Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995

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Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
Manuskript zum Beitrag:
Ulrich Nachbaur, Gesetzgebung und Verwaltung. In: Vorarlberg. Zwischen Fußach und Flint, Alemannentum und Weltoffenheit, hg. von Franz Mathis/Wolfgang Weber. Wien/Köln/Weimar 2000 (Geschichte
der österreichsichischen Bundesländer seit 1945 6/4), S. 464-521.
Alle Rechte beim Autor. www.landesarchiv.at
Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
Ulrich Nachbaur1
Mit dem Ostmarkgesetz 1939 war das “ehemals österreichische Land Vorarlberg” als Verwaltungsbezirk und Selbstverwaltungskörperschaft dem Reichsstatthalter in Tirol unterstellt
worden (Reichsgau Tirol-Vorarlberg)2. Das Kleinwalsertal war bereits 1938 Bayern angegliedert worden3. Die Selbständigkeit und Einheit des Landes waren daher das Ziel, für das die
Franzosen gewonnen werden mußten, die Vorarlberg Anfang Mai 1945 befreit und besetzt
hatten.
1. Wiedergründung des Landes unabhängig von Wien
Wie 1918 wurde Vorarlberg auch 1945 unabhängig von Wien als selbständiges Land wiedergegründet, erneut in einem staatsrechtlich “revolutionären” Akt4. Diesmal aber nicht eigen1
Für Kritik und Anregungen danke ich Wilfried Längle, Klaus Plitzner und Wolfgang Weber.
Gesetz (künftig: G) über die Verwaltung in der Ostmark (Ostmarkgesetz) vom 14.4.1939, Reichsgesetzblatt Teil I (künftig:
RGBl I) S. 777, § 1 Abs. 2. Zum Rechtscharakter: Helfried Pfeifer, Die Ostmark. Eingliederung und Neugestaltung. Historisch-systematische Gesetzessammlung nach dem Stande vom 16.4.1941, Wien 1941, S. 530-619. Gerhard Botz, Die Eingliederung Österreichs in das Deutsche Reich. Planung und Verwirklichung des politisch-administrativen Anschlusses (19381940), ²Wien 1976, S.109; Elmar Grabherr, Vorarlberger Geschichte. Eine volkstümliche Darstellung, Bregenz 1986, S. 268269. (Der Spitzenbeamte Grabherr war von der “Stunde Null” an bis Ende der 1970er Jahre direkt in die Arbeit der Landesregierung involviert. Insofern kommt seiner aus sehr persönlicher Sicht verfaßten “volkstümlichen Darstellung” über weite Strecken auch Quellencharakter zu). Im übrigen: Margit Schönherr, Vorarlberg 1938. Die Eingliederung Vorarlbergs in das Deutsche Reich 1938/39, Dornbirn 1981, S.83-103. Margit Schönherr, Die Verwaltung und der Verlust der Selbständigkeit, in:
Vorarlberger Landesmuseum (Hg.), Vorarlberg 1938, Ausstellung im Rahmen der Veranstaltungen des Gedenkjahres 1988,
Bregenz 1988, S. 81-90.
3
G vom 1.10.1938 über Gebietsveränderungen im Lande Österreich, RGBl I S. 1333, Gesetzblatt für das Land Österreich
(künftig: GBlÖ) 443/1938. die früheren Zollausschlußgebiete Mittelberg und Jungholz (Tirol) wurden mit Erlaß des bayerischen Staatsministers des Innern vom 14.10.1938 dem Bezirksamt Sonthofen (Schwaben) zugewiesen. Pfeifer (wie Anm. 1), S.
93.
4
Peter Pernthaler, Die Staatsgründungsakte der österreichischen Bundesländer. Eine staatsrechtliche Untersuchung über die
Entstehung des Bundesstaates, Wien 1979, besonders S. 35-39 und 98-102; Werner Brandtner/Franz Hämmerle/Johannes
Müller, Der Vorarlberger Landtag, in: Herbert Schambeck (Hg.), Föderalismus und Parlamentarismus in Österreich, Wien
2
Vorarlberger Landesarchiv Kirchstraße 28 A-6900 Bregenz www.landesarchiv.at DVR 0058751
Tel: #43(0)5574/511-45005 Fax: #43(0)5574/511-45095 E-Mail: landesarchiv@vlr.gv.at
mächtig, sondern mit Ermächtigung einer Besatzungsmacht; und nicht in halbwegs geordneten Bahnen, sondern nach Jahren der Diktatur in einem völligen Chaos.
Mit Ermächtigung der französischen Militärregierung
Bereits im Vormarsch begannen die französischen Truppenkommanden mit der Einsetzung
neuer Bürgermeister. Auch die 1938 abgesetzten Bezirkshauptleute wurden sofort wieder in
ihre Funktionen berufen. Aber erst auf Drängen der Bürgermeister und Bezirkshauptmänner
erkannten die Franzosen auch den Landesausschuß an, den Christdemokraten und Sozialdemokraten gebildet hatten. Denn für diesen kam nur die Anerkennung als Organ eines wiedergegründeten Landes Vorarlberg in Frage. Wenn sich die zentralistisch geprägten Franzosen schließlich zu diesem “Fait accompli” durchrangen, der “die Selbständigkeit Vorarlbergs
garantieren würde”5, dann dürfte dies dadurch begünstigt worden sein, daß sie in Vorarlberg
“festsaßen”. Im “Wettlauf der Armeen” waren die Franzosen gleich hinter dem Arlberg auf die
Amerikaner gestoßen; ihre Besatzungszone reichte zunächst nur bis Pettneu. Das französische Kommando residierte in Feldkirch, das damit auch zum Sitz des Landesausschusses
bestimmt wurde. Erst Anfang Juli übernahmen die Franzosen vereinbarungsgemäß Nordtirol
und das Kleinwalsertal6.
Mit Erlaß des kommandierenden Generals vom 24. Mai 1945 wurde der “Vorarlberger Landesausschuß” als “oberste Behörde der zivilen Verwaltung des Landes Vorarlberg” unter Kontrolle der Militärregierung autorisiert7. Bei der Konstituierung am selben Tag erklärte Ulrich Ilg
als Präsident des Landesausschusses, daß mit dem Bestellungsdekret die “Selbstverwaltung”
des Landes Vorarlberg wieder hergestellt sei, “wenn auch unter Überwachung einer Besatzungsmacht”. Der Landesausschuß werde Wert darauf zu legen haben, sein Mandat “im Vorarlberger Volk selbst zu verankern”. Immerhin hätten sich die Bürgermeister der zwölf größten
Gemeinden für die Autorisierung des Landesausschusses verwendet. Seine Tätigkeit werde,
1992, S. 539-588, hier S. 563-566; Ulrich Nachbaur, Chronologie zur organisatorischen Entwicklung der Vorarlberger Landesverwaltung seit 1918, in: Amt der Vorarlberger Landesregierung, Bd. 1, Typoskript, Bregenz 1997 (Vorarlberger Landesarchiv), S. 47-49.
5
Ulrich Ilg 1969, zitiert nach Dietlinde Löffler-Bolka, Vorarlberg 1945. Das Kriegsende und der Wiederaufbau demokratischer Verhältnisse in Vorarlberg im Jahre 1945, Bregenz 1975, S. 143. Zur Gründungsphase ebd., S. 142-144; Klaus Plitzner,
“Vorarlberg muß Österreichs gute Stube bleiben.” Die Vorarlberger Volkspartei von 1945 bis 1994, in: Robert Kriechbaumer/Franz Schausberger (Hg.), Volkspartei - Anspruch und Realität. Zur Geschichte der ÖVP seit 1945, Wien-Köln-Weimar
1995, S. 601-644, hier S. 604-605; Ende und Anfang. Erinnerungen an die Maitage 1945. Niederschrift von Radiointerviews,
die 1965 für eine Hörfunk-Dokumentation über die Bildung einer provisorischen Landesregierung im Mai 1945 aufgenommen
worden sind, hg. vom ORF Landesstudio Vorarlberg, Dornbirn, 1985, Interview mit Ulrich Ilg 1965, S. 8-9; Marcello Jenny,
Rational-Choice-Theorien der Regierungsbildung: Eine Anwendung auf die Regierungen des Bundeslandes Vorarlberg 19451994, Diplomarbeit (masch.) Wien 1994, S. 68-76.
6
Klaus Eisterer, Französische Besatzungspolitik. Tirol und Vorarlberg 1945/46, Innsbruck 1991, S. 14-22; Löffler-Bolka (wie
Anm. 5), S. 141; Grabherr (wie Anm. 1), S. 277.
7
Erlaß des Kommandierenden Generals des Gebietes von Vorarlberg über die Bestellung des Vorarlberger Landesausschusses
vom 24.5.1945, Vorarlberger Landesamtsblatt (künftig: VLABl) 1/1945.
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“hoffentlich nicht in allzuferner Zeit”, mit der Bildung neuer Vertretungskörper im Wege einer
geordneter Wahl beendet sein8.
Grafik 1: Zivile “Landesregierungen”
1925, 1929
1934
Landeshauptmann
mittelbare
Bundesverwaltung
Landesregierung
Landtag
Landesverwaltung
1938
1939/40
Reichsstatthalter in Tirol und Vorarlberg
staatliche Verwaltung und Selbstverwaltung
1945, 24.5.
Vorarlberger Landesausschuß
staatliche Verwaltung und Selbstverwaltung
1945, 11.12.
Landeshauptmann
mittelbare
Bundesverwaltung
Landesregierung
Landtag
Landesverwaltung
Quelle: Nachbaur, Chronologie zur organisatorischen Entwicklung der Vorarlberger Landesverwaltung seit 1918 (1997), S. 6.
Der Landesausschuß knüpfte zunächst - zumindest formell - nicht an die Landesverfassung
von 1923 an. Er beschloß die sinngemäße Geltung der Geschäftsordnung der 1932 letztmals
demokratisch gewählten Landesregierung, errichtete ein “Amt des Vorarlberger Landesausschusses” und faßte zur “Klarstellung des geltenden Rechtszustandes” folgenden Beschluß:
“Die gesamten im Zeitpunkt der Besetzung durch die Alliierten in Geltung stehenden Rechtsvorschriften bleiben vorläufig weiter in Kraft, soweit dies nicht dem Sinn der Neuordnung (Beseitigung der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft) widerspricht. Was dem Sinn der Neuordnung widerspricht, bestimmt der Vorarlberger Landesausschuß. Soweit in den Rechtsvorschriften die Zuständigkeit einer außerhalb Vorarlbergs liegende Stelle vorgesehen ist, wird
dieselbe vom Vorarlberger Landesausschuß wahrgenommen”.9
Wiedererrichtung des Bundesstaates
8
Vorarlberger Landesarchiv (VLA), Vorarlberger Landesregierung, Schachtel 11, Niederschrift (künftig: NS) 1. Sitzung des
Vorarlberger Landesausschusses (künftig: LA) am 24.5.1945.
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Erst am 15. September 1945 wurde eine auf 24. Mai zurückdatierte Verordnung des Landesausschusses “über die vorläufige Ausübung der öffentlichen Gewalt im Lande Vorarlberg”
herausgegeben, und zwar auf Verlangen der Militärregierung10. Es wurde nicht nur ausdrücklich bestimmt, “daß bis zur endgültigen gesetzlichen Regelung über die Einrichtung des österreichischen Staates [..] die öffentliche Gewalt im Lande Vorarlberg nach den Bestimmungen
der Vorarlberger Landesverfassung 1923 ausgeübt [wird]” und der Landesausschuß vorläufig
die Funktion von Landesregierung und Landtag ausübt. Es wurde der Anschein erweckt, als
sei der Landesausschuß von Beginn an nur in einer Art “Auftragsverwaltung” für den Bund tätig geworden, “vorläufig” und nur soweit, “als es zur Vermeidung von Schäden notwendig
ist”11. - Das entsprach nicht den Tatsachen. Die Beschlüsse der provisorischen Staatsregierung in Wien waren für Vorarlberg - sofern überhaupt bekannt12 - zunächst ohne Rechtskraft.
“Selbstverständlich mußte die Einheit möglichst bald erreicht werden, aber nicht unter Aufzwingung einer neuen Verfassung und nur unter Hintanhaltung eines zu großen kommunistischen Einflusses.”13 Darin wußte sich Ilg mit Militärregierung einig. Für den Landesausschuß
kam nur eine Wiedergründung Österreichs als Bundesstaat auf Grundlage der Bundesverfassung 1920 in der Fassung von 1929 in Frage14, und damit setzten sich die Ländervertreter auf
der ersten Länderkonferenz vom 24. bis 26. September 1945 auch durch15.
Erst jetzt genehmigte der Landesausschuß formell die einschränkende Verordnung vom 15.
September16. Nach der Landtagswahl vom 25. November stellte er zur Vorbereitung der
Landtagskonstituierung nochmals die vorläufige Anwendung der Landesverfassung 1923 und
der Landtagsgeschäftsordnung 1932 klar17. Am 11. Dezember beschloß der Landtag die Wiederinkraftsetzung der Landesverfassung und bestellte eine reguläre Landesregierung. Am 18.
Dezember 1945 wurde schließlich das 2. Verfassungs-Überleitungsgesetz des Bundes kund9
NS 1. Sitzung LA 24.5.1945 (wie Anm. 8).
Darauf wies 1986 Grabherr (wie Anm. 1), S. 278, erstmals hin; vgl. Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S 564-565
Anm. 181. Zur Eigenständigkeit u.a. auch: Lorenz Konzett, Die Organisation der gewerblichen Wirtschaft Vorarlbergs nach
1945, in: Kammer der gewerblichen Wirtschaft für Vorarlberg (Hg.), 100 Jahre Handelskammer und gewerbliche Wirtschaft in
Vorarlberg, Feldkirch 1952, S. 77-106, hier S. 77-81.
11
VLABl 2/1945.
12
Vgl. Grabherr (wie Anm. 1), S. 280.
13
Ulrich Ilg, Meine Lebenserinnerungen, Dornbirn 1985, S. 59. Ilg.
14
1920 wurde die Kompetenzverteilung und Behördenorganisation in den Ländern noch weitgehend offen gelassen und erst
durch die Novelle 1925 geklärt. Da die Novelle 1929 zu Lasten der Länder ging (u.a. Zentralisierung des Sicherheitswesens!),
wäre ein Anknüpfung an das B-VG 1920 in der Fassung von 1925 aus Ländersicht vorteilhafter gewesen. Als Anknüpfungspunkt wurde vermutlich einfach die letzte Fassung der demokratischen Bundesverfassung gewählt.
15
Ilg (wie Anm. 13), S. 59-63; Lois Weinberger, Tatsachen, Begegnungen und Gespräche. Ein Buch um Österreich, Wien
1948, S. 269. Pernthaler (wie Anm. 4), S. 42-48. Vgl. auch die Dokumente und Beiträge in: NÖ Institut für Landeskunde/
Kulturabteilung des Amtes der NÖ Landesregierung (Hg.), Die Länderkonferenzen 1945, Wien 1995, speziell S. 127-134; Felix Ermacora, Österreichischer Föderalismus. Vom patrimonialen zum kooperativen Bundesstaat, Wien 1976, S. 76-78; Grabherr (wie Anm. 1), S. 278-281.
16
Vorgeblich “als Zusammenfassung der Beschlüsse vom 24.5.1945”. NS Interne Sitzung LA 19.10.1945 (wie Anm. 8). Der
Veröffentlichung der Verordnung am 15.9.1945, VLABl 2/1945, war allein mit Zustimmung des Präsidenten erfolgt.
17
Verordnung vom 4.12.1945. VLABl 13/1945; Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S. 566.
10
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gemacht, mit dem in den Ländern die Gesetzgebung der Provisorischen Landesregierungen
auf die Landtage übertragen wurde18. Damit blieben auch Pläne eines Komitees für eine Konföderation “Donau-Alpenland” Episode19.
2. Vorarlberg als Vorreiter einer Bundesstaatsreform
Zu den Konstanten der von der Österreichischen Volkspartei (ÖVP) dominierten Vorarlberger
Regierungspolitik zählt der Föderalismus, die Wahrung und eine Stärkung der Bundesstaatlichkeit20. Für alles, was die Länder selbst zweckmäßig bewältigen können, sollen sie auch
zuständig sein. Als Stärken dieser bürgernahen Konzeption werden eine den regionalen Bedürfnissen angepaßte Gesetzgebung, eine effizientere und sparsamere Verwaltung und mehr
Demokratie dank gestärkten Landtagen und einer ausgeprägteren Gewaltenteilung zwischen
Bundesstaat und Gliedstaaten ins Treffen geführt21.
“Stammkundschaft” beim Verfassungsgerichtshof
1947 beauftragte der Landtag die Landesregierung ausdrücklich, “mit besonderer Sorgfalt die
Rechte des Landes und des Landtages zu bewachen”22. Die Sorge war nicht unbegründet.
Schon während der Besatzungszeit wurden Länderkompetenzen in Gesetzgebung und Verwaltung kontinuierlich beschnitten23 und die Große ÖVP-SPÖ-Koalition auf Bundesebene
setzte diesen Kurs auch nach 1955 fort.
Besonders um die Finanzverfassung wurde heftig gerungen. Mit der Eingliederung ins Deutsche Reich war die Steuerhoheit der Länder beseitigt worden. Hingegen hatte das nationalsozialistische Regime die Abgabenrechte der Gemeinden gestärkt (Fremdenverkehrsbeiträge,
Kurtaxen, Getränke- und Vergnügungssteuer). Den Ländern gelang es nicht, ihre alte Position
wiederzuerlangen. Das Finanz-Verfassungsgesetz 1948 behielt wesentliche Elemente der
zentralistischen reichsdeutschen Finanzordnung bei. Als bescheidener Ausgleich wurden die
18
Staatsgesetzblatt (künftig: StGBl) 232/1945, Art. VI Abs. 3.
Jürgen Klöckler, Föderalistische Neugliederungskonzepte nach 1945: Vorarlberg als Teil der “Donau-Alpen-Konföderation”
oder “Alemanniens”? In: Montfort 47 (1995) 3, S. 249-265. Episode blieb auch der Wunsch des Bürgermeisters von Weiler im
Allgäu, der eine Wiederangliederung des 1814 endgültig zu Bayern geschlagenen Landgerichtes Weiler an Vorarlberg anstrebte. Der Landesausschuß teilte höflich mit, daß ihm eine Angliederung “nicht wünschenswert” erscheine. NS interne Sitzung LA 27.7.1945 (wie Anm. 8); vgl. Grabherr (wie Anm. 1), S. 277.
20
Ilg (wie Anm. 13), S. 77-78. Herbert Keßler, Arbeit für Vorarlberg. Drei Jahrzehnte Landespolitik, Dornbirn 1995, S. 13-27
und 64-107.
21
Vgl. z.B. Hannes Müller, Die staatliche Ordnung, in: Vorarlberg - unser Land, Jungbürgerbuch, hg. von der Vorarlberger
Landesregierung, ²Bregenz 1983, S. 35-129, hier S. 72.
22
SteSi 16. LT, 2. Sitzung 24.3.1947, S. 6 und 62.
23
Ermacora (wie Anm. 15), S. 79-98.
19
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Gemeinden zu einer Landesumlage zugunsten der Länder verpflichtet. Anstelle einer angemessenen Steuerhoheit wurden die Länder als “Kostgänger” stärker an den Bundesabgaben
beteiligt. Stammten 1938 immerhin noch die Hälfte der Steuereinnahmen der Länder aus Landesabgaben, so waren es in den 90er Jahren gerade noch 4 Prozent; während die Steuereinnahmen der Gemeinden immer noch zu 45 Prozent aus eigenen Abgaben resultierten.24
Landtag und Landesregierung scheuten den Konflikt mit dem Bund nicht und trugen ihn zunächst bevorzugt auf dem Rechtsweg aus. Dabei konnte sie sich auf ihren Präsidialchef und
Verfassungsexperten Elmar Grabherr verlassen, der - so Landeshauptmann Ulrich Ilg - schon
früh zum Ruf Vorarlbergs beigetragen habe, “Stammkundschaft” beim Verfassungsgerichtshof
zu sein25. Dabei konnte das Land durchaus Erfolge erzielen26. Als große Niederlagen wurden
allerdings 1952 die Bestätigung der Suspendierung von Heimatrecht und Landesbürgerschaft27 und 1954 die Entscheidung gegen die Rundfunkhoheit der Länder28 empfunden.
Landeshauptmännerkonferenz und Forderungsprogramme
Durch den Staatsvertrag von 1955 fiel das Argument der besatzungsbedingten Notwendigkeit
zentraler Regelungen weg. Bald nach 1945 hatten die Landesamtsdirektoren begonnen, auf
Beamtenebene die Länderpositionen in Konferenzen abzustimmen. Nun wurde auf Initiative
des neuen Vorarlberger Landesamtsdirektors Elmar Grabherr für den Fall neuerlicher “zentralistischer Vorstöße” ein Katalog von Gegenforderungen erarbeitet, der aber für einige Länder
noch zu weitreichend war29. Er bot aber eine Grundlage für das erste “Forderungsprogramm”,
das dem Bund vorgelegt wurde, als dieser 1963 von den Ländern ein “Notopfer” zur Sanierung
der Bundesfinanzen verlangte. Bereits 1952 war eine “Verbindungsstelle der Bundesländer”
eingerichtet worden, die jedoch seitens des Bundes erst 1966, von der ÖVP-Alleinregierung,
offiziell zur Kenntnis genommen wurde. Nun waren auch die sozialistischen Landeshauptleute
bereit, sich an regelmäßigen Landeshauptmännerkonferenzen zu beteiligen. Obwohl in der
Verfassung nicht vorgesehen, nahm nun hauptsächlich die Landeshauptleutekonferenz die
24
Im Überblick: Egon Mohr, Finanzrecht. Unterrichtsbehelf für die allgemeine Grundausbildung von Landes- und Gemeindebediensten. Stand: Jänner 1999. Masch. Skriptum. Bregenz 1999, S. 2-11.
25
Ilg (wie Anm. 13), S. 77-78. Zum Vorarlberger Föderalismus ebd. S. 282-284, 311-320.
26
Beispiele bei Franz Vögel: Hundert Jahre Vorarlberger Landtag 1861-1961, in : Land Vorarlberg (Hg.), Landstände und
Landtag in Vorarlberg, Bregenz 1961, S. 91-1992, S. 181-184; Gustav Bachmann, Vorarlberg 1918-1968, Entwicklungslinien
im Halbjahrhundert der Selbständigkeit, in: Vorarlberger Landesregierung (Hg.), 50 Jahre Selbständiges Land Vorarlberg
1918-1968, Bregenz (1968), S. 49-144, hier S. 67-74 ; Grabherr (wie Anm. 1), S. 282-284; Benedikt Bilgeri, Geschichte Vorarlbergs, Bd. 5, Wien-Köln-Graz 1987, S. 216.
27
Peter Pernthaler/Karl Weber, Landesbürgerschaft und Bundesstaat. Der Status des Landesbürgers als Kriterium des Bundesstaates und Maßstab der Demokratie in den Ländern, Wien 1983, S. 20-29; Grabherr (wie Anm. 1), S. 282, Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S. 566-567. Die Landesbürgerschaft wurde 1984 wieder in die Landesverfassung aufgenommen.
28
Ermacora (wie Anm. 15), S. 92-99. Ilg (wie Anm. 13), S. 78; Grabherr (wie Anm. 1), S. 284.
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Länderinteressen wahr, anstelle des faktisch wirkungslosen, von den Landtagen bestellten
Bundesrates30.
Wissenschaftliche Unterstützung erhielten die Länder durch das “Institut für Föderalismusforschung”, das Tirol, Vorarlberg und Salzburg 1975 gemeinsam in Innsbruck errichteten31.
Eine Möglichkeit, die Kompetenzregelung der Bundesverfassung zu umgehen oder gegenseitig zu unterlaufen, bot die Privatwirtschaftsverwaltung, zumal über die Installierung von Fonds.
Die Folge waren Doppelgleisigkeiten, wobei die Länder befürchteten, auf ihre Kosten über den
Finanzausgleich die Förderungspolitik des Bundes auch noch mitfinanzieren zu müssen. Deshalb schloß sich der Vorarlberger Landtag 1953 einer Initiative an, die eine Verwaltungsreform
durch freiwillige Abgrenzung bzw. Koordinierung der privatrechtlichen Tätigkeit der öffentlichrechtlichen Körperschaften zum Ziel hatte32. Einen wichtigen Erfolg erzielten die Länder 1987
mit der Verländerung der Wohnbauförderung.
Die Schweiz als Vorbild und die VN im Nacken
In Vorarlberg wurde der Föderalismus besonders leidenschaftlich und konsequent vertreten.
Eine wichtige Rolle mag dabei die unmittelbare Nachbarschaft zur lange Zeit sehr erfolgreichen, radikal-föderalen Schweiz gespielt haben, auf die die “kantonale” Landesverfassung von
1919 ausgerichtet war. Vorbilder waren die kleinen direktdemokratischen Kantone. Ihre
Landsgemeinden erinnerten an die alten Vorarlberger Landstände, die - so das mitunter verkürzte offiziöse Geschichtsbild bis in die 1990er Jahre33 - die Landesrechte gegen Habsburgs
Zentralismus verteidigten. Die Pflege der Erinnerung an die Anschlußbestrebungen nach dem
29
Grabherr (wie Anm. 1), S. 311. Klaus Berchtold, Die Verhandlungen zum Forderungsprogramm der Bundesländer seit 1956,
Wien 1988, S.9-14.
30
Ermacora (wie Anm. 15), S.154-155; Grabherr (wie Anm. 1), S. 284; Keßler (wie Anm. 20), S. 98-100; Heinz Schäffer, Gesetzgebung und Kontrolle, in: Herbert Dachs u.a. (Hg.), Handbuch des politischen Systems Österreichs, Wien 1991, S. 744754, hier S. 751-752; Bundesrat Jürgen Weiß im Interview mit den Vorarlberger Nachrichten 11.12.1997, S. A8. Peter
Pernthaler/Karl Weber, Landesregierung, in: Handbuch des politischen Systems (wie Anm. 29), S.755-773, hier S. 754, sehen
in diesem Phänomen “Ansätze eines politischen Paritätssystems im Bundesländer-Verhältnis”.
31
Vorarlberg Bericht (1976) 15. Das Institut erstattet jährlich einen “Bericht über die Lage des Föderalismus in Österreich”.
Von 1976 bis 1996 sind zudem in der “Schriftenreihe des Instituts für Föderalismusforschung” 69 einschlägige Monographien
erschienen.
32
Die Initiative ging von Oberösterreich aus. SteSi 17. LT, Beilage 9/1953, S. 341-343, und 6. Sitzung 26.10.1953, S. 122;
Grabherr (wie Anm. 1), S. 284.
33
Zurecht gerückt wurde dieses Bild u.a. durch die Festschrift 75 Jahre selbständiges Land Vorarlberg (1918-1993), hg. von
Vorarlberger Landtag und Vorarlberger Landesregierung, Bregenz 1993, redigiert vom Vorarlberger Landesarchiv. Bei einem
offiziellen Festakt des Landes anläßlich des österreichischen Milleniums 1996 am 26.10.1996 in Bregenz zeigte auch LH Purtscher u.a. auf, daß die protodemokratische landständische Verfassung nicht trotz, sondern nur dank Habsburg entstehen konnte
und erst der Absolutismus ein “Land Vorarlberg” geformt hat. Eine entsprechende Linie wird auch in der Vorarlberg Chronik,
hg. vom Land Vorarlberg, Bregenz 1997, vertreten als neuem Jungbürgerbuch vertreten.
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Ersten Weltkrieg34 taten ein übriges, daß im Vorarlberger Verständnis Föderalismus und direkte Demokratie Hand in Hand gingen.
Mehr als einmal war die Landesregierung allerdings weniger treibende, denn getriebene Kraft.
Treibende Kraft waren häufig die “Vorarlberger Nachrichten” und von ihr unterstützte Bürgerinitiativen35. Vor allem von zwei Ereignissen ging eine österreichweite Impulswirkung aus: zum
einen von der “Fußacher Schiffstaufe” 1964, gleich zu Beginn der Regierungszeit des jungen
Landeshauptmanns Herbert Keßler36; zum andern von der “Pro Vorarlberg”-Bewegung 1979,
die von der Landesregierung im Juni 1980 in einer Volksabstimmung aufgefangen wurde. Mit
einer Zustimmung von 69 Prozent wurden die Vertreter des Landes beauftragt, in Verhandlungen mit dem Bund dem Land (den Ländern) mehr Eigenständigkeit und den Gemeinden eine Stärkung ihrer Stellung zu sichern37.
Neue Dynamik durch die europäische Integration
Den Forderungsprogrammen der Länder (1963/64, 1970, 1976, 1985), einer Staatsreform in
kleinen Schritten, war jedoch nur bescheidener Erfolg beschieden38. Eine neue Dynamik
brachte die Vorbereitung auf den EU-Beitritt, der neue Kompetenzverluste erwarten ließ.
Landtagspräsident Bertram Jäger (1987-1994) bezeichnete es als “historische Aufgabe”, dafür
zu sorgen, “daß die Landtage auch nach der Integration noch eine echte Funktion und damit
eine Existenzberechtigung haben”39. “Auf dem Weg nach Europa” unterbreitete die Landesregierung der Bundesregierung 1991 ein Memorandum, die auf eine Erfüllung von Vorarlberger
34
“Pro Vorarlberg” war z.B. bereits die Bezeichnung der Anschlußinitiative 1918/19 gewesen.
Gerhard Wanner, Schiffstaufe Fußach 1964, Bregenz 1980, S. 26-28; Rainer Nick, Österreichs Alemannen - Die “besseren”
Demokraten? Eine Untersuchung über plebiszitäre Tendenzen, Demokratie und Landesbewußtsein in Vorarlberg, in: Susanne
Dermutz/Peter Klein/Rainer Nick/Anton Pelinka, Anders als die Anderen? Politisches System, Demokratie und Massenmedien
in Vorarlberg, Bregenz 1982, S. 105-191, hier S. 152-158, 164-169; Susanne Dermutz, Massenmedien in Vorarlberg, in: Dermutz/Klein/Nick/Pelinka (wie Anm. 34), S. 192-235; Peter Klein, Was bewirken Massenmedien? In: Susanne Dermutz/Peter
Klein/Rainer Nick/Anton Pelinka (wie Anm. 30) S. 236-257; Keßler (wie Anm. 20), S. 77-84; Gerhard Wanner, Landespolitik
1964-1987. Bilanz, Rechenschaft und Kritik, Dornbirn, in: Keßler (wie Anm. 20), S. 377-473, hier S. 382 und 386; Ernst Winder, Zwischen Fußach und Europa. Drei Jahrzehnte Vorarlberger Landespolitik. Hohenems 1998, S. 11-14 und 92-114. Zu
“Pro Vorarlberg” und der Volksabstimmung: SteSi 23. LT, Beilage 7/1979, 2. Sitzung 28.3.1980, S. 34-87, Beilage 9/1980, 4.
Sitzung 20.5.1980, S. 138-173, Beilage 18/1980, 6. Sitzung 2./3.7.1980, S. 305-310.
36
Ermacora (wie Anm. 15), S. 120-122.
37
SteSi 22. LT, Beilage 9/1980; Vorarlberg Bericht (1980) 31; Die Vorarlberger Volksabstimmung vom 15. Juni 1980. Voraussetzungen - Begründung - Ergebnis, in: Montfort 32 (1980) 1, S.7-17 (mit Gemeindeergebnissen); Institut für Föderalismusforschung in Innsbruck (Hg.), 5. Bericht über die Lage des Föderalismus in Österreich (1980), Wien 1982, S. 39-91; Siegbert
Morscher: Pro Vorarlberg, in: Andreas Khol/Alfred Stirnemann (Hg.), Österreichisches Jahrbuch für Politik (künftig: ÖJBfP)
1980, München-Wien 1981, S. 31-54; Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S. 570-574. Als Mitinitiator von “Pro Vorarlberg”: Grabherr (wie Anm. 1), S. 317-320; Nick (wie Anm. 34), S. 164-169; Markus Barnay, Pro Vorarlberg. Eine regionalistische Initiative, Bregenz 1983, S. 6, 14-16; Keßler (wie Anm. 20), S. 87-94; Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 386-388.
38
Bertold (wie Anm. 28); Keßler (wie Anm. 20), S.94- 98.
39
SteSi 25. LT, 10. Sitzung 12./13./14.12.1990, S. 892; Wolfgang Burtscher, EG-Beitritt und Föderalismus. Folgen einer EGMitgliedschaft für die bundesstaatliche Ordnung Österreichs, Wien 1990; Jürgen Weiss, Föderalismus in einem neuen Europa,
in: Schambeck (wie Anm. 4), S. 643-657; Andreas Kiefer: Länderrechte, Regionalismus und EG, in: ÖJBfP 1992, S. 155-181;
Helmut Schreiner, Die Mitwirkung der Länder im Zuge der EG-Integration, in : ÖJBfP 1992, S. 183-210; Institut für Födera35
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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und Länderforderungen abzielte40. Der Vorarlberger ÖVP-Landesparteisekretär und Bundesrat
Jürgen Weiß wurde als Föderalismusminister in die Bundesregierung berufen41. Den Ländern
gelang es, sich noch vor Ratifizierung des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) im Frühjahr 1992 weitgehende Mitwirkungsrechte in Integrationsfragen zu sichern. Im Oktober 1992 paktierte die Landeshauptleutekonferenz mit der Bundesregierung eine umfassende Bundesstaatsreform, an deren Ausarbeitung Purtscher, Weiss und Landesamtsdirektor Werner Brandtner wesentlichen Anteil hatten. Sie wurde als Regierungsvorlage noch wenige Tage vor der Volksabstimmung über einen Beitritt zur Europäischen Union
(EU) im Juni 1994 dem Nationalrat zugeleitet, dort aber zunächst verschleppt und schließlich
so verwässert, daß die Landeshauptleutekonferenz sie für unannehmbar erklärte42. - Die
“Staatsreform als großes Verfassungskonzept” war damit, zumindest vorerst, gescheitert43.
Die Errichtung Unabhängiger Verwaltungssenate der Länder als zweite Instanz in verschiedenen Verwaltungsverfahren (in Vorarlberg 1991) bedeutete nicht nur einen rechtsstaatlichen
Fortschritt, sondern vielleicht auch den ersten Schritt für einen künftigen Landesverwaltungsgerichtshof und damit eine gewisse Föderalisierung der Gerichtsbarkeit44.
Jahrzehntelang wurde die Vorarlberger Föderalismuspolitik mit dem Topos der “freiheitsliebenden Alemannen” untermauert, was identitätsstiftend, aber auch ab- und ausgrenzend
wirkte45. Erst zu Beginn der 1990er Jahre, unter den Vorzeichen der europäischen Öffnung,
bekannte sich die Landesregierung auch zur Tradition als Ein- und Zuwanderungsland46.
Landeshauptmann Purtscher, einer der Vorkämpfer für den EU-Beitritt, übertrug das föderalistische Programm auf den Prozeß der europäischen Einigung. Vehement vertrat er das Ziel
eines föderalen “Europa der Regionen”, denen 1994 mit der Einrichtung eines “Ausschusses
der Regionen” eine erste Mitsprachemöglichkeit im Rahmen der EU eröffnet wurde47. Gleichlismusforschung, 19. Bericht über die Lage des Föderalismus in Österreich (1994), SteSi 26. LT, Beilage 2/1996, S. 31-47;
SteSi 25. LT, 8. Sitzung 9.10.1991 S. 554-580; Vorarlberg Bericht (1991) 67, S. 19, (1991) 69, S. 2.
40
Auf dem Weg nach Europa. Memorandum der Vorarlberger Landesregierung an die Österreichische Bundesregierung. Bregenz 1991, hg. vom Amt der Vorarlberger Landesregierung.
41
Bundesminister für Föderalismus und Verwaltungsreform 1991-1994.
42
Andreas Kiefer, Die Bundesstaatsreform im Jahr 1993, in: ÖJBfP 1993, S. 413-438; Theo Öhlinger, Das Scheitern der Bundesstaatsreform, in: ÖJBfP 1994, S. 543-558; Peter Pernthaler/Gert Schernthanner, Bundesstaatsreform 1994, in ÖJBfP 1995,
S. 559-595. Jürgen Weiss, Föderalismus, S. 648-656; Landeshauptmann (künftig: LH) Purtscher SteSi 25. LT, 9. Sitzung
15.12.1993, S. 744-747; Institut für Föderalismusforschung (wie Anm. 34), S. 1-14; Jürgen Weiss, Der Bundesrat und die
Bundesstaatsreform, in: Herbert Schambeck (Hg.), Bundesstaat und Bundesrat in Österreich, Wien 1997, S. 497-525.
43
Föderalismusminister a.D. und Bundesrat Jürgen Weiss, Vorarlberger Nachrichten 29.12.1994, S. A3.
44
LGBl 34/1990; Vorarlberg Bericht (1991) 68, S. 6-7; Friedrich Lehne, Die österreichische Verwaltungsgerichtsbarkeit im
Blickfeld des Föderalismus, in: Montfort 36 (1984) 3, S. 207-217.
45
Nick (wie Anm. 34), S. 171-183; Markus Barnay, Die Erfindung des Vorarlbergers. Ethnizitätsbildung und Landesbewußtsein im 19. und 20. Jahrhundert, Bregenz 1988, S. 439-492.
46
Projekt KultUrsprünge Vorarlberg Bericht (1991) 91, S. 22-23, Zuwandererfest Vorarlberg Bericht (1993) 75.
47
Vorarlberg Bericht (1994) 77, S. 2-5, (1991) 69, S. 2-7, (1996) 85, S. 2-7, (1997) 88, S. 14-17; Andreas Kiefer, Länder und
Gemeinden im Ausschuß der Regionen (AdR) der EU, in: ÖJBfP 1995, S. 485-520. Ernest F. Enzelsberger, Die Bodenseeregi-
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zeitig forcierte Purtscher die interregionale Zusammenarbeit, die Vorarlberg bereits seit 1972
vor allem im Rahmen der “Arbeitsgemeinschaft Alpenländer” (ARGE ALP) praktizierte48. Bestrebungen, Vorarlberg als Vollmitglied in einen verbindlichen “Viererlandtag” der ehemals von
Innsbruck aus verwalteten Länder Tirol, Südtirol, Trentino und Vorarlberg einzubeziehen,
blockte Purtscher 1993 ab49; er setzte auf die Weiterentwicklung der “Internationalen Bodenseekonferenz” (1972) zu einer “Euregio Bodensee”50.
3. Selbstbewußte Reform der Landesverfassung
Als erstes beschloß der neugewählte Landtag am 11. Dezember 1945 die Wiederinkraftsetzung der Landesverfassung 1923, die ab 1949 zunächst im kleineren Schritten novelliert wurde (1949 Ausbau der direkten Demokratie, 1959 Vergrößerung des Landtages, 1969 Verankerung der Gemeindeorganisation)51.
Im Zeichen von “Pro Vorarlberg” und Konkurrenzdemokratie
Beeinflußt durch die “Föderalismusabstimmung” von 1980 als Folge der “Pro-Vorarlberg”-Bewegung wurde die Landesverfassung 1984 grundlegend reformiert. Dabei knüpfte der Landtag
an die Tradition der Landesverfassung von 1919 an52. Es wurde die Stellung des Landes als
selbständiger Gliedstaat deutlich gemacht, der sich zu den “Grundsätzen der freiheitlichen,
demokratischen, rechtsstaatlichen und sozialen Ordnung bekennt” (Art. 1). Erstmals wurden in
eine Landesverfassung Ziele und Grundsätze staatlichen Handels und wie 1919 wieder
Grundrechte aufgenommen, die wesentlich der Katholischen Soziallehre entsprechen. Die
Kontrollrechte des Landtages wurden ausgebaut, die direktdemokratische Prägung des Ver-
on in der EU, in: ÖJBfP 1995, S. 461-483, hier S. 482-483. Zur Rolle Purtschers im Integrationsprozeß vgl. Vorarlberg Bericht
(1997) 88, S. 14-16.
48
Grabherr (wie Anm. 1), S. 308-310; Vorarlberg Bericht (1974) 9, (1988) 56, (1992) 71, S. 2-3; Keßler (wie Anm. 20), S. 4654; Hubert Senn, Die Entstehung der Arbeitsgemeinschaft Alpenländer, in: Nachbarn im Herzen Europas. 20 Jahre Arbeitsgemeinschaft Alpenländer, München 1992, S. 9-19.
49
SteSi 25. LT, 6. Sitzung 7.7.1993, S. 401-413; SteSi 26. LT, 4. Sitzung 17.5.1995, S. 175; Vorarlberger Nachrichten
18.4.1995, S. A3; Enzelsberger (wie Anm. 46), S. 482.
50
Vorarlberg Bericht (1993) 74, S.17, (1994) 77, S. 26-27; Mette Bach, Grenzüberschreitende regionale Zusammenarbeit am
Beispiel der Internationalen Bodenseekonferenz, Praktikumsprojekt (masch.), St. Gallen 1996, S. 15-25; Enzelsberger (wie.
Anm. 41); Vorarlberger Nachrichten 26.6.1994, S. A5.
51
Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S. 563-570; Anton Pelinka, Die Ordnung der Macht. Demokratie, Politik und
politisches System in Vorarlberg, in: Dermutz/Klein/Nick/Pelinka (wie Anm. 34), S. 19-103; Werner Brandtner/Hannes Müller, Der Einfluß des Volkes auf die Gesetzgebung des 22. Vorarlberger Landtages, in: Montfort 32 (1980) 2, S. 89-103.
52
Martin Purtscher, Die neue Vorarlberger Landesverfassung, in: ÖJBfP 1984, S. 387-399; Brandtner/Hämmerle/Müller (wie
Anm. 4), S. 574-580; Grabherr (wie Anm. 1), S. 299-301; Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 388-393; Winder (wie Anm. 34), S.
129-146 und 150. Kommentare zur Landesverfassung: Werner Brandtner, Die reformierte Landesverfassung (1984), in: Montfort 36 (1984) 2 S. 111-143; Werner Brandtner/Harald Schneider (Hg.), Landesverfassung mit Materialien, Bregenz 1995;
Peter Pernthaler/Georg Lukasser: Vorarlberg , Wien 1995 (= Heinz Schäffer (Hg.), Das Verfassungsrecht der Bundesländer,
Bd. 2/8).
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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fassungssystems noch erheblich verstärkt. Zudem installierte Vorarlberg als erstes Land einen
Landesvolksanwalt.
Mit dieser Verfassungsreform setzte sich der Landtag selbstbewußt gegen die Einwände des
Bundeskanzleramtes hinweg und wurde damit beispielgebend für Verfassungsreformen anderer Länder53. Mit einer Novelle 1994 wurde die Mitwirkung des Landtages in Angelegenheiten
der europäischen Integration geregelt54.
Die ÖVP, die bis 1949 sogar allein über eine Zweidrittelmehrheit im Landtag verfügte, war in
der Verfassungsgesetzgebung um die Zustimmung aller Landtagsfraktionen bemüht. Sämtliche Verfassungsänderungen wurden in dritter Lesung einstimmig beschlossen. Bei der Reform 1984 war dies nur möglich, weil die ÖVP der Sozialistischen Partei (SPÖ) in deren neuen
Rolle als Landtagsopposition mit Kontrollrechten entgegenkam55. Damit wurde der geänderten
Realverfassung, der Beendigung der Ära der Konzentrationsregierungen 1974, Rechnung getragen.
4. Regierungssystem: von einer Konkordanz- zur Konkurrenzdemokratie
Gemäß Bundes- und Landesverfassung ist das Land Vorarlberg eine parlamentarische Demokratie. Das Vorarlberger Regierungssystem weist dabei gegenüber den anderen Bundesländern zwei Charakteristika auf: Das repräsentative System ist durch relativ weitreichende
und “niederschwellige” Möglichkeiten direkter Demokratie abgeschwächt oder ergänzt und auf
eine klare parlamentarische Konkurrenzdemokratie zugeschnitten56. Die Realverfassung entsprach aber nicht in allem der Formalverfassung.
Verfasste Konkurrenz, geübte Konkordanz
Wird in anderen Bundesländern die Landesregierung nach dem Verhältniswahlrecht (Proporzsystem) bestellt, kürt der Vorarlberger Landtag seit 1923 alle Mitglieder der Landesregierung nach dem Mehrheitswahlrecht (Majorzsystem)57. Die Sozialdemokraten traten von Be53
Vgl. Pernthaler/Lukasser (wie Anm. 51), S. 7.
Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S. 586-587.
55
Vgl. SteSi 23. LT, 2. Sitzung 14.3.1984, S. 18-54, und SteSi 25. LT, 5. Sitzung 27.5.1992, S. 258-264. Wanner 1995 (wie
Anm. 34), S. 389-390; Winder (wie Anm. 34), S. 129-145.
56
Vgl. Joseph Marko, Die Verfassungssysteme der Bundesländer: Institutionen und Verfahren repräsentativer und direkter
Demokratie, in: Herbert Dachs u.a. (Hg.), Handbuch des politischen Systems Österreichs (wie Anm. 29), S. 729-743.
57
Pelinka (wie Anm. 50), S. 28-33; Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S. 552, 568; Brandtner/Schneider (wie Anm.
51), S. 42-43, 59; Marko (wie Anm. 55), S. 735-737; Pernthaler/Weber (wie Anm. 29), hier S. 759-760. Herbert Dachs, Der
Regierungsproporz in Österreichs Bundesländer - ein Anachronismus? In: ÖJBfP 1994, S. 623-636; Jenny (wie Anm. 5), S. 7754
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ginn an gegen diesen Majorz ein. Mit ihren Wahlerfolgen in den 1990er Jahren begann sich
auch die Freiheitliche Partei (FPÖ) für den Proporz zu erwärmen58. Denn die ÖVP hätte dank
einer absoluten Mandatsmehrheit aufgrund der Verfassung jederzeit allein regieren können.
Sie bildete jedoch 1945 mit der SPÖ eine Konzentrationsregierung, in die 1949, nach seinem
Einzug in den Landtag, auch der Wahlverband der Unabhängigen (WdU) aufgenommen wurde, aus dem später die FPÖ hervorging. Diese Konsens- oder Konkordanzdemokratie entsprach wohl auch den Vorstellungen der Besatzungsmacht.
Halbherziger Übergang zur parlamentarischen Konkurrenzdemokratie
Im Wahljahr 1969 bahnte sich eine Zäsur an. Mit Unterstützung der FPÖ übernahm die ÖVP
die Führung in der bisher SPÖ-dominierten Vorarlberger Arbeiterkammer und stellte mit Bertram Jäger den ersten christdemokratischen Arbeiterkammerpräsidenten Österreichs. Die Landes-SPÖ reagierte im Aufwind der Kreisky-Ära mit einem selbstbewußten Konfrontationskurs.
Die Regierungsverhandlungen nach den Landtagswahlen 1974 scheiterten, die SPÖ schied
aus der Landesregierung aus. Damit wurde ein entscheidender Schritt in Richtung parlamentarischer Konkurrenzdemokratie getan, allerdings nicht mit aller Konsequenz: die Tradition der
“übergroßen Regierung” wurde beibehalten - sei es aufgrund der politischen Kultur, der Vorarlberger Tradition seit 1923, sei es aus wahlstrategischen Überlegungen59. Die ÖVP-FPÖRegierung hatte - mit Ausnahme der Periode 1984-1989 - immer eine Zweidrittelmehrheit des
Landtages hinter sich, ab 1994 als “große Koalition” sogar eine Dreiviertelmehrheit60.
Die faktischen Veränderungen im Regierungssystem lassen sich anhand der Interpellationspraxis gut veranschaulichen. Bis 1969 wurde vom Interpellationsrecht, das als Informationsrecht der Landtagsabgeordneten zur Kontrolle der Regierung dienen soll, praktisch kaum
Gebrauch gemacht61. In der Landtagsperiode 1969-1974, in der sich der Regierungspartner
SPÖ als “Bereichsopposition” zu profilieren versuchte, stieg die Zahl der Landtagsanfragen
an Regierungsmitglieder auf 27, und nahm anschließend sprunghaft zu - 1974-1979 197 Interpellationen, 1979-1984 255, 1984-1989 293, 1989-1994 457. Die Quantensprünge lassen
sich gut nachvollziehen: Ab 1974 gab es mit der SPÖ erstmals eine Landtagsopposition, 1984
zog mit den Grünen eine zweite Oppositionspartei in den Landtag ein, ab 1989 versuchte der
85, der zur Regierungsbildung in Vorarlberg eine sehr interessante und informative Arbeit vorgelegt hat, die leider noch unveröffentlicht ist .
58
Vgl. LH Purtscher SteSi 25. LT, 3. Sitzung 13.4.1994, S. 128-130.
59
Vgl. Schlußfolgerungen von Jenny (wie Anm. 5), S. 134-135. Zudem Winder (wie Anm. 34), S. 25 f., 48, 65-75 und 177.
60
Zur Mandatsverteilung nach 1945: Vorarlberg Bericht (1995) 83, S.18. Für die Bestellung des Landesvolksanwaltes war
1984 in der Landesverfassung eine Dreiviertelmehrheit festgelegt worden, womit eine Bestellung ohne Zustimmung der SPÖ
zunächst unmöglich war.
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kleine Regierungspartner FPÖ, wie seinerzeit die SPÖ, sich im Landtag zugleich als Opposition zu profilieren. Allerdings zog daraus weder die ÖVP noch die FPÖ die Konsequenz. 1994
rang sich die ÖVP zu einer Erneuerung des Bündnisses mit der FPÖ durch, allerdings unter
der Voraussetzung, daß die FPÖ sich “ihrer Regierungsrolle und ihrer Regierungsverantwortung voll bewußt ist und eine echte Partnerschaft in Regierung und Landtag gewährleistet”62. Aber allein 1995 wurden ÖVP-Regierungsmitglieder rund 40mal vom Regierungspartner FPÖ interpelliert63. - Diese Anfrageninflation war von einer spürbaren Verlagerung der
parlamentarischen Diskussion aus dem Landtag ins mediale Vorfeld begleitet.
Adaptierung der parlamentarischen Kontrollrechte
Der Schritt in Richtung parlamentarischer Konkurrenzdemokratie wurde 1974 durchaus nicht
als logisch empfunden, obwohl die “Notgemeinschaft” der Nachkriegsjahre längst Geschichte
war. Noch zwanzig Jahre später ging die ÖVP mit der Zusicherung in den Wahlkampf, eine
zweite Landtagsfraktion in die Regierung aufzunehmen64. Als Konsequenz der Beendigung
der Allparteienregierung wurde eine Ausbalancierung der neuen Konstellation gefordert und
ein Stück weit auch zugestanden. Bereits 1974 installierte der Landtag einen eigenen Kontrollausschuß65. Bei der Verfassungsreform 1984 wurden die parlamentarischen Kontrollrechte
deutlich verstärkt.
Der Landtag gab sich das Recht, künftig “zur Prüfung behaupteter Mißstände in der Verwaltung” Untersuchungskommissionen einzusetzen, allerdings nur mit Mehrheitsbeschluß66. Anträge der Opposition fanden in der Folge nie eine Mehrheit67. 1992 griff die SPÖ im Zusammenhang mit einem Konflikt zwischen zwei Landesbeamten zum Mittel des Mißtrauensvotums
gegen Landeshauptmann Purtscher, blieb damit aber allein68. Als Minderheitenrecht wurde
61
In den vier Landtagsperioden 1945-1964 wurden je zwei Anfragen gestellt, 1964-1969 nur eine. Zur Entwicklung 1945-1978
Siegbert Morscher, Die politischen Kontrollbefugnisse des Vorarlberger Landtages, Innsbruck 1979, S. 48-55, 59; Winder (wie
Anm. 34), S. 80 f. und 117 f.
62
LH Purtscher SteSi 26. LT, 2. Sitzung 19.10.1994, S. 21.
63
Von insgesamt 108 Anfragen, wurden 11 nicht dem Landtagsprotokoll angehängt; vermutlich betrafen sie nicht die Landesverwaltung und wurde daher nicht oder außerparlamentarisch beantwortet. Die verbleibenden 97 Interpellationen verteilen sich
wie folgt: FPÖ 39, Grüne 37, SPÖ 19, ÖVP 2. SteSi 26. LT. Vgl. kritisch bereits LT-Präsident Jäger SteSi 24. LT, 7. Sitzung
6.7.1989, S. 436.
64
LH Purtscher SteSi 26. LT, 2. Sitzung 19.10.1994, S. 20-21. Zu 1974 vgl. Winder (wie Anm. 34), S. 74 f.
65
Morscher (wie Anm. 60), S. 35. Vgl. allerdings Winder (wie Anm. 34), S. 51-54 und 82 f.
66
Landesverfassung Art. 64, Vorarlberger Landesgesetzblatt (künftig: LGBl) 30/1984, 35/1994. Zur Kontrollfunktion der
Landtage vgl. Marko (wie Anm. 54), S. 733-735; Schäffer (wie Anm. 29), S. 751-754.
67
Anträge: SPÖ 1984 “Renner” (Beilage 9/1984), SPÖ 1985 “Meda” (Beilage 34/1985), SPÖ 1986 “Dornbirner Gasgesellschaft” (Beilage 15/1986), SPÖ 1986 “Tierkörperverwertungsanlage” (Beilage 30/1986), Grüne 1991 “Arlberg-Straßentunnel
AG” (Beilage 35/1991, behandelt 1993), SPÖ 1992 “Hampl-Beck” (Beilage 24, 29 und 31/1992), jeweils SteSi. Vgl. aufschlußreiche Debatte SteSi 25. LT, 5. Sitzung 27.5.1992, S. 252-294.
68
SteSi 25. LT, Beilage 29/1992, und 5. Sitzung 27.5.1992, S. 252-294. Ebenfalls keine Mehrheit fand 1996 ein Mißtrauensamtrag gegen FPÖ-LR Hubert Gorbach im Zusammenhang mit der sogenannten “Krumpendorf-Affäre” des FPÖ-Obmanns
Haider, die in Vorarlberg zu einer Regierungskrise führte. SteSi 26. LT Beilage 4/1996 und 1. Sitzung 31.1.1996, S. 5-28;
Vorarlberger Nachrichten 2.1.1996, S. A3, 5.1.1996, S. A1, 9.1.1996, S. A4, uns 1.2.1996, S. A4.
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zum einen einem Drittel des Landtages oder Kontrollausschusses das Recht eingeräumt, zur
finanziellen Kontrolle das neue Prüfungsanträge an die Kontrollabteilung im Amt der Landesregierung oder an den Rechnungshof zu stellen69. Zum anderen wurde einem Drittel des
Landtages das Recht zugestanden, Landesgesetze beim Verfassungsgerichtshof anzufechten. Als “besondere Einrichtung politischer Kontrolle” kennt die Vorarlberger Landesverfassung die Verpflichtung der Landesregierung, jährlich einen Rechenschaftsbericht über das
abgelaufene Verwaltungsjahr zu erstatten70.
Erweiterte Möglichkeiten direktdemokratischer Mitgestaltung
Gleichzeitig wurden die außerparlamentarischen Einflußmöglichkeiten der Bürger und Gemeinden ausgebaut. Die Stärkung der Initiativrechte der Bürger, der direkten Demokratie im
engeren Sinn, entsprach dem konservativ-föderalen Vorbild Schweiz. Nicht nur in Angelegenheiten der Gesetzgebung, sondern auch in Fragen der Landesverwaltung wurde 1984 die
Möglichkeit des Volksbegehrens eingeräumt und zusätzlich das neue Instrument der Volksbefragung. Die Zahl der Wählerunterschriften, die zur Initiierung von Volksbegehren oder
Volksabstimmungen notwendig sind, waren bereits 1949 von jeweils 15.000 auf 5.000 bzw.
10.000 gesenkt worden und durch das Bevölkerungswachstum relativ weiter gefallen. Für eine
Volksabstimmung war 1949 noch die Unterstützung von 9,2 Prozent, 1969 von 6,5 Prozent,
1989 von 4,8 Prozent der Stimmberechtigten notwendig71; für die Initiierung eines Volksbegehrens oder einer Volksbefragung jeweils die Hälfte.
Wenn auch etwas häufiger als in anderen Ländern, wurde von den diesen Instrumenten doch
nur sehr selten Gebrauch gemacht72. Nach 1945 gab es auf Landesebene nur zwei Volksabstimmungen und ein erfolgreiches Volksbegehren. Der Landtag legte dem Volk kein Gesetz
zur Abstimmung vor, die “Föderalismusabstimmung” 1980 bezog sich nur auf ein Verhandlungsmandat. Immerhin gelang es aber der SPÖ-dominierten Arbeiterkammer 1957 erstmals
in Österreich, mit einer von ihr initiierten Volksabstimmung über einen Gesetzesbeschluß (Gesetzesreferendum) ein Verbot von “Betriebsaktionen” zu Fall zu bringen73. 1962 war die Arbeiterkammer mit einem Volksbegehren auf Abänderung des Grundverkehrsgesetzes teil69
Landesverfassung LGBl 30/1984, 35/1994, Art.
Morscher (wie Anm. 60), S. 55. Zum Rechenschaftsbericht war bereits der Landesausschuß dem Landtag nach der Landesordnung 1861 verpflichtet; er bezog sich allerdings nur auf die Beschlüsse des Landtages. Diese Verpflichtung wurde in die
Landesverfassungen 1919 und 1923 übernommen. 1926 bis 1931 wurde erstmals auch über “sonstige Verwaltungstätigkeit der
Vorarlberger Landesregierung” berichtet.
71
Berechnet auf Grundlage der Stimmberechtigten der Landtagswahlen 1949, 1969 und 1989. 1994 hätte das Quorum noch 4,6
Prozent betragen. Wählerdaten nach: Statistisches Jahrbuch für die Republik Österreich, hg. vom österreichischen statistischen
Zentralamt. 47 (1996), S. 414.
72
Siegbert Morscher, Landesgesetzgebung und direkte Demokratie, in: Schambeck (Hg.) Föderalismus, S. 137-165 und 152165; Nick (wie Anm. 34), S. 114-170; Jenny (wie Anm. 5), S. 24-31, 97-106, 123-124.
73
LGBl 8/1957.
70
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weise erfolgreich74. 1989 wurde im Klostertal erstmals eine Volksbefragung in einer Verwaltungsangelegenheit (LKW-Nachtfahrverbot) durchgeführt75.
Direkte Demokratie als Fortsetzung parlamentarischer Opposition
Während das direktdemokratische System der Schweiz in den 1990er Jahren in eine Funktions- und Sinnkrise geriet76, forderte FPÖ-Bundesparteiobmann Jörg Haider eine stark plebiszitäre “Dritte Republik” zur Überwindung der parlamentarisch-repräsentativen Zweiten Republik. Daher verlangte Landeshauptmann Purtscher von der Vorarlberger FPÖ 1994 als Voraussetzung für eine neuerliche Regierungsbeteiligung ein klares Bekenntnis “zur bewährten
parlamentarischen Demokratie”77. Auch die SPÖ sprach sich vehement gegen Haiders
Pläne aus, setzte andrerseits aber bereits seit dem Ausscheiden aus der Landesregierung
1974 selbst auf mehr Mitwirkungsrechte der Gemeinden in der Landespolitik, um auf diesem Umweg einer “mediatisierten” direkten Demokratie die parlamentarische Opposition
mit anderen Mitteln fortsetzen und die Landtagsmehrheit plebiszitär “aushebeln” zu können78.
Wenn die Instrumente der direkten Demokratie auch selten angewandt wurden, so ist doch zu
berücksichtigen, daß sie bei Entscheidungen des Landtages und der Landesregierung auch
als “Ruten im Fenster” wirkten, denen sich Opposition, Gemeinden, Medien und Bürgerinitiativen erfolgreich bedienten79. Bezeichnend ist, daß die Forderungen von “Pro Vorarlberg” 1979
nicht als Volksbegehren, sondern - von den “Vorarlberger Nachrichten” forciert - als Petition
eingebracht wurden80. Verstärkt wurde dieser “Lobbyismus” durch die Demoskopie; anstelle
echter Plebiszite wurden Meinungsumfragen auf mehr oder weniger wissenschaftlicher
Grundlage als informelle “Bürgerentscheide” entscheidungsrelevant.
“Demokratur” - Gewaltenteilung bei absoluter Mehrheit
74
Auch der Arbeiterkammer wurde nun zugestanden, ein Mitglied für die Grundverkehrs-Landeskommission (nicht aber für
die Ortskommissionen) vorzuschlagen. SteSi 19. LT, Beilage 14 und 16/1962, und 5. Sitzung 27.7.1962, S. 161-167. Zu beiden
Aktionen: Gerhard Wanner, Die Kammer für Arbeiter und Angestellte für Vorarlberg 1944-1985. Ein Beitrag zur Vorarlberger
Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, Feldkirch 1986, S. 18-21.
75
Die Bevölkerung folgte der Empfehlung der Landesregierung und lehnte ein Nachtfahrverbot ab; Amtsblatt für das Land
Vorarlberg 19/1989, 30/1989 (künftig: ABlV).
76
Einschneidend wirkte der Volksentscheid gegen einen EWR-Beitritt im Dezember 1992, obwohl Bundesrat und Bundesparlament klar dafür votiert hatten. Die Halbkantone Nidwalden (1996) und Appenzell Außerrhoden (1997) schafften die Landsgemeinden ab, Obwalden wird möglicherweise noch 1998 darüber entscheiden. In Appenzell Außerrhoden und Glarus wird ebenfalls über die Sinnhaftigkeit der Landsgemeinden diskutiert. Neue Zürcher Zeitung 2.12.1996, S. 15, 29.9.1997, S. 11,
9.1.1997, S. 11.
77
SteSi 26. LT, 2. Sitzung 19.10.1994, S. 21; ebd., S. 21-23, zur Abwägung repräsentativer und plebiszitärer Demokratie; vgl.
bereits LT-Präsident Jäger, SteSi 25. LT, 10. Sitzung 12./13./14.12.1990, S. 891-892.
78
Vgl. Pelinka (wie Anm. 50); Jenny (wie Anm. 5), S. 97-106 und 124.
79
Vgl. Nick (wie Anm. 34), S. 112; Jenny (wie Anm. 5), S. 104.
80
SteSi 23. LT, Beilage 7/1979.
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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Bei der Frage nach der Gewaltenteilung ist bedenken, daß die ÖVP-Führungsriege der Nachkriegsjahre durchwegs in der Zeit des autoritären Ständestaates politisch geprägt worden
war81. Eine scherzhafte Bemerkung von Bundeskanzler Julius Raab, Vorarlberg sei kein Demokratie, sondern eine “Demokratur” hat Landeshauptmann Ulrich Ilg “mehr gefreut als gekränkt”, sah er darin doch eine Bestätigung, “daß man sich bei seinen Entscheidungen zuerst
von seinem Gewissen leiten lassen muß und erst in zweiter Linie sich fragt, was das Volk dazu sagt”82. Dies war ein Bekenntnis zum freien Mandat, mehr noch aber ein Credo einer “Demokratie mit verantworteter Autorität”83. Dieser Geist prägte ein Stück weit auch die ersten
“Jungbürgerbücher”, mit denen die Jugend sehr informativ in die Demokratie eingeführt wurde84. Für das traditionelle Verständnis von Gewaltenteilung und -verschränkung zwischen Gesetzgebung und Verwaltung spricht der Umstand, das Landeshauptmann Ilg, wie seine Vorgänger in der Zwischenkriegszeit, bis 1949 zugleich als Landtagspräsident fungierte. 1969
wurde in der Landesverfassung verankert, daß Regierungsmitglieder nicht dem Landtagspräsidium angehören dürfen85.
Landtag: mehr Regierungskontrolle, weniger Legislative
Auf Ilg folgte als Landtagspräsident der Rechtsanwalt Josef Feuerstein. 1964 erfolgte mit der
Wahl des Rankweiler Bürgermeisters Herbert Keßler zum Landeshauptmann und des Bregenzer Bürgermeisters Karl Tizian zum Landtagspräsidenten in der Führung der Wechsel von
der Vorkriegs- zur Kriegsgeneration. Tizian resümierte 1969, der Landtag sei mit dem Vorsatz
an die Arbeit gegangen, “Rolle und Tätigkeit der Gesetzgebung zu stärken” und mit Stolz verwies er darauf, daß die Landtagskanzlei aus dem Amt der Landesregierung herausgelöst und
damit “erstmalig und vielleicht vor anderen Bundesländern auch in der Rechtssetzung dem
Landtag ein selbständiges Organ [...] zur Verfügung gestellt wurde”86. Sein Nachfolger Martin
Purtscher (1974-1987) analysierte hingegen 1984 nüchtern: “Der Schwerpunkt der politischen
Machtentscheidung liegt bei Regierung und Verwaltung, die klassische Rolle des Parlaments
81
Vgl. Plitzner (wie Anm. 5), S. 603-604 und 608; Leo Haffner, Von der Sünde, tugendhaft zu sein, in: Kultur 12 (1997) 10, S.
36, 38 und 40, hier S. 36.
82
Ilg (wie Anm. 13), S. 76; vgl. Pelinka (wie Anm. 50), S.34-37; Karl Weber, Landesgesetzgebung und Landesregierung. Eine
Untersuchung zur verfassungsrechtlichen Ausgestaltung der Gewaltenteilung in den österreichischen Bundesländern, in:
Schambeck (wie Anm. 4), S. 97-136.
83
Arnulf Benzer, Ulrich Ilg 1905-1986, in: Vorarlberger Volkskalender 1987 (1986), S.126-127, hier S. 126.
84
Seit 1946 werden in Vorarlberg “Jungbürgerfeiern” durchgeführt. Zu diesem Zweck hatte bereits LH Ulrich Ilg die Broschüre “Uns alle geht es an. Eine Wegleitung für den jungen Staatsbürger” (Dornbirn o.J.) verfaßt. 1953 erschien erstmals ein
Jungbürgerbuch.
85
Bis 1918 war der “Landeshauptmann” nicht Regierungschef, sondern “nur” vom Kaiser ernannter Vorsitzender des Landtages und Landesausschusses. Abgesehen von Juli bis Oktober 1934, zwischen Rücktritt von LH Otto Ender und Inkrafttreten
der autoritären Landesverfassung (LT-Präsident Adolf Vögel) und dem ständisch-autoritären Landtag 1934-1938 (LTPräsident Franz Erne), wurden von 1918 bis 1949 immer die Landeshauptmänner zuvor auch zu Landtagspräsidenten gewählt.
Vgl. Vorarlberg Chronik (wie Anm. 32), S. 284-286.
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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als Gesetzgeber tritt gegenüber der immer bedeutungsvolleren Kontrollfunktion in den Hintergrund.” Gerade 7 Prozent der Diskussionsbeiträge der Landtagsperiode seien Gesetzesmaterien gewidmet gewesen87. Darin kommt zunächst einfach der Übergang zur parlamentarischen
Konkurrenzdemokratie zum Ausdruck; denken wir nur an die einsetzende “Anfragenflut”. Die
Umgestaltung des Landtags zur medialen Bühne tat ein übriges. Zu prüfen bliebe, inwieweit
die Zeit, die der Landtag in die Gesetzgebung investierte, auch absolut zurückgegangen ist.
In der Landtagsperiode 1974-1979 gingen 89 Prozent der Gesetzesanträge und über 97 Prozent der Gesetzesbeschlüsse formell auf Regierungsvorlagen zurück; aber nur 15 Prozent
wurden durch den Landtag unverändert verabschiedet und mehr als 40 Prozent der Regierungsanträge sogar erheblich geändert88. Zudem gehen auch Regierungsvorlagen häufig Initiativen von Abgeordneten voraus und vor Einbringung von Regierungsvorlagen wurden die
Vorentscheidungen meist bereits durch den Landtagsklub der ÖVP-Mehrheitsfraktion getroffen. Die eigene Landtagsfraktion war der erste und mitunter auch härteste parlamentarische
Prüfstein der Landesregierung89.
Außerordentliche Kontinuität in der Regierung
Bis 1974 hätte die Landesregierung einem Regierungsmitglied zur Unterstützung hinsichtlich
einzelner Teile seines Referats einen “Landesregierungsreferenten” beigeben können, dessen
Stellung “parlamentarischen Staatssekretären” vergleichbar war90. Von dieser Möglichkeit der
Verschränkung von Parlament und Regierung, wurde allerdings nur bis 1949 “ad personam”
Gebrauch gemacht91.
86
SteSi 20. LT, 8. Sitzung 16./17.7.1969, S. 352 bzw. 353.
SteSi 23. LT, 6. Sitzung 11./12.7.1984, S. 335. Vgl. Winder (wie Anm. 34), S. 78 und 80.
88
Werner Brandtner/Johannes Müller, Der Einfluß des Volkes auf die Gesetzgebung des XXII. Vorarlberger Landtages, in:
Montfort 32 (1980) 1, S. 89-103, hier S. 96. Pelinka (wie Anm. 50), S. 23-24. Seit 1991 werden im LGBl die Gesetzesinitiativen ausgewiesen. 1991-1995: 82 Regierungsvorlagen, 1 Ausschußvorlage, 8 Selbständige Anträge, 0 Volksbegehren. Zu beachten ist, daß in diese Zeit auch rund 30 formelle EWR/EU-Anpassungen fallen.
89
Jenny (wie Anm. 5), S. 92-96.
90
Diese Möglichkeit hatte bereits die Geschäftsordnung (künftig: GO) der Landesregierung von 1924 (LGBl 29/1924) vorgesehen und wurde in die GO 1946 (LGBl 3/1946, § 7 Abs. 3) übernommen. Der “Landesregierungsreferent” war “ein der Regierung nicht angehörendes Hilfsorgan (...), das entweder Mitglied des Landtages ist oder früher dem Landtage oder der Landesregierung angehört hat”. Er war dem ressortführenden Regierungsmitglied unterstellt und weisungsgebunden. Er konnte an den
Sitzungen der Landesregierung teilnehmen, wenn in seinen Wirkungsbereich fallende Fragen zur Behandlungen kamen, allerdings nur mit beratender Stimme und ohne Antragsrecht (nach der GO 1924, § 9, hatte er sogar Antragsrecht gehabt), in der
GO 1974 (LGBl 50/1974) wurden keine “Landesregierungsreferenten” mehr vorgesehen. Nachbaur (wie Anm. 4) S. 21 und
57.
91
1945 wurden Bundesrat Eugen Leissing (ÖVP) für kulturelle Angelegenheiten und LT-Abgeordneter Karl Zerlauth (ÖVP)
zur Leitung des Landesernährungsamtes als Referenten betraut. Beide waren Mitglied des LA 1945 gewesen. Nach der LTWahl 1949 wurde von einer Wiederbestellung abgesehen. 1993 forderte der FPÖ-LT-Klubobmann, den nicht wiederbestellten
Illwerke-Direktor Rainer Reich zum Landesregierungsreferenten für Illwerkefragen zu machen. Ilg (wie Anm. 13), S. 65; Jenny (wie Anm. 5), S. 40, 42 und 88. Salzburger Nachrichten 27.2.1993, S. 23.
87
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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Die Legistik, das Gesetzgebungsreferat, galt als ein Schlüsselressort, das fast durchwegs vom
Landeshauptmann, Landesstatthalter oder Finanzreferenten und immer von der ÖVP geführt
wurde92. Mit Ulrich Ilg (1945-1964), Herbert Keßler (1964-1987) und Martin Purtscher (19871997) standen während fünf Jahrzehnten nur drei Landeshauptmänner an der Spitze des
Landes. Kontinuität prägte die gesamte Regierungsmannschaft93. Erst mit der Wahl des Bregenzer Bürgermeisters und langjährigen Landestatthalters Siegfried Gasser zum Landtagspräsidenten 1994 und von Landesstatthalter Herbert Sausgruber zum Landeshauptmann
1997 erfolgte in der Führung von Parlament und Regierung der Wechsel zur Nachkriegsgeneration.
Das Finanzressort, eine ÖVP-Domäne (Adolf Vögel 1945-1964, Ulrich Ilg 1964-1969, Rudolf
Mandl 1969-1984, Guntram Lins 1984-1994, Herbert Sausgruber ab 1994), war nach dem
Landeshauptmann das Schlüsselressort schlechthin. Mit einer absoluten Mehrheit in Landtag
und Regierung, verstärkt durch das Majorzprinzip, war die ÖVP zu keinen kostspieligen Kompromissen (“do ut des”) gezwungen. Ihre Philosophie lautete: In guten Zeiten sparen, um gerade auch in schlechteren Zeiten investieren zu können94. Ab den 1970er Jahren mußten für
größere Investitionen erstmals beschränkt Kredite aufgenommen werden. Gleichzeitig wurden
höhere Erträge aus den Illwerken erstritten95, die wesentlich dazu beitrugen, daß das Land
Vorarlberg trotz enormen Budgetsteigerungen und hohen Investitionsquoten ab 1984 keine
zusätzlichen Schulden mehr machen mußte. Landesgesetzgebung und -verwaltung waren die
Instrumente dieser Finanzpolitik und zugleich maßgeblich durch sie bestimmt.
5. Kreative Landesgesetzgebung in engem Korsett
Die nationalsozialistische Diktatur hatte versucht, alle Lebensbereiche zu erfassen, zu steuern
und zu kontrollieren. Diese Regelungsdichte wurde nach 1945 nur teilweise abgebaut und
schrittweise “demokratisiert”. Reichsdeutsches Recht wurde beibehalten, wo es Fortschritte
gebracht hatte. So blieb das seinerzeit vorbildliche Reichsnaturschutzgesetz von 1935 in Vorarlberg am längsten als Landesrecht in Geltung. 1969 sollte es novelliert und als Naturschutz-
92
Jenny (wie Anm. 5), S. 48-50 und 92-94. Ressortverantwortlich waren: LH Ulrich Ilg 1945-1954, Landesstatthalter (künftig:
LStH) Ernst Kolb 1954-1958, LH Ulrich Ilg 1958-1959, Landesrat (künftig: LR) (ab 1964 LStH) Gerold Ratz 1959-1973, LR
(ab 1974 LStH) Rudolf Mandl 1973-1984, LR Guntram Lins 1984-1994, LStH Herbert Sausgruber 1994-1997, seit 1997 LR
Siegmund Stemer. Für Teilbereiche zuständig waren zudem 1973-1984 LR (ab 1984 LStH) Siegfried Gasser (Stellungnahmen
zu Gesetzen und Verordnungen des Bundes 1973-1984, Angelegenheiten des Völkerrechts 1974-1984; und LH Martin Purtscher (Europäische Integration 1993-1994).
93
Vgl. Jenny (wie Anm. 5), S. 42-46.
94
Ilg (wie Anm. 13), S. 77; Plitzner (wie Anm. 5), S. 608; Keßler (wie Anm. 20), S. 344-351; Wanner 1995 (wie Anm. 34),
S. 393-396; Vorarlberg Bericht 1989 (61), S. 6-7, 1994 (78), S. 10-11, 1994 (79), S. 12-13.
95
Vgl. unten, Abschnitt “Besonderheiten der unmittelbaren Bundesverwaltung”.
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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gesetz neu kundgemacht werden96. Dasselbe gilt für das Wohnsiedlungsgesetz von 1933, das
1962 novelliert wurde und bis 1973 die wesentliche Grundlage für die örtliche Raumplanung
bildete97. Im vorübergehend bayerischen Kleinwalsertal galt deutsches Recht, soweit es im
“Gebiet des Landes Österreich” nicht eingeführt worden war98, bis 1950 generell als Landesrecht99.
Leitbild einer Gesellschaft mit sozialer Marktwirtschaft
Eine Umkehr zu einem liberalen Ordnungsstaat war weder gewünscht noch möglich. Dem
Leitbild einer sozialen Marktwirtschaft, das Ende der 1980er Jahre auf “ökosozial” erweitert
wurde100, entsprach ein sozialer, planender und wirtschaftender Leistungsstaat, der zugleich
steigenden rechtsstaatlichen Ansprüchen gerecht werden mußte und auch zunehmenden
Nutzungskonflikten.
Dabei ermöglichten ein bis 1992 beinahe ungebrochenes volkswirtschaftliches Wachstum und
eine überdurchschnittliche Finanzkraft, fehlende Gesetzgebungskompetenzen mit leistungsstaatlichen Förderungsinstrumenten wettzumachen. So investierte Vorarlberg 1976 bis 1990
pro Kopf mehr in Erziehung und Unterricht, Forschung und Wissenschaft sowie Land- und
Forstwirtschaft als alle anderen Bundesländer und überdurchschnittlich viel in die Bereiche Industrie, Gewerbe und Umwelt101.
Pionier in mehreren Bereichen
96
LGBl 24/1969, 36/1969; SteSi 20. LT, Beilage 6/1969, S. 45, und 6. Sitzung 21.5.1969, S. 175-183. Vgl. Anton Allgeuer,
Die rechtlichen Grundlagen des Naturschutzes in Vorarlberg, in: Montfort 18 (1966) 1, S. 6-29, S. 10; Bernhard Röser, Die
große Novelle zum Landschaftsschutzgesetz. Natur- und Landschaftsschutzrecht in Vorarlberg, in: Montfort 34 (1982) 2,
S. 181-193.
97
LGBl 36/1962, 47/1962. SteSi 19. LT, Beilage 3/1963, Beilage 10/1972, und SteSi 21. LT, Beilage 4/1973. Wolf Juergen
Reith, Pragmatische Problemlösungen in der Vorarlberger Raumplanung. Zum Bericht “Grundlagen und Probleme der Raumplanung in Vorarlberg, in: Montfort 37 (1985) 2/3, S.188-198; Keßler (wie Anm. 20), S. 256-263.
98
Verordnung (künftig: VO) über die Einführung des Reichsrechts in den Gemeinden Jungholz und Mittelberg vom 27.5.1939,
RGBl I S. 971, GBlÖ 700/1939. Zunächst war in beiden Gemeinden Reichsrecht nur insoweit in Geltung gesetzt worden, als es
auch im Land Österreich eingeführt wurde (mit der Zweiten VO zur Durchführung des G über die Gebietsveränderungen im
Lande Österreich vom 5.10.1938, RGBl I S. 1339, GBlÖ 445/1938). Pfeifer (wie Anm. 1), S. 91-96.
99
Mit LGBl 37/1950 durch landesrechtliche Vorschriften ersetzt; SteSi 17. LT, Beilage 6/1950, S. 45, und 4. Sitzung
23.6.1950, S. 116-117; Hannes Müller, Das Zollausschlußgebiet Mittelberg, in Österreichische Zeitschrift für öffentliches
Recht und Völkerrecht, (1988) Suppl. 10, S. 55-67, hier S.62-63.
100
Propagiert wurde die “ökosoziale Marktwirtschaft” von ÖVP-Vizekanzler Josef Riegler. Mit dem Wirtschaftsprogramm
1989 erklärte sie erstmals die Vorarlberger Landesregierung zur Maxime eines Regierungsprogramms. Vgl. Die Vision einer
konkurrenzfähigen Wirtschaft in einer lebenswerten Umwelt. Ökosoziale Marktwirtschaft als Antwort auf die Herausforderungen der 90er Jahre. Das Wirtschaftskonzept des Landes Vorarlberg, hg. vom Amt der Vorarlberger Landesregierung, Bregenz
1989.
101
Friedrich Schneider/Gabriele Apfalter/Susanne Pech, Vergleichende Volkswirtschaftliche Analyse der österreichischen
Bundesländerbudgets von 1976 bis 1988, Studie Universität Linz, Erste Fassung, Manuskript (masch.), Linz 1990, S. 194;
Friedrich Schneider/Alfred Stiglbauer, Die Entwicklung der Budgets der österreichischen Bundesländer über den Zeitraum von
1981 bis 1990. Ergänzungsstudie, Studie Universität Linz, Erste Version, Manuskript (masch.), Linz 1992, S. 17-19.
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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Mit föderalistischem Impetus wurden zudem die Kompetenzspielräume der Gesetzgebung
konsequent ausgelotet und mitunter auch neue Felder (z.B. Umweltschutz, Sport, Kultur)
rasch besetzt, bevor die Bundesgesetzgebung aktiv wurde102. Zudem erforderte der wirtschaftliche Erfolg, mit allen seinen Folgererscheinungen, nicht nur eine einschränkende Umweltgesetzgebung; eine prosperierende Wirtschaft konnte sie auch eher in Kauf nehmen.
Diese Faktoren haben dazu beigetragen, daß Vorarlberg in mehreren Bereichen der Gesetzgebung zum Vorreiter wurde103. Gleichzeitig war man um eine “Verrechtlichung” der Verwaltung, speziell des Förderungswesens, bemüht: Kein staatliches Handeln ohne demokratische
gesetzliche Grundlage (Legalitätsprinzip). Dabei war die Landesgesetzgebung allerdings um
möglichst effektive Lösungen mit möglichst geringem Verwaltungsaufwand und damit auf
Subsidiarität bedacht.
Um einer “Gesetzesflut” vorzubeugen, war die Landesgesetzgebung ständig um Rechtsbereinigung bemüht. Mit der gesetzlichen Regelung von Materien wurden regelmäßig zahlreiche
Verordnungen und Erlässe ersetzt, die zum Teil bis weit ins 18. Jahrhundert zurückreichten104.
Die staatsrechtlichen Brüche 1918, 1934, 1938 und 1945 hatten dazu geführt, daß durch Überleitungsbestimmungen noch lange Zeit auch Rechtsvorschriften der Monarchie, der Bundes und des Deutschen Reiches als Landesrecht galten, was zu Rechtsunsicherheit führte105.
Auch die Rechtssetzung des autoritären Ständestaates (1934-1938) wirkte noch weit in die
Zeit der Zweiten Republik hinein; am nachhaltigsten im Gemeinderecht, für das bis 1965 im
wesentlichen die Gemeindeordnung von 1935 Bestand hatte. Durch ein vorbildliches Rechtsbereinigungsgesetz wurden 1992 fast alle vor 1960 in Kraft getretenen Landesgesetze samt
Novellen außer Kraft gesetzt106. Mit Stolz konnte der Legistikreferent 1994 darauf verweisen,
daß das Landesgesetzblatt nur etwa den doppelten Umfang der Jahre um 1950 habe, während sich der Umfang des Bundesgesetzblattes seither vervierfacht habe. Dem Landesgesetzgeber und der Landesregierung sei es also “relativ gut gelungen, das Landesrecht knapp
und verständlich zu halten”107.
102
Vgl. LT-Präsident Purtscher SteSi 22. LT, 6. Sitzung 4./5.7.1979, S. 329. Zum SportG 1968: SteSi 20. LT, Beilage 14/1967,
S. 294; 19. Beilage 1967, S. 457-458; Beilage 1/1968, S. 1-2.
103
Z.B. TierschutzG 1948, WohnbaufondsG 1950, GemeindeangestelltenG 1954, KörperbehindertenG 1956, SpitalbeitragsG
1958, Bäuerliches SiedlungsG 1959, BestattungsG 1969, SozialhilfeG 1971, LuftreinhalteG 1971, KulturförderungsG 1974,
FamilienförderungsG 1989. Vgl. u.a. Grabherr (wie Anm. 1), S. 301-305.
104
Vgl. LT-Präsident Tizian SteSi 21. LT, 5. Sitzung 17./18.7.1974, S. 317. Durch das StraßenG 1968 wurden 20 Verordnungen ersetzt, 23 durch das BestattungsG 1969, davon 6 Hofdekrete aus dem 18. Jh.
105
SteSi 25. LT, Beilage 48/1991, S. 2-3, 8. Sitzung 9.10.1991, S. 539-540.
106
LGBl 62/1991.
107
LR Guntram Lins 1994 im Vorwort zur neuen Vorarlberger Landesrechtssammlung, hg. im Auftrag des Amtes der Vorarlberger Landesregierung, Hard, Loseblattsammlung ab 1.7.1994, S.1. Zur Gesetzgebung vgl. Vögel (wie Anm. 25) 1861-1961,
S. 185-191; Bachmann (wie Anm. 25), S. 81-87; Grabherr (wie Anm. 1), S. 285-286 und 301-305; Bilgeri (wie Anm. 25), S.
203-220.
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Im Korsett des “Xeroxföderalismus”
Der geringe Umfang spiegelt freilich auch die beschränkten Gesetzgebungskompetenzen der
Länder wider, denen zudem in wichtigen Bereichen (z.B. Jugendfürsorge, Krankenanstalten,
Bodenreform) nur eine eng begrenzte Ausführungsgesetzgebung im Rahmen einer
Grundsatzgesetzgebung des Bundes zusteht. Gegen diesen “Xeroxföderalismus”108 kämpfte
der Landtag mit Ausführungsgesetzen an, die bis an die Grenzen gingen und darüber hinaus.
Bei verfassungsrechtlichen Einsprüchen der Bundesregierung faßte er regelmäßig Beharrungsbeschlüsse109. Dies macht begreiflich, weshalb Bestimmungen in 7 Prozent der Gesetzesbeschlüsse vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben wurden110.
Tabelle 1: Landesgesetze 1946 bis 1994 nach Sachgebieten in Prozent
Sachgebiete
Verfassung, Organisation, Landesund Gemeindeverwaltung, Wahlen
Dienstrecht
19461954
15%
Landtagsperioden (je zwei)
1954196419741964
1974
1984
11%
14%
15%
Gesamt
19841994
17%
15%
2%
5%
8%
14%
12%
9%
7%
4%
4%
8%
9%
7%
Kultur
11%
11%
7%
14%
4%
8%
Finanzrecht, Wohnbauförderung und
Vergaberecht
Gesundheit und Soziales
25%
16%
17%
6%
19%
17%
9%
28%
16%
10%
14%
15%
Natur- und Umweltschutz
2%
0%
5%
6%
6%
4%
Land- und Forstwirtschaft
20%
23%
20%
22%
11%
18%
Wirtschaft
5%
0%
4%
3%
4%
3%
Raumplanung, Baurecht und Verkehr
4%
4%
5%
3%
4%
4%
Innere Verwaltung
Quelle: Landesgesetzblätter 1946 bis 1994.
In den zehn Landtagsperioden 1946 bis 1994 wurden 429 Gesetzesbeschlüsse kundgemacht.
50 Prozent davon entfielen auf die drei Bereiche Land- und Forstwirtschaft, Finanzrecht sowie
Verfassung, Wahlen, Landes- und Gemeindeverwaltung. Spitzen erreichte die Gesetzgebung
häufig in Wahljahren. Allein in den Monaten vor der Landtagswahl 1949 wurden mit sicherer
Mehrheit noch zwanzig Gesetzesvorlagen aufgearbeitet, um dem neuen Landtag “keine Rück-
108
LH Purtscher SteSi 25. LT, 9. Sitzung 15.11.1993, S. 745.
LGBl 18/1952, vgl. Vögel (wie Anm. 25) 1861-1961, S. 187; Grabherr (wie Anm. 1), S. 305; andere Beispiele: LTPräsident Feuerstein SteSi 17. LT, 6. Sitzung 26.7.1954, S. 107; LT-Präsident Tizian SteSi 21. LT, 5. Sitzung 17./18.7.1974, S.
317; Bilgeri (wie Anm. 25), S. 205 und 212.
110
Seit 1949 sind im Landesgesetzblatt Aufhebungen verfassungswidriger Landesgesetze und gesetzwidriger Verordnungen
kundzumachen (vgl. LGBl 15/1948). Bis Ende 1996 wurden 29 Aufhebungen von Gesetzesbestimmungen im Zeitraum von
1948 bis 1994 kundgemacht. Zum Vergleich wurden in den ersten zehn LT-Perioden 1945 bis 1994 419 Gesetze kundgemacht.
109
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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stände zu hinterlassen”111. Erst im Zusammenhang mit der EWR-Anpassung 1993/94 wurde
dieser Gesetzgebungsumfang wieder erreicht. Manches “heiße Eisen” wurde allerdings vor
Wahlen bewußt nicht mehr aufgegriffen.
Abgesehen vom Föderalismus-Aspekt entsprach die Schwerpunktsetzung der Vorarlberger
Landesgesetzgebung im Zeitverlauf in etwa jener der anderen Landtage112; abweichend waren mitunter die Akzentuierung und die Lösungsansätze.
Zuerst das unbedingt Notwendige
In den ersten Nachkriegsjahren ging es vorrangig darum, die Rechtsordnung und die Verwaltungsstrukturen wiederherzustellen, die ersten Wahlen legistisch vorzubereiten (Landtag 1945
bzw. 1949, Landwirtschaftskammer 1950, Gemeinden 1950) und finanzielle Grundlagen für
den Wiederaufbau zu schaffen. Die stark beschnittene Finanzhoheit wurde weitgehend ausgenützt113. Gemeindesteuern, die 1939 per Verordnung eingeführt worden waren, mußten gesetzlich verankert werden114. Zum Wohl der Kriegsversehrten wurden Vergnügen aller Art besteuert, bis hin zum Preisjassen (Kriegsopferabgabe 1947)115.
Ein Schwergewicht wurde auf die Förderung der zunächst überlebenswichtigen und später
gefährdeten Landwirtschaft gelegt (Güter- und Seilwege-Landesgesetz 1947, Kulturpflanzenschutzgesetz 1949, Tierseuchenfondsgesetz 1949, Tierzuchtförderungsgesetz 1956) und eine
umfassende Bodenreform in Angriff genommen (Flurverfassungssgesetz 1951, Grundverkehrsgesetz 1954, Bäuerliches Siedlungsgesetz 1959). Gleichzeitig wurden beispielgebend
legistische Grundlagen für die Schaffung zusätzlichen Wohnraums gelegt (Wohnbaufondsgesetz 1950)116.
Ende der 1950er Jahre wurde das Spitalwesen auf eine neue Basis gestellt (Spitalbeitragsgesetz 1958, Spitalgesetz 1959)117, ebenso die Jugendfürsorge (1958). Mit einem Körperbehindertengesetz wurde 1956 erstmals in Österreich auch für “Zivilinvalide” ein Anspruch auf ein
Pflegegeld begründet; zunächst auf Blinde und Schwer-Körperbehinderte beschränkt, wurde
der Förderkreis 1962 auf geistig behinderte Menschen erweitert.
111
LT-Präsident Ilg SteSi 16. LT, 5. Sitzung 19.9.1949, S. 1.
Vgl. Schäffer (wie Anm. 29), S. 749.
113
So wurde aufgrund des Finanz-AusgleichG 1948 sofort von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, Druckerzeugnisse zu besteuern (Anzeigenabgabe und Plakatsteuer).
114
SteSi 17. LT, Beilage 10/1950, S. 51; Beilage 17/1953, S. 511; Beilage 5/1954, S. 49.
115
Zur “Vergnüngungsbesteuerung” vgl. Jörg Bergmeister, Die Lichtspieltheater in Vorarlberg, Innsbruck 1971, S. 66-95.
116
Zudem 1949 ein GrundsteuerbefreiungsG für kriegsbeschädigte Gebäude.
117
Herbert Tschofen, Die Sanitätsgesetzgebung mit besonderer Berücksichtigung des Spitalrechtes in Vorarlberg, in: Montfort
24 (1972) 3-4, S. 401-420.
112
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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Vom Notwendigen zum Nützlichen
In den 1960er Jahren kam die Schulreform 1962 des Bundes zum Tragen, die landesgesetzlich umgesetzt werden mußte118. Gleichzeitig konnte das Kindergartenwesen (1964) “zur Unterstützung und Ergänzung der häuslichen Erziehung”119 in den “Babyboom-Jahren” in einem
eigenen Landesgesetz geregelt werden. Ein neues Jugendschutzgesetz (1964) war noch sehr
vom patriarchalen Geist der Nachkriegszeit durchwirkt; erst 1977 wurde es durch ein aufgeschlosseneres Jugendgesetz ersetzt120. Nach langem Ringen wurden 1968 endlich Straßenbau, -erhaltung und -recht in einem Straßengesetz geregelt. Der forcierte Straßenbau der
Nachkriegszeit sollte nicht zuletzt der Tourismuswirtschaft dienen, zu deren Förderung und
Schutz 1966 ein Fremdenverkehrsgesetz beschlossen wurde. Andrerseits war bereits 1962
“rasch ein Gesetz zum Schutz des heimischen Bodens gegen Überfremdung”121 erlassen worden (Ausländergrunderwerbsgesetz 1962). Die Bundesverfassungsnovelle 1962 zwang
schließlich dazu, 1965 ein neues Gemeindegesetz zu erlassen.
Die gesetzliche Verankerung der Sportförderung 1968 markiert in etwa den Übergang vom
Notwendigen zum Nützlichen, der sich 1974 mit der gesetzlichen Selbstverpflichtung zur Förderung von Erwachsenenbildung, Wissenschaft, Kunst und Heimatpflege (Kulturförderungsgesetz) manifestierte122.
Sozialleistungen und Umweltschutz bei vollen Kassen
Neben weiteren sozialrechtlichen Verbesserungen durch das fortschrittliche Sozialhilfegesetz
1971 setzte in den 1970er Jahren eine umfassende Umweltgesetzgebung ein123. So wurde
1969 das Naturschutzgesetz neu gefaßt und 1971 - noch vor dem ersten Bericht des “Club of
Rome” über die Grenzen des Wachstums - eines der ersten Luftreinhaltegesetze Europas in
Kraft gesetzt. Andere Gesetze folgten (Landschaftsschutzgesetz 1973, Abfallgesetz 1974,
Kanalisationsgesetz 1976). Nach einem neuen Baugesetz (1972) rang sich der Landtag nach
jahrzehntelangen Diskussionen auch zu einem Raumplanungsgesetz (1973) durch. Gleichzeitig schuf Vorarlberg als eines der ersten Alpenländer Voraussetzungen für eine gezielte För118
SchulerhalterG 1960, SchulratsG 1963, PflichtschulorganisationsG 1963, PflichtschulzeitG 1965.
LGBl 33/1964, § 1 Abs. 2; vgl. SteSi 19. LT, Beilage 12/1964. S. 95.
120
Zur Jugendpolitik vgl. Wanner 1995 (wie Anm. 34).
121
SteSi 19. LT, Beilage 8/1963, S. 55.
122
SteSi 21. LT, Beilage 18/1973, S. 156-157; Reinhold Bernhard, Gedanken zur Kulturförderung in Vorarlberg, in: Montfort
38 (1986) 1, S. 76-80; Keßler (wie Anm. 20), S. 185-188; Erni Steinhauser, Kulturförderung als Staatsaufgabe dargestellt am
Beispiel Vorarlbergs, Diss. (masch.) Innsbruck 1992, S. 97-102.
123
Kunrich Gehrer, Der gesetzliche Schutz der Landschaft, in: Montfort 26 (1974) 4, S. 521-538; Keßler (wie Anm. 20),
S. 277-285.
119
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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derung der Berglandwirtschaft (Landwirtschaftsförderungsgesetz 1974)124. Im Kompetenzkonflikt mit dem Bund versuchte der Landtag, Bereiche der öffentlichen Sicherheit zu regeln. Ein
auch inhaltlich umstrittenes Sicherheitsgesetz (1975) wurde jedoch vom Verfassungsgerichtshof in seinen wesentlichen Punkten aufgehoben. Es folgten Spezialgesetze (Rettungsgesetz
1979, Katastrophenhilfegesetz 1979), einschließlich eines Sittenpolizeigesetzes (1976) zur
Bekämpfung der zunehmenden Straßenprostitution 125.
Die Gesetzgebung der 1980er Jahre, in einer langanhaltende Phase wirtschaflicher Hochkonjunktur bis 1992, spiegelt eine Intensivierung der Umweltschutzbemühungen quer durch
alle Regelungsbereiche wider126. Das Klärschlammgesetz 1985 machte gleichzeitig erstmals
Umweltfolgen von Umweltmaßnahmen sehr deutlich. Am Beispiel des Tourismus wurde erkannt, daß sich nur innerhalb ökologischer und raumplanerischer Grenzen auf längere Sicht
erfolgreich wirtschaften läßt127. Der erweiterte finanzielle Spielraum schlug sich in zahlreichen
sozialrechtlichen Verbesserungen nieder; sozialpolitische Pioniertaten waren die Einführung
von Familienzuschüssen (Familienförderungsgesetz 1989) und allgemeinen Pflegezuschüssen (auf Grundlage Sozialhilfeverordnung 1990, Landes-Pflegegeldgesetz 1993).
Europäischer “Xeroxföderalismus”
Der Beitritt Österreichs zum Europäischen Wirtschaftsraum 1994 und zur Europäischen Union
1995 erforderte die Anpassung von über 30 Landesgesetzen. Europäischen Richtlinien verpflichteten zudem zur Regelung neuer Bereiche
(z.B. Vergabegesetz 1994, Bauproduktege-
setz 1994, Umweltinformationsgesetz 1994).
Von den Bundesgesetzen, die vorrangig oder ausschließlich für Vorarlberg von Bedeutung
sind, ist das Stickereiförderungsgesetz (1956) hervorzuheben128. Interessant ist auch der
Staatsvertrag über den Flugplatz Altenrhein (1992), mit dem erstmals völkerrechtlich Lärmbeschränkungen vereinbart wurden.
Abschließend ist zu bedenken, daß die Landesverwaltung vielen Aufgaben nachkam, bevor
sie gesetzlich geregelt wurden. Bemerkenswert ist, daß bis 1953 quantitativ noch die Gesetzgebung dominierte, dann aber eine “Verordnungsflut” einsetzte; nicht zuletzt deshalb, weil die
124
Keßler (wie Anm. 20), S. 264-276; Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 400-404.
Keßler (wie Anm. 20), S. 176-179, 254; Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 439-440; Winder (wie Anm. 34), S. 85-90.
126
Novellierung von LandschaftsschutzG 1981, LuftreinhalteG 1984, NaturschutzG 1988, AbfallG 1988; aber z.B. auch bei
Novellierung von BauG 1982, JagdG 1988, RaumplanungsG 1988, FremdenverkehrsG 1991.
127
Helmut Feurstein/Helmut Tiefenthaler, Wendepunkt der Tourismuspolitik in Vorarlberg aus raumplanerischer Sicht, in:
Gedenkschrift für Wolf Jürgen Reith, hg. von Mario Broggi, Schaan 1991, S. 113-122.
128
Bundesgesetzblatt für die Republik Österreich (künftig: BGBl) 222/1956.
125
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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Gesetzgebung der Verwaltung eine immer umfangreichere und detailliertere Normierung einer
immer komplexeren Gesellschaft auftrug.
Grafik 2: Zahl der Landesgesetze und Regierungsverordnungen 1946 bis 1994
70
60
50
40
30
20
10
0
46 49 52 55 58 61 64 67 70 73 76 79 82 85 88 91 94
Gesetze
Verordnungen
davon Filmverbote
Quelle: Landesgesetzblätter 1945 bis 1994.
6. Landesverwaltung im Leistungsstaat
Mit der eigenständigen Landesregierung war zur Jahreswende 1939/40 auch die “Landeshauptmannschaft Vorarlberg” aufgelöst und in die Behördenstruktur des Reichsstatthalters in
Tirol und Vorarlberg eingegliedert worden129. In Bregenz war zunächst noch eine Außenstelle
(“Abteilung VI Vorarlberg”) eingerichtet, aber schon 1941 aufgelöst worden130. Sämtliche Agenden, die nicht durch die Landratsämter oder Sonderbehörden besorgt wurden, waren damit nach Innsbruck verlegt worden. “Vorarlberg stand verwaltungstechnisch vor einem Nichts”,
129
Auszug aus dem nicht veröffentlichten Erlaß des Reichsministers des Inneren vom 13.12.1939, I Ö 2291/39/1105, abgedruckt in: Pfeifer (wie Anm. 1), S. 552-555. Nachbaur (wie Anm. 4), S. 39-46.
130
Bekanntmachung der Auflösung der Abtlg. VI des Reichsstatthalters in Tirol und Vorarlberg (verfügt vom Reichsstatthalter
am 30.10.1941), Verordnungs- und Amtsblatt für den Reichsgau Tirol und Vorarlberg 1941, Nr. 19 [213]. Löffler-Bolka (wie
Anm. 5), S. 24, und Schönherr 1981 (wie Anm. 1), S. 103, bzw. Verwaltung, S. 87, verwechseln die Außenstelle der Behörde
des Reichsstatthalters “Abteilung VI Vorarlberg” mit der Außenstelle Bregenz der “Landstelle” (nicht “Landesstelle”!), die mit
der “landwirtschaftlichen Entschuldung” beauftragt war und 1947 aufgelöst wurde. Zur Behördenorganisation irreführend auch
Bilgeri (wie Anm. 25), S. 186.
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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blickte die Landesregierung 1949 zurück: “Dennoch funktionierte die Verwaltung hier früher
und man darf auch sagen mindestens ebenso gut als anderswo.” 131
Neuaufbau einer eigenen Landesverwaltung
Der am 24. Mai 1945 autorisierte Landesausschuß richtete das provisorische “Amt des Vorarlberger Landesausschusses” - parallel und unter Kontrolle der Militärverwaltung - für die gesamte öffentliche Verwaltung ein, von “Inneres und Justiz” bis zum “Post- und Fernmeldewesen”132. Sofort wurde auch ein “Landesernährungsamt” eingerichtet und ein “Landeswirtschaftsamt”, das für die Bewirtschaftung aller übrigen Güter zuständig war133. Die von den
Franzosen wiederberufenen Bezirkshauptleute wurden bestätigt. Am 11. bzw. 19. Dezember
1945 traten die Landes- und die Bundesverfassung wieder voll in Kraft und damit auch die traditionelle Behördenorganisation. Die vom Reichsstatthalter geführten Geschäfte gingen auf
die Landesregierung mit dem “Amt der Vorarlberger Landesregierung”134 in Bregenz über; die
von den Landratsämtern besorgte staatliche Verwaltung auf die Bezirkshauptmannschaften
Bludenz, Bregenz und Feldkirch135.
Im Juni 1945 wurde das französische Truppenkomando durch die “eigentliche” Militärregierung für Vorarlberg abgelöst, die der Zonenregierung in Innsbruck unterstand136. Militärgouverneur Henri Jung machte dem Landesausschuß klar, daß die Militärregierung weiterhin allein die Regierungsgewalt habe und der Landesausschuß nur ein Organ sei, “das sich aus
Fachleuten zusammensetzt und die Aufgabe hat, die Militärregierung zu beraten und ihre Entscheidungen auszuführen”137. Mit dem “Zweiten Kontrollabkommen” vom 28. Juni 1946 wurde
jedoch die “direkte Herrschaft” beendet138. Die Militärregierung beschränkte sich auf die Kontrolle der Gesetzgebung, der Verwaltung des “deutschen Eigentums”, der - nach Ansicht der
131
Der Wiederaufbau der Vorarlberger Landesverwaltung auf Grund amtlicher Unterlagen verfaßt von der Landespressestelle
[Hans Huebmer], Manuskript (masch.), [Bregenz 1949], S. 1.
132
NS 2. Sitzung LA 28.5.1945 (Organisationsplan) (wie Anm. 8).
133
NS 1. Sitzung LA 24.5.1945 (wie Anm. 8). Zur Tätigkeit: Der Wiederaufbau (wie Anm. 130), S. 26-27, 34-38; Julius
Längle, Die Ernährungslage in Vorarlberg, in: Gerhard Wanner (Hg.), 1945. Ende und Anfang. Lochau 1986, S. 99-102; Konzett (wie Anm. 10), S. 79-81.
134
Die 1925 eingerichteten “Ämter der Landesregierung” waren 1934 in “Landeshauptmannschaften” umbenannt worden. Auf
Wunsch der Bundesregierung wurde nach der Wiedererrichtung bis 1947 die Bezeichnung “Landeshauptmannschaft” beibehalten. Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S. 566.
135
Einen informativen Überblick über die Verwaltung des Landes bieten (jeweils auf dem Stand der Zeit): Herbert Keßler,
Jungbürger und Staat, in: Vorarlberger Jungbürgerbuch, hg. von der Vorarlberger Landesregierung, ³Bregenz 1962, S. 7-210,
hier S. 68-104 Keßler, Jungbürger; Franz Ender, Jungbürger und Staat, in: Vorarlberger Jungbürgerbuch, hg. von der Vorarlberger Landesregierung, ²Bregenz 1971, S. 51-174, hier S. 112-122; Müller (wie Anm. 21), S. 82-91; Peter Bußjäger, Die
staatliche Ordnung, in: Vorarlberg - unser Land, Jungbürgerbuch, hg. von der Vorarlberger Landesregierung, ³Bregenz 1992,
S. 35-62, hier S. 48-57.
136
Eisterer (wie Anm. 5), S. 20 und 22-26.
137
NS Sitzung LA 21.6.1945 (wie Anm. 8). Landesgouverneure: Oberst Henri Jung 1945-1948, Oberst D’Autibert de Lussan
1949-1950, Oberst Moreigne 1950-1953.
138
Eisterer (wie. Anm. 5), S. 26-30.
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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Franzosen zu nachsichtigen139 - Entnazifizierung sowie der Ausländer- und Grenzpolizei; sie
überließ der Landesregierung sogar den Rundfunk140. Die Militärregierung förderte verdienstvoll den wirtschaftlichen Wiederaufbau (Wirtschaftsabkommen mit der Schweiz 1945)141 und
die Kultur (Bregenzer Festspiele 1946). In gemeinsamen Sitzungen mit der Landesregierung
wurden wichtige Fragen erörtert und Direktiven ausgegeben. 1948 wurden immerhin noch
rund 3.000 Schriftstücke zwischen Landesregierung und Militärregierung gewechselt142. 1952
appellierte der Landtag an die Besatzungsmächte, Österreich “unverzüglich zu räumen und
seine uneingeschränkte Souveränität anzuerkennen”143. Vorarlberg war das erste Land, das
1953 - um Besatzungskosten zu sparen - geräumt wurde. 1954 wurde die “Abteilung Vorarlberg der französischen Mission” ganz aufgelassen144.
Überwindung der Mangelwirtschaft
In den unmittelbaren Nachkriegsjahren stand die Versorgung der Bevölkerung mit dem Nötigsten im Vordergrund, die Wiederherstellung des Rechtsstaates, der wirtschaftliche Wiederaufbau und die Beseitigung des Wohnungsmangels. Diese Schwerpunkte spiegelt auch der
Neuaufbau der Verwaltung wider, der notgedrungen auch an Maßnahmen der NS-Zeit anknüpfte, vor allem im Hinblick auf die Bewirtschaftung145. Dem Landesausschuß kam die Stellung “einer Art ‘Feuermeldestelle’” zu146.
Dank der jährlichen Rechenschaftsberichte, die ab 1949 wieder vorgelegt wurden147, ist die
Arbeit der Landesverwaltung ausgezeichnet dokumentiert. Vor der zweiten Landtagswahl veröffentlichte die Landesregierung eine Dokumentation über den “Aufbau Vorarlbergs 19451954” mit dem nicht unbescheidenen Resümee: “Der angeborene Fleiß des Vorarlberger Volkes, die ingeniöse Tüchtigkeit der Betriebsinhaber und die Verwaltung des Landes ergeben
139
Eisterer (wie. Anm. 5), S. 163-258.
Eisterer (wie. Anm. 5), S. 273-278; Grabherr (wie Anm. 1), S. 276 u. 281; [Josef Sinz], Das Verkehrswesen in Vorarlberg,
in: 100 Jahre Handelskammer (wie Anm. 10), S. 340-354, hier S. 351.
141
Klaus Eisterer, Die Schweiz als Partner. Zum eigenständigen Außenhandel der Bundesländer Vorarlberg und Tirol mit der
Eidgenossenschaft 1945-1947, Wien 1995, S. 6-20.
142
So der damalige Präsidialchef Grabherr (wie Anm. 1), S. 241.
143
SteSi 17. LT, 5. Sitzung 3.4.1952, S. 85.
144
Grabherr (wie Anm. 1), S. 282.
145
Vgl. Konzett (wie Anm. 10), S. 79-81.
146
Der Wirtschaftsreferent Eduard Ulmer 1965 im Interview: Ende und Anfang (wie Anm. 5), S. 30. Vgl. Löffler-Bolka (wie
Anm. 5), S. 144-153
147
Erstmals seit 1932 wurde wieder ein Rechenschaftsbericht vorgelegt (SteSi 16. LT, Beilage 30/1949), der die Jahre 1945 bis
1948 umfassen dürfte. In den zur Verfügung stehenden gebundenen Sitzungsberichten fehlt die Beilage, sie dürfte aber
Grundlage für “Der Wiederaufbau (wie Anm. 130) ” gewesen sein. Vgl. SteSi 16. LT, 5. Sitzung 19.4.1949, S. 19-25. Seit
1974 legte die Landesregierung vor LT- Wahlen und bei LH-Wechseln via “Vorarlberg Bericht” mehrjährige Bilanzen: Vorarlberg Bericht (1974) 8, (1979) 7, (1982) 38, (1984) 44, (1987) 52, (1989) 61, (1992) 72, (1994) 78, (1997) 88.
140
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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einen Dreiklang, durch den Vorarlberg an die Spitze der wirtschaftlichen, man darf wohl auch
sagen, der kulturellen Entwicklung unseres Erdteils gerückt ist.”148
Grafik 3: “Landesämter”
1925
1929
1934
1939
Amt der Vorarlberger Landesregierung
Landeshauptmann
Landesamtsdirektor
mittelbare Bundesverwaltung / Landesverwaltung
Landeshauptmannschaft Vorarlberg
Landeshauptmann
Regierungsdirektor
mittelbare Bundesverwaltung / Landesverwaltung
Bezirkshauptmannschaften
1940
bis 1941
Behörde des Reichsstatthalters
für Tirol und Vorarlberg
Reichsstatthalter
Regierungspräsident
Gauhauptmann
staatliche Verwaltung
Selbstverwaltung
Abteilung VI - Vorarlberg
Landratsämter
1945, 24.5.
Amt des Vorarlberger Landesausschusses
Präsident (Landeshauptmann)
Vorläufige Führung (Landesamtsdirektor)
staatliche Verwaltung / Selbstverwaltung
1945, 11.12.
Bezirkshauptmannschaften
Amt der Vorarlberger Landesregierung
Landeshauptmann
Landesamtsdirektor
mittelbare Bundesverwaltung / Landesverwaltung
Bezirkshauptmannschaften
Quelle: Nachbaur, Chronologie zur organisatorischen Entwicklung der Vorarlberger Landesverwaltung seit 1918 (1997), S. 7.
Einige typische “Nachkriegsdienststellen” waren bereits aufgelöst worden (Landeswirtschaftsamt 1949, Landesernährungsamt 1950, Heimkehrerstelle 1950, Abteilung Preisbestimmung und Preisüberwachung 1952). 1960 wurde die “Wirtschaftsstelle Vorarlberg148
Land Vorarlberg (Hg.), Der Aufbau Vorarlbergs 1945 1954, (Bregenz 1954), S. 18. Gute Dokumentation auch in: Der Wiederaufbau (wie Anm. 130), S.1-42. Vgl. Ilg (wie Anm. 13), S. 37-58; Grabherr (wie Anm. 1), S. 275-288; Bachmann (wie
Anm. 25), S. 81-87; Löffler-Bolka (wie Anm. 5), S. 132-203; Hannes Liener, Die wirtschaftliche Entwicklung Vorarlbergs
zwischen 1945 und 1955, in: Wanner (wie Anm. 132), S. 89-97; Längle (wie Anm. 132), S. 99-102; Ernst Längle, Maßnahmen
gegen die Wohnungsnot, in: Wanner (wie Anm. 132), S. 103-108.
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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Schweiz” liquidiert und die Abteilung “Vermögenssicherung” (vor allem von “deutschem Eigentum”) aufgelöst.
Beim Neuaufbau der Verwaltungsorganisation wurde nicht 1938, sondern 1945 angeknüpft.
Die neue Aufbauorganisation des Amtes der Landesregierung 1946 orientierte sich weniger
an der Landeshauptmannschaft von 1938, sondern stärker an der Behörde des Reichsstatthalters149. Mit dem Erziehungsheim Jagdberg und dem Landesmuseum wurden zwei der
durch das NS-Regime verstaatlichten Einrichtungen als Landeseinrichtungen weitergeführt; ebenso wurde Organisation der Bauämter übernommen150. In Form der “Bezirksfürsorgeverbände” wirkte noch bis 1971 die Kreisselbstverwaltung nach151. Erst 1970 wurde die Frage der
Vermögenswerte nach den ehemaligen Landkreisen geregelt152.
Auf dem Weg in eine Mediengesellschaft
Empfindlich traf die Landesregierung, daß sie 1954 den “Landessender Vorarlberg” und damit
die Kontrolle über das Medium Rundfunk an den Bund abtreten mußte. Spätestens der Kampf
um die Autobahntrasse in Bregenz in den 1960er Jahren hatten für Landeshauptmann Ilg zudem gezeigt, “daß Preßorgane ihre Kompetenzen überschreiten und versucht sein können,
Nebenregierung zu spielen”153. Sein Ratschlag “Lest nicht soviel Zeitungen, dann werdet ihr
weniger vom richtigen Weg abkommen!” dürfte sich in erster Linie auf die “Vorarlberger Nachrichten” (VN, gegründet 1945) bezogen haben. Der Weg in die Informationsgesellschaft war
jedoch bereits vorgezeichnet. Die Zeit der großen Parteiversammlungen war vorbei. Mit der
Dezentralisierung des ORF 1967 erhielt Vorarlberg ein weitgehend eigenverantwortliches
Landesstudio in Dornbirn. Die traditionsreiche Parteipresse konnte nicht mehr an ihre Bedeutung in der Zwischenkriegszeit anschließen. 1972 mußte das traditionsreiche ÖVP-Organ
“Vorarlberger Volksblatt” (1866) endgültig eingestellt werden154. ÖVP-nahe Kreise bemühten
sich vergeblich, mit der “NEUEN Vorarlberger Tageszeitung” (1972) ein Gegengewicht zum
“VN-Imperium” zu bilden, das die “NEUE” 1990 aufkaufte. Gleichzeitig setzte die Landesregierung stärker auf direkte Öffentlichkeitsarbeit. Zusätzlich zur Radio-Sendung des Landes149
Vgl. Nachbaur (wie Anm. 4), S. 51.
Anstelle der Baubezirksleitungen waren 1940 selbständige Bauämter errichtet worden: Reichsbauamt Feldkirch (Hochbau),
Reichsstraßenbauamt Feldkirch, Reichswasserbauamt Feldkirch, vorläufiger Sitz Bregenz. Nachbaur (wie Anm. 4), S. 43.
151
Mit dem SozialhilfeG LGBl 26/1971 aufgelöst. Vgl. SteSi 21. LT, Beilage 5/1969, S. 29-30, Beilage 10/1971, S. 113. Die
Landkreise waren nicht nur Verwaltungssprengel, sondern auch Selbstverwaltungskörperschaften. Vgl. Pfeifer (wie Anm. 1),
S. 531-532.
152
Zum Vermögen der Landkreise zählten die Gebäude der Bezirkshauptmannschaften Feldkirch und Bregenz, die 1962 vom
Land abgekauft wurden. Das Vermögen wurde zunächst von einem Kurator verwaltet und 1970 zu einem Sondervermögen des
Landes erklärt, aus dem Darlehen für Bau und Erhaltung von Krankenhäusern gewährt werden (LGBl 7/1970; SteSi 21. LT,
Beilage 4/1969, S. 25-28). 1989 wurde das Sondervermögen anteilsmäßig auf die Gemeinden Bludenz, Bregenz, Dornbirn,
Feldkirch, Hohenems und das Land aufgeteilt (LGBl 34/1989).
153
Ilg (wie Anm. 13), S. 83. Zum folgenden vgl. Winder (wie Anm. 34), S. 16-18, 27, 29-31 und 41-46.
154
Plitzner (wie Anm. 5), S. 637-639.
150
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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hauptmanns sollte nun ein vierteljährlicher “Vorarlberg Bericht” (1972) “den so wichtigen direkten Kontakt zwischen Bevölkerung und Regierung fördern”155. Die aktuelle Fernsehberichterstattung von ORF Vorarlberg ab 1988 verstärkte die Tendenz zur “Mediokratie” weiter156.
1995 eröffnete die Landesregierung in Kooperation mit einem “VN-Unternehmen” via Internet
eine weitere Informationsschiene157.
Die Landesregierung bedient sich des Amtes der Landesregierung und ihren nachgeordneten
Dienststellen, vor allem der Bezirkshauptmannschaften, die auch in den meisten Verwaltungsverfahren erste Instanz sind158. 1969 wurde durch eine Teilung des österreichweit bevölkerungsreichsten Bezirks Feldkirch ein vierter Verwaltungsbezirk Dornbirn geschaffen159. Zur
“Leitung des inneren Dienstes” bestellt die Landesregierung einen Landesamtsdirektor, dessen Stellung in der Vorarlberger Rechtsordnung jener eines “beamteten Staatssekretärs” ähnlich ist160.
Neben der Hoheitsverwaltung und der Privatwirtschaftsverwaltung des Landes, ist der Landeshauptmann mit seinen Landesämtern zusätzlich auch mit Verwaltungsaufgaben des Bundes betraut, soweit diese nicht unmittelbar von Bundesbehörden besorgt werden. Das gilt sowohl im Hoheitsbereich in Form der “mittelbaren Bundesverwaltung” (z.B. Gewerbe-, Wasser-,
Kraftfahrrecht), als auch im privatwirtschaftlichen Bereich in Form der “Auftragsverwaltung”
(z.B. Bundesstraßen-, Bundesgebäude-, Bundeswasserbauverwaltung).161 Diese weisungsgebundene mittelbare Bundesverwaltung, so eine Vorarlberger Forderung, sollte im Rahmen
der Bundesstaatsreform abgeschafft werden; nicht zuletzt auch aufgrund parlamentarischer
Kontrolldefizite162.
Generell, so die Klage, habe die Bundesgesetzgebung auf Kosten von Ländern und Gemeinden zur Aufblähung der Verwaltungsaufgaben beigetragen. Gleichzeitig war das Land aber
auch in der Behördenorganisation bemüht, jede Kompetenz selbst wahrzunehmen. So ent155
LH Keßler im Vorwort zum Vorarlberg Bericht (1972) 1. Vgl. Keßler (wie Anm. 20), S. 104; Winder (wie Anm. 34), S.
179 f.
156
Zum Einfluß auf die Landtagsregie vgl. LT-Präsident Jäger, SteSi 25. LT, 10. Sitzung 13./14./15.12.1990, S. 891-892. Zum
ORF: Thomas Prantner, Hallo Vorarlberg! Landesstudio Vorarlberg, Wien 1990.
157
Kooperation mit der Firma Teleport. InVoNet. Homepage: www:http://www.vlr.gv.at/
158
In Angelegenheiten der Landesverwaltung besteht nur in Vorarlberg seit 1976 eine subsidiäre Allzuständigkeit der Landesregierung. BezirksverwaltungsG LGBl 1/1976.
159
LGBl 47/1968; umfaßt die Gemeinden Dornbirn, Lustenau und Hohenems. Keßler (wie Anm. 20), S. 116-119.
160
Pernthaler/Lukasser (wie Anm. 51), S. 187. Der Landesamtsdirektor (LAD) nimmt mit beratender Stimme an den Regierungssitzungen teil. Landesamtsdirektoren: Meinhard Grabmayr 1945-1950, Fritz Schneider 1951-1955, Elmar Grabherr 19551976, Ernst Adamer 1977-1986, Franz Ender 1986-1992, Werner Brandtner seit 1992.
161
Ernst Adamer, Das Amt der Landesregierung, in: Land Vorarlberg (Hg.), Unser Landhaus. Das neue Amtsgebäude in Bregenz, Bregenz 1982, S.83-102.
162
Für die mittelbare Bundesverwaltung und die Auftragsverwaltung des Bundes ist die Landesregierung dem LT nicht verantwortlich. Vgl. Morscher (wie Anm. 60), S. 43-44; LH Purtscher SteSi 26. LT, Festsitzung 11.12.1995, S. 643; Winder (wie
Anm. 34), S. 117 f.
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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schied sich Vorarlberg als einziges Bundesland gegen die Einrichtung einer Förderungsstelle
des Bundes für Erwachsenenbildung und übernahm diese Aufgabe 1975 in Auftragsverwaltung163. Als eines der wenigen Länder errichtete Vorarlberg 1985 ein eigenes “Pädagogisches
Institut des Landes” zur separaten Fortbildung der knapp 3.400 (1995) “Landeslehrer” an den
Pflichtschulen164.
Grafik 4: Bundesverwaltung gemäß Bundes-Verfassungsgesetz 1920/29
Bundesminister
Landeshauptmann
(Stellvertreter)
möglich in taxativ
aufgezählten
Bereichen
grundsätzlich
Ermessen der
Bundesminister
Mitglieder der
Landesregierung
Bundesbehörden
unmittelbare
grundsätzlich
mittelbare
Bundesbehörden
Auftragsverwaltung
Hoheitsverwaltung
unmittelbare
Leistungsverwaltung
Bundesverwaltung
Noch mehr neue Aufgaben hat das Land, spätestens in den “fetten” 1970er und 1980er Jahren, im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung übernommen. Bemerkenswert ist, daß Vorarlberg nach einem päpstlichen Aufruf bereits 1959 als erstes Bundesland damit begann, über
Vorarlberger Missionare beachtliche Mittel für Entwicklungshilfe auszuschütten165. Neue
Pflichtaufgaben sind durch die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung zugewachsen.
Schließlich ist quantitativ zu bedenken, daß die Bevölkerung Österreichs von 1950 bis 1995
um 16 Prozent zugenommen hat, jene Vorarlbergs aber um 78 Prozent. Entsprechend zugenommen haben dadurch die Nutzungskonflikte.
Versechsfachung des Personalstandes
163
Mit Verordnung BGBl 523/1975. Das BundesG über die Förderung der Erwachsenenbildung und des Volksbüchereiwesens
(BGBl 1771/1973) hatte diese Möglichkeit freigestellt. Vgl. SteSi 21. LT, 9. Sitzung 14.11.1973, S. 371 und 374; Vorarlberg
Bericht (1975) 11, (1976) 17; Reinhold Bernhard, Erwachsenenbildung, in: Peter Pernthaler (Hg.), Dezentralisation und
Selbstorganisation. Theorie und praktische Erfahrung, Wien 1982, S. 154-156; Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 450.
164
Ein Pädagogisches Institut des Bundes in Vorarlberg bestand bereits seit 1971. Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 449. Die
Führung der bis 1938 privaten Lehrerbildungsanstalt (Pädagogische Akademie) in Feldkirch wurde nach 1945 dem Bund überlassen. Grabherr (wie Anm. 1), S. 306.
165
Vgl. Ilg (wie Anm. 13), S. 88; Keßler (wie Anm. 20), S. 239.
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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Mit der Aufgabenfülle und -dichte wuchs der Personalstand der Landesverwaltung. Zunächst
wurde jedoch der enorm aufgeblähte Personalstand der Landratsämter abgebaut. 1938 hatte
die gesamte Landesverwaltung 220 Bedienstete gezählt166. Von 1938 bis 1945 war allein der
Personalstand der früheren Bezirkshauptmannschaft Feldkirch von 21 auf 125 versechsfacht
worden167. 1950 zählte die Landesverwaltung (ohne Landeslehrer) 670 Beamte und Angestellte, 1965 705, 1975 1.558, 1985 2.308 und 1995 3.710168. Diese enormen Steigerungen ab
den 1970er Jahren wurde durch den Ausbau der Landesspitäler (1972 Medizinisches Zentrum
Feldkirch, 1974/78 Landes-Nervenkrankenhaus Rankweil) und die Übernahme von Gemeinde- und Privatkrankenhäuser verursacht (1978 Stadt Feldkirch, 1991 Böckle Bregenz, 1992
Stadt Bregenz, 1994 Maria Rast)169.
In der “Hoheitsverwaltung” hat sich die Zahl der Dienstposten seit 1950 nur gut verdoppelt,
was in etwa der Entwicklung der unselbständig Beschäftigten in Vorarlberg insgesamt entspricht. Signifikant ist hingegen eine Vervierfachung der Dienstposten im Bereich der “sonstigen Nicht-Hoheitsverwaltung” seit 1975. Hier hat sich vor allem die Gründung kultureller Einrichtungen niedergeschlagen (1976 Landeskonservatorium, 1977 Landesbibliothek, 1981
Landesbildungszentrum Schloß Hofen, 1991 Kunsthaus) und der Ausbau der “Chemischen
Versuchsanstalt” in ein “Umweltinstitut”. Stolz verwies die Regierung 1989 darauf, daß sich
der Personalstand im Umweltbereich binnen zwanzig Jahren vervierfacht habe170.
Im Zusammenhang mit der Umweltdiskussion der 1980er Jahre wurden in Verwaltungsverfahren gemäß der Forderung nach einer “Demokratisierung aller Lebensbereiche” individuelle
Einspruchsrechte ausgeweitet. Nach der Wirtschaftskrise 1992 setzte allerdings eine Trendwende in Richtung Deregulierung und Vereinfachung der Verwaltungsverfahren zur Sicherung
des Wirtschaftsstandortes ein171.
166
SteSi 17. LT, Beilage 7/1949, S. 152-154. Adamer, Amt der Landesregierung, S.95-98.
Sieghard Rupprich: Wissenswertes über die Bezirkshauptmannschaft Feldkirch. Historische Entwicklung der Bezirkshauptmannschaft, Manuskript (masch.), 1972, S. 5. Ähnliches galt für Bludenz: Ende und Anfang (wie Anm. 5), Interview mit
Bezirkshauptmann Julius Längle, S. 23.
168
Zahl der Dienstposten ohne Arbeiter/Angestellte in handwerklicher Verwendung (1991 z.B. 691). Adamer, Amt der Landesregierung, S.95-98; LH Purtscher 1992 in Beantwortung der LT-Anfrage 910-280, SteSi 25. LT; SteSi 26. LT, Beilage
1/1996, S. 34-35.
169
Josef Schoder, Entwicklung der Krankenhäuser in Vorarlberg, in: Montfort 22 (1970) 1, S. 5-15; Ernst Winder, Zum Vorarlberger Krankenhauskonzept, in: Montfort 24 (1972) 3-4, S. 385-392; Herbert Tschofen, Zur Geschichte der Krankenhäuser
und Krankenhausfinanzierung in Vorarlberg, in: Montfort 26 (1974) 4, S. 503-520; Keßler (wie Anm. 20), S. 241-253.
170
Vorarlberg Bericht (1989) 61, S. 5. Vgl. Heinz Grimm, Über 100 Jahre Umweltschutz in Vorarlberg. Eine Darstellung der
Vorarlberger Umweltschutzanstalt, in: Montfort 37 (1985) 1, S. 78-83; Vorarlberg Bericht (1983) 39, (1990) S. 4-5.
171
LH Purtscher SteSi 25. LT, 9. Sitzung 15./16.12.1993, S. 882-883, SteSi 26. LT, 6. Sitzung 3./4.7.1996, S. 465; Vorarlberg
Bericht (1996) 86, S. 6-7; exemplarisch: Jürgen Weiss, Die Umweltverträglichkeitsprüfung als Teil der Verwaltungsreform, in:
ÖJBfP 1993, S. 453-468. - Der Paradigmenwechsel kommt in den Regierungserklärungen zu den Landtagsperioden 1989-1994
(“Unsere Umwelt lebenswert erhalten und gestalten”) bzw. 1994-1999 (“Jahre der Bewährung”) klar zum Ausdruck: SteSi 25.
LT 2. Sitzung 22.11.1989, S. 30-36, SteSi 26. LT, 3. Sitzung 23.11.1994, S.30-36. Beide wurden von der Landespressestelle
publiziert.
167
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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Tabelle 2: Entwicklung der Dienstposten der Vorarlberger Landesverwaltung 1950 bis 1995
(Beamte und Angestellte, ohne Landeslehrer und Arbeiter)
Hoheitsverwaltung
Krankenanstalten
Sonstige Nicht-
Gesamt
Hoheitsverwaltung
DP
Index
DP
Index
DP
Index
DP
Index
1950
495
100
57
100
60
100
612
100
1955
499
101
50
88
24
40
573
94
1965
569
115
104
183
32
53
705
115
1975
853
172
641
1.125
64
107
1.558
255
1985
939
190
1.056
1.852
185
308
2.308
377
1995
1.125
227
2.336
4.098
249
415
3.710
606
Quellen: Adamer, Amt der Landesregierung (1982), S. 97; Dienstpostenpläne 1985 und 1995.
Diversifizierung der Landesverwaltung
Waren 1965 noch 81 Prozent der Landesbediensteten in der “Hoheitsverwaltung” tätig, so waren es 1975 55 Prozent und 1995 gerade noch 30 Prozent. Beamtenstatus wurde im Vorarlberger Landesdienst grundsätzlich nur Bediensteten der “Hoheitsverwaltung” eingeräumt und
selbst dies nur beschränkt: 1950 wie 1995 betrug ihr Anteil nur gut ein Drittel. Aber auch in
diesem Bereich “Hoheitsverwaltung” hat die Zahl jener, die nicht mehr in klassischer Behördenfunktion tätig sind, ab den 1960er Jahren stetig zugenommen.
Eine Folge der Diversifizierung der Aufgaben war eine zunehmende Feingliederung der Landesverwaltung. Kam das Amt der Landesregierung 1955 noch mit 19 Abteilungen aus, so waren es 1995 32. Dabei läßt sich auch die gesellschaftliche Entwicklung gut nachvollziehen,
zum Teil allein schon an der Abteilungsbezeichnung: So hieß die Abteilung “Fürsorge” ab
1972 “Sozialhilfe und Jugendfürsorge”, ab 1981 “Soziales, Familie und Jugend”, ab 1990 “Soziales, Familie, Jugend und Frauen” und ab 1993 “Soziales, Familie, Jugend, Frauen und Senioren”. Aus der ursprünglichen Abteilung “Kultur” ging 1977 eine eigene Abteilung “Volksbildung und Wissenschaft” hervor, 1984 die Abteilungen “Sport” und “Umweltschutz”. Aus der
Wirtschaftsabteilung wurde 1972 “Raumplanung und Baurecht” als eigene Abteilung herausgelöst und aus dieser wieder 1993 eine eigene Abteilung “Abfallwirtschaft”172.
172
Nachbaur (wie Anm. 4), S. 59-73.
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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Grafik 5: Geschäftseinteilung des Amtes der Vorarlberger Landesregierung 1995
Landeshauptmann
Vorstand
Landesamtsdirektor
Leiter des inneren Dienstes
Prä sidium
Abteilung PrsR
Regierungsdiensten
Gruppe I
Inneres
Abteilung Ia
Innere Angelegenheiten
Gruppe II
Schule und Kultur
Abteilung IIa
Schule
Gruppe III
Finanzen
Abteilung IIIa
Finanzangelegenheiten
Gruppe IV
Soziales und Gesundheit
Abteilung IVa
Soziales, Jugend, Familie,
Frauen, Senioren
Gruppe V
Land- und Forstwirtschaft
Abteilung Va
Landwirtschaft
Gruppe VI
Wirtschaft
Gruppe VII
Bauwesen und Raumplanung
Abteilung VIa
Allgemeine
Wirtschaftsangelegenheiten
Abteilung VIIa
Raumplanung und Baurecht
1993 (1966)
1972
Abteilung PrsG
Gesetzgebung
Abteilung Ib
Verkehrsrecht
1966
1963 (1946)
Abteilung Vb
Veterinä rangelegenheiten
1981
Abteilung IVb
Gesundheitsrecht und
Sozialversicherung
1964
Abteilung IIc
Kultur
Abteilung IIc
Gebarungskontrolle
Abteilung IVc
Sport
Abteilung Vc
Forstwesen
1977 (1946)
1981
1984
1964 (1946)
Abteilung PrsP
Personal
Abteilung IIId
Wohnbaufö rderung
Abteilung IVd
Sanitä tsangelegenheiten
Abteilung VId
Elektrotechnik
1993
1993
Abteilung PrsE
Europaangelegenheiten
und Außenbeziehungen
1994
Abteilung IIb
Wissenschaft
und Weiterbildung
1977
Abteilung IIIb
Vermögensverwaltung
Abteilung VIb
Wirtschaftsrecht
1963 (1946)
Abteilung VIc
Maschinenwesen
1964 (1946)
Abteilung PrsI
Informatik
Abteilung IVe
Umweltschutz
Abteilung VIe
Seilbahn- und Aufzugstechnik
1993
1984
1953
Abteilung VIf
Abfallwirtschaft
1992
Jahr der Errichtung als selbständige Abteilung nach 1946. (In Klammer Jahr der Errichtung von Abteilungen, die geteilt wurden).
Quellen: Geschäftseinteilung des Amtes der Vorarlberger Landesregierung 19.10.1994, ABlV 47/1994; Nachbaur, Chronologie zur
organisatorischen Entwicklung der Vorarlberger Landesverwaltung seit 1918 (1997), S. 53-73.
Konsequente Auslagerung und Ausgliederung
Trotz Aufgabenvervielfachung konnte die Landesregierung immer wieder nachweisen, daß
Vorarlberg mit der absolut und relativ kleinsten Landesverwaltung zu Recht kommt173; nicht
zuletzt deshalb, weil es auf pragmatische Verwaltungsmodelle und die Auslagerung von Aufgaben setzte. So war zum Beispiel von 1956 bis 1974 die Vorarlberger gemeinnützige Wohnungsbau- und Siedlungsgesellschaft (VOGEWOSI) mit der Wohnbauförderung beauftragt,
statt einer Landeskassa wird der Geldverkehr über die Landes- und Hypothekenbank abgewi173
SteSi 17. LT, Beilage 7/1949, S. 153; LH Purtscher 1992 in Beantwortung der LT-Anfrage 910-280, SteSi 25. LT; Vorarlberg Bericht (1977) 21, (1986) 47, (1994) 78, S. 8.
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
Abteilung VIIb
Straßenbau
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Abteilung VIIc
Hochbau
Abteilung VIId
Wasser- und
Landwirtschaftsbau
ckelt. Modellhaft wurde eine “autonome Sozialpolitik” auf der Grundlage von Subsidiarität und
Solidarität entwickelt174. Zahlreiche Aufgaben im Sozial- und Gesundheitsbereich nehmen Caritas (gegründet 1924), Arbeitskreis für Vorsorge- und Sozialmedizin (1964), Lebenshilfe
(1967), Institut für Sozialdienste (1973), Krankenpflegevereine und andere “private” Institutionen wahr. Ein dichtes ambulantes Netz war eine Voraussetzung dafür, daß mit einem Pilotprojekt 1995 eine “Leistungsorientierte Krankenhausfinanzierzung” erfolgreich vorbereitet
werden konnte. Zur unbürokratischen Hilfe hatte der Landesausschuß 1945 das “Vorarlberger
Hilfswerk” gegründet. Das Gewerbeförderungsinstitut (1912) wurde 1950 der Handelskammer
übereignet,175 1959 zur Exportförderung mit der Handelskammer eine “Garantiegemeinschaft”
gebildet176 und die Tourismusförderung zunächst weitgehend dem “Landesverband für Fremdenverkehr” (1893) überlassen177. Um Bund, Gemeinden, Sozialpartner und Wirtschaft einbinden bzw. in die Pflicht nehmen zu können, wurden für neue Aufgaben eigene Trägerorganisationen gegründet; so zum Beispiel ein “Energiesparverein” (1985), ein “Verein Technikum Vorarlberg” (1989), als Zellkern des österreichischen Fachhochschulwesens, ein “Vorarlberger
Technologie Transfer Zentrum” (1986)178 und eine “Wirtschaftsstandort Vorarlberg GmbH”
(1994).
Von den Landesanstalten wurde die “Vorarlberger Landes-Feuerversicherungs-Anstalt” (1920)
1959 abgenabelt179, das Landesbildungszentrum Schloß Hofen 1991 als gemeinnützige
GmbH ausgegliedert und 1995 die Neuorgansiation der “Vorarlberger Landes- und Hypothekenbank” (1897) nach Aktienrecht in die Wege geleitet180.
Zur Verwaltungsvereinfachung wurde bereits 1978 eine Krankenhausbetriebsgesellschaft gegründet. Als Finanzierungs- und Steuerungsinstrument wurden selbständige Fonds und Stiftungen eingerichtet, in die Gemeinden und andere Partner eingebunden sind181. Zahlreich sind
174
Peter Pernthaler/Evelyn Maria Stefani, Der autonome Sektor der Sozialpolitik in Vorarlberg. Modell einer Entwicklung des
Sozialstaates auf der Grundlage von Subsidiarität und Solidarität, Wien 1990. Hermann Girardi, Selbstorganisation im sozialen
und medizinischen Bereich in Vorarlberg, in: Pernthaler (wie Anm. 162), S. 51-57; Herbert Tschofen, Zum Gesundheitswesen
in Vorarlberg, in: Montfort 28 (1976) 4, S. 290-293; Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 424-434; Ernest F. Enzelsberger, Gesundheit, die sich rechnet. Modelle aus Vorarlberg, in: ÖJBfP 1996, S. 269-294.
175
SteSi 17. LT, Beilage 26/1950 S. 379-380, und 8. Sitzung 28.12.1950, S. 174-176.
176
Bachmann (wie Anm. 25), S. 110; Ilg (wie Anm. 13), S. 86;
177
Werner König, Dezentralisation/Selbstorganisation als theoretisches Problem und praktische Erfahrung am Beispiel des
Landesfremdenverkehrsverbandes Vorarlberg, in: Pernthaler (wie Anm. 162), S. 161-164.
178
Wurde 1991 von der Wirtschaftskammer in das Wirtschaftsförderungsinstitut übernommen.
179
Rupert Tiefenthaler, Am Anfang war’s das Feuer. Die Vorarlberger Landes-Versicherung und die Geschichte des Feuerversicherungswesens, Bregenz 1995, S. 123.
180
1996 realisiert; LGBl 17/1996. 1997 wurde zur gemeinsamen Verwaltung von Landesmuseum, Kunsthaus und Theater für
Vorarlberg eine “Kulturhäuser-BetriebsGmbH” gegründet.
181
Z.B. Wohnbaufonds (1950), Stiftung Suchtkrankenhaus Maria Ebene (1975), Landschaftspflegefonds (1982), Stiftung
Kloster Viktorsberg (1984), Rettungsfonds (1991), Spitalsfonds (1997), Sozialfonds (1997).
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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die Beiräte und Kommissionen, die zur Beratung der Landesregierung auf Dauer eingerichtet
wurden182.
Vom “Twistverbot” zum Internet
Noch 1968 ließ sich “Vorarlbergs sparsame und wirtschaftsfreundliche Verwaltung” in einer
Festschrift dafür loben, “in der Erledigung gegenwartsbezogen, weltoffen und zweckdienlich
zu sein. [...] Fortschrittlich, wo es darum geht, Kraftwerke und Verkehrswege zu bauen, konservativ, wo es gilt, den Familiensinn zu pflegen und angestammte Wertordnungen zu erhalten
[...]”. Der versteckte Neid Außenstehender mache “sich Luft in einem schlechten Witz, wenn in
Vorarlberg ein Sexfilm verboten wird”183. Zwischen 1962 und 1983 wurden, im Sinne eines
“geistigen Umweltschutzes”184, per Verordnung rund 250 Kinofilme verboten, die nach Ansicht
der Landesregierung geeignet waren, “das religiöse Empfinden zu verletzen oder eine verrohende oder entsittlichende Wirkung auf die Zuschauer auszuüben”185. 1968 wurden in Lindau
254 jugendfreie Filme geboten, in Bregenz 62186. Die fortschreitende Videotechnik und die
Programmvielfalt im Fernsehen machte jede Filmzensur faktisch unwirksam. 1962 brachte
der Bregenzer Bezirkshauptmann Vorarlberg in die internationalen Schlagzeilen, indem er die
Gemeinden anwies, bei der Bewilligung von Tanzunterhaltungen als Beispiel eines verbotenen
Tanzes den ‘Twist’ anzuführen, da dieser geeignet sei Ärgernis zu erregen und das Sittlichkeitsgefühl weiter Kreise der Bevölkerung zu verletzen187. Legendär ist auch die Entscheidung
von 1971, das Gebiet um die Neuburg bei Koblach, wie bereits seit längerem dafür vorgesehen, noch rasch unter Naturschutz zu stellen, um eine Wiederholung des Jugendfestivals
“Flint” in Woodstock-Manier zu verhindern188.
Das Selbst- und Erscheinungsbild der Landesverwaltung sollte sich jedoch ändern. Im neuen
“Vorarlberg Bericht” (1972) zeigte die Landesregierung ihre Bemühungen um die “Modernisierung der Verwaltung” und um ein “ein Land mit bürgernaher Verwaltung und Kontrolle” auf189.
1973 wurde im Landhaus eine Beratungs- und Beschwerdestelle eingerichtet, zum “Bürgeranwalt” ausgebaut190 und schließlich ein unabhängiger Landesvolksanwalt (1986) institutiona182
Vgl. LH Purtscher SteSi 25. LT, Beantwortung der Anfrage 910-366 am 9.9.1993 und 7. Sitzung 6.10.1993 S. 581-583.
Bachmann (wie Anm. 25), S. 81-82.
184
Keßler (wie Anm. 20), S. 180-181. Ähnlich Ilg (wie Anm. 13), S. 88. Vgl. Winder (wie Anm. 34), S. 33-39.
185
LichtspielG LGBl 28/1928, § 17. Im neuen LichtspielG, LGBl 10/1983, wurde bestimmt, daß Filmverbote künftig im
Amtsblatt kundzumachen sind. Eine Auflistung der verbotenen Filme in Kilian Höfle, Index zu den Vorarlberger Landesgesetzen von 1955 bis 1985, Wegweiser durch 30 Jahre Vorarlberger Landesrecht, ²Bregenz 1986, S. 32-40.
186
Bergmeister (wie Anm. 114), S. 62; zur Filmzensur: ebd. S. 32-66; Debatte über das neue LichtspielG SteSi 23. LT, 2. Sitzung 23.2.1983, S. 48-69; Zensur in Vorarlberg, eine Dokumentation der sozialistischen Fraktion des Vorarlberger Landtages,
Bregenz 1984.
187
Auf Grundlage des TanzunterhaltungsG LGBl 7/1929, § 5. Vgl. Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 441.
188
LGBl 22/1971; Kultur 5 (1991) 7, S. 4-8. Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 441-446.
189
Vorarlberg Bericht (1974) 8, (1979) 29, (1980) 31, (1984) 42, (1987) 51.
190
Vorarlberg Bericht (1973) 4, (1975) 11, (1979) 28, (1980) 30, (1981) 34.
183
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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lisiert191. Zudem wurde ein Landschaftsschutzanwalt (1982)192 sowie ein Kinder- und Jugendanwalt (1992)193 eingerichtet.
Landeshauptmann Purtscher erklärte bei seinem Amtsantritt 1987 “ein Land der besten öffentlichen Dienstleistungen” zum Ziel einer Verwaltungsreform194, wofür auch ein eigenes “Leitbild
der Vorarlberger Landesverwaltung” (1989) kreiert wurde. Effizient und schlank sollte die Verwaltung sein. Bereits ab den 1970er Jahren wurden dafür die Fortschritte der elektronischen
Datenverarbeitung genützt; von 1987 bis 1995 stieg zum Beispiel die Zahl der Bildschirmarbeitsplätze von 112 auf 1.075195. Laut einer bundesweiten Umfrage attestierten 1994 die Vorarlberger ihrer Landesverwaltung hinsichtlich Behördenservice und Bürgerfreundlichkeit die
höchste Zufriedenheit196.
Der Hof geht, die Hofräte bleiben
Das Berufsbeamtentum war zweifellos ein Faktor, der wesentlich zur Kontinuität der Landespolitik beitrug. Und dies nicht nur in vollziehender, sondern durchaus auch in gestaltender
Funktion. Der Bogen spannt sich von der Beratung der Landesregierung, über das Förderungsinstrumentarium bis hin zur Interessenvertretung des Landes in Beiräten von Unternehmen und Vereinigungen. So hat zum Beispiel Arnulf Benzer als langjähriger Leiter der Kulturabteilung die nach 1945 aufblühende Kultur- und Bildungslandschaft maßgeblich mitgeprägt197. Die größten Einflußmöglichkeiten kommen aufgrund seiner Stellung dem Landesamtsdirektor zu. Sehr großen Einfluß wurde vor allem dem langjährigenPräsidialchef
(1945-1955) und Landesamtsdirektor (1955-1976) Elmar Grabherr beigemessen, der als
“graue Eminenz” des Grauen Hauses (Landesregierungsgebäude) galt. Er kam aus der Verwaltung des Reichsstatthalters und war bereits beim Wiederaufbau der Vorarlberger Landesverwaltung, bei der erneuten Loslösung von Tirol, für die neue Landesregierung “schlechthin
unentbehrlich” und galt bald österreichweit als glänzender Verfassungs- und Verwaltungsjurist
und leidenschaftlicher Verfechter des Föderalismus, den er weitsichtig “z.B. bei der Wahrnehmung des Naturschutzes (Freihaltung des österreichischen Bodenseeufers) oder im Be-
191
LGBl 29/1985; Vorarlberg Bericht (1986) 47; Keßler (wie Anm. 20), S. 133-137; Winder (wie Anm. 34), S. 147-156.
LGBl 38/1981; Vorarlberg Bericht (1982) 37.
193
LGBl 46/1991; Vorarlberg Bericht (1992) 71, S. 11.
194
SteSi 25. LT, Sondersitzung 9.7.1997, S. 360; Vorarlberg Bericht (1994) 78, S. 8-9.
195
SteSi 26. LT, Beilage 1/1996, S. 28; vgl. Vorarlberg Bericht (1974) 8, (1993) 73, S. 20-21, (1996) 86, S. 30-31. Fritz Berger/Werner Gächter/Helmut Köck: EDV in der öffentlichen Verwaltung. Bericht über die Einführung der EDV bei den Bezirkshauptmannschaften Vorarlbergs, Dornbirn 1984, S. 4-18.
196
Der Standard, 11.3.1994, S. 5 (“Vorarlberger schätzen ihre Beamten”); Vorarlberg Bericht (1995) 77, S. 15.
197
Vgl. Dr. Arnulf Benzer, in: Vorarlberger Volkskalender 1981 (1980), S. 186-187; Vorarlberger Nachrichten 21.4.1997, S.
D6; Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 455-462.
192
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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reich Raumplanung [betrieb]”198. Auch mit seinem vorarlbergzentrierten Geschichtsbild prägte
er mehrere Generationen von Landesbediensteten. Nach seiner Pensionierung griff er als “Ideologe” der “Pro Vorarlberg”-Bewegung im Bündnis mit den “Vorarlberger Nachrichten” von
außen noch einmal massiv in die Regierungspolitik ein.
Im regionalen und kommunalen Bereich waren über Jahrzehnte die Bezirkshauptmänner
machtvolle und durchaus auch politische Mitgestalter; idealtypisch vielleicht Julius Längle in
Bludenz (1950-1974)199 oder Anton Allgäuer in Bregenz (1956-1980)200. Den Bregenzer Bezirkshauptmännern kam nicht zuletzt in der internationalen Zusammenarbeit am Bodensee eine bedeutende Rolle zu. Noch vor sich die österreichischen Landeshauptmänner oder die Regierungschefs der Bodenseeanrainerländer in Konferenzen konstituierten, nahmen Beamte
die interregionalen Koordinationsaufgaben wahr201. Bezeichnend ist ebenso, daß die Initiative
zur Gründung eines “Vorarlberger Gemeindeverbandes” 1948 vom Feldkircher Bezirkshauptmann (1947-1951) und späteren Landesamtsdirektor (1951-1955) Fritz Schneider ausging202.
7. Gemeinden zwischen Kirchtürmen und Landhaus
Im Juli 1945 erließ die provisorische Staatsregierung ein “Vorläufiges Gemeindegesetz”, das
nach ihrer Anerkennung im November 1945 auch in den westlichen Besatzungszonen in Kraft
trat. Für Vorarlberg galt damit im wesentlichen wieder die Gemeindeordnung 1935; soweit sie
der Verfassung widersprach, subsidiär die Gemeindeordnung 1904. Zwanzig Jahre lang sollte
dieser unbefriedigende Zustand eines “gemischten Gemeinderechts” währen, so lange wie in
keinem anderen Bundesland203.
Gemeindedemokratie unter Kuratel
198
In seinem Urteil ausgewogen: Arnulf Benzer, Dr. Elmar Grabherr, in: Vorarlberger Volkskalender 1988 (1987), S. 140-141,
hier S. 141. Vgl. Ilg (wie Anm. 13), S. 77-78; sehr kritisch zur Karriere und Rolle Grabherrs: Eisterer (wie Anm. 5), S. 221;
Nick (wie Anm. 34), S. 175-177; differenzierend: Haffner (wie Anm. 80), S. 36 und 38.
199
Vgl. Dr. Julius Längle, in: Vorarlberger Volkskalender 1981 (1980), S. 184-185; Martin Purtscher, Julius Längle 19081993, in: Vorarlberger Volkskalender 1994 (1993), S. 152-153.
200
Vgl. Nachrufe in Vorarlberger Nachrichten 31.8.1996, S. A5, 2.9.1996, S. A6.
201
Zur Stellung und Bedeutung der Landesamtsdirektoren vgl. Gerhart Wielinger, Verwaltung, in: Handbuch des politischen
Systems (wie Anm. 29), S. 765-773, hier S. 772-773.
202
Rupert Tiefenthaler, Vorarlberger Gemeindeverband. 50 Jahre Einsatz für die Interessen der Gemeinden. Dornbirn 1998, S.
14 f. Schneider (1898-1955) war seit 1929 Leiter der Finanzabteilung und als Berater von LH und Verfassungsminister Otto
Ender wesentlich an der Ausarbeitung der autoritären “Maiverfassung” 1934 beteiligt; wurde 1943 nach Schleswig-Holstein
versetzt. Landesamtsdirektor Dr. Fritz Schneider, in Vorarlberger Volkskalender 1956 (1955), S. 34-35.
203
Zur geschichtlichen Entwicklung und den verfassungsrechtlichen Grundlagen der Gemeindeorganisation: SteSi 20. LT,
Beilage 22/1965, S. 419-423; ergänzt durch Werner Brandtner/Elmar Häusler/Klaus Martin/Ludwig Rhomberg/Kurt Sommer,
Das Vorarlberger Gemeindegesetz, Bregenz 1993, S.1-6.
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Im September 1938 hatte der nationalsozialistische Landeshauptmann auf Grundlage der
Gemeindeordnung 1935 mehrere Gemeindezusammenlegungen verfügt: Lochau, Eichenberg,
Kennelbach und Fluh waren Bregenz eingemeindet und Bolgenach an Hittisau, Reuthe an Bezau und Stallehr an Bludenz angeschlossen worden; Höchst, Gaißau und Fußach waren zur
Gemeinde “Rheinau” zusammengeschlossen worden. Im März 1946 beschloß der Landtag,
zur Bereinigung Volksabstimmungen in den angeschlossenen Gemeinden durchzuführen204.
Nur Fluh und Bregenz bzw. Bolgenach und Hittisau sprachen sich mit der notwendigen Zweidrittelmehrheit für die Beibehaltung der Vereinigung aus. Die Trennung der übrigen Gemeinden trat mit Ende 1946 in Kraft205. Damit war und blieb Vorarlberg in 96 Gemeinden gegliedert
(1918: 103, 1938: 89)206. Die Franzosen hatten bereits im Vormarsch damit begonnen, neue
Bürgermeister einzusetzen207. Zum Teil geschah dies auf Vorschlag der Widerstandsbewegung. In anderen Gemeinden wurden die “kommissarischen Bürgermeister” im Einvernehmen
mit den Besatzungsbehörden auch von den Bezirkshauptmännern ernannt208. Das Vorläufige
Gemeindegesetz ermächtigte die Landesregierungen, “aufgrund von Vorschlägen der drei anerkannten Parteien in den Gemeinden” Gemeindevorstände zu bestellen und auch wieder zu
entheben209. Offensichtlich ging der Landesausschuß im Dezember 1945 von baldigen Gemeindewahlen aus. Er beschloß, die Gemeindeorgane bis dahin “nur in besonders krassen
Fällen” aufgrund der Ergebnisse der Landtags- und Nationalratswahlen umzubilden210. Auf
dieser Basis konstituierten sich in der Folge “provisorische Gemeindevertretungen”. Doch erst
1950 wurde in den Vorarlberger Gemeinden erstmals seit 1929 wieder demokratisch gewählt211. Landeshauptmann Ilg begründete dies damit, daß man eine “gewisse Einheitlichkeit”
an den Tag legen und zuwarten wollte, bis auch die Gemeinden in der sowjetischen Besatzungszone mittun könnten212.
Wahlrechtszwänge
204
G vom 21.3.1946 über die Bereinigung von während der deutschen Besetzung Österreichs getroffenen Verfügungen auf
dem Gebiete des Gemeindewesens, LGBl 4/1946, und Durchführungsverordnungen LGBl 11/1946, 12/1946, 13/1946.
205
LGBl 13/1946, LGBl 4/1947.
206
Einen guten Überblick zur geschichtlichen und wirtschaftlichen Entwicklung bot zuletzt Helmut Tiefenthaler, Vorarlbergs
Gemeinden von A bis Z, in: Vorarlberg - unser Land 1992 (wie Anm. 134), S. 227-312.
207
Ein Verzeichnis aller Vorarlberger Bürgermeister seit 1945 bietet die Vorarlberg Chronik (wie Anm. 32), S. 292-302.
208
Exemplarisch für die “Periode des gemischten Gemeinderechts” Bezirkshauptmann Josef Graber, Rankweils Gemeindeorgane und ihre Bestellung im Wandel der Gemeindeverfassungen von 1850-1950, in: Josef Bösch (Hg.), Heimat Rankweil,
Rankweil 1967, S. 288-307, hier S. 304-307, und Josef Graber, Die politische Geschichte, in: Marktgemeinde Hohenems
(Hg.), Hohenems. Kultur, Hohenems 1978 (= Bd. 2 der Gesamtdarstellung), S.113-158, hier S. 149-151.
209
StGBl 66/1945, Art. 7, Abs. 3. Anerkannt waren ÖVP, SPÖ und Kommunisten (KPÖ).
210
NS Interne Sitzung LA 5.12.1945 (wie Anm. 8).
211
1936 wurden zwar österreichweit die einzigen “Gemeindetagswahlen” durchgeführt. Wahlberechtigt waren jedoch nur Mitglieder der “Vaterländischen Front”, gewählt wurde nur in 86 “sicheren” von 98 Gemeinden. Gerhard Wanner, Vorarlberger
Zeitgeschichte, Quellen-Darstellung-Bilder, Erste Republik 1918-1938, Feldkirch 1984, S. 47.
212
SteSi 17. LT, 1. Sitzung 26.1.1950, S. 4.
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In der neuen Gemeindewahlordnung 1950 wurde für den Fall, daß keine Wahlvorschläge eingereicht werden (Verhältniswahl), auch die Möglichkeit eines listenfreien Wahlverfahrens beibehalten, bei dem jeder Wähler seine Stimme beliebig für jeden in der Gemeinde Wahlberechtigten abgeben konnte. Diese in Österreich einzigartige Möglichkeit des Mehrheitswahlrechts wurde letztmals 1980 in 34 Gemeinden praktiziert, 1984 aber vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben213. 1991 brachte die ÖVP im Landtag einen Antrag auf Wiedereinführung
der Möglichkeit einer Mehrheitswahl ein, die vor allem von Bregenzerwälder Gemeinden gefordert wurde214.
Den Gemeindevorstand bestellte die Gemeindevertretung über Jahrzehnte nach dem Mehrheitswahlrecht aus seiner Mitte, bis die grundlegende Bundesverfassungsnovelle 1962 zu einer Bestellung nach dem Verhältniswahlrecht (Proporz) verpflichtete. Dem wurde im neuen
Gemeindegesetz 1965 Rechnung getragen215. Gleichzeitig wurde wegen “verfassungsrechtlichen Bedenken” die sogenannte “Bürgermeister-Volkswahl” abgeschafft216, von der allerdings
nur einmal Gebrauch gemacht worden war (1958 in Wolfurt)217. Sie hatte darin bestanden, daß
die Wahl eines Bürgermeister, der nicht der Gemeindevertretung angehörte, durch eine
Volksabstimmung bestätigt werden mußte; nun konnte die Gemeindevertretung jeden wahlberechtigten Gemeindebürger zum Bürgermeister wählen218. 1991 brachte die SPÖ mit medialer
Unterstützung einen Landtagsantrag ein, der auf eine Direktwahl der Bürgermeister nach dem
Beispiel anderer Bundesländer abzielte219. Die Kehrseite dieser Personalisierung des Wahlrechts ist eine Schwächung der parlamentarischen Gemeindedemokratie. Für Oppositionsparteien überwiegt vermutlich die Chance, den “Bürgermeisterbonus” der Regierungsparteien
zu minimieren, die Gefahr, dadurch auch das “Dorfkaisertum” zu fördern. Wahlstrategische Überlegungen sind jedenfalls nicht von der Hand zu weisen. “Binnenföderalismus”: Landespolitik via Gemeindestube
Auch der von der SPÖ propagierte “Binnenföderalismus” ist im Zusammenhang mit ihrer Oppositionsrolle im Landtag seit 1974 zu sehen, zumal sie in den Städten Bregenz (1975-1990)
und Bludenz (1970-1995) absolute Mehrheiten erobert hatte. Seit 1969 sah die Landesverfas213
LGBl 12/1984.
Selbständiger Antrag ÖVP SteSi 25. LT, Beilage 62/1991.
215
Nach Grabherr (wie Anm. 1), S. 298, “durch den Bundeszentralismus erzwungen”. SteSi 20. LT, Beilage 22/1965, S. 435436. Bis zu Erlassung des GemeindeG 1965 war die Wahl des Gemeindevorstandes und des Bürgermeisters in der Gemeindewahlordnung geregelt.
216
Da 1962 in der Bundesverfassung statuiert worden war, daß Bürgermeister und Gemeindevorstand der Gemeindevertretung
unmittelbar verantwortlich sind, müsse der Bürgermeister auch ausschließlich von dieser gewählt werden. SteSi 20. LT, Beilage 22/1965, S. 446.
217
ABlV 13 (1958) 27. Das Wahlverfahren mußte eigens mit einem Bürgermeister-VolkswahlG (LGBl 11/1958) geregelt werden. Diese Möglichkeit hatte seit 1919 bestanden.
218
Sofern er nicht Gemeindevertreter ist, sitzt er der Gemeindevertretung und dem Gemeindevorstand zwar vor, gehört ihr aber
nicht an. Davon wurde z.B. 1997 in Hohenems Gebrauch gemacht. Vorarlberger Nachrichten 11.7.1997, S. A5.
219
Selbständiger Antrag SPÖ SteSi 25. LT, Beilage 66/1991. Vgl. Tiefenthaler (wie Anm. 201), S. 78 f.
214
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sung vor, daß eine Gesetzesbeschluß des Landtages einer Volksabstimmung zu unterwerfen
ist, wenn 15 Gemeindevertretungen dies mit Beschluß verlangen (Gesetzesreferendum). Im
Zusammenhang mit der “Föderalismusabstimmung” 1980 forderte die SPÖ dieses Recht für
“eine Mehrzahl von Gemeinden, wenn sie zusammen mindestens zehn Prozent der Landesbevölkerung repräsentieren”220. Der Einspruch aller 46 Gemeinden mit weniger als 1.300 Einwohnern zusammen hätte demnach für ein Gesetzesreferendum nicht mehr genügt, wohl aber
ein Votum der beiden “roten Städte” Bregenz und Bludenz221 - allerdings nur, sofern der
Landtag einen Gesetzesbeschluß nicht mit Zweidrittelmehrheit “als dringlich erklärt”, wozu die
Regierungsfraktionen, ausgenommen 1984 bis 1989, immer in der Lage gewesen wären222.
1984 wurde das Quorum schließlich auf zehn gesenkt, wodurch die zehn kleinsten Gemeinden mit zusammen nicht einmal einem Prozent der Landesbevölkerung eine Volksabstimmung
über Gesetzesbeschlüsse oder Verwaltungsfragen (Volksbefragung) auf Landesebene erzwingen könnten223. Damit verfügen die Vorarlberger Gemeinden im Ländervergleich über relativ weitgehende Mitwirkungsrechte224. Versuche der Landtagsopposition, via Gemeindestuben die Parlamentsmehrheit “plebiszitär auszuschalten”, blieben zwar erfolglos225. Durch die
Verfassungsreform 1984 dürfte aber die Verhandlungsposition der Gemeinden und des ÖVPdominierten Vorarlberger Gemeindeverbandes gegenüber dem Land spürbar gestärkt worden
sein. Zudem ist zu beachten, daß dem Landtag traditionell viele aktive Gemeindevertreter angehören. 1974 wurden allein acht Bürgermeister in den Landtag gewählt226.
“Vorarlberger Gemeindeverband” - Ansprechpartner und Interessenvertretung
Der Landesverwaltung war an einem kompetenten Ansprechpartner gelegen, der die Gemeindeangelegenheiten koordiniert. Auf Anregung der Bezirkshauptmannschaft Bludenz hatte der
Landesausschuß bereits im Oktober 1945 erste Bürgermeisterbesprechungen abgehalten227.
1948 erfolgte auf Anregung des Feldkircher Bezirkhauptmanns die Gründung eines “Vorarl-
220
Minderheitsbericht der SPÖ zur Vorlage des Rechtsausschusses betr. die Föderalismus-Abstimmung, SteSi 23. LT, Beilage
9/1980, S. 2.
221
Berechnet nach der Wohnbevölkerung gemäß Volkszählung 1981. Strukturdaten Vorarlberg. Hg. vom Amt der Vorarlberger Landesregierung, Bregenz 1996, S.18-19. Das “schwarze” Dornbirn repräsentierte zwar über 11 Prozent der Landesbevölkerung, hätte nach dem SPÖ-Vorschlag allein kein Gesetzesreferendum bewirken können.
222
Nur Verfassungsgesetze dürfen nicht als dringlich erklärt werden; Landesverfassung Art. 23 Abs. 3.
223
Die zehn kleinsten Gemeinden unter 400 Einwohnern kamen bei der Volkszählung zusammen gerade auf 2.761 Einwohner
oder 0,8 Prozent der Landesbevölkerung.
224
Hans Neuhofer, Landesgesetzgebung und Gemeinden, in: Schambeck (wie Anm. 4), S. 125-136; Morscher, Landesgesetzgebung und direkte Demokratie, S. 155-160.
225
Nur knapp gescheitert ist 1990 eine Initiative gegen das neue RettungsG.
226
Bürgermeister wurden in den LT gewählt: 1945 1 (ÖVP), 1949 0, 1954 2 (ÖVP), 1959 5 (ÖVP), 1964 6 (4 ÖVP, 1 SPÖ, 1
FPÖ), 1969 6 (4 ÖVP, 1 SPÖ, 1 FPÖ), 1974 8 (5 ÖVP, 2 SPÖ, 1 FPÖ), 1979 4 (3 ÖVP, 1 SPÖ), 1984 3 (2 ÖVP, 1 SPÖ), 1989
2 (ÖVP), 1994 5 (4 ÖVP, 1 SPÖ).
227
NS Interne Sitzung LA 5.9.1945 (wie Anm. 8).
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berger Gemeindeverbandes”228. Im Unterschied zu anderen Bundesländern ist der “Vorarlberger Gemeindeverband” eine freiwillige, überparteiliche Interessenvertretung, der sämtliche
Gemeinden angehören. Der ÖVP-dominierte Gemeindeverband vertrat die Gemeindeinteressen gegenüber der Landesregierung ebenso selbstbewußt wie gegenüber der Bundesregierung. Dabei werden auch ÖVP-interne Konfliktlinien, etwa zwischen dem jungen Bregenzer
Bürgermeister Karl Tizian und Landeshauptmann Ilg, sichtbar. 1980 wurde am Vereinssitz in
Dornbirn ein eigenes Gemeinderechenzentrum eingerichtet. 1984 wurde dem Verband per
Landesverfassung ein Anhörungsrecht beim Erlaß von Gesetzen und Verordnungen garantiert.
Die Gemeinden sind, wie Bund und Länder, Gebietskörperschaften mit dem Recht auf Selbstverwaltung in einem eigenen, weisungsfreien Wirkungsbereich229. Gleichzeitig sind die Gemeinden in einem übertragenen, weisungsgebundenen Wirkungskreis auch Verwaltungssprengel des Bundes und des Landes; für die Besorgung dieser staatlichen Aufgaben ist nur
der Bürgermeister zuständig, der den staatlichen Behörden gegenüber weisungsgebunden
und verantwortlich ist.
Mit dem Vorarlberger Gemeindegesetz 1965 wurde unter anderem die Gemeindeautonomie
sachlich erweitert, die Gemeinde gegenüber der staatlichen Aufsichtspflicht freier gestellt und
die Bildung von Gemeindeverbänden erleichtert. 1969 wurden die tragenden Grundsätze der
Gemeindeautonomie und -organisation in der Landesverfassung verankert und 1984 ergänzt.
Höchster Anteil an Kleinstgemeinden
In der österreichischen Gemeindeorganisation gilt der Grundsatz der Einheitsgemeinde: jede
Gemeinde hat dieselben Rechte und Pflichten. Ein Interessenausgleich war aufgrund der unterschiedlichen Größe, Lage, Wirtschaftsstruktur und Finanzstruktur nicht immer einfach230.
Während sich österreichweit die Zahl der Gemeinden seit 1945 beinahe halbiert hat, war in
Vorarlberg eine Kommunalstrukturreform kein ernsthaftes Thema. Das hatte zur Folge, daß
Vorarlberg 1987 mit 18,8 Prozent den höchsten Anteil an Kleinstgemeinden bis 500 Einwoh228
Gründungsmitglieder waren 60 Gemeinden. Präsidenten waren die Bürgermeister Günther Anton Moosbrugger (Dornbirn)
1948-1952, 1956-1960, 1964-1966, Josef Bösch (Lustenau) 1952-1956, Hanni Amann (Hohenems) 1960-1964, Gallus Schmid
(Götzis) 1966-1969, Karl Bohle (Dornbirn) 1969-1974, 1978-1983, Hubert Waibel (Wolfurt) 1974-1978, 1983-1985, Gerhard
Köhlmeier (Hard) 1985-1995, Wilfried Berchtold (Feldkirch) seit 1995. Tiefenthaler (wie Anm. 201); Kurt Sommer, Der Vorarlberger Gemeindeverband, in: Österreichischer Gemeindebund (Hg.), 40 Jahre Österreichischer Gemeindebund 1947-1987,
Wien 1987, S. 93-96; (Otmar Müller:) Vorarlberger Gemeindeverband, in: Österreichischer Gemeindebund (Hg.), Chronik eines Erfolges. 50 Jahre Österreichischer Gemeindebund 1947-1997, Wien 1997, S. 244-252; Vorarlberg Bericht (1975) 10.
229
Vgl. Neuhofer, Gemeinden, in: Handbuch des politischen Systems (wie Anm. 29), S. 774-784, hier S. 777-783. Zur Vorarlberger Gemeindeorganisation: Keßler, Jungbürger, S. 12-49; Ender (wie Anm. 134), S. 72-104; Müller (wie Anm. 21), S. 5065; Bußjäger, Ordnung (wie Anm. 134), S. 45-48.
230
Vgl. Strukturdaten (wie Anm. 220).
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ner aufwies (österreichweit 7,6 Prozent). Gleichzeitig wies Vorarlberg mit 7,3 Prozent den
höchsten Anteil an Gemeinden zwischen 10.000 und 20.000 Einwohnern auf (österreichweit
2,5 Prozent)231.
Diesem Bild entspricht die Verteilung der Landesbevölkerung. Vorarlberg hat keine dominierende Landeshauptstadt, weist aber eine massive Bevölkerungskonzentration in den 38 Talgemeinden des Rheintals und Walgaus auf, wo auf zehn Prozent der Landesfläche seit den
1970er Jahren 80 Prozent der Bevölkerung leben (1991: 80, 1971: 79, 1951: 74, 1890: 67
Prozent). Konstant lebten in den zehn größten Gemeinden rund 54 Prozent der Landesbevölkerung (1890: 46 Prozent). Dornbirn zählte 1951 als größte Gemeinde 22.500 Einwohner,
1991 40.700; Dünserberg als kleinste Gemeinde 1951 109, 1991 171 Einwohner232.
Das Raumplanungsgesetz 1973 stellte die Gemeinden mit der generellen Verpflichtung, Flächenwidmungspläne zu erlassen, vor große Herausforderungen. Den ersten Flächenwidmungsplan hatte 1964 Rankweil beschlossen233; Bebauungspläne gab es zum Teil bereits aus
der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg (z.B. Hohenems 1911). Ab 1990 förderte das Land verstärkt
die Planung der Gemeindeentwicklung234. Schloß Hofen eröffnete ein Bildungsprogramm für
Landes- und Gemeindeentwicklung.
Kooperation über Kirchtürme hinweg
Die gesellschaftlichen Veränderungen, die sich meist zuerst auf Gemeindeebene bemerkbar
machen, haben den Aufgabenkreis der Gemeinden enorm erweitert. Im Unterschied zu den
anderen Bundesländern gibt es in Vorarlberg keine “Stadt mit eigenem Statut”, die selbst die
Aufgaben einer Bezirksverwaltungsbehörde wahrnimmt235. Zunehmend an Bedeutung gewann
dagegen die gemeinsame Bewältigung von Aufgaben. Die Kooperationsformen sind sehr unterschiedlich.
Im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung steht die Rechtsform frei; sie reichen in der Praxis
von formlosen Arbeitsgemeinschaften, über Vereine und Genossenschaften bis zu handelsrechtlichen Gesellschaften. So beteiligten sich 1948 zum Beispiel elf Gemeinden gemeinsam
231
Vgl. Neuhofer (wie Anm. 228), S. 776-777.
Zur Bevölkerungsentwicklung: Strukturdaten (wie Anm. 220), S. 15-28.
233
Der damalige Bürgermeister Herbert Keßler, (wie Anm. 20), S. 256-263, und Herbert Keßler, Der Rankweiler Flächenwidmungsplan, in: Heimat Rankweil (wie Anm. 207), S. 442-451. Ebenso exemplarisch: Otto Amann, Der Flächenwidmungsplan
als Wegweiser in die Zukunft, in: Marktgemeinde Hohenems (Hg.), Hohenems. Natur und Wirtschaft, Hohenems 1983 (= Bd.
3 der Gesamtdarstellung), S. 343-349.1973 lagen erst für fünf Gemeinden rechtskräftige Flächenwidmungspläne vor. Reith
(wie Anm. 96), S. 188; Wanner 1995 (wie Anm. 34), S. 397-399.
234
Vorarlberg Bericht (1992) 71, S. 18-19.
235
Vgl. Pelinka (wie Anm. 50), S. 38-39.
232
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mit dem Land an der Gründung der VOGEWOSI236. Ab 1970 schlossen sich Gemeinden nach
dem Vorbild der “Regio Bregenzerwald” zu Regionalplanungsgemeinschaften zusammen237.
Musikschulen werden gemeinsam auf Vereinsbasis betrieben und die gemeinsamen Interessen über den Verein “Vorarlberger Musikschulwerk” (1989) wahrgenommen238. Ebenso sind
regionale Tourismusverbände als Vereine organisiert, oder auch der “Vorarlberger Gemeindeverband” 239 selbst.
Die verfassungsrechtlich vorgesehene Form der interkommunalen Zusammenarbeit für die
Selbstverwaltung wie den übertragenen Wirkungsbereich sind öffentlich-rechtliche Gemeindeverbände240. Ab den 1960er Jahren bildeten sich regionale Wasserverbände zur Abwasserbeseitigung, Trinkwasserversorgung usw. (Bundes-Wasserrechtsgesetz 1959)241. Eine Novelle
des Schulerhaltungsgesetzes 1976 regelte die Bildung von Schulverbänden242. Als Gemeindeverband ist auch der Bürgermeisterpensionsfonds organisiert243. Weitere Gemeindeverbände wurden nach dem Gemeindegesetz für verschiedenste Zwecke gebildet (Standesamts- und
Staatsbürgerschaftsverbände, Krankenhäuser, Gewerbepark, Gemeindeblatt; bis 1970 Bezirksfürsorgeverbände)244. 1992 konstituierte sich ein “Gemeindeverband für Abfallwirtschaft
und Umweltschutz”, dem alle Gemeinden angehören. 1993 wurden je ein Gemeindeverband
für “Personennahverkehr Oberes Rheintal” bzw. “Unteres Rheintal” gegründet245. Andere Aufgaben werden über landesgesetzliche Fonds gemeinsam bestritten (zB Wohnbaufonds 1950,
Rettungsfonds 1991)246. Das Gemeindegesetz sieht zudem die Möglichkeiten von Verwaltungsgemeinschaften ohne Rechtspersönlichkeit vor247.
Ausdruck einer verstärkten interregionalen Zusammenarbeit von Kommunen war 1985 die
Gründung einer “Rheintalischen Grenzgemeinschaft”248. Mit dem EU-Beitritt 1995 wurden Pläne für eine Euregio “Allgäu-Außerfern-Kleinwalsertal/Bregenzerwald” aktuell und 1997 reali236
14 Gemeinden schlossen sich später noch an. Längle, Wohnungsnot, S. 107.
Wolf Jürgen Reith/Anton Sutterlüty, Selbstorganisation als praktische Erfahrung der Regionalplanungsgemeinschaft Bregenzerwald, in: Pernthaler (wie Anm. 162), S. 58-73; Gottfried Feurstein, An der Wiege der Regionalpolitik, in: Gedenkschrift
Reith, S. 107-112. 1975 bestanden die Regionalplanungsgemeinschaften Bregenzerwald, Großes Walsertal, Walgau und
Klostertal. Vorarlberg Bericht (1973) 3, (1975) 10.
238
Vorarlberg Bericht (1980) 30; Vorarlberger Musikschulwerk (Hg.), Vorarlberger Musikschulwerk, Bregenz 1989, S. 2-4;
Tiefenthaler (wie Anm. 201), S. 90-92.
239
Einen Antrag der FPÖ, den Vorarlberger Gemeindeverband in eine Körperschaft öffentlichen Rechts umzuwandeln, wies
der Verein 1992 zurück und wurde daher vom Landtag mehrheitlich abgelehnt. Selbständiger Antrag FPÖ, SteSi 21. LT, Beilage 13/1992, und 6. Sitzung 10.6.1992, S. 340-355.
240
Vgl. Brandtner u.a. (wie Anm. 202), S. 174-180; Neuhofer (wie Anm. 228), S. 783.
241
Vorarlberg Bericht (1973) 3, (1974) 7.
242
1995 bestanden neun Verbände. Landesrechtssammlung (wie Anm. 106) (Stand 1.1.1997), Untergruppe 3002.
243
Vgl. Tiefenthaler (wie Anm. 201), S. 76-78.
244
Vgl. Landesrechtssammlung (wie Anm. 106) (Stand 1.1.997), Hauptgruppe 05, S. 4.
245
Vgl. Tiefenthaler (wie Anm. 201), S. 97-104.
246
Vgl. Anm. 180 und Tiefenthaler (wie Anm. 201), S. 92-94.
247
Vgl. Brandtner u.a. (wie Anm. 202), S. 180-181; Beispiele: Landesrechtssammlung (wie Anm. 106) (Stand 1.1.997),
Hauptgruppe 05, S. 3.
248
Grabherr (wie Anm. 1), S. 309. Vorarlberger Nachrichten 23.11.1995, S. A6.
237
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siert249. Die Gemeinde Mittelberg (Kleinwalsertal) war bereits seit 1891 in Zollunion mit
Deutschland und eng mit dem benachbarten Allgäu verflochten250.
Hauptorte und Hauptstädte
In den 1980er Jahren begann ein nachbarschaftlicher Wettstreit um kommunale Ehrentitel. Zu
den “Marktgemeinden” (Hohenems, Götzis, Lustenau, Hard, Rankweil, Schruns) war bereits
1962 Bezau hinzugekommen; nun wurde diese Bezeichnung Wolfurt (1982) und Lauterach
(1985) sowie Nenzing (1993) und Frastanz (1993) verliehen. Neben den mittelalterlichen
Städten Feldkirch, Bregenz und Bludenz sowie Dornbirn (1901) darf seit 1983 auch Hohenems die Bezeichnung “Stadt” führen251.
Für den in Feldkirch konstituierten Landesausschuß war im Mai 1945 klar, daß als künftiger
Sitz der zentralen Besatzungsbehörde und damit der Landesregierung “wohl nur die alte Landeshauptstadt Bregenz in Frage [komme]”252. Ende Juni schlug das “Gouvernement Militaire”
in Bregenz seine Zelte auf, und verlegte auch den Landesausschuß dorthin253. Feldkirch bildete jedoch weiterhin traditionsgemäß ein zweites öffentliches Dienstleistungszentrum. Der
traditionelle Dualismus zwischen Bregenz und Feldkirch als ein “bestimmendes Element der
Landespolitik”254 entwickelte sich nach 1945 zu einem Trialismus: Denn vor allem die neue
Messestadt Dornbirn gewann als bevölkerungsgeographischer Schwerpunkt und wirtschaftlicher Mittelpunkt erheblich an Bedeutung, aber auch mit neuen zentralen Einrichtungen. So ist
für Vorarlberg charakteristisch, daß Landesgericht (1849), Finanzlandesdirektion (1935), Diözese (1820/1968), Landesklinikum (1972), Wirtschaftskammer (1850) und Arbeiterkammer
(1921) nicht in der Landeshauptstadt, sondern in Feldkirch ihren Sitz haben, und der Österreichische Rundfunk (1954/1967) in Dornbirn255.
249
SteSi 26. LT, 5. Sitzung 7.6.1995, S. 28; Vorarlberger Nachrichten 13.11.1995, S. A6. Als Vorstufe dazu wurde im März
1997 eine “Regio Kleinwalsertal-Vorderwald” gegründet. Im April 1997 erfolgte die Gründung einer “Euregio AllgäuAußerfern-Kleinwalsertal/Bregenzerwald”. Da ihr 66 Gemeinden an (darunter Mittelberg, Hittisau, Riefensberg, Sulzberg,
Sibratsgfäll) angehören, nennt sie sich auch “66.Euregio” Vorarlberger Nachrichten Heimat Bregenz 6.3.1997, S. 2, 2.5.1997,
S. 3; NEUE 29.4.1997, S. 9; Enzelsberger (wie Anm. 41), S. 483.
250
Müller (wie Anm. 98), S. 55-67; Gedenkschrift zum Jubiläum 100 Jahre Zollanschlußvertrag, hg. von der Gemeinde Mittelberg, Mittelberg 1991, S. 6-61; Vorarlberg Bericht (1991) 68, S. 18-19.
251
Vgl. Brandtner u.a. (wie Anm. 202), S. 8 und 24; Landesrechtssammlung (wie Anm. 106) (Stand 1.1.997), Hauptgruppe 05,
S. 3.
252
NS 2. Sitzung LA 28.5.1945 (wie Anm. 8).
253
VLABl 4/1945; NS Sitzung LA 21.6.1945 (wie Anm. 8).
254
Karl Heinz Burmeister, Bregenz und Feldkirch im Wettstreit um die Landeshauptstadt, in: Die Hauptstadtfrage in der Geschichte der österreichischen Bundesländer, Enns 1991 (= Mitteilungen des Museumsvereins Lauracium-Enns NF (1991) 29,
S. 70-80, hier S. 80.
255
Armin Paul, Bregenz - Stadt an der Grenze. Beiträge zur Stadtgeographie der Landeshauptstadt Vorarlbergs, Bregenz 1987,
S. 21-22 und 163-169; Strukturdaten (wie Anm. 220), S. 86-89.
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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Mehr oder weniger in Funktion blieben in Vorarlberg die 1870 eingerichteten Gemeindevermittlungsämter, die in bestimmten Besitz- und Ehrenstreitgkeiten außergerichtlich schlichten
sollen256.
8. Vorarlberger Besonderheiten der unmittelbaren Bundesverwaltung
“Wir mußten zunächst über Auftrag der Militärregierung die ganze Verwaltung übernehmen.
Alles immer unter ihrer Aufsicht. Und dazu gehörten auch die Bundesbetriebe: Post, Eisenbahn, Vermessungsämter usw.” erinnerte sich der langjährige Finanzreferent Adolf Vögel257.
Wiederaufbau der Bundesverwaltung durch den Landesausschuß
Der Landesausschuß unternahm 1945 alles, um auch die früheren Bundesbehörden möglichst
rasch wieder funktionstüchtig zu machen und die Rechtsprechung in Gang zu bringen. Die
meisten Behördenleiter wurden des Dienstes enthoben und häufig durch Führungskräfte aus
der Zeit vor dem Anschluß ersetzt258. Mit Genehmigung der Militärregierung bestellte der Landesausschuß noch im Mai und Juni einen Landesgendarmeriekommandanten, eine Leitung
für das Arbeitsamt und das Gewerbeaufsichtsamt, für die Landeskrankenkasse und die Wildbachverbauung Bludenz. Der Landesausschuß führte die Sozialversicherung, die Kriegbeschädigtenfürsorge und die vom NS-Regime verstaatlichte Lehrerbildungsanstalt in Feldkirch
weiter259. Der wiedererrichteten Bundesbahndirektion Innsbruck wurde im Juli mitgeteilt, bis
zur Errichtung einer zentralen Eisenbahnverwaltung werde der Landesausschuß auf den Eisenbahnbetrieb selbst über die Eisenbahnbetriebsleitung Feldkirch Einfluß zu nehmen260.
Schon nach wenigen Monaten hatte Vorarlberg einen “nahezu friedensmäßigen” Verkehr261.
Bis Oktober wurde schrittweise der Postverkehr auf ganz Österreich ausgedehnt. 1946 hob
die Militärregierung die Inlandszensur auf, 1947 die Auslandszensur; 1951 kehrte das Kleinwalsertal auch “postalisch” zu Österreich zurück (mit deutschen neben österreichischen Postleitzahlen)262.
256
Peter G. Mayr, Die Weiterentwicklung der Vorarlberger Gemeindevermittlungsämter bis zur Gegenwart, in: Montfort 44
(1992) 4, S. 329-348.
257
Ende und Anfang (wie Anm. 5), S. 44.
258
Z.B. NS 2. Sitzung LA 28.5.1945, NS 3. Sitzung LA 4.6.1945 (wie Anm. 8); Mario Laich, Zwei Jahrhunderte Justiz in Tirol
und Vorarlberg, Innsbruck-Wien-Bozen 1990, S. 246.
259
Brandtner/Hämmerle/Müller (wie Anm. 4), S. 565. NS Interne Sitzung LA 16.8.1945 (wie Anm. 8).
260
NS Interne Sitzung LA 13.7.1945 (wie Anm. 8).
261
Sinz (wie Anm. 139), S. 341-342. Vgl. Lothar Beer, Die Geschichte der Bahnen in Vorarlberg, Bd. II, Hard 1995, S. 32.
262
Helmut Seebald, Die Postverhältnisse in Vorarlberg vom Ende des Dritten Reiches bis zum Staatsvertrag 1955, in: Rheticus
18 (1996) 2, S. 191-201; 100 Jahre Handelskammer (wie Anm. 10), S. 349-351.
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Tabelle 3: Behörden und Dienststellen der unmittelbaren Bundesverwaltung für Vorarlberg
1995
Bundesministerium
BM für Arbeit und Soziales
BM für Finanzen
BM für Inneres
Landesweite Zuständigkeit
Arbeitsmarktservice Vorarlberg
Arbeitsinspektorat für den 15. Aufsichtsbezirk, Bregenz
Bundessozialamt Vorarlberg, Bregenz
Einigungsamt für Vorarlberg, Feldkirch
Finanzlandesdirektion für Vorarlberg,
Feldkirch
Sicherheitsdirektion für das Bundesland Vorarlberg, Bregenz
Landesgendarmeriekommando für
Vorarlberg, Bregenz (keine Behörde)
BM für Justiz
BM für Landesverteidigung
BM für Land- und Forstwirtschaft
BM für öffentliche Wirtschaft und Verkehr
BM für wirtschaftliche
Angelegenheiten
BM für Unterricht und
kulturelle Angelegenheiten
Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck
Staatsanwaltschaft Feldkirch
Militärkommando Vorarlberg, Bregenz
Forsttechnischer Dienst der Wildbach- und Lawinenverbauung, Sektion Vorarlberg, Bregenz
Bundesbahndirektion Innsbruck
Post- und Telegraphendirektion für
Tirol und Vorarlberg, Innsbruck
Fernmeldebauamt Feldkirch
Bundesgebäudeverwaltung II Innsbruck
Berghauptmannschaft Innsbruck
Vermessungsinspektor für Tirol und
Vorarlberg
Inspektor des II. Eichaufsichtsbezirkes in Linz
Landesschulrat für Vorarlberg, Bregenz
Regionale Zuständigkeit
Regionale Geschäftsstellen Bludenz,
Bregenz, Dornbirn und Feldkirch
Finanzämter Bregenz und Feldkirch
30 Zollämter und Zweigstellen
Bezirkshauptmannschaften Bludenz,
Bregenz, Dornbirn und Feldkirch
(Landesbehörden)
Bezirksgendarmeriekommandos Bludenz, Bregenz, Dornbirn und Feldkirch (keine Behörden)
Gebietsbauleitungen Bregenz und
Bludenz
111 Post- und Telegraphenämter und
Poststellen, 3 Postautostellen
Vermessungsämter Bludenz, Bregenz und Feldkirch
Stammeichamt Bregenz, Nebeneichamt Dornbirn
Bezirksschulräte Bludenz, Bregenz,
Dornbirn und Feldkirch
Landeskonservatorat für Vorarlberg,
Bregenz
Quelle: Österreichischer Amtskalender 1995/96.
Finanziert wurde der Betrieb von Bahn, Post, Gendarmerie, Landesinvalidenamt, Landesarbeitsamt usw. zunächst via Landesausschuß. Im September 1945 errichtete er die (1935
erstmals errichtete) Finanzlandesdirektion für Vorarlberg in Feldkirch wieder263. Das ist auch
insofern bemerkenswert, als im Behörden-Überleitungsgesetz, das die provisorische Staatsregierung wenige Wochen zuvor erlassen hatte, eine gemeinsame Finanzlandesdirektion für
Salzburg, Tirol und Vorarlberg vorgesehen war264. Sofern das Gesetz dem Landesausschuß
überhaupt bekannt war265, für bindend wäre es noch nicht erachtet worden. Auf jeden Fall
263
NS Interne Sitzung LA 5.9.1945, NS Sitzung LA 11.9.1945 (wie Anm. 8); Löffler-Bolka (wie Anm. 5); Arthur Hager, Aus
dem Finanz- und Zollwesen seit dem Jahre 1808, in: Jahrbuch des Vorarlberger Landesmusuemsvereins 1980/81 (1982), S. 91138, hier S. 120-137.
264
§ 28, StGBl 94/1945.
265
Vgl. Grabherr (wie Anm. 1), S. 280.
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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wurden Fakten geschaffen, denen im Dezember mit einer Gesetzesänderung Rechnung getragen wurde266. Es wurden zwei getrennte Rechnungen für die Landes- und die unmittelbare
Bundesverwaltung geführt. Die Finanzämter Feldkirch und Bregenz führten die Steuereinnahmen an das Amt der Landesregierung ab, woraus die Landesregierung auch den Betrieb von
Eisenbahn, Post, Gerichtsverwaltung, Gendarmerie, Landesinvalidenamt, Landesarbeitsamt
usw. finanzierte. 1946 wurde mit dem Bund abgerechnet267.
Mit dem Behörden-Überleitungsgesetz wurde im wesentlichen die Behördenorganisation von
1938 wiederhergestellt268. Es bestimmte auch, daß die Aufgaben, die von den Reichsstatthaltern auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheitspolizei geführt wurden, auf Sicherheitsdirektionen übergehen sollen269. Mit dem vollen Wiederinkraftreten der Bundesverfassung im Dezember 1945 wurde jedoch eine dauerhafte Einrichtung von Sicherheitsdirektionen als unmittelbare Bundesbehörden verfassungswidrig270. Um diese Zentralisierung abzusichern, erhob
der Bund diese Gesetzesbestimmung 1946 in Verfassungsrang. Widerwillig trat die Landesregierung die Agenden an die am 1. Juli 1946 errichtete Sicherheitsdirektion für Vorarlberg
ab271. Das Land hielt aber die Forderung nach einer Rückübertragung der Sicherheitspolizei in
die Länderkompetenz oder zumindest mittelbare Bundesverwaltung aufrecht; schon um die
Durchsetzung der Landesrechtsordnung durch die Bundesgendarmerie gewährleisten zu können, nachdem die Länder keine eigenen Wachkörper aufstellen dürfen. Versuche, wenigstens
Restkompetenzen legistisch zu nutzen (Sicherheitsgesetz 1975), wurden vom Verfassungsgerichtshof vereitelt272. Bis 1964 verfügte die Landesregierung noch über eine “Kriminalstelle” in
Feldkirch, die zunächst vor allem der Kontrolle des internationalen Bahnverkehrs diente273.
Das Landesgendarmeriekommando ist keine eigenständige Behörde, sondern, je nach Aufgabengebiet, der Sicherheitsdirektion, dem Landeshauptmann oder der Landesregierung unter-
266
Änderung von § 28 B-ÜG 1945, BGBl 23/1946,13.12.1945.
Der Wiederaufbau (wie Anm. 130), S. 11. 1948 wurden dem LT die Rechnungsabschlüsse 1945 und 1946 vorgelegt. SteSi
16. LT, Beilage 9 und 10/1948.
268
Zur unmittelbaren Bundesverwaltung in Vorarlberg: Keßler, Jungbürger, 152-161; Ender (wie Anm. 134) 143-150; Müller
(wie Anm. 21), S. 111-113.
269
Bemerkenswert ist, daß der Landesausschuß die Militärregierung im Oktober 1945 darauf aufmerksam machte, daß als Folge der Anerkennung die “Wiener Regierung” die Bestellung eines Juristen als Sicherheitsdirektors verlangen werde und auch
zwei Kandidaten vorschlug, die allerdings nicht berücksichtigt wurden. NS Sitzung LA 16.10.1945, NS Interne Sitzung LA
19.10.1945 (wie Anm. 8); im übrigen Löffler-Bolka (wie Anm. 5), S. 151-152.
270
Grabherr (wie Anm. 1), S. 282-283; Karl Weber/Martin Schlag, Sicherheitspolizei und Föderalismus. Eine Untersuchung über die Organisation der Sicherheitsverwaltung in Österreich, Wien 1995, S. 1-59.
271
Die Änderungen wurden im Organisationsplan des Amtes der Landesregierung erst mit 1.1.1947 berücksichtigt. Arthur Hager, Die Gendarmerie in Vorarlberg, in: Montfort (1986) 4, S. 267-303, hier S. 299-300 und 303.
272
Der LT forderte bereits 1995 die Auflösung der Sicherheitsdirektionen. 1980 war diese Forderung auch Gegenstand der
Volksabstimmung. Mehrfach hat der Bund die landesgesetzlich vorgesehene Mitwirkung von Gendarmerie und Zollwache abgelehnt. Grabherr (wie Anm. 1), S. 302-304.
273
Der Wiederaufbau (wie Anm. 130), S. 8; Hager (wie Anm. 270), S. 286 und 288.
267
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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stellt274. Im Unterschied zu den anderen Ländern wurde in Vorarlberg keine Bundespolizeidirektion und keine uniformierte Bundessicherheitswache eingerichtet. Für den Vollzug von
Verwaltungsstrafen übernahm das Land 1975 das bezirksgerichtliche Gefangenenhaus in
Bludenz als “Landesarrest”275.
Erbittert, aber erfolglos kämpfte die Landesregierung gegen die Übernahme des Rundfunks
1954 durch den Bund. “Gegen allfälligen Widerstand hatte das Innenministerium bereits Sicherheitsdirektion und Bundesgendarmerie in Bereitschaft versetzt!”276
Eine tatsächliche Bewährungsprobe hatten die Sicherheitskräfte bereits zu Jahresbeginn bei
der großen Lawinenkatastrophe zu bestehen, die mittlerweile um eine B(ereitschafts)Gendarmerie verstärkt worden waren. Nach dem Abzug der französischen Besatzungstruppen
1953 waren Teile der Gendarmerieschule Oberösterreich II nach Vorarlberg verlegt worden.
Sie bildete den Grundstock für das Jägerbataillon 23, das 1956 als Einheit des neuen Bundesheeres aufgestellt wurde. Im selben Jahr rückten die ersten Wehrpflichtigen (Jahrgang
1937) zur Grundausbildung ein. 1963 wurde ein Militärkommando Vorarlberg errichtet277.
Erhalten blieb die Finanzlandesdirektion für Vorarlberg, die jedoch bis 1982 und erneut ab
1995 in Personalunion vom Präsidenten der Finanzlandesdirektion für Tirol geleitet wurde278.
Verhandlungen über eine Anpassung des Zollanschlußvertrages für Mittelberg blieben in den
1960er Jahren ergebnislos279. Mit dem Beitritt Österreichs zum EWR 1994 bzw. zur EU 1995
fielen die Zollgrenzen zu Deutschland. Damit wurden die Grenzen zum EFTA-Staat Schweiz
(seit 1960) und zum EWR-Mitglied Liechtenstein (seit 1995)280 auch zu EU-Außengrenzen.
Bis heute wird auch die Bahnstrecke durch Liechtenstein nach Buchs von den Österreichischen Bundesbahnen betrieben. Bahn und Post blieben den wiedererrichteten Direktionen in
Innsbruck unterstellt. Die Bundesbahn betreibt auch die österreichische Bodenseeschiffahrt,
die schon im Oktober 1945 wieder ihren Betrieb aufnahm, wenn auch bis 1949 die französische Trikolore am Schiffsheck flatterte281. 1981 nahm die ÖBB in Wolfurt einen modernen
274
Zur Gendarmerie ab 1945: 50 Jahre Landesgendarmeriekommando für Vorarlberg, 120 Jahre Gendarmerie in Vorarlberg,
Bregenz 1970, S. 26-40; Hager (wie Anm. 270), S. 288-303.
275
Laich (wie Anm. 257), S. 296.
276
Der damalige Präsidialchef Grabherr (wie Anm. 1), S. 284. Vgl. Ilg (wie Anm. 13), S. 78.
277
Erwin Fitz, Das Militärkommando Vorarlberg 1963 bis 1988 sowie die militärischen Ereignisse 1953 bis 1988, Wien 1988.
278
SteSi 26. LT, Beilage 5/1996 und 1. Sitzung 31.1.1996, S. 71-74. Die Proteste des Landes gegen die Personalunion dürften
erfolgreich gewesen sein; die Finanzlandesdirektion Vorarlberg dürfte wieder einen eigenen Chef erhalten. Vgl. Vorarlberger
Nachrichten 11.11.1997, S. A7.
279
Müller (wie Anm. 98), S. 66; Gedenkschrift Zollanschlußvertrag (wie Anm. 249), S. 41-42.
280
Liechtenstein, in Zoll- und Währungsunion mit der Schweiz, wurde bei der EFTA-Mitbegründung durch die Schweiz 1960
durch ein Zusatzprotokoll in die EFTA einbezogen und durch die Schweiz vertreten. 1991 trat es der EFTA als eigenständiges
Mitglied bei, 1995 dem EWR.
281
1950 wurde “Schiffahrtsinspektion Bregenz” als “Schiffahrtsstelle” der Zugförderungsleitung Bludenz und damit der Bundesbahndirektion Innsbruck, 1987 jedoch als “Geschäftseinheit Bodenseeschiffahrt” wieder direkt der Generaldirektion Wien
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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Güterbahnhof in Betrieb. Dort eröffnete die Post- und Telegraphendirektion für Tirol und Vorarlberg 1983 ein Bahnpostamt mit dem größten Umschlag in Westösterreich. Mit der schrittweisen Liberalisierung der Verkehrs- und Telekommunikationsdienste im Rahmen der europäischen Integration wurden Bahn und Post in den 1990er Jahren weitgehend in privatrechtliche Rechts- und Organisationsformen überführt.
1994 wurde auch die Arbeitsmarktverwaltung aus dem Sozialministerium ausgegliedert. In die
Direktorien des neuen “Arbeitsmarktservice Vorarlberg” wurden die Sozialpartner eingebunden282.
Die Bundesdenkmalpflege in Vorarlberg wurde professionalisiert und 1949 erstmals ein
hauptamtlicher Landeskonservator bestellt283.
“Walsertransversale”
Ein Kuriosum im Bundesstraßennetz ist die sogenannte “Walsertransversale”, eine projektierte
Querverbindung vom Kleinwalsertal über das Faschina- und Schlappinerjoch nach Graubünden, die in den 1960er Jahren forciert wurde und zur Folge hatte, daß die Straßenstücke auf
dieser Route - zum Vorteil der Landesfinanzen - als Bundesstraßen ausgebaut wurden (B 201,
B 193, B 192). Neben touristischen Gründen wurde geltend gemacht, daß durch diese alpinen
Verbindungstraßen “das Gemeinschaftsgefühl und Stammesbewußtsein gestärkt wird” 284.
Zu den drängenden Anliegen, die der Landesausschuß dem Militärgouverneur in den Nachkriegsmonaten vortrug, zählte die Wiedereröffnung der Zivilgerichte285, nachdem bereits im
Juli 1945 mit dem Aufbau einer Militärgerichtsbarkeit begonnen worden war.286 In der französischen Zone wurden über 40 Prozent der Richter und Rechtsanwälte im Zuge der Entnazifizierung zunächst außer Dienst gestellt. Zu Jahresbeginn 1946 konnten die Zivilgerichte ihre
Tätigkeit wieder aufnehmen, die Militärbehörden zogen sich weitgehend zurück. Die Verfolgung von Kriegsverbrechen oblag ab 1946 österreichischen “Volksgerichten”. Die Gerichtsorganisation der Zwischenkriegszeit wurde für Vorarlberg mit der Staatsanwaltschaft Feldkirch
und der Oberstaatsanwaltschaft Innsbruck sowie den sechs Bezirksgerichten Bregenz, Bezau,
unterstellt. Arnulf Dieth, Die österreichische Schiffahrt auf dem Bodensee, Hard 1984, S. 35, 39-40 und 50. Land Vorarlberg,
eine Dokumentation, ²Bregenz 1988, S. 307.
282
Vorarlberger Nachrichten 1.4.1994, S. D1.
283
Erwin Heinzle, Zwanzig Jahre Denkmalpflege in Vorarlberg, in: Montfort 18 (1966), S. 132-146, S. 132 u. 146. NS interne
Sitzung LA 16.8.1945 (wie Anm. 8).
284
Bachmann (wie Anm. 25), S. 99. Herbert Gehrer, Der Ausbau der Vorarlberger Straßen für den motorisierten Verkehr von
den 30er Jahren bis 1938, Bregenz 1986, S. 79-95 und 118-123; Keßler (wie Anm. 20), S. 297-299.
285
NS Interne Sitzung LA 2.8.1945, NS Sitzung LA 7.8.1945 (wie Anm. 8). Laich (wie Anm. 257), S. 243-265.
286
Eisterer (wie Anm. 5) (wie Anm. 118), S. 231-258.
Ulrich Nachbaur: Gesetzgebung und Verwaltung in Vorarlberg 1945 bis 1995
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Dornbirn, Feldkirch und Montafon, dem Landesgericht Feldkirch und dem Oberlandesgericht
Innsbruck wieder hergestellt und blieb trotz Reformüberlegungen erhalten287. Aufgelassen
wurden ab 1963 jedoch die bezirksgerichtlichen Gefangenenhäuser288. Einen Fortschritt bedeutete die Umstellung der Grundbücher auf automationsunterstützte Datenverarbeitung, die
in Vorarlberg 1989 abgeschlossen wurde.
287
Franz Fiedler, Zur österreichischen Gerichtsorganisation, in: ÖJBfP 1982, S. 143-172, S. 165-168; Laich (wie Anm. 257),
S. 282-285, 290 und 295-296.
288
1963 Bezau u. Montafon, Bludenz übernahm 1974 das Land als “Landesarrest”, Dornbirn blieb als Außenstelle des landesgerichtlichen Gefangenenhauses Feldkirch in Betrieb.
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Lösung der “Illwerkefrage”
Ein ebenso kompliziertes, wie für Vorarlberg wichtiges Kapitel war die “Illwerkefrage”289. Da
das Land nach dem Ersten Weltkrieg nicht das Geld hatte, die Wasserkraft im Einzugsbereich
der Ill selbst zu nutzen, gewann die Landesregierung dafür ein ausländisches Konsortium für
eine “Vorarlberger Illwerke Aktiengesellschaft”. Das Land war zwar nur mit 5 Prozent beteiligt,
konnte sich aber im “Landesvertrag 1922” “Gründerrechte” sichern: Strombezugsrechte, Konzessionsgebühren, Genußrechte und ein Heimfallrecht. Nach 80jähriger Konzessionsdauer
sollte jedes Werk dem Land unentgeltlich anheimfallen, verbunden mit der Möglichkeit, mit
dem Heimfall des ersten Werkes 2010 die gesamte Kraftwerksanlage vorzeitig und begünstigt
zurückzukaufen. 1945 beschlagnahmten die Alliierten die Anteile der vier deutschen Mitgesellschafter als “Deutsches Eigentum”. Mit dem Zweiten Verstaatlichtengesetz 1947 wurden
die großen Elektrizitätsunternehmen verstaatlicht. Der landeseigenen “Vorarlberger Kraftwerke
AG” wurde als “Landesgesellschaft” die regionale Stromversorgung zugewiesen, der “Vorarlberger Illwerke AG” als “Sondergesellschaft” die Stromerzeugung in Großkraftwerken. Die
westlichen Alliierten übertrugen die Verwaltung des “Deutschen Eigentums” treuhändisch an
den Bund. Mit dem Staatsvertrag ging es 1955 ins Eigentum der Republik Österreich über, der
damit zu 90 Prozent Eigentümer der Vorarlberger Illwerke wurde. Das Unternehmen wurde bis
1967 von einem öffentlichen Verwalter geführt, der im Auftrag des Verstaatlichtenministers
nicht nur die Bundesanteile, sondern auch die Minderheitenbeteiligungen des Landes und der
schweizerischen Finanzgesellschaft “Finelectra” verwaltete.
Da die Energie zu über einem Viertel mit Wasser aus Tirol erzeugt wird, wurden dem Land Tirol im “Tiroler Landesvertrag 1949” ebenfalls privilegierte Strombezugsrechte und ein Heimfallrecht an den Tiroler Wasserüberleitungsanlagen eingeräumt. Mit dem “Illwerke-Vertrag 1952”
wurden die Strombezugsrechte der früheren Hauptaktionäre Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk (RWE) und Energieversorgung Schwaben (EVS) auf eine neue Basis gestellt. Darin
wurden auch die Gründungsgrundsätze neu verankert, von den deutschen Vertragspartnern
ab den 1960er Jahren aber zunehmend bestritten, was finanziell zu Lasten der Eigentümer
und speziell des genußberechtigten Landes ging. 1976 gelang es der Landesregierung, eine
Allianz mit dem Bund zu bilden, der dem Land unter Verzicht auf mögliche Genußrechtsansprüche bargeldlos zwanzig Prozent seiner Aktien abtrat. In vier internationalen Schieds289
LH Purtscher SteSi 26. LT, 8. Sitzung 8.11.1995, S. 561-563; Vgl. [Josef Sinz], Die Industrie, ihre Bedeutung und einzelne
Zweige, in: 100 Jahre Handelskammer (wie Anm. 10), S. 147-274, hier S. 249-274; Rainer Reich, Barnabas Fink - Kämpfer für
die Vorarlberger Energiewirtschaft, in: Vorarlberger Nachrichten - VN-Magazin, S. 4-6; Klaus Plitzner, Der Weg nach Süden!
Oder doch nach Norden? Von den Anfängen der Elektrizitätswirtschaft in Vorarlberg bis zur Gründung der “Vorarlberger Illwerke”. In: Helmut Maier (Hg.), Elektrizitätswirtschaft zwischen Technik und Politik. Aspekte aus 100 Jahren RWEGeschichte (erscheint 1999). Ilg (wie Anm. 13), S. 84-85; Keßler (wie Anm. 20), S. 330-331; Winder (wie Anm. 34), S. 243-
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verfahren gelang es Land und Bund gemeinsam, bis 1985 ihre Rechte gegenüber den deutschen Vertragspartner durchzusetzen.
1987
übertrug
die
Republik
Österreich
ihre
Beteiligungen
an
Elektrizitäts-
Sondergesellschaften der Verbundgesellschaft. Nur die Illwerke-Anteile blieben davon ausgenommen. Sie waren von der Verbundgesellschaft wie bisher, auch weiterhin nur treuhänderisch zu verwalten. Diese versuchte in der Folge, die Anteile käuflich zu erwerben, jedenfalls
aber einen vorzeitigen begünstigten Verkauf an das Land Vorarlberg mit allen Mitteln zu verhindern. Als der Verbund-dominierte Illwerke-Aufsichtsrat 1993 mehrheitlich sogar das Heimfallrecht des Landes bestritt, leitete das Land neuerlich ein Schiedsverfahren ein, in dem die
Gründungsrechte des Landes 1994 einwandfrei bestätigt wurden. Nach weiterhin zähen Verkaufsverhandlungen gelang es dem Land schließlich, 1995 die Illwerkeanteile des Bundes
vorzeitig zu erwerben. 1996 folgte der Erwerb der “Finelectra”-Anteile. Die Sicherung der
Gründerrechte an den Vorarlberger Illwerken war vorrangig das Verdienst des langjährigen Finanzlandesrates und Landestatthalters Rudolf Mandl, des VIW-Vorstandsdirektors Rainer
Reich und von Landeshauptmann Martin Purtscher.
256; Vorarlberg Bericht (1995) 82, S. 2-3, (1997) 88, S. 11; Vorarlberger Illwerke (Hg.), Vorarlberger Illwerke AG, Bregenz
1994, S. 28-24.
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