, S. 15-25; Enzelsberger (wie. Anm. 41); Vorarlberger Nachrichten 26.6.1994, S. A5. 51 Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S. 563-570; Anton Pelinka, Die Ordnung der Macht. Demokratie, Politik und politisches System in Vorarlberg, in: Dermutz/Klein/Nick/Pelinka (wie Anm. 34), S. 19-103; Werner Brandtner/Hannes Müller, Der Einfluß des Volkes auf die Gesetzgebung des 22. Vorarlberger Landtages, in: Montfort 32 (1980) 2, S. 89-103. 52 Martin Purtscher, Die neue Vorarlberger Landesverfassung, in: ÖJBfP 1984, S. 387-399; Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S. 574-580; Grabherr (wie Anm. 1), S. 299-301; Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 388-393; Winder (wie Anm. 34), S. 129-146 und 150. Kommentare zur Landesverfassung: Werner Brandtner, Die reformierte Landesverfassung (1984), in: Montfort 36 (1984) 2 S. 111-143; Werner Brandtner/Harald Schneider (Hg.), Landesverfassung mit Materialien, Bregenz 1995; Peter Pernthaler/Georg Lukasser: Vorarlberg , Wien 1995 (= Heinz Schäffer (Hg.), Das Verfassungsrecht der Bundesländer, Bd. 2/8). Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 10 / 53 fassungssystems noch erheblich verstärkt. Zudem installierte Vorarlberg als erstes Land einen Landesvolksanwalt. Mit dieser Verfassungsreform setzte sich der Landtag selbstbewußt gegen die Einwände des Bundeskanzleramtes hinweg und wurde damit beispielgebend für Verfassungsreformen anderer Länder53. Mit einer Novelle 1994 wurde die Mitwirkung des Landtages in Angelegenheiten der europäischen Integration geregelt54. Die ÖVP, die bis 1949 sogar allein über eine Zweidrittelmehrheit im Landtag verfügte, war in der Verfassungsgesetzgebung um die Zustimmung aller Landtagsfraktionen bemüht. Sämtliche Verfassungsänderungen wurden in dritter Lesung einstimmig beschlossen. Bei der Reform 1984 war dies nur möglich, weil die ÖVP der Sozialistischen Partei (SPÖ) in deren neuen Rolle als Landtagsopposition mit Kontrollrechten entgegenkam55. Damit wurde der geänderten Realverfassung, der Beendigung der Ära der Konzentrationsregierungen 1974, Rechnung getragen. 4. Regierungssystem: von einer Konkordanz- zur Konkurrenzdemokratie Gemäß Bundes- und Landesverfassung ist das Land Vorarlberg eine parlamentarische Demokratie. Das Vorarlberger Regierungssystem weist dabei gegenüber den anderen Bundesländern zwei Charakteristika auf: Das repräsentative System ist durch relativ weitreichende und “niederschwellige” Möglichkeiten direkter Demokratie abgeschwächt oder ergänzt und auf eine klare parlamentarische Konkurrenzdemokratie zugeschnitten56. Die Realverfassung entsprach aber nicht in allem der Formalverfassung. Verfasste Konkurrenz, geübte Konkordanz Wird in anderen Bundesländern die Landesregierung nach dem Verhältniswahlrecht (Proporzsystem) bestellt, kürt der Vorarlberger Landtag seit 1923 alle Mitglieder der Landesregierung nach dem Mehrheitswahlrecht (Majorzsystem)57. Die Sozialdemokraten traten von Be53 Vgl. Pernthaler/Lukasser (wie Anm. 51), S. 7. Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S. 586-587. 55 Vgl. SteSi 23. LT, 2. Sitzung 14.3.1984, S. 18-54, und SteSi 25. LT, 5. Sitzung 27.5.1992, S. 258-264. Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 389-390; Winder (wie Anm. 34), S. 129-145. 56 Vgl. Joseph Marko, Die Verfassungssysteme der Bundesländer: Institutionen und Verfahren repräsentativer und direkter Demokratie, in: Herbert Dachs u.a. (Hg.), Handbuch des politischen Systems Österreichs (wie Anm. 29), S. 729-743. 57 Pelinka (wie Anm. 50), S. 28-33; Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S. 552, 568; Brandtner/Schneider (wie Anm. 51), S. 42-43, 59; Marko (wie Anm. 55), S. 735-737; Pernthaler/Weber (wie Anm. 29), hier S. 759-760. Herbert Dachs, Der Regierungsproporz in Österreichs Bundesländer - ein Anachronismus? In: ÖJBfP 1994, S. 623-636; Jenny (wie Anm. 5), S. 7754 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 11 / 53 ginn an gegen diesen Majorz ein. Mit ihren Wahlerfolgen in den 1990er Jahren begann sich auch die Freiheitliche Partei (FPÖ) für den Proporz zu erwärmen58. Denn die ÖVP hätte dank einer absoluten Mandatsmehrheit aufgrund der Verfassung jederzeit allein regieren können. Sie bildete jedoch 1945 mit der SPÖ eine Konzentrationsregierung, in die 1949, nach seinem Einzug in den Landtag, auch der Wahlverband der Unabhängigen (WdU) aufgenommen wurde, aus dem später die FPÖ hervorging. Diese Konsens- oder Konkordanzdemokratie entsprach wohl auch den Vorstellungen der Besatzungsmacht. Halbherziger Übergang zur parlamentarischen Konkurrenzdemokratie Im Wahljahr 1969 bahnte sich eine Zäsur an. Mit Unterstützung der FPÖ übernahm die ÖVP die Führung in der bisher SPÖ-dominierten Vorarlberger Arbeiterkammer und stellte mit Bertram Jäger den ersten christdemokratischen Arbeiterkammerpräsidenten Österreichs. Die Landes-SPÖ reagierte im Aufwind der Kreisky-Ära mit einem selbstbewußten Konfrontationskurs. Die Regierungsverhandlungen nach den Landtagswahlen 1974 scheiterten, die SPÖ schied aus der Landesregierung aus. Damit wurde ein entscheidender Schritt in Richtung parlamentarischer Konkurrenzdemokratie getan, allerdings nicht mit aller Konsequenz: die Tradition der “übergroßen Regierung” wurde beibehalten - sei es aufgrund der politischen Kultur, der Vorarlberger Tradition seit 1923, sei es aus wahlstrategischen Überlegungen59. Die ÖVP-FPÖRegierung hatte - mit Ausnahme der Periode 1984-1989 - immer eine Zweidrittelmehrheit des Landtages hinter sich, ab 1994 als “große Koalition” sogar eine Dreiviertelmehrheit60. Die faktischen Veränderungen im Regierungssystem lassen sich anhand der Interpellationspraxis gut veranschaulichen. Bis 1969 wurde vom Interpellationsrecht, das als Informationsrecht der Landtagsabgeordneten zur Kontrolle der Regierung dienen soll, praktisch kaum Gebrauch gemacht61. In der Landtagsperiode 1969-1974, in der sich der Regierungspartner SPÖ als “Bereichsopposition” zu profilieren versuchte, stieg die Zahl der Landtagsanfragen an Regierungsmitglieder auf 27, und nahm anschließend sprunghaft zu - 1974-1979 197 Interpellationen, 1979-1984 255, 1984-1989 293, 1989-1994 457. Die Quantensprünge lassen sich gut nachvollziehen: Ab 1974 gab es mit der SPÖ erstmals eine Landtagsopposition, 1984 zog mit den Grünen eine zweite Oppositionspartei in den Landtag ein, ab 1989 versuchte der 85, der zur Regierungsbildung in Vorarlberg eine sehr interessante und informative Arbeit vorgelegt hat, die leider noch unveröffentlicht ist . 58 Vgl. LH Purtscher SteSi 25. LT, 3. Sitzung 13.4.1994, S. 128-130. 59 Vgl. Schlußfolgerungen von Jenny (wie Anm. 5), S. 134-135. Zudem Winder (wie Anm. 34), S. 25 f., 48, 65-75 und 177. 60 Zur Mandatsverteilung nach 1945: Vorarlberg Bericht (1995) 83, S.18. Für die Bestellung des Landesvolksanwaltes war 1984 in der Landesverfassung eine Dreiviertelmehrheit festgelegt worden, womit eine Bestellung ohne Zustimmung der SPÖ zunächst unmöglich war. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 12 / 53 kleine Regierungspartner FPÖ, wie seinerzeit die SPÖ, sich im Landtag zugleich als Opposition zu profilieren. Allerdings zog daraus weder die ÖVP noch die FPÖ die Konsequenz. 1994 rang sich die ÖVP zu einer Erneuerung des Bündnisses mit der FPÖ durch, allerdings unter der Voraussetzung, daß die FPÖ sich “ihrer Regierungsrolle und ihrer Regierungsverantwortung voll bewußt ist und eine echte Partnerschaft in Regierung und Landtag gewährleistet”62. Aber allein 1995 wurden ÖVP-Regierungsmitglieder rund 40mal vom Regierungspartner FPÖ interpelliert63. - Diese Anfrageninflation war von einer spürbaren Verlagerung der parlamentarischen Diskussion aus dem Landtag ins mediale Vorfeld begleitet. Adaptierung der parlamentarischen Kontrollrechte Der Schritt in Richtung parlamentarischer Konkurrenzdemokratie wurde 1974 durchaus nicht als logisch empfunden, obwohl die “Notgemeinschaft” der Nachkriegsjahre längst Geschichte war. Noch zwanzig Jahre später ging die ÖVP mit der Zusicherung in den Wahlkampf, eine zweite Landtagsfraktion in die Regierung aufzunehmen64. Als Konsequenz der Beendigung der Allparteienregierung wurde eine Ausbalancierung der neuen Konstellation gefordert und ein Stück weit auch zugestanden. Bereits 1974 installierte der Landtag einen eigenen Kontrollausschuß65. Bei der Verfassungsreform 1984 wurden die parlamentarischen Kontrollrechte deutlich verstärkt. Der Landtag gab sich das Recht, künftig “zur Prüfung behaupteter Mißstände in der Verwaltung” Untersuchungskommissionen einzusetzen, allerdings nur mit Mehrheitsbeschluß66. Anträge der Opposition fanden in der Folge nie eine Mehrheit67. 1992 griff die SPÖ im Zusammenhang mit einem Konflikt zwischen zwei Landesbeamten zum Mittel des Mißtrauensvotums gegen Landeshauptmann Purtscher, blieb damit aber allein68. Als Minderheitenrecht wurde 61 In den vier Landtagsperioden 1945-1964 wurden je zwei Anfragen gestellt, 1964-1969 nur eine. Zur Entwicklung 1945-1978 Siegbert Morscher, Die politischen Kontrollbefugnisse des Vorarlberger Landtages, Innsbruck 1979, S. 48-55, 59; Winder (wie Anm. 34), S. 80 f. und 117 f. 62 LH Purtscher SteSi 26. LT, 2. Sitzung 19.10.1994, S. 21. 63 Von insgesamt 108 Anfragen, wurden 11 nicht dem Landtagsprotokoll angehängt; vermutlich betrafen sie nicht die Landesverwaltung und wurde daher nicht oder außerparlamentarisch beantwortet. Die verbleibenden 97 Interpellationen verteilen sich wie folgt: FPÖ 39, Grüne 37, SPÖ 19, ÖVP 2. SteSi 26. LT. Vgl. kritisch bereits LT-Präsident Jäger SteSi 24. LT, 7. Sitzung 6.7.1989, S. 436. 64 LH Purtscher SteSi 26. LT, 2. Sitzung 19.10.1994, S. 20-21. Zu 1974 vgl. Winder (wie Anm. 34), S. 74 f. 65 Morscher (wie Anm. 60), S. 35. Vgl. allerdings Winder (wie Anm. 34), S. 51-54 und 82 f. 66 Landesverfassung Art. 64, Vorarlberger Landesgesetzblatt (künftig: LGBl) 30/1984, 35/1994. Zur Kontrollfunktion der Landtage vgl. Marko (wie Anm. 54), S. 733-735; Schäffer (wie Anm. 29), S. 751-754. 67 Anträge: SPÖ 1984 “Renner” (Beilage 9/1984), SPÖ 1985 “Meda” (Beilage 34/1985), SPÖ 1986 “Dornbirner Gasgesellschaft” (Beilage 15/1986), SPÖ 1986 “Tierkörperverwertungsanlage” (Beilage 30/1986), Grüne 1991 “Arlberg-Straßentunnel AG” (Beilage 35/1991, behandelt 1993), SPÖ 1992 “Hampl-Beck” (Beilage 24, 29 und 31/1992), jeweils SteSi. Vgl. aufschlußreiche Debatte SteSi 25. LT, 5. Sitzung 27.5.1992, S. 252-294. 68 SteSi 25. LT, Beilage 29/1992, und 5. Sitzung 27.5.1992, S. 252-294. Ebenfalls keine Mehrheit fand 1996 ein Mißtrauensamtrag gegen FPÖ-LR Hubert Gorbach im Zusammenhang mit der sogenannten “Krumpendorf-Affäre” des FPÖ-Obmanns Haider, die in Vorarlberg zu einer Regierungskrise führte. SteSi 26. LT Beilage 4/1996 und 1. Sitzung 31.1.1996, S. 5-28; Vorarlberger Nachrichten 2.1.1996, S. A3, 5.1.1996, S. A1, 9.1.1996, S. A4, uns 1.2.1996, S. A4. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 13 / 53 zum einen einem Drittel des Landtages oder Kontrollausschusses das Recht eingeräumt, zur finanziellen Kontrolle das neue Prüfungsanträge an die Kontrollabteilung im Amt der Landesregierung oder an den Rechnungshof zu stellen69. Zum anderen wurde einem Drittel des Landtages das Recht zugestanden, Landesgesetze beim Verfassungsgerichtshof anzufechten. Als “besondere Einrichtung politischer Kontrolle” kennt die Vorarlberger Landesverfassung die Verpflichtung der Landesregierung, jährlich einen Rechenschaftsbericht über das abgelaufene Verwaltungsjahr zu erstatten70. Erweiterte Möglichkeiten direktdemokratischer Mitgestaltung Gleichzeitig wurden die außerparlamentarischen Einflußmöglichkeiten der Bürger und Gemeinden ausgebaut. Die Stärkung der Initiativrechte der Bürger, der direkten Demokratie im engeren Sinn, entsprach dem konservativ-föderalen Vorbild Schweiz. Nicht nur in Angelegenheiten der Gesetzgebung, sondern auch in Fragen der Landesverwaltung wurde 1984 die Möglichkeit des Volksbegehrens eingeräumt und zusätzlich das neue Instrument der Volksbefragung. Die Zahl der Wählerunterschriften, die zur Initiierung von Volksbegehren oder Volksabstimmungen notwendig sind, waren bereits 1949 von jeweils 15.000 auf 5.000 bzw. 10.000 gesenkt worden und durch das Bevölkerungswachstum relativ weiter gefallen. Für eine Volksabstimmung war 1949 noch die Unterstützung von 9,2 Prozent, 1969 von 6,5 Prozent, 1989 von 4,8 Prozent der Stimmberechtigten notwendig71; für die Initiierung eines Volksbegehrens oder einer Volksbefragung jeweils die Hälfte. Wenn auch etwas häufiger als in anderen Ländern, wurde von den diesen Instrumenten doch nur sehr selten Gebrauch gemacht72. Nach 1945 gab es auf Landesebene nur zwei Volksabstimmungen und ein erfolgreiches Volksbegehren. Der Landtag legte dem Volk kein Gesetz zur Abstimmung vor, die “Föderalismusabstimmung” 1980 bezog sich nur auf ein Verhandlungsmandat. Immerhin gelang es aber der SPÖ-dominierten Arbeiterkammer 1957 erstmals in Österreich, mit einer von ihr initiierten Volksabstimmung über einen Gesetzesbeschluß (Gesetzesreferendum) ein Verbot von “Betriebsaktionen” zu Fall zu bringen73. 1962 war die Arbeiterkammer mit einem Volksbegehren auf Abänderung des Grundverkehrsgesetzes teil69 Landesverfassung LGBl 30/1984, 35/1994, Art. Morscher (wie Anm. 60), S. 55. Zum Rechenschaftsbericht war bereits der Landesausschuß dem Landtag nach der Landesordnung 1861 verpflichtet; er bezog sich allerdings nur auf die Beschlüsse des Landtages. Diese Verpflichtung wurde in die Landesverfassungen 1919 und 1923 übernommen. 1926 bis 1931 wurde erstmals auch über “sonstige Verwaltungstätigkeit der Vorarlberger Landesregierung” berichtet. 71 Berechnet auf Grundlage der Stimmberechtigten der Landtagswahlen 1949, 1969 und 1989. 1994 hätte das Quorum noch 4,6 Prozent betragen. Wählerdaten nach: Statistisches Jahrbuch für die Republik Österreich, hg. vom österreichischen statistischen Zentralamt. 47 (1996), S. 414. 72 Siegbert Morscher, Landesgesetzgebung und direkte Demokratie, in: Schambeck (Hg.) Föderalismus, S. 137-165 und 152165; Nick (wie Anm. 34), S. 114-170; Jenny (wie Anm. 5), S. 24-31, 97-106, 123-124. 73 LGBl 8/1957. 70 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 14 / 53 weise erfolgreich74. 1989 wurde im Klostertal erstmals eine Volksbefragung in einer Verwaltungsangelegenheit (LKW-Nachtfahrverbot) durchgeführt75. Direkte Demokratie als Fortsetzung parlamentarischer Opposition Während das direktdemokratische System der Schweiz in den 1990er Jahren in eine Funktions- und Sinnkrise geriet76, forderte FPÖ-Bundesparteiobmann Jörg Haider eine stark plebiszitäre “Dritte Republik” zur Überwindung der parlamentarisch-repräsentativen Zweiten Republik. Daher verlangte Landeshauptmann Purtscher von der Vorarlberger FPÖ 1994 als Voraussetzung für eine neuerliche Regierungsbeteiligung ein klares Bekenntnis “zur bewährten parlamentarischen Demokratie”77. Auch die SPÖ sprach sich vehement gegen Haiders Pläne aus, setzte andrerseits aber bereits seit dem Ausscheiden aus der Landesregierung 1974 selbst auf mehr Mitwirkungsrechte der Gemeinden in der Landespolitik, um auf diesem Umweg einer “mediatisierten” direkten Demokratie die parlamentarische Opposition mit anderen Mitteln fortsetzen und die Landtagsmehrheit plebiszitär “aushebeln” zu können78. Wenn die Instrumente der direkten Demokratie auch selten angewandt wurden, so ist doch zu berücksichtigen, daß sie bei Entscheidungen des Landtages und der Landesregierung auch als “Ruten im Fenster” wirkten, denen sich Opposition, Gemeinden, Medien und Bürgerinitiativen erfolgreich bedienten79. Bezeichnend ist, daß die Forderungen von “Pro Vorarlberg” 1979 nicht als Volksbegehren, sondern - von den “Vorarlberger Nachrichten” forciert - als Petition eingebracht wurden80. Verstärkt wurde dieser “Lobbyismus” durch die Demoskopie; anstelle echter Plebiszite wurden Meinungsumfragen auf mehr oder weniger wissenschaftlicher Grundlage als informelle “Bürgerentscheide” entscheidungsrelevant. “Demokratur” - Gewaltenteilung bei absoluter Mehrheit 74 Auch der Arbeiterkammer wurde nun zugestanden, ein Mitglied für die Grundverkehrs-Landeskommission (nicht aber für die Ortskommissionen) vorzuschlagen. SteSi 19. LT, Beilage 14 und 16/1962, und 5. Sitzung 27.7.1962, S. 161-167. Zu beiden Aktionen: Gerhard Wanner, Die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Vorarlberg 1944-1985. Ein Beitrag zur Vorarlberger Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Feldkirch 1986, S. 18-21. 75 Die Bevölkerung folgte der Empfehlung der Landesregierung und lehnte ein Nachtfahrverbot ab; Amtsblatt für das Land Vorarlberg 19/1989, 30/1989 (künftig: ABlV). 76 Einschneidend wirkte der Volksentscheid gegen einen EWR-Beitritt im Dezember 1992, obwohl Bundesrat und Bundesparlament klar dafür votiert hatten. Die Halbkantone Nidwalden (1996) und Appenzell Außerrhoden (1997) schafften die Landsgemeinden ab, Obwalden wird möglicherweise noch 1998 darüber entscheiden. In Appenzell Außerrhoden und Glarus wird ebenfalls über die Sinnhaftigkeit der Landsgemeinden diskutiert. Neue Zürcher Zeitung 2.12.1996, S. 15, 29.9.1997, S. 11, 9.1.1997, S. 11. 77 SteSi 26. LT, 2. Sitzung 19.10.1994, S. 21; ebd., S. 21-23, zur Abwägung repräsentativer und plebiszitärer Demokratie; vgl. bereits LT-Präsident Jäger, SteSi 25. LT, 10. Sitzung 12./13./14.12.1990, S. 891-892. 78 Vgl. Pelinka (wie Anm. 50); Jenny (wie Anm. 5), S. 97-106 und 124. 79 Vgl. Nick (wie Anm. 34), S. 112; Jenny (wie Anm. 5), S. 104. 80 SteSi 23. LT, Beilage 7/1979. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 15 / 53 Bei der Frage nach der Gewaltenteilung ist bedenken, daß die ÖVP-Führungsriege der Nachkriegsjahre durchwegs in der Zeit des autoritären Ständestaates politisch geprägt worden war81. Eine scherzhafte Bemerkung von Bundeskanzler Julius Raab, Vorarlberg sei kein Demokratie, sondern eine “Demokratur” hat Landeshauptmann Ulrich Ilg “mehr gefreut als gekränkt”, sah er darin doch eine Bestätigung, “daß man sich bei seinen Entscheidungen zuerst von seinem Gewissen leiten lassen muß und erst in zweiter Linie sich fragt, was das Volk dazu sagt”82. Dies war ein Bekenntnis zum freien Mandat, mehr noch aber ein Credo einer “Demokratie mit verantworteter Autorität”83. Dieser Geist prägte ein Stück weit auch die ersten “Jungbürgerbücher”, mit denen die Jugend sehr informativ in die Demokratie eingeführt wurde84. Für das traditionelle Verständnis von Gewaltenteilung und -verschränkung zwischen Gesetzgebung und Verwaltung spricht der Umstand, das Landeshauptmann Ilg, wie seine Vorgänger in der Zwischenkriegszeit, bis 1949 zugleich als Landtagspräsident fungierte. 1969 wurde in der Landesverfassung verankert, daß Regierungsmitglieder nicht dem Landtagspräsidium angehören dürfen85. Landtag: mehr Regierungskontrolle, weniger Legislative Auf Ilg folgte als Landtagspräsident der Rechtsanwalt Josef Feuerstein. 1964 erfolgte mit der Wahl des Rankweiler Bürgermeisters Herbert Keßler zum Landeshauptmann und des Bregenzer Bürgermeisters Karl Tizian zum Landtagspräsidenten in der Führung der Wechsel von der Vorkriegs- zur Kriegsgeneration. Tizian resümierte 1969, der Landtag sei mit dem Vorsatz an die Arbeit gegangen, “Rolle und Tätigkeit der Gesetzgebung zu stärken” und mit Stolz verwies er darauf, daß die Landtagskanzlei aus dem Amt der Landesregierung herausgelöst und damit “erstmalig und vielleicht vor anderen Bundesländern auch in der Rechtssetzung dem Landtag ein selbständiges Organ [...] zur Verfügung gestellt wurde”86. Sein Nachfolger Martin Purtscher (1974-1987) analysierte hingegen 1984 nüchtern: “Der Schwerpunkt der politischen Machtentscheidung liegt bei Regierung und Verwaltung, die klassische Rolle des Parlaments 81 Vgl. Plitzner (wie Anm. 5), S. 603-604 und 608; Leo Haffner, Von der Sünde, tugendhaft zu sein, in: Kultur 12 (1997) 10, S. 36, 38 und 40, hier S. 36. 82 Ilg (wie Anm. 13), S. 76; vgl. Pelinka (wie Anm. 50), S.34-37; Karl Weber, Landesgesetzgebung und Landesregierung. Eine Untersuchung zur verfassungsrechtlichen Ausgestaltung der Gewaltenteilung in den österreichischen Bundesländern, in: Schambeck (wie Anm. 4), S. 97-136. 83 Arnulf Benzer, Ulrich Ilg 1905-1986, in: Vorarlberger Volkskalender 1987 (1986), S.126-127, hier S. 126. 84 Seit 1946 werden in Vorarlberg “Jungbürgerfeiern” durchgeführt. Zu diesem Zweck hatte bereits LH Ulrich Ilg die Broschüre “Uns alle geht es an. Eine Wegleitung für den jungen Staatsbürger” (Dornbirn o.J.) verfaßt. 1953 erschien erstmals ein Jungbürgerbuch. 85 Bis 1918 war der “Landeshauptmann” nicht Regierungschef, sondern “nur” vom Kaiser ernannter Vorsitzender des Landtages und Landesausschusses. Abgesehen von Juli bis Oktober 1934, zwischen Rücktritt von LH Otto Ender und Inkrafttreten der autoritären Landesverfassung (LT-Präsident Adolf Vögel) und dem ständisch-autoritären Landtag 1934-1938 (LTPräsident Franz Erne), wurden von 1918 bis 1949 immer die Landeshauptmänner zuvor auch zu Landtagspräsidenten gewählt. Vgl. Vorarlberg Chronik (wie Anm. 32), S. 284-286. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 16 / 53 als Gesetzgeber tritt gegenüber der immer bedeutungsvolleren Kontrollfunktion in den Hintergrund.” Gerade 7 Prozent der Diskussionsbeiträge der Landtagsperiode seien Gesetzesmaterien gewidmet gewesen87. Darin kommt zunächst einfach der Übergang zur parlamentarischen Konkurrenzdemokratie zum Ausdruck; denken wir nur an die einsetzende “Anfragenflut”. Die Umgestaltung des Landtags zur medialen Bühne tat ein übriges. Zu prüfen bliebe, inwieweit die Zeit, die der Landtag in die Gesetzgebung investierte, auch absolut zurückgegangen ist. In der Landtagsperiode 1974-1979 gingen 89 Prozent der Gesetzesanträge und über 97 Prozent der Gesetzesbeschlüsse formell auf Regierungsvorlagen zurück; aber nur 15 Prozent wurden durch den Landtag unverändert verabschiedet und mehr als 40 Prozent der Regierungsanträge sogar erheblich geändert88. Zudem gehen auch Regierungsvorlagen häufig Initiativen von Abgeordneten voraus und vor Einbringung von Regierungsvorlagen wurden die Vorentscheidungen meist bereits durch den Landtagsklub der ÖVP-Mehrheitsfraktion getroffen. Die eigene Landtagsfraktion war der erste und mitunter auch härteste parlamentarische Prüfstein der Landesregierung89. Außerordentliche Kontinuität in der Regierung Bis 1974 hätte die Landesregierung einem Regierungsmitglied zur Unterstützung hinsichtlich einzelner Teile seines Referats einen “Landesregierungsreferenten” beigeben können, dessen Stellung “parlamentarischen Staatssekretären” vergleichbar war90. Von dieser Möglichkeit der Verschränkung von Parlament und Regierung, wurde allerdings nur bis 1949 “ad personam” Gebrauch gemacht91. 86 SteSi 20. LT, 8. Sitzung 16./17.7.1969, S. 352 bzw. 353. SteSi 23. LT, 6. Sitzung 11./12.7.1984, S. 335. Vgl. Winder (wie Anm. 34), S. 78 und 80. 88 Werner Brandtner/Johannes Müller, Der Einfluß des Volkes auf die Gesetzgebung des XXII. Vorarlberger Landtages, in: Montfort 32 (1980) 1, S. 89-103, hier S. 96. Pelinka (wie Anm. 50), S. 23-24. Seit 1991 werden im LGBl die Gesetzesinitiativen ausgewiesen. 1991-1995: 82 Regierungsvorlagen, 1 Ausschußvorlage, 8 Selbständige Anträge, 0 Volksbegehren. Zu beachten ist, daß in diese Zeit auch rund 30 formelle EWR/EU-Anpassungen fallen. 89 Jenny (wie Anm. 5), S. 92-96. 90 Diese Möglichkeit hatte bereits die Geschäftsordnung (künftig: GO) der Landesregierung von 1924 (LGBl 29/1924) vorgesehen und wurde in die GO 1946 (LGBl 3/1946, § 7 Abs. 3) übernommen. Der “Landesregierungsreferent” war “ein der Regierung nicht angehörendes Hilfsorgan (...), das entweder Mitglied des Landtages ist oder früher dem Landtage oder der Landesregierung angehört hat”. Er war dem ressortführenden Regierungsmitglied unterstellt und weisungsgebunden. Er konnte an den Sitzungen der Landesregierung teilnehmen, wenn in seinen Wirkungsbereich fallende Fragen zur Behandlungen kamen, allerdings nur mit beratender Stimme und ohne Antragsrecht (nach der GO 1924, § 9, hatte er sogar Antragsrecht gehabt), in der GO 1974 (LGBl 50/1974) wurden keine “Landesregierungsreferenten” mehr vorgesehen. Nachbaur (wie Anm. 4) S. 21 und 57. 91 1945 wurden Bundesrat Eugen Leissing (ÖVP) für kulturelle Angelegenheiten und LT-Abgeordneter Karl Zerlauth (ÖVP) zur Leitung des Landesernährungsamtes als Referenten betraut. Beide waren Mitglied des LA 1945 gewesen. Nach der LTWahl 1949 wurde von einer Wiederbestellung abgesehen. 1993 forderte der FPÖ-LT-Klubobmann, den nicht wiederbestellten Illwerke-Direktor Rainer Reich zum Landesregierungsreferenten für Illwerkefragen zu machen. Ilg (wie Anm. 13), S. 65; Jenny (wie Anm. 5), S. 40, 42 und 88. Salzburger Nachrichten 27.2.1993, S. 23. 87 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 17 / 53 Die Legistik, das Gesetzgebungsreferat, galt als ein Schlüsselressort, das fast durchwegs vom Landeshauptmann, Landesstatthalter oder Finanzreferenten und immer von der ÖVP geführt wurde92. Mit Ulrich Ilg (1945-1964), Herbert Keßler (1964-1987) und Martin Purtscher (19871997) standen während fünf Jahrzehnten nur drei Landeshauptmänner an der Spitze des Landes. Kontinuität prägte die gesamte Regierungsmannschaft93. Erst mit der Wahl des Bregenzer Bürgermeisters und langjährigen Landestatthalters Siegfried Gasser zum Landtagspräsidenten 1994 und von Landesstatthalter Herbert Sausgruber zum Landeshauptmann 1997 erfolgte in der Führung von Parlament und Regierung der Wechsel zur Nachkriegsgeneration. Das Finanzressort, eine ÖVP-Domäne (Adolf Vögel 1945-1964, Ulrich Ilg 1964-1969, Rudolf Mandl 1969-1984, Guntram Lins 1984-1994, Herbert Sausgruber ab 1994), war nach dem Landeshauptmann das Schlüsselressort schlechthin. Mit einer absoluten Mehrheit in Landtag und Regierung, verstärkt durch das Majorzprinzip, war die ÖVP zu keinen kostspieligen Kompromissen (“do ut des”) gezwungen. Ihre Philosophie lautete: In guten Zeiten sparen, um gerade auch in schlechteren Zeiten investieren zu können94. Ab den 1970er Jahren mußten für größere Investitionen erstmals beschränkt Kredite aufgenommen werden. Gleichzeitig wurden höhere Erträge aus den Illwerken erstritten95, die wesentlich dazu beitrugen, daß das Land Vorarlberg trotz enormen Budgetsteigerungen und hohen Investitionsquoten ab 1984 keine zusätzlichen Schulden mehr machen mußte. Landesgesetzgebung und -verwaltung waren die Instrumente dieser Finanzpolitik und zugleich maßgeblich durch sie bestimmt. 5. Kreative Landesgesetzgebung in engem Korsett Die nationalsozialistische Diktatur hatte versucht, alle Lebensbereiche zu erfassen, zu steuern und zu kontrollieren. Diese Regelungsdichte wurde nach 1945 nur teilweise abgebaut und schrittweise “demokratisiert”. Reichsdeutsches Recht wurde beibehalten, wo es Fortschritte gebracht hatte. So blieb das seinerzeit vorbildliche Reichsnaturschutzgesetz von 1935 in Vorarlberg am längsten als Landesrecht in Geltung. 1969 sollte es novelliert und als Naturschutz- 92 Jenny (wie Anm. 5), S. 48-50 und 92-94. Ressortverantwortlich waren: LH Ulrich Ilg 1945-1954, Landesstatthalter (künftig: LStH) Ernst Kolb 1954-1958, LH Ulrich Ilg 1958-1959, Landesrat (künftig: LR) (ab 1964 LStH) Gerold Ratz 1959-1973, LR (ab 1974 LStH) Rudolf Mandl 1973-1984, LR Guntram Lins 1984-1994, LStH Herbert Sausgruber 1994-1997, seit 1997 LR Siegmund Stemer. Für Teilbereiche zuständig waren zudem 1973-1984 LR (ab 1984 LStH) Siegfried Gasser (Stellungnahmen zu Gesetzen und Verordnungen des Bundes 1973-1984, Angelegenheiten des Völkerrechts 1974-1984; und LH Martin Purtscher (Europäische Integration 1993-1994). 93 Vgl. Jenny (wie Anm. 5), S. 42-46. 94 Ilg (wie Anm. 13), S. 77; Plitzner (wie Anm. 5), S. 608; Keßler (wie Anm. 20), S. 344-351; Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 393-396; Vorarlberg Bericht 1989 (61), S. 6-7, 1994 (78), S. 10-11, 1994 (79), S. 12-13. 95 Vgl. unten, Abschnitt “Besonderheiten der unmittelbaren Bundesverwaltung”. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 18 / 53 gesetz neu kundgemacht werden96. Dasselbe gilt für das Wohnsiedlungsgesetz von 1933, das 1962 novelliert wurde und bis 1973 die wesentliche Grundlage für die örtliche Raumplanung bildete97. Im vorübergehend bayerischen Kleinwalsertal galt deutsches Recht, soweit es im “Gebiet des Landes Österreich” nicht eingeführt worden war98, bis 1950 generell als Landesrecht99. Leitbild einer Gesellschaft mit sozialer Marktwirtschaft Eine Umkehr zu einem liberalen Ordnungsstaat war weder gewünscht noch möglich. Dem Leitbild einer sozialen Marktwirtschaft, das Ende der 1980er Jahre auf “ökosozial” erweitert wurde100, entsprach ein sozialer, planender und wirtschaftender Leistungsstaat, der zugleich steigenden rechtsstaatlichen Ansprüchen gerecht werden mußte und auch zunehmenden Nutzungskonflikten. Dabei ermöglichten ein bis 1992 beinahe ungebrochenes volkswirtschaftliches Wachstum und eine überdurchschnittliche Finanzkraft, fehlende Gesetzgebungskompetenzen mit leistungsstaatlichen Förderungsinstrumenten wettzumachen. So investierte Vorarlberg 1976 bis 1990 pro Kopf mehr in Erziehung und Unterricht, Forschung und Wissenschaft sowie Land- und Forstwirtschaft als alle anderen Bundesländer und überdurchschnittlich viel in die Bereiche Industrie, Gewerbe und Umwelt101. Pionier in mehreren Bereichen 96 LGBl 24/1969, 36/1969; SteSi 20. LT, Beilage 6/1969, S. 45, und 6. Sitzung 21.5.1969, S. 175-183. Vgl. Anton Allgeuer, Die rechtlichen Grundlagen des Naturschutzes in Vorarlberg, in: Montfort 18 (1966) 1, S. 6-29, S. 10; Bernhard Röser, Die große Novelle zum Landschaftsschutzgesetz. Natur- und Landschaftsschutzrecht in Vorarlberg, in: Montfort 34 (1982) 2, S. 181-193. 97 LGBl 36/1962, 47/1962. SteSi 19. LT, Beilage 3/1963, Beilage 10/1972, und SteSi 21. LT, Beilage 4/1973. Wolf Juergen Reith, Pragmatische Problemlösungen in der Vorarlberger Raumplanung. Zum Bericht “Grundlagen und Probleme der Raumplanung in Vorarlberg, in: Montfort 37 (1985) 2/3, S.188-198; Keßler (wie Anm. 20), S. 256-263. 98 Verordnung (künftig: VO) über die Einführung des Reichsrechts in den Gemeinden Jungholz und Mittelberg vom 27.5.1939, RGBl I S. 971, GBlÖ 700/1939. Zunächst war in beiden Gemeinden Reichsrecht nur insoweit in Geltung gesetzt worden, als es auch im Land Österreich eingeführt wurde (mit der Zweiten VO zur Durchführung des G über die Gebietsveränderungen im Lande Österreich vom 5.10.1938, RGBl I S. 1339, GBlÖ 445/1938). Pfeifer (wie Anm. 1), S. 91-96. 99 Mit LGBl 37/1950 durch landesrechtliche Vorschriften ersetzt; SteSi 17. LT, Beilage 6/1950, S. 45, und 4. Sitzung 23.6.1950, S. 116-117; Hannes Müller, Das Zollausschlußgebiet Mittelberg, in Österreichische Zeitschrift für öffentliches Recht und Völkerrecht, (1988) Suppl. 10, S. 55-67, hier S.62-63. 100 Propagiert wurde die “ökosoziale Marktwirtschaft” von ÖVP-Vizekanzler Josef Riegler. Mit dem Wirtschaftsprogramm 1989 erklärte sie erstmals die Vorarlberger Landesregierung zur Maxime eines Regierungsprogramms. Vgl. Die Vision einer konkurrenzfähigen Wirtschaft in einer lebenswerten Umwelt. Ökosoziale Marktwirtschaft als Antwort auf die Herausforderungen der 90er Jahre. Das Wirtschaftskonzept des Landes Vorarlberg, hg. vom Amt der Vorarlberger Landesregierung, Bregenz 1989. 101 Friedrich Schneider/Gabriele Apfalter/Susanne Pech, Vergleichende Volkswirtschaftliche Analyse der österreichischen Bundesländerbudgets von 1976 bis 1988, Studie Universität Linz, Erste Fassung, Manuskript (masch.), Linz 1990, S. 194; Friedrich Schneider/Alfred Stiglbauer, Die Entwicklung der Budgets der österreichischen Bundesländer über den Zeitraum von 1981 bis 1990. Ergänzungsstudie, Studie Universität Linz, Erste Version, Manuskript (masch.), Linz 1992, S. 17-19. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 19 / 53 Mit föderalistischem Impetus wurden zudem die Kompetenzspielräume der Gesetzgebung konsequent ausgelotet und mitunter auch neue Felder (z.B. Umweltschutz, Sport, Kultur) rasch besetzt, bevor die Bundesgesetzgebung aktiv wurde102. Zudem erforderte der wirtschaftliche Erfolg, mit allen seinen Folgererscheinungen, nicht nur eine einschränkende Umweltgesetzgebung; eine prosperierende Wirtschaft konnte sie auch eher in Kauf nehmen. Diese Faktoren haben dazu beigetragen, daß Vorarlberg in mehreren Bereichen der Gesetzgebung zum Vorreiter wurde103. Gleichzeitig war man um eine “Verrechtlichung” der Verwaltung, speziell des Förderungswesens, bemüht: Kein staatliches Handeln ohne demokratische gesetzliche Grundlage (Legalitätsprinzip). Dabei war die Landesgesetzgebung allerdings um möglichst effektive Lösungen mit möglichst geringem Verwaltungsaufwand und damit auf Subsidiarität bedacht. Um einer “Gesetzesflut” vorzubeugen, war die Landesgesetzgebung ständig um Rechtsbereinigung bemüht. Mit der gesetzlichen Regelung von Materien wurden regelmäßig zahlreiche Verordnungen und Erlässe ersetzt, die zum Teil bis weit ins 18. Jahrhundert zurückreichten104. Die staatsrechtlichen Brüche 1918, 1934, 1938 und 1945 hatten dazu geführt, daß durch Überleitungsbestimmungen noch lange Zeit auch Rechtsvorschriften der Monarchie, der Bundes und des Deutschen Reiches als Landesrecht galten, was zu Rechtsunsicherheit führte105. Auch die Rechtssetzung des autoritären Ständestaates (1934-1938) wirkte noch weit in die Zeit der Zweiten Republik hinein; am nachhaltigsten im Gemeinderecht, für das bis 1965 im wesentlichen die Gemeindeordnung von 1935 Bestand hatte. Durch ein vorbildliches Rechtsbereinigungsgesetz wurden 1992 fast alle vor 1960 in Kraft getretenen Landesgesetze samt Novellen außer Kraft gesetzt106. Mit Stolz konnte der Legistikreferent 1994 darauf verweisen, daß das Landesgesetzblatt nur etwa den doppelten Umfang der Jahre um 1950 habe, während sich der Umfang des Bundesgesetzblattes seither vervierfacht habe. Dem Landesgesetzgeber und der Landesregierung sei es also “relativ gut gelungen, das Landesrecht knapp und verständlich zu halten”107. 102 Vgl. LT-Präsident Purtscher SteSi 22. LT, 6. Sitzung 4./5.7.1979, S. 329. Zum SportG 1968: SteSi 20. LT, Beilage 14/1967, S. 294; 19. Beilage 1967, S. 457-458; Beilage 1/1968, S. 1-2. 103 Z.B. TierschutzG 1948, WohnbaufondsG 1950, GemeindeangestelltenG 1954, KörperbehindertenG 1956, SpitalbeitragsG 1958, Bäuerliches SiedlungsG 1959, BestattungsG 1969, SozialhilfeG 1971, LuftreinhalteG 1971, KulturförderungsG 1974, FamilienförderungsG 1989. Vgl. u.a. Grabherr (wie Anm. 1), S. 301-305. 104 Vgl. LT-Präsident Tizian SteSi 21. LT, 5. Sitzung 17./18.7.1974, S. 317. Durch das StraßenG 1968 wurden 20 Verordnungen ersetzt, 23 durch das BestattungsG 1969, davon 6 Hofdekrete aus dem 18. Jh. 105 SteSi 25. LT, Beilage 48/1991, S. 2-3, 8. Sitzung 9.10.1991, S. 539-540. 106 LGBl 62/1991. 107 LR Guntram Lins 1994 im Vorwort zur neuen Vorarlberger Landesrechtssammlung, hg. im Auftrag des Amtes der Vorarlberger Landesregierung, Hard, Loseblattsammlung ab 1.7.1994, S.1. Zur Gesetzgebung vgl. Vögel (wie Anm. 25) 1861-1961, S. 185-191; Bachmann (wie Anm. 25), S. 81-87; Grabherr (wie Anm. 1), S. 285-286 und 301-305; Bilgeri (wie Anm. 25), S. 203-220. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 20 / 53 Im Korsett des “Xeroxföderalismus” Der geringe Umfang spiegelt freilich auch die beschränkten Gesetzgebungskompetenzen der Länder wider, denen zudem in wichtigen Bereichen (z.B. Jugendfürsorge, Krankenanstalten, Bodenreform) nur eine eng begrenzte Ausführungsgesetzgebung im Rahmen einer Grundsatzgesetzgebung des Bundes zusteht. Gegen diesen “Xeroxföderalismus”108 kämpfte der Landtag mit Ausführungsgesetzen an, die bis an die Grenzen gingen und darüber hinaus. Bei verfassungsrechtlichen Einsprüchen der Bundesregierung faßte er regelmäßig Beharrungsbeschlüsse109. Dies macht begreiflich, weshalb Bestimmungen in 7 Prozent der Gesetzesbeschlüsse vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurden110. Tabelle 1: Landesgesetze 1946 bis 1994 nach Sachgebieten in Prozent Sachgebiete Verfassung, Organisation, Landesund Gemeindeverwaltung, Wahlen Dienstrecht 19461954 15% Landtagsperioden (je zwei) 1954196419741964 1974 1984 11% 14% 15% Gesamt 19841994 17% 15% 2% 5% 8% 14% 12% 9% 7% 4% 4% 8% 9% 7% Kultur 11% 11% 7% 14% 4% 8% Finanzrecht, Wohnbauförderung und Vergaberecht Gesundheit und Soziales 25% 16% 17% 6% 19% 17% 9% 28% 16% 10% 14% 15% Natur- und Umweltschutz 2% 0% 5% 6% 6% 4% Land- und Forstwirtschaft 20% 23% 20% 22% 11% 18% Wirtschaft 5% 0% 4% 3% 4% 3% Raumplanung, Baurecht und Verkehr 4% 4% 5% 3% 4% 4% Innere Verwaltung Quelle: Landesgesetzblätter 1946 bis 1994. In den zehn Landtagsperioden 1946 bis 1994 wurden 429 Gesetzesbeschlüsse kundgemacht. 50 Prozent davon entfielen auf die drei Bereiche Land- und Forstwirtschaft, Finanzrecht sowie Verfassung, Wahlen, Landes- und Gemeindeverwaltung. Spitzen erreichte die Gesetzgebung häufig in Wahljahren. Allein in den Monaten vor der Landtagswahl 1949 wurden mit sicherer Mehrheit noch zwanzig Gesetzesvorlagen aufgearbeitet, um dem neuen Landtag “keine Rück- 108 LH Purtscher SteSi 25. LT, 9. Sitzung 15.11.1993, S. 745. LGBl 18/1952, vgl. Vögel (wie Anm. 25) 1861-1961, S. 187; Grabherr (wie Anm. 1), S. 305; andere Beispiele: LTPräsident Feuerstein SteSi 17. LT, 6. Sitzung 26.7.1954, S. 107; LT-Präsident Tizian SteSi 21. LT, 5. Sitzung 17./18.7.1974, S. 317; Bilgeri (wie Anm. 25), S. 205 und 212. 110 Seit 1949 sind im Landesgesetzblatt Aufhebungen verfassungswidriger Landesgesetze und gesetzwidriger Verordnungen kundzumachen (vgl. LGBl 15/1948). Bis Ende 1996 wurden 29 Aufhebungen von Gesetzesbestimmungen im Zeitraum von 1948 bis 1994 kundgemacht. Zum Vergleich wurden in den ersten zehn LT-Perioden 1945 bis 1994 419 Gesetze kundgemacht. 109 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 21 / 53 stände zu hinterlassen”111. Erst im Zusammenhang mit der EWR-Anpassung 1993/94 wurde dieser Gesetzgebungsumfang wieder erreicht. Manches “heiße Eisen” wurde allerdings vor Wahlen bewußt nicht mehr aufgegriffen. Abgesehen vom Föderalismus-Aspekt entsprach die Schwerpunktsetzung der Vorarlberger Landesgesetzgebung im Zeitverlauf in etwa jener der anderen Landtage112; abweichend waren mitunter die Akzentuierung und die Lösungsansätze. Zuerst das unbedingt Notwendige In den ersten Nachkriegsjahren ging es vorrangig darum, die Rechtsordnung und die Verwaltungsstrukturen wiederherzustellen, die ersten Wahlen legistisch vorzubereiten (Landtag 1945 bzw. 1949, Landwirtschaftskammer 1950, Gemeinden 1950) und finanzielle Grundlagen für den Wiederaufbau zu schaffen. Die stark beschnittene Finanzhoheit wurde weitgehend ausgenützt113. Gemeindesteuern, die 1939 per Verordnung eingeführt worden waren, mußten gesetzlich verankert werden114. Zum Wohl der Kriegsversehrten wurden Vergnügen aller Art besteuert, bis hin zum Preisjassen (Kriegsopferabgabe 1947)115. Ein Schwergewicht wurde auf die Förderung der zunächst überlebenswichtigen und später gefährdeten Landwirtschaft gelegt (Güter- und Seilwege-Landesgesetz 1947, Kulturpflanzenschutzgesetz 1949, Tierseuchenfondsgesetz 1949, Tierzuchtförderungsgesetz 1956) und eine umfassende Bodenreform in Angriff genommen (Flurverfassungssgesetz 1951, Grundverkehrsgesetz 1954, Bäuerliches Siedlungsgesetz 1959). Gleichzeitig wurden beispielgebend legistische Grundlagen für die Schaffung zusätzlichen Wohnraums gelegt (Wohnbaufondsgesetz 1950)116. Ende der 1950er Jahre wurde das Spitalwesen auf eine neue Basis gestellt (Spitalbeitragsgesetz 1958, Spitalgesetz 1959)117, ebenso die Jugendfürsorge (1958). Mit einem Körperbehindertengesetz wurde 1956 erstmals in Österreich auch für “Zivilinvalide” ein Anspruch auf ein Pflegegeld begründet; zunächst auf Blinde und Schwer-Körperbehinderte beschränkt, wurde der Förderkreis 1962 auf geistig behinderte Menschen erweitert. 111 LT-Präsident Ilg SteSi 16. LT, 5. Sitzung 19.9.1949, S. 1. Vgl. Schäffer (wie Anm. 29), S. 749. 113 So wurde aufgrund des Finanz-AusgleichG 1948 sofort von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Druckerzeugnisse zu besteuern (Anzeigenabgabe und Plakatsteuer). 114 SteSi 17. LT, Beilage 10/1950, S. 51; Beilage 17/1953, S. 511; Beilage 5/1954, S. 49. 115 Zur “Vergnüngungsbesteuerung” vgl. Jörg Bergmeister, Die Lichtspieltheater in Vorarlberg, Innsbruck 1971, S. 66-95. 116 Zudem 1949 ein GrundsteuerbefreiungsG für kriegsbeschädigte Gebäude. 117 Herbert Tschofen, Die Sanitätsgesetzgebung mit besonderer Berücksichtigung des Spitalrechtes in Vorarlberg, in: Montfort 24 (1972) 3-4, S. 401-420. 112 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 22 / 53 Vom Notwendigen zum Nützlichen In den 1960er Jahren kam die Schulreform 1962 des Bundes zum Tragen, die landesgesetzlich umgesetzt werden mußte118. Gleichzeitig konnte das Kindergartenwesen (1964) “zur Unterstützung und Ergänzung der häuslichen Erziehung”119 in den “Babyboom-Jahren” in einem eigenen Landesgesetz geregelt werden. Ein neues Jugendschutzgesetz (1964) war noch sehr vom patriarchalen Geist der Nachkriegszeit durchwirkt; erst 1977 wurde es durch ein aufgeschlosseneres Jugendgesetz ersetzt120. Nach langem Ringen wurden 1968 endlich Straßenbau, -erhaltung und -recht in einem Straßengesetz geregelt. Der forcierte Straßenbau der Nachkriegszeit sollte nicht zuletzt der Tourismuswirtschaft dienen, zu deren Förderung und Schutz 1966 ein Fremdenverkehrsgesetz beschlossen wurde. Andrerseits war bereits 1962 “rasch ein Gesetz zum Schutz des heimischen Bodens gegen Überfremdung”121 erlassen worden (Ausländergrunderwerbsgesetz 1962). Die Bundesverfassungsnovelle 1962 zwang schließlich dazu, 1965 ein neues Gemeindegesetz zu erlassen. Die gesetzliche Verankerung der Sportförderung 1968 markiert in etwa den Übergang vom Notwendigen zum Nützlichen, der sich 1974 mit der gesetzlichen Selbstverpflichtung zur Förderung von Erwachsenenbildung, Wissenschaft, Kunst und Heimatpflege (Kulturförderungsgesetz) manifestierte122. Sozialleistungen und Umweltschutz bei vollen Kassen Neben weiteren sozialrechtlichen Verbesserungen durch das fortschrittliche Sozialhilfegesetz 1971 setzte in den 1970er Jahren eine umfassende Umweltgesetzgebung ein123. So wurde 1969 das Naturschutzgesetz neu gefaßt und 1971 - noch vor dem ersten Bericht des “Club of Rome” über die Grenzen des Wachstums - eines der ersten Luftreinhaltegesetze Europas in Kraft gesetzt. Andere Gesetze folgten (Landschaftsschutzgesetz 1973, Abfallgesetz 1974, Kanalisationsgesetz 1976). Nach einem neuen Baugesetz (1972) rang sich der Landtag nach jahrzehntelangen Diskussionen auch zu einem Raumplanungsgesetz (1973) durch. Gleichzeitig schuf Vorarlberg als eines der ersten Alpenländer Voraussetzungen für eine gezielte För118 SchulerhalterG 1960, SchulratsG 1963, PflichtschulorganisationsG 1963, PflichtschulzeitG 1965. LGBl 33/1964, § 1 Abs. 2; vgl. SteSi 19. LT, Beilage 12/1964. S. 95. 120 Zur Jugendpolitik vgl. Wanner 1995 (wie Anm. 34). 121 SteSi 19. LT, Beilage 8/1963, S. 55. 122 SteSi 21. LT, Beilage 18/1973, S. 156-157; Reinhold Bernhard, Gedanken zur Kulturförderung in Vorarlberg, in: Montfort 38 (1986) 1, S. 76-80; Keßler (wie Anm. 20), S. 185-188; Erni Steinhauser, Kulturförderung als Staatsaufgabe dargestellt am Beispiel Vorarlbergs, Diss. (masch.) Innsbruck 1992, S. 97-102. 123 Kunrich Gehrer, Der gesetzliche Schutz der Landschaft, in: Montfort 26 (1974) 4, S. 521-538; Keßler (wie Anm. 20), S. 277-285. 119 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 23 / 53 derung der Berglandwirtschaft (Landwirtschaftsförderungsgesetz 1974)124. Im Kompetenzkonflikt mit dem Bund versuchte der Landtag, Bereiche der öffentlichen Sicherheit zu regeln. Ein auch inhaltlich umstrittenes Sicherheitsgesetz (1975) wurde jedoch vom Verfassungsgerichtshof in seinen wesentlichen Punkten aufgehoben. Es folgten Spezialgesetze (Rettungsgesetz 1979, Katastrophenhilfegesetz 1979), einschließlich eines Sittenpolizeigesetzes (1976) zur Bekämpfung der zunehmenden Straßenprostitution 125. Die Gesetzgebung der 1980er Jahre, in einer langanhaltende Phase wirtschaflicher Hochkonjunktur bis 1992, spiegelt eine Intensivierung der Umweltschutzbemühungen quer durch alle Regelungsbereiche wider126. Das Klärschlammgesetz 1985 machte gleichzeitig erstmals Umweltfolgen von Umweltmaßnahmen sehr deutlich. Am Beispiel des Tourismus wurde erkannt, daß sich nur innerhalb ökologischer und raumplanerischer Grenzen auf längere Sicht erfolgreich wirtschaften läßt127. Der erweiterte finanzielle Spielraum schlug sich in zahlreichen sozialrechtlichen Verbesserungen nieder; sozialpolitische Pioniertaten waren die Einführung von Familienzuschüssen (Familienförderungsgesetz 1989) und allgemeinen Pflegezuschüssen (auf Grundlage Sozialhilfeverordnung 1990, Landes-Pflegegeldgesetz 1993). Europäischer “Xeroxföderalismus” Der Beitritt Österreichs zum Europäischen Wirtschaftsraum 1994 und zur Europäischen Union 1995 erforderte die Anpassung von über 30 Landesgesetzen. Europäischen Richtlinien verpflichteten zudem zur Regelung neuer Bereiche (z.B. Vergabegesetz 1994, Bauproduktege- setz 1994, Umweltinformationsgesetz 1994). Von den Bundesgesetzen, die vorrangig oder ausschließlich für Vorarlberg von Bedeutung sind, ist das Stickereiförderungsgesetz (1956) hervorzuheben128. Interessant ist auch der Staatsvertrag über den Flugplatz Altenrhein (1992), mit dem erstmals völkerrechtlich Lärmbeschränkungen vereinbart wurden. Abschließend ist zu bedenken, daß die Landesverwaltung vielen Aufgaben nachkam, bevor sie gesetzlich geregelt wurden. Bemerkenswert ist, daß bis 1953 quantitativ noch die Gesetzgebung dominierte, dann aber eine “Verordnungsflut” einsetzte; nicht zuletzt deshalb, weil die 124 Keßler (wie Anm. 20), S. 264-276; Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 400-404. Keßler (wie Anm. 20), S. 176-179, 254; Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 439-440; Winder (wie Anm. 34), S. 85-90. 126 Novellierung von LandschaftsschutzG 1981, LuftreinhalteG 1984, NaturschutzG 1988, AbfallG 1988; aber z.B. auch bei Novellierung von BauG 1982, JagdG 1988, RaumplanungsG 1988, FremdenverkehrsG 1991. 127 Helmut Feurstein/Helmut Tiefenthaler, Wendepunkt der Tourismuspolitik in Vorarlberg aus raumplanerischer Sicht, in: Gedenkschrift für Wolf Jürgen Reith, hg. von Mario Broggi, Schaan 1991, S. 113-122. 128 Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich (künftig: BGBl) 222/1956. 125 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 24 / 53 Gesetzgebung der Verwaltung eine immer umfangreichere und detailliertere Normierung einer immer komplexeren Gesellschaft auftrug. Grafik 2: Zahl der Landesgesetze und Regierungsverordnungen 1946 bis 1994 70 60 50 40 30 20 10 0 46 49 52 55 58 61 64 67 70 73 76 79 82 85 88 91 94 Gesetze Verordnungen davon Filmverbote Quelle: Landesgesetzblätter 1945 bis 1994. 6. Landesverwaltung im Leistungsstaat Mit der eigenständigen Landesregierung war zur Jahreswende 1939/40 auch die “Landeshauptmannschaft Vorarlberg” aufgelöst und in die Behördenstruktur des Reichsstatthalters in Tirol und Vorarlberg eingegliedert worden129. In Bregenz war zunächst noch eine Außenstelle (“Abteilung VI Vorarlberg”) eingerichtet, aber schon 1941 aufgelöst worden130. Sämtliche Agenden, die nicht durch die Landratsämter oder Sonderbehörden besorgt wurden, waren damit nach Innsbruck verlegt worden. “Vorarlberg stand verwaltungstechnisch vor einem Nichts”, 129 Auszug aus dem nicht veröffentlichten Erlaß des Reichsministers des Inneren vom 13.12.1939, I Ö 2291/39/1105, abgedruckt in: Pfeifer (wie Anm. 1), S. 552-555. Nachbaur (wie Anm. 4), S. 39-46. 130 Bekanntmachung der Auflösung der Abtlg. VI des Reichsstatthalters in Tirol und Vorarlberg (verfügt vom Reichsstatthalter am 30.10.1941), Verordnungs- und Amtsblatt für den Reichsgau Tirol und Vorarlberg 1941, Nr. 19 [213]. Löffler-Bolka (wie Anm. 5), S. 24, und Schönherr 1981 (wie Anm. 1), S. 103, bzw. Verwaltung, S. 87, verwechseln die Außenstelle der Behörde des Reichsstatthalters “Abteilung VI Vorarlberg” mit der Außenstelle Bregenz der “Landstelle” (nicht “Landesstelle”!), die mit der “landwirtschaftlichen Entschuldung” beauftragt war und 1947 aufgelöst wurde. Zur Behördenorganisation irreführend auch Bilgeri (wie Anm. 25), S. 186. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 25 / 53 blickte die Landesregierung 1949 zurück: “Dennoch funktionierte die Verwaltung hier früher und man darf auch sagen mindestens ebenso gut als anderswo.” 131 Neuaufbau einer eigenen Landesverwaltung Der am 24. Mai 1945 autorisierte Landesausschuß richtete das provisorische “Amt des Vorarlberger Landesausschusses” - parallel und unter Kontrolle der Militärverwaltung - für die gesamte öffentliche Verwaltung ein, von “Inneres und Justiz” bis zum “Post- und Fernmeldewesen”132. Sofort wurde auch ein “Landesernährungsamt” eingerichtet und ein “Landeswirtschaftsamt”, das für die Bewirtschaftung aller übrigen Güter zuständig war133. Die von den Franzosen wiederberufenen Bezirkshauptleute wurden bestätigt. Am 11. bzw. 19. Dezember 1945 traten die Landes- und die Bundesverfassung wieder voll in Kraft und damit auch die traditionelle Behördenorganisation. Die vom Reichsstatthalter geführten Geschäfte gingen auf die Landesregierung mit dem “Amt der Vorarlberger Landesregierung”134 in Bregenz über; die von den Landratsämtern besorgte staatliche Verwaltung auf die Bezirkshauptmannschaften Bludenz, Bregenz und Feldkirch135. Im Juni 1945 wurde das französische Truppenkomando durch die “eigentliche” Militärregierung für Vorarlberg abgelöst, die der Zonenregierung in Innsbruck unterstand136. Militärgouverneur Henri Jung machte dem Landesausschuß klar, daß die Militärregierung weiterhin allein die Regierungsgewalt habe und der Landesausschuß nur ein Organ sei, “das sich aus Fachleuten zusammensetzt und die Aufgabe hat, die Militärregierung zu beraten und ihre Entscheidungen auszuführen”137. Mit dem “Zweiten Kontrollabkommen” vom 28. Juni 1946 wurde jedoch die “direkte Herrschaft” beendet138. Die Militärregierung beschränkte sich auf die Kontrolle der Gesetzgebung, der Verwaltung des “deutschen Eigentums”, der - nach Ansicht der 131 Der Wiederaufbau der Vorarlberger Landesverwaltung auf Grund amtlicher Unterlagen verfaßt von der Landespressestelle [Hans Huebmer], Manuskript (masch.), [Bregenz 1949], S. 1. 132 NS 2. Sitzung LA 28.5.1945 (Organisationsplan) (wie Anm. 8). 133 NS 1. Sitzung LA 24.5.1945 (wie Anm. 8). Zur Tätigkeit: Der Wiederaufbau (wie Anm. 130), S. 26-27, 34-38; Julius Längle, Die Ernährungslage in Vorarlberg, in: Gerhard Wanner (Hg.), 1945. Ende und Anfang. Lochau 1986, S. 99-102; Konzett (wie Anm. 10), S. 79-81. 134 Die 1925 eingerichteten “Ämter der Landesregierung” waren 1934 in “Landeshauptmannschaften” umbenannt worden. Auf Wunsch der Bundesregierung wurde nach der Wiedererrichtung bis 1947 die Bezeichnung “Landeshauptmannschaft” beibehalten. Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S. 566. 135 Einen informativen Überblick über die Verwaltung des Landes bieten (jeweils auf dem Stand der Zeit): Herbert Keßler, Jungbürger und Staat, in: Vorarlberger Jungbürgerbuch, hg. von der Vorarlberger Landesregierung, ³Bregenz 1962, S. 7-210, hier S. 68-104 Keßler, Jungbürger; Franz Ender, Jungbürger und Staat, in: Vorarlberger Jungbürgerbuch, hg. von der Vorarlberger Landesregierung, ²Bregenz 1971, S. 51-174, hier S. 112-122; Müller (wie Anm. 21), S. 82-91; Peter Bußjäger, Die staatliche Ordnung, in: Vorarlberg - unser Land, Jungbürgerbuch, hg. von der Vorarlberger Landesregierung, ³Bregenz 1992, S. 35-62, hier S. 48-57. 136 Eisterer (wie Anm. 5), S. 20 und 22-26. 137 NS Sitzung LA 21.6.1945 (wie Anm. 8). Landesgouverneure: Oberst Henri Jung 1945-1948, Oberst D’Autibert de Lussan 1949-1950, Oberst Moreigne 1950-1953. 138 Eisterer (wie. Anm. 5), S. 26-30. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 26 / 53 Franzosen zu nachsichtigen139 - Entnazifizierung sowie der Ausländer- und Grenzpolizei; sie überließ der Landesregierung sogar den Rundfunk140. Die Militärregierung förderte verdienstvoll den wirtschaftlichen Wiederaufbau (Wirtschaftsabkommen mit der Schweiz 1945)141 und die Kultur (Bregenzer Festspiele 1946). In gemeinsamen Sitzungen mit der Landesregierung wurden wichtige Fragen erörtert und Direktiven ausgegeben. 1948 wurden immerhin noch rund 3.000 Schriftstücke zwischen Landesregierung und Militärregierung gewechselt142. 1952 appellierte der Landtag an die Besatzungsmächte, Österreich “unverzüglich zu räumen und seine uneingeschränkte Souveränität anzuerkennen”143. Vorarlberg war das erste Land, das 1953 - um Besatzungskosten zu sparen - geräumt wurde. 1954 wurde die “Abteilung Vorarlberg der französischen Mission” ganz aufgelassen144. Überwindung der Mangelwirtschaft In den unmittelbaren Nachkriegsjahren stand die Versorgung der Bevölkerung mit dem Nötigsten im Vordergrund, die Wiederherstellung des Rechtsstaates, der wirtschaftliche Wiederaufbau und die Beseitigung des Wohnungsmangels. Diese Schwerpunkte spiegelt auch der Neuaufbau der Verwaltung wider, der notgedrungen auch an Maßnahmen der NS-Zeit anknüpfte, vor allem im Hinblick auf die Bewirtschaftung145. Dem Landesausschuß kam die Stellung “einer Art ‘Feuermeldestelle’” zu146. Dank der jährlichen Rechenschaftsberichte, die ab 1949 wieder vorgelegt wurden147, ist die Arbeit der Landesverwaltung ausgezeichnet dokumentiert. Vor der zweiten Landtagswahl veröffentlichte die Landesregierung eine Dokumentation über den “Aufbau Vorarlbergs 19451954” mit dem nicht unbescheidenen Resümee: “Der angeborene Fleiß des Vorarlberger Volkes, die ingeniöse Tüchtigkeit der Betriebsinhaber und die Verwaltung des Landes ergeben 139 Eisterer (wie. Anm. 5), S. 163-258. Eisterer (wie. Anm. 5), S. 273-278; Grabherr (wie Anm. 1), S. 276 u. 281; [Josef Sinz], Das Verkehrswesen in Vorarlberg, in: 100 Jahre Handelskammer (wie Anm. 10), S. 340-354, hier S. 351. 141 Klaus Eisterer, Die Schweiz als Partner. Zum eigenständigen Außenhandel der Bundesländer Vorarlberg und Tirol mit der Eidgenossenschaft 1945-1947, Wien 1995, S. 6-20. 142 So der damalige Präsidialchef Grabherr (wie Anm. 1), S. 241. 143 SteSi 17. LT, 5. Sitzung 3.4.1952, S. 85. 144 Grabherr (wie Anm. 1), S. 282. 145 Vgl. Konzett (wie Anm. 10), S. 79-81. 146 Der Wirtschaftsreferent Eduard Ulmer 1965 im Interview: Ende und Anfang (wie Anm. 5), S. 30. Vgl. Löffler-Bolka (wie Anm. 5), S. 144-153 147 Erstmals seit 1932 wurde wieder ein Rechenschaftsbericht vorgelegt (SteSi 16. LT, Beilage 30/1949), der die Jahre 1945 bis 1948 umfassen dürfte. In den zur Verfügung stehenden gebundenen Sitzungsberichten fehlt die Beilage, sie dürfte aber Grundlage für “Der Wiederaufbau (wie Anm. 130) ” gewesen sein. Vgl. SteSi 16. LT, 5. Sitzung 19.4.1949, S. 19-25. Seit 1974 legte die Landesregierung vor LT- Wahlen und bei LH-Wechseln via “Vorarlberg Bericht” mehrjährige Bilanzen: Vorarlberg Bericht (1974) 8, (1979) 7, (1982) 38, (1984) 44, (1987) 52, (1989) 61, (1992) 72, (1994) 78, (1997) 88. 140 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 27 / 53 einen Dreiklang, durch den Vorarlberg an die Spitze der wirtschaftlichen, man darf wohl auch sagen, der kulturellen Entwicklung unseres Erdteils gerückt ist.”148 Grafik 3: “Landesämter” 1925 1929 1934 1939 Amt der Vorarlberger Landesregierung Landeshauptmann Landesamtsdirektor mittelbare Bundesverwaltung / Landesverwaltung Landeshauptmannschaft Vorarlberg Landeshauptmann Regierungsdirektor mittelbare Bundesverwaltung / Landesverwaltung Bezirkshauptmannschaften 1940 bis 1941 Behörde des Reichsstatthalters für Tirol und Vorarlberg Reichsstatthalter Regierungspräsident Gauhauptmann staatliche Verwaltung Selbstverwaltung Abteilung VI - Vorarlberg Landratsämter 1945, 24.5. Amt des Vorarlberger Landesausschusses Präsident (Landeshauptmann) Vorläufige Führung (Landesamtsdirektor) staatliche Verwaltung / Selbstverwaltung 1945, 11.12. Bezirkshauptmannschaften Amt der Vorarlberger Landesregierung Landeshauptmann Landesamtsdirektor mittelbare Bundesverwaltung / Landesverwaltung Bezirkshauptmannschaften Quelle: Nachbaur, Chronologie zur organisatorischen Entwicklung der Vorarlberger Landesverwaltung seit 1918 (1997), S. 7. Einige typische “Nachkriegsdienststellen” waren bereits aufgelöst worden (Landeswirtschaftsamt 1949, Landesernährungsamt 1950, Heimkehrerstelle 1950, Abteilung Preisbestimmung und Preisüberwachung 1952). 1960 wurde die “Wirtschaftsstelle Vorarlberg148 Land Vorarlberg (Hg.), Der Aufbau Vorarlbergs 1945 1954, (Bregenz 1954), S. 18. Gute Dokumentation auch in: Der Wiederaufbau (wie Anm. 130), S.1-42. Vgl. Ilg (wie Anm. 13), S. 37-58; Grabherr (wie Anm. 1), S. 275-288; Bachmann (wie Anm. 25), S. 81-87; Löffler-Bolka (wie Anm. 5), S. 132-203; Hannes Liener, Die wirtschaftliche Entwicklung Vorarlbergs zwischen 1945 und 1955, in: Wanner (wie Anm. 132), S. 89-97; Längle (wie Anm. 132), S. 99-102; Ernst Längle, Maßnahmen gegen die Wohnungsnot, in: Wanner (wie Anm. 132), S. 103-108. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 28 / 53 Schweiz” liquidiert und die Abteilung “Vermögenssicherung” (vor allem von “deutschem Eigentum”) aufgelöst. Beim Neuaufbau der Verwaltungsorganisation wurde nicht 1938, sondern 1945 angeknüpft. Die neue Aufbauorganisation des Amtes der Landesregierung 1946 orientierte sich weniger an der Landeshauptmannschaft von 1938, sondern stärker an der Behörde des Reichsstatthalters149. Mit dem Erziehungsheim Jagdberg und dem Landesmuseum wurden zwei der durch das NS-Regime verstaatlichten Einrichtungen als Landeseinrichtungen weitergeführt; ebenso wurde Organisation der Bauämter übernommen150. In Form der “Bezirksfürsorgeverbände” wirkte noch bis 1971 die Kreisselbstverwaltung nach151. Erst 1970 wurde die Frage der Vermögenswerte nach den ehemaligen Landkreisen geregelt152. Auf dem Weg in eine Mediengesellschaft Empfindlich traf die Landesregierung, daß sie 1954 den “Landessender Vorarlberg” und damit die Kontrolle über das Medium Rundfunk an den Bund abtreten mußte. Spätestens der Kampf um die Autobahntrasse in Bregenz in den 1960er Jahren hatten für Landeshauptmann Ilg zudem gezeigt, “daß Preßorgane ihre Kompetenzen überschreiten und versucht sein können, Nebenregierung zu spielen”153. Sein Ratschlag “Lest nicht soviel Zeitungen, dann werdet ihr weniger vom richtigen Weg abkommen!” dürfte sich in erster Linie auf die “Vorarlberger Nachrichten” (VN, gegründet 1945) bezogen haben. Der Weg in die Informationsgesellschaft war jedoch bereits vorgezeichnet. Die Zeit der großen Parteiversammlungen war vorbei. Mit der Dezentralisierung des ORF 1967 erhielt Vorarlberg ein weitgehend eigenverantwortliches Landesstudio in Dornbirn. Die traditionsreiche Parteipresse konnte nicht mehr an ihre Bedeutung in der Zwischenkriegszeit anschließen. 1972 mußte das traditionsreiche ÖVP-Organ “Vorarlberger Volksblatt” (1866) endgültig eingestellt werden154. ÖVP-nahe Kreise bemühten sich vergeblich, mit der “NEUEN Vorarlberger Tageszeitung” (1972) ein Gegengewicht zum “VN-Imperium” zu bilden, das die “NEUE” 1990 aufkaufte. Gleichzeitig setzte die Landesregierung stärker auf direkte Öffentlichkeitsarbeit. Zusätzlich zur Radio-Sendung des Landes149 Vgl. Nachbaur (wie Anm. 4), S. 51. Anstelle der Baubezirksleitungen waren 1940 selbständige Bauämter errichtet worden: Reichsbauamt Feldkirch (Hochbau), Reichsstraßenbauamt Feldkirch, Reichswasserbauamt Feldkirch, vorläufiger Sitz Bregenz. Nachbaur (wie Anm. 4), S. 43. 151 Mit dem SozialhilfeG LGBl 26/1971 aufgelöst. Vgl. SteSi 21. LT, Beilage 5/1969, S. 29-30, Beilage 10/1971, S. 113. Die Landkreise waren nicht nur Verwaltungssprengel, sondern auch Selbstverwaltungskörperschaften. Vgl. Pfeifer (wie Anm. 1), S. 531-532. 152 Zum Vermögen der Landkreise zählten die Gebäude der Bezirkshauptmannschaften Feldkirch und Bregenz, die 1962 vom Land abgekauft wurden. Das Vermögen wurde zunächst von einem Kurator verwaltet und 1970 zu einem Sondervermögen des Landes erklärt, aus dem Darlehen für Bau und Erhaltung von Krankenhäusern gewährt werden (LGBl 7/1970; SteSi 21. LT, Beilage 4/1969, S. 25-28). 1989 wurde das Sondervermögen anteilsmäßig auf die Gemeinden Bludenz, Bregenz, Dornbirn, Feldkirch, Hohenems und das Land aufgeteilt (LGBl 34/1989). 153 Ilg (wie Anm. 13), S. 83. Zum folgenden vgl. Winder (wie Anm. 34), S. 16-18, 27, 29-31 und 41-46. 154 Plitzner (wie Anm. 5), S. 637-639. 150 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 29 / 53 hauptmanns sollte nun ein vierteljährlicher “Vorarlberg Bericht” (1972) “den so wichtigen direkten Kontakt zwischen Bevölkerung und Regierung fördern”155. Die aktuelle Fernsehberichterstattung von ORF Vorarlberg ab 1988 verstärkte die Tendenz zur “Mediokratie” weiter156. 1995 eröffnete die Landesregierung in Kooperation mit einem “VN-Unternehmen” via Internet eine weitere Informationsschiene157. Die Landesregierung bedient sich des Amtes der Landesregierung und ihren nachgeordneten Dienststellen, vor allem der Bezirkshauptmannschaften, die auch in den meisten Verwaltungsverfahren erste Instanz sind158. 1969 wurde durch eine Teilung des österreichweit bevölkerungsreichsten Bezirks Feldkirch ein vierter Verwaltungsbezirk Dornbirn geschaffen159. Zur “Leitung des inneren Dienstes” bestellt die Landesregierung einen Landesamtsdirektor, dessen Stellung in der Vorarlberger Rechtsordnung jener eines “beamteten Staatssekretärs” ähnlich ist160. Neben der Hoheitsverwaltung und der Privatwirtschaftsverwaltung des Landes, ist der Landeshauptmann mit seinen Landesämtern zusätzlich auch mit Verwaltungsaufgaben des Bundes betraut, soweit diese nicht unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden. Das gilt sowohl im Hoheitsbereich in Form der “mittelbaren Bundesverwaltung” (z.B. Gewerbe-, Wasser-, Kraftfahrrecht), als auch im privatwirtschaftlichen Bereich in Form der “Auftragsverwaltung” (z.B. Bundesstraßen-, Bundesgebäude-, Bundeswasserbauverwaltung).161 Diese weisungsgebundene mittelbare Bundesverwaltung, so eine Vorarlberger Forderung, sollte im Rahmen der Bundesstaatsreform abgeschafft werden; nicht zuletzt auch aufgrund parlamentarischer Kontrolldefizite162. Generell, so die Klage, habe die Bundesgesetzgebung auf Kosten von Ländern und Gemeinden zur Aufblähung der Verwaltungsaufgaben beigetragen. Gleichzeitig war das Land aber auch in der Behördenorganisation bemüht, jede Kompetenz selbst wahrzunehmen. So ent155 LH Keßler im Vorwort zum Vorarlberg Bericht (1972) 1. Vgl. Keßler (wie Anm. 20), S. 104; Winder (wie Anm. 34), S. 179 f. 156 Zum Einfluß auf die Landtagsregie vgl. LT-Präsident Jäger, SteSi 25. LT, 10. Sitzung 13./14./15.12.1990, S. 891-892. Zum ORF: Thomas Prantner, Hallo Vorarlberg! Landesstudio Vorarlberg, Wien 1990. 157 Kooperation mit der Firma Teleport. InVoNet. Homepage: www:http://www.vlr.gv.at/ 158 In Angelegenheiten der Landesverwaltung besteht nur in Vorarlberg seit 1976 eine subsidiäre Allzuständigkeit der Landesregierung. BezirksverwaltungsG LGBl 1/1976. 159 LGBl 47/1968; umfaßt die Gemeinden Dornbirn, Lustenau und Hohenems. Keßler (wie Anm. 20), S. 116-119. 160 Pernthaler/Lukasser (wie Anm. 51), S. 187. Der Landesamtsdirektor (LAD) nimmt mit beratender Stimme an den Regierungssitzungen teil. Landesamtsdirektoren: Meinhard Grabmayr 1945-1950, Fritz Schneider 1951-1955, Elmar Grabherr 19551976, Ernst Adamer 1977-1986, Franz Ender 1986-1992, Werner Brandtner seit 1992. 161 Ernst Adamer, Das Amt der Landesregierung, in: Land Vorarlberg (Hg.), Unser Landhaus. Das neue Amtsgebäude in Bregenz, Bregenz 1982, S.83-102. 162 Für die mittelbare Bundesverwaltung und die Auftragsverwaltung des Bundes ist die Landesregierung dem LT nicht verantwortlich. Vgl. Morscher (wie Anm. 60), S. 43-44; LH Purtscher SteSi 26. LT, Festsitzung 11.12.1995, S. 643; Winder (wie Anm. 34), S. 117 f. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 30 / 53 schied sich Vorarlberg als einziges Bundesland gegen die Einrichtung einer Förderungsstelle des Bundes für Erwachsenenbildung und übernahm diese Aufgabe 1975 in Auftragsverwaltung163. Als eines der wenigen Länder errichtete Vorarlberg 1985 ein eigenes “Pädagogisches Institut des Landes” zur separaten Fortbildung der knapp 3.400 (1995) “Landeslehrer” an den Pflichtschulen164. Grafik 4: Bundesverwaltung gemäß Bundes-Verfassungsgesetz 1920/29 Bundesminister Landeshauptmann (Stellvertreter) möglich in taxativ aufgezählten Bereichen grundsätzlich Ermessen der Bundesminister Mitglieder der Landesregierung Bundesbehörden unmittelbare grundsätzlich mittelbare Bundesbehörden Auftragsverwaltung Hoheitsverwaltung unmittelbare Leistungsverwaltung Bundesverwaltung Noch mehr neue Aufgaben hat das Land, spätestens in den “fetten” 1970er und 1980er Jahren, im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung übernommen. Bemerkenswert ist, daß Vorarlberg nach einem päpstlichen Aufruf bereits 1959 als erstes Bundesland damit begann, über Vorarlberger Missionare beachtliche Mittel für Entwicklungshilfe auszuschütten165. Neue Pflichtaufgaben sind durch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung zugewachsen. Schließlich ist quantitativ zu bedenken, daß die Bevölkerung Österreichs von 1950 bis 1995 um 16 Prozent zugenommen hat, jene Vorarlbergs aber um 78 Prozent. Entsprechend zugenommen haben dadurch die Nutzungskonflikte. Versechsfachung des Personalstandes 163 Mit Verordnung BGBl 523/1975. Das BundesG über die Förderung der Erwachsenenbildung und des Volksbüchereiwesens (BGBl 1771/1973) hatte diese Möglichkeit freigestellt. Vgl. SteSi 21. LT, 9. Sitzung 14.11.1973, S. 371 und 374; Vorarlberg Bericht (1975) 11, (1976) 17; Reinhold Bernhard, Erwachsenenbildung, in: Peter Pernthaler (Hg.), Dezentralisation und Selbstorganisation. Theorie und praktische Erfahrung, Wien 1982, S. 154-156; Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 450. 164 Ein Pädagogisches Institut des Bundes in Vorarlberg bestand bereits seit 1971. Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 449. Die Führung der bis 1938 privaten Lehrerbildungsanstalt (Pädagogische Akademie) in Feldkirch wurde nach 1945 dem Bund überlassen. Grabherr (wie Anm. 1), S. 306. 165 Vgl. Ilg (wie Anm. 13), S. 88; Keßler (wie Anm. 20), S. 239. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 31 / 53 Mit der Aufgabenfülle und -dichte wuchs der Personalstand der Landesverwaltung. Zunächst wurde jedoch der enorm aufgeblähte Personalstand der Landratsämter abgebaut. 1938 hatte die gesamte Landesverwaltung 220 Bedienstete gezählt166. Von 1938 bis 1945 war allein der Personalstand der früheren Bezirkshauptmannschaft Feldkirch von 21 auf 125 versechsfacht worden167. 1950 zählte die Landesverwaltung (ohne Landeslehrer) 670 Beamte und Angestellte, 1965 705, 1975 1.558, 1985 2.308 und 1995 3.710168. Diese enormen Steigerungen ab den 1970er Jahren wurde durch den Ausbau der Landesspitäler (1972 Medizinisches Zentrum Feldkirch, 1974/78 Landes-Nervenkrankenhaus Rankweil) und die Übernahme von Gemeinde- und Privatkrankenhäuser verursacht (1978 Stadt Feldkirch, 1991 Böckle Bregenz, 1992 Stadt Bregenz, 1994 Maria Rast)169. In der “Hoheitsverwaltung” hat sich die Zahl der Dienstposten seit 1950 nur gut verdoppelt, was in etwa der Entwicklung der unselbständig Beschäftigten in Vorarlberg insgesamt entspricht. Signifikant ist hingegen eine Vervierfachung der Dienstposten im Bereich der “sonstigen Nicht-Hoheitsverwaltung” seit 1975. Hier hat sich vor allem die Gründung kultureller Einrichtungen niedergeschlagen (1976 Landeskonservatorium, 1977 Landesbibliothek, 1981 Landesbildungszentrum Schloß Hofen, 1991 Kunsthaus) und der Ausbau der “Chemischen Versuchsanstalt” in ein “Umweltinstitut”. Stolz verwies die Regierung 1989 darauf, daß sich der Personalstand im Umweltbereich binnen zwanzig Jahren vervierfacht habe170. Im Zusammenhang mit der Umweltdiskussion der 1980er Jahre wurden in Verwaltungsverfahren gemäß der Forderung nach einer “Demokratisierung aller Lebensbereiche” individuelle Einspruchsrechte ausgeweitet. Nach der Wirtschaftskrise 1992 setzte allerdings eine Trendwende in Richtung Deregulierung und Vereinfachung der Verwaltungsverfahren zur Sicherung des Wirtschaftsstandortes ein171. 166 SteSi 17. LT, Beilage 7/1949, S. 152-154. Adamer, Amt der Landesregierung, S.95-98. Sieghard Rupprich: Wissenswertes über die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch. Historische Entwicklung der Bezirkshauptmannschaft, Manuskript (masch.), 1972, S. 5. Ähnliches galt für Bludenz: Ende und Anfang (wie Anm. 5), Interview mit Bezirkshauptmann Julius Längle, S. 23. 168 Zahl der Dienstposten ohne Arbeiter/Angestellte in handwerklicher Verwendung (1991 z.B. 691). Adamer, Amt der Landesregierung, S.95-98; LH Purtscher 1992 in Beantwortung der LT-Anfrage 910-280, SteSi 25. LT; SteSi 26. LT, Beilage 1/1996, S. 34-35. 169 Josef Schoder, Entwicklung der Krankenhäuser in Vorarlberg, in: Montfort 22 (1970) 1, S. 5-15; Ernst Winder, Zum Vorarlberger Krankenhauskonzept, in: Montfort 24 (1972) 3-4, S. 385-392; Herbert Tschofen, Zur Geschichte der Krankenhäuser und Krankenhausfinanzierung in Vorarlberg, in: Montfort 26 (1974) 4, S. 503-520; Keßler (wie Anm. 20), S. 241-253. 170 Vorarlberg Bericht (1989) 61, S. 5. Vgl. Heinz Grimm, Über 100 Jahre Umweltschutz in Vorarlberg. Eine Darstellung der Vorarlberger Umweltschutzanstalt, in: Montfort 37 (1985) 1, S. 78-83; Vorarlberg Bericht (1983) 39, (1990) S. 4-5. 171 LH Purtscher SteSi 25. LT, 9. Sitzung 15./16.12.1993, S. 882-883, SteSi 26. LT, 6. Sitzung 3./4.7.1996, S. 465; Vorarlberg Bericht (1996) 86, S. 6-7; exemplarisch: Jürgen Weiss, Die Umweltverträglichkeitsprüfung als Teil der Verwaltungsreform, in: ÖJBfP 1993, S. 453-468. - Der Paradigmenwechsel kommt in den Regierungserklärungen zu den Landtagsperioden 1989-1994 (“Unsere Umwelt lebenswert erhalten und gestalten”) bzw. 1994-1999 (“Jahre der Bewährung”) klar zum Ausdruck: SteSi 25. LT 2. Sitzung 22.11.1989, S. 30-36, SteSi 26. LT, 3. Sitzung 23.11.1994, S.30-36. Beide wurden von der Landespressestelle publiziert. 167 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 32 / 53 Tabelle 2: Entwicklung der Dienstposten der Vorarlberger Landesverwaltung 1950 bis 1995 (Beamte und Angestellte, ohne Landeslehrer und Arbeiter) Hoheitsverwaltung Krankenanstalten Sonstige Nicht- Gesamt Hoheitsverwaltung DP Index DP Index DP Index DP Index 1950 495 100 57 100 60 100 612 100 1955 499 101 50 88 24 40 573 94 1965 569 115 104 183 32 53 705 115 1975 853 172 641 1.125 64 107 1.558 255 1985 939 190 1.056 1.852 185 308 2.308 377 1995 1.125 227 2.336 4.098 249 415 3.710 606 Quellen: Adamer, Amt der Landesregierung (1982), S. 97; Dienstpostenpläne 1985 und 1995. Diversifizierung der Landesverwaltung Waren 1965 noch 81 Prozent der Landesbediensteten in der “Hoheitsverwaltung” tätig, so waren es 1975 55 Prozent und 1995 gerade noch 30 Prozent. Beamtenstatus wurde im Vorarlberger Landesdienst grundsätzlich nur Bediensteten der “Hoheitsverwaltung” eingeräumt und selbst dies nur beschränkt: 1950 wie 1995 betrug ihr Anteil nur gut ein Drittel. Aber auch in diesem Bereich “Hoheitsverwaltung” hat die Zahl jener, die nicht mehr in klassischer Behördenfunktion tätig sind, ab den 1960er Jahren stetig zugenommen. Eine Folge der Diversifizierung der Aufgaben war eine zunehmende Feingliederung der Landesverwaltung. Kam das Amt der Landesregierung 1955 noch mit 19 Abteilungen aus, so waren es 1995 32. Dabei läßt sich auch die gesellschaftliche Entwicklung gut nachvollziehen, zum Teil allein schon an der Abteilungsbezeichnung: So hieß die Abteilung “Fürsorge” ab 1972 “Sozialhilfe und Jugendfürsorge”, ab 1981 “Soziales, Familie und Jugend”, ab 1990 “Soziales, Familie, Jugend und Frauen” und ab 1993 “Soziales, Familie, Jugend, Frauen und Senioren”. Aus der ursprünglichen Abteilung “Kultur” ging 1977 eine eigene Abteilung “Volksbildung und Wissenschaft” hervor, 1984 die Abteilungen “Sport” und “Umweltschutz”. Aus der Wirtschaftsabteilung wurde 1972 “Raumplanung und Baurecht” als eigene Abteilung herausgelöst und aus dieser wieder 1993 eine eigene Abteilung “Abfallwirtschaft”172. 172 Nachbaur (wie Anm. 4), S. 59-73. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 33 / 53 Grafik 5: Geschäftseinteilung des Amtes der Vorarlberger Landesregierung 1995 Landeshauptmann Vorstand Landesamtsdirektor Leiter des inneren Dienstes Prä sidium Abteilung PrsR Regierungsdiensten Gruppe I Inneres Abteilung Ia Innere Angelegenheiten Gruppe II Schule und Kultur Abteilung IIa Schule Gruppe III Finanzen Abteilung IIIa Finanzangelegenheiten Gruppe IV Soziales und Gesundheit Abteilung IVa Soziales, Jugend, Familie, Frauen, Senioren Gruppe V Land- und Forstwirtschaft Abteilung Va Landwirtschaft Gruppe VI Wirtschaft Gruppe VII Bauwesen und Raumplanung Abteilung VIa Allgemeine Wirtschaftsangelegenheiten Abteilung VIIa Raumplanung und Baurecht 1993 (1966) 1972 Abteilung PrsG Gesetzgebung Abteilung Ib Verkehrsrecht 1966 1963 (1946) Abteilung Vb Veterinä rangelegenheiten 1981 Abteilung IVb Gesundheitsrecht und Sozialversicherung 1964 Abteilung IIc Kultur Abteilung IIc Gebarungskontrolle Abteilung IVc Sport Abteilung Vc Forstwesen 1977 (1946) 1981 1984 1964 (1946) Abteilung PrsP Personal Abteilung IIId Wohnbaufö rderung Abteilung IVd Sanitä tsangelegenheiten Abteilung VId Elektrotechnik 1993 1993 Abteilung PrsE Europaangelegenheiten und Außenbeziehungen 1994 Abteilung IIb Wissenschaft und Weiterbildung 1977 Abteilung IIIb Vermögensverwaltung Abteilung VIb Wirtschaftsrecht 1963 (1946) Abteilung VIc Maschinenwesen 1964 (1946) Abteilung PrsI Informatik Abteilung IVe Umweltschutz Abteilung VIe Seilbahn- und Aufzugstechnik 1993 1984 1953 Abteilung VIf Abfallwirtschaft 1992 Jahr der Errichtung als selbständige Abteilung nach 1946. (In Klammer Jahr der Errichtung von Abteilungen, die geteilt wurden). Quellen: Geschäftseinteilung des Amtes der Vorarlberger Landesregierung 19.10.1994, ABlV 47/1994; Nachbaur, Chronologie zur organisatorischen Entwicklung der Vorarlberger Landesverwaltung seit 1918 (1997), S. 53-73. Konsequente Auslagerung und Ausgliederung Trotz Aufgabenvervielfachung konnte die Landesregierung immer wieder nachweisen, daß Vorarlberg mit der absolut und relativ kleinsten Landesverwaltung zu Recht kommt173; nicht zuletzt deshalb, weil es auf pragmatische Verwaltungsmodelle und die Auslagerung von Aufgaben setzte. So war zum Beispiel von 1956 bis 1974 die Vorarlberger gemeinnützige Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft (VOGEWOSI) mit der Wohnbauförderung beauftragt, statt einer Landeskassa wird der Geldverkehr über die Landes- und Hypothekenbank abgewi173 SteSi 17. LT, Beilage 7/1949, S. 153; LH Purtscher 1992 in Beantwortung der LT-Anfrage 910-280, SteSi 25. LT; Vorarlberg Bericht (1977) 21, (1986) 47, (1994) 78, S. 8. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 Abteilung VIIb Straßenbau 34 / 53 Abteilung VIIc Hochbau Abteilung VIId Wasser- und Landwirtschaftsbau ckelt. Modellhaft wurde eine “autonome Sozialpolitik” auf der Grundlage von Subsidiarität und Solidarität entwickelt174. Zahlreiche Aufgaben im Sozial- und Gesundheitsbereich nehmen Caritas (gegründet 1924), Arbeitskreis für Vorsorge- und Sozialmedizin (1964), Lebenshilfe (1967), Institut für Sozialdienste (1973), Krankenpflegevereine und andere “private” Institutionen wahr. Ein dichtes ambulantes Netz war eine Voraussetzung dafür, daß mit einem Pilotprojekt 1995 eine “Leistungsorientierte Krankenhausfinanzierzung” erfolgreich vorbereitet werden konnte. Zur unbürokratischen Hilfe hatte der Landesausschuß 1945 das “Vorarlberger Hilfswerk” gegründet. Das Gewerbeförderungsinstitut (1912) wurde 1950 der Handelskammer übereignet,175 1959 zur Exportförderung mit der Handelskammer eine “Garantiegemeinschaft” gebildet176 und die Tourismusförderung zunächst weitgehend dem “Landesverband für Fremdenverkehr” (1893) überlassen177. Um Bund, Gemeinden, Sozialpartner und Wirtschaft einbinden bzw. in die Pflicht nehmen zu können, wurden für neue Aufgaben eigene Trägerorganisationen gegründet; so zum Beispiel ein “Energiesparverein” (1985), ein “Verein Technikum Vorarlberg” (1989), als Zellkern des österreichischen Fachhochschulwesens, ein “Vorarlberger Technologie Transfer Zentrum” (1986)178 und eine “Wirtschaftsstandort Vorarlberg GmbH” (1994). Von den Landesanstalten wurde die “Vorarlberger Landes-Feuerversicherungs-Anstalt” (1920) 1959 abgenabelt179, das Landesbildungszentrum Schloß Hofen 1991 als gemeinnützige GmbH ausgegliedert und 1995 die Neuorgansiation der “Vorarlberger Landes- und Hypothekenbank” (1897) nach Aktienrecht in die Wege geleitet180. Zur Verwaltungsvereinfachung wurde bereits 1978 eine Krankenhausbetriebsgesellschaft gegründet. Als Finanzierungs- und Steuerungsinstrument wurden selbständige Fonds und Stiftungen eingerichtet, in die Gemeinden und andere Partner eingebunden sind181. Zahlreich sind 174 Peter Pernthaler/Evelyn Maria Stefani, Der autonome Sektor der Sozialpolitik in Vorarlberg. Modell einer Entwicklung des Sozialstaates auf der Grundlage von Subsidiarität und Solidarität, Wien 1990. Hermann Girardi, Selbstorganisation im sozialen und medizinischen Bereich in Vorarlberg, in: Pernthaler (wie Anm. 162), S. 51-57; Herbert Tschofen, Zum Gesundheitswesen in Vorarlberg, in: Montfort 28 (1976) 4, S. 290-293; Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 424-434; Ernest F. Enzelsberger, Gesundheit, die sich rechnet. Modelle aus Vorarlberg, in: ÖJBfP 1996, S. 269-294. 175 SteSi 17. LT, Beilage 26/1950 S. 379-380, und 8. Sitzung 28.12.1950, S. 174-176. 176 Bachmann (wie Anm. 25), S. 110; Ilg (wie Anm. 13), S. 86; 177 Werner König, Dezentralisation/Selbstorganisation als theoretisches Problem und praktische Erfahrung am Beispiel des Landesfremdenverkehrsverbandes Vorarlberg, in: Pernthaler (wie Anm. 162), S. 161-164. 178 Wurde 1991 von der Wirtschaftskammer in das Wirtschaftsförderungsinstitut übernommen. 179 Rupert Tiefenthaler, Am Anfang war’s das Feuer. Die Vorarlberger Landes-Versicherung und die Geschichte des Feuerversicherungswesens, Bregenz 1995, S. 123. 180 1996 realisiert; LGBl 17/1996. 1997 wurde zur gemeinsamen Verwaltung von Landesmuseum, Kunsthaus und Theater für Vorarlberg eine “Kulturhäuser-BetriebsGmbH” gegründet. 181 Z.B. Wohnbaufonds (1950), Stiftung Suchtkrankenhaus Maria Ebene (1975), Landschaftspflegefonds (1982), Stiftung Kloster Viktorsberg (1984), Rettungsfonds (1991), Spitalsfonds (1997), Sozialfonds (1997). Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 35 / 53 die Beiräte und Kommissionen, die zur Beratung der Landesregierung auf Dauer eingerichtet wurden182. Vom “Twistverbot” zum Internet Noch 1968 ließ sich “Vorarlbergs sparsame und wirtschaftsfreundliche Verwaltung” in einer Festschrift dafür loben, “in der Erledigung gegenwartsbezogen, weltoffen und zweckdienlich zu sein. [...] Fortschrittlich, wo es darum geht, Kraftwerke und Verkehrswege zu bauen, konservativ, wo es gilt, den Familiensinn zu pflegen und angestammte Wertordnungen zu erhalten [...]”. Der versteckte Neid Außenstehender mache “sich Luft in einem schlechten Witz, wenn in Vorarlberg ein Sexfilm verboten wird”183. Zwischen 1962 und 1983 wurden, im Sinne eines “geistigen Umweltschutzes”184, per Verordnung rund 250 Kinofilme verboten, die nach Ansicht der Landesregierung geeignet waren, “das religiöse Empfinden zu verletzen oder eine verrohende oder entsittlichende Wirkung auf die Zuschauer auszuüben”185. 1968 wurden in Lindau 254 jugendfreie Filme geboten, in Bregenz 62186. Die fortschreitende Videotechnik und die Programmvielfalt im Fernsehen machte jede Filmzensur faktisch unwirksam. 1962 brachte der Bregenzer Bezirkshauptmann Vorarlberg in die internationalen Schlagzeilen, indem er die Gemeinden anwies, bei der Bewilligung von Tanzunterhaltungen als Beispiel eines verbotenen Tanzes den ‘Twist’ anzuführen, da dieser geeignet sei Ärgernis zu erregen und das Sittlichkeitsgefühl weiter Kreise der Bevölkerung zu verletzen187. Legendär ist auch die Entscheidung von 1971, das Gebiet um die Neuburg bei Koblach, wie bereits seit längerem dafür vorgesehen, noch rasch unter Naturschutz zu stellen, um eine Wiederholung des Jugendfestivals “Flint” in Woodstock-Manier zu verhindern188. Das Selbst- und Erscheinungsbild der Landesverwaltung sollte sich jedoch ändern. Im neuen “Vorarlberg Bericht” (1972) zeigte die Landesregierung ihre Bemühungen um die “Modernisierung der Verwaltung” und um ein “ein Land mit bürgernaher Verwaltung und Kontrolle” auf189. 1973 wurde im Landhaus eine Beratungs- und Beschwerdestelle eingerichtet, zum “Bürgeranwalt” ausgebaut190 und schließlich ein unabhängiger Landesvolksanwalt (1986) institutiona182 Vgl. LH Purtscher SteSi 25. LT, Beantwortung der Anfrage 910-366 am 9.9.1993 und 7. Sitzung 6.10.1993 S. 581-583. Bachmann (wie Anm. 25), S. 81-82. 184 Keßler (wie Anm. 20), S. 180-181. Ähnlich Ilg (wie Anm. 13), S. 88. Vgl. Winder (wie Anm. 34), S. 33-39. 185 LichtspielG LGBl 28/1928, § 17. Im neuen LichtspielG, LGBl 10/1983, wurde bestimmt, daß Filmverbote künftig im Amtsblatt kundzumachen sind. Eine Auflistung der verbotenen Filme in Kilian Höfle, Index zu den Vorarlberger Landesgesetzen von 1955 bis 1985, Wegweiser durch 30 Jahre Vorarlberger Landesrecht, ²Bregenz 1986, S. 32-40. 186 Bergmeister (wie Anm. 114), S. 62; zur Filmzensur: ebd. S. 32-66; Debatte über das neue LichtspielG SteSi 23. LT, 2. Sitzung 23.2.1983, S. 48-69; Zensur in Vorarlberg, eine Dokumentation der sozialistischen Fraktion des Vorarlberger Landtages, Bregenz 1984. 187 Auf Grundlage des TanzunterhaltungsG LGBl 7/1929, § 5. Vgl. Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 441. 188 LGBl 22/1971; Kultur 5 (1991) 7, S. 4-8. Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 441-446. 189 Vorarlberg Bericht (1974) 8, (1979) 29, (1980) 31, (1984) 42, (1987) 51. 190 Vorarlberg Bericht (1973) 4, (1975) 11, (1979) 28, (1980) 30, (1981) 34. 183 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 36 / 53 lisiert191. Zudem wurde ein Landschaftsschutzanwalt (1982)192 sowie ein Kinder- und Jugendanwalt (1992)193 eingerichtet. Landeshauptmann Purtscher erklärte bei seinem Amtsantritt 1987 “ein Land der besten öffentlichen Dienstleistungen” zum Ziel einer Verwaltungsreform194, wofür auch ein eigenes “Leitbild der Vorarlberger Landesverwaltung” (1989) kreiert wurde. Effizient und schlank sollte die Verwaltung sein. Bereits ab den 1970er Jahren wurden dafür die Fortschritte der elektronischen Datenverarbeitung genützt; von 1987 bis 1995 stieg zum Beispiel die Zahl der Bildschirmarbeitsplätze von 112 auf 1.075195. Laut einer bundesweiten Umfrage attestierten 1994 die Vorarlberger ihrer Landesverwaltung hinsichtlich Behördenservice und Bürgerfreundlichkeit die höchste Zufriedenheit196. Der Hof geht, die Hofräte bleiben Das Berufsbeamtentum war zweifellos ein Faktor, der wesentlich zur Kontinuität der Landespolitik beitrug. Und dies nicht nur in vollziehender, sondern durchaus auch in gestaltender Funktion. Der Bogen spannt sich von der Beratung der Landesregierung, über das Förderungsinstrumentarium bis hin zur Interessenvertretung des Landes in Beiräten von Unternehmen und Vereinigungen. So hat zum Beispiel Arnulf Benzer als langjähriger Leiter der Kulturabteilung die nach 1945 aufblühende Kultur- und Bildungslandschaft maßgeblich mitgeprägt197. Die größten Einflußmöglichkeiten kommen aufgrund seiner Stellung dem Landesamtsdirektor zu. Sehr großen Einfluß wurde vor allem dem langjährigenPräsidialchef (1945-1955) und Landesamtsdirektor (1955-1976) Elmar Grabherr beigemessen, der als “graue Eminenz” des Grauen Hauses (Landesregierungsgebäude) galt. Er kam aus der Verwaltung des Reichsstatthalters und war bereits beim Wiederaufbau der Vorarlberger Landesverwaltung, bei der erneuten Loslösung von Tirol, für die neue Landesregierung “schlechthin unentbehrlich” und galt bald österreichweit als glänzender Verfassungs- und Verwaltungsjurist und leidenschaftlicher Verfechter des Föderalismus, den er weitsichtig “z.B. bei der Wahrnehmung des Naturschutzes (Freihaltung des österreichischen Bodenseeufers) oder im Be- 191 LGBl 29/1985; Vorarlberg Bericht (1986) 47; Keßler (wie Anm. 20), S. 133-137; Winder (wie Anm. 34), S. 147-156. LGBl 38/1981; Vorarlberg Bericht (1982) 37. 193 LGBl 46/1991; Vorarlberg Bericht (1992) 71, S. 11. 194 SteSi 25. LT, Sondersitzung 9.7.1997, S. 360; Vorarlberg Bericht (1994) 78, S. 8-9. 195 SteSi 26. LT, Beilage 1/1996, S. 28; vgl. Vorarlberg Bericht (1974) 8, (1993) 73, S. 20-21, (1996) 86, S. 30-31. Fritz Berger/Werner Gächter/Helmut Köck: EDV in der öffentlichen Verwaltung. Bericht über die Einführung der EDV bei den Bezirkshauptmannschaften Vorarlbergs, Dornbirn 1984, S. 4-18. 196 Der Standard, 11.3.1994, S. 5 (“Vorarlberger schätzen ihre Beamten”); Vorarlberg Bericht (1995) 77, S. 15. 197 Vgl. Dr. Arnulf Benzer, in: Vorarlberger Volkskalender 1981 (1980), S. 186-187; Vorarlberger Nachrichten 21.4.1997, S. D6; Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 455-462. 192 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 37 / 53 reich Raumplanung [betrieb]”198. Auch mit seinem vorarlbergzentrierten Geschichtsbild prägte er mehrere Generationen von Landesbediensteten. Nach seiner Pensionierung griff er als “Ideologe” der “Pro Vorarlberg”-Bewegung im Bündnis mit den “Vorarlberger Nachrichten” von außen noch einmal massiv in die Regierungspolitik ein. Im regionalen und kommunalen Bereich waren über Jahrzehnte die Bezirkshauptmänner machtvolle und durchaus auch politische Mitgestalter; idealtypisch vielleicht Julius Längle in Bludenz (1950-1974)199 oder Anton Allgäuer in Bregenz (1956-1980)200. Den Bregenzer Bezirkshauptmännern kam nicht zuletzt in der internationalen Zusammenarbeit am Bodensee eine bedeutende Rolle zu. Noch vor sich die österreichischen Landeshauptmänner oder die Regierungschefs der Bodenseeanrainerländer in Konferenzen konstituierten, nahmen Beamte die interregionalen Koordinationsaufgaben wahr201. Bezeichnend ist ebenso, daß die Initiative zur Gründung eines “Vorarlberger Gemeindeverbandes” 1948 vom Feldkircher Bezirkshauptmann (1947-1951) und späteren Landesamtsdirektor (1951-1955) Fritz Schneider ausging202. 7. Gemeinden zwischen Kirchtürmen und Landhaus Im Juli 1945 erließ die provisorische Staatsregierung ein “Vorläufiges Gemeindegesetz”, das nach ihrer Anerkennung im November 1945 auch in den westlichen Besatzungszonen in Kraft trat. Für Vorarlberg galt damit im wesentlichen wieder die Gemeindeordnung 1935; soweit sie der Verfassung widersprach, subsidiär die Gemeindeordnung 1904. Zwanzig Jahre lang sollte dieser unbefriedigende Zustand eines “gemischten Gemeinderechts” währen, so lange wie in keinem anderen Bundesland203. Gemeindedemokratie unter Kuratel 198 In seinem Urteil ausgewogen: Arnulf Benzer, Dr. Elmar Grabherr, in: Vorarlberger Volkskalender 1988 (1987), S. 140-141, hier S. 141. Vgl. Ilg (wie Anm. 13), S. 77-78; sehr kritisch zur Karriere und Rolle Grabherrs: Eisterer (wie Anm. 5), S. 221; Nick (wie Anm. 34), S. 175-177; differenzierend: Haffner (wie Anm. 80), S. 36 und 38. 199 Vgl. Dr. Julius Längle, in: Vorarlberger Volkskalender 1981 (1980), S. 184-185; Martin Purtscher, Julius Längle 19081993, in: Vorarlberger Volkskalender 1994 (1993), S. 152-153. 200 Vgl. Nachrufe in Vorarlberger Nachrichten 31.8.1996, S. A5, 2.9.1996, S. A6. 201 Zur Stellung und Bedeutung der Landesamtsdirektoren vgl. Gerhart Wielinger, Verwaltung, in: Handbuch des politischen Systems (wie Anm. 29), S. 765-773, hier S. 772-773. 202 Rupert Tiefenthaler, Vorarlberger Gemeindeverband. 50 Jahre Einsatz für die Interessen der Gemeinden. Dornbirn 1998, S. 14 f. Schneider (1898-1955) war seit 1929 Leiter der Finanzabteilung und als Berater von LH und Verfassungsminister Otto Ender wesentlich an der Ausarbeitung der autoritären “Maiverfassung” 1934 beteiligt; wurde 1943 nach Schleswig-Holstein versetzt. Landesamtsdirektor Dr. Fritz Schneider, in Vorarlberger Volkskalender 1956 (1955), S. 34-35. 203 Zur geschichtlichen Entwicklung und den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Gemeindeorganisation: SteSi 20. LT, Beilage 22/1965, S. 419-423; ergänzt durch Werner Brandtner/Elmar Häusler/Klaus Martin/Ludwig Rhomberg/Kurt Sommer, Das Vorarlberger Gemeindegesetz, Bregenz 1993, S.1-6. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 38 / 53 Im September 1938 hatte der nationalsozialistische Landeshauptmann auf Grundlage der Gemeindeordnung 1935 mehrere Gemeindezusammenlegungen verfügt: Lochau, Eichenberg, Kennelbach und Fluh waren Bregenz eingemeindet und Bolgenach an Hittisau, Reuthe an Bezau und Stallehr an Bludenz angeschlossen worden; Höchst, Gaißau und Fußach waren zur Gemeinde “Rheinau” zusammengeschlossen worden. Im März 1946 beschloß der Landtag, zur Bereinigung Volksabstimmungen in den angeschlossenen Gemeinden durchzuführen204. Nur Fluh und Bregenz bzw. Bolgenach und Hittisau sprachen sich mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit für die Beibehaltung der Vereinigung aus. Die Trennung der übrigen Gemeinden trat mit Ende 1946 in Kraft205. Damit war und blieb Vorarlberg in 96 Gemeinden gegliedert (1918: 103, 1938: 89)206. Die Franzosen hatten bereits im Vormarsch damit begonnen, neue Bürgermeister einzusetzen207. Zum Teil geschah dies auf Vorschlag der Widerstandsbewegung. In anderen Gemeinden wurden die “kommissarischen Bürgermeister” im Einvernehmen mit den Besatzungsbehörden auch von den Bezirkshauptmännern ernannt208. Das Vorläufige Gemeindegesetz ermächtigte die Landesregierungen, “aufgrund von Vorschlägen der drei anerkannten Parteien in den Gemeinden” Gemeindevorstände zu bestellen und auch wieder zu entheben209. Offensichtlich ging der Landesausschuß im Dezember 1945 von baldigen Gemeindewahlen aus. Er beschloß, die Gemeindeorgane bis dahin “nur in besonders krassen Fällen” aufgrund der Ergebnisse der Landtags- und Nationalratswahlen umzubilden210. Auf dieser Basis konstituierten sich in der Folge “provisorische Gemeindevertretungen”. Doch erst 1950 wurde in den Vorarlberger Gemeinden erstmals seit 1929 wieder demokratisch gewählt211. Landeshauptmann Ilg begründete dies damit, daß man eine “gewisse Einheitlichkeit” an den Tag legen und zuwarten wollte, bis auch die Gemeinden in der sowjetischen Besatzungszone mittun könnten212. Wahlrechtszwänge 204 G vom 21.3.1946 über die Bereinigung von während der deutschen Besetzung Österreichs getroffenen Verfügungen auf dem Gebiete des Gemeindewesens, LGBl 4/1946, und Durchführungsverordnungen LGBl 11/1946, 12/1946, 13/1946. 205 LGBl 13/1946, LGBl 4/1947. 206 Einen guten Überblick zur geschichtlichen und wirtschaftlichen Entwicklung bot zuletzt Helmut Tiefenthaler, Vorarlbergs Gemeinden von A bis Z, in: Vorarlberg - unser Land 1992 (wie Anm. 134), S. 227-312. 207 Ein Verzeichnis aller Vorarlberger Bürgermeister seit 1945 bietet die Vorarlberg Chronik (wie Anm. 32), S. 292-302. 208 Exemplarisch für die “Periode des gemischten Gemeinderechts” Bezirkshauptmann Josef Graber, Rankweils Gemeindeorgane und ihre Bestellung im Wandel der Gemeindeverfassungen von 1850-1950, in: Josef Bösch (Hg.), Heimat Rankweil, Rankweil 1967, S. 288-307, hier S. 304-307, und Josef Graber, Die politische Geschichte, in: Marktgemeinde Hohenems (Hg.), Hohenems. Kultur, Hohenems 1978 (= Bd. 2 der Gesamtdarstellung), S.113-158, hier S. 149-151. 209 StGBl 66/1945, Art. 7, Abs. 3. Anerkannt waren ÖVP, SPÖ und Kommunisten (KPÖ). 210 NS Interne Sitzung LA 5.12.1945 (wie Anm. 8). 211 1936 wurden zwar österreichweit die einzigen “Gemeindetagswahlen” durchgeführt. Wahlberechtigt waren jedoch nur Mitglieder der “Vaterländischen Front”, gewählt wurde nur in 86 “sicheren” von 98 Gemeinden. Gerhard Wanner, Vorarlberger Zeitgeschichte, Quellen-Darstellung-Bilder, Erste Republik 1918-1938, Feldkirch 1984, S. 47. 212 SteSi 17. LT, 1. Sitzung 26.1.1950, S. 4. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 39 / 53 In der neuen Gemeindewahlordnung 1950 wurde für den Fall, daß keine Wahlvorschläge eingereicht werden (Verhältniswahl), auch die Möglichkeit eines listenfreien Wahlverfahrens beibehalten, bei dem jeder Wähler seine Stimme beliebig für jeden in der Gemeinde Wahlberechtigten abgeben konnte. Diese in Österreich einzigartige Möglichkeit des Mehrheitswahlrechts wurde letztmals 1980 in 34 Gemeinden praktiziert, 1984 aber vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben213. 1991 brachte die ÖVP im Landtag einen Antrag auf Wiedereinführung der Möglichkeit einer Mehrheitswahl ein, die vor allem von Bregenzerwälder Gemeinden gefordert wurde214. Den Gemeindevorstand bestellte die Gemeindevertretung über Jahrzehnte nach dem Mehrheitswahlrecht aus seiner Mitte, bis die grundlegende Bundesverfassungsnovelle 1962 zu einer Bestellung nach dem Verhältniswahlrecht (Proporz) verpflichtete. Dem wurde im neuen Gemeindegesetz 1965 Rechnung getragen215. Gleichzeitig wurde wegen “verfassungsrechtlichen Bedenken” die sogenannte “Bürgermeister-Volkswahl” abgeschafft216, von der allerdings nur einmal Gebrauch gemacht worden war (1958 in Wolfurt)217. Sie hatte darin bestanden, daß die Wahl eines Bürgermeister, der nicht der Gemeindevertretung angehörte, durch eine Volksabstimmung bestätigt werden mußte; nun konnte die Gemeindevertretung jeden wahlberechtigten Gemeindebürger zum Bürgermeister wählen218. 1991 brachte die SPÖ mit medialer Unterstützung einen Landtagsantrag ein, der auf eine Direktwahl der Bürgermeister nach dem Beispiel anderer Bundesländer abzielte219. Die Kehrseite dieser Personalisierung des Wahlrechts ist eine Schwächung der parlamentarischen Gemeindedemokratie. Für Oppositionsparteien überwiegt vermutlich die Chance, den “Bürgermeisterbonus” der Regierungsparteien zu minimieren, die Gefahr, dadurch auch das “Dorfkaisertum” zu fördern. Wahlstrategische Überlegungen sind jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. “Binnenföderalismus”: Landespolitik via Gemeindestube Auch der von der SPÖ propagierte “Binnenföderalismus” ist im Zusammenhang mit ihrer Oppositionsrolle im Landtag seit 1974 zu sehen, zumal sie in den Städten Bregenz (1975-1990) und Bludenz (1970-1995) absolute Mehrheiten erobert hatte. Seit 1969 sah die Landesverfas213 LGBl 12/1984. Selbständiger Antrag ÖVP SteSi 25. LT, Beilage 62/1991. 215 Nach Grabherr (wie Anm. 1), S. 298, “durch den Bundeszentralismus erzwungen”. SteSi 20. LT, Beilage 22/1965, S. 435436. Bis zu Erlassung des GemeindeG 1965 war die Wahl des Gemeindevorstandes und des Bürgermeisters in der Gemeindewahlordnung geregelt. 216 Da 1962 in der Bundesverfassung statuiert worden war, daß Bürgermeister und Gemeindevorstand der Gemeindevertretung unmittelbar verantwortlich sind, müsse der Bürgermeister auch ausschließlich von dieser gewählt werden. SteSi 20. LT, Beilage 22/1965, S. 446. 217 ABlV 13 (1958) 27. Das Wahlverfahren mußte eigens mit einem Bürgermeister-VolkswahlG (LGBl 11/1958) geregelt werden. Diese Möglichkeit hatte seit 1919 bestanden. 218 Sofern er nicht Gemeindevertreter ist, sitzt er der Gemeindevertretung und dem Gemeindevorstand zwar vor, gehört ihr aber nicht an. Davon wurde z.B. 1997 in Hohenems Gebrauch gemacht. Vorarlberger Nachrichten 11.7.1997, S. A5. 219 Selbständiger Antrag SPÖ SteSi 25. LT, Beilage 66/1991. Vgl. Tiefenthaler (wie Anm. 201), S. 78 f. 214 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 40 / 53 sung vor, daß eine Gesetzesbeschluß des Landtages einer Volksabstimmung zu unterwerfen ist, wenn 15 Gemeindevertretungen dies mit Beschluß verlangen (Gesetzesreferendum). Im Zusammenhang mit der “Föderalismusabstimmung” 1980 forderte die SPÖ dieses Recht für “eine Mehrzahl von Gemeinden, wenn sie zusammen mindestens zehn Prozent der Landesbevölkerung repräsentieren”220. Der Einspruch aller 46 Gemeinden mit weniger als 1.300 Einwohnern zusammen hätte demnach für ein Gesetzesreferendum nicht mehr genügt, wohl aber ein Votum der beiden “roten Städte” Bregenz und Bludenz221 - allerdings nur, sofern der Landtag einen Gesetzesbeschluß nicht mit Zweidrittelmehrheit “als dringlich erklärt”, wozu die Regierungsfraktionen, ausgenommen 1984 bis 1989, immer in der Lage gewesen wären222. 1984 wurde das Quorum schließlich auf zehn gesenkt, wodurch die zehn kleinsten Gemeinden mit zusammen nicht einmal einem Prozent der Landesbevölkerung eine Volksabstimmung über Gesetzesbeschlüsse oder Verwaltungsfragen (Volksbefragung) auf Landesebene erzwingen könnten223. Damit verfügen die Vorarlberger Gemeinden im Ländervergleich über relativ weitgehende Mitwirkungsrechte224. Versuche der Landtagsopposition, via Gemeindestuben die Parlamentsmehrheit “plebiszitär auszuschalten”, blieben zwar erfolglos225. Durch die Verfassungsreform 1984 dürfte aber die Verhandlungsposition der Gemeinden und des ÖVPdominierten Vorarlberger Gemeindeverbandes gegenüber dem Land spürbar gestärkt worden sein. Zudem ist zu beachten, daß dem Landtag traditionell viele aktive Gemeindevertreter angehören. 1974 wurden allein acht Bürgermeister in den Landtag gewählt226. “Vorarlberger Gemeindeverband” - Ansprechpartner und Interessenvertretung Der Landesverwaltung war an einem kompetenten Ansprechpartner gelegen, der die Gemeindeangelegenheiten koordiniert. Auf Anregung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz hatte der Landesausschuß bereits im Oktober 1945 erste Bürgermeisterbesprechungen abgehalten227. 1948 erfolgte auf Anregung des Feldkircher Bezirkhauptmanns die Gründung eines “Vorarl- 220 Minderheitsbericht der SPÖ zur Vorlage des Rechtsausschusses betr. die Föderalismus-Abstimmung, SteSi 23. LT, Beilage 9/1980, S. 2. 221 Berechnet nach der Wohnbevölkerung gemäß Volkszählung 1981. Strukturdaten Vorarlberg. Hg. vom Amt der Vorarlberger Landesregierung, Bregenz 1996, S.18-19. Das “schwarze” Dornbirn repräsentierte zwar über 11 Prozent der Landesbevölkerung, hätte nach dem SPÖ-Vorschlag allein kein Gesetzesreferendum bewirken können. 222 Nur Verfassungsgesetze dürfen nicht als dringlich erklärt werden; Landesverfassung Art. 23 Abs. 3. 223 Die zehn kleinsten Gemeinden unter 400 Einwohnern kamen bei der Volkszählung zusammen gerade auf 2.761 Einwohner oder 0,8 Prozent der Landesbevölkerung. 224 Hans Neuhofer, Landesgesetzgebung und Gemeinden, in: Schambeck (wie Anm. 4), S. 125-136; Morscher, Landesgesetzgebung und direkte Demokratie, S. 155-160. 225 Nur knapp gescheitert ist 1990 eine Initiative gegen das neue RettungsG. 226 Bürgermeister wurden in den LT gewählt: 1945 1 (ÖVP), 1949 0, 1954 2 (ÖVP), 1959 5 (ÖVP), 1964 6 (4 ÖVP, 1 SPÖ, 1 FPÖ), 1969 6 (4 ÖVP, 1 SPÖ, 1 FPÖ), 1974 8 (5 ÖVP, 2 SPÖ, 1 FPÖ), 1979 4 (3 ÖVP, 1 SPÖ), 1984 3 (2 ÖVP, 1 SPÖ), 1989 2 (ÖVP), 1994 5 (4 ÖVP, 1 SPÖ). 227 NS Interne Sitzung LA 5.9.1945 (wie Anm. 8). Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 41 / 53 berger Gemeindeverbandes”228. Im Unterschied zu anderen Bundesländern ist der “Vorarlberger Gemeindeverband” eine freiwillige, überparteiliche Interessenvertretung, der sämtliche Gemeinden angehören. Der ÖVP-dominierte Gemeindeverband vertrat die Gemeindeinteressen gegenüber der Landesregierung ebenso selbstbewußt wie gegenüber der Bundesregierung. Dabei werden auch ÖVP-interne Konfliktlinien, etwa zwischen dem jungen Bregenzer Bürgermeister Karl Tizian und Landeshauptmann Ilg, sichtbar. 1980 wurde am Vereinssitz in Dornbirn ein eigenes Gemeinderechenzentrum eingerichtet. 1984 wurde dem Verband per Landesverfassung ein Anhörungsrecht beim Erlaß von Gesetzen und Verordnungen garantiert. Die Gemeinden sind, wie Bund und Länder, Gebietskörperschaften mit dem Recht auf Selbstverwaltung in einem eigenen, weisungsfreien Wirkungsbereich229. Gleichzeitig sind die Gemeinden in einem übertragenen, weisungsgebundenen Wirkungskreis auch Verwaltungssprengel des Bundes und des Landes; für die Besorgung dieser staatlichen Aufgaben ist nur der Bürgermeister zuständig, der den staatlichen Behörden gegenüber weisungsgebunden und verantwortlich ist. Mit dem Vorarlberger Gemeindegesetz 1965 wurde unter anderem die Gemeindeautonomie sachlich erweitert, die Gemeinde gegenüber der staatlichen Aufsichtspflicht freier gestellt und die Bildung von Gemeindeverbänden erleichtert. 1969 wurden die tragenden Grundsätze der Gemeindeautonomie und -organisation in der Landesverfassung verankert und 1984 ergänzt. Höchster Anteil an Kleinstgemeinden In der österreichischen Gemeindeorganisation gilt der Grundsatz der Einheitsgemeinde: jede Gemeinde hat dieselben Rechte und Pflichten. Ein Interessenausgleich war aufgrund der unterschiedlichen Größe, Lage, Wirtschaftsstruktur und Finanzstruktur nicht immer einfach230. Während sich österreichweit die Zahl der Gemeinden seit 1945 beinahe halbiert hat, war in Vorarlberg eine Kommunalstrukturreform kein ernsthaftes Thema. Das hatte zur Folge, daß Vorarlberg 1987 mit 18,8 Prozent den höchsten Anteil an Kleinstgemeinden bis 500 Einwoh228 Gründungsmitglieder waren 60 Gemeinden. Präsidenten waren die Bürgermeister Günther Anton Moosbrugger (Dornbirn) 1948-1952, 1956-1960, 1964-1966, Josef Bösch (Lustenau) 1952-1956, Hanni Amann (Hohenems) 1960-1964, Gallus Schmid (Götzis) 1966-1969, Karl Bohle (Dornbirn) 1969-1974, 1978-1983, Hubert Waibel (Wolfurt) 1974-1978, 1983-1985, Gerhard Köhlmeier (Hard) 1985-1995, Wilfried Berchtold (Feldkirch) seit 1995. Tiefenthaler (wie Anm. 201); Kurt Sommer, Der Vorarlberger Gemeindeverband, in: Österreichischer Gemeindebund (Hg.), 40 Jahre Österreichischer Gemeindebund 1947-1987, Wien 1987, S. 93-96; (Otmar Müller:) Vorarlberger Gemeindeverband, in: Österreichischer Gemeindebund (Hg.), Chronik eines Erfolges. 50 Jahre Österreichischer Gemeindebund 1947-1997, Wien 1997, S. 244-252; Vorarlberg Bericht (1975) 10. 229 Vgl. Neuhofer, Gemeinden, in: Handbuch des politischen Systems (wie Anm. 29), S. 774-784, hier S. 777-783. Zur Vorarlberger Gemeindeorganisation: Keßler, Jungbürger, S. 12-49; Ender (wie Anm. 134), S. 72-104; Müller (wie Anm. 21), S. 5065; Bußjäger, Ordnung (wie Anm. 134), S. 45-48. 230 Vgl. Strukturdaten (wie Anm. 220). Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 42 / 53 ner aufwies (österreichweit 7,6 Prozent). Gleichzeitig wies Vorarlberg mit 7,3 Prozent den höchsten Anteil an Gemeinden zwischen 10.000 und 20.000 Einwohnern auf (österreichweit 2,5 Prozent)231. Diesem Bild entspricht die Verteilung der Landesbevölkerung. Vorarlberg hat keine dominierende Landeshauptstadt, weist aber eine massive Bevölkerungskonzentration in den 38 Talgemeinden des Rheintals und Walgaus auf, wo auf zehn Prozent der Landesfläche seit den 1970er Jahren 80 Prozent der Bevölkerung leben (1991: 80, 1971: 79, 1951: 74, 1890: 67 Prozent). Konstant lebten in den zehn größten Gemeinden rund 54 Prozent der Landesbevölkerung (1890: 46 Prozent). Dornbirn zählte 1951 als größte Gemeinde 22.500 Einwohner, 1991 40.700; Dünserberg als kleinste Gemeinde 1951 109, 1991 171 Einwohner232. Das Raumplanungsgesetz 1973 stellte die Gemeinden mit der generellen Verpflichtung, Flächenwidmungspläne zu erlassen, vor große Herausforderungen. Den ersten Flächenwidmungsplan hatte 1964 Rankweil beschlossen233; Bebauungspläne gab es zum Teil bereits aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg (z.B. Hohenems 1911). Ab 1990 förderte das Land verstärkt die Planung der Gemeindeentwicklung234. Schloß Hofen eröffnete ein Bildungsprogramm für Landes- und Gemeindeentwicklung. Kooperation über Kirchtürme hinweg Die gesellschaftlichen Veränderungen, die sich meist zuerst auf Gemeindeebene bemerkbar machen, haben den Aufgabenkreis der Gemeinden enorm erweitert. Im Unterschied zu den anderen Bundesländern gibt es in Vorarlberg keine “Stadt mit eigenem Statut”, die selbst die Aufgaben einer Bezirksverwaltungsbehörde wahrnimmt235. Zunehmend an Bedeutung gewann dagegen die gemeinsame Bewältigung von Aufgaben. Die Kooperationsformen sind sehr unterschiedlich. Im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung steht die Rechtsform frei; sie reichen in der Praxis von formlosen Arbeitsgemeinschaften, über Vereine und Genossenschaften bis zu handelsrechtlichen Gesellschaften. So beteiligten sich 1948 zum Beispiel elf Gemeinden gemeinsam 231 Vgl. Neuhofer (wie Anm. 228), S. 776-777. Zur Bevölkerungsentwicklung: Strukturdaten (wie Anm. 220), S. 15-28. 233 Der damalige Bürgermeister Herbert Keßler, (wie Anm. 20), S. 256-263, und Herbert Keßler, Der Rankweiler Flächenwidmungsplan, in: Heimat Rankweil (wie Anm. 207), S. 442-451. Ebenso exemplarisch: Otto Amann, Der Flächenwidmungsplan als Wegweiser in die Zukunft, in: Marktgemeinde Hohenems (Hg.), Hohenems. Natur und Wirtschaft, Hohenems 1983 (= Bd. 3 der Gesamtdarstellung), S. 343-349.1973 lagen erst für fünf Gemeinden rechtskräftige Flächenwidmungspläne vor. Reith (wie Anm. 96), S. 188; Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 397-399. 234 Vorarlberg Bericht (1992) 71, S. 18-19. 235 Vgl. Pelinka (wie Anm. 50), S. 38-39. 232 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 43 / 53 mit dem Land an der Gründung der VOGEWOSI236. Ab 1970 schlossen sich Gemeinden nach dem Vorbild der “Regio Bregenzerwald” zu Regionalplanungsgemeinschaften zusammen237. Musikschulen werden gemeinsam auf Vereinsbasis betrieben und die gemeinsamen Interessen über den Verein “Vorarlberger Musikschulwerk” (1989) wahrgenommen238. Ebenso sind regionale Tourismusverbände als Vereine organisiert, oder auch der “Vorarlberger Gemeindeverband” 239 selbst. Die verfassungsrechtlich vorgesehene Form der interkommunalen Zusammenarbeit für die Selbstverwaltung wie den übertragenen Wirkungsbereich sind öffentlich-rechtliche Gemeindeverbände240. Ab den 1960er Jahren bildeten sich regionale Wasserverbände zur Abwasserbeseitigung, Trinkwasserversorgung usw. (Bundes-Wasserrechtsgesetz 1959)241. Eine Novelle des Schulerhaltungsgesetzes 1976 regelte die Bildung von Schulverbänden242. Als Gemeindeverband ist auch der Bürgermeisterpensionsfonds organisiert243. Weitere Gemeindeverbände wurden nach dem Gemeindegesetz für verschiedenste Zwecke gebildet (Standesamts- und Staatsbürgerschaftsverbände, Krankenhäuser, Gewerbepark, Gemeindeblatt; bis 1970 Bezirksfürsorgeverbände)244. 1992 konstituierte sich ein “Gemeindeverband für Abfallwirtschaft und Umweltschutz”, dem alle Gemeinden angehören. 1993 wurden je ein Gemeindeverband für “Personennahverkehr Oberes Rheintal” bzw. “Unteres Rheintal” gegründet245. Andere Aufgaben werden über landesgesetzliche Fonds gemeinsam bestritten (zB Wohnbaufonds 1950, Rettungsfonds 1991)246. Das Gemeindegesetz sieht zudem die Möglichkeiten von Verwaltungsgemeinschaften ohne Rechtspersönlichkeit vor247. Ausdruck einer verstärkten interregionalen Zusammenarbeit von Kommunen war 1985 die Gründung einer “Rheintalischen Grenzgemeinschaft”248. Mit dem EU-Beitritt 1995 wurden Pläne für eine Euregio “Allgäu-Außerfern-Kleinwalsertal/Bregenzerwald” aktuell und 1997 reali236 14 Gemeinden schlossen sich später noch an. Längle, Wohnungsnot, S. 107. Wolf Jürgen Reith/Anton Sutterlüty, Selbstorganisation als praktische Erfahrung der Regionalplanungsgemeinschaft Bregenzerwald, in: Pernthaler (wie Anm. 162), S. 58-73; Gottfried Feurstein, An der Wiege der Regionalpolitik, in: Gedenkschrift Reith, S. 107-112. 1975 bestanden die Regionalplanungsgemeinschaften Bregenzerwald, Großes Walsertal, Walgau und Klostertal. Vorarlberg Bericht (1973) 3, (1975) 10. 238 Vorarlberg Bericht (1980) 30; Vorarlberger Musikschulwerk (Hg.), Vorarlberger Musikschulwerk, Bregenz 1989, S. 2-4; Tiefenthaler (wie Anm. 201), S. 90-92. 239 Einen Antrag der FPÖ, den Vorarlberger Gemeindeverband in eine Körperschaft öffentlichen Rechts umzuwandeln, wies der Verein 1992 zurück und wurde daher vom Landtag mehrheitlich abgelehnt. Selbständiger Antrag FPÖ, SteSi 21. LT, Beilage 13/1992, und 6. Sitzung 10.6.1992, S. 340-355. 240 Vgl. Brandtner u.a. (wie Anm. 202), S. 174-180; Neuhofer (wie Anm. 228), S. 783. 241 Vorarlberg Bericht (1973) 3, (1974) 7. 242 1995 bestanden neun Verbände. Landesrechtssammlung (wie Anm. 106) (Stand 1.1.1997), Untergruppe 3002. 243 Vgl. Tiefenthaler (wie Anm. 201), S. 76-78. 244 Vgl. Landesrechtssammlung (wie Anm. 106) (Stand 1.1.997), Hauptgruppe 05, S. 4. 245 Vgl. Tiefenthaler (wie Anm. 201), S. 97-104. 246 Vgl. Anm. 180 und Tiefenthaler (wie Anm. 201), S. 92-94. 247 Vgl. Brandtner u.a. (wie Anm. 202), S. 180-181; Beispiele: Landesrechtssammlung (wie Anm. 106) (Stand 1.1.997), Hauptgruppe 05, S. 3. 248 Grabherr (wie Anm. 1), S. 309. Vorarlberger Nachrichten 23.11.1995, S. A6. 237 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 44 / 53 siert249. Die Gemeinde Mittelberg (Kleinwalsertal) war bereits seit 1891 in Zollunion mit Deutschland und eng mit dem benachbarten Allgäu verflochten250. Hauptorte und Hauptstädte In den 1980er Jahren begann ein nachbarschaftlicher Wettstreit um kommunale Ehrentitel. Zu den “Marktgemeinden” (Hohenems, Götzis, Lustenau, Hard, Rankweil, Schruns) war bereits 1962 Bezau hinzugekommen; nun wurde diese Bezeichnung Wolfurt (1982) und Lauterach (1985) sowie Nenzing (1993) und Frastanz (1993) verliehen. Neben den mittelalterlichen Städten Feldkirch, Bregenz und Bludenz sowie Dornbirn (1901) darf seit 1983 auch Hohenems die Bezeichnung “Stadt” führen251. Für den in Feldkirch konstituierten Landesausschuß war im Mai 1945 klar, daß als künftiger Sitz der zentralen Besatzungsbehörde und damit der Landesregierung “wohl nur die alte Landeshauptstadt Bregenz in Frage [komme]”252. Ende Juni schlug das “Gouvernement Militaire” in Bregenz seine Zelte auf, und verlegte auch den Landesausschuß dorthin253. Feldkirch bildete jedoch weiterhin traditionsgemäß ein zweites öffentliches Dienstleistungszentrum. Der traditionelle Dualismus zwischen Bregenz und Feldkirch als ein “bestimmendes Element der Landespolitik”254 entwickelte sich nach 1945 zu einem Trialismus: Denn vor allem die neue Messestadt Dornbirn gewann als bevölkerungsgeographischer Schwerpunkt und wirtschaftlicher Mittelpunkt erheblich an Bedeutung, aber auch mit neuen zentralen Einrichtungen. So ist für Vorarlberg charakteristisch, daß Landesgericht (1849), Finanzlandesdirektion (1935), Diözese (1820/1968), Landesklinikum (1972), Wirtschaftskammer (1850) und Arbeiterkammer (1921) nicht in der Landeshauptstadt, sondern in Feldkirch ihren Sitz haben, und der Österreichische Rundfunk (1954/1967) in Dornbirn255. 249 SteSi 26. LT, 5. Sitzung 7.6.1995, S. 28; Vorarlberger Nachrichten 13.11.1995, S. A6. Als Vorstufe dazu wurde im März 1997 eine “Regio Kleinwalsertal-Vorderwald” gegründet. Im April 1997 erfolgte die Gründung einer “Euregio AllgäuAußerfern-Kleinwalsertal/Bregenzerwald”. Da ihr 66 Gemeinden an (darunter Mittelberg, Hittisau, Riefensberg, Sulzberg, Sibratsgfäll) angehören, nennt sie sich auch “66.Euregio” Vorarlberger Nachrichten Heimat Bregenz 6.3.1997, S. 2, 2.5.1997, S. 3; NEUE 29.4.1997, S. 9; Enzelsberger (wie Anm. 41), S. 483. 250 Müller (wie Anm. 98), S. 55-67; Gedenkschrift zum Jubiläum 100 Jahre Zollanschlußvertrag, hg. von der Gemeinde Mittelberg, Mittelberg 1991, S. 6-61; Vorarlberg Bericht (1991) 68, S. 18-19. 251 Vgl. Brandtner u.a. (wie Anm. 202), S. 8 und 24; Landesrechtssammlung (wie Anm. 106) (Stand 1.1.997), Hauptgruppe 05, S. 3. 252 NS 2. Sitzung LA 28.5.1945 (wie Anm. 8). 253 VLABl 4/1945; NS Sitzung LA 21.6.1945 (wie Anm. 8). 254 Karl Heinz Burmeister, Bregenz und Feldkirch im Wettstreit um die Landeshauptstadt, in: Die Hauptstadtfrage in der Geschichte der österreichischen Bundesländer, Enns 1991 (= Mitteilungen des Museumsvereins Lauracium-Enns NF (1991) 29, S. 70-80, hier S. 80. 255 Armin Paul, Bregenz - Stadt an der Grenze. Beiträge zur Stadtgeographie der Landeshauptstadt Vorarlbergs, Bregenz 1987, S. 21-22 und 163-169; Strukturdaten (wie Anm. 220), S. 86-89. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 45 / 53 Mehr oder weniger in Funktion blieben in Vorarlberg die 1870 eingerichteten Gemeindevermittlungsämter, die in bestimmten Besitz- und Ehrenstreitgkeiten außergerichtlich schlichten sollen256. 8. Vorarlberger Besonderheiten der unmittelbaren Bundesverwaltung “Wir mußten zunächst über Auftrag der Militärregierung die ganze Verwaltung übernehmen. Alles immer unter ihrer Aufsicht. Und dazu gehörten auch die Bundesbetriebe: Post, Eisenbahn, Vermessungsämter usw.” erinnerte sich der langjährige Finanzreferent Adolf Vögel257. Wiederaufbau der Bundesverwaltung durch den Landesausschuß Der Landesausschuß unternahm 1945 alles, um auch die früheren Bundesbehörden möglichst rasch wieder funktionstüchtig zu machen und die Rechtsprechung in Gang zu bringen. Die meisten Behördenleiter wurden des Dienstes enthoben und häufig durch Führungskräfte aus der Zeit vor dem Anschluß ersetzt258. Mit Genehmigung der Militärregierung bestellte der Landesausschuß noch im Mai und Juni einen Landesgendarmeriekommandanten, eine Leitung für das Arbeitsamt und das Gewerbeaufsichtsamt, für die Landeskrankenkasse und die Wildbachverbauung Bludenz. Der Landesausschuß führte die Sozialversicherung, die Kriegbeschädigtenfürsorge und die vom NS-Regime verstaatlichte Lehrerbildungsanstalt in Feldkirch weiter259. Der wiedererrichteten Bundesbahndirektion Innsbruck wurde im Juli mitgeteilt, bis zur Errichtung einer zentralen Eisenbahnverwaltung werde der Landesausschuß auf den Eisenbahnbetrieb selbst über die Eisenbahnbetriebsleitung Feldkirch Einfluß zu nehmen260. Schon nach wenigen Monaten hatte Vorarlberg einen “nahezu friedensmäßigen” Verkehr261. Bis Oktober wurde schrittweise der Postverkehr auf ganz Österreich ausgedehnt. 1946 hob die Militärregierung die Inlandszensur auf, 1947 die Auslandszensur; 1951 kehrte das Kleinwalsertal auch “postalisch” zu Österreich zurück (mit deutschen neben österreichischen Postleitzahlen)262. 256 Peter G. Mayr, Die Weiterentwicklung der Vorarlberger Gemeindevermittlungsämter bis zur Gegenwart, in: Montfort 44 (1992) 4, S. 329-348. 257 Ende und Anfang (wie Anm. 5), S. 44. 258 Z.B. NS 2. Sitzung LA 28.5.1945, NS 3. Sitzung LA 4.6.1945 (wie Anm. 8); Mario Laich, Zwei Jahrhunderte Justiz in Tirol und Vorarlberg, Innsbruck-Wien-Bozen 1990, S. 246. 259 Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S. 565. NS Interne Sitzung LA 16.8.1945 (wie Anm. 8). 260 NS Interne Sitzung LA 13.7.1945 (wie Anm. 8). 261 Sinz (wie Anm. 139), S. 341-342. Vgl. Lothar Beer, Die Geschichte der Bahnen in Vorarlberg, Bd. II, Hard 1995, S. 32. 262 Helmut Seebald, Die Postverhältnisse in Vorarlberg vom Ende des Dritten Reiches bis zum Staatsvertrag 1955, in: Rheticus 18 (1996) 2, S. 191-201; 100 Jahre Handelskammer (wie Anm. 10), S. 349-351. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 46 / 53 Tabelle 3: Behörden und Dienststellen der unmittelbaren Bundesverwaltung für Vorarlberg 1995 Bundesministerium BM für Arbeit und Soziales BM für Finanzen BM für Inneres Landesweite Zuständigkeit Arbeitsmarktservice Vorarlberg Arbeitsinspektorat für den 15. Aufsichtsbezirk, Bregenz Bundessozialamt Vorarlberg, Bregenz Einigungsamt für Vorarlberg, Feldkirch Finanzlandesdirektion für Vorarlberg, Feldkirch Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg, Bregenz Landesgendarmeriekommando für Vorarlberg, Bregenz (keine Behörde) BM für Justiz BM für Landesverteidigung BM für Land- und Forstwirtschaft BM für öffentliche Wirtschaft und Verkehr BM für wirtschaftliche Angelegenheiten BM für Unterricht und kulturelle Angelegenheiten Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck Staatsanwaltschaft Feldkirch Militärkommando Vorarlberg, Bregenz Forsttechnischer Dienst der Wildbach- und Lawinenverbauung, Sektion Vorarlberg, Bregenz Bundesbahndirektion Innsbruck Post- und Telegraphendirektion für Tirol und Vorarlberg, Innsbruck Fernmeldebauamt Feldkirch Bundesgebäudeverwaltung II Innsbruck Berghauptmannschaft Innsbruck Vermessungsinspektor für Tirol und Vorarlberg Inspektor des II. Eichaufsichtsbezirkes in Linz Landesschulrat für Vorarlberg, Bregenz Regionale Zuständigkeit Regionale Geschäftsstellen Bludenz, Bregenz, Dornbirn und Feldkirch Finanzämter Bregenz und Feldkirch 30 Zollämter und Zweigstellen Bezirkshauptmannschaften Bludenz, Bregenz, Dornbirn und Feldkirch (Landesbehörden) Bezirksgendarmeriekommandos Bludenz, Bregenz, Dornbirn und Feldkirch (keine Behörden) Gebietsbauleitungen Bregenz und Bludenz 111 Post- und Telegraphenämter und Poststellen, 3 Postautostellen Vermessungsämter Bludenz, Bregenz und Feldkirch Stammeichamt Bregenz, Nebeneichamt Dornbirn Bezirksschulräte Bludenz, Bregenz, Dornbirn und Feldkirch Landeskonservatorat für Vorarlberg, Bregenz Quelle: Österreichischer Amtskalender 1995/96. Finanziert wurde der Betrieb von Bahn, Post, Gendarmerie, Landesinvalidenamt, Landesarbeitsamt usw. zunächst via Landesausschuß. Im September 1945 errichtete er die (1935 erstmals errichtete) Finanzlandesdirektion für Vorarlberg in Feldkirch wieder263. Das ist auch insofern bemerkenswert, als im Behörden-Überleitungsgesetz, das die provisorische Staatsregierung wenige Wochen zuvor erlassen hatte, eine gemeinsame Finanzlandesdirektion für Salzburg, Tirol und Vorarlberg vorgesehen war264. Sofern das Gesetz dem Landesausschuß überhaupt bekannt war265, für bindend wäre es noch nicht erachtet worden. Auf jeden Fall 263 NS Interne Sitzung LA 5.9.1945, NS Sitzung LA 11.9.1945 (wie Anm. 8); Löffler-Bolka (wie Anm. 5); Arthur Hager, Aus dem Finanz- und Zollwesen seit dem Jahre 1808, in: Jahrbuch des Vorarlberger Landesmusuemsvereins 1980/81 (1982), S. 91138, hier S. 120-137. 264 § 28, StGBl 94/1945. 265 Vgl. Grabherr (wie Anm. 1), S. 280. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 47 / 53 wurden Fakten geschaffen, denen im Dezember mit einer Gesetzesänderung Rechnung getragen wurde266. Es wurden zwei getrennte Rechnungen für die Landes- und die unmittelbare Bundesverwaltung geführt. Die Finanzämter Feldkirch und Bregenz führten die Steuereinnahmen an das Amt der Landesregierung ab, woraus die Landesregierung auch den Betrieb von Eisenbahn, Post, Gerichtsverwaltung, Gendarmerie, Landesinvalidenamt, Landesarbeitsamt usw. finanzierte. 1946 wurde mit dem Bund abgerechnet267. Mit dem Behörden-Überleitungsgesetz wurde im wesentlichen die Behördenorganisation von 1938 wiederhergestellt268. Es bestimmte auch, daß die Aufgaben, die von den Reichsstatthaltern auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheitspolizei geführt wurden, auf Sicherheitsdirektionen übergehen sollen269. Mit dem vollen Wiederinkraftreten der Bundesverfassung im Dezember 1945 wurde jedoch eine dauerhafte Einrichtung von Sicherheitsdirektionen als unmittelbare Bundesbehörden verfassungswidrig270. Um diese Zentralisierung abzusichern, erhob der Bund diese Gesetzesbestimmung 1946 in Verfassungsrang. Widerwillig trat die Landesregierung die Agenden an die am 1. Juli 1946 errichtete Sicherheitsdirektion für Vorarlberg ab271. Das Land hielt aber die Forderung nach einer Rückübertragung der Sicherheitspolizei in die Länderkompetenz oder zumindest mittelbare Bundesverwaltung aufrecht; schon um die Durchsetzung der Landesrechtsordnung durch die Bundesgendarmerie gewährleisten zu können, nachdem die Länder keine eigenen Wachkörper aufstellen dürfen. Versuche, wenigstens Restkompetenzen legistisch zu nutzen (Sicherheitsgesetz 1975), wurden vom Verfassungsgerichtshof vereitelt272. Bis 1964 verfügte die Landesregierung noch über eine “Kriminalstelle” in Feldkirch, die zunächst vor allem der Kontrolle des internationalen Bahnverkehrs diente273. Das Landesgendarmeriekommando ist keine eigenständige Behörde, sondern, je nach Aufgabengebiet, der Sicherheitsdirektion, dem Landeshauptmann oder der Landesregierung unter- 266 Änderung von § 28 B-ÜG 1945, BGBl 23/1946,13.12.1945. Der Wiederaufbau (wie Anm. 130), S. 11. 1948 wurden dem LT die Rechnungsabschlüsse 1945 und 1946 vorgelegt. SteSi 16. LT, Beilage 9 und 10/1948. 268 Zur unmittelbaren Bundesverwaltung in Vorarlberg: Keßler, Jungbürger, 152-161; Ender (wie Anm. 134) 143-150; Müller (wie Anm. 21), S. 111-113. 269 Bemerkenswert ist, daß der Landesausschuß die Militärregierung im Oktober 1945 darauf aufmerksam machte, daß als Folge der Anerkennung die “Wiener Regierung” die Bestellung eines Juristen als Sicherheitsdirektors verlangen werde und auch zwei Kandidaten vorschlug, die allerdings nicht berücksichtigt wurden. NS Sitzung LA 16.10.1945, NS Interne Sitzung LA 19.10.1945 (wie Anm. 8); im übrigen Löffler-Bolka (wie Anm. 5), S. 151-152. 270 Grabherr (wie Anm. 1), S. 282-283; Karl Weber/Martin Schlag, Sicherheitspolizei und Föderalismus. Eine Untersuchung über die Organisation der Sicherheitsverwaltung in Österreich, Wien 1995, S. 1-59. 271 Die Änderungen wurden im Organisationsplan des Amtes der Landesregierung erst mit 1.1.1947 berücksichtigt. Arthur Hager, Die Gendarmerie in Vorarlberg, in: Montfort (1986) 4, S. 267-303, hier S. 299-300 und 303. 272 Der LT forderte bereits 1995 die Auflösung der Sicherheitsdirektionen. 1980 war diese Forderung auch Gegenstand der Volksabstimmung. Mehrfach hat der Bund die landesgesetzlich vorgesehene Mitwirkung von Gendarmerie und Zollwache abgelehnt. Grabherr (wie Anm. 1), S. 302-304. 273 Der Wiederaufbau (wie Anm. 130), S. 8; Hager (wie Anm. 270), S. 286 und 288. 267 Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 48 / 53 stellt274. Im Unterschied zu den anderen Ländern wurde in Vorarlberg keine Bundespolizeidirektion und keine uniformierte Bundessicherheitswache eingerichtet. Für den Vollzug von Verwaltungsstrafen übernahm das Land 1975 das bezirksgerichtliche Gefangenenhaus in Bludenz als “Landesarrest”275. Erbittert, aber erfolglos kämpfte die Landesregierung gegen die Übernahme des Rundfunks 1954 durch den Bund. “Gegen allfälligen Widerstand hatte das Innenministerium bereits Sicherheitsdirektion und Bundesgendarmerie in Bereitschaft versetzt!”276 Eine tatsächliche Bewährungsprobe hatten die Sicherheitskräfte bereits zu Jahresbeginn bei der großen Lawinenkatastrophe zu bestehen, die mittlerweile um eine B(ereitschafts)Gendarmerie verstärkt worden waren. Nach dem Abzug der französischen Besatzungstruppen 1953 waren Teile der Gendarmerieschule Oberösterreich II nach Vorarlberg verlegt worden. Sie bildete den Grundstock für das Jägerbataillon 23, das 1956 als Einheit des neuen Bundesheeres aufgestellt wurde. Im selben Jahr rückten die ersten Wehrpflichtigen (Jahrgang 1937) zur Grundausbildung ein. 1963 wurde ein Militärkommando Vorarlberg errichtet277. Erhalten blieb die Finanzlandesdirektion für Vorarlberg, die jedoch bis 1982 und erneut ab 1995 in Personalunion vom Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Tirol geleitet wurde278. Verhandlungen über eine Anpassung des Zollanschlußvertrages für Mittelberg blieben in den 1960er Jahren ergebnislos279. Mit dem Beitritt Österreichs zum EWR 1994 bzw. zur EU 1995 fielen die Zollgrenzen zu Deutschland. Damit wurden die Grenzen zum EFTA-Staat Schweiz (seit 1960) und zum EWR-Mitglied Liechtenstein (seit 1995)280 auch zu EU-Außengrenzen. Bis heute wird auch die Bahnstrecke durch Liechtenstein nach Buchs von den Österreichischen Bundesbahnen betrieben. Bahn und Post blieben den wiedererrichteten Direktionen in Innsbruck unterstellt. Die Bundesbahn betreibt auch die österreichische Bodenseeschiffahrt, die schon im Oktober 1945 wieder ihren Betrieb aufnahm, wenn auch bis 1949 die französische Trikolore am Schiffsheck flatterte281. 1981 nahm die ÖBB in Wolfurt einen modernen 274 Zur Gendarmerie ab 1945: 50 Jahre Landesgendarmeriekommando für Vorarlberg, 120 Jahre Gendarmerie in Vorarlberg, Bregenz 1970, S. 26-40; Hager (wie Anm. 270), S. 288-303. 275 Laich (wie Anm. 257), S. 296. 276 Der damalige Präsidialchef Grabherr (wie Anm. 1), S. 284. Vgl. Ilg (wie Anm. 13), S. 78. 277 Erwin Fitz, Das Militärkommando Vorarlberg 1963 bis 1988 sowie die militärischen Ereignisse 1953 bis 1988, Wien 1988. 278 SteSi 26. LT, Beilage 5/1996 und 1. Sitzung 31.1.1996, S. 71-74. Die Proteste des Landes gegen die Personalunion dürften erfolgreich gewesen sein; die Finanzlandesdirektion Vorarlberg dürfte wieder einen eigenen Chef erhalten. Vgl. Vorarlberger Nachrichten 11.11.1997, S. A7. 279 Müller (wie Anm. 98), S. 66; Gedenkschrift Zollanschlußvertrag (wie Anm. 249), S. 41-42. 280 Liechtenstein, in Zoll- und Währungsunion mit der Schweiz, wurde bei der EFTA-Mitbegründung durch die Schweiz 1960 durch ein Zusatzprotokoll in die EFTA einbezogen und durch die Schweiz vertreten. 1991 trat es der EFTA als eigenständiges Mitglied bei, 1995 dem EWR. 281 1950 wurde “Schiffahrtsinspektion Bregenz” als “Schiffahrtsstelle” der Zugförderungsleitung Bludenz und damit der Bundesbahndirektion Innsbruck, 1987 jedoch als “Geschäftseinheit Bodenseeschiffahrt” wieder direkt der Generaldirektion Wien Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 49 / 53 Güterbahnhof in Betrieb. Dort eröffnete die Post- und Telegraphendirektion für Tirol und Vorarlberg 1983 ein Bahnpostamt mit dem größten Umschlag in Westösterreich. Mit der schrittweisen Liberalisierung der Verkehrs- und Telekommunikationsdienste im Rahmen der europäischen Integration wurden Bahn und Post in den 1990er Jahren weitgehend in privatrechtliche Rechts- und Organisationsformen überführt. 1994 wurde auch die Arbeitsmarktverwaltung aus dem Sozialministerium ausgegliedert. In die Direktorien des neuen “Arbeitsmarktservice Vorarlberg” wurden die Sozialpartner eingebunden282. Die Bundesdenkmalpflege in Vorarlberg wurde professionalisiert und 1949 erstmals ein hauptamtlicher Landeskonservator bestellt283. “Walsertransversale” Ein Kuriosum im Bundesstraßennetz ist die sogenannte “Walsertransversale”, eine projektierte Querverbindung vom Kleinwalsertal über das Faschina- und Schlappinerjoch nach Graubünden, die in den 1960er Jahren forciert wurde und zur Folge hatte, daß die Straßenstücke auf dieser Route - zum Vorteil der Landesfinanzen - als Bundesstraßen ausgebaut wurden (B 201, B 193, B 192). Neben touristischen Gründen wurde geltend gemacht, daß durch diese alpinen Verbindungstraßen “das Gemeinschaftsgefühl und Stammesbewußtsein gestärkt wird” 284. Zu den drängenden Anliegen, die der Landesausschuß dem Militärgouverneur in den Nachkriegsmonaten vortrug, zählte die Wiedereröffnung der Zivilgerichte285, nachdem bereits im Juli 1945 mit dem Aufbau einer Militärgerichtsbarkeit begonnen worden war.286 In der französischen Zone wurden über 40 Prozent der Richter und Rechtsanwälte im Zuge der Entnazifizierung zunächst außer Dienst gestellt. Zu Jahresbeginn 1946 konnten die Zivilgerichte ihre Tätigkeit wieder aufnehmen, die Militärbehörden zogen sich weitgehend zurück. Die Verfolgung von Kriegsverbrechen oblag ab 1946 österreichischen “Volksgerichten”. Die Gerichtsorganisation der Zwischenkriegszeit wurde für Vorarlberg mit der Staatsanwaltschaft Feldkirch und der Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck sowie den sechs Bezirksgerichten Bregenz, Bezau, unterstellt. Arnulf Dieth, Die österreichische Schiffahrt auf dem Bodensee, Hard 1984, S. 35, 39-40 und 50. Land Vorarlberg, eine Dokumentation, ²Bregenz 1988, S. 307. 282 Vorarlberger Nachrichten 1.4.1994, S. D1. 283 Erwin Heinzle, Zwanzig Jahre Denkmalpflege in Vorarlberg, in: Montfort 18 (1966), S. 132-146, S. 132 u. 146. NS interne Sitzung LA 16.8.1945 (wie Anm. 8). 284 Bachmann (wie Anm. 25), S. 99. Herbert Gehrer, Der Ausbau der Vorarlberger Straßen für den motorisierten Verkehr von den 30er Jahren bis 1938, Bregenz 1986, S. 79-95 und 118-123; Keßler (wie Anm. 20), S. 297-299. 285 NS Interne Sitzung LA 2.8.1945, NS Sitzung LA 7.8.1945 (wie Anm. 8). Laich (wie Anm. 257), S. 243-265. 286 Eisterer (wie Anm. 5) (wie Anm. 118), S. 231-258. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 50 / 53 Dornbirn, Feldkirch und Montafon, dem Landesgericht Feldkirch und dem Oberlandesgericht Innsbruck wieder hergestellt und blieb trotz Reformüberlegungen erhalten287. Aufgelassen wurden ab 1963 jedoch die bezirksgerichtlichen Gefangenenhäuser288. Einen Fortschritt bedeutete die Umstellung der Grundbücher auf automationsunterstützte Datenverarbeitung, die in Vorarlberg 1989 abgeschlossen wurde. 287 Franz Fiedler, Zur österreichischen Gerichtsorganisation, in: ÖJBfP 1982, S. 143-172, S. 165-168; Laich (wie Anm. 257), S. 282-285, 290 und 295-296. 288 1963 Bezau u. Montafon, Bludenz übernahm 1974 das Land als “Landesarrest”, Dornbirn blieb als Außenstelle des landesgerichtlichen Gefangenenhauses Feldkirch in Betrieb. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 51 / 53 Lösung der “Illwerkefrage” Ein ebenso kompliziertes, wie für Vorarlberg wichtiges Kapitel war die “Illwerkefrage”289. Da das Land nach dem Ersten Weltkrieg nicht das Geld hatte, die Wasserkraft im Einzugsbereich der Ill selbst zu nutzen, gewann die Landesregierung dafür ein ausländisches Konsortium für eine “Vorarlberger Illwerke Aktiengesellschaft”. Das Land war zwar nur mit 5 Prozent beteiligt, konnte sich aber im “Landesvertrag 1922” “Gründerrechte” sichern: Strombezugsrechte, Konzessionsgebühren, Genußrechte und ein Heimfallrecht. Nach 80jähriger Konzessionsdauer sollte jedes Werk dem Land unentgeltlich anheimfallen, verbunden mit der Möglichkeit, mit dem Heimfall des ersten Werkes 2010 die gesamte Kraftwerksanlage vorzeitig und begünstigt zurückzukaufen. 1945 beschlagnahmten die Alliierten die Anteile der vier deutschen Mitgesellschafter als “Deutsches Eigentum”. Mit dem Zweiten Verstaatlichtengesetz 1947 wurden die großen Elektrizitätsunternehmen verstaatlicht. Der landeseigenen “Vorarlberger Kraftwerke AG” wurde als “Landesgesellschaft” die regionale Stromversorgung zugewiesen, der “Vorarlberger Illwerke AG” als “Sondergesellschaft” die Stromerzeugung in Großkraftwerken. Die westlichen Alliierten übertrugen die Verwaltung des “Deutschen Eigentums” treuhändisch an den Bund. Mit dem Staatsvertrag ging es 1955 ins Eigentum der Republik Österreich über, der damit zu 90 Prozent Eigentümer der Vorarlberger Illwerke wurde. Das Unternehmen wurde bis 1967 von einem öffentlichen Verwalter geführt, der im Auftrag des Verstaatlichtenministers nicht nur die Bundesanteile, sondern auch die Minderheitenbeteiligungen des Landes und der schweizerischen Finanzgesellschaft “Finelectra” verwaltete. Da die Energie zu über einem Viertel mit Wasser aus Tirol erzeugt wird, wurden dem Land Tirol im “Tiroler Landesvertrag 1949” ebenfalls privilegierte Strombezugsrechte und ein Heimfallrecht an den Tiroler Wasserüberleitungsanlagen eingeräumt. Mit dem “Illwerke-Vertrag 1952” wurden die Strombezugsrechte der früheren Hauptaktionäre Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk (RWE) und Energieversorgung Schwaben (EVS) auf eine neue Basis gestellt. Darin wurden auch die Gründungsgrundsätze neu verankert, von den deutschen Vertragspartnern ab den 1960er Jahren aber zunehmend bestritten, was finanziell zu Lasten der Eigentümer und speziell des genußberechtigten Landes ging. 1976 gelang es der Landesregierung, eine Allianz mit dem Bund zu bilden, der dem Land unter Verzicht auf mögliche Genußrechtsansprüche bargeldlos zwanzig Prozent seiner Aktien abtrat. In vier internationalen Schieds289 LH Purtscher SteSi 26. LT, 8. Sitzung 8.11.1995, S. 561-563; Vgl. [Josef Sinz], Die Industrie, ihre Bedeutung und einzelne Zweige, in: 100 Jahre Handelskammer (wie Anm. 10), S. 147-274, hier S. 249-274; Rainer Reich, Barnabas Fink - Kämpfer für die Vorarlberger Energiewirtschaft, in: Vorarlberger Nachrichten - VN-Magazin, S. 4-6; Klaus Plitzner, Der Weg nach Süden! Oder doch nach Norden? Von den Anfängen der Elektrizitätswirtschaft in Vorarlberg bis zur Gründung der “Vorarlberger Illwerke”. In: Helmut Maier (Hg.), Elektrizitätswirtschaft zwischen Technik und Politik. Aspekte aus 100 Jahren RWEGeschichte (erscheint 1999). Ilg (wie Anm. 13), S. 84-85; Keßler (wie Anm. 20), S. 330-331; Winder (wie Anm. 34), S. 243- Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 52 / 53 verfahren gelang es Land und Bund gemeinsam, bis 1985 ihre Rechte gegenüber den deutschen Vertragspartner durchzusetzen. 1987 übertrug die Republik Österreich ihre Beteiligungen an Elektrizitäts- Sondergesellschaften der Verbundgesellschaft. Nur die Illwerke-Anteile blieben davon ausgenommen. Sie waren von der Verbundgesellschaft wie bisher, auch weiterhin nur treuhänderisch zu verwalten. Diese versuchte in der Folge, die Anteile käuflich zu erwerben, jedenfalls aber einen vorzeitigen begünstigten Verkauf an das Land Vorarlberg mit allen Mitteln zu verhindern. Als der Verbund-dominierte Illwerke-Aufsichtsrat 1993 mehrheitlich sogar das Heimfallrecht des Landes bestritt, leitete das Land neuerlich ein Schiedsverfahren ein, in dem die Gründungsrechte des Landes 1994 einwandfrei bestätigt wurden. Nach weiterhin zähen Verkaufsverhandlungen gelang es dem Land schließlich, 1995 die Illwerkeanteile des Bundes vorzeitig zu erwerben. 1996 folgte der Erwerb der “Finelectra”-Anteile. Die Sicherung der Gründerrechte an den Vorarlberger Illwerken war vorrangig das Verdienst des langjährigen Finanzlandesrates und Landestatthalters Rudolf Mandl, des VIW-Vorstandsdirektors Rainer Reich und von Landeshauptmann Martin Purtscher. 256; Vorarlberg Bericht (1995) 82, S. 2-3, (1997) 88, S. 11; Vorarlberger Illwerke (Hg.), Vorarlberger Illwerke AG, Bregenz 1994, S. 28-24. Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995 53 / 53