Wie wir morgen essen werden

Transcription

Wie wir morgen essen werden
trend
update
022 014
www.trend-update.de
Für Zukunftsdenker und innovative Gestalter
Wie wir
morgen
essen
werden
Flexitarier, Foodkuratoren
und andere Ernährungstrends
der kommenden Jahre
Future Spot
Mobile Parks
für Baku
World Wide Webbies
Mesh-Netze statt
grenzenloser Transparenz
Beau-Tech
Schöner werden
als das Ideal
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Kraftstoffverb
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02 2014 inhalt
inspirations
Graft: Biologisch
abbaubares Essbesteck
der chinesischen
Designerin Qiyun Deng.
www.cargocollective.com/qiyun
4 RADAR
Das Magazin in TREND
UPDATE: Sprechende
Fenster, bionische
Ampeln, automatische
Schulbücher, intelligente Schreibtische,
Instagram-Guides,
Termine, Teleporter,
Frage des Monats
„Wie werden wir in
Zukunft wohnen?“,
horxkolumne Die
„Digitale Revision“
24 REPORT
World Wide Webbies
Gegen grenzenlose
Transparenz: Die
begrenzten MeshNetzwerke kommen
TITEL
Wie wir morgen
essen werden
28 PORTRÄT
Markus Steinhauser
Gründer der Testbirds:
Wie Software durch
die Weisheit der vielen
verbessert wird
10 Nichts ist einfacher als essen. Und kaum
etwas ist komplizierter: Ist Fleisch noch
okay? Darf man altes Essen weitergeben?
Müssen wir Bier-Sommeliers werden?
Unsere Trends geben die Richtung für die
Branche und den Einzelnen vor
32 PORTFOLIO
Evas Erben
Südtirol: Wo aus dem
Apfel ein globales
Trendprodukt wird
12 Die wichtigsten Trends: Sensual Food,
Flexitarier und Küchenchefs, Curated Food,
New Gardening und Re-use Food –
auf was wir uns einstellen müssen
19 Interview Hanni Rützler
Die Foodexpertin plädiert für mehr
Experimentierfreude beim Essen
38 BRANCHENCHECK
Der Beau-Tech-Trend
Technologie macht
ideale Schönheit
zum käuflichen Element
des Selbstdesigns
20 Schnelles Wissen
Shoppen an der Bushaltestelle, Fleisch aus
dem Internet und Kochen aus dem „Sackerl“
rubriken
22 FUTURE SPOT
Mobile Parks für
Baku in Aserbaidschan
30 INFORAMA
Was uns in Zukunft
positiv überraschen
wird, zeigt unsere
Umfrage zu den
Y-Events
44 FUTURE BUSINESS
Energiedrachen,
Bike-Airbags, Mitfahrzentrale für Dinge.
Start-ups öffnen neue
Märkte
46 IMPULS
Bücher, Web & App
Von der Abundanz bis
zur konkreten Poesie
47 IMPRESSUM
50 FRAGEBOGEN
10 Fragen zur Zukunft
an die Politikwissenschaftlerin Rita Trattnigg
zukunftsinstitut
41 Tourismus-Report 2014,
weitere neue Studien
43 Abo-Bestellfax
48 Work – die Methoden
des Zukunftsinstituts:
Gotcha!
49 Index: Verortung
der Beiträge im
Megatrend-System
Foto: Qiyun Deng/ECAL; ZVG
Editorial Der neue Look
In dieser Ausgabe dreht sich vieles um Ästhetik.
Zunächst um unsere eigene. Mit dem Relaunch
unseres Magazins schlagen wir nach zweieinhalb
erfolgreichen Jahren ein ganz neues Kapitel auf.
Wir wollen damit unsere wesentliche Leistung noch
deutlicher machen: Bilder zu erzeugen von dem,
was die Zukunft bringt. Das hieß für uns: noch
mehr Optik, Einordnung und Fokus auf Treiber und
Wirkungen von Veränderung.
Ästhetik spielt auch eine große Rolle im Titelthema,
das sich um die Trends in der Foodbranche dreht,
sowie ganz wörtlich, wenn es um den Look unseres
eigenen Körpers und der Veränderungen daran
durch Schönheitstechnologie geht. Aber natürlich
liefern wir darüber hinaus noch jede Menge weiterer
Trends aus allen Bereichen der Welt im Wandel. Alles
fließt – und daher freuen wir uns auf Ihr Feedback
zum neuen Heft. chefredaktion@zukunftsinstitut.de
Thomas Huber
Chefredakteur
www.trend-update.de
3
radar
Menschen, Trends, Produkte
Mehr als nur Spielzeug
Roboter zum Wischen und Mähen erobern den Haushalt
Natürlich: Zeit wird knapper und immer
mehr Menschen wollen sich nicht mehr
mit Dingen beschäftigen, die sie auch
delegieren können. Besonders beliebt
sind Rasenmäher, die selbstständig das
Grün im Garten rasieren. 2007 wurden
europaweit erst 27.000 Stück verkauft,
heute sind es weit über 100.000. Aber
auch Roboter, die im Haushalt zur Hand
4
TREND UPDATE 02 2014
gehen, sind ein Renner. Das Unternehmen Hobot aus Taiwan hat neben einem
Bodenwischer einen Roboter zum
Fensterputzen im Programm („Winbot
68“). Marktfüher ist aber der US-Hersteller iRobot. Das 1990 gegründete
Unternehmen stellte ursprünglich
Industrieroboter her, doch der Erfolg
des Staubsaugerersatzes „Roomba“
rückt den Privatkunden in den Fokus.
2006 kam „Scooba“ auf den Markt, der
auch nass wischen kann, durch seine
runde Form aber keine Zimmerecken
erreicht. Damit ist nun Schluss: Nachfolger „Braava“ ist zum Glück eckig und
verfügt über „Indoor GPS“. Da bleibt
kein Winkel trocken. www.irobot.com
Megatrend
New Work
news
DAS BIONISCHE AMPELSYSTEM
Wenn zwei Gruppen von Ameisen an einer
Kreuzung aufeinandertreffen, wartet die
kleinere Gruppe, bis die größere vorüber ist.
Würde man dieses System auf den städtischen
Autoverkehr übertragen, könnte man die Zeit,
die Pendler während der Rushhour im Stau
verbringen, um 40 bis 60 Prozent reduzieren.
Das ist das Ergebnis einer Studie unter Leitung
von Ozan Tonguz, Professor an der Carnegie
Mellon Universität in Pittsburgh und Chef der
Firma Virtual Traffic Lights LLC. Dafür müssten
Autos mit Sensoren ausgestattet sein, die
die Größe der „gegnerischen“ Gruppe erfassen
kann. Die notwendigen Algorithmen existieren,
fehlt nur noch der Segen des Verkehrs­
ministeriums. www.cmu.edu/cttec
Megatrend
Urbanisierung
FINDING
THE
FUTURE
Zwei Hinter­
räder kommen
im Frühjahr 2014
auf den Markt, die
im Handumdrehen
aus jedem Fahrrad
ein E-Bike werden
lassen: www.flykly.com und
www.superpedestrian.com
50 Prozent der Abonennten des
Videoportals HULU streamten im
letzten Jahr Filme ausschließlich
über mobile Endgeräte.
Google besitzt über 160.000 Kilometer Faserkabel rund um die Welt.
Auch Facebook, Microsoft und
Amazon investieren zunehmend in
Internet­Infrastruktur.
Fotos: flickr_MIKI_Yoshihito_SAKURAKO, Getty Images/iStockphoto, Michael D Spencer, PR
The 555 Conference heißt die neue
Eventreihe von TED­Gründer Richard
Saul Wurman. Thema: Finding the
future first. www.555conference.com
Stararchitekt Sir Norman Foster hat
mit SkyCycle ein 220 Kilometer langes
Fahrradnetz durch London entworfen.
Ein Sender
schickt Schall­
wellen über
eine Zugscheibe
in den Kopf
des Reisenden
SPRECHENDES FENSTER
Erschöpft lehnen Sie Ihren Kopf ans Fenster
eines Zugabteils – und plötzlich hören Sie eine
Stimme in Ihrem Kopf! Sie preist die neue
Mobile­App des Bezahlsenders Sky. Erschrocken
fahren Sie hoch, und die Stimme verstummt.
Erst als Sie Ihren Kopf wieder ans Fenster
lehnen, erklingt sie wieder. Was sich anhört wie
der Beginn einer „Akte X“­Folge, ist in Wirklich­
keit der Testlauf einer Werbekampagne von
BBDO Deutschland, der in München und Aachen
stattfand. Ein kleines, verstecktes Gerät sendet
Schallwellen über das Fenster, die ähnlich wie
bei Hörgeräten oder Google Glass über die Schä­
delknochen zum Gehörgang geleitet werden.
Die Reaktionen der Testpersonen: überrascht,
aber auch verärgert. Ob die neue Werbetechnik
tatsächlich zum Einsatz kommt, ist noch nicht
entschieden. Einsetzbar wäre das „sprechende
Fenster“ auch für Musik, Wetternachrichten
oder aktuelle Zuginformationen. www.bbdo.de
Megatrend
Konnektivität
23 Millionen US­Dollar hat die
Venture Capital­Firma AndreessenHorowitz im Dezember in die And­
roid­Distribution CyanogenMod
investiert, die bereits auf mehr als
zehn Millionen Geräten läuft.
3­D­Druckservice Shapeways druckt
jetzt auch Haustürschlüssel.
80 Prozent aller Staatsoberhäupte
und Führungskräfte nutzen laut eines
Reports von Digital Policy Council
angeblich Twitter.
Zwei ehemalige Mitarbeiter von Pixar
Animation Studios, Brad West und
Brand Andalman, lassen mit ihrer
App „Vellum“ die DIY­Buchproduktion
zum Kinderspiel werden:
180g.co/vellum
www.trend-update.de
5
ONLINE KAUFEN,
OFFLINE ABHOLEN
In einer Auftragsstudie des OnlineHändlers eBay spielt „Click and
Collect“ eine entscheidende Rolle.
Hierbei recherchiert der Kunde nicht
nur online, sondern schließt im
Internet bereits den Kaufvorgang ab.
Doch das Produkt wird nicht, wie
üblich, per Post an seine Adresse
geliefert, sondern der Kunde holt es
im Geschäft ab. Die eBay­Studie
„Die Zukunft des Handels“ wurde mit
Jens Krüger, Managing Director bei
TNS Infratest, Prof. Dr. Gerrit Heine­
mann von der Hochschule Nieder­
rhein, sowie Thomas Bendig vom
Fraunhofer Verbund für Informations­
und Kommunikationstechnologie
durchgeführt. Ein Ergebnis der Studie
ist, dass „Click and Collect“ nach
Ansicht von 88 Prozent der Verbrau­
cher in Zukunft weiter an Bedeutung
gewinnen wird. Natürlich bietet
eBay den „Click and Collect“ auch
schon an, wenn bisher auch nur in
Großbritannien. www.ebay.com
Megatrend
Konnektivität
Shut up and eat
Im New Yorker Restaurant „Eat“
spricht man nicht mit vollem Mund
Viele Menschen mögen die hektische und laute Großstadt,
doch gleichzeitig ist die Suche nach Rückzugsorten präsenter
denn je. Um auch Essen wirklich in Ruhe genießen zu
können, gibt es im New Yorker Stadtteil Brooklyn das „Eat“.
Vor allem an Sonntagen veranstaltet das Restaurant sogenannte „silent meals“, bei denen während des Essens nicht
gesprochen werden darf. Das Motto „shut up and eat“ hat
das Restaurant zu einem der angesagtesten Lokale der Stadt
gemacht. Die Nachfrage nach ein wenig Ruhe und bewusstem Genießen im Getümmel der Millionenstadt ist enorm,
Tische müssen im „Eat“ Wochen im Voraus reserviert
werden. Wer es trotz Redeverbot nicht schafft, die Klappe
zu halten oder aufs Smartphone zu verzichten, wird mitsamt
Menü kurzerhand vor die Tür gesetzt.
http://eatgreenpoint.com
Megatrend
Urbanisierung
Der Schulbuch-o-mat ist mehr als ein
Schulbuch in digitaler Form. Gemäß
dem Trend zur „Open Education“
handelt es sich dabei nicht bloß um
digitalisierte Lerninhalte, die wie die
Schulbücher bisher von einer festen
Redaktion zentral erstellt werden,
auch der Entstehungsprozess ist
„offen“. Ähnlich wie das crowdbasierte
Online­Lexikon Wikipe­
dia werden die
Schulbuch­o­mat­Bü­
cher von einem
User­Schwarm
dezentral zusammen­
getragen. Bisher
gibt es allerdings erst
ein einziges „automatisches“ Schul­
buch, das pünktlich zum Schuljahres­
beginn 2013/2014 erschien: Biologie
für die 7. und 8. Klasse.
www.schulbuch-o-mat.de
Megatrend
Neues Lernen
6
TREND UPDATE 02 2014
Fotos: Dylan Latime, schulbuch­o­mat
DAS AUTOMATISCHE
SCHULBUCH
radar
WER HÖREN WILL,
WILL FÜHLEN
WARE PER TELEPORTER
Der französische Shopping-Club
Vente-Privée kündigt an, bis zum
Ende dieses Jahrhunderts seine
Waren via Teleporter auszuliefern.
Der Beamer soll in Zukunft den
Paketboten überflüssig machen.
Auch wenn dieses angeblich geheime
Forschungsprojekt des Unternehmens
in einem Labor in der Schweiz nur
ein PR­Gag ist, so ist es doch ein
guter: Nach keiner Innovation werden
Zukunftsforscher häufiger gefragt
als nach dem Teleporter.
www.vente-privee.com
www.youtube.com/watch?v=ntGcI6dtTd0
Individualisierung
Megatrend
Feel the Sound:
Klang als
Körpererlebnis
Das Phänomen ist von sehr lauten
Rockkonzerten bekannt: Geräusche
hört man nicht nur, man kann sie
auch fühlen. Dieses Phänomen
konnten Computerspiele nicht
simulieren – bis jetzt. „Woojer“ nennt
sich ein neues Augmented­Reality­
Gadget in der Größe einer Streich­
holzschachtel, das beim Spielen
(oder Musikhören) am Körper getra­
gen wird. Es verwandelt die Schall­
wellen aus dem Spiel in diejenigen
Vibrationen, die man fühlen würde,
wenn die Geräusche „echt“ wären.
Das Gerät soll im Mai 2014 auf den
Markt kommen und um die 100
US­Dollar kosten. get.woojer.com
Megatrend
Individualisierung
RUNDRUF
Wie werden wir in Zukunft wohnen?
Fotos: vente­privee.com, Marie Staggat, Francesca Lotti, ZVG (4), PR
Hybride Raumzonen und modulare Möbel – TREND UPDATE befragt
prominente Gestalter, wie das Wohnen im Morgen aussehen wird
Michael Michalsky
Designer
Arne Stamer
Vertriebsleiter System 180
Immer mehr Menschen werden in Städten
leben. Ein urbanes Nomadentum hat
sich entwickelt. Es gibt einen permanenten
Bewegungsstrom. Dementsprechend
sind Wohnkonzepte und Möbel gefragt,
die sich dem Wechsel anpassen.
Von der zunehmenden Mobilität werden
künftig immer mehr Möbel inspiriert sein.
Den Trend hin zu modularen Einrichtungsgegenständen bemerken wir verstärkt seit
zwei Jahren. Durch Modularität lässt sich
eine wunderbare Kundenbindung erzeugen.
Agnieszka Brzostek
Designerin, Concept Design
Matteo Thun
Architekt
Lange Zeit haben wir uns mit einem Überfluss an Dingen umgeben. Künftig allerdings
wird mehr denn je das Credo von Mies van
der Rohe maßgebend sein: „less is more“.
Bei vielen unserer Projekte, bei denen das
Klima es zulässt, wird innen zu außen –
wird der Außenraum Teil des Lebensraumes.
Die Natur wird Teil des Lebensraumes.
Corinna Kretschmar-Joehnk
Innenarchitektin, JOI­Design
Wolfram Putz
Architekt, Gründungspartner GRAFT­Architekten
Meine Zukunftsvision: Räume werden sich
nach unseren Bedürfnissen richten.
Wände schieben sich weg. Düfte und Farben
stellen sich auf meine Stimmung ein.
Die Heizung wird hochgefahren, Licht wird
gedämpft. Durch Technologie wird sehr
viel möglich sein.
Hybride Raumzonen haben keine klaren
Grenzen mehr. Die Küche soll nicht
mehr aussehen wie eine Küche, zugleich
überlegt man sich, ob man noch ein
Wohnzimmer braucht. Was sich bei Early
Adoptern beobachten lässt, wird im
Mainstream ankommen.
www.trend­update.de
7
radar
reminder
Australien aus
erster Hand mit
dem Concierge­
Programm
DIE WICHTIGSTEN
TREND-TERMINE IM
FEBRUAR UND MÄRZ
5. 2. Karlsruhe
CLOUDZONE
Im Mittelpunkt des
6. Trendkongresses net
economy stehen die
Themen Cyberkriminalität
und Produktpiraterie.
www.cloudzone-karlsruhe.de
17. – 21. 2. Hamburg
SOCIAL MEDIA WEEK
socialmediaweek.org/
hamburg/
7. – 16. 3. Austin/Texas
SXSW
South by Southwest war
ursprünglich eine der
größten Musikmessen
der Welt. Seit einigen
Jahren wird der Mix aus
Festival und Konferenz
durch die Themen Film
und interaktive Medien
ergänzt.
This City, My Way
Instagram-Tipps für junge Aussie-Touristen
Das Concierge-Programm der Hotelkette Marriott Australia richtet sich an junge
Reisende. „This City, My Way“ hat acht Teenager engagiert, die in den Hotels in
Sydney, Melbourne, Brisbane und an der Gold Coast logieren und ständig neue
Lieblingsplätze und Sightseeingvorschläge des jeweiligen Ortes auf Instagram
posten. Das können Skateparks oder Surfspots sein, aber auch das persönliche
Lieblingscafé oder ein Ausgehtipp für den Abend. Die Teen-Concierges können für
Rückfragen mithilfe des Messengers Kik direkt angeschrieben werden und
fungieren so als Insider, die von Jugendlichen ohne Probleme kontaktiert werden
können. thiscitymyway.com.au
Megatrend
Individualisierung
DER SMARTE
SCHREIBTISCH
www.sxsw.com
17 .– 21. 3.
Vancouver/Kanada
TED-CONFERENCE
Die Mutter aller Ideen­
konferenzen wird 30 Jahre
alt. Diese Mischung aus
Unterhaltung und Weiter­
bildung ist zu einem
globalen Konferenzge­
schäft geworden. Zum
runden Geburtstag werden
die prominentesten
Redner der letzten Jahr­
zehnte angekündigt.
conferences.ted.com/
TED2014/
8
TREND UPDATE 02 2014
Der Kinetic Desk
bringt Bewegung
ins Büro
Die US-Firma Stir hat den Kinetic
Desk vorgestellt. Dieser Schreibtisch
verfügt nicht nur über Motorik,
sondern auch über Sensorik – das
heißt, er merkt, wenn sich der
Benutzer längere Zeit nicht bewegt
hat, und erhöht sich dann kaum
merklich um wenige Zentimeter. Auf
diese Weise zwingt der Tisch den
Sitzenden aufzustehen. Die „Whisper
Breath“­Funktion schafft die Bewe­
gung des Tisches, ausgerichtet nach
dem Ein­ und Ausatmen des Nutzers.
Gesundheit am Arbeitsplatz wird in
Zukunft noch mehr an Bedeutung
gewinnen, und die Büromöbelbranche
reagiert auf den Trend.
www.stirworks.com
Megatrend
New Work
Fotos: Getty Images/iStockphoto (3), www.stirworks.com
„The future of now – always
on, always connected“
lautet das zentrale Thema
der 14. Social Media Week,
die mit über 160 kosten­
losen Veranstaltungen zum
zweiten Mal in Hamburg
stattfindet.
horxkolumne
Die „Digitale
Revision“
Foto: Klaus Vyhnalek, Illustration: Benedikt Rugar
Zukunftsforscher Matthias Horx über
die zunehmende Abwehrreaktion gegen den
allgegenwärtigen Zwang der Vernetztheit
Matthias Horx ist
Gründer des
Zukunftsinstituts
und Herausgeber
des TREND UPDATE
Vor fünf Jahren prognostizierten wir einen Trend wie blasphemische
Nörgelei: „Digitaler Backlash“, Internet-Skepsis und Offline-Sehnsucht. Jetzt ist sie da, die „Digitale Revision“. Facebookzahlen gehen
zurück. Menschen überprüfen ihr Amazon-Abo und Smartphone-Verhalten. Beliebteste Zeitgeist-Worte sind nicht mehr „Vernetzung“ und „Echtzeit“, sondern „Achtsamkeit“ und „Entschleunigung“. Wir reiben uns die Augen: Sind Apple, Google, Facebook keine
Welt-Erlöser, sondern die skrupellosen Monopolisten von morgen?
Mit der NSA hat das nur am Rande zu tun. Es geht um das Wesen
der Digitalität. Henryk M. Broder beschrieb das Internet so: „Einerseits Tummelplatz für Exhibitionisten und Voyeure, andererseits ein
Raum der Diskretion. Man kann alles mit allen teilen – ohne sich zu
kennen.“ Weil das leibhaftige Gegenüber nicht mehr existiert, kann
man jeden konsequenzlos beleidigen. Die Folge ist der Shitstorm, zu
dem öffentliche Debatten verkommen. Digitale Demokratie? Die
Piraten führen vor, wie eine ständige „liquid democracy“ aussehen
würde: Alle quatschen durcheinander und meinen, etwas meinen
zu müssen, jeder am Rande des narzisstischen Zusammenbruchs.
Auch das Kern-Versprechen, Freisetzung von Kreativität, kann
das Internet nicht wirklich liefern. David Brooks: „Das Problem mit
dem gesteigerten Tempo der Information ist, dass es die Kreativität
unterminiert. Kreativität ist das, was nebenbei passiert. Digitale
Technologien zwingen uns zu ständigen Reaktionen, einem ewigen
Kreislauf von Content, der uns immer im Kreis herumfahren lässt.“
Der Publizist Evgeny Morozov brachte es in seinem erfolgreichen
Buch „To save everything, click here“ auf den Punkt: Grundhaltung
des Digitalzeitalters sei Solutionismus, vulgo „Verbesserungswahn“.
Man sucht verzweifelt nach Problemen, die man mit digitalen
Mitteln lösen muss. Aber diese Probleme sind entweder tief im
Menschlichen „hardwired“; sie zu lösen würde uns keinen Gefallen
tun. Oder sie sind so marginal, dass man mit Kanonen auf Spatzen
schießt. Ineffizienz, Ambivalenz und Undurchsichtigkeit – alles, was
das revolutionäre Internet bekämpfen will – sind „Tugenden in
Verkleidung“. Morozov fragt in humanistischer Skepsis: Cui bono?
Es ist absehbar, das Google Glass zum Stalingrad der digitalen
Revolution werden kann: Eine „solutionistische“ Technik, die
spaltet, ungeheure negative Emotionen provoziert. Werden wir uns
von den Verführungen des Digitalen abwenden und reumütig zum
„meatspace“ zurückkehren, dem Raum fleischlicher Analogität? Ach
was! Technologien entwickeln ihren Wert durch Kämpfe und Krisen,
durch humane Adaptionen. So geht Zukunft: Vermeintliche
Revolutionen transformieren sich in humane Evolutionen. Durch
die segensreiche Kraft des Zweifels.
www.trend-update.de
9
Einfach nur eine Karotte?
Oder „True Food“, wie es
die besten Küchenchefs
der New Nordic Cuisine
auf den Tisch bringen?
10 TREND UPDATE 02 2014
Food-Trends titel
Wie wir
morgen
essen
werden
Nichts ist einfacher und komplizierter zugleich: Essen.
Rund um das Thema „Food“ sind Trends permanent
in schneller Bewegung. Wir haben die wichtigsten
Veränderungen und ihre Auswirkungen auf Märkte
und Branchen zusammengestellt
Von HANNI RÜTZLER und THOMAS HUBER
Foto: plainpicture/zero-creatives/AvR
A
m Ende seines Lebens hat der
Deutsche 46 Schweine und fast 1.000
Hühner aufgegessen – von anderem
Getier ganz abgesehen. Das klingt roh
und barbarisch. Und tatsächlich:
Essen ist ein absolutes Grundbedürfnis, zu finden auf der ersten Stufe der berühmten Maslow’schen Bedürfnispyramide. Die Trends rund um die
Nahrung zeigen aber auch, wie komplex Kultur, Themen
und Märkte mittlerweile funktionieren. Denn kaum etwas
ist zugleich so grundlegend und problematisch wie das
Essen: Immer mehr Menschen werden real oder gefühlt
krank davon, haben Angst davor, essen zu wenig oder zu
viel, glauben an die Verschwörung der Industrie, sie zu
vergiften. Das Essen verliert seine Selbstverständlichkeit.
Wie also wird sich unser Essverhalten in den kommenden Jahren verändern? Was werden die Menschen essen,
was werden sie weglassen, was werden sie vom Essen erwarten, was über das bloße Sattwerden hinausgeht? Und
wie wird das die dazugehörigen Branchen verändern?
Zentraler Treiber der Essentrends ist der Megatrend
Individualisierung. Er erzeugt einen überkomplizierten,
hyperfragmentierten Food-Markt und betrifft darüber
Bereiche von der Gastronomie über den Tourismus bis zur
Sport-, Bekleidungs- und Gesundheitsindustrie.
Individualität bedeutet die Freiheit zur Wahl. Selbstbestimmt zu entscheiden, wie und wo man lebt, welchen
Beruf man ergreift, welche Form der Sexualität praktiziert
wird und natürlich auch was, wann, wie und wo gegessen
wird. Individualisierung ist der Prozess, den Freiheitsraum und die Möglichkeiten für den Einzelnen auszuweiten. Wenn „Sinn zunehmend zur Privatsache wird“, wie es
der Medienphilosoph Norbert Bolz ausdrückt, verändert
das somit auch unser Verhältnis zum Essen.
Nahrung wird zunehmend zum Instrument auf der
Suche nach dem Selbst, zum Tool der Selbstverwirklichung, der Selbsterfahrung und der Selbstdarstellung, ein
hochemotionales allgegenwärtiges Thema – selbst für die,
die kaum mehr wirklich essen. Essen wird als Mittel zur
Selbstbeschränkung, der Persönlichkeitserweiterung,
der Communitybildung, der Weltverbesserung oder der
Provokation eingesetzt. Lebensmittel, aber auch selbst
zusammengestellte Ernährungsphilosophien werden
immer mehr zur Ausdrucksform der Persönlichkeit. Was
man isst, sagt künftig genauso viel über den Menschen
aus wie das, was man nicht – mehr – isst.
www.trend-update.de
11
1 FLEXITARIER
Immer mehr Menschen lassen das
„Hauptelement“ weg: Fleisch.
Zumindest, wenn die physiologische
und moralische Qualität fehlt
Ein Schlagwort wird zum Trend – und viele folgen ihm,
auch ohne es zu wissen: Flexitarier. Die Mehrheit der
Deutschen (52 %) isst laut einer Forsa-Studie an drei oder
mehr Tagen pro Woche kein Fleisch. In Deutschland und
Österreich hat sich der Fleischkonsum nach jahrzehntelangem Anstieg – wenn auch auf immer noch hohem
Niveau – stabilisiert. In den USA geht er nach den jüngsten
Statistiken des U.S. Department of Agriculture sogar seit
drei Jahren deutlich zurück. Das mag auch ökonomische
Gründe haben, die kulturellen sind aber deutlicher.
Viele Menschen haben erkannt, dass sie sich in Zukunft
anders, das heißt nachhaltiger, ökologischer, respektvoller
und gesünder ernähren müssen. Sie suchen ein persönliches Gleichgewicht zwischen Verantwortung für die
eigene Gesundheit, Tierliebe und dem Appetit auf Fleisch.
Richtig essen – ideologiefrei!
Die demografische Entwicklung mit den Megatrends
Gesundheit, Female Shift und Neo-Ökologie sind die
treibenden Kräfte, die den Wandel zu einem neuen Esstyp
voranbringen. Damit ermöglicht der Flexitarier-Trend
auch eine Abrüstung im ideologischen Kampf um
„richtiges“ Essen, der sich zwischen Vegetariern und
Immer-Fleischessern in den letzten Jahren hochgeschaukelt hatte. Denn für den „fleischessenden Vegetarier“
bedeutet seltener Fleisch zu essen keinen Verzicht. Im
Gegenteil: Als „sehr maßvoller, auf Tierschutz bedachter
und sehr qualitätsbewusster Fleischesser“ (so die Defini­
tion des Branchendienstes aid) verbindet er Genuss mit
Welt- und Selbstverantwortung. Auf diese Weise kann
Fleischverzehr wieder zu etwas Besonderem werden, das
man mit Genuss statt schlechtem Gewissen zelebriert.
Das US-Marktforschungsinstitut Packaged Facts
erklärt in seinem aktuellen Culinary Trend Mapping
Report vor allem College-Studenten zu den Trendprotagonisten, die dieses Essverhalten auch als Erwachsene
fortführen werden. In der Gastronomie kommt man
diesem neuen Esstypus mehr und mehr entgegen.
Lebensmittelindustrie und Handel setzen jedoch erst
vereinzelt auf diesen Trend. Die Compass Group,
das weltweit größte Cateringunternehmen, startete im
Jahr 2010 eine „Be a Flexitarian“-Initiative in Amerika.
In Deutschland und Österreich ist es beispielsweise
der Bio-Anbieter Denn’s, der auf seiner Website mit
„5 guten Gründen, denn’s Flexitarier zu werden“
wirbt (www.denns.at/28208_denns_Flexitarier.html).
12 TREND UPDATE 02 2014
1.094 TIERE
AUF DEM TELLER
So viele Tiere verzehrt ein Deutscher
durchschnittlich im Lauf seines Nahrungslebens
4 Rinder
4 Schafe
12 Gänse
37 Enten
46 Schweine
46 Puten
945 Hühner
trendprognose
flexitarier
1. Fleisch wird immer mehr zum Problemthema: Skandale und Nachhaltigkeitsaspekte steigern die Zahl der Flexitarier
2. Alternativen zum herkömmlichen
Fleischgericht öffnen neue Wege in
Gastronomie, Handel und Lebensmittelindustrie
3. Teilzeitvegetarier machen aus dem
Hart-Vegetarismus einen Markt mit ähnlichen Dimensionen wie „bio“.
Food-Trends titel
2 SENSUAL FOOD
Die Aufwertung von Geschmack
eröffnet gewaltiges „Upselling“Potenzial: vom Lagenkaffee über
Himalajasalz bis zum Sommelierbier
Das „Restaurant der Zukunft“ steht in der Mensa der
niederländischen Universität Wageningen. Dort werden
im praktischen Alltag der Studenten laufend verschiedene Ess-Techniken untersucht: Wie kauen wir?
Wann schlucken wir? Und was macht das mit dem
Geschmackserlebnis? Prof. van der Bilt, Leiter der
Untersuchung, ist überzeugt: Unsere „oral processing
habits“ sind einzigartig wie unser Fingerabdruck.
Was wir schmecken, entscheidet sich ganz individuell
in unserem Mundraum. Die Erkenntnis, dass jeder
alle Dinge anders schmeckt, noch dazu abhängig von
welcher Situation, wurde maßgeblich vorangetrieben
durch die Genussforschung, angefangen bei Klassikern
wie Wein oder Spirituosen. Nun erreicht sie die Branche
im ganz großen Stil und eröffnet unzählige neue Felder.
Grafik: Fleischatlas/Christoph Almasy
Der Geschmack ist
individuell – die neue
Sprache dazu wird
zum entscheidenden
Vermittlungsinstrument
Geschmack wird zur Orientierung im Lebensmittelüberfluss bei zunehmender Individualisierung immer
wichtiger. Das Sehen, ehemals „höchster“ und nach wie
vor mächtigster Sinn, bekommt Konkurrenz. „Niedere“
Nahsinne wie Riechen und Schmecken werden, gestützt
durch Forschung und Wissenschaft, wichtiger. Dies
geht einher mit der Verfeinerung und Weiterentwicklung
einer Genusssprache, die uns hilft, sensorische Eindrücke
besser zu verbalisieren und ins Bewusstsein zu holen.
Erst damit gewinnt der individuelle Geschmack Macht
über die Gewohnheit und kann somit unsere Konsumentscheidungen gezielt beeinflussen und verändern.
Schokolade erfindet sich neu
Interessanterweise waren es die nicht per se als gesund
wahrgenommenen Lebensmittel, die es als Erste geschafft
haben, sich diese Erkenntnis zunutze zu machen und
sich so neu zu erfinden. Produzenten von Genussmitteln
wie Schokolade, Kaffee und Wein setzen schon länger auf
differenzierte Geschmackswahrnehmung – mit dem
expliziten Ziel, die Genussambivalenz zu reduzieren.
An der Schokolade lässt sich die neue Macht des Geschmacks erläutern: 1850 kommt die erste Schokolade in
festem Zustand auf den Markt und erobert in den nächsten Jahrzehnten als Milchschokolade Herz und Gaumen
der Konsumenten. Im Diskurs um gesunde Ernährung
geriet sie in Misskredit: schmeckt gut, ist aber ungesund.
140 Jahre später kommt es zur Rückbesinnung auf das
geschmacksgebende Ausgangsprodukt: die Kakaobohne.
Nach und nach wurden alle übrigen Zutaten wie
Zucker, Milchpulver, Nüsse etc. reduziert oder ganz
weggelassen. In einem zweiten Schritt wurde die Vielfalt
an verschiedenen Kakaobohnenarten und deren Herkunft
thematisiert (www.winterfeldt-schokoladen.de). Und
Hand in Hand damit wurde der Fokus gezielt auf den
Gehalt gesundheitsfördernder Inhaltsstoffe (Flavonoide
und Antioxidantien) gelenkt sowie auf die Versprachlichung der Geschmackseindrücke, die das bewusste
Erschmecken erleichtert und fördert.
Und siehe da: Eine solche Schokolade wird nicht mehr
primär als ungesundes Genussmittel wahrgenommen,
das – auch aus schlechtem Gewissen – schnell hinuntergeschlungen wird, sondern als „Sensual Food“, dessen
bewusste Verkostung als sinnliches Erlebnis erfahren
wird, bei dem es vielfältige Geschmacksnuancen
zu entdecken und – unterstützt durch Degustationsvorschläge – zu „besprechen“ gibt.
trendprognose
sensual food
1. Schmecken wird über Qualität stärker
thematisiert. Hersteller brauchen
hierzu neue Beschreibungskriterien
2. Genuss als modernes Essprinzip eröffnet
Potenziale für fast alle Lebensmittel,
muss künftig aber auch überprüfbar und
begründet sein
3. Lernen lässt sich von Vorreitern wie
Wein, Kaffee und Schokolade
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13
titel Food-Trends
3 CURATED FOOD
Im Umgang mit Nahrung zählt
künftig nur noch die richtige
Auswahl. Wer weiter auf Überfluss
setzt, geht unter
Märkte sind in unserer Überflussgesellschaft endgültig
zum Komplexitätsproblem geworden. Es gibt alles – und
von allem zu viel. Der Stress steigt. Noch mehr Wahlmöglichkeiten schaffen nicht mehr Konsum, sondern
erzeugen Desorientierung und Verdruss. Dabei sucht der
Konsument ja „einfach nur“ nach dem Produkt, das
genau zu ihm passt, ihm schmeckt, moralisch vertretbar
ist und ihn gesund erhält, wenn nicht macht. Enorme
Herausforderungen für die Märkte von morgen.
Beispiel gesundes Essen: Konsumenten verstehen
Gesundheit immer weniger als Schicksal, sondern
übernehmen Eigenverantwortung dafür. Das verändert
den Blick auf Lebensmittel und Produzenten. Hier droht
ein ähnliches Dilemma wie beim „Greenwashing“: Wenn
glückliche Weidekühe auf der Verpackung zu sehen sind,
der Hersteller aber nicht garantieren kann, dass die
gesamte Milch auch von Weidekühen stammt, fühlen sich
zwei von drei Verbrauchern getäuscht (Agrifood Consulting, Universität Göttingen; November 2011). Auch beim
„Healthwashing“ erwartet der Konsument nicht nur
Marketingkonzepte, sondern ein klares Gesundheitsprofil.
Die neue „Gesundheitsbehauptungs-“ oder HealthClaims-Verordnung (www.efsa.europa.eu/de/nda/
ndaclaims.htm) legt zwar Spielregeln für Nährwert- und
gesundheitsbezogene Angaben bei Lebensmitteln fest,
hilft aber den Kunden kaum, Komplexität zu reduzieren.
zwei Restaurants in Kalifornien sind weitere 250 geplant.
Das Fast-Casual-Restaurantkonzept setzt konsequent
auf Gesundheit, Nachhaltigkeit und regionale Produkte.
Es verzichtet auf Butter, Fruktose und Herausgebackenes.
Die Kalorienanzahl pro Gericht ist auf maximal 600
festgelegt. Listen und Kriterien für den Einkauf sind derart
lang, dass für europäische Verhältnisse das Motto „eat
good, feel good, do good“ vielleicht etwas zu streng
ausgelegt scheint.
Leichter und humorvoller serviert Whole Foods
Market Inc., der weltweit größte Betreiber einer BioSupermarktkette, sein Healthy-Eating-Konzept
(www.wholefoodsmarket.com/healthy-eating) in den
USA und Großbritannien. Die Website bietet den
„Erdlingen“ kleine appetitlichen Happen, alles in kleinen
Dosen, leicht und geschmackvoll. Jederzeit kann man
bei Bedarf tiefer einsteigen – Stichwort „learn more“.
Dies funktioniert inzwischen in mehr als 300 Filialen.
Spezifische Vorauswahl
und bedarfsgerechte Information
Für die Produzenten heißt das nicht zwingend, weniger
anzubieten, sondern bedürfnisgerechter. Was die Kunden
brauchen, ist ein Gesundheitskurator – jemand, der ihren
ernährungsphysiologischen Bedarf kennt, auf Portionsgröße herunterrechnet und das jeweilige Erreichen
der empfohlenen Tageszufuhr bestimmter Nährstoffe
(Guideline Daily Amounts – GDA) in Prozenten festhält.
Jemanden, der weiß, wer sie sind, was sie brauchen
und in welche Richtung sie sich verändern wollen.
Das Online-Shoppingportal Life:Curated macht das
„kuratierte Leben“ zum Geschäftsmodell (www.lifecurated.com/homegoods). Seiten mit Kochrezepten
für „Curated Food“ entstehen. Das konsequenteste
Curating-Konzept für Food bietet das Restaurant LYFE
– Love your food everyday (www.lyfekitchen.com) von
Mike Roberts, Ex-Geschäftsführer von McDonald’s und
Art Smith, ehemals Chefkoch von Oprah Winfrey. Zu den
14 TREND UPDATE 02 2014
trendprognose
curated food
1. Vorauswahl wird zur zentralen Fähigkeit
des erfolgreichen Lebensmittelhandels
2. Fülle wird zur Gefahr – Konzentration
des Angebots auf die richtigen Produkte
erzeugt Vertrauen beim Kunden
3. Food-Kuratoren werden zu Vorreitern
eines neuen Paradigmas in der Lebensmittelbranche. Sie bestimmen die
künftigen Esswelten maßgeblich mit
4 NEW GARDENING
Selbst gepflückt und selbst gezogen:
Der Wunsch nach Transparenz
und Mitmach-Authentik erobert
Städte, Dächer und Restaurants
Im Urbanismus gilt „Urban Farming“ als das nächste
große Ding. Ziel ist eine Stadt, die sich selbst ernährt.
Das zeigt sich an vielen Stellen: Zunächst wurde der
Schrebergarten wiederentdeckt. Nun wird der Dachgarten zum kollektiven Steckenpferd. Im urbanen Raum
entstehen gemeinschaftliche Gartenprojekte wie der
Berliner „Prinzessinnengarten“ oder die „City Farm
Schönbrunn“ in Wien. In Hochhäusern gedeihen riesige
Themengärten. Bei der Eroberung des öffentlichen
Raums steht „Guerilla Gardening“ als Trend neben
Interventionen wie Flashmobs oder „Guerilla Knitting“.
Gärtnern wird so zur coolen Betätigung urbaner Hipster.
Was man aus dem
Selbstgezogenen
zaubern kann, zeigt
Österreichs Starkoch
Heinz Reitbauer:
Gemüse wird Kunst
Fotos: Steirereck
Frischgemüse aus dem Hochhaus
Klimaforscher und Stadtplaner rufen das „Urban Farming“ schon zur Landwirtschaft der Zukunft aus.
Statt Lebensmittel über lange Wege zu transportieren,
sollten die Städter sie selbst vor Ort erzeugen. Ingenieure
arbeiten an Visionen für die vertikale urbane Farm. Ein
Gebäude mit 30 Geschossen könnte 50.000 Menschen
mit Gemüse, Früchten, Eiern, Fisch und Hühnerfleisch
versorgen. Im kleinen Stil wird dies von Bürgerinitiativen
in San Francisco und New York umgesetzt, die mitten in
der Stadt in Hinterhöfen und Baulücken, auf Dachterrassen und Balkonen Obst- und Gemüseanbau betreiben.
Urban Farming vereint mehrere Wünsche: Sehnsucht
nach der Natur und dem Ursprünglichen, nach authentischen, lokalen Nahrungsmitteln mit dem diffusen
Bedürfnis, autark zu sein, angesichts von Wirtschafts- und
Lebensmittelkrisen Versorgung selbst sichern zu können.
Von den Küchen, Dachgärten, Balkonen und gemüsebepflanzten Baulücken verbreitet sich das „Neue Grün“
auch wieder mehr und mehr in unsere Bade-, Schlaf- und
Arbeitszimmer. Sie werden integrativer Teil einer „Healthy
Living“-Architektur. Und in der Gastronomie wird es
sogar üppig auf den Tellern inszeniert: Ein Radieschen im
Kressebeet verweist auf seine Herkunft und weckt beim
Essen Assoziationen zum Selber-Ernten; ein Gericht aus
Kräutern, Blüten und Beeren erinnert an einen Sommerspaziergang, und ein Pilzgericht fungiert als Herbstbote.
Die Inszenierung am Teller ist nicht nur Schmuck,
sie ist Design und damit eine Sprache, die alle intuitiv
verstehen. Sie veranschaulicht Paradiesverheißung und
Konsum, und dass sich Chlorophilie, die unbedingte
Liebe zu Pflanzen, nicht länger nur in individuell, sondern
längst in kollektiven Handlungen äußert.
trendprognose
new gardening
1. Gesundheit und Neo-Ökologie: Gleich
zwei mächtige Megatrends schieben das
Urban Gardening an
2. Städte sollen sich selbst ernähren: Die
neue Landwirtschaft wächst in der Stadt
3. Stadtbewohner eröffnen einen riesigen
Markt für wohnungstaugliche Landwirtschaft und Gartenbau
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15
titel Food-Trends
5 KÜCHENCHEFS
Der Küchenchef wird zum Role
Model. Die Leidenschaft für
das Elementare macht ihn zum
Rockstar der Lebensenergie
In Zukunft reicht es für anspruchsvolle Gastronomie
nicht mehr, einfach die Emotionen der Menschen zu
reizen, sind die doch großteils schon hoffnungslos
überreizt. Es geht um Größers. Darum, über sinnliche
Verführung Sinn zu manifestieren, Zusammenhänge
klarzumachen, Geschichte zu erzählen.
Eine enorme Aufgabe, denn das bedeutet, die
eigentliche Basis eines Gerichts, einer Küchenphilosophie, eines Restaurants, eines Hotels sichtbar und
spürbar zu machen und ihre tiefere Bedeutung zu
vermitteln. Wer heute als Küchenchef der Zukunft plant,
muss lernen, sich selbst als Vorhaben, als Unternehmen,
als gestaltende Kraft zu inszenieren. Verkürzt: Die
Herkunft der Produkte, ihre Qualität, Zubereitung und
Inszenierung müssen die Seele des Kochs und des
Unternehmens offenbaren. Und den Menschen ehrlich
entgegentreten. Denn ein Grundbedürfnis der Gäste
von morgen ist besonders beim Essen echtes Verstehen
und intuitives Vertrauen – ohne sich durch Zertifikate
und Beschreibungen wühlen zu müssen.
Sinn als Basis neuer Inszenierungen
Doch wie kommuniziert man die eine Küchenphilosophie? Allein durch den Geschmack und das passende
Spiel der Konsistenzen? Nein, das Erlebnis wird zunehmend als umfassend verstanden, von den Konsumenten,
aber auch von den Köchen: „Auch der Duft muss zum
Raum passen! Er ist Teil der Ausstattung wie Lampen,
Blumen oder Möbel.“ In seinem Buch „See What I’m
Saying“ nennt der amerikanische Psychologe Lawrence D.
Rosenblum das den „Cross-Sensory-Effekt“.
Es geht um eine bewusste Abstimmung aller in einem
Raum befindlichen Komponenten. Dieses Arrangement
soll alle fünf Sinne gleichermaßen berühren und zu einem
überzeugenden Gesamteindruck aller Sinneswahrnehmungen führen.
Der Cross-Sensory-Effekt beschreibt Konzepte, die
ganzheitlich gedacht werden. Alle Details werden so
orchestriert, dass sie als sinnliche Wahrnehmung des
Gastes in dessen Bewusstsein oder Unterbewusstsein für
eine bestimmte Stimmung sorgen. Denn es sind ausschließlich diese Cross-Sensory-Effekte, die für Erinnerung sorgen. Ereignisse oder Momente, die nicht mehrere
Sinne aktivieren und Emotionen hervorrufen, erlangen
nach neuesten Forschungen niemals den Zutritt zu
unserem Langzeitgedächtnis.
16 TREND UPDATE 02 2014
Mit dem Wandel des Verständnisses von Essen und
Kochen nimmt auch das Menü beziehungsweise seine
Präsentation auf dem Teller eine neue, umfangreichere
Rolle ein. Durch die gekonnte und meisterliche Inszenierung eines Gerichts werden intensive Verknüpfungen
zwischen dem Ausgangsprodukt, dem Koch und dem Gast
hergestellt. Küchenchefs nutzen das Design, um die
Geschichte hinter dem Produkt und der Zubereitung zu
erläutern. Die Inszenierung auf dem Teller ist bei den
innovativen Chefs schon lange keine austauschbare
Aufhübschung mehr. Wer Design als bloßen Schmuck
versteht, katapultiert sich selbst ins letzte Jahrhundert. Es
geht darum, Design als intuitiv verständliche Sprache
zu verstehen und in der Kommunikation mit dem Gast
gezielt zu verwenden.
Innovative Küchenchefs
müssen heutzutage
sinnhafte Erlebnisse
erzeugen, Werte für das
Langzeitgedächtnis
trendprognose
küchenchefs
1. Küchenchefs sind die Supermodels
der 2010er-Jahre. Sie weisen den Weg zu
verantwortungsvollem Umgang mit Körper,
Nahrungsmitteln und Umwelt
2. Holistische Konzepte für alle
Sinne werden die Top-Gastronomie der
kommenden Jahre prägen
3. Food-Design wird als Faktor immer
größere Bedeutung erlangen
DIE AKTUELLEN KÜCHENPHILOSOPHIEN
UND IHRE PROTAGONISTEN
Die Analyse von über 100 Top-Restaurants ordnet die Küchenphilosophien
der Chefs in vier Dimensionen entlang der Achsen Modern–Retro
und Reduktion–Kombination. Darin spiegeln sich die aktuellen Entwicklungen
in der avancierten Gastronomie
MODERN
ohne Kompromisse
Science
strenge Konzepte
progressiv
Klaus Erfort
unkonventionell
Daniel Patterson
Kontraste
Ryan Clift
Michael Hoffmann
revolutionär
Yotam Ottolenghi
PURE
Pascal Barbot
reduce to the max
Brent Savage
balanced
REDUKTION
Enrique Olvera
saisonal
Mix & Match
Bertrand Grébaut
Entertainment
simple pleasure
Reinheit
Tim Raue
Hans Välimäki
KOMBINATION
Show
Helena Rizzo &
regional Daniel Redondo
Inszenierung
Spiel
Davide Scabin
Erfahrung
meisterhaft
Claude Bose
Gesamtkunstwerk
Roca-Brüder
Jan Hurtigkarl & Humor
Kim Agersten
Storys
ART
Marcus Lindner
crafted
Richard Ekkebus
Quelle: Zukunftsinstitut / futurefoodstudio 2013
RETRO
Grant Achatz
Jannis Brevet
Sinne
ursprünglich
Alvin Leung
Spaß
Sven Elverfeld
Rasmus Kofoed natürlich
AUTHENTIC
Cornelia Poletto
EXPERIMENT
Bart De Pooter
Perfektion
Eneko Atxa
back to the roots
Peter Gilmore
Neuinterpretation
Design
Emotionen
Ramon Freixas
Tanja Grandits
Faktoren der Küchenphilosophien
Spitzenköche
titel Food-Trends
6 RE-USE FOOD
Ein Umdenken setzt ein. Sharing
heißt beim Thema Food: neue
Kreisläufe eröffnen für das, was
derzeit noch in den Müll wandert
Über Nachhaltigkeit lässt sich gut streiten. Doch die Idee
ist längst Teil des kollektiven Bewusstseins. Getrieben von
den Megatrends Individualisierung und Neo-Ökologie
sind in den letzten Jahren viele Interpretationen sozialverträglicher und umweltbewusster Lebensstile entstanden.
Die Ernährung ist dabei ein wesentliches Puzzlestück des
nachhaltigen Lebensstils.
Der Kopf ist grüner als der Bauch
„Save Food“ ist die Devise: Der sorgsame Umgang mit
Nahrung, die Vermeidung von Abfällen. Dies ist im Alltag
oft nicht leicht – für viele Konsumenten ist es schon
Chuzpe, nicht alles, was gerade das „Mindesthaltbarkeitsdatum“ überschritten hat, sofort wegzuwerfen. Unsere
Lebensgestaltung ist paradox: Einerseits gilt es, weniger
Ressourcen zu verbrauchen und den ökologischen
Fußabdruck zu verringern. Auf der anderen Seite stehen
der Wunsch nach Sicherheit und eine Wirtschaft, die
Konsum über alles stellt. Dies zu lösen wird für die
Lebensmittelbranche zur zentralen Herausforderung.
Dass Wissen nicht sofort Handlung folgt ist lange
erlernten Einkaufsmustern geschuldet. Muster des „guten
Einkaufs“ sind längst nicht so etabliert wie die Suche
nach dem besten Preis. Eine Chance für Handel und
Hersteller! Für die kommenden Jahre werden sich neue
Verhaltensregeln auch im Shopping durchsetzen.
„Cradle to Cradle“ lautet ein zukunftsweisendes Designkonzept. Inspiriert durch die Natur, in der es keine
Probleme mit Abfall gibt, geht es um die Entwicklung
hochprofitabler Produkte, deren Bestandteile in biologischen und technischen Kreisläufen zirkulieren und so
positive Effekte für Umwelt und Gesundheit erzeugen:
kompostierbare Materialien zu verwenden und gebrauchte Materialien in Kreisläufen weiter zu nutzen. Das
Nachfragepotenzial für Re-use- und Recycel-Konzepte ist
enorm (www.reusemarketplace.org).
Das ist bisweilen provokant. Ein Bäcker aus Hilden
macht aus der Überproduktion eine Tugend: Statt zuviel
gebackene Brote – 20 Prozent mehr Brot, als tatsächlich
gekauft wird, muss derzeit gebacken werden, damit die
Regale bis Ladenschluss voll sind – einfach wegzuwerfen,
beheizt er damit seine Öfen. Das spart Gas, die CO2-Bilanz
verbessert sich, die Betriebskosten der Öfen sanken um die
Hälfte (www.ihr-bäcker-schüren.de). Für die nachhaltige
Zukunft sind Kreativität und Ideenreichtum gefragt – und
Mut, neue Wege zu gehen. An der Fachhochschule Wiener
18 TREND UPDATE 02 2014
Neustadt dient Altbrot als Ausgangsmaterial für Verpackungen (www.josephinum.at).
Übrigens: Verfütterung von Speiseresten an Tiere,
jahrhundertelang Tradition, machen gesetzliche Auflagen
heute praktisch unmöglich, ebenso die Weitergabe an
Bedürftige oder Hilfsorganisationen. Kompostierung –
also Recycling – ist oft die einzige sinnvolle Lösung. Oder
man nimmt Re-use wörtlich. Der Ernährungswissenschaftler Timo Schmitt leitet für die Berliner Tafel entsprechende Kochkurse, der österreichische Drei-HaubenKoch Tom Riederer hat damit seinen ganz besonderen Ruf
erkocht: Er rettet Wurstreste, Gemüseschalen und
Kerngehäuse vor dem Abfall und macht die Sparkochkunst modern. Sein kulinarisches Statement gegen die
Wegwerfgesellschaft („Nur der Idiot wirft’s weg“) in
Buchform zeigt, wie man aus Apfelschalen, altem Brot
oder Schinken- und Weinresten ein Menü zaubert.
Tipps für Re-using in der Küche geben weltweit Websites.
Eine kanadische (www.bigoven.com/recipes/leftover)
bietet einen Restküchenservice: Für übrig gebliebene
Zutaten findet ein Klick das passende Rezept. Sharing
auch für Lebensmittel zu nutzen versucht foodsharing.de:
Privatpersonen, Händler und Produzenten können,
überschüssige Lebensmittel kostenlos anbieten oder
abholen. Grundidee: Menschen in der Nachbarschaft
teilen Essen, geben – etwa vor dem Urlaub – überschüssige Nahrungsmittel ab oder verabreden sich zum
gemeinsamen Kochen, um Ressourcen zu sparen.
trendprognose
re-use food
1. Save Food – nach Wasser- und Energiesparen kommt gedankenvoller Umgang
mit Nahrungsmitteln als nächste Sparwelle
2. Verwertung wird für Industrie und
Handel zum neuen Nachhaltigkeitsbeweis
3. Cradle to Cradle wird zum neuen Paradigma einer „müllfreien“ Gesellschaft
Interview titel
Hanni Rützler ist Ernährungs­
wissenschaftlerin und Foodtrend­
expertin. 2005 gründete sie das
futurefoodstudio in Wien. Die
international anerkannte Food­
expertin ist Mitglied in zahlreichen
Gremien der Ernährungsbranche
Liegt die Food-Zukunft also in
Technologienahrung?
Bei uns eher nicht. Zumindest nicht
in den nächsten 20 Jahren. Innovation heißt in Europa eher „neue alte
Identität“. Der Däne René Redzepi ist
ein Star, weil er grundlegende Dinge
neu interpretiert. Einer seiner
„Signature Dishes“ ist ein Spiegelei.
„BEIM ESSEN SIND
WIR ZU KONSERVATIV“
Food-Spezialistin Hanni Rützler über nordische Küche,
künstliche Burger und vertrauensbildende Food-Konzepte
Foto: Dietmar Schobel
Frau Rützler, Sie loben die stilbildende Kraft der New Nordic
Cuisine. Was macht sie so anders?
Hanni Rützler: Sie hat sich selbst neu
erfunden und ist erfrischend kreativ.
Sie lebt einen multidisziplinären Prozess: Historiker, Ethnologen, Biologen, Designer, Physiker, Landwirte,
Köche gingen gemeinsam auf die
Suche nach ihren Wurzeln, und zwar
über die Landesgrenzen hinweg. Am
Ende stand ein Manifest – puristisch,
scharf, klar und sehr profimäßig.
Klingt im Bezug auf Essen eher kalt
… aber sehr lebendig. Die nordische
Küche scheut sich nicht vor Experimenten, auch das macht sie so
innovativ. Im deutschsprachigen
Kulturraum sind wir beim Essen eher
technologiefeindlich und rückwärtsorientiert. Regionalität wird bei uns
konservativ interpretiert und hat
wenig mit dem Alltag zu tun. Was
passieren kann, wenn man Kulinarik
mit Naturwissenschaft verbindet, hat
Ferran Adriá gezeigt: Er hat das Essen
in die Neuzeit geführt. Indem er seine
Lebensmittel stilistisch reduziert,
ihnen die Form oder die Konsistenz
nimmt, eröffnet er ganz neue Wahrnehmungsfelder für den Esser.
Haben Sie deswegen kürzlich den
ersten In-Vitro-Burger probiert?
Ja, ich war neugierig, wie er schmecken würde. Der In-Vitro-Burger
besteht ja aus Rindermuskelzellen,
die vom Tier stammen, aber außerhalb des Tiers, im Labor gezüchtet
wurden. Das ist kulturell nicht
leicht zu vermitteln. Dennoch
schmeckt es nach Fleisch und gar
nicht so schlecht.
Klingt unspektakulär
Ja, aber das Konzept macht den
Unterschied: Sie bekommen rohe
Eier, wilde Kräuter und Heuöl, einen
Teller voller Heu, darunter eine heiße
Eisenplatte. Wenn sie das Ei selbst
zubereiten, fühlt sich das an, als
hätten sie das Ei höchstpersönlich
aus den Hühnerstall geholt. Redzepi
macht den Esser zum Entdecker, zum
Jäger und Sammler. Das vergisst man
nie mehr – Neo-Nature und Globalisierung in maximaler Mischung.
Man kann aber nicht immer in der
Sterneküche dinieren
Stimmt, aber man kann sich überall
inspirieren lassen. In einem Supermarkt in Bangkok kaufen Sie frische
Produkte, Fisch oder Gemüse, und
sagen an der Kasse, wie Sie das
zubereitet haben wollen. Dann fahren
Sie weiter zur Kochtheke und einer
der vielen Köche bereitet vor Ihren
Augen etwas aus Ihren Einkäufen zu.
Diese Kombination von Handel und
Garküche löst jedes Vertrauensproblem. Oder das Kaufhaus Stockmann
in Helsinki: Dort definiert man
Regionalität so, dass jede Woche ein
anderer lokaler Bäcker die Theke des
Supermarktes mit seinem Brot
betreibt. Unmittelbarkeit, Sichtbarkeit, Vertrauen sind gerade beim
Essen ein Riesenthema. Jeder Skandal
ist für die Branche lebensbedrohlich.
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19
titel Schnelles Wissen
Shoppen an der Bushaltestelle
Ideen, Konzepte und Tipps rund um die neuesten
Trends der Food- und Gastronomiebranche
Über die unzähligen
Einkaufshilfen per Smartphone kann man bald
genauso den Überblick
verlieren wie über das
Sortiment eines Supermarktes. Angeboten werden
entsprechende Apps
sowohl von Lebensmittelunternehmen als auch von
NGOs und Verbraucherschutzorganisationen.
Manche dieser Einkaufshilfen sind speziell für
umweltbewusste Kunden
entwickelt, etwa EcoChallenge oder der mobile
Einkaufsratgeber des WWF.
Andere – wie etwa Barcoo
– bieten umfassende
Produktinformationen über
Herkunft bis Gesundheitsverträglichkeit, Preisvergleiche und Testberichte.
www.eco-challenge.eu
www.fischratgeber.wwf.de
www.barcoo.com/de
OTTO-GOURMET
ONLINE ORDERN,
WAS MAN OFFLINE
GAR NICHT BEKOMMT
Kochen aus dem „Sackerl“
Lieferservices mit Rezepten
„Was koche ich heute? Und welche Zutaten brauche ich
dafür? Und wo bekomme ich sie her?“ Dass viele gestresste, aber kochaffine Zeitgenossen des leidigen Nachdenkens überdrüssig sind und sich den Frust ersparen wollen,
abends im Supermarkt nur noch Reste frischen Gemüses
vorzufinden, belegt der Boom, den spezielle Lieferservices
in den letzten Jahren verzeichnen.
Allein in Wien bieten mehrere Unternehmen ihre
Dienste an: Neben Kochabo gibt es in Wien derzeit unter
anderem HelloFresh und Dein Einkaufssackerl, die – je
nach Wahl – für einen oder mehrere Tage in der Woche
Rezepte samt Zutaten liefern. Selbst einkaufen, ohne sich
den Kopf übers Rezept zu zerbrechen, kann man im
Geschäft Feinkoch im sechsten Wiener Gemeindebezirk:
Hier werden die Zutaten und Rezepte für verschiedene
wechselnde Gerichte angeboten. Die Zeit fürs Einkaufen
muss man sich aber trotzdem nehmen. www.kochabo.at,
www.hellofresh.at, www.einkaufssackerl.at
MISS KO
FUSION BEIM KONZEPT UND DESIGN
20 TREND UPDATE 02 2014
GOOD.IS
FOOD-HACKING
Tokio meets Paris: Die
Speisen des neuen
japanisch-französischen
Dining-out-Hotspots in
Paris sind genauso
vielfältig, eklektisch und
intensiv wie das von
dem Film „Blade Runner“
inspirierte Neo-AsianDesign der futuristischen
Inneneinrichtung.
Good.is versteht sich als
offener Sammelplatz
von Ideen, Projekten und
Inspirationen. Zum
Thema Essen gibt es hier
erfrischend andere
Lösungsansätze, z. B.
allgemeines Kühlschrank-Management
oder fünf verschiedene
Zubereitungsarten
für ein Ausgangsprodukt.
www.miss-ko.com
www.good.is
Die Skepsis vieler Konsumenten beim Online-Einkauf von Frischeprodukten
hört dort auf, wo Anbieter
Produkte liefern können,
die in dieser PremiumQualität sonst kaum oder
nur mit langen Anfahrtswegen zu bekommen sind.
So hat sich zum Beispiel
Otto-Gourmet bei seiner
Zielgruppe als vertrauenswürdiger Internet-Lieferant
von exklusiven Fleischprodukten etabliert. Auch
regionale Spezialitäten
und Raritäten, die man
bislang nur als kulinarische
Urlaubs- oder Ausflugssouvenirs mit nach Hause
nehmen konnte, können
auf immer zahlreicheren
Websites online bestellt
werden. www.genussregion-shop.at
www.otto-gourmet.de
Fotos: flickr_Barcoo, HelloFresh, Ruhl Studios/Otto-Gourmet
EINKAUFS-APPS
ÖKO-SHOPPEN MIT
DEM SMARTPHONE
EAT SMARTER –
MAGAZIN, WEBSITE
UND APP
PROFESSIONELLES
KNOW-HOW ZUR GESUNDEN ERNÄHRUNG
Restaurant Relæ
Die Suche nach dem reinen Geschmack
Fotos: © Per-Anders Jörgensen (3), Eat Smarter, Tesco
Christian Puglisi stammt aus Italien und lebt seit 1989 in
Dänemark. Nach seiner Kochausbildung, u. a. in
Paris („Taillevent“), Spanien („El Bulli“) und im „Noma“,
eröffnete er gemeinsam mit Kim Rossen sein erstes
Restaurant in Kopenhagen; eine Fine-Dining-Brasserie
mit toller Küche in einer coolen Atmosphäre. Die puristischen Gerichte bestehen durchweg aus maximal drei bis
vier Ausgangsprodukten. www.restaurant-relae.dk
OTTOLENGHI
CASUAL
TRUE FOOD
Yotam Ottolenghi hat die
Herzen der Londoner
nicht nur mit seinen
kulinarischen Kolumnen
im „Guardian“ erobert,
sondern auch mit seinem
Restaurant-Take-awayImperium. Die Philosophie
ist klar: einfach, mediterran und mit kleinen
Überraschungen.
www.ottolenghi.co.uk
DRIVE-THRU
ON-PLUS OFFLINE
Drive-thru-Konzepte
verbinden Online-Shopping mit Selbstabholung.
Mit Multifrais hat Auchan
ein solches Konzept
entwickelt, und eine
findige Variante bietet der
belgische Lieferservice
Cardrops: Er liefert die
Waren in den Kofferraum
parkender Autos.
Mit Eat-Smarter startete
2010 eines der professionellsten Projekte der
internetbasierten Einkaufs-, Koch- und Ernährungsberatung. Neben der
übersichtlich gestalteten
Website und einer 2012
gelaunchten App erscheint
sechsmal im Jahr auch
ein Print-Magazin. Das
neue Portal für gesunde
Ernährung finanziert sich
über Werbung und Lizenzgeschäfte. Die über 2000
Rezepte bestechen durch
ästhetisch ansprechende
Fotos und gute Schritt-fürSchritt-Erklärungen; eine
übersichtliche Menüführung geleitet zu zahlreichen
fachlich fundierten und
für Laien verständlich
formulierten Stichworten,
in denen wichtige Information gebündelt vermittelt
werden. www.eatsmarter.de
SCREEN-SHOPPING
DER VIRTUELLE
SUPERMARKT AN
DER HALTESTELLE
Im April 2011 hat der
südkoreanische Tesco-Ableger Homeplus in einer
U-Bahnstation in Seoul
den weltweit ersten
virtuellen Supermarkt
eröffnet. Auf dem Weg von
oder zur Arbeit können
Smartphone-User den
Barcode oder QR-Code der
gewünschten Lebensmittel,
die in Originalgröße auf
einer Screenwall zu sehen
sind, abfotografieren
und ihren Einkauf so
elektronisch erledigen.
Die Produkte werden den
Kunden noch am selben
Tag nach Hause geliefert.
In Seoul hat dieses Konzept
voll eingeschlagen. Die
dafür benötigte Smartphone-App wurde bislang
über eine Million Mal
heruntergeladen. Mittlerweile hat Homeplus auch
an über 20 Bushaltestellen
entsprechende Screens
aufgestellt – an einer
Stelle, wo Lebensmittel in
Deutschland und Österreich bloß in Leuchtreklamekästen beworben
werden.
www.auchandrive.fr
www.cardrops.com
www.trend-update.de
21
Urbanisierung und
Mobilität lassen
sich bisweilen auch
mit geringen Mitteln
anders gestalten
22 TREND UPDATE 02 2014
Die Welt von morgen future spot
Baku, Aserbaidschan
40° 23.122’
49° 50.212’
Foto: YARAT, Kathy Konkle/Getty Images
Mobile Parks
Wenn der Flaneur
nicht zum Park kommt,
kommt der Park
zum Flaneur
Das mittig platzierte Fahrrad mit dem Metallrahmen, dessen Flächen mit Gras bedeckt
sind, wurde schon 2007 von dem Designstudio
Rebar entwickelt. 2013 wurde die Idee zum
mobilen „Miniaturpark“ weitergedacht, der
aus einer ganzen Flotte dieser Fahrräder
besteht. Diese mobilen Parks haben als Teil
der „Participate“-Ausstellung Baku, die Hauptstadt Aserbaidschans, im Sturm erobert.
Überall, wo die Fahrräder anhielten,
entstand unmittelbar eine öffentliche Mikro-Grünfläche. Mikro-Park-Besucher legten auf
den mobilen Grünflächen eine kleine PicknickPause ein und entspannten sich in der Sonne.
Dieses „menschenkraftbetriebene Raumverteilungssystem“ soll das Fahrradfahren in
Aserbaidschan attraktiver machen und zudem
soziale Teilhabe und ein besseres Verhältnis
zur Natur fördern.
rebargroup.org/parkcycle-swarm
www.trend-update.de
23
Projekt Loon:
Ein Testballon ermittelt die Windrichtung für den
Start des Google-Loon-Wetterballons.
Sie sollen das Internet in die entlegensten Winkel
der Erde bringen (siehe Kasten nächste Seite)
report
WORLD
WIDE
WEBBIES
Freiheit statt Abschottung: Die große Stärke
des Internets liegt auch künftig in der globalen Vernetzung
Doch kleine, dezentrale Netzwerke werden
die digitale Welt erweitern und bereichern
Das Web wird „World Wide“ bleiben, muss
aber neue Ansätze bieten, um das Vertrauen der User
zurückzugewinnen
Von CHRISTIAN RAUCH
i
Foto: Google
n den Anfängen der Digitalisierung der Wirtschaft
reichte es, ein Blackberry zu besitzen, um sicher
zu sein, dass nicht mitgelesen wurde, was man
an Nachrichten über sein Smartphone (das
damals noch PDA hieß) versendete und empfing. Blackberry sorgt über eine besondere Verschlüsselung des
gesamten Datenverkehrs, der über ein eigenes Netzwerk
übertragen wird, für extrem hohen Datenschutz. Der auf
allen Geräten vorinstallierte Blackberry Messenger, ein
proprietäres Instant-Messaging-Programm, stellte noch
bis vor Kurzem Chat-Verbindungen über das geschlossene
Blackberry-Netzwerk her, auf das dritte Hersteller oder
Apps keinen Zugriff hatten. Es waren unter anderem diese
Sicherheitsvorteile, die das Blackberry lange Zeit zum
Smartphone der Businessclass machte. Heute ist jedem
klar: Das reicht bei Weitem nicht mehr aus.
Kommt bald das EWW, das Euro Wide Web?
Spätestens seit den Enthüllungen des NSA-Whistleblowers Edward Snowden ist klar, dass es einer weiteren
Regulierung des Netzes und einer Neujustierung im
Verhältnis von Staat, Bürgern und Unternehmen bedarf.
Als einen nächsten Schritt brachte René Obermann
daher kürzlich die Einführung eines „Schengen-Routings“
ins Gespräch: Wenn Sender und Empfänger, so der
ehemalige Telekom-Chef, sich innerhalb des SchengenRaums befinden, sollten Daten nicht unnötig über
Amerika oder Asien geleitet werden. Was in den USA
längst gängige Praxis ist, soll so auch in Europa Wirklichkeit werden. Dadurch könnte nicht nur die Überwachung
durch Geheimdienste eingedämmt werden, es ließe
sich durch ein Europanet vor allem ein Einfallstor für
Industriespionage schließen. Selbstkritisch überdenkt die
Telekom nun ihre restriktive Haltung beim Peering,
dem direkten Zusammenschalten von Netzen unterschiedlicher Provider, und verfolgt inzwischen sogar Pläne
für ein nationales Internet. In Absprache mit anderen
Netzbetreibern will die Telekom künftig Daten, die
Nutzer in Deutschland austauschen, nicht mehr übers
Ausland leiten.
www.trend-update.de
25
report
Vor dem Hintergrund eines solchen Deutschlandnetzes
wurde jetzt von GMX, T-Online und Web.de die „E-Mail
made in Germany“ eingeführt, die seit Anfang diesen
Jahres durch eine verschlüsselte Übertragung und
Datenverarbeitung innerhalb Deutschland besonders
sicher sein soll. Auf der jährlichen Fachkonferenz des
Chaos Computer Clubs (CCC) Ende Dezember in
Hamburg wurde die Initiative zwar als unzureichend
kritisiert, prinzipiell aber begrüßt auch Europas größte
Hackervereinigung den späten Entschluss der E-MailAnbieter. CCC-Sprecher Frank Rieger fordert ausdrücklich
„dem amerikanischen Pol einen europäischen gegenüberzustellen. Beispielsweise durch regionale, nationale,
europäische Angebote, um“, wie Rieger betont,
„langfristig eine Technologiesouveränität herzustellen.“
Die Vernetzung der Welt
Denn längst nicht nur unsere Kommunikation, sondern
sämtliche Systeme hängen am Internet: Energienetze,
Mobilität (Fahrerassistenz, teilautonome Fahrzeuge),
Logistik (Paket-Drohnen), technische Anlagen, Gebäudekomplexe (Smart Buildings), der Handel, die Gesundheitsversorgung (E-Health), Nachrichtendienste, Finanzsysteme – all das ist von einer zunehmenden Digitalisierung gekennzeichnet und würde ohne sie nicht mehr
funktionieren.
Mit diesem strukturellen Wandel verändert sich auch
die Gefahrenlage. Cyber-Anschläge sind in der Einschätzung der mehr als 1.000 Experten, die das World Economic Forum im Rahmen seiner Studie „Globale Risiken
2013“ befragte, die technologische Bedrohung, die in den
nächsten zehn Jahren am wahrscheinlichsten eintreten
wird. Das Versagen kritischer Systeme im Bereich der
Netzwerke und Informationsinfrastrukturen wiederum
wird als das technologische Risiko eingestuft, das im
Falle eines Eintretens die gravierendsten Auswirkungen
haben wird.
Brauchen wir also in Zukunft mehrere, voneinander
getrennte „Internetze“, um die Sicherheit kritischer
Infrastrukturen zu gewährleisten? Die Antwort ist Nein.
„Geschlossene Netzwerke für sensible Systeme und
kritische Infrastrukturen helfen kaum weiter, denn sie
funktionieren nie vollständig autark. Sie brauchen
notwendigerweise Verbindungen zu anderen Systemen“,
sagt Klaus Rodewig vom TÜV TRUST IT, Mitglied im
Expertenkreis Cyber-Sicherheit des Bundesamts für
26 TREND UPDATE 02 2014
WORLD
WIDE
WEBBIES
Beispiele für
eine alternative
Vernetzung der Welt
Access per Luftballon
Google will mithilfe einer Ballonflotte das
Internet in abgelegene Gegenden der Erde
bringen, die bisher keinen, nur unzureichenden
oder sehr kostspieligen Zugang zum World Wide
Web haben. Mit seinem Projekt Loon setzt
Google auf Mesh-Netzwerke. Dabei handelt es
sich um untereinander vernetzte, modifizierte
Wetterballons, die Bereiche am Boden mit
schnellem, günstigem Internet versorgen – laut
Google mit mindestens UMTS-Geschwindigkeit.
Die Hightech-Ballons fliegen in etwa 20 Kilometern Höhe in der Stratosphäre. Um die fliegenden Hotspots auf Position zu halten, bedient
man sich unterschiedlicher Luftströmungen.
www.google.com/loon
Community Wireless Networks
Freifunk beispielsweise forciert über MeshNetzwerke in Deutschland und Österreich die
Verbreitung freier Funknetze. Nutzer stellen
ihre Router, auf denen eine spezielle Freifunk-Firmware installiert ist, anderen Anwendern für den Datentransfer zur Verfügung.
Selbst Chat- oder Telefonie-Dienste und nicht
zuletzt ein Internetzugang kann so ermöglicht
werden. Auf ähnliche Art baut Funkfeuer
in Österreich ein nicht reguliertes, dezentrales Parallelnetz auf. Datenpakete
werden nicht mehr zentral über
einen Provider, sondern über
modifizierte WLAN-Antennen
direkt von Knotenpunkt zu
Knotenpunkt verschickt –
dynamisch, extrem zuverlässig,
verschlüsselbar und unabhängig von großen Internetkonzernen. In Wien sind bereits
über 200 Hausdächer mit
mehr als 600 Knoten vernetzt.
www.freifunk.net
www.funkfeuer.at
E-Mail made in Germany
und Mesh-Netze
werden übergroße
Offenheit einschränken
Google Loon: Die
Wetterballons bringen
UMTS-Bandbreiten
in ländliche Regionen
und navigieren
über Luftströmungen
Parallelnetz aus dem Koffer
Das Open Technology Institute der New America
Foundation entwickelt in einem mit zwei Millionen
Dollar geförderten Projekt eine neue Internettechnologie. Mit dem Commotion Construction
Kit soll eine alternative Infrastruktur aufgebaut
werden, ein paralleles Kommunikationsnetzwerk,
das die Zivilgesellschaft in die Lage versetzt, die
Internetzensur zu umgehen. Modifizierte WLANAntennen, Speichersticks, Apps und eine einfache
Anleitung – fertig ist das „Internet in a suitcase“.
Dazu wird auf billige, weitverbreitete Hardware
zurückgegriffen. Die Open-Source-Software
funktioniert auf verschiedenen Endgeräten, die
zur physischen Infrastruktur werden: Handys,
Laptops, WLAN-Router und Hotspots.
oti.newamerica.net
Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Seiner
Überzeugung nach ist eine technische Trennung oder
Abschottung weder praktikabel noch wirtschaftlich.
Die Lösung liegt also weniger in konkurrierenden
Schattennetzen als vielmehr darin, innerhalb bestehender
Strukturen zusätzliche, sich ergänzende Optionen
zu schaffen, die Sicherheit und Innovationsfähigkeit
gleichermaßen steigern.
Mesh-Netzwerke als Ergänzung
Als Alternative zum Internet – zumindest aber als Ergänzung – werden sogenannte Mesh-Netzwerke gehandelt.
Sie können ganz ohne Anschluss ans Internet aufgebaut
werden – oder Teil des Internets sein. Dazu wird kostengünstige Hardware mit einer einfachen Software vernetzt
– kabelgebunden oder drahtlos. Das wohl bislang größte
und älteste Mesh-Netzwerk, das Athens Wireless Metropolitan Network, wurde 2002 von Bewohnern der griechischen Hauptstadt initiiert, die frustriert waren vom
langsamen Breitbandausbau. Es ermöglicht teilweise eine
Datenübertragung von über 100 Megabyte pro Sekunde.
Solche sogenannten „World Wide Webbies“, von
Nutzern betriebene, dezentrale Netzwerke, werden das
Internet zwar nie komplett ersetzen. Doch zum einen
wirkt das Mesh-Networking der Zentralisierung des
Internets entgegen, denn durch die Konsolidierung von
Internetanbietern kontrollieren immer weniger Konzerne
immer größere Teile des Web-Traffics. Zum anderen
kann das Netz so auch in entlegene Teile der Welt oder
Katastrophengebiete gebracht werden.
Prognose
Fotos: Google, gallery.funfeuer.at
Saubere Leitungen
Die Telekom will Geschäftskunden künftig eine
sogenannte Clean Pipe anbieten. Entwickelt
wurde die „saubere Leitung“ zusammen mit dem
Netzwerkausrüster Lancom. Die notwendigen
sensiblen Komponenten vom Internet-Router
bis zum Cloud Computing stammen von
deutschen Anbietern, die nicht mit ausländischen Geheimdiensten kooperieren. So will man
sicherstellen, dass die verwendeten Technologien keine Hintertüren haben, die von Hackern
genutzt werden könnten. Derzeit wird die
Clean Pipe von Pilotkunden getestet. Offizielle
Markteinführung ist zur Cebit 2014 geplant.
www.telekom.de
Wenn es um die Zukunft der Netze geht, ist höhere
Sicherheit absolut wichtig. Doch um das Vertrauen der
User zurückzugewinnen, sind auch innovative technologische und wirtschaftlich effiziente Lösungen gefragt.
Neue Mechanismen und zukunftsweisende Strategien
der Vernetzung (s. Kasten mit Beispielen zu World Wide
Webbies) zielen eben nicht auf Abschottung, Isolation und
Zentralisierung. Gerade die extrem hohe architektonische
Flexibilität des Internets als dezentrales Netzwerk ist sein
großer Vorteil. Mehr Sicherheit durch Beschränkungen in
der Offenheit oder eine zunehmende Fragmentierung der
Netze erkaufen zu wollen, würde zulasten eines integeren
und leistungsstarken, agilen Netzes gehen. Doch darauf
wird es in Zukunft mehr denn je ankommen.
www.trend-update.de
27
porträt
„Unser Anspruch
ist es, den
kompletten
Bevölkerungsquerschnitt
auf der Plattform
zu haben“
Der Gründer Markus
Steinhauser formt mit seinen
Kollegen eine Plattform, auf
der Software durch die „Weisheit
der vielen“ getestet wird. Ein
innovativer Shareconomy-Ansatz
Von ANJA KIRIG
P
DER GRÜNDER
Der 27-jährige Medienund Kommunikationswissenschaftler Markus
Steinhauser gründete
2011 mit zwei Freunden
Testbirds, wo er für PR- und
Marketing zuständig ist
28 TREND UPDATE 02 2014
lötzlich war im Herbst 2011 ein
Kunde da, und dann ging alles ganz
schnell. Stück für Stück entstanden
die Wortspiele, die heute als
Branding fungieren: die Tester sind
die Birds, die Projektmanager heißen Birdmaster, die Plattform ist das Nest. „Testbirds ist ein
gewachsenes Produkt“, sagt Markus Steinhauser, einer der drei Gründer des Münchner
Start-ups.
Eigentlich war der Start des Unternehmens
für Mitte 2012 geplant, doch dann kam alles
anders. Und das ist vielleicht das Programmatische für die Testbirds: Viabilität. „Wir planen
zwar schon, aber der grundsätzliche Ansatz ist
nicht, sich langfristig Dinge zu überlegen,
sondern die Möglichkeit zu haben, kurz und
schnell etwas auszuprobieren“, so Steinhauser.
Das Start-up verfolgt nicht dogmatisch eine
Linie, sondern wächst mit dem Markt und
seinen Anforderungen. So wird Kundenfeedback eingeholt und umgesetzt, wodurch
zum Beispiel ein USP des Unternehmens
entstand: Bug Approval. Das Tool lässt auf
unterschiedlichen Endgeräten oder Betriebssystemen individuell auftretende Fehler
schneller erkennen. Seit Dezember 2011 testet
das Unternehmen Apps für Smartphones,
Foto: PR, Screenshot: PR
Tablets und Web-Anwendungen. Die Testbirds-Gründer haben zu diesem Zweck eine
Crowd-Testing-Plattform aufgebaut, die
realitätsgerechtes Testen von Software durch
Endkunden ermöglicht. Das Feedback der
Tester, der „Birds“, ist das Rohmaterial.
Diese Testergebnisse werden analysiert und
Handlungsempfehlungen für den Kunden
daraus abgeleitet.
Die Büroräume sind seriös, sehr aufgeräumt, wirken als Kontrast zu dem eher lässigen
Outfit des 27-jährigen Unternehmers. Doch der
gediegene Schein des Ambientes ist nur die eine
Seite, denn dieses Büro ist eine WG: Die Räume
werden seit jeher mit zwei weiteren Unternehmen geteilt. Und auch künftig, wenn im Januar
neue Büros bezogen werden, bleibt man
zusammen. Der bereits zweite Umzug des Trios.
Die erste Zeit finanzierten sich die Jungunternehmer über ein Gründerstipendium, im
Sommer 2013 akquirierten sie einen Investor,
der eine siebenstellige Summe in das Start-up
steckte. Davon kann nun das rund 25-köpfige
Team finanziert werden. Steinhauser, der für die
Unternehmenskommunikation zuständig ist,
betont, wie wichtig ihm die Mitarbeiter seien,
aber auch wie schwierig es ist, als Berufsanfänger ein Team zu führen.
Das große „Asset“ dieser crowdbasierten
Firma sind jedoch die Birds, die Tester. Markus
Steinhauser brachte seine Social-Media-Affinität zu den Testbirds mit. Dennoch sieht er im
Social Network noch Optimierungsbedarf.
Für 2014 steht an, die Birds besser ans Unternehmen zu binden und zu vernetzen. Derzeit
können die Birds bereits Erfahrungspunkte
sammeln, zum „Bird of the month“ werden oder
auch mal einen Gastbeitrag für das firmeneigene Blog verfassen. Hier kann sich Steinhauser
noch mehr Aktivität vorstellen. Gelegentlich
gäbe es auch „physischen“ Kontakt, wenn Birds
auf Messen oder in die Münchner Büroräume
eingeladen werden. Steinhauser möchte
die Tester zusätzlich zum finanziellen Anreiz
motivieren Denn es macht Arbeit, ein Testbird
zu sein. Es ist „kein Job, den man mal in 15
Minuten machen kann“. Wer viel testet, verdient
vielleicht ein paar Hundert Euro im Monat.
DAS PROJEKT
Die Datenbank an Birds wächst monatlich
um 1.000 bis 2.000 Tester. Insgesamt gibt es
international derzeit rund 20.000 Birds. Kunden
könnten ganz spezifische Tester anfordern –
nach Alter, Geschlecht, Wohnort oder Endgerät.
„Unser Anspruch ist es, den kompletten
Bevölkerungsquerschnitt auf der Plattform zu
haben“. Seit September 2013 gibt es ein Testbird-Franchise in Ungarn. Steinhauser lacht,
das sei „typisch Testbirds – nicht geplant“.
Man hatte sich auf der Messe Communication
World in München spontan kennengelernt.
Sein alter Schulfreund Philipp Benkler hatte
Steinhauser vor drei Jahren mit ins Gründerteam geholt. Steinhauser, damals freier Journalist bei einer Tageszeitung in seiner Heimatstadt
Gaggenau, war zunächst überrascht. Er hatte
sich nie vorstellen können, „in dieser Richtung
etwas zu machen“. Doch er ließ sich schnell
von der Idee begeistern, die sein alter AbiturKollege mit seinem Kommilitonen Georg
Hansbauer entwickelt hatte. Steinhauser packte
seine Sachen und zog zu den beiden Jungs
nach München. Der Medien- und Kommunikationswissenschaftler erklärt, dass Benkler
und Hansbauer, die beide den Studiengang
Finanz- und Informationsmanagement
absolviert haben, ihn gerade aufgrund seines
anderen beruflichen Hintergrunds dazugeholt
hatten. Das sei sowieso ein entscheidender
Punkt, fügt Steinhauser mit seinem zurückhaltenden Lachen hinzu – die unterschiedlichen beruflichen Hintergründe der drei
Gründer. Aber auch dass alle drei persönlich
etwas anderes einbringen würden in das
junge Unternehmen.
Testen im Schwarm:
2011 war es in
Europa noch
unbekannt, Software von InternetUsern testen zu
lassen. Marktanalysen ergaben ein
Potenzial von über
400 Millionen Euro.
Im Herbst entstand
die Plattform,
Tester wurden
rekrutiert – die
Testbirds waren
geboren. Heut
zählen Unternehmen wie die
Deutsche Post,
Allianz oder
Süddeutsche
Zeitung zu
den Kunden.
www.testbirds.de
www.trend-update.de
29
inforama Fakten auf einen Blick
An welche Zukunft wir glauben
Wir stellten neun Best-Case-Szenarien zur Wahl
Wird alles übel enden? Ist
unser Wohlstand nichts als
ein flüchtiger Moment im
Meer von Chaos? Sind Kriege
Katastrophen und ökologische Zusammenbrüche
unvermeidbar? Oder gibt es
doch Lösungen für Probleme,
die unlösbar erscheinen?
Dieser Frage ging das
Zukunftsinstitut im aktuellen
Trend-Report nach und
stellte neun positive Szenarien öffentlich zur Wahl (siehe
rechts).
Welche Weltprobleme
halten die Deutschen für
lösbar? Was würden sie sich
am meisten wünschen und
was hätte den größten
Einfluss auf die Erde?
Wie so oft zeigt sich, dass
das sehnlichst Erwünschte
nicht das ist, was die
Mehrheit erwartet, und
bestätigt den Grundansatz
des Reports. Denn: Was
könnte uns in unserem angstbetonten Erwartungshorizont
mehr überraschen als das
Gelingen, an das wir so gar
nicht glauben mögen?
Y-Events nennen wir jene
Ereignisse oder Szenarien –
in Anspielung auf die
„X-Events“ des Systemforschers John Casti, den großen
Katastrophen, die die
Zivilisation beenden
könnten. Y heißt: Etwas wird
überraschenderweise besser.
Kann die Zukunftsforschung
überhaupt eine relevante
Antwort auf diese Ängste
geben? Ja, sie kann. Seit
vielen Jahren schon gibt es in
der Prognostik eine WorstCase-Forschung, die sich mit
Risiken, Naturkatastrophen
und Zivilisationsbrüchen
auseinandersetzt. Im
Trend-Report ändern wir
die Blickwinkel radikal. Unsere Y-Events sind die BestCase-Szenarien der Zukunft.
30 TREND UPDATE 02 2014
Peak Stuff
Das Ende der
Verschwendungswirtschaft und wie
wir lernen, den
Materialverbrauch
zu zügeln. Das
Wort „Müll“ wird zu
einem Relikt aus
alten Zeiten.
WellbeingGesellschaft
Der Wertewandel
der Arbeits- und
Lebenskulturen
macht Eigenverantwortung für
berufliche,
gesundheitliche
und familiäre
Entwicklung zum
Eckpfeiler der
Gesellschaft.
Grüner EnergieÜberfluss
Erneuerbare
Energien produzieren Wärme und
Strom im Übermaß
und werden dabei
so günstig wie nie.
Das Ende des
Hungers
Die Problematik
der ungerechten
Umverteilungspolitik wird gelöst,
Armut und Not
werden besiegt.
Über welches Y-Event wird viel zu wenig diskutiert?
Das Ende des Hungers
137
Peak Stuff
122
Neuropa 2030
81
Peace Age
75
Wellbeing-Gesellschaft
65
Der meiste Mensch
57
Grüner Energie-Überfluss
34
Der Millennium-Boom
33
Der moderierte Klimawandel
23
Welches Y-Event halten Sie für am wahrscheinlichsten?
Wellbeing-Gesellschaft
136
Der meiste Mensch
118
Grüner Energie-Überfluss
105
Der moderierte Klimawandel
88
Peak Stuff
64
Neuropa 2030
46
Der Millennium-Boom
45
Das Ende des Hungers
Peace Age
19
6
Peace Age
Seit einigen Jahren
sind Kriege, Gewalt
und Kriminalität
rückläufig – dieser
Trend wird sich
in Zukunft
fortsetzen. 2045
beginnt eine globale Friedensära.
Der moderierte
Klimawandel
Der Klimawandel
ist zwar ein
Prozess, der den
Planeten verändert, aber ihn
keineswegs
zerstört. Die
Menschen stellen
sich auf ihn ein,
die Katastrophe
bleibt aus.
Der meiste Mensch
Das unkontrollierbare Bevölkerungswachstum
findet nicht statt.
Die weltweite
Bevölkerung
wächst erst auf ca.
9,2 Milliarden.
Danach schrumpft
die Zahl der
Menschen
schließlich.
Neuropa 2030
Europa wird
zum globalen
Epizentrum.
Nicht China oder
die USA – der alte
Kontinent Europa
wird zum ökonomisch-kulturellen
Vorbild, zur
sanften Supermacht.
Der MillenniumBoom
Goldene Jahre
weltweiten
Wirtschaftswachstums. Bis 2040
hält eine immense,
globale Wachstumsphase an, vor
allem Afrika erlebt
einen Wirtschaftsboom.
Welches Y-Event wird den größten Einfluss auf die Menschheit haben?
Das Ende des Hungers
152
Peace Age
120
Der moderierte Klimawandel
82
Der meiste Mensch
71
Der Millennium-Boom
56
Peak Stuff
50
Grüner Energie-Überfluss
43
Wellbeing-Gesellschaft
Neuropa 2030
41
12
Welches Y-Event wünschen Sie sich persönlich am meisten?
Das Ende des Hungers
180
Peace Age
168
Illustrationen: Larissa Mantel
Wellbeing-Gesellschaft
79
Peak Stuff
49
Grüner Energie-Überfluss
Y-Events
43
Neuropa 2030
41
Der moderierte Klimawandel
40
Der Millennium-Boom
Der meiste Mensch
Trend-Report 2014
Die positiven Überraschungen
unserer Zukunft
Herausgeber: Matthias Horx & Harry Gatterer
17
10
Teilnehmerzahl: 627; Stand: 23.12.2013
Trend-Report 2014,
Dezember 2013
140 Seiten
125,00 €
zzgl. 7 % MwSt.
www.trend-update.de
31
Evas Erben
Eine Fotoreportage von MARIO WEZEL
Südtirol ist das größte Obstanbaugebiet Europas, 950.000 Tonnen werden
jährlich geerntet – über 100 Kilometer reichen die vier Meter hohen Plantagen.
Neo-ökologischer Konsum und internationale Food-Trends fördern stets
neue Apfelsorten, die Anbaumethoden sind Ergebnis der Hightech-Forschung:
Äpfel sind ein Trendprodukt der globalen Ernährungsbranche
32 TREND UPDATE 02 2014
portfolio
Links: Am Abend des 16. Juli dreht ein
Feldarbeiter im schweren schwarzen
Regenmantel die Bewässerungsanlage ab.
Äpfel brauchen viel Wasser, um in der
gewünschten Geschwindigkeit zu wachsen.
Im trockenen Südtiroler Sommer wird
besonders regelmäßig gewässert
Rechts: In der Obstgenossenschaft Texel
werden die Äpfel gewaschen. Zuvor wird
jeder vom Computer 36-mal vermessen, um
die Größe und Qualität zu prüfen. Denn
werden sie in Kategorien eingeteilt, die den
Preis der Äpfel bestimmen
www.trend-update.de
33
Links: Pressekonferenz zur Einweihung
des neuen Hochregallagers der Obstgenossenschaft Texel in Naturns. Das
hochmoderne Warenhaus wird vorgestellt
Rechts: Der Golden Delicious ist das
Aushängeschild der Südtiroler Apfelwirtschaft. Insgesamt werden rund eine
Million Tonnen Äpfel im Vinschgau jedes
Jahr produziert
34 TREND UPDATE 02 2014
portfolio
www.trend-update.de
35
Links: Ein Mitarbeiter der Obstgenossenschaft GEOS lädt Äpfel von schlechter
Qualität auf einen Lastwagen. Äpfel mit
Druckstellen werden zu Saft verarbeitet
Rechts: Blick aus der Vinschger Bahn,
die im regelmäßigen Takt von Meran
gen Westen fährt. Entlang der Strecke
schlängeln sich über Kilometer die
Apfelplantagen. Kaum eine freie Stelle
ist auszumachen
36 TREND UPDATE 02 2014
portfolio
Mario Wezel ist freier Fotograf in Hannover.
In der Schulzeit arbeitete er als freier
Mitarbeiter der Lokalzeitung in Nürtingen.
Er studiert Fotojournalismus und Dokumentarfotografie an der FH Hannover.
In seinen freien Arbeiten befasst er sich
mit gesellschaftlichen Entwicklungen,
deren Ursachen und Auswirkungen sowie
ökologischen Themen in Europa
www.trend-update.de
37
Die chemische Struktur eines
Botulinumtoxin-Moleküls in 3-D.
Vereinfacht ausgedrückt:
So sieht Botox aus
38 TREND UPDATE 02 2014
Schönheit branchencheck
SANFTER,
SCHNELLER,
SCHÖNER
Allein in Deutschland ist die Zahl
schönheitsoperativer Eingriffe auf über
400.000 im Jahr gestiegen.
Ein globaler Blick auf die Beautymedizin:
von Hightech-Lasern bis Preventive Botox
Von JANA EHRET
Foto: commons.wikimedia.org/wiki/File:Botulinum_toxin_3BTA.png
e
inst galt das Färben der Haare sowie das
Rasieren der Beine als Tabu, heute gibt es
kaum noch Frauen, die es nicht tun. Ähnlich
verhält es sich in der Schönheitschirurgie.
In Deutschland kann sich bereits jede sechste Frau
vorstellen, sich unters Messer zu legen. Und auch immer
mehr Männer sind schönheitschirurgischen Eingriffen
nicht abgeneigt. Tägliche Trainingseinheiten und eine
bewusste Ernährung tragen zwar zu einem veränderten
Körpergefühl bei, stoppen jedoch nicht den Alterungsprozess. In unserer Always-on-Gesellschaft gehen Leistungsfähigkeit und Erfolg oftmals mit einem schönen Körper
einher. Wer erfolgreich sein will, muss stets präsent und
attraktiv sein – getreu dem Motto: „Look great!“ Dabei geht
es nicht um die Erfüllung eines Schönheitsideals, sondern
darum, den Körper zu optimieren und störende Äußerlichkeiten zu beseitigen.
Innovative Technologien und neue Verfahren machen
Eingriffe zunehmend sanfter und liefern dabei beeindruckende Ergebnisse. Vorbei sind die Zeiten, als Eingriffe
bereits von Weitem erkennbar waren, künstlich aussahen
und Patienten mit langen Wundheilungsphasen rechnen
mussten. Bei minimalinvasiven Eingriffen werden große
Schnitte vermieden und die Patienten können direkt nach
dem Eingriff nach Hause gehen. Bei Gesichts-Korrekturen
treten anstelle aufwendiger Faceliftings Unterspritzungen
mit Fillern wie Hyaluronsäure und Behandlungen mit
Botulinumtoxin. Ziel ist der sogenannte Nude-Look, ein
möglichst – idealisiertes – natürliches Aussehen.
Sanfte Technik gegen Falten
Um Patienten bei minimalinvasiven Eingriffen Angst und
Schmerzen zu nehmen, setzt zum Beispiel die plastische
Chirurgin Dr. Katrin Dreissigacker aus Köln auf stumpfe
Kanülen bei der Faltenauffüllung. Die sogenannte „pix’L
Kanüle“ lässt sich besser durch einzelne Fasern bewegen
und verletzt weniger Gewebe (www.katrin-dreissigacker.
com/technologie-und-produkte/die-pixl-nadel.html).
Großes Potenzial für eine neue Hautverjüngungsmethode
weist auch der Picosecond-Laser auf. Bei der Anwendung
des zur Entfernung von Tattoos und Permanet-Make-up
entwickelten Gerätes werden Lichtimpulse auf einzelne
Pigmente gegeben. Diese zerreißen und werden vom
Körper abgebaut – in Pikosekunden, was dem Tausendstel
einer Nanosekunde entspricht. Risiken einer Verbrennung
oder Narben können weitestgehend ausgeschlossen
werden (www.laser2000.co.uk/lasers.php?Category=10).
Neben einem makellosen Gesicht ist die Sehnsucht
nach einer schlanken und definierten Silhouette
groß. Entsprechend entwickeln sich zunehmend neue
www.trend-update.de
39
branchencheck Schönheit
KLEINES LEXIKON
der ästhetischen Chirurgie
Botox
Der Name Botulinumtoxin bedeutet so viel
wie „Wurstgift“ (lat.
„botulus“ für Wurst
und „toxin“ für Gift).
Die Bezeichnung
entstand 1820, als
Menschen nach dem
Verzehr verdorbener
(Wurst-)Konserven
starben. Das Botulinumtoxin ist ein Gift
aus bakteriell erzeugtem Eiweiß. Das
zuständige Bakterium
bevorzugt nichtsaure,
extrem sauerstoffarme Milieubedingungen, was das die
Brücke zu den
vakuumverpackten
Konserven schlagen
würde. Seit den
1980ern wird es stark
verdünnt in der
Medizin (seit 1992
auch in der ästhetischen Chirurgie)
verwendet. Es hemmt
die Signalübertragung
zwischen Nervenzellen und Muskeln.
Ferner hilft es bei
Migräne, starkem
Schwitzen oder
neurologischen
Bewegungsstörungen.
Eine Überdosierung
führt zu Muskellähmung und im
schlimmsten Fall
zum Stillstand der
Lungenfunktion.
40 TREND UPDATE 02 2014
Hyaluronsäure
Das Hyaluronan leitet
sich vom griechischen
„hyalos“ (durchsichtiger Stein) ab und ist
als Glykosaminoglykan (eine Kette von
Bausteinen aus
glukoseähnlichen
Zuckern) ein wesentlicher Bestandteil
des Bindegewebes.
Es ist an der Zellmigration und
-proliferation sowie
bei der Tumorentstehung beteiligt.
In der ästhetischen
Medizin wird es
hauptsächlich zur
Unterspritzung von
Falten und Lippen, zur
Hautauffrischung
sowie zum Aufbau von
Gesichtskonturen
eingesetzt.
Kollagen
Der Begriff kommt aus
dem Griechischen und
heißt übersetzt „Leim
erzeugend“. Der Name
leitet sich von seiner
ursprünglichen
Nutzung als Knochenleim im Holzhandwerk
ab. Mit 30 Prozent ist
das Kollagen das
anteilig am häufigsten
vorkommende Protein
im menschlichen
Körper. Als Strukturprotein ist es ein
wesentlicher organischer Bestandteil des
Bindegewebes und
der Haut. Als Wirkstoff
wird es bereits seit
vielen Jahren als
Anti-Aging-Mittel in
der Kosmetikbranche
verwendet.
Body-Forming-Methoden. Wo früher Silikonkissen in
Brust – oder Gesäß – wortwörtlich „gestopft“ wurden, gilt
es heute auf die individuellen körperlichen Voraussetzungen einzugehen. Benötigte Schnitte werden kleiner, und
körpereigene Fettzellen, die sich körperlichen Veränderungen natürlich anpassen, durch Implantate ersetzt.
Auch zur klassischen Fettabsaugung gibt es eine Alternative: die Zerstörung von Fettpölsterchen durch Kälte. Bei
der sogenannten Kryolipolyse, wird überflüssiges Körperfett über eine Stunde kontrolliert mit Kälte behandelt.
Fettzellen kristallisieren und sterben binnen acht Wochen
ab – ohne chirurgischen Eingriff (www.coolsculpting.com).
Fußballtrainer Jürgen Klopp (Dortmund) machte
Haartransplantationen bei Männern zum schönheitschirurgischen Trend. Bei dem Eingriff kommt die „Follicular Unit Extraction“ (FUE-Methode) zum Einsatz. Dabei
werden mit einem speziellen Extraktionsgerät einzelne
Haarfollikeleinheiten von kleinstmöglichen Haargruppen
(bis vier Haare) entnommen und transplantiert. Da
die Behandlung mit einem Hohlnadel-Instrument erfolgt,
bleiben statt Narben nur unauffällige rötliche Punkte
auf der Kopfhaut zurück (www.haartransplantationkosten.info).
Beauty Gangnam Style
Schönheitsideale variieren weltweit: Das westliche
Aussehen hat gerade im asiatischen Raum eine gewisse
Vorbildfunktion. Hier zählt die plastische Lidkorrektur
bei Frauen wie auch Männern zu den beliebtesten
Operationen: Augen werden größer, runder und dem
westlichen Standard angepasst. Zu einem Zentrum für
schönheitschirurgische Eingriffe hat sich Südkorea
entwickelt. Die Zahl der Schönheitstouristen hat sich seit
2009 verfünffacht und alleine 2012 rund 453 Millionen
US-Dollar eingebracht. In Seoul gibt es ganze Straßenzüge nur mit schönheitschirurgischen Praxen sowie
Agenturen, die sich auf den Schönheitstourismus
spezialisiert haben. Neben den Gästen aus aller Welt
sind es die Südkoreaner selbst, die sich unters Messer
legen – 13 pro 1.000 Einwohner, ein weltweiter Rekord!
Bereits ab rund 12.000 Euro lässt sich ein All-inclusiveSchönheits-Paket mit Flughafen-Abholservice, Hotelunterkunft und Eingriff in der Schönheitsklinik buchen
(kpsurgery.co).
Während man hierzulande Unsummen für gerade
Zähne ausgibt, ist es in Japan chic, schiefe Zähne zu
haben. Für den sogenannten „Yaeba-Look“ lassen
japanische Frauen aller Altersgruppen die beiden oberen
Vorderzähne operativ krümmen und abschleifen.
Alternativ können auch „nur“ permanente „Doppelzähne“ an die eigenen Zähne angesteckt werden. Ziel ist es,
möglichst kindlich-unschuldig auszusehen. Ein Look,
den gerade japanische Männer als sehr attraktiv empfinden (www.digitaljournal.com/article/342611).
zukunftsinstitut
NEU
STUD E
IE
TOURISMUS-REPORT 2014
Traveltrends für die
Reise von morgen
Wer künftig wann, wie und wohin verreist
und was das für den Tourismus bedeutet
Die Reiseindustrie ist wie kaum eine andere Sparte
von permanenten Veränderungen geprägt. Der
Tourismus ist zu einer der größten Branchen der Erde
geworden. Er formt ganze Landstriche um und
verändert Gesellschaften in schnellem Tempo.
Längst macht die Masse Individualurlaub. Alternativurlaub und Pauschalreise sind kein Widerspruch
mehr, von Städten erwartet der Reisende nachhaltige
Erholung, von ländlichen Regionen ausgefeilte
Mobilitätskonzepte, Orte sind sowieso nur noch
sekundär das Ziel der Reise, und irgendwie ist es zu
Hause doch am schönsten.
trends
Shareconomy
Hyperlocal
Greeneverywhere
Chinatur
Big Data
Erfahren Sie, wie sich diese Widersprüche auflösen
lassen und welche Strategien die Reiseindustrie
anwenden muss, um mit dem gesellschaftlichen
Wandel Schritt zu halten.
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AKTUELLE STUDIEN DES ZUKUNFTSINSTITUTS
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Auf dem Weg zur Green
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Die neuen Trendsetter
20 Nischen, die den
Konsum von morgen prägen
Die Zukunft der Sicherheit
Sicherheit und Risiko in
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branchencheck Schönheit
2013 wurden in Europa rund
869,4 Millionen Euro mit
Schönheits-OPs umgesetzt.
Deutsche Frauen sind bei einem
schönheitschirurgischen Eingriff
im Schnitt 41 Jahre alt und
bereit, zwischen 330 Euro (Faltenbehandlung) und 6.000 Euro
(Brustvergrößerung) zu zahlen.
Zu den häufigsten Eingriffen
bei Frauen zählten 2013:
Brustvergrößerung: 22 %
Augenlidstraffung: 15,7 %
Fettabsaugung: 13,1 %
Bei deutschen Männern standen
2013 Liposuktionen: 18,7 %,
Lidstraffungen: 14,5 % sowie
Schweißdrüsenbehandlungen:
11,9 % ganz hoch im Kurs.
1,3 % von 138.500 ästhetischplastischen Eingriffen werden
an Patienten unter 18 Jahren
vorgenommen.
Die ästhetisch-plastische Chirurgie
organisiert sich in zwei Facharztverbänden, der Vereinigung der
deutschen Ästhetisch-Plastischen
Chirurgen (VDÄPC) und der Deutschen Gesellschaft für ÄsthetischPlastische Chirurgie (DGÄPC). Auf
jeden Facharzt kommen im Schnitt
503 Eingriffe.
Quellen: myBody.de, DGÄPC-Magazin
2013/14, ReportsnReports
Young and beautiful?
Täglich lächeln uns in der Werbung scheinbar makellose
Menschen an. Für Jugendliche erfüllen gerade solche
Bilder eine Vorbildfunktion. Die Diskrepanz zum eigenen
Körper kann dabei in der Pubertät zu ernst zu nehmenden
Störungen der Körperwahrnehmung führen, die nicht
selten psychologisch betreut und therapiert werden
müssen. Um dieser Dysmorphophobie entgegenzuwirken, planen Union und SPD ein Verbot für schönheitschirurgische Eingriffe bei Minderjährigen. Prävention ist
gut, tatsächlich setzen Eingriffe aber eher später ein: 18bis 23-jährige Frauen stellen neuerdings die größte
Gruppe an Patientinnen. Auf ihrer Wunschliste stehen
laut Deutscher Gesellschaft für Ästhetisch-Plastische
Chirurgie Brustvergrößerungen (knapp 35 %), gefolgt von
Nasenkorrekturen (12 %). Darüber hinaus nehmen
Behandlungen mit Botulinumtoxin bei Jüngeren zu. In
den USA ist „Preventive Botox“ bereits üblich und immer
mehr junge deutsche Frauen in den 20ern neigen ebenfalls dazu, sich so früh wie möglich Falten mit dem
Nervengift zu unterspritzen. „Botox kann durchaus präventiv wirken. Wenn ein Muskel des Körpers lange genug
gelähmt ist, verlernt das Gehirn ihn zu benutzen“, sagt die
Berliner Dermatologin Maja Hofmann. Aber: Der teure
Eingriff muss alle drei Monate erneuert werden, und es
besteht die Gefahr, dass Patientinnen immun gegen das
Nervengift werden. In der Neurologie, wo Botulinumtoxin
in höherer Dosierung gegen Spasmen eingesetzt wird,
wurde ein solcher Wirkverlust bereits beobachtet.
Fazit
Auch wenn Schönheit angeblich im Auge des Betrachters
liegt, boomt das Geschäft mit ihr. 2012 stieg die Zahl
schönheitschirurgischer Eingriffe um fünf Prozent im
Vergleich zum Vorjahr – Tendenz steigend. Eingriffe
werden dank neuer Technologien zunehmend sanfter
und schneller.
Und auch wenn ein Eingriff für viele Patienten eine
Steigerung des Selbstwertgefühls bedeutet, bleibt ein
Restrisiko. Komplikationen, falsche Dosierungen oder
allergische Reaktionen können nie ausgeschlossen
werden. Jedes Facelift, jedes Filling bleibt ein Eingriff am
eigenen Körper.
Mit Individualisierung und Gesundheit stehen dieser
Entwicklung zumindest in der westlichen Welt zwei mächtige Megatrends entgegen. Auf lange Sicht also werden es
wieder die Schönheitsideale sein, die sich der Realität
anpassen müssen – und nicht umgekehrt.
Quellen: Brust, Ohren und Co. Was Teenis beim Beauty-Doc machen
lassen: www.berliner-kurier.de; Lee, Heesu: Perfecting the Facelift,
Gangnam Style: Bloomberg Businessweek, 10/2013.; Madame
Beauty, Ausgabe 1/2014.; Kullmann, Kerstin: Jünger alt aussehen:
Der Spiegel, Nr. 1/30.12.13.
42 TREND UPDATE 02 2014
Foto: Getty Images/iStockphoto
ZAHLEN UND FAKTEN
zum Geschäft mit der Schönheit
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Die Freischaltung für den OnlineZugriff erfolgt innerhalb von
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In dringenden Fällen rufen Sie bitte
unter +49 (0)69 264 84 89 - 0 an.
Sie haben ein Widerrufsrecht von
2 Wochen nach Erhalt der ersten
Ausgabe. Zur Fristwahrung genügt die
rechtzeitige Absendung des Widerrufs
in Schriftform an: Zukunftsinstitut
GmbH, Stichwort „Widerruf“,
Kaiserstr. 53, D-60329 Frankfurt,
Fax +49 (0)69 264 84 89 - 20
future business Neue Start-Ups
Yep! USA
GEGEN DIE VEREINSAMUNG
Checkrobin Österreich
MITFAHR­
GELEGENHEIT
DER DINGE
Eis essen, spazieren gehen, ein Konzert besuchen
– mit Yep! soll sich schnell jemand finden lassen,
mit dem solche Aktivitäten zusammen unternommen werden können. Das von zwei Russen auf
amerikanischem Boden gegründete Start-up bewegt
sich mit der App „letsyep“ am Rande des Onlinedating-Marktes. Doch die App zielt nicht auf das
klassische Dating, vielmehr soll die Nachfrage nach
Vernetzung und Freundschaften in anonymen
Großstädten befriedigt werden.
Die Nutzer teilen Details über sich mit, ähnlich
wie in einem LinkedIn-Profil. Die App fordert dazu
auf, eine Aktivität zu wählen, die dann 30 Minuten
lang für andere Nutzer zu sehen ist. Durch das
begrenzte Zeitfenster soll gewährleistet werden,
dass sich Aktivitäten und Treffen schnell realisieren
lassen. Die Gründer des Start-ups haben in die
App aber auch die Möglichkeit eingebaut, das
Anliegen 24 Stunden aktiv zu lassen. Dafür zahlt der
Nutzer 99 Dollar-Cents. www.letsyep.com
Schon viele Jahre nutzen sie vor allem
Studenten als günstige Alternative
zu Bahn und Flug – die Mitfahrgelegenheit. Und seit Nachhaltigkeit und
Sharing auch in der breiteren Öffentlichkeit diskutiert werden, boomen
Mitfahr-Portale geradezu.
Ein österreichisches Start-up sieht
in der Mitfahrgelegenheit noch mehr
Potenzial, nämlich für den Transport
von Dingen. Checkrobin.com ist eine
neue Onlineplattform, auf der sich
Privatpersonen miteinander vernetzen können, um leere Kofferräume zu
füllen. Über das Portal oder die App
geben Fahrer an, welche Strecken sie
wann fahren. Menschen, die Dinge
versenden wollen, geben dies ebenfalls mit Start- und Zieladresse,
Datum und Größe der Sendung an.
Alle passenden Fahrer werden
daraufhin angezeigt und können
kontaktiert werden.
Checkrobin.com sieht in der Idee
eine perfekte Win-win-Situation:
Der Sender kommt um aufwendiges
Verpacken, Anstellen und lange
Zustellzeiten herum, der Empfänger
weiß genau, wann das Paket ankommt, und der Fahrer bekommt
einen Fahrtkostenzuschuss für eine
Strecke, die er sowieso gefahren
wäre. CO2-Einsparung und Umweltschonung sind ein Zusatzbonus
bei der Idee hinter diesem Start-up.
www.checkrobin.com
44 TREND UPDATE 02 2014
Enerkite Deutschland
FRISCHER
WIND FÜR DIE
ENERGIEWENDE
TellSpec Kanada
VOLLKOMMENE
LEBENSMITTEL­
TRANSPARENZ
Hövding Schweden
Fotos: TellSpec, Hövding, Enerkite, Screenshot: Yep!
UNSICHTBARER
FAHRRADHELM
Das Start-up Enerkite aus Berlin hat
vor, die Stromerzeugung aus Wind
zu revolutionieren. Statt Windrädern
kommen bei Enerkite Flugdrachen
zum Einsatz. Der automatisierte
Enerkite-Drachen fliegt in 300 Metern
Höhe eine Acht in der Luft und ist
dabei durch ein Seil mit einem
Generator verbunden, der durch die
Wendungen angetrieben wird. In
dieser Höhe wehen starke, beständige
Winde, sodass kontinuierlich Strom
entsteht. Ein Luftfahrtingenieur und
ein Drachendesigner haben die
Technik hinter dieser Idee entwickelt.
Bislang fliegen die Drachen im
Testmodus, schon jetzt lässt sich
aber eine Verdopplung des Jahresertrags zu konventionellen Windrädern voraussagen. Beim Material
sollen 95-prozentige Einsparungen
möglich sein, der CO2-Fußabruck
ließe sich um 75 Prozent verringern.
Die Drachen haben neben geringerem
Kosteneinsatz den Vorteil hoher
Flexibilität und liefern auch im
Binnenland noch zuverlässig Strom.
Gefördert wird das Projekt von der
brandenburgischen Investitionsbank
mit 500.000 Euro, Gespräche mit
anderen Investoren gibt es ebenfalls.
Die Prototyp-Entwicklung soll 2014
abgeschlossen werden. 2015 könnten
die Drachen bereits als kommerzielles
Produkt erhältlich sein.
Nicht nur ästhetisch sind Fahrradhelme ja kein wirkliches Highlight,
auch von der Anwendung sind sie
durchaus unpraktisch: Im Winter zu
kalt, im Sommer zu warm und der
sichere Tod jeder Frisur. Während es
hierzulande noch keine Helmpflicht
gibt, wächst mit der Zahl der Radfahrer auch der Wunsch nach
Sicherheit auf dem Bike. In Schweden
wurde jetzt ein quasi unsichtbarer
Helm entwickelt, der wie ein Airbag
funktioniert. Der rund 400 Euro teure
„Hövding“ wird wie ein Schal um
den Hals getragen, löst sich im Falle
eines Unfalls aus und breitet sich
blitzschnell um den Kopf aus. Der
Helm ist nicht nur einer der Bequemsten, Schicksten, sondern auch einer
der Sichersten auf dem Markt. Der
„Schal“ ist in verschiedenen Farben
erhältlich und lässt sich mit zusätzlichen Bezügen dem jeweiligen Outfit
anpassen. www.hovding.com
TellSpec ist ein futuristisch anmutendes Biotech-Produkt, das mehr
Transparenz für Verbraucher bieten
will. Das kleine Gerät ist ein sogenanntes Spektrometer, mit dem sich
Inhaltsstoffe analysieren lassen.
Konkret funktioniert das folgendermaßen: Ein Laser im TellSpec-Gerät
wird auf ein Objekt gerichtet,
woraufhin Photonen zurückgesandt
und aufgrund der Wellenlänge die
chemischen Komponenten ermittelt
werden. Diese Daten sendet das
Gerät dann an eine gekoppelte
Smartphone-App.
So können Allergiker genau nachprüfen, ob in ihrem Essen auch
wirklich keine Allergene vorhanden
sind. Auch Diabetikern hilft TellSpec,
da es scannen kann, wie viel Kalorien,
Fett und Zucker enthalten sind. Im
Endeffekt hilft das Gerät all jenen, die
den Angaben auf der Packung nicht
trauen, sondern selbst herausfinden
wollen, welche Inhaltsstoffe in
ihrem Essen wirklich vorhanden sind.
Das Gerät soll dieses Jahr im August
für 320 US-Dollar auf den Markt
kommen. Die Erwartung geht allerdings dahin, dass ein TellSpec in ein
paar Jahren für nunmehr 50 US-Dollar
erhältlich sein soll. www.tellspec.com
www.enerkite.de
www.trend-update.de
45
impuls Die Redaktion empfiehlt
BÜCHER
NEUSTART FÜR DIE WELT
Warum die Zukunft besser wird, als wir glauben
Nicht kreativ zu sein
ist keine Option!
Andreas Reckwitz
zeigt in diesem
scharfsinnigen und
anspruchsvollen
Buch, wie Kreativität
vom Alleinstellungsmerkmal einer Subkultur zum
gesamtgesellschaftlichen Imperativ
der Gegenwart wurde. Passend
zum Eintritt in die Welt der kreativen
Klasse.
Die Erfindung der Kreativität
Zum Prozess gesellschaftlicher
Ästhetisierung. Andreas Reckwitz,
Suhrkamp Verlag, Berlin 2012
46 TREND UPDATE 02 2014
ermuntert zu mehr Innovation, mehr
Kontakten und besseren Umsetzungen.
Durch Überfülle an Geld etwa sehen
die Autoren eine internationale Schicht
von Technophilantropen entstehen,
mit Personen wie Bill Gates oder Warren
Buffett, auf der anderen Seite der Skala
aber auch die neue Macht der „aufstrebenden Milliarde“, dem Teil
der Menschheit, der durch solche Innovationen in den kommenden Jahren aus
bitterster Armut in bescheidenen Wohlstand aufsteigt. Durch Überfülle an Zugang
entsteht eine Schicht von Do-it-yourselfInnovatoren, die nicht wartet, bis Unternehmen oder Institutionen Ideen aufgreifen, sondern die Dinge selbst in die
Hand nimmt. Zahlreiche Statistiken
untermauern die Fortschritte, die weltweit
bereits erzielt wurden.
Der unbedingte Glaube an technologische Lösungen verwundert nicht, wenn
man weiß, dass Diamandis ein gutes
Dutzend Hightech- und Raumfahrtunternehmen gegründet hat und Vorsitzender
der X PRIZE Foundation ist, die solche
Ideen international prämiert. Die 380
Seiten lesen sich flüssig und liefern viele
Inspirationen, das Themenpaar von
Technik und Zukunft auf eine neue Art zu
THOMAS HUBER
betrachten.
Die Zukunft ist eine
Statistik. Das Thema
Big Data hat mit
der NSA inzwischen
jedes Wohnzimmer
der Erde erreicht.
Wie sich aus
Datenspuren
errechnet, was wir als Nächstes tun,
zeigen die Autoren an diesem
kontroversen Thema in vielen
Aspekten sehr nachvollziebar auf.
Big Data
Die Revolution, die unser Leben
verändern wird. Kenneth Cukier und
Viktor Mayer-Schönberger,
Redline Verlag, München 2013
Der kommende
Mensch als biologisch-technische
Lebensform beschäftigt Kurzweil schon
länger. In diesem
Buch nimmt er sich
vor, in einem Reverse-Engineering-Ansatz den Geist
über seine biologischen Bestandteile zu erklären und sorgt damit seit
Erscheinen für lebhafte Diskussionen in der Zukunftsforschung.
How to create a Mind
The secrets of human thought revealed.
Ray Kurzweil, Viking Adult,
New York 2012
Fotos: PR (4)
Abundance
The future is better than you
think. Peter H. Diamandis,
Steven Kotler, Free Press, 2012
In diesem optimistischen Blick auf die
Zukunft definieren die Autoren Überfluss
neu. Denn, so das Grundargument, aus
den Entwicklungen der Technologie wird
in den kommenden Jahrzehnten eine
Fülle, eine Abundanz, entstehen, die das
gesamte Leben auf der Erde im positiven
Sinn neu gestaltet.
Bisher waren die Individuen in der
Menschheitsgeschichte zum allergrößten
Teil ihrer persönlichen Zeit damit
beschäftigt, sich um ihr Überleben zu
kümmern. Sie standen auf der bekannten
Pyramide des Psychologen Abraham
Maslow ziemlich weit unten. Dank der
enormen Potenziale, die durch die
technologischen Entwicklungen entstehen, werden sie künftig zunehmend
Zeit haben, sich um Gesunderhaltung,
richtige Ernährung, Selfness und
Teilhabe zu kümmern, und an die Spitze
der Pyramide rücken.
An einer ganzen Reihe von Themen
– Wasser, Ernährung, Bildung, Energie,
Freiheit – zeigen die Autoren, wie Technik
Abläufe, Produktionsprozesse, Zugang
und Nutzung vereinfacht und so den
Menschen neue Chancen eröffnet,
teilzuhaben und mitzugestalten. Überfluss
führt an dieser Stelle, so die Autoren,
nicht zur Verschwendung, sondern
WEB & APP
impressum
Herausgeber: Matthias Horx
Chefredakteur: Thomas Huber (v.i.S.d.P.)
Redaktionelle Beratung
(INSPIRING NETWORK, im Folgenden
I.N.): Andreas Möller, Lucas Koch
Art Direktion (I.N.): Janine Sack
Redaktion: Cornelia Kelber
Autoren: Jana Ehret, Christiane
Friedemann, Matthias Horx, Thomas
Huber, Cornelia Kelber, Anja Kirig,
Vusala Malikova, Mark Morrison,
Christian Rauch, Hanni Rützler,
Janine Seitz, Sarah Volk
Grafik (I.N.): Mirko Merkel
Redaktionsmanagement (I.N.):
Marta Braun
Schlussredaktion (I.N.): Anke Taubitz
Der bewegte Gomringer
Interaktive Webdoku über den „Vater der konkreten Poesie“
Fotos: ZVG, PR (2), Getty Images/iStockphoto (2)
Den Dichter Eugen Gomringer kennt man aus dem Deutschunterricht: Er ist ein
bedeutender Nachkriegspoet und gilt als „Vater der konkreten Poesie“. 1925
geboren, fasst der Poet selbst zwar keinen Computer an, hat aber eine der schönsten Homepages aller lebenden deutschen Dichter. Auf www.agomringerz.de
erfährt der Besucher Biografisches, indem er ein Wort – irgendein Wort – in die
Suchfunktion eingibt. Aus den Buchstaben dieses Wortes ergeben sich die Anfangsbuchstaben eines Stichwortes, das das Thema eines kurzen Web-Videos darstellt.
Enthält das gesuchte Wort also zum Beispiel den Buchstaben „C“, erscheint das
Video zum Thema „Computer“, in dem man von der Frau des Dichters erfährt, dass
Eugen Gomringer einen solchen nicht bedienen kann. Mit ein wenig Glück ist
auch die ein oder andere Gedicht-Performance dabei. www.agomringerz.de
SPRINGPAD DIE APP
FÜR LEBENDIGE INHALTE
LAST MESSAGE DIE APP
FÜR LEERE AKKUS
Springpad ist ein digitales Skizzenbuch. Allerdings sichert es Daten
nicht nur im augenblicklichen
Zustand, sondern aktualisiert sie
auch. Speichert der Nutzer zum
Beispiel einen Kinofilm, den er sehen
will, zeigt Springpad nach Jahren
nicht die Webseite des Kinos, wo der
Film damals lief, sondern einen
Online-Store, wo man den Film jetzt
als DVD kaufen kann. Bei Rezepten
erstellt die App eine Einkaufsliste der
Zutaten. So wandelt Springpad
Inhalte in nutzvolle Tipps, Hinweise
und To-Dos. springpad.com/about
Immer wieder dasselbe
Problem: Der Akku des
Handys zeigt nur noch
wenige Prozent an.
Anrufe sind überhaupt
nicht mehr machbar,
und beim Tippen der
SMS, mit der man mitteilen will, dass man
gleich nicht mehr erreichbar ist, wird
mitten im Schreiben der Bildschirm
schwarz. Die App „Last Message“
schafft es zwar nicht, das Handy
wieder aufzuladen, doch immerhin
lässt sich mit der App einstellen, wer
ab welchem Akkustand automatisch
mit einer SMS, E-Mail, FacebookNachricht oder Tweet über die
bevorstehende Nicht-Erreichbarkeit
benachrichtigt wird. Damit das
Gegenüber nicht endlos ins Nirwana
des toten Akkus postet.
play.google.com/store/apps/
details?id=it.fatbrain.lastmessage
Anzeigen: INSPIRING NETWORK
Media Sales, Executive Sales Director:
Wencke von der Heydt
Sales Director: Natalie Domagalski,
Tel.: +49 (0)40 209 33 08 47, E-Mail:
n.domagalski@inspiring-network.com
Anzeigenabwicklung: Claudia Meier,
Tel.: +49 (0)40 209 33 08 51, E-Mail:
c.meier@inspiring-network.com, Fax für
Auftragserteilung: +49 (0)40 42 93 5309
Verlag: Zukunftsinstitut GmbH,
Geschäftsführung: Harry Gatterer,
Christiane Friedemann, Thomas Huber,
Andreas Steinle und INSPIRING
NETWORK GmbH & Co KG, Geschäftsführung: Dr. Katarzyna Mol-Wolf,
Anke Rippert
Repro/Herstellung: Peter Becker GmbH,
Medienproduktionen, Delpstraße 15,
97084 Würzburg
Druck: NEEF + STUMME premium
printing GmbH & Co KG, Schillerstraße 2,
29378 Wittingen
Jahresabonnement: 179,– Euro zzgl. 7 %
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innerhalb Deutschlands, 15,- Euro
Versandkosten ins Ausland.10 Ausgaben
im Jahr (nicht im Januar und Juli)
Abomarketing (I.N.): Nicola Nawrotzki
(Ltg.), Anna Stankusch
Verwaltung Abonnements: Anna Kunz
Zukunftsinstitut GmbH –
Internationale Gesellschaft
für Zukunfts- und Trendberatung
Kaiserstr. 53, 60329 Frankfurt
Tel.: +49 (0)69 264 84 89 - 0
Fax: +49 (0)69 264 84 89 - 20
E-Mail: info@zukunftsinstitut.de
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47
work Die Methoden des Zukunftsinstituts
POSITIONSBESTIMMUNG
Gotcha!
Angriffs- und
Abwehrstrategien
entwickeln
WORK:Die Methoden des Zukunftsinstituts – Positionsbestimmung
Entwickeln einer Angriffs- oder Verteidigungsstrategie
GOTCHA!
1 Wählen Sie Ihren größten
Mein „altes“ Unternehmen:
Konkurrenten als neuen Arbeitgeber.
In Ihrem neuen Unternehmen:
Stellen Sie sich dafür vor, Sie wären zu einem
ihrer größten, global operierenden Konkurrenten
abgewandert, um dort eine Angriffsstrategie zu
entwickeln, die der „alten“ Firma viele Marktanteile
abnimmt. Überlegen Sie aus dieser Perspektive:
Welche Schwächen hat Ihr „altes“ Unternehmen?
Listen Sie die fünf Unternehmensbereiche, bei
denen Sie denken, dass Ihre „alte“ Firma objektiv
unterlegen sein könnte.
Das Ziel
Mit dieser Methode können Sie Ihr
Unternehmen im globalen Wettbewerb
stärken, indem Sie sich selbst und Ihre
Mitarbeiter in Konkurrenzunternehmen
„eindenken“. Diese aktive Partizipation
motiviert die Mitarbeiter und schafft
eine kollegiale und zielstrebige Arbeitsatmosphäre.
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Jeder hat mal einen Tag, an dem er das eigene Unternehmen verflucht. Heute dürfen Sie diesen
Gedanken einmal genüsslich weiterspinnen – natürlich nur zum Nutzen Ihres Unternehmens:
Stellen Sie sich vor, Sie wären zu einem Ihrer größten Konkurrenten abgewandert. Nun haben
Sie die Chance, Ihrer alten (also derzeitigen) Firma „eins auszuwischen“. Denn ab sofort sind Sie
dafür verantwortlich, eine Angriffsstrategie zu entwickeln, die der „alten“ Firma viele Marktanteile abnimmt.
Schwächen des „alten“ Unternehmens
1.
2.
3.
48 TREND UPDATE 02 2014
Stärken des „neuen“ Unternehmens
1.
2.
3.
4.
5.
Hatten Sie Erfolg?
Konnten Sie Marktanteile gewinnen?
Attacke 1: PRODUKTE
Attacke 3: MARKETING
Welche Marketingstrategie würde besonders
verheerend wirken?
Welche Innovationen wären möglich?
Welche neuen Qualitäten/Qualifikationen können Sie
einsetzen? Wen könnten Sie womit abwerben?
Attacke 2: KUNDEN
Attacke 5: UNTERNEHMENSSTRATEGIE
Welche Neukunden können Sie gewinnen?
!
Next Steps...
Attacke 4: PERSONEN
Definieren Sie neue Geschäftsfelder!
Die Herausforderung
Die Megatrends „New Work“ und
„Globalisierung“ stehen bei der
„Gotcha!“-Methode im Fokus. Zahlreiche ehemalige Schwellenländer sind zu
Wirtschaftsgiganten geworden und
die Machtverschiebungen in Richtung
Asien und die enorme Mobilität von
Mitarbeitern und Waren bereiten den
Weg in eine Globalkultur. Firmen
werden so immer stärker zu Flexibilität,
permanenter Innovation gedrängt.
Gleichzeitig befindet sich unsere
Gesellschaft im Wandel von der Industrie- zur Wissensgesellschaft, somit
rücken die Service-, Informations- und
Kreativarbeiter ins Zentrum des
Wirtschaftens. Die Grenzen zwischen
Berufs- und Privatleben verschwimmen
immer mehr. Als kreative Arbeiter
werden wir zunehmend selbstständig –
auch wenn wir fest angestellt sind – und
binden uns immer kurzfristiger an
Arbeitgeber.
Die Motivation der eigenen Mitarbeiter ist im Zuge dieser Entwicklungen
die entscheidende Grundlage, wenn es
darum geht, im globalen Wettbewerb
nicht zurückzufallen. Doch genau um
diesen Worst-Case soll es nun gehen:
Wir wollen Sie in die Lage versetzen,
dem eigenen Unternehmen zu schaden
– um natürlich am Ende Ihrem Unternehmen zu nutzen.
Mein „neues“ Unternehmen:
Nun geht es darum, in die Offensive zu gehen. Wie
können Sie die Stärken der „neuen“ Firma nutzen,
um Ihrer „alten“ Firma maximale Marktanteile
abzunehmen? Zielen Sie dabei besonders auf die
Schwächen ab! Es geht darum, eine radikal bessere Strategie zu entwickeln als Ihre alte Firma.
Überlegen Sie hierzu, auf welche Stärken Ihres
neuen Arbeitgebers Sie besonders setzen sollten,
und notieren Sie diese 5 Stärken.
5.
Definieren Sie die Ziele Ihrer Angriffe. So könnte die
erste Attacke z.B. auf die Produkte abzielen, gefolgt
von einer Attacke auf die Kunden, das Marketing,
den Personalbereich und die Unternehmensstrategie.
Dann kehren Sie jetzt wieder zurück zu Ihrem
Unternehmen. Fragen Sie sich: Wie könnten Sie die
gefährlichsten Angriffsstrategien abwehren? Welche
proaktiven Maßnahmen könnten Sie vor einem solchen – immer möglichen – Angriff schützen?
Überlegen Sie:
4.
3 Starten Sie den Angriff:
?
2
Mehr zu Methoden und Workshops finden Sie unter: www.zukunftsinstitut.de
Nutzen Sie das Potenzial dieser Methode
und teilen Sie diese mit Ihren Arbeitskolle­
gen. Laden Sie sich dafür das Worksheet
zur Methode unter folgendem Link
herunter: futureworks.eu/workzine/gotcha
GUTE STIMMUNG
87 %
der deutschen Fach- und Führungskräfte
motiviert ein kollegiales,
angenehmes Arbeitsumfeld
INDEX
DIE 11 MEGATRENDS
Step 1
Stellen Sie sich dafür vor, Sie wären zu einem
Ihrer größten, global operierenden Konkurrenten
abgewandert, um dort eine Angriffsstrategie zu
entwickeln, die der „alten“ Firma viele Markt­
anteile abnimmt. Überlegen Sie aus dieser
Perspektive: Welche Schwächen hat Ihr „altes“
Unternehmen? Listen Sie die fünf Unterneh­
mensbereiche, bei denen Sie denken, dass Ihre
„alte“ Firma objektiv unterlegen sein könnte.
Step 2
Nun geht es darum, in die Offensive zu gehen.
Wie können Sie die Stärken der „neuen“ Firma
nutzen, um Ihrer „alten“ Firma maximale
Marktanteile abzunehmen? Zielen Sie dabei
besonders auf die Schwächen ab! Es gilt eine
radikal bessere Strategie zu entwickeln als
Ihre alte Firma. Überlegen Sie hierzu, auf
welche Stärken Ihres neuen Arbeitgebers Sie
besonders setzen sollten und notieren Sie
diese fünf Stärken.
Step 3
Definieren Sie die Ziele Ihrer Angriffe. So könnte
die erste Attacke z. B. auf die Produkte abzielen,
gefolgt von einer Attacke auf die Kunden, das
Marketing, den Personalbereich und die
Unternehmensstrategie.
Das Zukunftsinstitut arbeitet mit 11 Megatrends.
Sie haben weitreichende Wirkung auf alle gesell­
schaftlichen Bereiche. Zur besseren Verortung
binden wir alle Phänomene in unserem Heft an die
dahinterliegenden Megatrends an – diesen Bezug
finden Sie im unten stehenden Index. Mehr über
Megatrends und ihre Wirkungen finden Sie unter:
www.trend-update.de/inforama/megatrend-map
Individualisierung
Der Einzelne wird zum Maßstab von Gesellschaft,
Politik und Ökonomie Seite 7, 8, 13, 14, 16, 38
Female Shift
Veränderte weibliche Rollenbilder krempeln die
Gesellschaften um Seite 30, 38, 45
Silver Society
Alterung, demografischer Wandel und der Abschied
vom Jugendkult Seite 30, 38
Neues Lernen
Bildung wird zur zentralen Ressource der kommenden
Generationen Seite 6, 46
New Work
Der tiefgreifende Wandel der Arbeitswelt
im 21. Jahrhundert Seite 4, 8
Methodenhistorie
Bei der vorgestellten Methode „Gotcha!“
handelt es sich um eine Weiterentwicklung von
„Business Wargaming“. Wir haben das Prinzip
des Eindenkens in die Konkurrenz übernommen, aber als konkrete Herausforderung die
Auswirkungen der Megatrends „Globalisierung“
und „New Work“ hinzugefügt. Was können Sie
in diesem Zusammenhang schon heute von der
globalen Konkurrenz lernen und wie können
Sie den neuen Ansprüchen Ihrer jetzigen und
zukünftigen Mitarbeiter genügen?
Mehr lesen: Mit Business Wargaming am Markt
bestehen. Strategische Kriegsführung für Manager.
Ben Gilad, Markus Götz Junginger, Redline Verlag, 2010
Gesundheit
Von der Genesung zum aktiven Management der
Lebensenergie Seite 38
Neo-Ökologie
Das neue Paradigma im Umgang mit Ressourcen,
Rohstoffen, Materialien Seite 12, 15, 18, 23, 30, 32, 45
Konnektivität
Digitalisierung als maßgeblicher Treiber der techni­
schen Entwicklung Seite 5, 6, 9, 20, 21, 24, 28, 44
Globalisierung
Weltweite Zusammenhänge und ihre lokalen
Auswirkungen Seite 8, 24
Urbanisierung
Weltweit wird die Stadt zum natürlichen Lebensraum
des Menschen Seite 5, 6, 7
Mobilität
In Bewegung zu sein ist das Lebenselixier moderner
Gesellschaften Seite 8, 20, 23, 44, 45
www.trend-update.de
49
fragebogen Kluge Köpfe
Wie sieht unsere
Zukunft aus?
10 Fragen an
prominente Forscher
und Denker
1 Welcher Trend wird die Zukunft viel stärker prägen,
als wir denken?
Wir werden uns viel stärker unserer Rolle als GestalterInnen
bewusst werden und mit innovativen Methoden gemeinsam
politisch tätig sein. Diesen kulturellen Wandel hin zur
„Mitmach-Zukunft 2.0“ bezeichne ich als „Re-Souveränisierung“.
2 Was ist Ihrer Meinung nach ein überschätzter Trend?
Überschätzt werden Lösungsansätze, die auf dem End-of-PipeDenken basieren: Probleme erst im Nachhinein in den Griff
zu bekommen, statt bei deren Grundlagen zu beginnen.
3 Was wird in unserer Gesellschaft in 20 Jahren anders sein?
Wir werden die derzeitigen Paradigmen und Grundannahmen
wie etwa das BIP-zentrierte Wirtschaftswachstum hinterfragen,
indem wir grundlegende Ansätze wie Zukunftsfähigkeit und
Lebensqualität in den Blick nehmen.
4 In welcher Form beeinflussen Trends Ihre Arbeit?
Trends können beim Erkennen von Strömungen eine wichtige
Rolle spielen. Wie wollen wir als Gesellschaft sein?
Wie gelingt ein gutes und zukunftsfähiges Leben für alle?
Dr. Rita Trattnigg ist eine
österreichische Politikwissenschaftlerin und Expertin für
Zukunftsfähigkeit. Aktuelle
Publikation: „Zukunftsfähigkeit ist eine Frage der Kultur“,
Oekom Verlag, München 2013.
www.kultureller-wandel.at
5 Wann hat Sie ein Trend zum letzten Mal so richtig
überrascht?
Überrascht hat mich, wie schnell bei jungen Menschen
das Handy dem Auto den Status-Rang abgelaufen hat.
6 Welche Prognose der vergangenen Jahre lag am meisten
daneben?
Sämtliche Prognosen und Argumentationen, die von
sogenannten Alternativlosigkeiten ausgehen.
7 Wer ist Ihr Lieblingsdenker zum Thema Zukunft?
Heinz von Foerster und seine „Teil-der-Welt-Haltung“.
8 Welche Innovation wünschen Sie sich?
Ich wünsche mir, dass soziale Innovationen ebensolche
Wertschätzung erfahren wie technologische Innovationen. Es
gilt, das Potenzial der gegenseitigen „Ergänzung“ zu erkennen.
10 Was gibt Ihnen Anlass zur Hoffnung?
Hoffnung geben die unzähligen aufkeimenden Pionier-Projekte,
wo Menschen versuchen, mit Zukunftsherausforderungen
selbstorganisiert umgehen. Außerdem die Rückmeldungen
aus meiner Erfahrung mit partizipativen Zukunftsgestaltungsprozessen wie: „Wir waren uns gar nicht bewusst, welches
Lösungspotenzial in uns schlummert.“
50 TREND UPDATE 02 2014
Foto: Thomas Haderlapp
9 Was treibt Sie zur Verzweiflung?
Verzweiflung treibt mich zur Verzweiflung, weil sie das Denken
in Alternativen lähmt.
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Younes Allaki
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