Untitled - NETZ für Selbstverwaltung und Kooperation Berlin
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Berlin, 17.10.02 Lars Straeter Dunckerstraße 68 10437 Berlin Matr.Nr. 175455 Diplomarbeit Professor Herrle Ohne die freundliche und hilfreiche Unterstützung zahlreicher Personen, insbesondere der einzelnen Projekte, wäre diese Arbeit nicht entstanden. Ich möchte mich bei Ihnen für Geduld, Mitarbeit und Kooperation herzlichst bedanken. Professor Peter Herrle (TU-Berlin), Dr. Udo E. Simonis (WZB) André Jonkers (Solidair), Andreas Hofer (Kraftwerk 1) Jochen und Stefan (Syndikat), Maria Ohlig (Wogebe) Udo Reifner und Peter Scheck (Mieterfonds) Christian Mika und Frauke Hehl (RAW-Temple) Fabian Tacke (Stadtwerk KG), Ute Balleisen (Wogeno) Joker (SUSI GmbH), Anne Seidel, Annelie Kops, Moritz Loehr Winfried Härtel, Ben Gundlach (urban project) 1 KONTEXT ....................................................................................................................... 4 1.1 Globalisierung ............................................................................................................................................................................. 4 1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5 1.1.6 1.1.7 1.1.8 Vorteile..............................................................................................................................................................................................................................4 Schattenseiten der Globalisierung ..........................................................................................................................................................................5 Ungleichheit zwischen der Ersten und der Dritten Welt..................................................................................................................................5 Ungleichheit innerhalb der Ersten Welt ................................................................................................................................................................6 Shareholder-Value ........................................................................................................................................................................................................7 Ausverkauf der Nationalstaaten...............................................................................................................................................................................7 Die Macht der Unternehmen ....................................................................................................................................................................................8 Das Ende der Politik......................................................................................................................................................................................................9 1.2 Informationszeitalter................................................................................................................................................................. 9 1.3 Individualisierung..................................................................................................................................................................... 10 1.4 Identität ....................................................................................................................................................................................... 10 1.5 Auswirkungen auf die Stadt.................................................................................................................................................. 11 1.5.1 1.5.2 1.5.3 1.5.4 2 Geografie der Zentralität ......................................................................................................................................................................................... 11 Polarisierung / Segregation .................................................................................................................................................................................... 12 Die Privatisierung des öffentlichen Raumes ..................................................................................................................................................... 13 Frage an die Stadt ...................................................................................................................................................................................................... 13 STRATEGIEN .................................................................................................................16 2.1 Bürgergesellschaft – Dritter Weg ........................................................................................................................................ 17 2.2 Subjekt des eigenen Handelns ............................................................................................................................................ 19 2.3 Selbsthilfe, Enablement.......................................................................................................................................................... 20 2.4 informelle Strukturen.............................................................................................................................................................. 20 2.5 Kollektivität................................................................................................................................................................................. 22 2.6 Subpolitik .................................................................................................................................................................................... 23 2.7 Verbraucheraktivismus........................................................................................................................................................... 23 2.7.1 2.7.2 Was boykottiere ich? ......................................................................................................................................................................... 24 Wie lege ich mein Geld an? ....................................................................................................................................................... 24 2.8 politische Philanthropie.........................................................................................................................................................26 2.9 Die etwas andere Ökonomie................................................................................................................................................ 26 2.9.1 2.9.2 2.9.3 2.9.4 2.9.5 2.9.6 2.9.7 2.9.8 2.9.9 3 Economie sociale und Dritter Sektor............................................................................................................................................................. 27 Reflex oder Reflexion.......................................................................................................................................................................................... 27 soziale Ökonomie ................................................................................................................................................................................................ 27 Lokale Ökonomie................................................................................................................................................................................................. 28 Gemeinwesenökonomie ................................................................................................................................................................................... 28 solidarische und alternative Ökonomie ....................................................................................................................................................... 28 ökologische Ökonomie...................................................................................................................................................................................... 30 nachhaltige Ökonomie ...................................................................................................................................................................................... 30 nachhaltige, ökonomische Globalisierung ................................................................................................................................................. 31 PROJEKTE..................................................................................................................... 36 3.1 Warum Projekte ........................................................................................................................................................................ 36 3.2 paradoxe Strategien................................................................................................................................................................ 36 3.3 Wohnprojekte............................................................................................................................................................................ 37 3.4 Anforderungen an die Projekte........................................................................................................................................... 37 4 RAHMENBEDINGUNGEN DER PROJEKTE .................................................................. 39 4.1 Gesellschaftsrecht .................................................................................................................................................................... 41 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 GbR (WEG) .............................................................................................................................................................................................................. 41 KG, GmbH & Co KG .............................................................................................................................................................................................. 43 GmbH....................................................................................................................................................................................................................... 44 AG.............................................................................................................................................................................................................................. 45 4.1.5 4.1.6 Genossenschaft ............................................................................................................................................................................. 47 Stiftung ............................................................................................................................................................................................. 56 4.1.7 4.1.8 Zusammenfassung .......................................................................................................................................................................57 Mischkonstruktionen...................................................................................................................................................................59 4.2 Finanzierung .............................................................................................................................................................................. 61 4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5 4.2.6 4.2.7 Banken ..............................................................................................................................................................................................61 alternative Banken........................................................................................................................................................................62 Direktbeteiligungen / Venturekapital ...................................................................................................................................63 Stiftungen ........................................................................................................................................................................................65 Immobilienfonds...........................................................................................................................................................................65 Solidarfonds (revol........................................................................................................................................................................67 Mieterfonds.....................................................................................................................................................................................68 4.3 Wohnungsbauförderung....................................................................................................................................................... 70 4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4 4.3.5 4.3.6 4.3.7 4.3.8 5 Eigenheimzulagegesetz .............................................................................................................................................................72 Steuern und Immobilien ............................................................................................................................................................74 KFW – Programme........................................................................................................................................................................75 Wohngeld ........................................................................................................................................................................................76 Regional-, Stadt- und Quartiersförderung...........................................................................................................................76 Soziale Wohnraumförderung ...................................................................................................................................................78 IBB .......................................................................................................................................................................................................78 Nachbetrachtung..........................................................................................................................................................................80 PROJEKTBEISPIELE ...................................................................................................... 82 5.1 Projekte........................................................................................................................................................................................ 82 5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.1.6 5.1.7 5.1.8 Mieterfonds.....................................................................................................................................................................................83 Stadtwerk KG ..................................................................................................................................................................................87 Kraftwerk 1.......................................................................................................................................................................................90 Wohnungsbaugenossenschaft von 1892 ............................................................................................................................98 WOGENO....................................................................................................................................................................................... 104 Bremer Höhe................................................................................................................................................................................ 109 Stiftung PWG ............................................................................................................................................................................... 114 Syndikat ......................................................................................................................................................................................... 118 5.1.9 5.1.10 Wogebe.......................................................................................................................................................................................... 126 Solidair............................................................................................................................................................................................ 134 5.2 Auswertung der Projekte .................................................................................................................................................... 144 5.2.1 5.2.9 5.2.9 5.2.9 6 Initiative ......................................................................................................................................................................................... 144 Teilnahme...................................................................................................................................................................................... 146 Inhalte............................................................................................................................................................................................. 148 Projektion/Dauerhaftigkeit..................................................................................................................................................... 150 FAZIT ...........................................................................................................................153 6.1 Gesellschaftsrecht.................................................................................................................................................................. 154 6.1.1 6.1.2 Genossenschaften...................................................................................................................................................................... 154 Unternehmen mit sozialer Zielsetzung .............................................................................................................................. 155 6.2 Wohnungsbauförderung .................................................................................................................................................... 156 6.2.1 6.2.2 6.2.3 Dezentralisierung und Qualitätsbindung.......................................................................................................................... 156 soziale Wohnraumförderung und soziale Stadt.............................................................................................................. 156 Genossenschaftsförderung..................................................................................................................................................... 157 6.3 Entwürfe (paradoxe Planung)............................................................................................................................................ 158 6.3.1 6.3.2 6.3.3 A Entwurf 1 (Stadtumbau Ost - Wittenberge)...................................................................................................................... 159 Entwurf 2 (Stadtumbau Ost - Dessau)................................................................................................................................. 169 Entwurf 3 (City Pirate, Frankfurt)........................................................................................................................................... 171 ANHANG ......................................................................................................................... weitere Projekte ............................................................................................................................................................................ Literaturliste.................................................................................................................................................................................... Darstellung...................................................................................................................................................................................... 1 Vorwort „In the last quarter of this fading century, a technological revolution, centred around information, has transformed the way we think, we produce, we consume, we trade, we manage, we communicate, we live, we die, we make war, and we make love. A dynamic global economy has been constituted around the planet, linking up valuable people and activities from all over the world, while switching off from the networks of power and wealth, people and territories dubbed as irrelevant from the perspective of dominant interests.“ (Castells, The Information Age III, 1999, S.23). Wie Castells schreibt leben wir in einem Zeitalter des Wandels, in einem Zustand des Übergangs, in einem Stadium sich ändernder Rahmenbedingungen. Die Globalisierung, Medialisierung, die fortschreitende Technologisierung und Rationalisierung ändern den zeitgenössischen Kontext in einer Geschwindigkeit, die wir kaum fassen, kaum nachvollziehen können. Der Abbau der Sozialstaats setzt sich unvermindert fort, die Liberalisierungs- und Privatisierungsspirale rotiert auf Höchstgeschwindigkeit und eine einseitig von der Ökonomie determinierte Globalisierung bestimmt den Handlungsspielraum der Nationalstaaten, reduziert ihn auf die Bereitstellung von Standortfaktoren. Im Kampf um die letzten Arbeitsplätze in einer wegrationalisierten Welt erlassen Nationalstaaten Unternehmenssteuern und reduzieren Sozialabgaben und Einkommenssteuern. Den Einnahmeverlusten stehen erhöhte Ausgaben gegenüber, die sich aus einer grassierenden Arbeitslosigkeit, einer extremen Ungleichverteilung des Reichtums und einer zunehmenden Polarisierung ergeben. Solange die Wirtschaft noch „boomte“ waren diese Diskrepanzen, die sich vor allem auch im städtischen Raum zeigen, noch zu verdecken. Die Aktieneuphorie ist jedoch vorüber - die „Blase“ ist geplatzt. Rapide Kursstürze vernichten das Kapital der Anleger. Das Wirtschafts- wachstum in Amerika, Asien und Europa ist eingebrochen. Unternehmensskandale und Bilanzbetrügereien dominieren das Tagesgeschehen. In jeder großen Krise steckt der Keim möglicher Veränderungen. Um die Zielsetzung einer ökonomischen, sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit mangels einer politischen Globalisierung trotzdem durchzusetzen, orientieren sich Lösungsansätze heutzutage im wesentlichen an einer emanzipierteren, selbstbestimmteren Gesellschaft. Die Begriffe kommen meistens aus dem angelsächsischen, amerikanischen Raum, in dem der Staat traditionell keine große Rolle gespielt hat oder aus der Dritten Welt, den Entwicklungsländern. Ullrich Beck spricht von einer „Reflexiven Moderne“ und einer Bürgergesellschaft; Giddens vom „Dritten Weg“ und Risikokontexten; Manuell Castells von „Resistence und Project Identities“; Saskia Sassen von der Stärkung „Informeller Strukturen“; Nabeel Hamdi von Enablement; Noreena Hertz von „Verbraucheraktivismus und Subpolitik“ und Heiner Keupp von neuen Formen der Kollektivität. Das einzelne Projekt erlangt innerhalb der oben definierten Strategien eine besondere Bedeutung. Es vermittelt zwischen den Härten – aber auch Freiheiten – der Individualisierung und den Sicherheiten – aber auch Determinierungen – des gesellschaftlichen Kollektivs. Es bündelt Selbsthilfepotentiale, Interessen, Identitäten und experimentiert mit neuen Formen von Demokratie und Kollektivität. In meiner Diplomarbeit befasse ich mich mit den politischen, ökonomischen, rechtlichen und sozialen Rahmenbedingungen von Architektur und Städtebau – insbesondere dem Wohnungsbau. Der Arbeit zu Grunde liegt ein Architekturverständnis, welches den Architekten eher als Initiator, Kultivator, Gestalter von Prozessen sieht und ihn nicht auf die Aufgabe der Raumbildung und Ästhetisierung reduziert. Die Diplomarbeit besteht aus drei Teilen. Im ersten Teil wird der 2 oben angesprochene zeitgenössische Kontext detailliert ausgeführt und die daraus folgende Problematik erläutert. Auf den Bedeutungsverlust der Nationalstaaten reagiere ich, indem ich dabei Wert auf eine weit gefasste, globale Perspektive lege. Darüber hinaus werden allgemeine Lösungsansätze und Strategien zeitgenössischer Politiker, Soziologen, Philosophen, Psychologen und Städtebauer zusammengefasst und diskutiert. Ziel des ersten Teils ist es, allgemeine Kriterien zu entwickeln, unter denen ich im Folgenden einzelne Projekte untersuchen werde. Den zweiten Teil beginne ich mit einer ausführlichen Untersuchung der gesellschaftsrechtlichen, ökonomischen und politischen Rahmenbedingungen von Wohnungsbauprojekten. Darauf folgt eine detaillierte Untersuchung von zehn Projekten, mit Hilfe der im ersten Teil entwickelten Kriterien. Mit der freiwilligen Fokussierung auf den Wohnungsbau möchte ich zu einer größeren exemplarischen Detailschärfe gelangen. Am Ende der Untersuchung folgen zwei Projekte, die ein wesentlich breiteres Spektrum beinhalten (Wohnen, Arbeiten, Kultur) und sich allgemein mit der Implementierung einer nachhaltigen Ökonomie beschäftigen. Damit versuche ich der Komplexität des Themas stärker gerecht zu werden. Der zweite Teil endet mit einer vergleichenden Projektauswertung. Verbindendes Element der Projekte ist, dass sie zu unterschiedlichsten Formen der Teilnahme anregen und weder der einseitigen Konsumhaltung des sozialen Wohnungsbaus noch der Abschottungstendenz des individuellen Eigentums gehorchen. Eine ausgewogene Gewichtung zwischen individueller Autonomie und gemeinsamer, kollektiver Prinzipien erhält dabei eine besondere Bedeutung. Außerdem sind die Projekte weitgehend unabhängig von staatlichen Förderungen. Der dritte Teil beschäftigt sich mit der Frage, inwieweit sich die Rahmenbedingungen der Projekte verbessern lassen. Außerdem habe ich versucht, die von mir entwickelten Kenntnisse eines „alternativen Projektmanagements“, in Zusammenarbeit mit anderen Diplomarbeiten, anzuwenden und weiterzuentwickeln. Die daraus folgenden Kooperationen werden am Ende der Arbeit kurz vorgestellt. In Darstellung 1 wird der schematische Aufbau der Arbeit noch einmal in einem Schaubild zusammengefasst. Mir geht es insgesamt in der Diplomarbeit um eine Neupositionierung zwischen liberal und sozial, zwischen Freiheit und Kollektivität und um ein Weiterdenken der Globalisierung. 3 G L O B A L L Strategien (allgemein) Kontext T e i l K R I T E R I E N P R O J E K T E 1 Darst. 1: Aufbau Diplomarbeit Quelle: eigene Darstellung Rahmenbedingungen T O K Projektanalysen e i l 2 A L Auswertung Rahmenbedingungen T e i Projektentwürfe l 3 4 Kontext 1 Kontext Beginnen möchte ich mit einer Erläuterung der Grundparameter des zeitgenössischen Kontextes, die aus den Kernthemen Globalisierung, Informationsrevolution und Individualisierung bestehen. 1.1 Globalisierung Der Fall der Mauer 1989 besiegelte nicht nur das Ende des Kommunismus und des Ost-West Konflikts, sondern auch das Ende der sozialen Marktwirtschaft. Der Siegeszug der freien Marktwirtschaft angloamerikanischen Zuschnitts begann 1979/80 mit der Wahl von Margaret Thatcher und Ronald Reagan, die den „interventionistischen Staat“ zu Grabe trugen im Glauben, dass das produktive Potential freier Menschen in freien Märkten erfolgreicher für Reichtum und Wirtschaftskraft sorgen könnte, als die uneffiziente und unflexible Maschinerie des Staates. Die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik von Reagan basierte auf dem festen Glauben an die Theorie vom „Durchsickern der Nutzeneffekte“ (trickle down), wonach die Reichen durch Anreize, wie etwa eine niedrigere Besteuerung, zu unternehmerischer Initiative und somit zur Schaffung von Arbeitsplätzen angehalten werden. Im Gegenzug würde dadurch die Zahl der Sozialhilfeempfänger verringert werden (vgl. Hertz, silent takeover, 2001, S.31 ff). Von Amerika und England drangen die „Heilslehren“ des freien Marktes in die ehemaligen britischen Dominions ein: Australien und Kanada. Später folgten zahlreiche Schwellenländer in Süd- und Mittelamerika, dann Afrika, Asien und Ost- und Westeuropa. Anfang der neunziger Jahre war der neoliberale Laissez-faire-Kapitalismus endgültig und ohne Zweifel zur weltweit tonangebenden Ideologie geworden (ebenda). Linke wie rechte Parteien vertreten heute die These, dass die freie Marktwirtschaft das effizienteste System zur Erzeugung von Wohlstand ist. In einer global vernetzten Welt, in der Nationen untereinander als Standorte konkurrieren, kann sich kein Land der Welt von dieser Erkenntnis lösen. Das Problem ist, dass an diesem Wohlstand nur wenige, sehr wenige teilhaben. Aber ich möchte noch ein wenig bei den Vorteilen bleiben: 1.1.1 Vorteile In den letzten zwanzig Jahren kam es global gesehen zu signifikanten Verbesserungen. Eine globale Unternehmenskultur orientiert sich nicht mehr nur an den Rohstoffen der Dritte-Welt-Länder, sondern entdeckt auch deren Menschen als Arbeitsressource. Dadurch wird Reichtum, Arbeit und Bildung transferiert. Das durchschnittliche Einkommen der Dritten Welt steigt an, genauso wie das Volumen der Auslandsdirektinvestitionen. Insbesondere asiatische Länder haben in den letzten 20 Jahren eine erstaunliche Entwicklung genommen. In Darstellung 2 wird deutlich, dass sich die Werte für Bildung, Kindersterblichkeit und Lebenserwartung weltweit insgesamt verbessert haben. Eine Innovationsrevolution sorgte in den letzten zwanzig Jahren für zahlreiche technologische Entwicklungen von denen teilweise auch Dritte-Welt-Länder profitieren. Darüber hinaus haben sich demokratische Strukturen ausgebreitet, welche langfristig besser in der Lage sind, sichere Rahmenbedingungen für globale Finanzmärkte zu schaffen. Die Globalisierung zwingt die Nationalstaaten der ersten Welt und ihre Bewohner, verstärkt die ganze Welt zu sehen. „Unsere soziale Marktwirtschaft“, unser „Sozialstaat“ stellt sich als ein Konstrukt heraus, welches besonders gut unter Ausschluss anderer Länder in dieser Qualität existieren konnte. Die Globalisierung macht uns rastlos und bestrebt nach Lösungen zu suchen, mit deren Hilfe alle Menschen an sozialen Sicherheiten, an Rechtsstaatlichkeit und einer intakten Umwelt teilnehmen können. Der sich selbst verwaltende Kontext Darst. 2: Bildung, Gesundheit, Lebenserwartung (global) Quelle: UNDP, Report, 2001, S.12 Sozialstaat hat seine Schwächen und Ineffizienzen gehabt. Eine Neupositionierung zwischen sozial und liberal unter Einbezug globaler Aspekte ist notwendig. 1.1.2 Schattenseiten der Globalisierung Die Gesellschaft ist insgesamt reicher geworden. Ist die Globalisierung in ihrer jetzigen Form also ein Erfolgsmodell? Der Blick auf die Globalisierungsstatistiken in Darst. 2 trügt, denn sie geben keinen Hinweis auf die Verteilung von Reichtum, Bildung und Gesundheit. In gewisser Weise findet ein globaler Austausch in Form einer Nivellierung statt. Dies geschieht leider nicht so sehr, indem die Sicherheiten der ersten Welt in die Dritte Welt vordringen. Im Gegenteil: die Unsicherheiten, Risiken und Ungleichheiten der Dritten Welt dringen in die erste Welt ein (Risikogesellschaft). Außerdem wird deutlich, dass sich die erste Welt viel stärker entwickelt hat als die Dritte (s. Darstellung 3). An die Heilsversprechen der Globalisierung in ihrer jetzigen Form glaubt nach dem Zusammenbruch der Aktienmärkte, der Asienkrise und der andauernden amerikanischen und europäischen Wirtschaftskrise auch bei uns kaum jemand mehr. Spätestens jetzt wird deutlich, welche Mängel eine einseitig ökonomisch orientierte Globalisierung mit sich bringt. Die Theorie der „Trickle-DownEffekte“ hat sich in dramatischer Weise als falsch erwiesen. Mit den Begriffen Ungleichheit und Instabilität lassen sich diese Mängel am Treffendsten umschreiben. 1.1.3 Ungleichheit Erste und Dritte Welt Die Globalisierung begünstigt einseitig die reichen Länder der Ersten Welt. Zwar kommt es zu einer durchschnittlichen Verbesserung des Lebensstandards in den Ländern der Dritten Welt, von diesen Vorteilen profitiert jedoch nur ein sehr geringer Teil der Bevölkerung. China kam beispielsweise in den letzten Jahren in den 5 6 Kontext Genuss hoher ausländischen Direktinvestitionen. Die chinesische Wirtschaft hat in den letzten Jahren eine erstaunliche jährliche Wachstumsrate verzeichnet. Dennoch lebt über ein Fünftel der Bevölkerung von weniger als einem Dollar pro Tag (vgl. Hertz, silent takeover, 2002, S.62). Hinzu kommt, dass sich die Lebensbedingungen in den Ländern der Ersten Welt weit stärker verbessert haben, sodass sich insgesamt der Abstand zwischen den Ländern der Ersten Welt und der Dritten Welt in den letzten zwanzig Jahren beträchtlich vergrößert hat (s. Darstellung 3). Ungefähr 1 % der Weltbevölkerung erhält so viel Einkommen wie die Ärmsten 57 % zusammen. Über 1,2 Milliarde Menschen müssen mit weniger als 1 Dollar pro Tag auskommen, fast 1 Milliarde haben keinen Zugang zu sauberen Trinkwasser und 862 Millionen Menschen leiden an Unterernährung (vgl. UNDP, Report, 2001, S. 9ff). Diese „Kluft“ zwischen den Welten ist nicht verwunderlich. Die internationalen Finanzorganisationen werden im wesentlichen von den Ländern der Darst. 3: Einkommen (global) Ersten Welt dominiert. Innerhalb des Quelle: UNDP, 2001, S.17 IWF orientieren sich die Stimmrechte an der Wirtschaftskraft der einzelnen Länder. Auf die G7-Länder fallen damit 45 % der Stimmen – genug, um ihre Interessen durchzusetzen. In der WTO hat zwar jedes Land nur eine Stimme, die USA, Japan und die EU haben jedoch das alleinige Recht die Tagesordnungen festzulegen. Bei den Verhand- lungen zur Uruguay – Runde 1993 waren die Handelsminister der meisten Dritte-Welt-Länder in der letzten Phase von der Teilnahme ausgeschlossen. Dies sagt viel über den Stellenwert solcher Nationen aus. Überhaupt können es sich 30 von 139 Mitgliedstaaten nicht leisten, einen Vertreter an den Sitz der WTO zu entsenden. Kommt es zum Rechtsstreit sind die Rechtskosten für ein Dritte-Welt-Land, tritt es z.B. gegen die USA an, oft nicht zu bewältigen (vgl. Hertz, silent takeover, 2002, S.114). Nicht zu vernachlässigen ist in dieser Hinsicht die Einflussnahme globaler Konzerne. Um WTO, IWF und Weltbank haben sich mächtige Interessenvertretungen gruppiert, die einen eklatanten Einfluss auf die globale Wirtschaftspolitik haben. Die Maxime des Freihandels wird zwar immer wieder betont, widerspricht jedoch häufig den Zielen der G7-Länder. Tendenziell kann man sagen, dass im Wesentlichen die Produkte frei gehandelt werden, die von den Industrienationen exportiert werden (Hightech), wogegen die möglichen Exportprodukte der Dritten Welt (Nahrung, Kleidung,....) auf dem europäischen und amerikanischen Markt subventioniert und geschützt werden. In Amerika belaufen sich die jährlichen Direktsubventionen an Unternehmen auf insgesamt 75 Milliarden Dollar. Eine Politik die eklatant den Maximen des Freihandels widerspricht und die auch von den europäischen Ländern betrieben wird (vgl. Hertz, silent takeover, S.85). Erst kürzlich scheiterten in Johannesburg Versuche, den europäischen Markt für landwirtschaftliche Produkte zu öffnen. Im mächtigsten Element der Vereinten Nationen, dem Sicherheitsrat, haben nur die 5 ständigen Mitglieder ein Vetorecht. Damit ist klar, wer auch hier bestimmt. 1.1.4 Ungleichheit innerhalb der Ersten Welt Das Phänomen der zunehmenden Polarisierung kann man nicht nur Kontext in der Dritten Welt beobachten. In Amerika sind in den letzten zwanzig Jahren 97 % des zusätzlichen Einkommens an die obersten 20 % der Familien geflossen. Während die Einkünfte der Reichen steigen – das Durchschnittseinkommen des obersten Fünftels erwerbstätiger Männer ist zwischen 1979 und 1996 um 4 % jährlich gestiegen – verzeichnet das unterste Fünftel einen Einkommensrückgang von 44 %. 45 Millionen Amerikaner sind gegenwärtig nicht krankenversichert und 25 % der chronisch Kranken haben keinen ausreichenden Versicherungsschutz (vgl. Hertz, silent takeover, 2002, S.64ff). Das Bild in Deutschland ist ähnlich, wenn auch nicht ganz so dramatisch. Seit 1973 sind 1,3 Mio. Menschen Einkommensmillionär geworden (vorher 217.000). Im selben Zeitraum hat sich in den alten Bundesländern die Zahl der Menschen, die von Sozialhilfe leben müssen, vervierfacht. In den neuen Ländern hat sie sich seit 1991 verdoppelt. Mittlerweile wächst jedes siebte Kind in Deutschland in Armut auf (vgl. BMAS, Armutsbericht, 2000). 1.1.5 Shareholder-Value George Soros sieht das Grundproblem darin, dass freie Märkte und Unternehmen per Definition amoralisch sind. Sie würden ausschließlich nach dem Prinzip des Shareholder-Value funktionieren, also der Gewinnmaximierung von Investoren. Reichtum werde im wesentlichen dort erzeugt wo Reichtum (Kapital), Bildung und Infrastruktur schon vorhanden sind. Kollektive Bedürfnisse und öffentliche Güter wie Rechtsstaatlichkeit, die Aufrechterhaltung des Marktmechanismus, soziale Gerechtigkeit und Bildung ließen sich nur durch politische Entscheidungen bereitstellen (vgl. Soros, Globalisierungsreport, 2002, S.17ff). Eine ganz einfache und logische Erkenntnis, die in den jeweiligen Nationalstaaten ihre Berücksichtigung findet. Im globalen Raum fehlen jedoch äquivalente Institutionen. IWF, WTO und Weltbank existieren als globale Finanzinstitutionen. Die Bereiche Umwelt, Arbeit, Soziales und Recht sind nur marginal vertreten. Versuche diesem Ungleichgewicht zwischen Ökonomie und Politik etwas entgegenzusetzen, werden von den Ländern, die von diesem System am meisten profitieren, bislang erfolgreich verhindert. Die Liste der Initiativen, welche die USA in den letzten Jahrzehnten verhindert bzw. nicht unterstützt haben, ist lang. Sie weigerten sich das Kyoto-Protokoll zu unterschreiben, lehnten den internationalen Gerichtshof ab, kündigten den ABM-Vertrag zur Begrenzung der Raketenabwehr, ignorieren das Verbot von Anti-Personen-Minen, die UN- Kinderrechtskonvention, das Atomteststopp-Abkommen, die B-Waffenkonvention,... (vgl. Heine, Völkerrecht, 2002, S.8). 1.1.6 Ausverkauf der Nationalstaaten Mangels global-politischer Institutionen müssen öffentliche Güter immer noch von Nationalstaaten bereitgestellt werden. Das Problem ist allerdings, dass diese dazu immer weniger in Lage sind. Da das Kapital eine wesentliche Vorraussetzung der wirtschaftlichen Produktion ist, müssen die einzelnen Länder darum konkurrieren. Die multinationalen Konzerne, die sich ihrer gegenwärtigen Macht voll und ganz bewusst sind, spielen Länder und Politiker gegeneinander aus und fordern für sich immer günstigere Bedingungen. Sie können ihr Kapital ungehindert über Grenzen bewegen und entscheiden unabhängig darüber, wo sie investieren, produzieren und Steuern zahlen wollen. Seit der Steuerreform 2000 befindet sich Deutschland in der grotesken Situation nicht nur 23,6 Mrd. DM weniger an Körperschaftssteuer einzunehmen, es mussten sogar 400 Mio. DM an Großunternehmen ausgezahlt werden. Die Gewerbesteuer sackte 2001 um 9 % ab, 2002 liegt sie bereits mit 13,6 % im Minus. Insbesondere die Großstädte haben mit Verlusten von teilweise über 60 % (Leverkusen) zu kämpfen. Hinzu kommen die obligatorischen Einsparungen der 7 8 Kontext verminderten Einkommenssteuer und der Kampf um die Reduzierung der Sozialabgaben, die versteckten und nichtversteckten Subventionen für Großunternehmen, die Einschnitte in den Arbeitsund Verbraucherrechten, etc. All dies, um den Unternehmensstandort für ausländisches Kapital interessanter zu machen (vgl. Knaup, Steuercrash, 2002, S.26ff). Die Unternehmen bedanken sich für dieses Entgegenkommen, indem sie ihre Gewinne trotzdem auf den Cayman Islands versteuern und indem sie rationalisieren. Den verminderten Einnahmen stehen explodierende Ausgaben der Nationalstaaten gegenüber. Schließlich müssen diese weiter für Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger aufkommen. Die WTO greift auch ganz direkt in die Gestaltungsmöglichkeiten von Nationalstaaten ein. Aus Angst vor einer Bestrafung durch die WTO ließ die Europäische Union 1997 das beabsichtigte Verbot von Kosmetika fallen, welche an Tieren getestet wurden, die mit Schlageisen gefangen worden waren. Das gleiche gilt für die Einfuhr von Legebatterie - Eiern (vgl. Hertz, silent takeover, 2002, S.111). ökonomische Globalisierung Standortkonkurrenz - drohender Abzug ins Niedriglohnländer - fortschreitende Rationalisierung weniger Einnahmen geringere Lohnnebenkosten, geringere Steuereinnahmen National staats pleite End of politics Darst. 4: End of Politics Quelle: eigene Darstellung höhere Ausgaben Subventionen steuerliche Anreize mehr Sozialausgaben durch Arbeitslosigkeit 1.1.7 Die Macht der Unternehmen 1876 sagte der damalige US-Präsident Hayes über seine Regierung: „Es ist eine Regierung von Unternehmen, für Unternehmen und durch Unternehmen.“ (zit. in: Korten, Corporations, 195, S.45). Die Situation heute ist vergleichbar. Die Macht einiger Großunternehmen ist enorm. Dreihundert multinationale Konzerne verfügen über 25 Prozent des weltweiten Vermögensbestands. Der Jahresumsatz der größten transnationalen Unternehmen, der sich zwischen 150 und 210 Milliarden Dollar bewegt, wird heute nur noch vom Bruttosozialprodukt von 21 Nationalstaaten übertroffen. Der Umsatz von WalMart ist z.B. größer als das Bruttosozialprodukt von Österreich (vgl. Fleischhauer, Widerspruch, 2001, S.20). Kein Staatsführer kann es sich leisten, gegen Unternehmensinteressen zu handeln. Wenn in Deutschland eine Unternehmenslobby aus Großbanken und Automobilkonzernen mit der Abwanderung droht, lenkt jeder Bundeskanzler ein. Zudem haben sich Politiker in den letzten Jahren zunehmend in finanzielle Abhängigkeit von der Privatwirtschaft begeben. Die Politik von heute ist teuer, marketingorientiert, kapitalintensiv und sie stützt sich in größerem Maße als je zuvor auf Massenkommunikation per Medien und Werbung. Die Kosten sind astronomisch, besonders in den USA. Im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2000 gaben die Kandidaten den Rekordbetrag von über einer Milliarde Dollar aus. Finanziert wird der Wahlkamp fast komplett von Sponsoren aus der Privatwirtschaft, deren indirekte Einflussnahme in den USA legal ist. Neben der indirekten weitet sich auch die direkte Einflussnahme, die Bestechung immer weiter aus. Anfang der neunziger Jahre wurde gegen 40 Prozent der italienischen Parlamentsabgeordneten wegen Bestechlichkeit ermittelt. Selbst die „korrekten Deutschen“ müssen sich mit Leunaaffäre und Spendenskandal à la Kohl herumschlagen. Kontext Erschreckend ist vor allem der wachsende Einfluss von Medienunternehmen auf die Politik. Ohne Rupert Murdoch, der merkwürdigerweise in England keine Unternehmenssteuern zahlen muss und 30 Prozent des britischen Zeitungsmarktes kontrolliert, kann in England keine Wahl mehr gewonnen werden. Eine ähnliche Rolle spielen Ted Turner in den USA und Berlusconi in Italien, wobei Berlusconi in Ergänzung zum Medienmonopol auch noch die Rolle des Staatspräsidenten inne hat. Aus diesem Grund wird Murdoch in England als heimlicher Premierminister bezeichnet. Ted Turner, der eine Neigung zur Philanthropie hat, antwortete einmal auf die Frage, ob er nicht Präsident der Vereinigten Staaten werden wolle, er könne in seiner jetzigen Funktion wesentlich mehr erreichen womit er wahrscheinlich Recht hat (vgl. Hertz, silent takeover, 2002, S.138ff, 212). 1.1.8 Das Ende der Politik Die Ohnmacht der Nationalstaaten hat zu einer hohen Politikverdrossenheit geführt. In den USA beteiligten sich nur 51 % der Wahlberechtigten an den Präsidentschaftswahlen 2000. An den Wahlen zum Europäischen Parlament 1999 nahmen weniger als 50 Prozent der 297 Millionen Wahlberechtigten in der EU teil, im Vergleich zu 57 Prozent 1994. In Großbritannien beteiligten sich sogar nur 24 Prozent der registrierten Wähler – während sich in der selben Woche eine Million Briten die Mühe machten, für die Änderung des Markennamens Choco Krispies in Coco Pops zu stimmen (ebenda, S.144). Die Politik muss immer lauter schreien, um sich Gehör zu verschaffen und immer höhere Summen aufwenden, um beachtet zu werden. Es deutet jedoch alles darauf hin, dass die Wähler nicht mehr hinhören. In einer ideologischen Einheitswelt, in der sich demokratische Parteien und Politiker immer stärker aneinander angleichen und in der die Interessen der Menschen von Wirtschaftsinteressen verdrängt werden, bekunden die Bürger ihre Unzufriedenheit, indem sie Wahlenthaltung üben. Laut Umfragen in Großbritannien ist der Prozentsatz der Wähler, die hohes Vertrauen in das Parlament haben, zwischen 1983 und 1996 von 54 auf 10 Prozent gesunken (ebenda, S.145). In Deutschland ist die Wahlbeteiligung zwar wesentlich höher, das Vertrauen der Wähler in die Politik aber ebenso auf dem Tiefststand. 1.2 Informationszeitalter In dem oben genannten Kapitel über die Macht der Medien habe ich bereits angedeutet, welchen Einfluss die Kommunikationsindustrie auf uns ausübt. Der Begriff der Medialisierung beschreibt jedoch nur einen Aspekt einer umfassenden Veränderung, die von Manuel Castells als die informationstechnologische Revolution beschrieben wird und die er als Ausgangspunkt seiner Untersuchung nimmt. In seinen Büchern über das Informationszeitalter stellt er dar, wie diese Revolution die gesamten Bereich menschlicher Aktivitäten durchdringt – „die Art wie wir denken, wir produzieren, wir konsumieren, wir handeln, wir kommunizieren, wir leben, wir sterben, wir Krieg führen und wir Liebe machen.“ (Castells, Informationszeitalter I, 2001, S.4). Kennzeichen des Informationszeitalters ist es, dass die herrschenden Funktionen und Prozesse zunehmend in Netzwerken organisiert sind. Castells weist darauf hin, dass Netzwerke heute die soziale Morphologie unserer Gesellschaft bilden. Die Verbreitung der Vernetzungslogik verändere außerdem die Funktionsweise von Prozessen der Produktion, Erfahrung, Macht und Kultur wesentlich. Anwesenheit oder Abwesenheit im Netzwerk und die Dynamik eines jeden Netzwerkes gegenüber anderen seien entscheidende Quellen von Herrschaft und Wandel in unserer Gesellschaft und Schalter, welche die Netzwerke untereinander verbinden, die bevorzugten Instrumente der Macht. Weil es eine Vielzahl von Netzwerken gebe, 9 10 Kontext würden die Codes und Schalter, die zwischen den Netzwerken vermitteln, zu den grundlegenden gesellschaftsformenden Quellen werden (vgl. Castells, Informationszeitalter I, 2001, S.527-530). In diesem System sich gegenseitig verstärkender Abhängigkeiten sind die Mächtigen nicht mehr so leicht auszumachen. Manager von Großkonzernen kontrollieren zwar ihre Unternehmen, meist jedoch nur als Angestellte. Hinzu kommt, dass auch sie nicht die tatsächlichen, systemischen Bewegungen des Kapitals in den Netzwerken kontrollieren können. Macht ist strukturell geworden - das macht sie auch so unangreifbar. „Oberhalb einer Vielfalt von Kapitalisten aus Fleisch und Blut gibt es also einen gesichtslosen kollektiven Kapitalismus, der aus Finanzströmen besteht, die durch elektronische Netzwerke in Gang gehalten werden...Es ist wirklich Kapitalismus in seiner reinen Ausdrucksform als endloses Streben nach Geld mittels Geld durch Produktion von Waren mittels Waren.“ (Castells, Informationszeitalter I, 2001, S.532). 1.3 Individualisierung Die Tendenz der Individualisierung muss an dieser Stelle nicht tiefer erörtert werden. Der Exodus kollektiver Güter schreitet weiter voran, ganz im Trend von Liberalismus und Deregulierung. Natürlich gibt es auch Tendenzen neuer Formen von Kollektivität, auf die ich später noch zu sprechen komme. Gleichwohl befinden wir uns momentan immer noch in einer stark individualisierten Gesellschaft, eine Rahmenbedingung mit der man sich weiter auseinandersetzen muss. 1.4 Identität “The institutions and organisations of civil society that we constructed around the democratic state, and around the social contract between capital and labour, have become empty shells, decreasingly able to relate to peoples lives and values in most societies. In this end of the millennium, the king and the queen, the state and the civil society, are both naked, and their children - citizens are wandering around a variety of foster homes.” (Castells, Information Age II, 2001, S.534) Wir leben in einer Zeit des Übergangs. Traditionelle Bindungen an Staat, Arbeit, Familie, Kirche und Ort haben längst an Bedeutung verloren, neue Bindungen werden teilweise noch nicht wahr genommen. Was auf uns zukommt, erfüllt uns oft mit Unbehagen. Dies führt zu einer paradoxen Situation. Das Leben (z.B.: in Deutschland) war in vielerlei Hinsicht nie angenehmer, der individuelle Reichtum war nie größer. Trotzdem sind gerade junge Menschen hinsichtlich ihrer Zukunft zunehmend orientierungslos und unzufrieden. Die Maßgaben der Informationsgesellschaft, der Globalisierung, der Ökonomisierung und der Liberalisierung haben eklatanten Einfluss auf unsere Identitätsentwicklung. Es gibt eine Unzahl von Begriffen, die versuchen diese kommende Generation zu umschreiben. Der Freizeitforscher W. Opaschowski spricht beispielsweise von einer „Nonstop-Gesellschaft, in der Rast- und Ruhelosigkeit, Zeitoptimierung und Speed-Management den Ton angeben“ (vgl. Keupp, Selbstsorge, 2001, S. 61). Zygmunt Bauman beschwört das Bild des Spaziergängers, des Vagabunden, des Touristen, der die Vermeidung jeglicher Bindungen zum Angelpunkt seiner Lebensstrategie macht und sich selbst im szenischen Spiel, als “Playing Identity“ immer neu entwirft (vgl. Baumann, Flaneure, 1997, S. 161). Angelehnt an den Gott Proteus entwirft Jeremy Rifkin die Proteische Persönlichkeit, die spielerisch jede beliebige Gestalt annehmen könne. Dies entspreche der Norm des neuen Kapitalismus zu flexibleren Menschen zu werden, die sich ständig an sich verändernde Umwelten und neue Umstände anpassen können (vgl. Rifkin, Access, 2000, S.250). Ernest Gellner hat diesen neuen Menschen als den Modularen Kontext Menschen beschrieben. Der Modulare Mensch sei mit seiner IKEAMentalität kein stabiler, fertiger Charakter, sondern stelle ein Wesen mit mobilen, disponiblen und austauschbaren Qualitäten dar (vgl. Gellner, Freiheit, 1995, S.77). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Identität, das Selbst dieser neuen Persönlichkeit, dieser neuen Generation, unbestimmt und ambivalent ist. Man kann sagen, dass jedes Selbst möglich ist. Von dem alteuropäischen Persönlichkeitsideal des durch persönliche Tiefe gekennzeichneten stabilen Charakters setzt sich diese Definition deutlich ab. Es geht nicht mehr darum, ein starkes Ich zu entwickeln, sondern in virtuellen Beziehungen zu leben und multiple Identitäten zu pflegen. Damit setzt man nicht mehr auf einen persönlichen Kern, sondern trainiert sich die Fähigkeiten an, sich nicht mehr definitiv auf etwas festzulegen. Man bleibt fit für neue Wege. Metaphorisch gesprochen: Statt in die Tiefe geht man in die Breite. Überhaut gewinnt die persönliche Fitness, die persönliche Bereitschaft immer mehr an Bedeutung. Diese Haltung ist sowohl für den Wirtschaftsstandort wie für die persönlichen Lebenschancen ausschlaggebend: Corporate Fitness, mentale Fitness und Body Management. Die Frage ist, ob man in diesem Sinne nicht besser von Lifestyles als von Identitäten reden sollte (vgl. Bosshart, Neuerfindung, 1995, S. 147f). Während einige Autoren diesen Prozess relativ neutral beurteilen, liefert Richard Sennett eine eher düstere Analyse der gegenwärtigen Veränderungen. Für ihn stellt sich die Frage, wie überhaupt noch Identifikationen, Loyalitäten und Verpflichtungen auf bestimmte Ziele entstehen können. Von einer „in die Breite“ entwickelten Identität der multiplen Identitäten (oder besser Lifestyles), hält er nicht viel. Seiner Meinung nach erfahren die Subjekte die gegenwärtige Entwicklung vor allem als Deutungsverlust. Den flexiblen Menschen beschreibt er als nachgiebiges Ich, als Collage von Frag- menten. Sennett hat erhebliche Zweifel, ob der flexible Mensch überhaupt möglich ist (vgl. Sennett, flexible Mensch, 2001, S. 28, 81, 182). Auch Johanno Strasser kritisiert die unbefriedigende Reduzierung des Menschen auf seine Employability als Ziel eigenständiger Persönlichkeitsbildung. Er sieht darin die Benutzung des Emanzipationspathos der Moderne zum Zwecke radikalster Entfremdung. Nicht mehr die aktive Gestaltung des eigenen Lebens durch das Individuum gelte als Lebensideal, sondern die umfassende Selbstinstrumentalisierung für heteronome Zwecke, das Gebrauchtwerdenkönnen, ein Leben im Passiv. Er empfindet es als absurd, die uferlose Flexibilisierung der Arbeitszeiten als Überwindung nervtötender Routine bzw. die rastlose Anpassung des eigenen Selbst als die Entfaltung der eigenen Persönlichkeit zu feiern (vgl. Strasser in Keupp, Selbstsorge, 2001, S. 71). Die Frage ist, ob es zwischen der Identität des klassischen Subjekts und der modularen Identität noch andere Formen geben kann bzw. welche Formen der Gegenidentität (Resistence Identity) der Zwang zur modularen Identität erzeugt. 1.5 Auswirkungen auf die Stadt Die Stadt war schon immer Manifestation gesellschaftlicher Vorgänge im Raum. Globalisierung wird in entsprechenden Untersuchungen in der Regel meist nur als Internationalisierung des Kapitals, als wirtschaftlicher Prozess begriffen. Indem Saskia Sassen die Stadt zum Mittelpunkt ihrer Untersuchung zur Globalisierung macht, gelingt es ihr nicht nur die gängigen Prozesse im Raum nachzuzeichnen, sondern sie entdeckt auch eine Vielzahl weiterer Akteure und Kategorien. Als notwendige Bestandteile bzw. Produkte der Globalisierung bezeichnet Sassen das Auftreten informeller Strukturen, das Heer billiger Dienstleister sowie Aspekte der Multikulturalität. 11 12 Kontext 1.5.1 Geografie der Zentralität Eine der Hauptthesen von Saskia Sassen ist, dass die Informationsrevolution und die Globalisierung keineswegs zu einer möglichen Dezentralisierung geführt haben. Die Bedeutung globaler Metropolen als strategische Schnittpunkte im globalen Netzwerk sei im Gegenteil nachhaltig gestärkt worden (vgl. Sassen, Machtbeben, 2001, S.11f,). Global Cities sind Knotenpunkte von leitendem Management und Kontrollfunktionen, gelten als Imageträger und sind als Firmenadresse von großer Bedeutung. Sie stillen den Bedarf globaler Unternehmen und Institutionen an eine umfassende physische Infrastruktur, die eine Konzentration von Fähigkeiten und Aufgaben mit einschließt und die nur von wenigen Standorten geleistet werden kann. Zu diesen Fähigkeiten zählt Sassen spezialisierte Dienstleistungen, telekommunikative Netzwerke, Industriedienstleistungen und ein Pool von ständig verfügbaren Arbeitskräften, u.a. aus dem Sektor billiger Dienstleistungen (Putzjobs, Botendienste, etc.) (ebenda, S.112). Die Bedeutung globaler Metropolen wie New York, Tokio, London und Frankfurt als Orte einer transnationalen Geografie nehme ihrer Darstellung entsprechend dramatisch zu, während klassische Industriestädte an Bedeutung verlieren würden. Globale Metropolen neigten dazu, sich von ihrer Region oder Nation zu lösen. Dadurch entstehe ein weltweites Netz, eine neue ökonomische Geografie der Zentralität, die über nationale Grenzen und ein Nord-Südgefälle hinweggehe (vgl. Sassen, Metropolen, 1996, Kap.2). 1.5.2 Polarisierung / Segregation Auch innerhalb der Metropolen kommt es zu einer Zentralisierung. Die Geschäftsviertel und Bürokomplexe erhalten enorme Investitionen in Form von Immobilien und Telekommunikation. Transiträume wie Flughäfen und Bahnhöfe werden ausgebaut und mit teuren Restaurants, Hotels und Einkaufsmöglichkeiten versehen. Es entstehen urbane Glitzerwelten für internationales business. In Frankfurt ist in den letzten fünfzehn Jahren eine Skyline von Hochhäusern entstanden, die sich mit einer amerikanischen Skyline durchaus messen kann. Bestimmte Stadtviertel, in denen hochbezahlte, hochqualifizierte Angestellte wohnen bzw. einkaufen gehen, werden ebenfalls enorm aufgewertet. Gleichzeitig werden zahlreichen Vierteln mit einkommensschwachen Haushalten kaum noch Ressourcen zur Verfügung gestellt, privates Kapital fließt komplett an diesen vorbei. Es kommt innerhalb der Stadt zu einer „neuen Geografie der Zentralität und der Marginalität.“ ( Sassen, Machtbeben, 2001, S.19). Die Stadt kann in diese Entwicklung nicht mehr lenkend eingreifen, denn der Stadt stehen die notwendigen Mittel nicht mehr zur Verfügung (s. Kap. 2.4.1). In Berlin wurden 2002 nahezu alle Förderungsprogramme des Landes, bis auf die stark limitierte Genossenschaftszulage, gestrichen. Darüber hinaus kam es zu einem massiven Ausverkauf öffentlicher Grundstücke und Gebäude zur Haushaltssanierung. Mit der Ausbreitung marginalisierter Bereiche kommt es auch zu einer Ausbreitung informeller Strukturen, die sonst nur in Dritte-Welt-Ländern üblich waren. Dazu tragen verschieden Faktoren bei, die durch die Globalisierung bedingt werden: „wachsende Einkommensunterschiede; Ausschluss großer Bevölkerungsteile; schlechtere Grundversorgung; steigende Nachfrage nach teuren, auf individuelle Bedürfnisse der Kunden zugeschnittene, Dienstleistungen und Produkte; steigende Nachfrage nach extrem billigen Dienstleistungen und Produkten; Nachfrage nach individuellen Dienstleistungen und in begrenzten Stückzahlen verfügbaren Gütern von Unternehmen; zunehmender Konkurrenzdruck aus Dritte-Welt-Ländern; Auslagerungen von Unternehmensbereichen zur höheren Flexibilisierung; Übernahme von Verhaltensmustern von Immigranten.“ (Sassen, Machtbeben, 2001, S.59). Kontext von Immigranten.“ (Sassen, Machtbeben, 2001, S.59). Man spricht deswegen heute von einer Ausbreitung der Dritten in der Ersten Welt. Berlin ist in dieser Hinsicht kein besonders aussagekräftiges Beispiel. Trotzdem gibt es hier mittlerweile 30.000 Obdachlose und 200.000 Beschäftigte im sogenannten 4. Sektor (Schwarzarbeit, Subunternehmen). In Amerika nahmen Mitte der neunziger Jahre 83 % aller Haushalte informell produzierte Waren in Anspruch. Den Großteil davon machen Reparaturen im Wohnbereich (21,4 Mrd. $) und informell verkaufte Lebensmittel aus (10,3 Mrd. $) (vgl. Sassen, Machtbeben, 2000, S.59). 1.5.3 Die Privatisierung des öffentlichen Raumes Den informellen Strukturen stehen eine Vielzahl inszenierter ReadyMade-Strukturen gegenüber. Von privaten Projektplanern initiierte Strategien (Public Privat Partnerships) ersetzen die städtischen Aufgaben und führen zu einer Privatisierung des öffentlichen Raumes. Dementsprechend werden öffentliche Straßen zu Privatstraßen, Handel und Gewerbe verschwinden hinter den Fassaden von Shopping-Malls, die entweder an Ausfallstraßen stehen oder innerhalb der Stadt eine privatwirtschaftliche Reinszenierung des Städtischen betreiben und Wohnviertel werden zu Gated Communities. Auf dieser Grundlage wird ehemals öffentlicher Raum unter Kontrolle und Schutz privater Sicherheitsdienste gestellt und ökonomischen Verwertungskriterien unterworfen. Im Amerika werden mittlerweile Kleinstädte von Privatunternehmen geplant (bzw. inszeniert) und realisiert. Celebration ist eine Stadt mit 25.000 Einwohnern, die in den letzten Jahren vom Disney-Konzern gebaut wurde. In dieser Stadt gibt es nur noch marginalisierte öffentliche Funktionen. Verwaltung, Bildung, Gesundheit, etc. werden komplett als private Dienstleistung angeboten. Eine demokratische Kontrolle und Teilhabe bzw. Legitimation wird nicht nachgewiesen. Der demokratische Akt liegt in der Entscheidung über den Zuzug. Diese Form von Gated Communities breitet sich rasant aus. Immer mehr Menschen fliehen, sofern sie es sich leisten können, in den Schutz dieser Scheinwelten (vgl. Roost, Disneyfizierung, 2001). 1.5.4 Frage an die Stadt Die Stadt zerfällt in innere Peripherien, in unterschiedliche Subcontainer, Sphären. Man könnte auch von einer desintegrierten, defragmentierten Stadt sprechen. Gleichzeitig ist und bleibt der spezielle Raum der Stadt der Ort, an dem Konflikte ausgetragen und neue Forderungen formuliert werden können. Beide Seiten - globales Kapital und marginalisierte Bevölkerung - finden in der globalen Stadt einen Ort zur Durchsetzung ihrer wirtschaftlichen und politischen Interessen. Saskia Sassen sieht in den Metropolen dieser Welt die Potentiale für den Entwurf einer neuen transnationalen Politik für diejenigen, die zwar Raum einnehmen, aber keine Macht haben (vgl. Sassen, Machtbeben, 2000, S.9ff). Jenseits dieser Konflikte stellt sich für die Stadt die Frage, wie eine Kohärenz in der Stadtentwicklung hergestellt werden kann bzw. wie die unterschiedlichen Teile, Fragmente, Segmente wieder zusammengebunden werden können. 13 14 Kontext Globalisierung Der Globalisierungsprozess wird einseitig von ökonomischen Kriterien und Institutionen bestimmt, die nur unzureichend demokratisch legitimiert sind. Das Äquivalent einer politischen Globalisierung existiert nicht. Die Globalisierung in ihrer jetzigen Form produziert Reichtum, verteilt ihn aber nicht. Dadurch kommt es zu einem vielschichtigen System von Ungleichheiten. Die Polarisierung zwischen erster und dritter Welt bleibt bestehen, sie weitet sich sogar aus. Es kommt zu einer Polarisierung innerhalb der Nationalstaaten. Auch hier herrscht eine zunehmende Ungleichverteilung an Reichtum. Die Mobilität des Kapitals zwingt Nationalstaaten zunehmend, in Standortkonkurrenz zueinander zu treten. Die Mobilität des Kapitals ermöglicht es Unternehmen sich den Standort mit den niedrigsten Steuern und den besten Rahmenbedingungen auszusuchen und sich bei Bedarf aus einem Land zurückzuziehen. Gleichzeitig müssen Nationalstaaten mehr Leistungen erbringen, indem sie die Folgekosten der Polarisierung, Marginalisierung und der steigenden Arbeitslosigkeit tragen müssen. Nationalstaaten stehen also vor dem Problem sinkender Einnahmen und erhöhter Ausgaben. Dieses Dilemma können sie nicht lösen. Sie verlieren an Bedeutung und an Handlungsfähigkeit. Das Vertrauen der Bürger in die Möglichkeiten der Politik ist gesunken. Dementsprechend sinkt die Wahlbeteiligung. Darst. 5: Zusammenfassung Globalisierung Quelle: eigene Darstellung Kontext Identität Wir leben in einer Zeit des Übergangs. Traditionelle Bindungen an Staat, Arbeit, Familie, Kirche, Ort haben längst an Bedeutung verloren, neue Bindungen werden teilweise noch nicht wahrgenommen. Orientierungslosigkeit ist die Folge. Die Maßgaben der Informationsgesellschaft, der Globalisierung, der Ökonomisierung und der Liberalisierung haben einen eklatanten Einfluss auf unsere Identitätsentwicklung. Der „neue Mensch“ ist der Flaneur, Spieler, Tourist, der modulare, flexible Mensch, die proteische Persönlichkeit. Das Subjekt entwickelt sich eher in die Breite als in die Tiefe. Es gilt heute noch stärker der Begriff der Risikogesellschaft. Wir leben verstärkt in dem Risiko Arbeit, Beziehung, Heimat, Freundschaft, Gesundheit, Versorgung zu verlieren, ohne von irgendwelchen Sicherungssystemen aufgefangen zu werden. Stadt Die Bedeutung globaler Metropolen als strategische Schnittpunkte im globalen Netzwerk hat zugenommen, während klassische Industriestädte an Bedeutung verlieren. Innerhalb der Städte kommt es zu einer zunehmenden Polarisierung und Segregation. Saskia Sassen spricht von einer neuen Geografie der Zentralität und Marginalität. In die zentralen Bereiche einer Stadt fließt viel privates Kapital. Es kommt zu einer Privatisierung des öffentlichen Raumes in Form von Shopping Malls, Gated Communities, etc In die marginalisierten Bereiche fließt kein Kapital. Informelle Strukturen nehmen zu. Man könnte auch von einer Ausbreitung der dritten Welt in der ersten Welt sprechen. Städte können ihre öffentlichen Aufgaben immer weniger wahrnehmen, weil ihnen die finanziellen Mittel fehlen. Dementsprechend können sie dieser Polarisierung nur wenig entgegenhalten. Darst. 6: Zusammenfassung Identität und Stadt Quelle: eigene Darstellung 15 16 Strategien 2 Strategien Der Film „2022....die überleben wollen“ von 1973 beschreibt das Leben in einer völlig überfüllten, globalen Metropole. Natur und Vegetation gehören der Vergangenheit an. Die Bevölkerung ist geteilt in eine breite marginalisierte Schicht und eine kleine, reiche Schicht, die sich hinter die Mauern geschlossener Gemeinschaften zurückgezogen hat. Die Stadt und das Land wird beherrscht von einem mächtigen Nahrungsmittelkonzern, der Soylent Corporation, der sich durch die Kraft seiner medialen Inszenierung legitimiert, aber ansonsten keiner Kontrolle untersteht. Sieht so unsere Zukunft aus? Folgt dem Zeitalter der Nationalstaaten das Zeitalter der Unternehmen und der Kapitalströme? Wird die Ideologie der Gleichheit durch das Diktat der Ungleichheit ersetzt? Es macht natürlich Spaß, solch düstere Szenarien zu entwerfen, genauso wie es Spaß macht, eher heitere, positive, technologische oder virtuelle Utopien vorherzusagen. Darum soll es allerdings nicht gehen. Jedes gesellschaftliche Problem produziert auch gleichzeitig entsprechende Lösungsansätze. Das Ende der Politik ist der Anfang der Subpolitik; verlorengegangene Bindungen werden durch andere ersetzt; Marginalisierung erzeugt Protest; Verdrängung Widerstand. Die Auflösung des einzelnen Containers produziert die Existenz einer größeren Zahl von Subcontainern. Das Problem liegt in der Ungleichzeitigkeit solcher Prozesse und in der Unbestimmtheit des Ausgangs (s. Darstellung 7). Eine ökonomische Globalisierung entwickelt sich nicht zeitgleich mit einer politischen Globalisierung – und Globalisierung, wollen wir das überhaupt? Es scheint außerdem in der Natur des Menschen zu liegen, eher zu reagieren, als frühzeitig zu intervenieren. Dadurch entstehen Unregelmäßigkeiten, Ungleichheiten und individuelle Härten. Potentiale müssen dementsprechend immer wieder neu erkannt und entwickelt werden – eine wahre Sisyphosarbeit. Im ersten Kapitel habe ich versucht, den aktuellen Kontext, die aktuelle Problematik darzustellen. Aus dieser Analyse heraus versuche ich nun mit Hilfe zahlreicher Soziologen, Ökonomen, Städtebauer und Politiker, zeitgemäße Lösungsstrategien herauszufiltern (u.a. Saskia Sassen, Manuel Castells, Ulrich Beck, Anthony Giddens, George Soros, Noreena Hertz, Heiner Keupp, Nabeel Hamdi und Klaus Selle). Sie alle haben eine vergleichsweise realistische Sicht auf die Dinge und bemühen sich um eine Neupositionierung zwischen sozial und liberal. Utopien sind heute nicht mehr gefragt, es dominiert der engagierte Pragmatismus. Das bedeutet nicht, dass es keine allgemeingültigen Ziele und Perspektiven mehr gibt. Der Begriff der Nachhaltigkeit (sustainability) hat in den letzten fünfzehn Jahren eine weite Verbreitung gefunden. Auch eine politische Globalisierung als Ergänzung zur ökonomischen Globalisierung sehen alle als langfristiges Ideal. Aufgabe dieser politischen Globalisierung muss es sein, die erzeugten Reichtümer besser zu verteilen bzw. öffentliche Güter bereitzustellen oder zu sichern. Allerdings erkennen sie auch alle, dass es bis dahin noch ein sehr weiter Weg ist, der nicht konform ist mit den Vorstellungen mächtiger und einflussreicher Akteure auf dieser Welt. Wie bereits in Kapitel 1 erwähnt boykottieren die USA bis heute die grundlegendsten Institutionen und Verträge. Auf welche Weise die nationale Politik an Handlungsmöglichkeit verliert, habe ich ebenfalls im ersten Kapitel beschrieben. Es scheint in unseren eigenen Händen zu liegen, auf eine Veränderung der bestehenden Verhältnisse hinzuwirken. Die diskutierten Lösungsansätze orientieren sich deswegen weitestgehend an einer emanzipierteren, selbstbestimmteren Gesellschaft. Die Begriffe kommen meistens aus dem angloamerikanischen Raum, in dem der Staat, die Strategien Politik, traditionell keine große Rolle gespielt hat. Beispiele dafür sind die Bürgergesellschaft, der dritte Weg, die Kollektivierung (communities), Empowerment, Enabling, informelle Strukturen, Subpolitik, NGO`s, der Verbraucheraktivismus. Eine paradoxe Situation: Lösungsansätze müssen u.a. dort gesucht werden, wo die Probleme entstanden sind, ganz einfach aus dem Grund, weil sich dort, zumindest in Ansätzen, die entsprechenden Gegen- bzw. Ausgleichstrategien entwickelt haben – kurz- und mittelfristig. Kommt es längerfristig zu einer Änderung (z.B. einer politischen Globalisierung) entfallen diese Lösungsansätze und können und sollen einer anderen Politik Raum geben, die im übrigen wieder andere Probleme verursachen wird und neue Lösungsstrategien generiert – wie gesagt, eine nie enden wollende Sisyphosarbeit. Es bedarf einer gewissen Gelassenheit und vor allem Offenheit, um sich auf diesen selbstreflexiven Automatismus einzulassen. Zumindest muss man sich von dem Gedanken einer Linearität von Entwicklung und dem Gedanken einer erreichbaren Utopie als Zustand definitiv verabschieden. Die von Beck beschriebene reflexive Moderne kann man in diesem Sinne eher als idealen Prozess bezeichnen, der die Elemente des unreflektiert, mechanisch-eigendynamischen (im Sinne von Reflex) genauso beinhaltet, wie die Elemente der reflektierenden und bewussten Zielsetzung (Reflexion) (vgl. Beck, Reflexive Modernisierung, S.18f) (s. Darstellung 7). 2.1 Bürgergesellschaft – Dritter Weg Der Begriff der Bürgergesellschaft ist in den Zeiten sozialdemokratischer Regierungen in Europa sehr in Mode gekommen. Der Soziologe Anthony Giddens lehnt einerseits einen ungesteuerten Neoliberalismus ab, andererseits erkennt er das Scheitern der klassischen Sozialdemokratie an. Seiner Meinung nach müssen wir unser Leben Nicht Linearität von Entwicklung / gegenseitge Abhängigkeit von Entwicklungen Reflex (-ion) Zustand National staaten Ost-West ökonomische Globalisierung Darst. 7: Nicht-Linearität; Zustand - Reflex Quelle: eigene Darstellung Zeitleiste Reflexion Reflex (-ion) Reflex 17 18 Strategien aktiver gestalten als frühere Generationen. Wir müssen bewusster Verantwortung für die Folgen unserer Handlungen und der von uns gewählten Lebensformen übernehmen. Das Risiko ist für ihn nicht bloß ein negatives Phänomen, welches es zu vermeiden gilt. Es ist zugleich Antriebskraft einer Gesellschaft. Eine bewusste Auseinandersetzung mit Risiken ist für ihn eine notwendige Komponente gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Handelns. Chance und Innovation würden dabei die positiven Seiten des Risikos bilden (Giddens, dritte Weg, 1998, S.49, 78f). Als Grundwerte des dritten Weges fordert er eine Bejahung der Globalisierung, wenn sie als ein Prozess verstanden wird, der weit über den globalen Markt hinausreicht. Er sieht es weiter als Aufgabe des Staates, für soziale Gerechtigkeit zu sorgen. Mit der zunehmenden Individualisierung sollte jedoch eine Zunahme der Verpflichtungen des Einzelnen einhergehen (keine Rechte ohne Pflichten). Als Folge der Globalisierung fordert er eine Ausweitung demokratischer Entscheidungsmacht und eine Verlagerung nach oben (Regionen, pol. Globalisierung) und vor allem nach unten. Demokratieexperimente auf lokaler und globaler Ebene sollten gefördert werden, um der steigenden Politikverdrossenheit Einhalt zu gebieten. Er fordert eine Ausweitung und Förderung von Selbsthilfeinitiativen, lokalen Wirtschaftskreisläufen, Gemeinwohlunternehmen, Tauschringen und lokaler Autonomie. Des Weiteren tritt Giddens für eine kosmopolitischen Pluralismus und für Pragmatismus bei der Bewältigung des Wandels ein; ein nuanciertes Bild von Wissenschaft und Technik, das deren zweideutigen Folgen Rechnung trägt; Respekt vor der Vergangenheit und der Geschichte; und schließlich im Umweltbereich, eine Übernahme des Vorbeugeprinzips wo immer möglich (Giddens, dritte Weg, 1998, S.80-102). Eine ähnliche Haltung nimmt Ulrich Beck ein. Auch er möchte Verantwortung vom Staat nach oben und nach unten delegieren. Politik solle einerseits Selbsthilfe fördern, andererseits eine transnationale Regulierung anstreben. Im Zentrum seiner Überlegungen steht die Transformation der Vollbeschäftigungsgesellschaft. Wir leben im Moment in einer paradoxen Situation, in der es ein starkes Schwinden von Erwerbsarbeit gibt, diese jedoch weiterhin eine Art Daseinsmonopol in unserem kulturell verordneten Selbstwertgefühl einnimmt. Vor diesem Hintergrund führt Beck die Grundidee der Bürgerarbeit, des dritten Sektors ein. Bürgerarbeit meint: Nichtmarktgängige, gemeinwohlorientierte Tätigkeitsfelder zu erschließen zu einem neuen, sozial verführerischen Zentrum gesellschaftlicher Aktivitäten. Beck möchte Themen wie Bildung, Umwelt, Gesundheit, Sterbehilfe, Betreuung von Obdachlosen, Asylbewerbern, Lernschwachen sowie Kunst und Kultur zum Gegenstand selbstorganisierter, grundfinanzierter Bürgerarbeit machen. Seiner Meinung nach ist es „lächerlich“, dass die Wohlfahrtsstaaten Europas massenhaft Arbeitslosigkeit, die unfreiwillige Untätigkeit mehrerer Millionen Menschen mit Milliardenbeträgen finanzieren – und diese Zahlungen sogar an das Versprechen der Untätigkeit knüpfen – während den Bürgern notwendige und sinnvolle Zukunftsaufgaben auf den Nägeln brennen, die niemand aufgreift. Bürgerarbeit bedeute nicht Zwangsarbeit für Sozialhilfeempfänger, sondern freiwilliges soziales Engagement. Sie müsse als eine selbstorganisierte Arbeitsform verstanden und projektgebunden und zeitlich begrenzt unter der Regie eines Gemeinwohlunternehmers von der Kommune autorisiert werden. Bürgerarbeit werde nur gering über dem normalen Sozialhilfesatz entlohnt. Die Belohnung erfolge eher immateriell über den Erwerb von Qualifikationen und durch das Erkennen von Rentenansprüchen und Sozialzeiten (vgl. Beck, Bürgerarbeit, 2000, S.52ff). Bürgerarbeit ist für Beck nur ein Bestandteil innerhalb eines Aufwertungskonzepts einer pluralen Tätigkeitsgesellschaft, die neben der Bürgerarbeit aus radikalen Arbeitszeitverkürzungen, Teilzeitarbeit Strategien und der Anerkennung von klassischer Nicht-Arbeit (Hausarbeit) besteht (vgl. Beck, Arbeit und Demokratie, 2000, S.52f). Wer Beck und Giddens liest kann sich einer gewissen Euphorie nicht erwehren. In der Tat: so kann es sein und so kann es gut sein. Es kommen gewisse Härten auf uns zu - erstaunlich liberal die Beiden, vor allem Giddens - aber gemeinsam werden wir es schon schaffen. Bemerkenswert ist, dass sie sich entschlossen haben, nicht in den abgehobenen Sphären der Soziologie zu verweilen, sondern sich aktiv in die Politik einzumischen. In dieser Vereinnahmung durch die sprunghafte Tagespolitik liegt jedoch auch ihre Schwäche. Es stellt sich die Frage, ob es so etwas wie eine vom Staat, also von oben, verschriebene Bürgergesellschaft überhaupt geben kann. Die Ermächtigung der Zivilgesellschaft läuft auf eine paradoxe Reformpolitik des staatlichen Machtverzichts hinaus, die von Beck und Giddens auch gefordert wird. Aber ist eine Regierung zu solch einer selbstverordneten Reform überhaupt in der Lage? Mangels der Möglichkeit, eine politische Globalisierung durchsetzen zu können, sahen sich diese Regierungen in den letzten Jahren immer wieder dazu gezwungen, einen Kniefall vor den Unternehmsinteressen zu machen. Es stellt sich die Frage, ob diese Zwiespältigkeit den Begriff einer Zivilgesellschaft nicht aushöhlen muss und ob nicht der Verdacht aufkommen muss, dieser sei nur der beschönigende Begriff für eine Politik, die Kosten und Probleme auf den so genannten selbstverantwortlichen Bürger abwälzt (vgl. Beck, Zivilcourage, 2000, S.39-41). Letztendlich stellt sich die Frage, was mit diesem Begriff passiert, wenn die jeweiligen Regierungen wieder abgewählt werden, wird dann auch der „dritte Weg“ abgewählt? Die Sozialdemokratischen bzw. Demokratischen Regierungen werden zur Zeit durch MitteRechts-Regierungen abgelöst. Bush ersetzt Clinton, Chirac – Jospin, Schröder wurde beinahe durch Stoiber ersetzt. Blairs Stern sinkt ebenso. Dann wären da noch Le Pen, Fortuyn, Berlusconi, Schill und Haider. Das Bild der politischen Landschaft ändert sich. Es wäre Schade, wenn sich dies auf die Gedanken von Giddens und vor allem Beck negativ auswirken würde. 2.2 Subjekt des eigenen Handelns Das von Beck beschriebene Konzept der reflexiven Moderne spielt mit der Doppeldeutigkeit eines Begriffs, der sich einerseits auf den unbewussten Reflex, andererseits auf die bewusste Reflexion bezieht. Die Zivilgesellschaft möchte keine staatlich verordnete Sozialwiege mehr sein. Sie setzt auf einen Bürger, der - vielleicht ursprünglich aus einem Reflex heraus - sich durch reflektierendes Handeln zu einer selbstbestimmten, emanzipierten Person (Bürger) entwickelt. Wenn sich Beck auf die Suche nach dem Managertyp des Gemeinwohlunternehmer macht, einer Mischung aus Mutter Theresa und Bill Gates, dann ist damit exakt dies gemeint. Damit richtet sich Beck in gewisser Weise gegen den Zeitgeist, der eher Konsumenten auf der einen Seite und Bill Gates auf der anderen Seite zu produzieren scheint. Einen Gemeinwohlunternehmer wird Beck in Celebration auf jeden Fall nicht finden. Auch der modulare, flexible Mensch neigt kaum zu einer selbstbestimmten Haltung. Jedes Extrem erzeugt jedoch auch sein Gegenteil. Manuell Castells schreibt in seinem Buch „The Information Age“ es gäbe ein historisches Gesetz, dass dort wo Dominanz ist, sich auch Widerstand entwickelt. Gesellschaften des Informationszeitalters ließen sich nicht reduzieren auf die Struktur und die Dynamik einer Netzwerkgesellschaft. Unsere Gesellschaft konstituiere sich vielmehr aus einer Interaktion zwischen dem Netz und dem Selbst. In seiner Analyse macht Castells die Entwicklung von „Identity-Based Social Movements“ aus, die sich wider der Logik von Staat, Kapital und Techno- 19 20 Strategien logie entwickeln würden (vgl. Castells, III, S.371). Auch Alain Touraine stellt die Frage nach dem Subjekt in der Netzwerkgesellschaft – auf welche Weise sich dieses heute noch selbstbestimmt definieren könne. Er behauptet, dies könne nur noch dem Einzelnen gelingen. Er müsse der Zersplitterung seiner Persönlichkeit genauso widerstehen wie der Fragmentierung der Gesellschaft; er müsse seinem Leben einen Sinn geben, ein „Life Narrative“ und sich so einen Lebensentwurf schaffen, in dem er sich als Subjekt seiner eigenen Erfahrung erkennt. Touraine betont, dass die Aufgabe des Staates darin liege, das Recht des Einzelnen zu garantieren, sich als Subjekt mit einer eigenen Lebenserzählung zu begründen und anerkannt zu werden (vgl. Touraine, Loblied, 1999). Auch Helmut Klages erkennt das Grundbedürfnis des Menschen, Subjekt des eigenen Handelns zu sein. Er macht einen Wertewandel aus, der nicht einfach als konditionierter Reflex auf den gesellschaftlichen Umbruch zu einem globalisierten Kapitalismus reagiert. Es zeichne sich ein Subjekt ab, das sein Leben in die eigene Regie nehmen will. Engagementbereitschaft folge weniger aus traditionellen Verpflichtungen gegenüber dem Gemeinwohl, sondern aus dem Wunsch, die eigene Lebenswelt zu gestalten (vgl. Klages, neue Werte, 1999, S.23-30). Michel Foucault fasst diese Gedanken zu einer Utopie zusammen, die den einzelnen ins Zentrum rückt, ohne darin den Ausdruck eines späten Individualismus zu sehen. Er macht sich Gedanken über ein Gemeinwesen, in dem sich Subjekte zur Schöpfung ihrer eigenen Lebensgeschichte ermutigt fühlen, zu einer permanenten Kreation ihrer Selbst in ihrer Autonomie und sich nicht als Produkt oder Opfer der gesellschaftlichen Disziplinar- und Normalisierungsmächte erleben müssen (vgl. Foucault, Aufklärung, 1990, S.47). Eine Utopie wird die Vision von Foucault natürlich bleiben, denn es ist klar, dass es in Zukunft sowohl den Konsumenten und den modularen Menschen, als auch den Schöpfer seiner Selbst, das Subjekt des eigenen Handelns bzw. seiner eigenen Erfahrung geben wird. 2.3 Selbsthilfe, Enablement Das Konzept des Enablement kommt ursprünglich aus der Entwicklungshilfe. Es versucht nicht Missstände wie eine Wohnungsunterversorgung, durch Neubau zu beheben. Vielmehr versucht es, der marginalisierten Bevölkerung die Mittel in die Hand zu geben, ihre Probleme aus eigener Kraft zu lösen und nutzt aktiv das Selbsthilfepotential der Menschen. Dabei wird anerkannt, dass sich auch ohne staatliche Eingriffe Strukturen gebildet haben bzw. haben mussten, die hoch flexibel, belastbar und überlebensfähig sind. Enablement zielt auf eine punktuelle Verbesserung der vorhandenen Strukturen. Nabeel Hamdi beschreibt Enablement als einen Prozess der graduellen und physischen Kultivierung von Rahmenbedingungen, die Wohnen, Arbeiten und Nachbarschaft möglich machen. Vorraussetzung für einen erfolgreichen Eingriff sei eine genaue Analyse des ökonomischen, politischen und sozialen Kontextes. Es müssten auch die gegenseitigen Abhängigkeiten und die Dynamik des Gesamtsystems erkannt und dementsprechend beeinflusst werden. Eine herausragende Rolle spielten Mediatoren und Projektgestalter (Enabler), die zwischen den unterschiedlichen Akteuren des Staates, des Marktes und der Menschen zu vermitteln hätten. In dieser Funktion, der Gestaltung von Prozessen, sieht Hamdi die zukünftige Aufgabe von Architekten und Städtebauern (vgl. Hamdi, Housing, S.32,41, Foreword). 2.4 informelle Strukturen Interessanterweise werden die Prinzipien des Enablement bzw. der Hilfe zur Selbsthilfe längst auch in den Ländern der ersten Welt erkannt und berücksichtigt. Angesichts der immensen Kosten Strategien unseres Staatsapparates und Rechtsstaates, ist es faszinierend zu beobachten, dass sich überlebensfähige und funktionierende Strukturen auch ohne staatliche Eingriffe und Transferleistungen bzw. sogar ohne nennenswertes Kapital, entwickeln können. Diese Strukturen, die als informelle Strukturen bezeichnet werden, haben in einigen Dritte-Welt-Ländern einen Anteil von 40 – 70 %. Das heißt beispielsweise, dass auch heute noch Häuser im wesentlichen von den Bewohnern selbst erbaut werden und nicht von den Architekten. Die Thematik wird noch brisanter, wenn man bedenkt, dass sich im Zuge einer von der Globalisierung bedingten Polarisierung und Marginalisierung, begünstigt vom Rückzug des Staates, informelle Strukturen verstärkt auch in der ersten Welt ausbreiten z.B. in Form von Obdachlosigkeit, Schwarzarbeit, Gelegenheitsarbeit, Illegalität, etc. (s. Kap. 2.5.2). Es reicht nicht mehr, vom Anschauungsunterricht informeller Strukturen zu lernen, um die gewonnenen Erkenntnisse dann zu transformieren, wir müssen verstärkt mit informellen Strukturen leben und unsere Gesetze und Normen müssen sich an diese Strukturen anpassen. Ein schwieriger Prozess, wie Saskia Sassen in ihrem Buch „Machtbeben“ nachweist, denn bisher dominiert die Tendenz, informelle Strukturen zu kriminalisieren. In New York ließ die Stadtverwaltung Zeitungskioske und kleine Restaurants schließen mit dem Ergebnis, dass die wenigen noch vorhandenen wirtschaftlichen Aktivitäten und gemeinschaftlichen Anlaufstellen für diese Gruppen aus dem öffentlichen Raum verschwanden. Die Verlierer der Globalisierung verlieren doppelt. Sie werden erst marginalisiert und dann kriminalisiert (vgl. Sassen, Machtbeben, S.64). Auch in Deutschland wird immer wieder nach einer “No-Tolerance–Politik“ gerufen. Saskia Sassen widersetzt sich dieser Tendenz, indem sie die Notwendigkeit von Subökonomien in einigen Bereichen hervorhebt. Diese würden in Bereichen investieren, die von der klassischen Ökonomie längst aufgegeben wurden. Informelle Wirtschaftssektoren würden damit die Kluft überbrücken zwischen den einkommensstarken Mittelstandsvierteln und den einkommensschwachen Stadtteilen. Des Weiteren verhindere die Aktivität einer informellen Wirtschaft die Ausbreitung von Kriminalität (ebenda, S.66f) Sie stellt folgende provokante Forderung auf: „Wenn hingegen, wie ich behaupte, die allgemeinen wirtschaftlichen Bedingungen der wesentliche Faktor sind, dann müssten die politischen Entscheidungsträger aufhören, die „Schattenwirtschaft“ als etwas Anormales zu betrachten, und sie statt dessen als natürliche Begleiterscheinungen des modernen Kapitalismus anerkennen. Statt also die verschiedenen Faktoren der informellen Wirtschaft als vereinzelte Abweichungen von der Norm zu sehen, sollten sie vielmehr zur Kenntnis nehmen, dass sich eine neue Norm entwickelt hat; statt zu versuchen, dieser neuen Norm die vor Jahrzehnten entwickelten gesetzlichen Regelungen überzustülpen, sollten sie Vorschriften entwickeln, die dieser Norm entsprechen...“ (ebenda, S.44). Konkret schlägt sie die Errichtung von “Community Empowerment Zones“ vor, innerhalb derer für “Low-Profit-Sektoren“ verbesserte Rahmenbedingungen zur Verfügung gestellt werden könnten. So könnten durch Bebauungsvorschriften Zonen für kleine Dienstleistungsbetriebe bereit gestellt, Mieten bewusst niedrig gehalten und Kleinbetriebe technisch und finanziell durch Kleinstkredite unterstützt werden (ebenda, S.66f). Einige interessante Ansätze zur Legalisierung der Schwarzarbeit in Deutschland bietet der Abschlussbericht der Hartz-Komission. Um die gängige Praxis zu unterbinden, dass Arbeitslose einerseits die Vorzüge des Arbeitslosengeldes genießen, andererseits dieses mit Schwarzarbeit erheblich aufbessern, wird als Vorstufe zu einer vollwertigen Selbstständigkeit die Anmeldung einer Ich-AG vorgeschlagen. Diese erhält für drei Jahre Zuschüsse vom Arbeitsamt, die 21 22 Strategien sich an der Höhe des Arbeitslosengeldes orientieren, zeitlich gestaffelt sind und von der Höhe des Einkommens abhängig ist. Die IchAG unterliegt einer verminderten Pauschalbesteuerung von 10 %, soweit eine Verdienstgrenze von 25.000 Euro nicht überschritten wird. Außerdem wird die Verdienstgrenze von Mini-Jobs in privaten Haushalten auf 500 Euro angehoben und mit einer verminderten Sozialversicherungsabgabe von 10 % belegt (vgl. Hartz, Bericht, 2002, S.30). Abschließend möchte ich noch einmal erwähnen, dass es bei den informellen Strukturen im Wesentlichen um Überlebenssicherung auf dem niedrigsten Niveau geht und dass durch diese Strukturen in den globalen Metropolen ein Heer billiger Dienstleister für globalisierte Unternehmen bereit gestellt wird. Vor der Romantisierung einer solidarischen Armutsökonomie sei an dieser Stelle also gewarnt. 2.5 Kollektivität In Kapitel 2.2 habe ich bereits einen Hinweis darauf gegeben, dass sich Subjekte - im Widerspruch oder aber auch als Reflex - zu neuen Formen von Kollektivität zusammenschließen. Manuell Castells nennt diese Kollektive “Resistance Identities“. Eine Giessener Studie von 1999 ergab, dass soziale Werte wie persönliche Nähe, Familie, Solidarität und Verantwortung wieder höher im Kurs stehen. Langfristige Verlässlichkeit und Loyalität in sozialen Beziehungen gelten wieder als Tugenden. Die Engagementbereitschaft in Deutschland hat zugenommen. Es gibt mittlerweile 50.000 Selbsthilfegruppen. Ebenso wächst die Zahl der freiwilligen Helfer und es gibt eine Vielzahl gemeinnütziger Initiativen und Projekte (vgl. Keupp, Egokult, wurden. Castells bezieht sich mit seinen Hinweis auf “Resistance Identities“ jedoch auch auf einem wiederaufkommenden Nationalismus, Patriarchismus und vor allem Fundamentalismus. Dementsprechend befürchtet er, dass soziale Bewegungen, die sich außerhalb der Instititionen unserer Gesellschaft befinden, eher zu einer Fragmentierung beitragen würden, indem sie sich in ihre „Schneckenhäuser“ zurückziehen und eine Vielzahl von Gegenwelten entstehen, die untereinander nicht mehr in Kommunikation stehen. Er weist insbesondere auf die Gefahr des Fundamentalismus hin und spricht in diesem Sinne von einer „exclusion of the exluders by the excluded“ (vgl. Castells, III, S.372,374). “Resistance Identities“ seien wichtig, Charaktere herauszubilden, sie dürften sich jedoch nicht vor der Gesellschaft verschließen. Dementsprechend müssten sie zu “Project Identities“ werden (Project im Sinne von projizieren), die es sich zum Ziel setzen, an einer Transformation der Gesellschaft überhaupt beizutragen (vgl. Castells, II, S.356,357) (s. Darstellung 8). Insbesondere in der weltweit vernetzten Umwelt- und Menschenrechtsbewegung sieht Castells in dieser Hinsicht positive Ansätze, aber auch in Projekten der lokalen und alternativen Ökonomie und der sozialen Versorgung. “The reconstruction of societies institutions by cultural social movements, bringing technology under the control of peoples desires, seems to require a long march from the communes built around resistance identity to the Resistence Identities Project Identities S.11f). In diesen “Resistance Communities“ werden Werte genährt, die im Zuge der Individualisierung schon als verlorengegangen betrachtet Darst. 8: Resistence Identities – Project Identities Quelle: eigene Darstellung Strategien heights of new project identities, sprouting from the values nurtured in these communes.” (Castells, III, S.372) 2.6 Subpolitik Die oben beschriebenen neuen Formen der Kollektivität sind zu einer einflussreichen Bewegung jenseits von Staat und Markt geworden. Dies gilt sowohl für den Maßstab kleiner, lokaler Initiativen und Selbsthilfegruppen als auch für eine zunehmende Vernetzung transnationaler Bewegungen. Bis vor kurzem konnte man den souveränen Nationalstaat als den einzigen Repräsentanten des Volkes sehen. Heute wird ihm diese Rolle von Menschenrechtsbewegungen (Amnesty International), Umweltschutzgruppen (Greenpeace, BUND), Ureinwohnern, Immigranten, Feministinnen, religiösen Vereinigungen oder Globalisierungskritikern (Attac, PGA) streitig gemacht. Wer sich heute als junger Mensch politisch engagieren will, schließt sich lieber einer dieser Gruppierungen an, als über die Mitgliedschaft einer Partei nachzudenken. Standen in den 80iger und 90iger Jahren noch ökologisch orientierte Bewegungen wie Greenpeace im Vordergrund, kommt es angesichts der neoliberalen Globalisierung zu einer stärkeren Politisierung. Es entsteht eine neue globale Form des Protests, die hinsichtlich ihrer Vernetzung extrem von den neuen Kommunikationsmedien profitiert. Bei den WTO-Konferenzen von Seattle, Göteborg und Genua gingen mehrere Millionen Menschen auf die Straße, um ihrer Unzufriedenheit mit der jetzigen Form der Globalisierung Ausdruck zu geben. Dabei haben sich neue politische Organisation und Netzwerke gebildet, die sich für eine andere Globalisierung einsetzen. Attac beispielsweise ist eine Organisation, die in Frankreich gegründet wurde und sich für soziale und ökologische Gerechtigkeit im Globa- lisierungsprozess einsetzt. Ziel ist es, ein breites gesellschaftliches Bündnis als globales Gegengewicht zu den „entfesselten Kräften des Marktes“ aufzubauen. Attac versteht sich als Bildungsbewegung mit Aktionscharakter. Obwohl erst 1998 gegründet gibt es bereits 80.000 Mitglieder in 45 Ländern - ein schier unglaubliches Wachstum, welches sich nur dadurch erklären lässt, genau den Bedürfnissen der Zeit entsprochen zu haben (vgl. Attac, Homepage, 2002). Natürlich protestieren diese Organisationen nicht nur. Sie erarbeiten auch Grundlagen und Gesetzesvorlagen ohne die beispielsweise die Konferenz von Rio 1992 nicht möglich gewesen wäre. Die ökonomische Globalisierung existiert durch ein Netzwerk von Informations- und Kapitalströmen und erzeugt in den globalen Metropolen neue Orte der Zentralität. Interessanterweise sind genau dies die Orte und die Bedingungen unter denen sich auch ihr Widerstand entwickelt. Organisationen wie Greenpeace und Attac leben von der Macht der medialen Inszenierung und von den Vernetzungsmöglichkeiten des Internets. Gleichzeitig bildet die Masse der marginalisierten Bevölkerung und der Intellektuellen einer Großstadt den Pool, den es zu einer Protestkultur braucht. 2.7 Verbraucheraktivismus „Geht einkaufen, nicht wählen!“ (Hertz, silent takeover, 2002, S.155) In einem Zeitalter der politischen Gleichgültigkeit und Politikverdrossenheit verdrängt der Verbraucheraktivismus in zunehmenden Maße die Staatsbürgerschaft und die mit ihr verbundenen Rechte als Instrument, durch das gewöhnliche Menschen in der öffentlichen Arena Einfluss ausüben und Identität und Anerkennung erlangen können. Während sich die Politik immer mehr von ethischen Maßstäben entfernt, erhält das Einkaufsverhalten eine moralische Dimension. Wie lege ich mein Geld an, was kaufe ich, was boykottiere ich? Die Geschwindigkeit, mit der Verbraucher heute über das 23 24 Strategien Internet miteinander und mit Interessengruppen kommunizieren und in Unternehmen Veränderungen anstoßen können, steht im Gegensatz zum Schneckentempo, mit dem Regierungen politische Veränderungen herbeiführen. Anders als Politiker reagieren Unternehmen sehr empfindlich auf eine Gefährdung ihres Images. Sie können es sich nicht leisten, die Wünsche ihrer Kunden über längere Zeit zu ignorieren, geschweige denn, aktiv gegen deren Wünsche zu arbeiten, denn sie genießen nicht den Luxus garantierter Amtszeiten. Die anglikanische Kirche in den USA geht sogar so weit, in dem für das neue Jahrtausend herausgegebenen Gesetzbuch, ihre Gläubigen aufzuklären:“ Wo wir einkaufen, wie wir einkaufen und was wir einkaufen, ist eine lebendige Bekundung unseres Glaubens.... Der Akt des Einkaufens, der vom Käufer ethische und religiöse Werturteile verlangt, kommt der von Gott geforderten Anbetung vermutlich näher als eine große Zahl frommer Gebete in der Kirche.....Wenn wir unsere Rollen als Sachverwalter Gottes ernst nehmen, werden die Käufer in ihrer Gesamtheit zu einer sehr mächtigen Gruppe.“ (zit. in Hertz, silent takeover, 2002, S.155) 2.7.1 Was boykottiere ich ? Die Kehrseite des bewussten Konsumverhaltens ist der Verbraucherboykott. Über 75 % der Amerikaner würden Geschäfte boykottieren, die Waren von Unternehmen verkaufen, die ihre Mitarbeiter ausbeuten und Kinder beschäftigen (ebenda, S.160). Das sicherlich bekannteste, erfolgreiche Boykottbeispiel ist der Fall von Brent Spar, einer Ölplattform, die 1995 von der Shell AG im Meer versenkt werden sollte. In einer Allianz zwischen Greenpeace und Medien gelang es, die Öffentlichkeit massiv gegen dieses Vorhaben zu mobilisieren. Deutsche Verbraucher mieden die Shell-Tankstellen und verursachten dadurch Umsatzeinbußen von über 50 %. Letztendlich gab Shell nach und schleppte die Brent Spar zum abwracken in einen norwegischen Fjord. Der Imageschaden blieb und war schwer zu reparieren, zumal in der Folgezeit auch noch andere unrühmlich Engagements der Shell AG (Nigeria) aufgedeckt wurden. Mittlerweile konkurriert Shell mit BP um den Titel des sozialsten und ökologisch verantwortlichsten Energieunternehmens. Eine ähnliche Katastrophe brach 1997 über den Konzernriesen Monsanto herein, welcher den Segen genmanipulierten Saatgutes über die Welt bringen wollte und teilweise auch gebracht hat. Boykotts und Proteste in Europa, die schließlich auch ihren Weg zurück in die USA fanden, führten zu erheblichen Kurs- und Unternehmensverlusten (vgl. Hertz, silent takeover, S.158ff). Es gibt mittlerweile eine Vielzahl von Organisationen, Schwarzbüchern und Webseiten, die über die unrühmlichen Machenschaften von Großunternehmen berichten und zum Boykott aufrufen - eine Gefahr, der immer mehr Unternehmen Rechnung tragen. 2.7.2 Wie lege ich mein Geld an ? Ökologische und ethische Geldanlagen liegen im Trend. Dies wird deutlich, wenn man sich die Zahlen der entsprechenden Aktienindices anschaut. 1998 hatten Investoren rund 600 Millionen Mark in Umweltfonds aus dem deutschsprachigen Raum angelegt. Binnen Jahresfrist verdoppelte sich die Summe und im vergangenen November meldeten die Fondsmanager, dass die Messlatte von drei Milliarden Mark übersprungen sei. Gemessen am Gesamtvolumen ist das zwar nach wie vor verschwindend wenig - gerade einmal 0,375 Prozent der in Fonds angelegten Gelder sind grün - doch die Erfolgsmeldungen der vergangenen Jahre dürften den Boom weiter anfachen. Während viele Technologiewerte und Internetaktien abstürzten, konnte der Natur-Aktien-Index NAX im Jahr 2000 um fast 50 Prozent zulegen. Die Bonner SolarWorld AG verzeichnete sogar einen Strategien Kursgewinn von mehr als 500 Prozent und wer 1992 sein Geld in eine Beteiligung an Tomra Systems, dem norwegischen Hersteller für Dosenrücknahmeautomaten, gesteckt hat, konnte sich im August 2001 über ein Plus von über 6.000 Prozent freuen. Auch der Dow Jones Nachhaltigkeitsindex entwickelte sich in den vergangenen Jahren besser als sein konventioneller Bruder, was nicht weiter erstaunlich ist, denn wer das gleiche Produkt mit weniger Energieund Rohstoffeinsatz herstellt, hat auch einen wirtschaftlichen Vorteil. Hinzu kommt, dass sich nach den letzten Börsendesastern zunehmend die Erkenntnis breit macht, dass ökologisch und sozial verantwortliche Unternehmen mittel- und langfristig die lukrativere Alternative sind. Einen großen Schub vermutet man von der Rentenreform. Der Bundestag hat festgelegt, dass private Versicherer Auskunft geben müssen, ob sie bei ihren Investitionen ethische, soziale und ökologische Belange bei der Verwendung der eingezahlten Beträge beachten. Vorbild für diese Regelung ist ein entsprechendes Gesetz in Großbritannien. Dort geben inzwischen 21 der 25 größten Pensionsfonds an, dass sie bei ihren Anlageentscheidungen nicht ausschließlich auf ökonomische Daten achten. Ähnliches geschieht in den USA, wo bereits über 2 Billionen Dollar, 10 Prozent des gesamten Anlagemarktes, in ethische und ökologische Geldanlagen fließen. Man sieht, dass es in Deutschland noch ein unglaubliches Entwicklungspotential gibt (vgl. Jensen, grünes Geld, 2001). An dieser Stelle sollte angemerkt werden, dass die Umwelt nur indirekt davon profitiert, wenn man sein Geld in Umweltaktien anlegt, es sei denn man gehört zu den „Erstzeichnern“. Wechselt ein Wertpapier den Besitzer, fließt der Gewinn aufs Konto des Verkäufers und nicht in das Unternehmen. Der positive Aspekt einer hohen Bewertung für das Unternehmen besteht nur darin, dass es leichter an Kredite rankommt. Entschließt sich die Firma, ihr Kapital durch eine weitere Aktienemission zu erhöhen, sind hohe Kurse ebenfalls von Vorteil. Die jungen Aktien können teurer auf den Markt gebracht werden. Ein insgesamt eher bescheidener Einfluss. Wer wirklich wirksam ethisch oder ökologisch investieren und auch fördern will, sollte sich andere Formen der Anlage suchen. Zu diesen Anlagen gehören Sozial- oder Umweltbanken, stille Beteiligungen an Unternehmen, ökologische Lebensversicherun- Wachstum sozial-ökologischer Investitionen in den USA (in Milliarden $) 2500 2000 1500 1000 500 0 1995 1997 1999 Darst. 9: Wachstum sozial-ökol. Investitionen USA Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Deml, Grünes Geld, 2000,S.15 gen, Stiftungen und vor allem Windkraft-, Solar- und Immobilienfonds. Insbesondere ohne die sehr beliebten - weil staatlich geförderten - Windkraftfonds wäre es kaum möglich gewesen, den Anteil erneuerbarer Energie in Deutschland, so schnell auf ca. 7 % zu steigern. Ende 2001 waren rund 8750 MW Windkraftleistung am Netz, was rund einem Drittel der weltweit installierten Leistung entspricht (vgl. Bundesregierung, Perspektiven, 2002, S.99f). In Kapitel 4 werde ich diese unterschiedlichen Finanzierungsformen in Bezug auf die zu untersuchenden Projekte noch näher erläutern. 25 26 Strategien 2.8 politische Philanthropie „Reichtum ist wie Mist: Auf einem Haufen stinkt er, weit gestreut bringt er gute Ernte.“ (Lafontaine, Juli 2000) In den letzten 20 Jahren hat sich das Privatvermögen in den Händen einiger “Superreicher“ konzentriert. 1% der Weltbevölkerung beziehen heute so viel Einkommen wie 57 % der Ärmsten zusammen. In Deutschland besitzen die Oberen 0,5 % soviel wie die Unteren 25,7%. Es gibt weltweit 490 Milliardäre, wovon 269 (907 Mrd. $) in den USA und 28 (140 Mrd. $) in Deutschland leben. Der reichste Amerikaner (Bill Gates) besitzt ca. 58,7 Mrd. $ und ist damit der reichste Mann der Welt. Die Brüder Albrecht aus Deutschland (ALDI) folgen auf Rang 5 mit einem Privatvermögen von 25 Mrd. $ (vgl. Während Nationalstaaten mit einem immer heftigeren Widerstand gegen hohe Einkommens- und Unternehmenssteuern konfrontiert werden, besteuern sich einige Reiche praktisch selbst. Sie spielen Robin Hood, nehmen es dem Staat weg und lassen es der Sache zukommen, die sie als unterstützenswert erachteten (vgl. Hertz, silent takeover, 2002, S.209). In Deutschland lässt sich die Stiftungslandschaft nicht im geringsten mit der amerikanischen vergleichen. Es gibt hier Privatstiftungen (in Mio. $) Stiftung Ausschüttung Bill & Melinda Gates Foundation 21.149 994 Lilly Endowment Inc. 12.814 598 The Ford Foundation 10.814 827 David and Lucile Packard Foundation 9.793 533 Forbes, Billionaires, 2001). Robert Wood Johnson Foundation 9.044 270 Interessanterweise geben sich diese Superreichen immer weniger mit der puren Verwaltung ihres Vermögens zufrieden. Stiftungen gab es schon immer. Diese waren jedoch meist in Kunst und Bildung engagiert. Seit die Kehrseiten der ökonomischen Globalisierung immer deutlicher hervortreten, engagiert sich der Club der Milliardäre zunehmend in der Politik. George Soros hat seit Mitte der 80iger Jahre mehr als 1,5 Mrd. $ gestiftet. Soros sieht seine Einflüsse bei dem Philosophen Karl Popper, der den Begriff der offenen Gesellschaft geprägt hat, womit er eine Gesellschaft meint, die zu Kontroversen und Diskussionen ermuntert. Der politischen Verbreitung dieses Gedankens widmen sich weltweit zahlreiche von Soros unterhaltene Institute und Projekte, vor allem in den ehemaligen Ostblockländern. Ein weiterer Veteran der politischen Philanthropie ist der Medienzar Ted Turner, welcher der UNO einmal 1 Mrd. $ schenkte. Auch Bill Gates hat vor kurzem seinen Einstand in die amerikanischen Stiftungsindustrie gehalten mit einer Stiftung, die sagenhafte 21 Mrd. $ verwaltet. J. Paul Getty Trust 8.793 The Starr Foundation 6.257 192 W. K. Kellogg Foundation 5.719 178 The Andrew W. Mellon Foundation 4.888 205 Deutschland Alfried Krupp Stiftung 660 Dr. Mildred Scheel Stiftung 224 Darst. 10: Privatstiftungen Quelle: Foundation Center, Foundations, 2002 noch einen ausgiebigen Nachholbedarf, dem jedoch mit einigen Novellierungen des Stiftungsgesetzes in den Jahren 2000 und 2002 nachgekommen wurde. Stiftungen sind durch diese Änderungen steuerlich viel interessanter geworden – schließlich geht es nicht nur um Philanthropie. 2.9 Die etwas andere Ökonomie Alternative, soziale, lokale, evolutorische, ethische, nachhaltige und solidarische Ökonomie, Gemeinwesenökonomie, Economie sociale, Strategien vorsorgendes Wirtschaften oder dritter Sektor - es gab und gibt eine Vielzahl von Versuchen eine Ökonomie zwischen Markt und Staat, zwischen erwerbswirtschaftlichen Interessen und öffentlichem Sektor, weder gewinnorientiert noch behördlich, unter einem bestimmten Begriff zusammenzufassen. Die große Zahl der Ansätze wird bedingt durch den Perspektivwechsel unterschiedlicher Fachdisziplinen, durch verschiedenartige Entstehungsorte und sich ändernde Zeitkontexte. Was hat ein selbstverwalteter Fahrradladen mit der Marke „Body Shop“ zu tun, was ein „Falafelladen“ mit einer staatlich subventionierten Beschäftigungsinitiative, eine Schwarzarbeiterkolonne mit einer Produktivgenossenschaft, eine Hausfrau mit einem Straßenzeitungsverkäufer oder einem Dealer gemein? Teilweise gar nichts, teilweise mehr als man denkt. Ich möchte einen kleinen Ausflug in den Markt der Begriffe und Spitzfindigkeiten machen, um dann die Kernthemen unter einer reduzierten Anzahl von Begriffen zusammenzufassen. 2.9.1 Economie sociale und Dritter Sektor Zunächst lässt sich feststellen, dass sich in Deutschland, im Gegensatz zu anderen Ländern, kein Begriff durchgesetzt hat, der erfolgreich eine „andere Ökonomie“ repräsentieren könnte. Die einzelnen Komponenten sind zwar vorhanden, es gibt hier jedoch die Tendenz, eher die Unterschiede als die Gemeinsamkeiten zu betonen. In den südeuropäischen Ländern (Frankreich, Spanien, Italien) ist dies anders. Dort hat sich der Begriff der Economie sociale (ES) durchgesetzt. Die ES ergänzt als weiterer Wirtschaftssektor die beiden volkswirtschaftlichen Hauptsektoren der privaten Unternehmen und des Staates. Zur ES gehören Selbsthilfeeinrichtungen, Genossenschaften und nicht erwerbswirtschaftliche Organisationen, gemeinnützige Vereine und Vereinigungen auf Gegenseitigkeit (vgl. Münkner, Unternehmen, S.21f). Ein ähnliches Spektrum deckt der aus Amerika und England kommende Dritte Sektor ab. Seibel und Anheier beschreiben den dritten Sektor als eine Gruppe von Organisationen, die zwischen dem privaten, erwerbswirtschaftlichen und dem öffentlichen Sektor angesiedelt sind, also weder gewinnorientierte Unternehmen noch staatliche Behörden sind, als ein Universum intermediärer Organisationen (vgl. Münkner, Unternehmen, S.41). 2.9.2 Reflex oder Reflexion In Deutschland wird die Sache etwas komplizierter, womit wir bei den oben angekündigten Spitzfindigkeiten angekommen sind. Die Begriffe der sozialen und der lokalen Ökonomie (sowie der schon beschriebenen informellen Ökonomie) entwickeln sich eher aus Defizit- und Ressourcenanalysen heraus. Die Potentiale, die sich aus diesen Defiziten ergeben, werden aufgegriffen und weiterentwickelt (>> Reflex). Die Begriffe der Gemeinwesenökonomie, solidarischen Ökonomie und der Alternativen Ökonomie sind eher programmatisch und handlungsanleitend. Solidarität ist ihr bewusst orientierter Leitbegriff (Reflexion). Im Detail: 2.9.3 soziale Ökonomie Der Begriff der sozialen Ökonomie entspricht am ehesten der weit gefassten Definition eines dritten Sektors in Deutschland – er ist jedoch nicht besonders verbreitet. Die soziale Ökonomie orientiert sich an allen Aktivitäten, die in Krisenregionen einen gesamtwirtschaftlichen Beitrag ausmachen. Zur sozialen Ökonomie gehören die sozialen Betriebe und die Arbeitsförderungsgesellschaften, die sogenannte Schattenwirtschaft informeller Initiativen, Selbsthilfegruppen, Nachbarschaftshilfen, Tauschringe, Eigenarbeit in den Haushalten, sowie manche illegale Formen der Ökonomie, etwa die Schwarzarbeit zur Existenzsicherung. Wie bereits erwähnt: die 27 28 Strategien soziale Ökonomie ist eher krisen-, ressourcen- und defizitorientiert 2.9.6 (vgl. Klöck, Ökonomie, S.15). Die Solidarische Ökonomie hat eine lange Tradition in der Selbstverwaltungs- und Genossenschaftsbewegung. Sie findet ihre Kontinuität in der Alternativen Ökonomie. Zentraler Aspekt ist das Bemühen um eine Demokratisierung von Wirtschaftsstrukturen und eine Auflösung innerbetrieblicher Hierarchien zur Verwirklichung von mehr Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung und zu einer Erhöhung der Verfügungsrechte über Produktionsmittel und Gewinne. Dabei ist der Praxis- bzw. der Projektbezug ein zentrales Element der alternativen Ökonomie. Neben dem Prinzip der Selbstverwaltung gibt es eine starke Tendenz zur Gebrauchswertorientierung der produzierten Güter und zur Gemeinschaftlichkeit innerhalb des Projekts (vgl. Schwendter, Notate, 1999). In der Praxis sind die Projekte der alternativen Ökonomie im wesentlichen in der lokalen und in der Armutsökonomie verhaften geblieben. Beschäftigungsfelder finden sich in den gering qualifizierten Dienstleistungen. Die positiven Aspekte einer lokal verhafteten, beschäftigungswirksamen, selbstverwalteten Wirtschaft stehen außer Frage. Andererseits muss man sich einer gewissen Zweischneidigkeit bewusst sein. Selbstverwirklichung und Selbstverwaltung werden hier, im Gewand der Unabhängigkeit, oft mit einer erheblichen Selbstausbeutung und Unsicherheit erkauft. Da es in selbstverwalteten Betrieben nur noch Arbeitgeber gibt, wirken hier keine Tarifverträge und Arbeitsschutzgesetze mehr. Schlimmer noch: Der objektive Status einiger selbstverwalteter Betriebe auf dem Markt ist oft der von Leiharbeitsfirmen, die meist ohne ihr Wissen feste Arbeitsplätze in den Unternehmen, von denen sie Aufträge bekommen, vernichten. Mit der Strategie der Selbstverwaltung wurde u.a. etwas vorweggenommen, was heute Forderung der globalen Ökonomie geworden ist – nämlich die Flexibilisierung von Arbeits- und Verwaltungsstrukturen bzw. das Outsourcing von 2.9.4 Lokale Ökonomie Die lokale Ökonomie bezeichnet zunächst nur eine territoriale Zuordnung. Sie beinhaltet eigentlich alles: Die Privatwirtschaft und den öffentlichen Bereich, Non-Profit-Unternehmen und informelle Ökonomien bis hin zu kriminellen Vereinigungen. Ziel ist es, aus einer Analyse vorhandener Ressourcen lokale Potentiale zu entwickeln. Neben der Aktivierung von Selbsthilfepotentialen einer marginalisierten Bevölkerung wird vor allem versucht, das vorhandene Kapital innerhalb der Quartiere zu halten zur Schaffung von Arbeit und von lokalen Wirtschaftskreisläufen (ebenda S.15). Die lokale Ökonomie ist damit krisen-, ressourcen- und defizitorientiert, vor allem aber auch quartiersorientiert (s. Dastellung 11). 2.9.5 Gemeinwesenökonomie Die Gemeinwesenökonomie ist ein stark normatives und handlungsorientiertes Programm. Sie setzt voraus und zielt ab auf solidaritätsstiftende, vernetzte und bedarfsorientiert wirtschaftende Kontexte. Sie sollen vor allem da entstehen und einwirken, wo soziale Gruppen oder ganze Stadtteile oder Bezirke immer mehr von den ökonomischen Entwicklungen des ersten Sektors abgekoppelt werden und die öffentliche Sozialpolitik nicht mehr greift. Die Gemeinwesenökonomie versteht sich als menschenorientierte Wirtschaftskultur, die Werte der Gerechtigkeit, der Nachhaltigkeit, der Partizipation und der Solidarität fördern und unterstützen will. Obwohl die Partizipation in der Gemeinwesenökonomie eine wichtige Rolle spielt, wird sie vorwiegend als Top-Down-Modell durch große hierarchisierte Wohlfahrtsverbände zum Einsatz gebracht. Damit ist die Gemeinwesenökonomie stark werteorientiert (Solidarität), und eher transferorientiert. solidarische und alternative Ökonomie Strategien Fam. Albrecht Privatvermögen 25 Mrd $ Wohnsitz Monaco ALDI Gewinn einkaufen 15 Mitarbeiter (keine Unternehmenssteuer) 15 Steuerzahler 30 Arbeitslose schlechte Stimmung im Kiez STAAT Einnahmen: 20.000 (Einkommenssteuer) Ausgaben: 60.000 (Sozialhilfe) 40.000 Transfer BERLIN - WEDDING Verlust: 40.000 Investment kl. Läden einkaufen 15 Steuerzahler 15 Ich AGs 15 Arbeitslose/ Schwarzarbeiter Gewinn bessere Stimmung im Kiez STAAT Einnahmen: 20.000 (Einkommenssteuer) Ausgaben: 30.000 (Sozialhilfe) Verlust: 10.000 Darst. 11: lokale Ökonomie Quelle: eigene Darstellung 10.000 Transfer BERLIN - WEDDING 29 30 Strategien Dienstleistungen an sogenannte „neue Selbstständige“. Waldemar Schindowski warnt deswegen vor einer zu starken Eingrenzung der alternativen Ökonomie auf die Begriffe der Selbstverwaltung und der Armutsökonomie (definitiv ein Relikt sozialromantischer Phantasien der 70iger und 80iger Jahre, Anmerkung des Verfassers). Er fordert eine stärker inhaltliche Orientierung und Diskussion innerhalb sozialer und ökologischer Kriterien, eine stärkere Vernetzung und Lobbyarbeit und eine stärkere Integration in den gesamtgesellschaftlichen Kontext. Alternative Wirtschaftsformen müssten Modernität ausstrahlen und ihren fortschrittlichen Charakter öffentlich darstellen können. Die Spaltung zwischen wirtschaftlich erfolgreichen, ökologisch orientierten Betrieben und den zunehmenden Projekten der Armutsökonomie müsste aufgehoben werden. Insgesamt ist die alternative Ökonomie selbsterwaltungsorientiert, projektorientiert und gemeinschaftsorientiert (vgl. Schindowski, Zukunft, 1999). 2.9.7 ökologische Ökonomie Die späten achtziger, frühen neunziger Jahre brachten zwei Großereignisse: den Fall der Mauer und die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl. Der Begriff der ökologischen Ökonomie spiegelt einerseits eine Ernüchterung der Diskussion um soziale Fragen wider, andererseits eine Erweiterung um Fragen der Umwelt. Die Ausrichtung auf das Thema Ökologie bedeutete nebenbei eine zunehmende Produktorientierung. Ökologische Produkte (alles was man im Bioladen kauft) und ihre Produktionsbedingungen (Umweltverschmutzung) standen von jetzt an im Vordergrund, nicht mehr so sehr der Mensch, der sie erzeugt. Das Thema Ökologie ist über den Status einer „anderen Ökonomie“ oder einer „Bottom-UpStrategie“ hinaus zum gesellschaftlichen Konsens geworden. Die ökologische Ökologie ist damit produkt- und verfahrensorientiert, sowie gesellschaftsorientiert. 2.9.8 nachhaltige Ökonomie Es geht um eine Ökonomie, die nicht das Ökonomische verabsolutiert, sondern in ihrem ursprünglichen Sinn des Wortes „oikos“ für das „ganze Haus“ sorgt, also für die Arbeitslosen ebenso wie für die Umwelt, für die Gesundheit ebenso wie für die Verteilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern.“ (Negt, Krise, 1995) Der Begriff der Nachhaltigkeit (sustainability) hat in den letzten 15 Jahren eine weite Verbreitung gefunden. Nachhaltigkeit meint Dauerhaftigkeit einer Entwicklung, welche die Bedürfnisse der Gegenwart befriedigt, ohne die Grundlagen für die Bedürfnisbefriedigung zukünftiger Generationen zu zerstören. Bei dieser Strategie bezieht man sich auf die ökologischen, ökonomischen und sozialen Ressourcen einer Gesellschaft, die zu schützen und zu fördern sind. Mit dieser Definition kommt es wieder zu einer nicht immer erkannten Aufweitung des vorher definierten Begriffs der ökologischen Ökonomie. Nachhaltigkeit ist weit mehr als Umweltschutz, sondern Handlungsgrundlage für eine gesellschaftliche Entwicklung überhaupt. Dies wirkt sich auch auf die nachhaltige Ökonomie aus, die sich wieder stärker um soziale und politische Belange kümmert. Ähnlich wie die ökologische Ökonomie trifft der Begriff der Nachhaltigkeit auf einen breiten gesellschaftlichen Konsens und hat ebenso einen Hang zur Produkt- und Unternehmensorientierung. Dementsprechend wird nachhaltige Entwicklung zu einem Großteil durch Konsumenten und in Unternehmen realisiert, die Sozialbilanzen und Umweltberichte schreiben, ökologische Produkte herstellen und keine Kinder beschäftigen. Diese drei Tendenzen (Ausweitung des Begriffs, gesellschaftlicher Konsens, Unternehmensorientierung) sind einerseits erfreulich, andererseits jedoch problematisch. Die alternative Ökonomie bzw. die lokale oder soziale Ökonomie profilieren sich im wesentlichen durch eine Dualisierung der Verhältnisse (lokal – global, sozial – Strategien unsozial, selbstverwaltet, demokratisch – hierarchisch). Dem Begriff der Nachhaltigkeit ist der Luxus der Abgrenzung nicht vergönnt, wodurch er mitunter beliebig und schwammig wirkt (siehe EXPO 2000). Der gesellschaftliche Konsens bzw. die Vereinnahmung durch die Unternehmen führen dazu, dass sich mittlerweile fast alles als nachhaltig etikettiert – die Arbeit der Bundesregierung, wie die PVC–Produktion bei Hoechst, die Entwicklung der Biotechnologie, wie die effizientere Organisation der Mobilität (vgl. Schäfer u.a., Nachhaltigkeit, 2000, S.11). Es stellt sich die Frage, ob man überhaupt noch von einer „anderen Ökonomie“ sprechen kann bzw. was das andere ist, wenn nicht eine Firma wie Hoechst. Vielleicht sollte man statt einer Positiv-Liste von Nachhaltigkeitskriterien, die leicht vereinnahmt werden können, wieder stärker in Negativkriterien denken. Nachhaltigkeit ist nicht: Produktion und Verkauf von PVC, die Erstellung und Konsumierung von Luxusgütern, etc. 2.9.9 nachhaltige, ökonomische Globalisierung Die vorrangegangenen Definitionen beziehen sich auf den nationalen Kontext. Der Begriff der Nachhaltigkeit wurde zwar auf einer globalen Konferenz (Rio) geprägt, ist bei seiner politischen Durchsetzung jedoch auf nationale und lokale Initiativen angewiesen. Eine transnationale Politik, die der globalen Ökonomie den Begriff der Nachhaltigkeit verleihen könnte, gibt es bisher nur in Ansätzen (Kyoto-Protokoll, Menschenrechte). Trotzdem gibt es Anzeichen einer globalen Nachhaltigkeit in der Ökonomie. Diese wurden ausgelöst, nicht durch die Macht der Politik, sondern durch die Macht der Subpolitik und vor allem durch den Einfluss der Konsumenten. Im Kapitel 2.7 bin ich auf die immense Macht der Verbraucher eingegangen. An dieser Stelle möchte ich noch einmal eingehender betrachten, inwieweit diese Macht für die Entwicklung einer nachhaltigen Globalisierung konstituierend sein kann. Der Rückzug des Staates hat den Unternehmen eine neue Chance eröffnet. In dem Maße, wie die Politik zu einem Produkt mit immer unschärferen Markenprofil wird, können sich Unternehmen ethisch profilieren, aber auch echte Geschäftsvorteile erlangen, indem sie soziale und ökologische Verantwortung übernehmen. Während 1993 nur 15 Prozent der Unternehmen Europas Umweltaudits durchgeführt hatten und Sozialbilanzen die Domäne ethischer Marken wie Body Shop waren, stieg die Zahl der Umweltaudits bis zum Jahr 2000 auf über 50 % und auch herkömmliche Unternehmen (Shell) erstellen nun Sozialbilanzen (vgl. Hertz, takover, S.151) - insgesamt eine positive Entwicklung. Durch soziale Investitionen verbessern Unternehmen nicht nur ihr Image, sie senken auch die Personalfluktuation und -zufriedenheit und erhöhen damit ihre Chancen, die Stimme der Konsumenten zu bekommen. Den Sinneswandel von Shell nach dem Brent-Spar-Desaster und der Kritik an Nigeria habe ich bereits angedeutet. Um das angekratzte Image wieder aufzupolieren, investiert Shell heute in alternative Energien und stellte 1999 in Nigeria 52 Mio. Dollar für ein soziales Investitionsprogramm zur Verfügung, das den Bau von Schulen, Krankenhäusern, Straßen, Brücken, Strom- und Wasserversorgung finanzierte, in Gebieten aus denen sich der Staat praktisch zurückgezogen hatte. Es findet also eine freiwillige Umschichtung statt. Die Zahlungen an korrupte Regierungen, die mit dem Geld ihre persönlichen Auslandskonten füllen, werden gemindert. Gleichzeitig wird eine Selbstbesteuerung und Umverteilung durchgeführt, die das eigene Image bessert und das Unternehmensumfeld sichert. Eine Politik, die in Nigeria durchaus notwendig erschien, waren doch die Mitarbeiter von Shell allein 1999 das Ziel von 45 Geiselnahmen, die über 200 Mitarbeiter betrafen (vgl. Hertz, takeover, S.225f). Der Branchenkonkurrent BP hat sich sogar der freiwilligen Durchführung des KyotoProtokolls verpflichtet. 31 32 Strategien Ein weiteres Beispiel kommt aus Südafrika, einem Land mit einer Regierung, die sich selbst aus der elementarsten Gesundheitsvorsorge zurückgezogen hat. AIDS gibt es in Südafrika offiziell nicht, trotz der Tatsache dass über 50 % der schwarzen Bergbauarbeiter HIV-positiv sind. Krankenhäuser und Sterbehospize sowie Aufklärungskampagnen werden in diesem Land weitgehend von Unternehmen initiiert (ebenda, S.222). Auch in den Heimatländern der Konsumenten engagieren sich die Unternehmen. In zahlreichen britischen Klassenzimmern steht ein von Tesco gestifteter Computer. Levis finanziert Projekte, die auf junge Schulschwänzer ausgerichtet sind und die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft KPMG betreibt in Südafrika und Großbritannien ein Förderprogramm für Schulleiter. Die Initiative „Wissenschaft für die Welt“ von BP erreicht insgesamt 65.000 Schüler. Bill Gates hat seine Absicht bekundet, einen Computer auf das Pult jedes britischen Schülers zu stellen und 1993 errichtete Honda für 17 Mio. $ eine Schule für verhaltensauffällige Schüler, die im staatlichen Schulsystem versagt haben. Die Konsumenten danken es ihren Unternehmen. Coca-Cola errechnete, dass während einer 6-wöchigen Kampagne der „Mütter gegen Trunkenheit am Steuer“ in 450 Wal-Mart-Geschäften, der Umsatz um 490 % zunahm. Wendy`s International in Denver steigerte den Umsatz mit Riesen-Pommes um mehr als ein Drittel, als es 1998 erklärte, einen festen Prozentsatz des Erlöses dem Mercy Medical Centre zu spenden (ebenda, S.230ff). Auch kleinere Unternehmen wie der Ökoladen von nebenan, die Umweltbanken, der Trans-Fair-Kaffee, der Eine-Welt-Laden, etc. funktionieren nach diesem Prinzip. Für sie alle gilt: sie werden umweltschonende Herstellungstechniken, ethische Geschäftspraktiken und soziale Investitionen niemals über ihr Gewinnstreben stellen können. Das ginge auch gar nicht, denn dann müssten sie aufhören zu existieren (eine Tatsache, die nicht dem Gedanken der Die andere Ökonomie (Begriffe) Staat Reflexion Individuum soziale Marktwirtschaft Gemeinwesenökonomie Gemeinwirtschaft nachhaltige Ökonomie alternative Ökonomie ökologische Ökonomie soziale Ökonomie lokale Ökonomie Reflex informelle Ökonomie 1945 Darst. 12: Die andere Ökonomie Quelle: eigene Darstellung 2000 Strategien Nachhaltigkeit entspricht). Sie alle können einen Mehrwert nur dann realisieren, wenn Investoren und Konsumenten dies zulassen und mittragen. Die Perspektive einer nachhaltigen, ökonomischen Globalisierung ist momentan also extrem verbraucher-, anleger- und produktorientiert. Abschließen möchte ich das Kapitel mit einem deutschen Unternehmensverband namens Unternehmensgrün. Dies ist ein bundesweit arbeitender, politisch unabhängiger Zusammenschluss von Unternehmen und Selbständigen, die sich für eine ökologische Ausrichtung und Erneuerung der Wirtschaft einsetzen, soziale Innovationen in den Unternehmen fördern wollen und eine regionale, klein- und mittelbetriebliche Wirtschaftsstruktur unterstützen. Unternehmensgrün sieht sich als Lobbyverband für eine umweltgerecht und sozial agierende Wirtschaft und für ein Unternehmertum, welches sich seiner gesellschaftlichen Verantwortung stellt. Derzeit hat Unternehmensgrün ca. 300 Mitglieder (vgl. Unternehmensgrün, Homepage, 2002). Die nachfolgende Tabelle veranschaulicht hervorragend, was man sich unter einem nachhaltigen Unternehmen vorzustellen hat. Im wesentlichen handelt es sich dabei um einen Betrieb, der ökonomisch überlebensfähig und gewinnorientiert arbeitet und sich freiwillig einer ökologischen und sozialen Zielsetzung verpflichtet hat (s. Darstellung 13). Darst. 13: Nachhaltige Unternehmen Quelle: Unternehmensgrün, Homepage, 2002 33 34 Strategien Zusammenfassung Strategien Reflexive Moderne kann man als einen idealen Prozess bezeichnen, der die Elemente des unreflektiert, mechanisch-eigendynamischen (Reflex) genauso beinhaltet, wie die Elemente der reflektierenden und bewussten Zielsetzung (Reflexion) Es bedarf einer Neupositionierung zwischen sozial und liberal. Es muss ein Feld für Experimente geschaffen werden. Pragmatismus Pluralismus Wir müssen wieder Subjekt unseres eigenen Handelns sein (Emanzipation), bewusster Verantwortung übernehmen für die Folgen unserer Handlungen und der von uns gewählten Lebensformen (Selbstsorge) Es gibt einen grundlegenden Unterschied zwischen einer passiven Hinnahme von Risiken und der aktiven Erforschung von Risikokontexten. Demokratieexperimente auf lokaler und globaler Ebene sollten gefördert werden. Wir brauchen eine Ausweitung demokratischer Entscheidungsmacht nach oben (pol. Globalisierung) und vor allem nach unten (Empowerment). Darst. 14: Zusammenfassung Strategien Quelle: eigene Darstellung Strategien Zusammenfassung Strategien Aufgabe des Staates sollte es sein, Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten (Enabling). Dementsprechend sollten informelle Selbsthilfestrukturen legalisiert und nicht kriminalisiert werden (informelle Strukturen) Es sollten lokale Wirtschaftkreisläufe gefördert werden. Verlorene gegangene Bindungen können durch neue Formen der Kollektivität ersetzt werden In Resistance Identities werden Werte genährt, die sich im Gegensatz zu den Zwängen des Kapitals und des Netzes entwickeln. Diese Resistance Identities dürfen sich nicht abkoppeln, sondern müssen zu Project Identities werden, die sich auf die gesamte Gesellschaft beziehen. Veränderungen müssen auf allen Ebenen eingefordert werden (Subpolitik). Die Macht des Verbrauchers ist teilweise größer als die Macht die Wählers (Verbraucheraktivismus). Reichtum kann sinnvoll eingesetzt werden (politische Philanthropie). Es geht um eine Ökonomie, die nicht das Ökonomische verabsolutiert, sondern in ihrem ursprünglichen Sinn des Wortes „oikos“ für das „ganze Haus“ sorgt, also für die Arbeitslosen ebenso wie für die Umwelt, für die Gesundheit ebenso wie für die Verteilung der Arbeit zwischen den Geschlechtern (Nachhaltigkeit). Darst. 14: Zusammenfassung Strategien Quelle: eigene Darstellung 35 36 Projekte 3 Projekte 3.1 Warum Projekte ? Ein Projekt ist ein handlungsorientierter Zusammenschluss von Individuen mit vordefinierter, gemeinsamer Zielsetzung. Projekte sind Bottom-Up Strategien, praxisorientiert, kontextgebunden, pluralistisch und nur bedingt übertragbar. Sie sind das klassische Gegenstück einer allgemeingültigen, breitgestreuten, staatlich organisierten Planung. Es gibt viele Gründe, warum das einzelne Projekt vor dem Hintergrund aktueller Rahmenbedingungen verstärkt in den Vordergrund rückt. Hauptgrund ist sicherlich, dass individuelle und gemeinschaftliche Projekte ein Manko kompensieren müssen, welches sich durch die zunehmende Erosion des Nationalstaats ergeben hat. Dabei vermittelt das Gemeinschaftsprojekt als freiwilliger Zusammenschluss von Individuen zwischen den Härten - aber auch Freiheiten der Individualisierung (des Ich - Projekts) und den Sicherheiten aber auch Determinierungen - des gesellschaftlichen Kollektivs (s. Darstellung 15). In den im 2. Kapitel beschriebenen Strategien spielt das Projekt jeweils eine zentrale Rolle. Der Begriff der Bürgergesellschaft, des Dritten Weges, thematisiert den oben beschriebenen Raum zwischen Staat und Individuum, zwischen sozial und liberal. Innerhalb dieses Raumes entstehen Projekte aus einer Haltung des Reflexes, um Selbsthilfepotentiale und Interessengemeinschaften zu STAAT Nationalcontainer Darst. 15: Staat - Kollektiv – Individuum bündeln, was vor allem für die lokale und informelle Ökonomie gilt. Sie entstehen aber auch als neue Formen der Kollektivität aus einer selbstbestimmten, reflektierten Haltung und dienen damit als Projektionsflächen für neue Identitäten. Grundlage dieser Projekte ist das Bedürfnis des Menschen, sich „als Subjekt des eigenen Handelns“ zu empfinden. Dementsprechend probieren „Resistance Identities“, im Widerspruch zu den Rahmenbedingungen einer ökonomischen Globalisierung und Liberalisierung, andere Formen des Lebens, Arbeitens, Denkens und Wohnens (alternative Ökonomie). Projekte stoßen also in ein politisches, kulturelles und soziales Vakuum vor, welches durch den Bedeutungsverlust des Staates entstanden ist. Aus diesem Vakuum schöpfen die Projekte ihre Notwendigkeit und ihr Potential. 3.2 paradoxe Strategien Die Raumplanung feiert schon lange das Projekt, die städtebauliche Akupunktur, als zentrales Element zeitgenössischer Planung. Dabei geht es nicht darum, das Projekt gegen die Perspektive, die Planung, etc. auszuspielen und allein aus sich selbst zu begründen. Genauso wenig geht es darum, sozial gegen liberal auszuspielen; Inhalt gegen Struktur; Informelle Ökonomie gegen Alternative Ökonomie; Reflex gegen Reflexion; Experiment gegen Erfahrung; Bottom Up gegen Top Down. Die Begrenztheit und die Willkürlichkeit einer Strategie, die sich allein auf das Projekt stützt ist offensichtlich. Es bedarf weiter allgemeingültiger Perspektiven und Standards unter KOLLEKTIV Subcontainer Quelle: eigene Darstellung INDIVIDUUM Ich - Projekt Projekte denen Projekte qualifiziert werden können. Dementsprechend heißt es in der Regionalplanung auch nicht Planung durch Projekte, sondern Planung und Projekte (s. Darstellung 16). Karl Ganser spricht vom perspektivischen Inkrementalismus. Es fällt auf, dass diese Planungsmethodiken jeweils aus widersprüchlich organisierten Begriffspaaren bestehen. Man könnte in diesem Sinne auch von paradoxen Strategien sprechen. Dieser Widersprüchlichkeit bedarf es offensichtlich, um auf die Widersprüchlichkeit unserer Zeit angemessen reagieren zu können. Demzufolge spielt die Kooperation, die Koordination, die Moderation, Flexibilität und Offenheit innerhalb dieser Strategien eine entscheidende Rolle. 3.3 Wohnprojekte Bei meiner Projektuntersuchung beschäftige ich mich im wesentlichen mit Wohnprojekten. Diese Reduzierung auf das Thema Wohnen habe ich aus mehreren Gründen getroffen: A. Das Thema Wohnen ist die Domäne des Architekten, die Bereiche Kultur und Arbeiten werden auch und vor allem von anderen Fachgebieten bearbeitet. B. Durch eine Reduzierung auf ein Thema wollte ich zu einer höheren Detailschärfe und Vergleichbarkeit der Rahmenbedingungengelangen. C. Wohnen, zu Hause sein, beheimatet sein, berührt ein elementares Planung Projekt Umsetzung Darst. 16: Planung und Umsetzung Quelle: Selle, Planung und Projekte, 1998, S28 Grundbedürfnis des Menschen. Letztendlich ist das Thema der Wohnungslosigkeit (Obdachlosigkeit) auch viel dramatischer zu bewerten, als die Arbeitslosigkeit oder der mangelnde Zugang zu kulturellen Einrichtungen. D. Im Gegensatz zu den Themen Kultur und Arbeiten lässt sich das Wohnen nur bedingt flexibilisieren. Es widersetzt sich von daher in gewisser Weise dem Zeitgeist. Gerade Kulturprojekte sind extrem darauf angewiesen, dem jeweiligen Zeitkontext zu entsprechen. Mein Ziel ist es jedoch, bei eingehender Betrachtung des Zeitkontextes, eine Perspektive zu entwickeln, die darüber hinaus geht. Bei dieser Reduzierung auf das Thema Wohnen bleibt es jedoch nicht. Um auf Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse zu einer größeren Komplexität zu gelangen, beschäftige ich mich darüber hinaus noch mit drei Projekten die Kultur, Wohnen und Arbeiten miteinander verbinden. 3.4 Anforderungen an die Projekte Entsprechend der im Kapitel 2 formulierten Strategien habe ich 16 Anforderungen an die Projekte formuliert, die Grundlage der Projektauswahl gewesen sind. Nachhaltigkeit. Alle Projekte sollen sich im weitesten Sinne an den Kriterien ökonomischer, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit orientieren. Pragmatismus. Die Projekte sollen undogmatisch und pragmatisch sein (z.B. was den Einsatz von Geld angeht). Sie sollen nicht ideologisch sein. Pluralismus. Die Projekte sollen unterschiedlich, pluralistisch sein. Diese Forderung entspricht einer pluralistischen Gesellschaft. Dementsprechend soll es auch unterschiedliche Arten der Teilnahme geben. Selbsthilfe. Teilnahme kann bedeuten, dass die Aktivierung von 37 38 Projekte Selbsthilfe (Enablement, Empowerment) innerhalb der Projekte eine sehr große Rolle spielt. Eigenkapital. Teilnahme kann sich in einem hohen Anteil von Eigenkapital ausdrücken. Love Money. Teilnahme kann auch bedeuten, dass man ökologisch oder sozial orientiertes Fremdkapital für die Projekte aktiviert. Neupositionierung. Die Projekte sollen sich im Spannungsfeld von sozial und liberal, Reflex und Reflexion befinden. Experimente. Sie sollen sich als soziale und gesellschaftliche Experimentierfelder verstehen. Resistance Identity. Sie sollen starke Identitäten entwickeln bzw. zu einer Ausformung von Identität beitragen können (Resistance Identities). Project Identity. Gleichzeitig sollen sie eine große Außenwirkung und gesamtgesellschaftliche Wirkung anstreben (Project Identities) Vernetzung. Die Projekte sollen sich nicht vor der Gesellschaft verschließen, sondern mit anderen Projekten unter einem gemeinsamen Gedanken vernetzt sein. Solidarität. Zentraler Aspekt der Projekte sollte eine uneigennützige Solidarität sein, aber eher aus einer selbstbestimmten Haltung als aus einem „kollektiven Zwang“ heraus. Diese Solidarität sollten sie entweder nach innen (Genossenschaften) oder nach außen verwirklichen (soziales Unternehmen). Demokratie. Demokratische Prinzipien sollten in den Projekten fest verankert sein. Ein immer wiederkehrendes Prinzip innerhalb der Projekte ist das von individueller Autonomie und gemeinsamen, kollektiven Prinzipien (s. Darstellung 17). Spekulationsfreiheit. Um das Überleben des Projekts auf längere Zeit zu sichern, sollte die Möglichkeit der spekulativen Aneignung verhindert werden. Dementsprechend gibt es oft eine Trennung zwischen zwei verschiedenen Körperschaften: einer Dachorganisation, welche die Idee der Nachhaltigkeit und der Spekulationsfreiheit sichert und mehreren autonomen Nutzerprojekten. Unabhängigkeit. Angesichts der auslaufender staatlicher Förderungen sollten die Projekte von staatlichen Hilfen weitestgehend unabhängig sein. Subpolitik. Hinsichtlich des globalen Kontextes sollten die Projekte eine subpolitische Komponente entwickelt haben. Selbstverständlich gibt es kein Projekt, welches diese Anforderungen zu 100 % erfüllt. Grundsätzlich lässt sich sagen, dass sich die Projekte zwischen den in Darstellung 18 aufgestellten Extremen aufspannen. Eine genaue Auswertung der Projekte findet am Ende des 5. Kapitels statt. Bevor ich zu den Projekten komme, widme ich mich im folgenden Kapitel den Rahmenbedingungen der Projekte. Dabei interessiert mich die Frage, ob diese in Deutschland die Entstehung solcher Projekte begünstigen oder behindern. gemeinsames Prinzip, Satzung, Solidarfonds global indiv. Projekte (Autonomie) indiv. Projekte (Autonomie) indiv. Projekte (Autonomie) Darst. 17: Kollektivität - Autonomie Quelle: eigene Darstellung lokal Staat Reflex Reflexion Individuum Darst. 18: Matrix Projekte Quelle: eigene Darstellung Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht 4 Rahmenbedingungen der Projekte Ich habe die Rahmenbedingungen in drei Kategorien aufgeteilt: Gesellschaftsrecht, Finanzierung und Wohnungsbaupolitik. An guten Ideen und Intention innerhalb der Projektinitiativen mangelt es selten, wohl aber an den Kenntnissen über die passenden Organisationsstrukturen, die Förderungsmöglichkeiten, die Finanzierungsformen und die rechtlichen Rahmenbedingungen. Wer der von Beck beschriebenen Person des Gemeinwohlmanagers oder des alternativen Projektentwicklers entsprechen will, muss sich mit diesen Bedingungen perfekt auskennen. 4.1 Gesellschaftsrecht Im Folgenden untersuche ich unterschiedliche Organisationsformen auf deren nachhaltige und gemeinnützige Potentiale. Diesen Unternehmen ist gemein, dass sie weder aus der Gemeinwirtschaft kommen, also staatliche Unternehmen sind, noch ausschließlich den Kriterien der Gewinnmaximierung gehorchen. Dabei unterscheide ich zwischen drei verschiedenen Kategorien: A. Es gibt nutzer- oder verbraucherorientierte Unternehmensformen, die, sofern sie einem gemeinnützigen Zweck dienen, als soziale Unternehmen oder Unternehmen mit sozialer Zielsetzung bezeichnet werden können. Zu diesen Unternehmensformen können bis auf die Genossenschaft mehr oder weniger alle Gesellschaftsformen verwandt werden. Borzaga und Santuari definieren ein „soziales Unternehmen“ als einen „...Wirtschaftsbetrieb, der versucht, die Produktion von Nutzen oder öffentlichen Gütern mit Rechtsformen des Privatrechts und Managementmodellen zu verbinden, aber dennoch mit Satzungsregeln und Organisationsformen, welche die sozialen Ziele der wirtschaftlichen Tätigkeit betonen“ (Borzaga, social enterprises, 1998, S.75f). Im Gegensatz zu den Betrieben der Gemeinwirtschaft sollten diese Unternehmen nicht staatseigen, sondern im Wesentlichen privatwirtschaftlich finanziert und damit staatsunabhängig sein. Des Weiteren dürfen sie zwar Förderungen in Anspruch nehmen, jedoch nicht komplett von ihnen abhängig sein. Gemäß dem Prinzip der Subsidiarität sollten Finanzhilfen des Staates nur ergänzend angewandt werden. Durch die Einführung der Idee des sozialen Unternehmens wird betont, dass Unternehmen mit der Produktion von Dienstleistungen am Markt andere Ziele (Wohnraumversorgung, Arbeitsplatzbeschaffung) verfolgen können, als das der Gewinnerzielung. Das Grundkonzept, auf dem die Strukturen von Personengesellschaften (OHG, KG) und Kapitalgesellschaften (GmbH, AG) des Handelsrechts aufbauen, ist die Teilnahme am Wirtschaftsverkehr zur Erzielung von Gewinnen. Das schließt aber nicht aus, dass die Eigentümer sich im Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung ihrer Organisation einigen können, andere (z.B. soziale oder ökologische) Ziele zu verfolgen und darum zu „sozialen Unternehmen“ werden können (vgl. Münkner, Unternehmen, 2000, S.25). In einigen Ländern Europas wurden für soziale Unternehmen zum Zwecke der Differenzierung neue Rechtsrahmen geschaffen. So gibt es in Frankreich die unions d`economie sociale, in Italien die Genossenschaften für soziale Solidarität und in Belgien die société à finalité sociale. In Deutschland ist dieser Schritt bislang ausgeblieben. Schätzungen zufolge gab es in Deutschland in diesem Sektor Mitte der achtziger 40.000 laufende Projekte mit 100.000 Beschäftigten und 300.000 ehrenamtlichen Mitarbeitern. Zu der Form des „sozialen Unternehmens“ gehören innerhalb meiner Untersuchung das Mietshäuser Syndikat, Solidair, Teile der Wogebe und – mit großen Einschränkungen – Stadtwerk KG und Mieterfonds. Diese Projekte werden im 5. Kapitel näher erläutert. Der Staat erkennt soziale Unternehmen als gemeinnützig an, wenn 39 40 Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht die öffentlichen Behörden der Auffassung sind, dass die betreffende Organisation Tätigkeiten ausübt, die normalerweise in den Aufgabenbereich des Staates fallen. Die Ziele des Unternehmens sind dann als gemeinnützig zu betrachten, wenn sie ausschließlich und selbstlos die Allgemeinheit fördern. Ferner müssen sich die Tätigkeiten der gemeinnützigen Organisation direkt auf spezielle Aufgaben oder Personengruppen richten, die von staatlicher Seite definiert werden. Sie dürfen jedoch nicht hauptsächlich auf die Mitglieder dieser Organisationen gerichtet sein. Genossenschaften können deswegen nicht als gemeinnützige Unternehmen betrachtet werden. Als Entschädigung für die sozialen Leistungen des Unternehmens, kann der Staat bestimmte Privilegien einräumen, wie Steuerermäßigungen und das Recht steuerabzugsfähige Quittungen für Spenden auszustellen (vgl. Münkner, Unternehmen, 2000, S.39, 101f). Das Gemeinnützigkeitsrecht gilt allgemein als veraltet, unnötig kompliziert und unflexibel. Nachdem kürzlich das Stiftungsrecht geändert wurde, ist jetzt auch das Gemeinnützigkeitsrecht in den Mittelpunkt des Interesses gerückt, insbesondere auf Initiative der Bertelsmann–Stiftung und des „Maecenata Instituts für Forschungen im dritten Sektor“. Vor 10 Jahren wurde der Status der Gemeinnützigkeit des sozialen Wohnungsbaus aufgehoben. Dies gilt genauso für alle anderen Wohnprojekte und Unternehmen. Bei den von mir untersuchten Projekten erfüllen nur die Beschäftigungsinitiativen und Sozialprojekte der Wogebe in Trier das Kriterium der Gemeinnützigkeit. B. Neben den „Unternehmen mit sozialer Zielsetzung“ gibt es die Genossenschaft als mitgliederorientierte Unternehmensform, die ihren sozialen Auftrag nur nach innen richtet. Interessanterweise können auch andere Rechtsformen durch den Gesellschaftervertrag zu genossenschaftsähnlichen Konstrukten werden (GmbH, GbR). Innerhalb meiner Untersuchung folgen die Genossenschaften der Bremer Höhe, des Kraftwerks, der Wogeno und der Wohnungsbaugenossenschaft von 1892 ausschließlich der Mitgliederförderung. Die Besonderheit der Wogebe liegt darin, dass sie durch ihre Tochtergesellschaften auch einen darüber hinausgehenden Auftrag erfüllt. Das Syndikat Freiburg ist zwar per Definition eine GmbH und keine Genossenschaft, funktioniert aber sehr ähnlich. C. Außerdem gibt es komplexere Mischformen, die entwickelt wurden, um eine Trennung z.B. zwischen Besitz- und Verfügungsrechten zu bewirken. Zweck dieser Konstruktionen ist die Dauerhaftigkeit einer Idee zu erreichen, entgegen den Zwangsläufigkeiten des in Kapitel 4.1.7 erläuterten Oppenheimer´schen Transformationsgesetzes. Während der nun folgenden Untersuchung der einzelnen Rechtsformen befasse ich mich zuerst immer mit dem Allgemeincharakter einer Organisationsstruktur, bevor ich mich ausführlicher mit der Wohnthematik beschäftige (Verweis auf die vorgestellten Projekte). In Anlehnung an die in Kapitel 3.4 entwickelten Anforderungen an die Projekte stellt sich die Frage, welchen Beitrag die Gesellschaftskonstruktion zur Erfüllung dieser Kriterien leisten kann, bzw. warum es überhaupt passender Gesellschaftskonstruktionen bedarf. Insbesondere in den 80iger Jahren verzichteten viele „alternative Projekte“ auf die Entwicklung passender Rechtsrahmen. Die Befreiung von Rechtsrahmen und Strukturen wurden – bzw. werden noch heute als Grundbedingung alternativer Ökonomie begriffen. Die Innenbeziehungen stützten sich dabei eher auf „freie Vereinbarungen“ und das Konsensprinzip (Kommunen). Diese „Formellosigkeit“ führte in der Praxis oft zu Problemen, insbesondere weil sich darin merkwür- Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht digerweise immer dieselben Personen durchsetzten. Elisabeth Voss, die immerhin jahrzehntelange Erfahrung mit alternativen Projekten hat, bezeichnet diese „Formellosigkeit“ gar als „Sozialromantische Verhinderungen von Solidarität“ und stellt in Bezug auf das von mir untersuchte Projekt in Utrecht (Solidair) die These auf, dass Regeln nicht nur beengen, sondern auch frei machen können (vgl. Voss, Verhinderung, 1996). Darüber hinaus können sie auch den Projekten zu einer gewissen Dauerhaftigkeit verhelfen – ein weiteres Grundproblem alternativer Projekte. Hinsichtlich der Organisationsstruktur möchte ich also die folgenden Kriterien untersuchen: Partizipation und demokratische Teilnahme – Damit meine ich die weitest gehende Einflussnahme der Beschäftigten bzw. der Nutzer oder Bewohner auf die Politik des Unternehmens. Dieser Punkt setzt bedingungslose Transparenz der Geschäftsvorgänge voraus. Selbstverwaltung – Die Selbstverwaltung geht noch weiter und hebt den Widerspruch zwischen Betrieb und Unternehmer auf, indem alle gleichberechtigt an Entscheidungen zur Unternehmensgestaltung beteiligt sind (Identitätsprinzip). Dieses Kriterium ist zentraler Bestandteil alternativer Ökonomie. Stimmrechtsbeschränkung – Dazu gehört, dass es keine Vorzugsrechte gibt für diejenigen, die evtl. mehr Kapital in den Betrieb angelegt haben, als andere (1 Person = 1 Stimme). Anlegerbeteiligung – Bei diesem Kriterium stellt sich die Frage, inwieweit Anleger (Fremdkapital) Einfluss auf die Unternehmenspolitik nehmen können oder ob sie nur am Gewinn eines Betriebes (Wohnprojektes) beteiligt sind. Kapitalneutralisierung – Die Kontrolle über die Verwendung von Gewinnen ist entscheidend für die Frage, ob ein Unternehmen, über die Interessen des Kapitals hinaus, ökologische und soziale Zielset- zungen durchführen kann. Durch die Kapitalneutralität soll gesichert sein, dass Gewinne nur dem Betrieb insgesamt zufallen können. Die Kontrolle des Kapitals ist auch wichtig hinsichtlich der oben erwähnten Stimmrechtsbeschränkung. Dauerhaftigkeit – Damit ist die Dauerhaftigkeit der Kapitalneutralisierung und der demokratischen Teilhabe gemeint, die sich in der Praxis nur schwer innerhalb einer Rechtsform durchführen lässt. Rechtsformen/Projekte können jederzeit aufgelöst werden. Die Satzungsautonomie der einzelnen Rechtsformen ermöglicht zudem ohne Einschränkungen die Möglichkeit einer Änderung des Gesellschaftervertrages. Fremdmittelbeschaffung, Haftungsbeschränkung, Rechtsformkosten, Mindestkapitalausstattung und Kreditwürdigkeit – Diese Kriterien sind eher allgemeiner Natur. Sie sind wichtig, betreffen aber nicht ausschließlich die von mir untersuchten Betriebe. 4.1.1 GbR Die meisten Unternehmungen in Deutschland sind Einzelunternehmungen, in denen der Inhaber alle Rechte und Pflichten in Anspruch nimmt. Schließen sich mindestens zwei Personen zur Erreichung eines gemeinsamen Zieles zusammen, kommt es zu einer Sonderform der Personengesellschaft: der Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR). Für diesen Zusammenschluss gelten automatisch § 705 – 740 BGB, es bedarf also erst einmal keiner schriftlichen Fixierung. Um das Verhältnis der Gesellschafter untereinander besser definieren zu können, bietet sich ein formloser Vertrag an, wobei als Gesellschafter sowohl Privatpersonen, als auch juristische Personen benannt werden dürfen. Zur Geschäftsführung und Vertretung sind alle Gesellschafter gemeinschaftlich berechtigt und verpflichtet, es sei denn, im Gesellschaftervertrag ist eine andere Vereinbarung getroffen. Jeder Gesellschafter haftet mit seinem Privatvermögen (vgl. Siekerkötter, Wirtschaftslehre, 2001, S.320f). 41 42 Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht Die GbR hat als Organisationsform eine hohe Bedeutung für gemeinschaftliche oder alternative Wohnprojekte. Anders als bei der oHG und der KG ist das Betreiben eines vollkaufmännischen Handelsgewerbes nicht erforderlich. Es besteht außerdem keine Pflicht zur Mindestkapitalausstattung und nur ein äußerst geringer Gründungsaufwand bei der Errichtung des Betriebes. Die Vollhaftung führt zu einer hohen Kreditwürdigkeit. Außerdem gibt es eine sehr hohe Satzungsfreiheit, die nur durch die Grundregeln des BGB begrenzt wird. Dementsprechend wird die GbR auch von ganz unterschiedlich orientierten Projekten als Gesellschaftsform benutzt. WEG –Basisprojekt. Das Basisprojekt, welches bei Wohnprojekten immer wieder ausgeführt wird, ist das der Wohneigentümergemeinschaft nach dem WEG–Gesetz. Dieses Gesetz sieht eine Unterteilung vor in einen Miteigentumsanteil an Gemeinschaftsflächen und – gebäuden, sowie dem Alleineigentum an einer abgeschlossenen Wohnung. Die Gemeinschaftsflächen unterliegen dabei den Entscheidungen einer Wohnungseigentümerversammlung und eines von ihr bestellten Verwalters. Sofern diese Konstruktion nicht noch Partizipation + Selbstverwaltung + Stimmrechtsbeschränkung + Anlegerbeteiligung + Kapitalneutralisierung + Dauerhaftigkeit - Fremdmittelbeschaffung + Kreditwürdigkeit + Haftungsbeschränkung - Rechtsformkosten + ++ + o - sehr gut gut ungünstig unmöglich durch einen Gesellschaftervertrag (z.B. einer GbR) ergänzt wird, ergeben sich nur wenige Möglichkeiten einer umfassenden gemeinschaftlichen Bindung. Diese Grundform einer Bauherrengemeinschaft wird vor allem von Bauherren realisiert, die sich Kostenvorteile von einer gesammelten Planung und Baudurchführung versprechen, die ihr Einzeleigentum nicht in Frage gestellt sehen möchten und die den Gemeinschaftsbegriff eher relativ lose formulieren. Es steht dabei jedem frei, seine Eigentumsanteile zu veräußern, ohne dass die Gemeinschaft darauf einen Einfluss ausüben könnte (vgl. Wohnbund, Trägerstrukturen, 1999, S.11ff). Gesellschaftervertrag. Mit Hilfe eines Gesellschaftervertrages kann das WEG –Basisprojekt nahezu unbegrenzt erweitert werden. In diesem Vertrag kann so ziemlich alles geklärt werden, was man für ein selbstverwaltetes Wohnprojekt oder sogar für eine Kommune braucht. Dazu gehören die Kapitalneutralisierung (verhindert die Ausschüttung von Gewinnen, Reinvestition), die Möglichkeit einer Verteilung des Liquidationserlöses an gemeinnützige Einrichtungen, das GbR Gesellschafter Gesellschafter Gesellschafter Darst. 19: Gesellschaftskonstruktion und Auswertung (GbR) Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Neuling, Pfade, 1987, S.145ff Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht Vorkaufsrecht von Mitgliederanteilen durch die GbR, die Begrenzung der Abfindung auf die geleistete Einzahlung, die Stimmrechtsbeschränkung unabhängig von der geleisteten Einlage, das Konsensprinzip bei Abstimmungen und die Vertretung durch eine von der Mitgliederversammlung gewählten Geschäftsführung. Ein Kennzeichen alternativer Betriebe ist es jedoch häufig, diese Regeln eben nicht schriftlich zu fixieren, eine dauerhaft nicht ganz ungefährliche Vorgehensweise. Im Übrigen gilt für die GbR was für die anderen Gesellschaftsformen auch gilt: Regeln können leicht geändert werden. Eine dauerhafte Fixierung ist deswegen nicht zu realisieren. 4.1.2 KG, GmbH & Co KG Die Kommanditgesellschaft ist eine Personengesellschaft. Man unterscheidet zwei Arten von Gesellschaftern. Der Komplementär haftet für die Verbindlichkeiten der Unternehmung mit seinem Privat- und Geschäftsvermögen (Vollhafter). Er führt die Geschäfte Partizipation - Selbstverwaltung - Stimmrechtsbeschränkung - Anlegerbeteiligung - Kapitalneutralisierung + Dauerhaftigkeit - Fremdmittelbeschaffung ++ Kreditwürdigkeit + Haftungsbeschränkung Rechtsformkosten ++ + o - sehr gut gut ungünstig unmöglich der Unternehmung. Der Kommanditist haftet gegenüber Dritten nur bis zur Höhe seiner Kapitaleinlage (Teilhafter). Er ist von der Geschäftsführung ausgeschlossen, hat jedoch bei außergewöhnlichen Geschäften ein Widerspruchsrecht. Ein Gesellschaftervertrag gibt Aufschluss über das Innenverhältnis der Unternehmung und regelt z.B. Gewinnverteilung und Kündigungsfrist. Die Kommanditgesellschaft ist kein selbstständiges Steuersubjekt. Relevant ist die Einkommenssteuer jedes einzelnen Gesellschafters zum Zeitpunkt der Gewinnentstehung. Bei der KG können hervorragend steuerliche Abschreibungen genutzt werden. Die Kreditchancen sind gut, da die Banken zur Not auf das Privatvermögen des Komplementärs zurückgreifen können (vgl. Siekerkötter, Wirtschaftslehre, 2001, S.317ff). Eine Kommanditgesellschaft eignet sich mit Hilfe eines Immobilienfonds ganz hervorragend zur Sammlung von Fremdkapital (Stadtwerk KG). Dies ist vor allem für diejenigen Anleger attraktiv, die ein sehr hohes Steueraufkommen haben und in erster Linie an einer attraktiven - durchaus auch sozial und ökologisch orientierten - KG Komplementär (Vollhafter) Gewinnbeteiligung Einlage Gewinnbeteiligung Kommanditist Kommanditist (Teilhafter) (Teilhafter) +/+ Darst. 20: Gesellschaftskonstruktion und Auswertung (KG) Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Neuling, Pfade, 1987, S.145ff 43 44 Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht Anlage interessiert sind. Die Grundsätze des Unternehmens (z.B. Nachhaltigkeit) können im Gesellschaftervertrag festgehalten werden. Inwieweit diese berücksichtigt werden, liegt jedoch allein im Ermessen des Komplementärs. Die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Anleger (Kommanditisten) sind bei einer KG verschwindend gering. Ebenso ist die Beteiligung der Nutzer innerhalb der Gesellschaftsform nicht vorgesehen. Die Stadtwerk KG versucht dieses demokratische Manko, durch die Einrichtung eines Beirats und durch eine hohe Transparenz auszugleichen. Die von Forma Urbis konzipierte GmbH & Co KG ist eine Sonderform der KG. Indem die GmbH an die Stelle des Komplementärs tritt entfällt die Rolle des Vollhafters. Eine GmbH muss nur bis zur Höhe des Stammkapitals haften (25.000 €). 4.1.3 GmbH Eine GmbH kann zu jedem gesetzlichen Zweck durch eine oder mehrere Personen gegründet werden. Der Inhalt des Gesellschaftervertrages (Satzung) kann von den Gesellschaftern (wie bei der KG) Partizipation + Selbstverwaltung + Stimmrechtsbeschränkung + Anlegerbeteiligung + Kapitalneutralisierung + Dauerhaftigkeit - Fremdmittelbeschaffung + Kreditwürdigkeit o Haftungsbeschränkung + Rechtsformkosten o ++ + o - sehr gut gut ungünstig unmöglich Darst. 21: Gesellschaftskonstruktion und Auswertung (GmbH) frei gestaltet werden, ist allerdings von einem Notar zu beurkunden. Eine GmbH mit einer gemeinnützigen Satzung wird als gGmbH bezeichnet. Für die GmbH ist ein Mindestkapital von 25.000 € vorgesehen (Stammkapital oder gezeichnetes Kapital). Es setzt sich aus den Stammeinlagen der einzelnen Gesellschafter zusammen (mindestens 100 € ). Der oder die Geschäftsführer leiten die Unternehmung und vertreten sie nach außen. Die Gesellschafterversammlung bestellt den Geschäftsführer. Darüber hinaus stellt sie den Jahresabschluss und die Gewinnverteilung fest und überwacht die Geschäftsführung. Stimmrechte werden nach der Höhe der Einlage vergeben. Für eine GmbH mit mehr als 500 Arbeitnehmern ist nach den Mitbestimmungsgesetzen ein Aufsichtsrat zu bilden. Die GmbH ist ein selbstständiges Steuersubjekt (Körperschaftssteuer) (vgl. Siekerkötter, Wirtschaftslehre, 2001, S.322ff). Die GmbH erlaubt eine sehr umfangreiche Satzungsfreiheit. Das Innenverhältnis der Gesellschafter kann frei gestaltet werden. Dadurch lässt sich z.B. aus einer GmbH sehr leicht ein genossenschaftsähnliches Konstrukt machen. Bei Interesse kann ein alternati- GmbH Geschäftsführer bestimmt Gesellschafterversammlung Gesellschafter Gesellschafter Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Neuling, Pfade, 1987, S.145ff Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht ves Projekt beispielsweise Punkte wie die Kapitalneutralisierung (Verzicht auf Gewinnausschüttung), Verwendung eines möglichen Liquidationserlöses (Stiftung) oder eine Stimmrechtsbeschränkung (Selbstverwaltung) in der Gesellschaftersatzung festschreiben. Bei den Banken sind GmbHs wegen der auf das Stammkapital begrenzten Haftung nicht so beliebt und haben deswegen Probleme bei der Kapitalbeschaffung. Nachteilig ist auch, dass eine GmbH für Fremdanleger nicht dieselben steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten bietet wie eine KG (Immobilienfonds). Auch die Körperschaftssteuer ist ein zusätzliches Kostenelement. Wohnprojekte können bei den Banken das Manko mangelnder Kreditwürdigkeit zumindest dadurch ausgleichen, dass sie zusätzliche Sicherheiten in Form von Grundstücken und Gebäuden bieten. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Kosten einer GmbH zwar nicht so hoch wie bei einer Genossenschaft sind, jedoch deutlich höher als bei einer KG, GbR oder einer oHG. Es bedarf also eines besonderen Grundes, sich für diese Rechtsform zu entscheiden (vgl. Neuling, Pfade, 2000, S.73ff). Alternative Wohnprojekte, denen es im Wesentlichen um die Prinzipien der Selbstverwaltung und der Kapitalneutralisierung geht, entscheiden sich deswegen meistens für die GbR. Diejenigen, die auch die Vorteile einer Formalisierung und einer Prüfung durch Prüfungsverbände, sowie der Haftungsbeschränkung sehen, entscheiden sich meist für die Genossenschaft. Für die GmbH spricht, im Vergleich zur Genossenschaft, die Unabhängigkeit von den Prüfungsverbänden und die geringeren Rechtsformkosten. 4.1.4 AG Nach deutschem Gesellschaftsrecht ist die Aktiengesellschaft in erster Linie als Kapitalsammlungsgesellschaft konzipiert, bei der die Haftung der Aktionäre auf die Kapitaleinlage beschränkt ist. Zur Gründung einer AG sind eine oder mehrere Personen erforderlich. Sie schließen einen Gesellschaftervertrag (Satzung) ab, der durch einen Notar beurkundet werden muss. Als juristische Person kann die AG selbst nicht handeln. Zur Durchführung ihrer Geschäfte braucht sie daher bestimmte Organe. Die Hauptversammlung ist das beschließende Organ der AG. Sie besteht aus allen Aktionären und wird mindestens einmal jährlich einberufen. Beschlüsse werden mit Mehrheit der Stimmen gefasst, wobei das Stimmrecht nach Aktiennennbeträgen ausgeübt wird. Die Hauptversammlung wählt die Aktionärsvertreter in den Aufsichtsrat, entscheidet über die Gewinnverteilung, beschließt über grundsätzliche Fragen der Unternehmung (Satzung,..) und entlastet Vorstand und Aufsichtsrat. Der Aufsichtsrat ist das überwachende Organ der AG. Seine Aufgaben liegen in der Bestellung des Vorstandes und der Überwachung der Geschäftsführung des Vorstandes. Der Vorstand ist das ausführende Organ der AG. Er leitet die Geschäfte und vertritt die Gesellschaft nach außen. Er ist verpflichtet, den Aufsichtsrat regelmäßig über die Geschäftslage zu berichten. Außerdem stellt er den Jahresabschluss auf. Die AG besitzt ein in Aktien zerlegtes Grundkapital (mindestens 50.000 € ). Die meisten der an Börsen gehandelten Aktien sind Inhaberaktien. Ihre Besitzer können sie jederzeit über Banken frei veräußern. Ist eine Aktie mit dem Namen des Eigentümers versehen, handelt es sich um eine Namensaktie. Vorzugsaktien sind mit besonderen Rechten ausgestattet (z.B. Bevorzugung bei der Gewinnverteilung). Der Aktionär erhält als Anteil am Gewinn eine Verzinsung des eingesetzten Kapitals (Dividende). Die AG ermöglicht die Aufbringung bedeutender finanzieller Mittel und bietet sich deswegen insbesondere als Gesellschaftsform für kapitalintensive Unternehmen an. Der nahezu unbeschränkte Handel an Börsen entwickelt jedoch eine sehr starke Eigendynamik, indem er zu kurzfristiger Spekulation einlädt. Dementsprechend 45 46 Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht verzerrt sind die jeweiligen Börsenindizes. Seit der Einführung der „kleinen AG“ am 10. August 1994 ist die AG auch für mittelgroße Unternehmen interessant geworden und tritt damit in direkte Konkurrenz zur GmbH. „Klein“ im Sinne des Gesetzes ist eine AG, die nicht börsennotiert ist (vgl. Münster, Rechtsform, 1999, S.155ff). Die Aktiengesellschaft hat, hinsichtlich der oben beschriebenen Kriterien, einige sehr interessante Eigenschaften. Dies betrifft vor allem die Aktivierung von Fremdkapital. Die AG bietet die einzigartige Möglichkeit, auf völlig unkomplizierte Weise auch Kleinanlegern den Zugang zu Unternehmensbeteiligungen zu ermöglichen (sehr demokratisch). Interessant ist auch, dass über Mitarbeiteranteile eine sehr große Bindung an das Unternehmen realisiert werden kann. Von ihrem Aufbau gleicht die Aktiengesellschaft sehr stark dem Aufbau einer Genossenschaft. Mehrere Aktiengesellschaften sind aus Genossenschaften entstanden. Die eigentumsorientierte Genos- Partizipation o Selbstverwaltung - Stimmrechtsbeschränkung - Anlegerbeteiligung + Kapitalneutralisierung o Dauerhaftigkeit - Fremdmittelbeschaffung ++ Kreditwürdigkeit + Haftungsbeschränkung + Rechtsformkosten o ++ + o - sehr gut gut ungünstig unmöglich senschaft sieht ausdrücklich die Möglichkeit einer Umwandlung in eine Aktiengesellschaft vor. Dies bedeutet auch, dass - wie bei der Genossenschaft - über den demokratischen Aufbau einer Aktiengesellschaft hinaus, die am Anfang beschriebenen Prinzipien der Selbstverwaltung nicht durchführbar sind. Es gibt jedoch einige relevante Unterschiede zur Genossenschaft. Einerseits gibt es nicht (nicht mehr) die Möglichkeit einer Stimmrechtsbeschränkung. Damit besitzen zwangsläufig diejenigen die meiste Macht, die auch das meiste Kapital beigesteuert haben – ein wenig demokratisches Prinzip. Andererseits leistet die AG ihren Auftrag einer Mitgliederförderung vor allem dadurch, dass sie das Kapital der Anleger mehrt (Shareholder-Value). Der Begriff der Mitgliederförderung ist bei der Genossenschaft viel weiter gefasst. Er besteht vor allem in der Bereitstellung einer Dienstleistung an den Genossenschaftler und kann deswegen ökonomischer, aber auch sozialer Natur sein. Innerhalb des Gesellschaftervertrags einer AG besteht jedoch die Möglichkeit, auch andere Zielsetzungen anzustreben, als die der AG Vorstand bestellt + überwacht berichtet Aufsichtsrat entlastet wählt berichtet Aktionärsversammlung Darst. 22: Gesellschaftskonstruktion und Auswertung (AG) Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Neuling, Pfade, 1987, S.145ff Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht Gewinnmaximierung. Die Umweltbank ist dafür ein sehr prominentes Beispiel. Ein weniger bekanntes Beispiel aus der Stadtentwicklung ist die Bürgerstadt AG. Grundgedanke der Bürgerstadt AG ist es, privates Kapital einzusammeln für eine ökologische und soziale Stadtentwicklung unter Berücksichtigung normaler Anlegerinteressen (Gewinn). Ähnlich wie bei der Stadtwerk KG geht es darum, dass der Aktionär (Anleger) selbst abwägen muss zwischen persönlichem Profit und ökologischer und sozialer Zielsetzung. Damit ist die AG ein perfektes Beispiel des in Kapitel 2 beschriebenen aktuellen Verständnisses einer nachhaltigen Ökonomie, mit all seinen Vor- und Nachteilen. 4.1.5 Genossenschaft „Ich sagte schon an anderer Stelle: das privatwirtschaftliche Streben der Genossen ist grundsätzlich kein Vorteilsstreben zu Lasten oder gar zu Kosten anderer, noch die Verwirklichung eines exklusiven Gruppenegoismus, sondern ein konzertiertes Vorteilsstreben mit anderen, das im genossenschaftlichen Rechtstyp gerade auf den Nutzen aller gerichtet ist. Die (grundsätzliche, insbesondere auch generationenübergreifende) Offenheit des privatwirtschaftlichen Organisationsmodells und seine Wettbewerbswirkung transformieren den solidarisch gebundenen Eigennutz zwangsläufig in Gemeinwohl dienliche Effekte.“ (Jäger, Genossenschaftsgesetz, 2001, S.26) Da die Hälfte der von mir untersuchten Projekte Genossenschaften sind, möchte ich dieser Gesellschaftsform einen etwas längeren Abschnitt widmen. Damit reagiere ich auch auf den Umstand, dass die Rechtsform der Genossenschaft oft falsch verstanden bzw. überfordert wird. Allgemein Es gibt in Europa ca. 132.000 Genossenschaften mit 2,3 Mio. Beschäftigten (2,3 %) und 83 Mio. Mitgliedern vor allem in den Bereichen Gesundheit, Landwirtschaft, Einzelhandel, Banken und Woh- nen (vgl. EG-Kommission, Europa, 2001, S.3). Nach der Definition des Internationalen Genossenschaftsbundes (IGB) ist eine Genossenschaft eine selbstständige Vereinigung von Personen, die sich auf freiwilliger Basis zusammenschließen, um ihre gemeinsamen wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse zu befriedigen und ihre Vorstellungen in einem Unternehmen zu verwirklichen, das ihnen allen gemeinsam gehört und demokratisch geleitet wird (vgl. ebenda, S.5). Das Ziel der Mitgliederförderung und der Selbsthilfecharakter sind dabei die entscheidenden Merkmale. Hinzu kommt, dass die Rolle des Kapitals innerhalb einer Genossenschaft als personenorientiertes Unternehmen eingeschränkt ist. Alle Mitglieder einer Genossenschaft nehmen, unabhängig vom Kapitaleinsatz, gleichberechtigt an der Unternehmensführung und am Unternehmenserfolg teil. Die Mitgliederförderung wird innerhalb einer Genossenschaft nicht nur an finanziellen Vorteilen gemessen. Genossenschaften sind weit mehr als ein technischer Rechtsrahmen, sondern Ausdruck einer bestimmten Form des Zusammenlebens von Personen, die eine gemeinsame soziale und ökonomische Philosophie verfolgen. Genossenschaften können in Bezug auf Größe, Sektor und Art der Mitgliedschaft erheblich variieren. Man unterscheidet Förderungs-, Produktiv- und Arbeitsgenossenschaften; Bestands- und Umsatzgenossenschaften; Primär- oder Sekundärgenossenschaften. Eine Genossenschaft kann jede Art von Rechtsform annehmen, die sich mit der obigen Definition und den genannten Merkmalen vereinbaren lässt. Es ist nicht unbedingt ein spezifisches Genossenschaftsgesetz erforderlich, da der Genossenschaftscharakter auch durch die Satzung festgelegt werden kann. Es gibt Länder mit einem allgemeingültigen Genossenschaftsgesetz (Deutschland), Länder mit spezifischen Gesetzen (je nach Sektor und sozialem Zweck) und Länder ohne Genossenschaftsrecht, in denen das genossenschaftli- 47 48 Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht che Wesen allein durch die Satzung bestimmt wird. Jede Genossenschaft in Deutschland ist verpflichtet, einem Prüfungsverband beizutreten, der die Gründung der Genossenschaft und ihre Tätigkeit prüft und begleitet. Die Hauptunterschiede der Genossenschaft zu investororientierten Unternehmen sind: - Entscheidungen werden nach der Regel "ein Mitglied – eine Stimme“ getroffen. - Der Geschäftsanteil ist für alle Mitglieder/Eigentümer gleich. - Die Rendite ist begrenzt und richtet sich normalerweise nach dem Umfang der Nutzung der Dienstleistungen der Genossenschaft. - Der Wertzuwachs des Unternehmens schlägt sich nicht im Wert der Anteile nieder. - Die Anteile können nicht auf Aktienmärkten gehandelt werden. - Beim genossenschaftlichen Unternehmen besteht freier Einund Austritt. - Aufgrund der beiden letztgenannten Punkte ist das Grundkapital variabel. - Es gilt der Grundsatz der Nichtverteilung (bzw. begrenzten Verteilung) von Rücklagen im Falle der Auflösung. (vgl. EG-Kommission, Europa, 2001, S.12) Aufbau. Die Genossenschaft ist ein ”wirtschaftlicher Verein” mit eigener Rechtspersönlichkeit und variabler Mitgliederzahl (mindestens 7). Ihre Mitglieder können frei aus- und eintreten, ohne dass die Genossenschaft ihre Rechtspersönlichkeit verändert. Ein Grundkapi- tal wie bei einer GmbH ist nicht vorgeschrieben. Jedes Mitglied zahlt einen Geschäftsanteil ein. Die Höhe wird im Statut der Genossenschaft festgelegt. Das Genossenschaftsstatut legt die innere Verfassung der Genossenschaft fest. Es regelt insbesondere das Verhältnis der Mitglieder zur Genossenschaft, sowie die Aufgaben und Verpflichtungen der Genossenschaftsorgane. Eine Genossenschaft verfügt zwingend über einen Aufsichtsrat, einen Vorstand und die Generalversammlung. Die Generalversammlung ist das Organ einer Genossenschaft. In ihm üben die Genossen ihre Rechte durch Beschlussfassung aus. Bei großen Genossenschaften mit mehr als 1.500 Mitgliedern kann das Statut an die Stelle der Generalversammlung eine Vertreterversammlung setzen. Die Vertreter werden von den Genossen in allgemeiner, unmittelbarer, gleicher und geheimer Wahl gewählt. Die Generalversammlung wählt und entlastet den Aufsichtsrat, ändert die Statuten und befindet über die Entlastung des Vorstandes sowie dessen Bestellung. Ferner entscheidet sie über die Feststellung des Jahresabschlusses und über die Verwendung des Jahresüberschusses bzw. die Deckung eines Jahresfehlbetrages sowie über die Erteilung von Weisungen an den Vorstand. Der Vorstand besteht aus mindestens zwei Mitgliedern. Er wird von der Generalversammlung bestellt. Die Vorstandsbestellung kann jederzeit durch die Generalversammlung widerrufen werden. Der Vorstand leitet die Genossenschaft eigenverantwortlich und vertritt sie gegenüber Dritten. Die Vorstandstätigkeit kann entgeltlich oder unentgeltlich ausgeübt werden. Am Ende des Geschäftsjahres hat der Vorstand dem Aufsichtsrat und der Generalversammlung den Jahresabschluss und den Lagebericht vorzulegen. Vorstandsmitglieder müssen die Geschäfte mit der Sorgfalt eines gewissenhaften und ordentlichen Kaufmannes führen. Sie haften gegenüber der Genossenschaft, wenn sie ihre Pflichten verletzen. Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht Der Aufsichtsrat überwacht vor allem den Vorstand und hat deshalb weitreichende Informationsrechte und Anspruch auf Berichterstattung. Der Aufsichtsrat vertritt die Genossenschaft gegenüber dem Vorstand und kann Vorstandsmitglieder vorläufig ihrer Geschäftstätigkeit entheben. In den Aufsichtsrat einer Genossenschaft sind von der Generalversammlung mindestens drei Mitglieder zu wählen. Seine Stellung und Funktion entsprechen weitgehend derjenigen des Aufsichtsrats einer Aktiengesellschaft (vgl. Gesetzestexte, Genossenschaftsgesetz, 2002). Wohnungsgenossenschaften Der Bestand an sozialgebundenen Wohnungen hat zwischen 1980 und 2000 von fast 4 Millionen auf ca. 1,9 Millionen abgenommen. Jedes Jahr verringert sich diese Zahl um 100.000 Wohnungen durch auslaufende Bindungen. Hinzu kommen Verkäufe und Privatisierungen der Gemeinden sowie das Auslaufen regionaler Programme wie der sozialen Stadterneuerung in Berlin (vgl. Reinig, Gemeinsam, 2000, Partizipation + Selbstverwaltung - Stimmrechtsbeschränkung ++ Fremdanlegerbeteiligung - Kapitalneutralisierung + Dauerhaftigkeit + Fremdmittelbeschaffung - Kreditwürdigkeit + Haftungsbeschränkung + Rechtsformkosten - ++ + o - sehr gut gut ungünstig unmöglich S.26). Man kann mit Sicherheit davon ausgehen, dass es in Zukunft insbesondere in den Wachstumsregionen zu einer erheblichen Verknappung mietpreisgebundenen Wohnraums kommen wird. Vor diesem Hintergrund werden gerade Genossenschaften für die Wohnungspolitik wiederentdeckt. Schließlich ist es ihre erklärte Aufgabe für ihre Mitglieder spekulationsfreien, kostengünstigen und dauerhaft sicheren Wohnraum zur Verfügung zu stellen - insbesondere für einkommensschwache Haushalte. Genossenschaften erfüllen, wenn auch nicht immer auf besonders effektive und zeitgemäße Art, die Forderungen der Politik nach mehr bürgerschaftlichen Engagement, Eigeninitiative, Solidarität und Selbsthilfe. Hinzu kommt, dass kleine Genossenschaften dem wachsenden Wunsch individueller Lebensund Arbeitsalternativen sowie gemeinschaftlicher Wohnformen entsprechen können. In Regionen mit knappen Wohnraumangebot und hohen Mieten (Süddeutschland, Hamburg) kam es in den letzten Jahren zu einigen interessanten Neugründungen - in stark verschuldeten Regionen Genossenschaft überwacht Aufsichtsrat Vorstand berichtet wählt Jahresabschluss wählt berichtet Generalversammlung Darst. 23: Gesellschaftskonstruktion und Auswertung (Genossenschaft) Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Neuling, Pfade, 1987, S.145ff 49 50 Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht mit hohem kommunalen Wohnungsbestand (Berlin) zu Ausgründungen kleiner Genossenschaften aus dem Bestand. Wie bereits oben angedeutet erweist sich das bestehende Genossenschaftsrecht und die aktuelle Förderpolitik als wenig hilfreich. Die Genossenschaftsneugründung ist mit erheblichen Hürden rechtlicher und organisatorischer Art verbunden sowie mit sehr hohen, für kleine Genossenschaften untragbaren Kosten. Zwar werden Neugründungen gefördert, jedoch nur wenn in ihnen die strittige Eigentumsorientierung berücksichtigt wird, welche von dem Grundgedanken genossenschaftlichen Wirkens abweicht. Sämtliche bestehenden Genossenschaften sind von der Förderung ausgenommen. Dass bei den hohen Anstrengungen der Genossenschaftsgründung der Blick der Initiatoren nach innen gerichtet bleibt und ein genossenschaftliches Netzwerk nur langsam entsteht ist nachvollziehbar, aber dennoch ein wichtiges Wachstumshindernis für die genossenschaftliche Bewegung. Kooperationen zwischen traditionellen, etablierten Alt-Genossenschaften und den Neugründungen gehen selten über erste Kontakte hinaus. Besitzstandswahrung dominiert dabei eindeutig gegenüber einer gemeinschaftlichen Perspektive. Eine stärkere Vernetzung könnte insbesondere die Eigenkapitalbeschaffung wesentlich erleichtern. Auch die Verwaltung und der Arbeitsaufwand für die Neugründungen (Wissenstransfer) könnten wesentlich effektiver gestaltet werden. Mit den Hamburger Dachgenossenschaften (Schanze eG) und der Hamburger Wohnungsverwaltungsgesellschaft P99 sowie der Münchner Dachgenossenschaft Wogeno wurden interessante Ansätze geschaffen, die Vorteile kleiner Genossenschaften mit den Vorteilen großer Genossenschaften zu verbinden. Das Beispiel der Wogeno wird im Kapitel 5.2.5 näher erläutert. Ein „leuchtendes Vorbild“ auf regionaler Ebene bietet die Schweiz mit dem Verbund eines „Fonds du Roulement“, eines Bürgschaftsinstituts und einer Förderstiftung. Vorteile Wohngenossenschaft - Ausschluss von Spekulation - hohes Ausmaß an Wohnsicherheit für die Mieter und Sicherheit der Einlagen durch Pflichtprüfung durch den Prüfverband - Möglichkeit selbst gewählter Nachbarschaften - Selbstverwaltung oder zumindest Mitsprachemöglichkeiten bei der Verwaltung des Hauses und baulichen Maßnahmen - Wechsel der Nutzer bei Stabilität des Trägers - Förderung der Selbsthilfe der Nutzer und demokratische Entscheidungsstrukturen innerhalb der Genossenschaft Nachteile Wohngenossenschaft - erhebliche Hürden rechtlicher und organisatorischer Art - hohe Anforderungen an die Initiatoren - fehlendes Startkapital - Genossenschaftsförderung mit erheblichen Mängeln, Beschränkung auf neu gegründete und eigentumsorientierte Unternehmen - Kooperationen zwischen etablierten Alt-Genossenschaften und Neugründungen selten vorhanden Große Genossenschaften. Die Gründungsphase der meisten Genossenschaften liegt schon mehr als 100 Jahre zurück, bietet jedoch hinsichtlich ihrer Rahmenbedingungen ein reiches Potential von Anknüpfungspunkten für aktuelles und zukünftiges Handeln. 1. Phase. Die erste der drei großen genossenschaftlichen Grün- Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht dungswellen ist eng verknüpft mit den dramatischen gesellschaftlichen Umwälzungen durch die Industrialisierung. Zur Zeit der Jahrhundertwende wuchs Berlin von etwa 900.000 auf 3,7 Mio. Einwohner. Bau und Vermietung von Wohnungen war allein Sache privater Unternehmer. Zwischen 1880 und 1890 stiegen die Mieten um fast 75 %. Schlafstätten wurden stundenweise vermietet. Umwelt- und sozialbedingte Krankheiten waren an der Tagesordnung. Die Säuglingssterblichkeit lag vor der Jahrhundertwende in Berlin Wedding bei über 35 %. Eine öffentliche Wohnungspolitik gab es nicht. Damit blieb es den Mitteln der Selbsthilfe überlassen, diese Missstände zu beseitigen. Das Genossenschaftsgesetz von 1889 leitete eine Wohnreform auf vorstaatlicher, freigemeinnütziger Grundlage ein, indem es, im Gegensatz zum Gesetz von 1868, die beschränkte Haftung einführte und damit für wohlhabende Förderer akzeptabel wurde. Zusätzlich konnten die Rücklagen der gesetzlichen Altersversicherung von 1890 als zinsgünstige Kredite gewonnen werden. All dies geschah vor dem Hintergrund einer Wohnreformdebatte, die letztendlich den Weg zur Gründung zahlreicher Genossenschaften ebnete. Wohnreform meinte über eine Verbesserung der architektonischen, städtebaulichen und sozialhygienischen Bedingungen hinausgehende Sozial-, Lebens- und Wirtschaftsreform, die vor allem auch die demokratische Teilhabe einschloss. Die Akteure, die diese Bewegung gestalteten, handelten einerseits aus ideellen Motiven, andererseits aus Angst vor dem Verlust der eigenen Privilegien und dem Szenario eines revolutionären Umsturzes. Die Wohnreformbewegung wurde zum Träger von gemeinschaftlichen, kulturellen und wirtschaftlichen Reformen. Von 1890 bis 1914 wuchs der Bestand der Baugenossenschaften von 50 auf 1122 (vgl. Novy, 1892, S.9ff).Eine weitere Gründungswelle folgte nach dem I. Weltkrieg, 2. Phase. bzw. 1923 nach Ende der Inflation, um der hohen Wohnungsnot begegnen zu können. Dies geschah allerdings vor dem Hintergrund sich ändernder Rahmenbedingungen. Schon innerhalb des I. Weltkrieges war klar geworden, dass die Wohnungsfrage nicht allein durch das private Engagement einer Genossenschaftsbewegung gemindert werden konnte. Zwar kam es zu zahlreichen Neugründungen, der Bestand an Genossenschaften blieb im Verhältnis zum Gesamtbestand jedoch marginal (2%). Der verlorengegangene Krieg verschärfte die Problematik noch einmal und der Staat initiierte in Zusammenarbeit mit der Wohnreformbewegung eine Reihe von Gesetzen, die nach Kriegsende die bedrohliche Wohnproblematik entschärfen sollte. So kam es zur Verabschiedung eines Wohnungsgesetzes, welches sich vor allem der Verhinderung der hochverdichteten, innerstädtischen Mietskaserne widmete. Darüber hinaus versuchte der Staat erstmals, mit Hilfe von Steuererleichterungen und Finanzierungshilfen die Neubautätigkeit anzukurbeln. Ergänzt wurden diese Bemühungen durch das Schaffen professioneller, kostensenkender Strukturen in den Bereichen der Verwaltung, der Planung und Baudurchführung. Aus Mangel an ambitionierten privaten Bauherren entstanden durch die Initiative von Kommunen und Gewerkschaften, Unternehmern und Banken, gemeinnützige Wohnungsgesellschaften, Bauhütten und Finanzierungsinstitute. 3. Phase. Nach Ende des II. Weltkriegs, kam es wieder zu einem Gründungsschub, verursacht vor allem durch die wohnungssuchenden Flüchtlingsströme aus den ehemaligen Ostgebieten. Der genossenschaftliche Wohnungsbestand heute liegt bei rund 2,2 Mio. Wohnungen. Das sind ca. 10 % aller Mietwohnungen in Deutschland (vgl. Senatsverwaltung, Gründungsleitfaden, 2001, S.10). Grundsätzlich lässt sich sagen, dass schon in der 2.Phase, insbesondere jedoch in der 3.Phase, der genossenschaftliche, auf Selbsthilfe basierende Wohnungsbau durch eine staatlich koordinierte Wohnraumversorgung abgelöst wurde. 51 52 Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht Die letzte große Gründungswelle ist 40 Jahre vorüber und die großen Genossenschaften haben Probleme, sich den geänderten Rahmenbedingungen unserer Zeit anzupassen. Sie sind zu unflexiblen und bürokratischen Großunternehmen geworden. Eine Bindung der Genossenschaftler an den Genossenschaftsgedanken ist wegen der zunehmenden Individualisierung und der durch die Größe bedingten Anonymität kaum noch gegeben. Die Genossenschaftseinlagen wurden in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich reduziert. Niemand war mehr bereit, durch eine ideelle Geldanlage den Genossenschaftsgedanken zu fördern. Der Wohnungsbestand traditioneller Genossenschaften ist teilweise überaltert und renovierungsbedürftig. Die Typologien und Wohnungsgrundrisse entsprechen kaum noch den aktuellen Bedürfnissen. Neue Genossenschaften. In den letzten 20 Jahren gab es eine Vielzahl neuer Genossenschaftsgründungen, die im Vergleich zu den älteren Genossenschaften eher klein geblieben sind. Diese „neuen Genossenschaften“ orientierten sich nicht mehr an einer breiten Arbeiterschicht, für die spekulationsfreier und kostengünstiger Wohnraum geschaffen werden soll, sondern an speziellen Sondergruppen oder Themenbereichen. Im Rahmen der internationalen Bauausstellung wurden in Berlin Projekte realisiert (Wohnregal, LIMA Wohnhof), die experimentelle Alternativen zur damals vorherrschenden „Standardware Wohnung“ bieten wollten und die sich dem Leitsatz der „behutsamen Stadtentwicklung“ verpflichtet hatten. Die „bauliche Selbsthilfe“ spielte bei diesen Projekten eine bedeutende Rolle - darüber hinaus der Gedanke der persönlichen Selbstverwirklichung in der Gruppe und der Schaffung eines gemeinschaftlich orientierten Lebensraumes. Die 80iger und 90iger Jahre waren auch die große Zeit der Hausbesetzungen und des „Häuserkampfes“. Viele der damals aufgelegten Programme galten der Befriedung dieses Klientel (Hamburg/Berlin). In Berlin wurden in den Gebieten der sozialen Stadterneuerung Genossenschaftsneugründungen und „Bauliche Selbsthilfe“ stark subventioniert. Die Erwerbs- und Sanierungskosten wurden teilweise zu 85 % von der Stadt übernommen. Der Rest der Finanzierung wurde über Eigenleistungen erbracht. Neben diesen „Selbsthilfe“-Genossenschaften gibt es eine Reihe von neugegründeten Genossenschaften, die sich einer gemeinsamen Leitidee verschrieben haben (Wohnen mit Kindern, autofrei, generationsübergreifend). All diesen Projekten ist gemein, dass in ihnen der Genossenschaftsgedanke als Ausgangspunkt der Entwicklung sehr stark vertreten ist. Allerdings muss man auch hier differenzieren. Eine Genossenschaftsneugründung ist eine kapitalintensive Angelegenheit, die nebenbei viel Engagement und finanzielles, rechtliches, förderungspolitisches Know-how erfordert. Um dieses Problem zu beseitigen, wurden Genossenschaften teilweise massiv gefördert. Die dadurch zu Stande gekommenen niedrigen Mieten werden heute sorgsam bewacht und eine Weitergabe dieser finanziellen Vorteile im Sinne eines Solidarmodells, eine Kooperation mit neuen Projekten bzw. eine Ausweitung dieser Genossenschaften, ist in der Regel nicht vorgesehen. Den neuen Genossenschaften wurde deswegen oft vorgeworfen, sie würden sich einseitig Vorteile verschaffen, sich aber vor einer gemeinwirtschaftlichen Perspektive verschließen. Mit diesen Argumenten muss man sich auseinandersetzen, insbesondere weil die aktuelle Förderpolitik sich ausschließlich auf eigentumsorientierte Genossenschaften bezieht. Eine Genossenschaftswohnung, die nach 20 Jahren in eine Eigentumswohnung umgewandelt und gewinnorientiert verkauft wird, bietet sicherlich keinen spekulationsfreien, sozial orientierten Wohnraum mehr und sollte deswegen auch nicht außergewöhnlich gefördert werden. Momentan wird Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht die Neugründung einer eigentumsorientierten Genossenschaft allerdings sowieso gegenüber dem normalen Eigentumserwerb benachteiligt. Die gerade mal 1 Jahr alte Genossenschaftsförderung des Landes Berlin, die dieses Manko beheben könnte, steht angesichts der aktuellen Haushaltslage „auf der Kippe“. Es stellt sich die Frage, welche Form einer Genossenschaft und welche Form der Förderung dem Genossenschaftsgedanken am Besten gerecht wird. Die im folgenden Kapitel beschriebenen Dachgenossenschaften bieten hier eine interessante Perspektive. Die Dachgenossenschaft. Die Vorteile einer großen Genossenschaft liegen in ihrem vorhandenen Eigenkapital und Fachwissen, in einer effizienten Verwaltung und einer professionalisierten Struktur. Kleine Genossenschaften haben eine höhere Mitgliederbindung, Übersichtlichkeit und soziale Nähe. Dachgenossenschaften verbinden die jeweiligen Vorteile miteinander. Die Mitglieder dieser Sekundärgenossenschaften sind mehr oder weniger selbstverwaltete Hausprojekte. Diesen Hausprojekten werden je nach Bedarf von der Dachgenossenschaft Dienstleistungen angeboten in Bereichen, die diese mangels Effizienz oder Fachwissen nicht übernehmen wollen. Die Wogeno Zürich beispielsweise schließt nicht mit einzelnen Mietern, sondern mit Hausvereinen Verträge ab. Innerhalb dieser kann angekreuzt werden, ob die Aufgaben der Vermietung, der Wohnungsabgabe und -erneuerung, des Zahlungsverkehrs sowie des Unterhalts von Haus und Garten selber übernommen werden oder ob sie in den entsprechenden Fällen die Serviceleistung der Genossenschaft in Anspruch nehmen wollen. Die Gebäude befinden sich im Besitz der Wogeno. Bau und Baufinanzierung werden von der Dachgenossenschaft übernommen. In München gibt es einen Ableger der Wogeno, der Einzelprojekten eine nicht ganz so große Autonomie einräumt und den ich im Projektteil näher analysiere (s. Kapitel 5.2.5). Die Schanze eG ist ein Projekt aus Hamburg. Sie versteht sich als „überparteiliches, wohnungspolitisches Instrument zur Förderung von Wohnprojekten“. Die Gründung der Schanze fiel in die Mitte der 80er Jahre und ist eng mit der Hausbesetzerszene verbunden. Die Schanze besteht aus 15 Wohnprojekten, von denen 11 Häuser selbstverwaltet werden. Außerdem gibt es 2 Häuser mit Einzelmietern, eine Frauenpension für wohnungslose Frauen und 2 Häuser, in denen ehemalige Obdachlose bzw. Menschen aus städtischen Unterkünften wohnen (vgl. Bura, Gemeinsam, 2002). Zur Zeit wird in Hamburg die Gründung der Wohnungsbaugenossenschaft Wohnreform 2000 vorbereitet, die von vornherein als Dachgenossenschaft angelegt ist. Ebenfalls in Hamburg wurde vor einigen Jahren die Wohnungsverwaltungsgesellschaft P99 gegründet. Sie ist selbst nicht als Dachgenossenschaft organisiert, unterliegt jedoch auf ihre Art demselben Grundgedanken, Selbstverwaltung und professionelle Wohnungsverwaltung zusammenzubringen. Ein großer Teil der neuen Genossenschaften lässt einen Teil seiner Verwaltung über P99 abwickeln (ebenda). Mietergenossenschaften sind Wohnungsbaugenossenschaften, die ihren Bestand nicht selbst besitzen (müssen), aber selbst verwalten. In Hamburg gibt es zur Zeit drei Mietergenossenschaften, die zum Teil aus dem Bestand der Neuen Heimat kommen: FalkenriedTerrassen, Fritz-Schumacher-Siedlung und die Gartenstadt Farmsen. Zwei Genossenschaften sind derzeit im Besitz der Liegenschaftsverwaltung der Stadt Hamburg, eine Genossenschaft gehört der Lawaetz-Stiftung. Zwischen den Besitzern und den Mietergenossenschaften werden Pachtverträge abgeschlossen, die sich in der Regel auf einen Zeitraum von 30 Jahren beziehen. Eine Verlängerung der Pachtverträge ist möglich und vorgesehen. Diese Konstruktion erlaubt es den Genossenschaften mit überschaubaren Kosten zu 53 54 Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht arbeiten. Das Problem der Kapitalbeschaffung reduziert sich dadurch deutlich. Die Stadt profitiert durch die Erträge aus den Pachtverträgen und durch die Tatsache, weiter Besitzer der Liegenschaften zu sein. Die Höhe des Pachtzins beträgt ungefähr 25 % der Mieteinnahmen (vgl. Bura, Gemeinsam, 2002). Die besondere Qualität der Falkenried-Terrassen liegt in der Stärkung der Rechte und Mitwirkungsmöglichkeiten der Mieter, welche in der Genossenschaftssatzung festgehalten sind. Konkret bedeutet dies, dass Mieter wieder stärker in Vorstand und Aufsichtsrat vertreten sind. Die Mitgliederversammlung entscheidet über Sanierungsmaßnahmen und andere grundlegende Maßnahmen. Die Entscheidungen werden dabei hausweise gefällt. Ein Belegungsauschuss, der sich aus Mietern zusammensetzt, unterbreitet der Hausgemeinschaft (jeweils ein Eingang mit 6 Parteien) bei Neuvermietung Vorschläge zur Belegung. Die Hausgemeinschaft entscheidet auf der Basis dieser Vorschläge, wobei soziale Kriterien eine wichtige Rolle spielen sollen (z.B. junge Menschen aus überbetrieblichen Ausbildungsstätten). Die Genossenschaft hat es sich darüber hinaus zur Aufgabe gemacht, bei der alltäglichen Konfliktbewältigung behilflich zu sein (Müll, Reinigung, Lärm, etc.) (vgl. Schendel, Mietergenossenschaften, 2002). Ausgründungen. Das Altschuldenhilfegesetz, welches 1993 verabschiedet wurde, verpflichtete die Wohnungsunternehmen der ehemaligen DDR dazu, 15% ihrer Bestände zu privatisieren. Auch in Westdeutschland wird das Mittel der Privatisierung genutzt, leere Kassen aufzufüllen. Der Verkauf an neugegründete Genossenschaften oder der Einzelverkauf an die Mieter ist dabei eher die Ausnahme geblieben, obwohl dazu im Altschuldenhilfegesetz ausdrücklich angeregt wird. Der Organisationsaufwand für Finanzierung, Mitgliederwerbung und Durchführung einer Wohnungsgenossenschaft ist extrem hoch und bedarf der Mitarbeit engagierter Akteure. Woh- nungsunternehmen und Stadt scheuen diesen Mehraufwand, aber auch die Mieter sind nur bedingt für eine solche Lösung zu gewinnen. Im Gegensatz zu den oben genannten kleinen Genossenschaften, die sich aus einer aktiven Auseinandersetzung mit dem Genossenschaftsgedanken gegründet haben, leidet die Ausgründung unter einer sehr heterogenen Klientel, denen der Genossenschaftsgedanke in der Regel kaum geläufig ist. Das Konzept der Genossenschaft muss in diesem Fall also von außen an die Bewohner herangetragen werden. Es muss viel Überzeugungsarbeit geleistet werden. Dies kostet Zeit, Engagement und auch Geld. Von den Wohnungsunternehmen wird also bevorzugt in großen Stückzahlen an finanzkräftige Investoren verkauft, welche die Wohnungen dann in Eigentumswohnungen umwandeln und mit Gewinn einzeln weiterverkaufen. Von einer solchen Ausgründungsstrategie profitiert ausschließlich der Investor, nicht der Benutzer. Langfristig geben Städte durch diese Politik Steuerungsinstrumente ihrer Wohnungspolitik aus der Hand. Sie verlieren so Bestände, mit denen sie bisher Wohnungsnotlagen auf dem freien Markt ausgleichen konnten. Damit riskieren die Kommunen, dass die soziale Entmischung in ihren Quartieren weiter zunimmt. Die verbleibenden kommunalen Bestände degenerieren so zu Sammelstellen für soziale Problemfälle. Es gibt allerdings auch Ausnahmen. In Berlin wurden in den letzten Jahren zwei genossenschaftliche Ausgründungen realisiert: die Bremer Höhe mit 514 Wohnungen und die Wöhlertgärten (vgl. König, Perspektiven, 2002). Diese Ausgründungen basieren auf einer neuen Genossenschaftsförderung, die 1999 in Berlin verabschiedet wurde und zinsverbilligte Darlehen sowie Gründungszuschüsse gewährt (s. Kapitel 4.3.7). In den nächsten Jahren werden aus dieser Förderung noch drei Genossenschaften in Marzahn (Eigentum 2000, Horizont und Nordlicht) und eine in Hellersdorf (Neues Wohnen) realisiert. Die Genossen- Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht schaft Bremer Höhe wird im Kapitel Projekte detailliert beschrieben. Die Rahmenbedingungen genossenschaftlicher Ausgründungen könnten sicherlich noch verbessert werden, um die Realisierung solcher Projekte nicht nur möglich, sondern auch naheliegend zu machen. In Dänemark erhalten Bewohnergenossenschaften bei Wohnungsprivatisierungen generell ein Vorkaufsrecht. Kernthema bei den Ausgründungen ist jedoch immer wieder die Problematik völlig überhöhter Verkehrswerte, die sich nicht im geringsten mit den wirklichen Werten vergleichen lassen und die Genossenschaften unnötig hoch belasten. Bei einer Lösung dieser Problematik wäre auch eine stärkere Unabhängigkeit von der Genossenschaftsförderung möglich. Informationsstelle, etc. Eine ausführliche Beschreibung ist in dem Kapitel Projekte zu finden (s. Kapitel 5.2.9). Der Wohnbund-NRW hat in einer Studie diese Vorgehensweise auch für Altbauquartiere in Leipzig vorgeschlagen, die im Zuge der Sonderabschreibung Ost noch nicht saniert werden konnten und die jetzt, nach Auslaufen der relevantesten Förderprogramme, einer ungewissen Zukunft entgegensehen. Ziel ist es die Mieter und Mieterinnen stärker als bisher in die Sanierung einzubeziehen, um so die weggefallenen Steuervorteile und die nicht mehr erzielbaren hohen Mieten zu kompensieren. Ebenso muss es auch hier Bestandteil der Strategie sein, das Wohnumfeld und die soziale und kulturelle Infrastruktur insgesamt zu verbessern - eben das Quartier insgesamt (vgl. wohnbund, Trägerstrukuren, 1999, Quartiersgenossenschaften. sind „Konzepte zur dauerhaften Sicherung bedrohter Wohnungsbestände und zur bewohnergetragenen Quartiersentwicklung“ ( Karhoff, Quartiersgenossenschaft, 2000). Im Prinzip ist die Quartiersgenossenschaft eine Dachgenossenschaft, die gegründet wurde, um die Wohnverhältnisse in einem bestimmten, in der Regel sozial extrem heruntergekommenen Stadtteil zu verbessern. Angesichts dieser Zielsetzung ist klar, dass es bei Maßnahmen der Sanierung allein nicht bleiben kann. Die Quartiersgenossenschaft in Trier-Nord (Wogebe), die den Wohnungsbestand verwaltet und die Sanierung koordiniert, verbindet diesen Vorgang dementsprechend mit arbeitsplatzschaffenden und weiterbildenden Maßnahmen. Zu diesem Zweck hat sie eine Tochtergesellschaft gegründet, die im Bereich der Sanierung Langzeitarbeitslose beschäftigt, Praktika vergibt und bauliche Selbsthilfe anleitet. Begleitet wird dieser Prozess durch eine Anzahl von Maßnahmen, die von anderen Einrichtungen (Bürgerzentrum) übernommen werden. Dazu gehören Kinderpflege, Lebensberatung, Kinder- und Jugendarbeit, Qualifizierung, Kultur, Kontakt- und S.18). eigentumsorientierte Genossenschaften. Nach dem Eigenheimzulagegesetz von 01.1995 können neugegründete Genossenschaften gefördert werden, wenn sie ihren Mitgliedern das vererbliche Recht auf Erwerb des Eigentums an der von ihnen zu Wohnzwecken genutzten Wohnung einräumen. Dazu bedarf es einer schriftlichen Zustimmung der Mehrheit der in einem Objekt wohnenden Genossenschaftsmitglieder. Eine widersinnige Politik, liegt doch die Stärke der Genossenschaft gerade darin, eben nicht individuell kapitalisiert werden zu können. Der Grundgedanke der Genossenschaft spekulationsfreien Wohnraum zu schaffen, wird dadurch bewusst untergraben. Fatalerweise haben sich die Förderungsbestimmungen der einzelnen Länder den Bundespolitischen Vorgaben angepasst, so dass fast alle neugegründeten Genossenschaften diese Eigentumsorientierung in ihren Satzungen verankern mussten – es sei denn, sie verzichten auf eine Förderung. 55 Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht 4.1.6 Stiftung Mit der Neufassung und Modernisierung des Stiftungsrechts 2000/02 wurde eine bescheidene Gründungswelle in Deutschland ausgelöst. Zu den schon bestehenden 10.000 Stiftungen sind in den letzten beiden Jahren mehr als 800 Stiftungen dazugekommen. Ziel der Neufassung ist es, mittels steuerlicher Anreize und nach angloamerikanischen Vorbild reiche Bürger stärker in die Verantwortung zu nehmen. Die rechtliche Grundlage der Stiftung bürgerlichen Rechts sind die §§ 80 bis §§ 88 BGB. Sie bilden einen Rahmen, der durch die Stiftungsgesetze der Länder ausgefüllt wird. Stiftungen sind auf unbeschränkte Zeit angelegt. Sie haben vom Stifter (bzw. den Stiftern) ein gewisses Vermögen erhalten, aus dessen Erträgen ein bestimmter (meist gemeinnütziger) Zweck, der satzungsgemäß festgelegt ist, gefördert wird. Nach stiftungsrechtlichen Prinzipien ist das Vermögen der Stiftung in seinem Bestand zu erhalten, darf also nicht zur Verfolgung des Stiftungszweckes ausgegeben werden. Eine Stiftung Partizipation - Selbstverwaltung - Stimmrechtsbeschränkung + Fremdanlegerbeteiligung - Kapitalneutralisierung + Dauerhaftigkeit + Fremdmittelbeschaffung + Kreditwürdigkeit + Haftungsbeschränkung + Rechtsformkosten + ++ + o - sehr gut gut ungünstig unmöglich Darst. 24: Gesellschaftskonstruktion und Auswertung (Stiftung) hat weder Mitglieder noch Gesellschafter, noch Anteilseigener. Sie „gehört sich selbst“. Stiftungen, die gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen, werden gemäß §§ 51 bis §§ 68 der Abgabenordnung steuerbegünstigt (s. Kapitel 4.2.4). Die Stiftung muss zwingend einen Vorstand haben. Der Vorstand entscheidet in allen grundsätzlichen Angelegenheiten in eigener Verantwortung und führt die laufenden Geschäfte der Stiftung. Er hat die Stellung eines gesetzlichen Vertreters und vertritt die Stiftung gerichtlich und außergerichtlich. Meist haben Stiftungen noch weitere Aufsichtsorgane (z.B. einen sogenannten Stiftungsrat, Kuratorium). Der Stiftungsrat berät, unterstützt und überwacht den Vorstand im Rahmen des Stiftungsgesetzes und der Stiftungssatzung. Ihm sollen Personen angehören, die besondere Fachkompetenz und Erfahrung im Hinblick auf die Aufgabenerfüllung der Stiftung haben. Stiftungen unterliegen der staatlichen Aufsicht nach Maßgabe des jeweils im Lande geltenden Stiftungsrechts. Die Stiftungsaufsichtsbehörde ist auf Wunsch jederzeit über die Angelegenheiten der Stiftung Vorsitzender Vorstand (Geschäftsführung) berät überwacht Aufsichtsrat, Kuratorium (optional) Stiftungsaufsicht 56 Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Neuling, Pfade, 1987, S.145ff Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht Stiftung zu unterrichten. Mitteilungen über Änderungen in der Zusammensetzung der Stiftungsorgane sowie Haushaltsplan, Jahresrechnung und Tätigkeitsbericht sind unaufgefordert vorzulegen. Zu den Vorteilen der Stiftung gehört die Kontinuität bei der Umsetzung des Stiftungszwecks und die Möglichkeit zur Akquisition von Spenden und privaten Zustiftungen. Nachteilig ist die Unflexibilität im Hinblick auf die Anpassung an veränderte Zielsetzungen, wenig Mitsprachemöglichkeiten der Nutzerinnen und Nutzer sowie die Gefahr einer einseitigen Konsumhaltung der Nutzer (vgl. Wohnbund, Trägerstrukturen, 1999, S.39-44). Stiftungen sind in der Regel Dachorganisationen, die evtl. Wohnprojekten, sofern diese ihren Ansprüchen gerecht werden, Dienstleistungen, Geld, Grundstücke oder Gebäude zur Verfügung stellen. Es besteht die Möglichkeit, dass eine Stiftung selbst Träger eines Projektes ist und einzelne Wohnungen an bestimmte, förderungswürdige Personen vermietet. Dies ist beispielsweise der Fall bei der Stiftung Synanon, die in Berlin und Brandenburg mehrere Suchthilfeprojekte (einschließlich Wohnprojekte) realisiert hat (s. Anhang: weitere Projekte). Eine demokratische Teilhabe der Nutzer ist innerhalb einer Stiftung nicht realisierbar. Was man oberflächlich als Manko auffassen könnte, macht jedoch die eigentliche Stärke der Stiftung aus. Die Unabhängigkeit der Stiftungsorganisation von den Nutzern schützt sie vor einer absehbaren Interessenvereinnahmung und sichert dadurch die Dauerhaftigkeit des Stiftungszwecks. Es gibt nur wenige Stiftungen in Deutschland, die sich mit der Thematik der Wohnraumversorgung befassen. Eine Ausnahme ist die 1986 gegründete Hamburger Lawaetz-Stiftung. In der Stiftungssatzung wird der Zweck wie folgt bezeichnet: „... solche Projekte zu initiieren und zu fördern, die für sozial benachteiligte Personen Wohn-, Arbeits-, und Ausbildungsmöglichkeiten schaffen.“ (Lawaetz- Stiftung, Satzung, 2002) Die Arbeit der Stiftung kennzeichnet sich durch drei Aufgabenbereiche. Sie widmet sich der Verknüpfung und Koordination von Beschäftigungsinitiativen, der Beratung von Initiativen und vor allem ist sie als alternativer Sanierungsträger tätig. Die Lawaetz-Stiftung soll Selbsthilfeansätze bei der Instandsetzung und Modernisierung von Gebäuden fördern und dabei beschäftigungsorientierte Maßnahmen einbeziehen. Im Besitz der Lawaetz-Stiftung sind die Falkenried-Terrassen, welche in Erbpacht an eine Genossenschaft vergeben wurden. Das Beispiel der Schweizer PWG-Stiftung, die preisgünstigen, gemeinschaftlichen und sozial gebundenen Wohn- und Gewerberaum schaffen will, ist im Kapitel 5.2.7 näher erläutert. Zu den interessanten neugegründeten Stiftungen aus dem Themenbereich der Wohnungspolitik gehören die Trias-Stiftung aus Bochum, die PAG-Stiftung sowie der DWS-Fonds aus Berlin (s. Anhang: weitere Projekte). 4.1.7 Zusammenfassung In Darstellung 25 habe ich noch einmal die Vor- und Nachteile der einzelnen Gesellschaftsformen zusammengefasst. Eine vage ökologische und soziale Zielsetzung lässt sich, sofern dadurch nicht der Betrieb gefährdet ist, in allen Gesellschaftsformen realisieren und per Gesellschaftsvertrag auch festlegen. Bei der Frage der demokratischen Teilhabe der Nutzer (Bewohner) muss man sehr stark differenzieren. Wie bereits erwähnt liegt, zum Schutz der Dauerhaftigkeit des Stiftungszweckes, die demokratische Teilhabe nicht im Interesse der Stiftung. Die Aktiengesellschaft sieht über die Aktionärsversammlung eine Teilhabe der Anleger vor. Diese ist jedoch nicht sehr weitreichend. Die Lücke zwischen Aktionärsversammlung und Aufsichtsrat/Vorstand ist relativ groß. Hinzu kommt, dass eine Stimmrechtsbeschränkung nicht möglich ist – 57 58 Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht übrigens der einzige relevante Grund, warum sich das Mietshäuser Syndikat nicht in eine Aktiengesellschaft umgewandelt hat. Die Kommanditgesellschaft ermöglicht eine demokratische Teilhabe überhaupt nicht. Anders sieht dies bei GbR und GmbH aus. Über entsprechende Gesellschafterverträge lassen sich alle möglichen Formen der demokratischen Teilhabe realisieren. Sogar die Selbstverwaltung, also die Aufhebung des Widerspruchs zwischen Betrieb und Unternehmen, ist durchführbar. Das Genossenschaftsgesetz erlaubt dies nicht. Die Grundkonstruktion von Generalversammlung, Aufsichtsrat und Vorstand ist nicht auflösbar. Dafür sind die Prinzi- ökol. und soziale Zielsetzung Eigenkapitalmobilisierung Aktivierung von Selbsthilfe Partizipation Selbstverwaltung Stimmrechtsbeschränkung Anlegerbeteiligung Kapitalneutralisierung Dauerhaftigkeit Fremdmittelbeschaffung Kreditwürdigkeit Haftungsbeschränkung Mindestkapitalausstattung Rechtsformkosten pien der demokratischen Teilhabe (inklusive Stimmrechtsbeschränkung) unabänderliches Grundprinzip der Genossenschaften. Die Möglichkeit der Kapitalneutralisierung lässt sich, wie die demokratische Teilhabe, vor allem in Genossenschaft, GmbH und GbR realisieren. Auch hier Bedarf es jedoch bei GmbH und GbR eines besonderen Gesellschaftervertrags. Die großen Vorteile der KG und der AG liegen im Wesentlichen in der Aktivierung von Fremdkapital (LoveMoney). Ökologisch und sozial gebunden können auf diesem Wege viele interessante Projekte realisiert werden (Windkraftfonds, ökol. Immobilienfonds). Einer der Hauptnachteile der Genossenschaft eG GmbH GbR AG KG Stiftung + + + + ++ + +/+ + + - + + + + + + + + + o ++ o + + + + + + + + + + ++ + + o + o ++ + + o + 1 +/++ + 2 +/+ + + 3 3 3 3 ++ ++ + + + + + 1 nur durch Beteiligung neutraler Dritter (internes Kontrollmodell) nur für Kommanditisten, keine Komplementäre 3 eine Nutzer- und Anlegerbeteiligung ist ausgeschlossen, der Stiftungsrat ist unabhängig 2 Darst. 25: Zusammenfassung Rechtsformen Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Neuling, Pfade, 1987, S.145ff Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht sind, neben der Unflexibilität, die hohen Rechtsformkosten, die insbesondere für kleinere Projekte nicht zu tragen sind. Die GbR ist viel günstiger und unkomplizierter zu realisieren, zumal es auch keinen Zwang zur Mindestkapitalausstattung gibt. Dafür genießt die GbR nicht den Vorteil der Haftungsbeschränkung - für viele Unternehmen ein ganz entscheidendes Kriterium, welches von den meisten anderen Rechtsformen gewährt wird. Das Kriterium der Dauerhaftigkeit (und damit auch der dauerhaften Spekulationsfreiheit) wird von keinem der oben erwähnten Gesellschaftsformen zufriedenstellend erfüllt (Ausnahme Stiftung). Damit komme ich zum Oppenheimer´schen Transformationsgesetz. 4.1.8 Mischkonstruktionen Oppenheimer. Das Oppenheimer´sche Transformationsgesetz sagt aus - und belegt diese Aussage statistisch - dass Produktionsgenossenschaften notwendigerweise scheitern müssen, entweder ökonomisch, weil sie mit dem Marktgesetzlichkeiten nicht zurechtkommen, oder ideell, weil der Erfolg nur unter Preisgabe der Selbstverwaltungs- und anderer Ideale möglich war. In der englischen Theorie der Kooperativen ist dieses Gesetz als ‘Failure through success’ bekannt. Gemäß der Satzungsautonomie lassen sich alle guten Vorsätze, die in einem Gesellschaftervertrag beschlossen werden, auch wieder auflösen. So können die Kriterien der Selbstverwaltung und Kapitalneutralisierung per Gesellschafterbeschluss jederzeit wieder abgeschafft und das Unternehmenskapital „versilbert“ und aufgeteilt werden. Das Genossenschaftsgesetz bietet hier einige Schutzmechanismen, aber letztendlich können auch Genossenschaften aufgelöst werden. Jede Organisation erliegt auf Dauer der Versuchung, einmal gewonnene Annehmlichkeiten und Erfolge für sich zu beanspruchen bzw. nicht weiterzugeben. Besonders prekär wird diese Tatsache, wenn es um solidarische Finanzierungsmodelle geht. Wer möchte schon ein Projekt unterstützt und gefördert sehen, welches sich mittelfristig auflöst, um Unternehmensgewinne abzuschöpfen? Welcher Projektgründer sieht es gerne, wenn die Nachfolgegeneration peu a peu zu eigenen Gunsten den Gesellschaftervertrag modifiziert? Die oben erwähnte Stiftung scheint aus mehreren Gründen einen Ausweg aus dem Dilemma mangelnder Dauerhaftigkeit zu weisen. Sie ist deswegen als einzige der Organisationsstrukturen eindeutig als dauerhaft zu bezeichnen, weil sie neutral ist. Das heißt: Die Mitglieder der Stiftung können nicht gleichzeitig auch Mitglieder des geförderten Projektes sein. Um einer weitest gehenden Projektautonomie gerecht zu werden, bedarf es andererseits einer Begrenzung der Einflussnahme der Stiftung, die eine demokratische Anteilnahme aus den oben beschriebenen Gründen nicht vorsieht. Mathias Neuling entwickelt auf Grundlage dieser Überlegungen in seinem 1986 erschienen Buch „Auf fremden Pfaden“ ein Kontrollund ein Nutzermodell. Grundlage dieser Modelle ist eine Trennung zwischen selbstverwalteten und autonomen Projekten einerseits und andererseits einer neutralen Kontrollorganisation, die über die Einhaltung von Grundlagen wacht, nicht den betrieblichen Alltagszwängen ausgesetzt ist und keine wirtschaftlichen Interessen an dem Projekt verfolgt. Kontrollmodell. Das Kontrollmodell versucht diese neutralen „Wächter“ innerhalb einer Organisation unterzubringen. Neuling hält dieses interne Kontrollmodell bei der GmbH, der KG und der Genossenschaft für durchführbar. Die in Darstellung 27 dargestellten Neutralen müssten demnach Genossen oder Gesellschafter sein, deren Stimmrechte auf Grundlagen beschränkt werden können und die von Gewinn und Nutzen des Projektes ausgeschlossen werden können. 59 60 Rahmenbedingungen - Gesellschaftsrecht Verwaltungsorganisation Betrieb Grundlagen Neutrale Geschäftsführung Projektmitglieder Darst. 27: Kontrollmodell Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Neuling, Pfade, 1987, S.32 Nutzermodell. Im Nutzermodell (s. Darstellung 26) ist die Trennung der Projektmitglieder vom Eigentum am Betrieb noch weitgehender durchgeführt. Es bestehen zwei gesellschaftsrechtlich unabhängige Organisationen. Zum einen gibt es die Unternehmensorganisation, den eigentlichen Betrieb, der selbstverwaltet, demokratisch, unabhängig, etc. geführt werden kann, ohne dass ein Dritter Eingriffsund Kontrollrechte besitzt. Zum anderen wird das Betriebskapital von einer weiteren Organisation verwaltet. Diese Verwaltungsorganisation hat die Aufgabe, dem Projekt die erforderlichen Mittel zur Nutzung bereitzustellen. Dieses Nutzungsrecht besteht allerdings nur unter der Bedingung, dass gewisse Prinzipien (z.B. der Selbstverwaltung, sozialer Auftrag, etc.) eingehalten werden. Wird gegen diese Vereinbarung verstoßen, muss die Verwaltungsorganisation den Nutzungsvertrag kündigen, was zugleich der einzige Fall ist, in dem die Verwaltungsorganisation tätig werden darf. Sie kann somit das Kapital nicht selbst nutzen oder gar verwerten, wodurch die (Projektexterne Mitglieder) bedingter Kapitalnutzungsvertrag bedingter Kapitalnutzungsvertrag Projekt Projekt Projekt Selbstverwaltung (Autonomie) Selbstverwaltung (Autonomie) Selbstverwaltung (Autonomie) Darst. 26: Nutzermodell Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Neuling, Pfade, 1987, S.34 Verwaltungsorganisation der wesentlichen Eigentumsrechte entledigt ist. Die bereits erwähnte Lawaetz-Stiftung ist ein Beispiel für eine solche Konstruktion. Sie vergibt, in Verbindung mit einem Erbpachtvertrag, Häuser und Grundstücke an Genossenschaften (FalkenriedTerrassen e.G.). Ebenso verhält sich die in Kapitel 5 beschriebene PWG-Stiftung. Das Mietshäuser Syndikat hat eine GmbH als Verwaltungsorganisation, die zusammen mit den jeweiligen Hausvereinen eine Haus-GmbH gründet. Auch dieses Beispiel wird in Kapitel 5 beschrieben. Seine größte Wirkung entfaltet eine solche Konstruktion insbesondere in Kombination mit einem solidarischen Finanzierungsfond, der ebenfalls Bestandteil des Mietshäuser Syndikats ist der aber auch in abgewandelter Form im Kraftwerk, Solidair und der PWG-Stiftung vorkommt (s. Projekte Kapitel 5). Diesen Solidarfonds habe ich in Kapitel 4.2 (Finanzierung) noch näher erläutert. Rahmenbedingungen - Finanzierung 4.2 4.2.1 Finanzierung Das gesellschaftliche Verständnis in Deutschland geht bislang sehr stark von einer Arbeitsteilung zwischen dem Sozialstaat und der freien Wirtschaft aus. Im ersten Kapitel habe ich beschrieben wie eine rein von ökonomischen Interessen geleitete Globalisierung die Handlungsmacht des Sozialstaates vermindert und damit auch das Funktionieren einer solchen Arbeitsteilung in Frage stellt. Die im zweiten Kapitel beschriebenen Lösungsansätze versuchen dementsprechend, die Privatwirtschaft bzw. das Individuum stärker in den sozialen Kontext zu stellen. Dabei geht es im Wesentlichen, u.U. in Kombination mit staatlichen Mitteln, um die Aktivierung von Eigenkapital in Form von Geld und Eigenarbeit sowie um die Aktivierung von sozial bzw. ökologisch orientierten Fremdmitteln. Die von mir untersuchten Projekte sind auf das ganze Spektrum alternativer Finanzierungsinstrumente angewiesen, da ihnen der Zugang zu normalen Geldquellen meist verwehrt bleibt. wenig Eigenkapital ? weniger Förderung Projektfinanzierung ? ? geringe Kreditchancen Darst. 28: Projektfinanzierung Quelle: eigene Darstellung Banken Die Banken spielen bei der Projektfinanzierung eine herausragende Rolle. In Deutschland gibt es mit den Sparkassen und Volks- und Regionalbanken Finanzinstitutionen, die über ihre ökonomische Orientierung hinweg einen öffentlich-rechtlichen Auftrag erfüllen. Im Besitz der Kommune kommt ihnen eine wichtige Rolle bei der Versorgung mit Finanzdienstleistungen auf lokaler Ebene zu. In einem Bericht zum Social Investment vom Institut für Finanzdienstleistungen wird dies wie folgt ausgedrückt: „Sparkassen bringen ihre Kompetenz und ihr Engagement dort gezielt ein, wo sie in unserem durch föderalen Staatsaufbau, kommunale Selbstverwaltung und eine überwiegend mittelständische Wirtschaft geprägten Gemeinwesen die größte Wirkung entfalten: vor Ort, an der Wurzel". ( IFF, Social Investment, 1998) Daneben gibt es noch landeseigene Förderbanken wie die IBB in Berlin, sowie die deutschlandweit agierende Kreditanstalt für Wiederaufbau. Diese Banken sind in der Lage, über ihr wirtschaftliches Interesse hinweg Geld nach sozialen und ökologischen Kriterien zu vergeben (s. Kapitel 4.2.2). Amerika. Eine Ausgangssituation, die durchaus nicht selbstverständlich ist. In Amerika gibt es oben genannte Institutionen nicht. Banken sind in Amerika in der Regel privatwirtschaftlich organisiert. Für diese Banken sind kleine und mittelständische Unternehmen und Projekte in der Regel uninteressant, bzw. lokales und regionales Investment wird von diesen Banken gemieden. Als „red lining“ bezeichnete man in den 70er und 80er Jahren die gängige Geschäftspraxis von Banken, Unternehmen und Haushalten innerhalb dieser rot markierten Stadtteile keine Kredite zu geben (vgl. Müller, 29 Ways, 1998). Angesichts dieser Praxis war die Entstehung von Slums nicht weiter verwunderlich. Interessanterweise entwickelten sich aus dieser Notlage und aus 61 62 Rahmenbedingungen - Finanzierung privater und gemeinschaftlicher Initiative heraus eine Vielzahl bemerkenswerter Institutionen, die als Community Development Financial Institutions (CDFI) bezeichnet werden und die es sich zur Aufgabe gesetzt haben, die Lücke zwischen Gemeinwesen und Wirtschaft zu schließen. In städtischen und ländlichen Gebieten gab es 1998 mehr als 575 CDFIs, die Kredite, Investitionen und umfangreiche Entwicklungsleistungen unter ökologischen und vor allem sozialen Aspekten anboten. Ihren Erfolg bewerten Community Development Financial Institutions nicht ausschließlich an ihrem eigenen wirtschaftlichen Zugewinn, sondern auch an der Mitwirkung beim Wiederaufbau und Ausbau von Unternehmen, Wohnhäusern, Freiwilligenorganisationen und anderen zentralen Einrichtungen sowie an der Schaffung von Arbeitsplätzen (vgl. Müller, 29 Ways, 1998). In der Fachliteratur unterscheidet man zwischen vier verschiedenen Arten von CDFIs: Community Development Banks, Community Development Credit Unions, Community Development Loan Funds und Micro-Loan Funds. CDBs. Community Development Banks bieten konventionellen Banken vergleichbare Dienstleistungen an, unterscheiden sich von ihnen jedoch durch die geographisch definierte Aufgabe der Entwicklung eines Gemeinwesens. CDCUs. Community Development Credit Unions (CDCUs) sind gemeinnützige, aber durch bundesstaatliches Recht regulierte Finanzgenossenschaften, die ihren Mitgliedern vergünstigte Dienstleistungen im Kleinkreditbereich anbieten (Beispiel: Self-Help Credit Union in North Carolina). CDLFs. Community Development Loan Funds (CDLFs) sind ebenfalls gemeinnützig. Sie unterscheiden sich hauptsächlich von den beiden erstgenannten CDFI´s dadurch, dass sie von keiner Bankaufsichtsbehörde reguliert werden. Vielmehr treten sie als Finanzvermittler auf, die Geldmittel von Einzelpersonen und Institutionen sammeln, um damit Sozialen Wohnungsbau oder lokale Unternehmen zu unterstützen. Die Investoren akzeptieren bei gleichem Risiko für ihre Einlagen Gewinne unterhalb des üblichen Marktniveaus. MLFs. Micro-Loan Funds (MLFs) sind gemeinnützige Fonds, die kleine, kurzfristige Kredite zwischen 250 und 10.000 US-Dollar zur Unterstützung von Gründung oder Expansion kleiner Unternehmen anbieten. Das geographische Zielgebiet eines Micro-Loan Funds ist meist auf ein ganzes Stadtgebiet bezogen oder sogar noch größer. Die Kreditnehmer bestehen hauptsächlich aus Frauen, Sozialhilfeempfängern, Arbeitslosen und Menschen aus den ärmeren Arbeiterschichten, die ein kleines Unternehmen aufbauen wollen. Die MLF´s selbst erhalten ihr Geld in der Regel von Stiftungen in der Form von Zuschüssen oder Krediten, von Regierungsstellen, Banken oder anderen Finanzinstituten, die sich in ein Gemeinwesen einbringen wollen (ebenda). Wie bereits in Kapitel 2.7 erwähnt werden in Amerika durch diese Institutionen und durch Stiftungen ganz erhebliche Summen aktiviert - eine auch für Deutschland interessante Perspektive, zumal der Handlungsspielraum von Volksbanken und Sparkassen immer mehr eingeschränkt wird. 4.2.2 Alternative Banken In Deutschland gibt es zur Zeit zwei Banken, die privatwirtschaftlich im Bereich der ethisch, ökologischen, sozialen Geldanlagen arbeiten: die traditionelle GLS-Bank (mitsamt der gerade übernommenen Ökobank) und die Umweltbank. Obwohl die Bilanzsummen dieser Banken (insbesondere der Umweltbank) steigen, machen sie heute mit ca. 450 Mio. € nur einen geringen Anteil der Gesamtumsätze aus. (Vergleich Deutsche Bank: 600 Mrd. €). Für die Realisierung alternativer Projekte haben diese Banken in den letzten Jahrzehnten jedoch eine bedeutende Rolle Rahmenbedingungen - Finanzierung gespielt. Die GLS Gemeinschaftsbank gibt es seit 1975. Sie ist als Bank der anthroposophischen Bewegung gegründet worden und fördert seit längerem ethische, ökologische und soziale Projekte mit Hilfe von Privatkapital. Dazu gehören Walldorf-Schulen, Kindergärten, ökologische Landwirtschaft, regenerative Energiegewinnung, gemeinschaftliche, ökologische und soziale Wohnprojekte und andere Alternativprojekte. Die Gemeinschaftsbank arbeitet ohne Gewinn. Kreditnehmer zahlen keinen Zins, sondern einen Deckungsbeitrag zur Finanzierung der Geschäftsausgaben der Bank, der am Ende des Geschäftsjahres ermittelt wird (4,5 % - 2000). Die GLS-Bank finanziert zur Zeit über 1.400 ökologische und soziale Projekte in ganz Deutschland. Dazu gehören auch diverse Wohnprojekte wie die Wogeno, das Ökodorf Groß-Chüden, etc.. Neben dem Bankgeschäft gibt es die Gemeinnützige Treuhandstelle, die Schenkungen und Stiftungen verwaltet und die GLS Beteiligungs AG, welche mit der GLS-Bank zusammenarbeitende Unternehmen bei der Beschaffung von Eigenkapital unterstützen soll. Hinsichtlich der Geldanlagen bietet die GLS–Bank das bankenübliche Spektrum: Sparbriefe, Ansparpläne, Sparkonten, Bankmitgliedschaften, Fonds, etc.. Über die Ökobank bietet die GLS–Bank in Zukunft indirekt auch Aktien und Aktienfonds an (vgl. GLS, Homepage, 2002). Die Umweltbank unterscheidet sich von der GLS Bank vor allem durch eine stärkere Fokussierung auf ökologische Produkte. Zudem arbeitet sie fast ausschließlich via Direktbanking (Internet und Telefon) und kann deswegen eine höhere Verzinsung anbieten. Aktien und Aktienfonds, Windkraftfonds und seit neuestem sogar ein erster ökologischer Immobilienfonds gehören zu den Schwerpunkten dieser Bank (vgl. Umweltbank, Homepage, 2002). 4.2.3 Direktbeteiligungen/Venturekapital Es bieten sich viele Möglichkeiten an, den Eigenkapitalanteil eines Projektes zu vergrößern und externe Geldgeber direkt an dem Projekt/Unternehmen zu beteiligen. Diese Direktbeteiligungen bieten dem Investor zahlreiche Vorteile. Er ist u.U. direkt am Unternehmensgewinn beteiligt, er weiß genau, was mit seinem Geld geschieht und kann eventuell auch auf die Unternehmenspolitik Einfluss nehmen. Oft kann er als Mitunternehmer auch steuerliche Vorteile nutzen (bei Personengesellschaften). Demgegenüber stehen die finanziellen Risiken, die man bei einer solchen Beteiligungsform mittragen muss sowie der oft lange Bindungszeitraum. Mögliche Anlagekonstellationen sind z.B. Beteiligungen als typischer oder atypischer „stiller Gesellschafter“ einer GmbH, als Kommanditist einer KG oder einer GmbH & Co KG, als Anteilsscheininhaber einer Genossenschaft und als direkter, privater Darlehensgeber. Darüber hinaus gibt es noch offene und geschlossene Fonds (z.B. Immobilienfonds). Diese Beteiligungen können direkt mit den Projekten vereinbart werden. Es gibt jedoch auch in der Branche ökologischer und sozialer Geldanlagen einen wachsenden Markt von Vermittlern (z.B. Bobikiewicz & Partner, alterra consult, Umweltfinanz GmbH, Future Invest, etc). Privatdarlehen/Direktkredite. Zu Sparbuchzinsen lassen sich wunderbar Projekte realisieren. Dieser Grundgedanke steht hinter der Idee des Direktkredites. Anstatt Geld bei der Bank mittels eines Sparbuchs zu 2 - 3% anzulegen, damit diese das Geld dann für 5 7% weiterverleihen, kann man dieses Geld auch direkt einem bestimmten Projekt zukommen lassen. Das Mietshäuser Syndikat finanziert seine Projekte zu ca. 50% über Privatkredite, die mit 0 – 3% verzinst werden. Die Mindestlaufzeit sollte 3 Monate betragen. Die Sicherheit dieser Anlage ergibt sich aus der Ertragskraft, dem Wert der Immobilie und durch eine 63 64 Rahmenbedingungen - Finanzierung grundbuchliche Absicherung. Für kurzfristige finanzielle Engpässe stellt die GLS-Bank einen Kreditrahmen zur Verfügung. Für jeden Kredit wird ein Vertrag abgeschlossen, in dem alle Details geregelt sind (vgl. Mietshäuser Syndikat, Homepage, 2002). Sparbücher. Einige der von mir untersuchten Genossenschaften bieten Mitgliedern Sparbriefe oder Sparbücher an. Von diesen Einlagen profitieren die Nutzer auf doppelte Weise. Einerseits kassieren sie die jährlichen Zinsen, andererseits verringern sie die Hypothekenbelastung des eigenen Projektes und ermöglichen dadurch indirekt niedrigere Mieten. So bietet die Berliner Bau- und Wohngenossenschaft von 1892 seinen Mitgliedern 3,25 % Sparbuchzinsen, Festzins- und Bonus-Raten-Sparen sowie neuerdings ein Rentenmodell an (vgl. BBW 1892, Homepage, 2002). Das Kraftwerk 1 hat eine Depositenkasse aufgelegt. Die Zinsen liegen, je nach Geschäftslage, zwischen dem Sparheftzins der Züricher Kantonalbank und dem Zinssatz für Neuhypotheken. Die Kündigungsfristen liegen je nach Geldvolumen zwischen ein und sechs Monaten (vgl. Kraftwerk 1, Homepage, 2002). Die Wogeno kooperiert bei ihren festverzinslichen Sparbriefen mit der GLS–Bank und verzinst diese mit 3,25 – 5 % (vgl. Wogeno, Homepage, 2002). stille Beteiligungen (GmbH). Diese Beteiligungsform spielt beim Mietshäuser Syndikat eine bedeutende Rolle. Ältere Projekte, die im Laufe der Jahre Gewinne erzielen konnten, beteiligen sich in Form einer „stillen Beteiligung“ an neugegründeten „Hausbesitz GmbHs“. chen Vorteilen (z.B. Verlustzuweisung). Außerdem nimmt er am Unternehmensgewinn teil. Die Stadtwerk KG errechnet für ihre Kommanditisten z.B. für die ersten Jahre einen Unternehmensgewinn von 2,3 %. Hinzu kommt, dass durch die laufende Tilgung der Wert der Immobilie steigt (Tilgungsgewinn: 1,8 % p.a.). Es ergibt sich also ein Gesamtgewinn von 4,1 % p.a. in den ersten Jahren. Die Gesellschaft erwirtschaftet durch die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten zwölf Jahre lang keinen Gewinn. In den ersten Jahren werden sogar Steuerminderungen für die Anleger möglich. Im Fall der Stadtwerk KG gibt es einerseits klassische Kommanditisten, anderseits hat die Umweltbank einen Immobilienfonds aufgelegt, der die Suche nach Anlegern über ein prominentes Institut erleichtert und der an Stelle eines Kommanditisten an der Stadtwerk KG teilnimmt (vgl. Stadtwerk KG, 2002). Um die Haftung des Komplementärs zu beschränken, wird oft eine GmbH & Co KG gegründet, welche mit seiner auf das Gesellschaftskapital beschränkten Haftung in die „Rolle des Vollhafters schlüpft“. Genossenschaftsanteile. Um Mitglied in einer Genossenschaft zu werden, müssen Genossenschaftsanteile gezeichnet werden. Diese Anteile machen in der Regel die Eigenkapitalbasis einer Genossenschaft aus. Nach Verlassen der Genossenschaft werden die Anteile zurückgezahlt. In älteren, ausfinanzierten Wohnungsbaugenossen- So beteiligte sich z.B. das Projekt Grether West mit 100.000 € an dem Neubaugenossenschaften verlangen wegen des fehlenden Startka- Mietshaus Grether Süd (Gesamtinvestition 700.000 €). Über diese pitals auch schon mal 15.000 Form der Beteiligung lassen sich unter Umständen auch steuerlich interessante Verlustzuweisungen beanspruchen (vgl. Mietshäuser nicht verzinst. Der Nutzer profitiert durch die Bereitstellung einer verbesserten Dienstleistung (günstiger Mietzins, bessere Wohnqualität). Um die Eigenkapitalbasis weiter zu stärken, verzinst die WOGENO in München von den Genossenschaftsmitgliedern zusätzlich gezeichnete Anteilsscheine mit bis zu 4 %. Auch die Genossen- Syndikat, Homepage, 2002). Kommanditist einer KG oder GmbH & Co KG. Als Kommanditist einer KG (Personengesellschaft) profitiert der Anleger von steuerli- schaften liegen die Anteile oft bei nur 150 - 1000 € . Jüngere - 25.000 € . Diese Einlagen werden Rahmenbedingungen - Finanzierung schaftsförderung nach dem Eigenheimzulagegesetz sieht (noch) die Beteiligung von Fremdanlegern vor. Eine äußerst lukrative Angelegenheit (s. Kapitel 4.3.7). 4.2.4 Stiftungen Seit dem 9. Juni 2002 gibt es eine Neuregelung des Stiftungssteuerrechts, die den Gesetzesentwurf vom März 2000 ergänzt. Sinn dieser Änderungen ist es, das Stiftungswesen in Deutschland attraktiver zu machen und zu einer weiteren Ausbreitung beizutragen. Stiftungen, die privatnützige Zwecke verfolgen, insbesondere Familien oder Unternehmensstiftungen, sind mit Vermögen und Erträgen allgemein steuerpflichtig. Dagegen zahlen Stiftungen, die gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgen, weder Körperschafts- noch Vermögenssteuer. Bei Einbringung eines Erbes werden die Stiftungsbeträge von der Erbschaftssteuer befreit. Ebenso wurden die Rahmenbedingungen für die Rücklagenbildung verbessert. Bisher konnten Stifter nur 5% bzw. 10% des zu versteuernden Einkommens als Stiftungsbetrag von der Steuer absetzen, verteilt über einen Zeitraum von 7 Jahren. Beispiel: Ein Spender hat ein Einkommen in Höhe von 200.000 DM. Nach alter Regelung sind jährliche Zuwendungen bis zu zehn Prozent des Gesamtbetrages der Einkünfte, also 20.000 DM, als Sonderausgabe abziehbar. Über einen Zeitraum von sieben Jahren ist damit ein einmaliges Spendenvolumen von insgesamt 140.000 DM abzugsfähig. Bei einem Spitzensteuersatz von 50 % sparte er also 10.000 DM. Mit dieser Begrenzung wollte der Gesetzgeber einen zu großen Verlust an Steuereinnahmen verhindern. Nach der neuen Gesetzgebung erhöht sich der jährliche Betrag um 40.000 DM. Hinzu kommt, dass ein Stiftungsneugründer, damit er seiner Stiftung möglichst schnell zu einem relevanten Anfangskapital verhelfen kann, noch einmal zusätzlich 600.000 DM über 10 Jahre abschreiben kann. Dies summiert sich zu 780.000 Mark steuerbegünstigten Stiftungskapitals. Der Staat erkennt damit an, dass gemeinnützige Einrichtungen sein Handeln sinnvoll ergänzen. Dafür verlangt der Gesetzgeber, dass die Stiftung laut Satzung und tatsächlicher Geschäftsführung ausschließlich gemeinnützige, mildtätige oder kirchliche Zwecke verfolgt (Verzeichnis der besonders förderungswürdigen Ziele). Dies hat der Stifter bzw. der Treuhänder, wenn er die Gemeinnützigkeit für die Stiftung beantragt, dem Finanzamt alle drei Jahre nachzuweisen (vgl. Bertelsmann-Stiftung, 2002 und Neuhard, Stiftungen, 2002). 4.2.5 Immobilienfonds Geschlossene Immobilienfonds sind Personengesellschaften entweder in Form der GbR oder der vermögensverwaltenden Kommanditgesellschaft, in denen eine begrenzte Anzahl von Anlegern zusammengeschlossen ist. Diese erwerben und verwalten gemeinsam eine oder mehrere Immobilien. Vor allem durch die Sonderabschreibung erlebten diese Fonds in der Nachwendezeit einen sehr starken Zulauf, boten sie doch die Möglichkeit, durch Verlustzuweisungen die Steuerlasten erheblich zu senken. Nach dem Ende der Sonderabschreibung sollte die Renditeorientierung im Gegensatz zur Steuerorientierung wieder eine größere Rolle spielen. Die meisten Anleger wandten sich jedoch lieber anderen Fonds zu (Medien-, Schiffs- und Windkraftfonds). Bezüglich der Werbungskosten gab es zum Ende des Jahres 2001 noch einmal eine Verschärfung. Von Steuersparmodellen bei Immobilienfonds kann man in Zukunft also nur noch bedingt reden. Ähnlich wie bei den offenen Fonds hat der Anteil der Auslandsmodelle bei den geschlossenen Fonds zugenommen. Zielgruppe dieser Fonds sind jedoch eher die Steuervermeider als die Steuersparer. Einkünfte aus der Vermietung einer Immobilie werden nämlich in dem Land besteuert, in dem die Immobilie liegt. Dementsprechend 65 Rahmenbedingungen - Finanzierung können die niedrigen Steuersätze und die hohen Freibeträge von Ländern wie USA oder Holland genutzt werden. Schwierig bei allen geschlossenen Immobilienfonds ist es, die „Guten“ von den „Schlechten“ zu unterscheiden. Was die teilweise extrem umfangreichen Prospekte versprechen, ist in der Regel nicht einmal von Experten schlüssig zu überprüfen. Hinzu kommt, dass es keinen direkten Markt für Fondsanteile gibt. Es ist u.U. also nicht so einfach, seinen Anteil wieder zu verkaufen (vgl. Zitelmann, Immobilien, 2002, S.113ff). In Deutschland gibt es im Moment zwei geschlossene Immobilienfonds, die mit einer ökologischen oder sozialen Nachhaltigkeit werben. Die Stadtwerk KG bietet einen über die Umweltbank verbreiteten Fonds zur sozialen und ökologischen Stadterneuerung an, der aus 5 Altbauprojekten bestehen soll. Dieses Modell ist im Kapitel 5.2.2 detaillierter beschrieben. Der Freiburger Solarfonds baut 15 Plusenergiehäuser mit Remisen und Tiefgaragenstellplätzen. Aktuell kann man sich ab 5.000 € zzgl. Agio an diesem Fonds beteiligen. Die jährliche Rendite soll bei ca. 5,5 % liegen. Welche Risiken mit einer solchen Anlage verbunden sein können, zeigt das Beispiel der Rommelmühle in Stuttgart, eines Ökokaufhauses samt Wohnungen mit ausgewählten Dienstleistungsunternehmen. Dieses Projekt scheiterte und damit auch (u.a.) die Ökobank. Offene Immobilienfonds sind Investmentfonds, welche die Gelder von Anlegern sammeln, um damit Immobilien (Büro, Gewerbe, Wohnen) zu erwerben. „Offen“ sind sie sofern sie einer unbegrenzten Zahl von Anlegern zugänglich sind und indem sie ein weit gestreutes Portfolio beinhalten, welches zumindest aus zehn verschiedenen Grundstücken bestehen muss, von denen keines mehr als 15 % des Sondervermögens ausmachen darf. Diese Vorschriften sind im „Gesetz über Kapitalanlagegesellschaften (KAGG)“ genau geregelt. An offenen Fonds können sich Kleinstanleger oft schon mit geringen Beträgen beteiligen (z.B. 50 €). Das KAGG verlangt auch, dass offene Fonds mindestens 5 % des Wertes des Sondervermögens als Mindestliquidität halten müssen, um eine Auszahlung des Investments jederzeit gewährleisten zu können. Dies bedeutet jedoch nicht, dass sich offene Fonds dazu eignen, kurzfristig Geld „zu parken“ wie auf einem Sparbuch. Ein Ausgabeaufschlag von meistens 5 bis 5,5 % und eine laufende Verwaltungsgebühr würden eine sehr kurzfristige Investition sehr unrentabel machen. Die Performance offener Fonds lag in den Jahren 1974 bis 2001 bei durchschnittlich 6,4 %. Besonders wichtig für den Anleger ist die Tatsache, dass selbst im schlechtesten Jahr 3,6 % erreicht werden konnten. Offene Immobilienfonds sind damit deutlich beständiger als z.B. Aktienfonds. Hinzu kommt, dass die Erträge offener Fonds zu einem erheblichen Teil steuerfrei sind (Spekulationsfrist). Besonders hoch ist der steuerfreie Anteil bei Immobilienfonds mit einem hohen Auslandsanteil (vgl. Zitelmann, Immobilien, 2002, S.107ff). Fondsvolumen geschlossener Immobilienfonds in Deutschland 16 14 Milliarden Euro 66 12 10 8 6 4 2 0 1996 1997 1998 1999 2000 2001 Darst. 29: geschlossene Immobilienfonds Quelle: eigene Darstellung nach Zitelmann, Immobilien, 2002, S.114 Rahmenbedingungen - Finanzierung 4.2.6 Solidarfonds (revolvierende Fonds) Die Idee, die Finanzierung der Wohnraumversorgung durch einen revolvierenden Solidarfonds zu finanzieren, ist in den letzten 100 Jahren immer mal wieder beschworen worden. Der Grundgedanke dieser Fonds ist folgender: Je nach Tilgungszeit und Zinssatz werden Häuser im System der privatwirtschaftlichen Rückwärtsfinanzierung von den Mietern mehrfach „erarbeitet“ – innerhalb von 30 bis 60 Jahren normalerweise zwei- bis dreimal. Für ein 1 Mio. DM teures Haus, müssen also 2-3 Mio. DM aufgebracht werden. Dadurch ergibt sich die Situation, dass der Zinsanteil an der Miete durchschnittlich 50 – 70 % ausmacht (vgl. Novy, Wohnreform, S.104). Solidarfonds basieren auf dem Prinzip, die Abhängigkeit der Finanzierung von der privatwirtschaftlichen Rückwärtsfinanzierung durch Kredite dadurch zu lösen, dass Mieter von Bestandshäusern, die bereits abgezahlt sind, über die normale Miete hinaus einen Beitrag zu einem Solidarfonds leisten (ca. 1-3%), aus dem über zinslose Darlehen Neubauten realisiert werden. Betrachtet man die oben genannten Zahlen, so erkennt man, welch ein Verbilligungspotential allein in der Ausschaltung des Verzinsungszwanges gesehen werden muss (auch im Vergleich zu den zusätzlichen Belastungen durch den Solidarfonds). Hinzu kommt das Ausschalten von Entschuldungsgewinnen und unrealistischen Abschreibungen und Wertsteigerungen, die vom Mieter erbracht werden müssen. Das revolvierende Prinzip dieses Fonds garantiert auch eine Stetigkeit, die unabhängig ist von Politik und Konjunktur (vgl. Novy, Trägerformen, S.52, Darstellung 30 A). Das Prinzip eines „solidarischen Perpetuum Mobile“ ist wie gesagt nicht neu. Man findet es in Ansätzen in der Wohnreformbewegung des frühen 20. Jahrhunderts z.B. in der Zeiss-Stiftung von 1921-1923, in der Hamburger Konsumgenossenschaft von 1912 oder als internen Solidarfonds in der Genossenschaftsbewegung überhaupt. Auch in den 70er und 80er Jahren wurde er in Deutschland u.a. durch Klaus Novy des öfteren beschworen (vgl. Novy, Wohnreform, S.109f). Es gibt jedoch zwei Grundschwierigkeiten, mit denen sich eine solche Form der Solidarität immer wieder auseinandersetzen muss. Erstens ist es schwierig, entschuldete Häuser zu finden, die sich in der Anfangsphase einer solchen Solidarität verschreiben, ohne selber noch davon profitieren zu können. Zweitens ist es kompliziert, innerhalb einer Organisation eine Dauerhaftigkeit dieses Modells realisieren zu können. Insbesondere in Bezug auf das Problem der Dauerhaftigkeit bieten sich die Möglichkeiten der in Kapitel 4.1.8 beschriebenen Mischkonstruktionen an. Die Anfangsprobleme lassen sich wohl nur durch eine staatliche oder stiftungsbezogene Anschubfinanzierung bewerkstelligen. In Kapitel 4.1.5 habe ich die Mietergenossenschaft in Verbindung mit der Lawaetz-Stiftung vorgestellt. In dieser Konstruktion ist das Prinzip des Solidarfonds dauerhaft realisiert. Die Mietergenossenschaft zahlt über den Erbpachtvertrag auf unbegrenzte Zeit einen Teil der Miete als Solidarbeitrag zurück an die Lawaetz-Stiftung, die durch dieses Geld neue Projekte realisieren kann. Die Grundkapitalausstattung der Stiftung kommt von der Stadt. Ähnliche Prinzipien werden bei der PWG–Stiftung angewandt, die ebenfalls eine Anschubfinanzierung von der Stadt erhalten hat (Kapitel 5.2.7). Die Entstehung des Kraftwerks 1 (Kapitel 5.2.3) wurde durch den „Fonds de Roulement“ des Schweizer Verbandes für Wohnbau- und Eigentumsförderung (SWE) gefördert, der zinsgünstige Kredite an gemeinnützige Projekte vergibt. Mit den anfallenden Zinsen der Altprojekte und der zurückgezahlten Darlehen fördert dieser Fonds wieder neue Projekte, insbesondere in der kapitalintensiven Anfangsphase. Er ist damit ebenfalls ein revolvierender Fonds, der allerdings auf dem Prinzip der zinsverbilligten Rückwärtsfinanzierung funktioniert und keine dauerhafte Integration der Projekte 67 68 Rahmenbedingungen - Finanzierung bewirken kann (s. Darstellung 30 B). Der Fonds des Mietshäuser Syndikats entspricht vielleicht am ehesten dem oben beschriebenen Ursprungsprinzip. Die einzelnen Hausprojekte zahlen zusätzlich zur normalen Miete einen Solidarbeitrag in einen Fonds. Von diesem Geld (zwischen 0,50 und 0,05 € /m²) werden neue Projekte finanziert. Dabei zahlen ältere, entschuldete Projekte einen höheren Betrag als neuere Projekte. Der Betrag basiert auf einer freiwilligen Vereinbarung, die jedes Jahr wieder neu gefasst und von den Einzelprojekten auch ignoriert werden kann. Dementsprechend gering sind die oben genannten Beträge. Sie machen bei der Neufinanzierung von Projekten nur einen marginalen Bestandteil aus. Das Projekt „Solidair“ unterhält ebenfalls einen Solidarfonds. Dieser Fonds ist offen für externe Geldanleger und richtet sich an die unterschiedlichsten Bedürfnisse der Projektmitglieder. So werden Wohn-, Arbeits- und Kulturprojekte in der Entstehungsphase und bei finanziellen Schwierigkeiten unterstützt. Die Beiträge liegen zwischen 3 und 10 % der erwirtschafteten Gewinne (Miete oder Einnahmen), je nach Gesamtertrag oder je nachdem, ob man sich als „Teilnehmer“ oder „Förderer“ begreift (s. Kapitel 5.2.10). 4.2.7 Mieterfonds Der Mieterfonds bietet Schwellenhaushalten die Möglichkeit, sukzessive Eigentum zu erwerben. Ausgangsidee ist es, einen Fonds (GmbH & Co KG) aufzulegen, an dem sich sowohl die künftigen Bewohner, als auch Fremdanleger beteiligen. Nach Kauf des Hauses durch die KG können die Bewohner über monatliche Mietzahlungen sukzessive Teile ihrer Wohnung erwerben, bis sie komplett in ihr Eigentum übergegangen ist. Eine nähere Erläuterung dieses Modells findet sich in Kapitel 5.2.1. Rahmenbedingungen - Finanzierung Solidarbetrag Finanzierung Fonds 3.AP 1992 4.AP 3.NP 2.AP 1.AP 1.NP 2.NP 1991 1990 1990 1991 1992 1992 4.NP 1992 Darst. 30: revolvierender Fonds A Quelle: eigene Darstellung Fremdkapital Fonds 50 Mio F Zinsen oder Erbpachtzins Zinserträge Kredit 20 Jahre oder Immobilie 2 Projekte 1993 +4 Projekte 1994 +6 Projekte 1995 Darst. 30: revolvierender Fond B Quelle: eigene Darstellung 69 70 Rahmenbedingungen - Förderung 4.3 Jahren 91–97 ca.13,8 Mrd. € an Steuerausfällen verursachte (vgl. Wohnungsbauförderung BMVBW, Strukturwandel, 2000, S.30). In Deutschland wurden in den letzten fünfzig Jahren, insbesondere im Vergleich zu anderen Staaten, enorme Summen in die Wohnungsbauförderung investiert. Angesichts der Erfahrungen der wohnungspolitischen Missstände der Gründerzeit und der Zerstörungen des zweiten Weltkrieges, betrachtete der Staat in der Nachkriegszeit die Verfügbarkeit von Wohnraum als persönliches Grundrecht und sah es als seine Aufgabe, für alle Bevölkerungsschichten sozial verträglichen Wohnraum zu schaffen. Mit dem sozialen Wohnungsbau wurde ein Programm geschaffen, durch das bis in die späten 80iger Jahre große Massen von mietgebundenen, standardisierten Wohnraum produziert werden konnte. Auf andere Weise fortgesetzt wurden diese hohen Subventionen in der Nachwendezeit durch die Sonderabschreibung Ost, die sich auf die Erneuerung des Wohnungsbestandes in Ostdeutschland bezog und die in den Subventionen Wohnungsbau und Wohnen 2000 6,5 Mrd. € (Direkt) 4 Mrd. € (Wohngeld) Insgesamt gesehen eine Politik, der wir heute (u.a.) einen entspannten Wohnungsmarkt verdanken und eine üppige Wohnflächenaus2 stattung von 40 m pro Einwohner. Eine Politik, welche die Erstellung von sozialem Wohnraum, bzw. von Wohnraum überhaupt, im Wesentlichen als staatliche Aufgabe sah und eine Politik, die durch hohe Steuern finanziert werden musste, durch konsequentes Wirtschaftswachstum und eine zunehmende öffentliche Verschuldung und die ein beträchtliches Maß an Fehlsubventionen und „Marktverzerrungen“ zur Folge hatte. Bevor ich auf die staatlichen Förderprogramme zu sprechen komme, möchte ich noch einmal einige Punkte aus Kapitel 1 in Erinnerung rufen. Wie bereits erwähnt, hat der Nationalstaat im Zuge der Globalisierung an Bedeutung und Handlungsmacht verloren. Aus der heutigen Perspektive scheint eine Versorgungs- und Subventi- Schuldenstand Deutschland 2000 Gesamt 1.198 Mrd. € Bund 715 Mrd. € Länder 333 Mrd. € Kommunen 91 Mrd. € 11 Mrd. € (Steuern) Darst. 32: Subventionen Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Empirica, Subventionen, 2001, S.18 Darst. 31: Schuldenstand Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Statistisches Bundesamt, Schuldenstand, 2002 Rahmenbedingungen - Förderung dass die Förderungen insgesamt immer noch sehr hoch sind (Darstellung 32), obwohl sie längst nicht mehr das Volumen vergangener Jahre haben. Das Nachfolgeprogramm des sozialen Wohnungsbaus, die „Einkommensorientierte Förderung“, wurde beispielsweise auf onspolitik wie wir sie aus der Nachkriegszeit kennen nicht mehr durchführbar. Dementsprechend bedarf es einer Neupositionierung zwischen liberal und sozial, zwischen staatlicher Fürsorge und individueller Selbstsorge. Die Begriffe der Subsidiarität, des Enabling, der Selbsthilfe, der Nachhaltigkeit und der Kollektivität sollen dabei eine zentrale Rolle spielen. Es muss verstärkt als Aufgabe des Staates verstanden werden, Rahmenbedingungen zu schaffen, die es seinen Bürgern ermöglichen, sich - evtl. in Verbindung mit anderen - selbst zu helfen und eigenverantwortlich Qualitäten zu schaffen, die den Kriterien einer ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit nachkommen. Dazu muss der Staat anregen – diese Tendenzen muss er belohnen. Es stellt sich nun die Frage, inwieweit die aktuellen Förderungen diesen Kriterien entgegenkommen. Subvention oder Subventionsminderung. Dabei fällt vor allem auf, die Mindestausstattung von 230 Mio. € reduziert und ein Bundesland wie Berlin zog sich im Haushalt 2002/03 nahezu völlig aus der Wohnungsbauförderung und –sanierung zurück. Die Höhe ergibt sich vor allem aus den Altlasten des sozialen Wohnungsbaus (laufende Zinssubventionen), der Eigenheimzulage, den Einnahmeverlusten durch die steuerlichen Abschreibungen und dem Wohngeld (s. Darstellung 33). An dieser Stelle wird deutlich, dass sich Wohnungsbauförderungen keineswegs nur an der Wohnungsproblematik orientieren. Die Bauindustrie ist Deutschlands größter Arbeitgeber. Steuervergünstigungen regen zu Investitionen an, beleben die Konjunktur, verringern die Arbeitslosigkeit und entlasten damit Förderung Bund Wohnen 2000 in Mio. € 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 15 6000 5000 4000 3000 2000 1000 0 1 2 3 4 5 6 7 8 9 10 11 12 13 14 KFW-Modernisierung II KFW-Wohneigentum 2 KFW-CO -Sanierung KFW-Erneuerbare Energien Städtebauförderung Stadtumbau Ost Wohneigentum im Altbauquartieren Soziale Stadt Einkommensorientierte Förderung lauf. Subventionen soz. Wohnungsbau Wohngeld Wohnungsbauprämie Eigenheimzulage Investitionszulage degressive Afa 15 Darst. 33: Förderung Bund Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: BMF, Finanzplan, 2001; KFW, Geschäftsbericht, 2001 71 72 Rahmenbedingungen - Förderung indirekt den Staat, der dann auch weniger Wohngeld bezahlen muss. Allein die jährlichen Wohnungsbauinvestitionen machen 7 - 8 % des Bruttoinlandsproduktes aus (vgl. BSI, Fakten, 2001). Miete oder Eigentum – Um diese Frage werden in Deutschland wahre Glaubenskriege geführt. Wie die Erfolgsgeschichte des sozialen Wohnungsbaus zeigt, ist Deutschland traditionell ein Mieterland. Die Eigentumsquote liegt bei mageren 40 %. Nur die Schweiz kommt im europäischen Vergleich auf eine noch niedrigere Quote (31 %). Länder wie Irland und Spanien können dagegen 81 und 85 % Wohneigentum aufweisen. Eigentum galt in Deutschland lange Zeit als gesellschaftlicher Diebstahl und war dementsprechend verpönt. Seit 1995 fördert das Eigenheimzulagegesetz Wohneigentum mit einem Volumen von 5,5 Mrd. € jährlich. Was vorher verpönt war, wird jetzt beschworen. Innerhalb dieses Glaubenskrieges wird oft vergessen, dass es zwischen Miete und Eigentum noch eine Vielzahl anderer Möglichkeiten gibt, die weder direkt zum Sozial- oder Wohnkonsum noch zur Abkapselung beitragen und unterschiedlichste Formen der Teilnahme ermöglichen können. An dieser Stelle gibt es leider kaum Differenzierungen und dementsprechend auch wenig zielgerichtete Förderungen. Genossenschaften werden über das Eigenheimzulagegesetz zwar gefördert, jedoch nur mit dem halben Fördersatz (insgesamt < 0,5 %) und nur bei einer Verpflichtung zur Eigentumsorientierung (vgl. BMVBW, Strukturwandel, 2000, S.85). Breite oder Qualität. Überhaupt fehlt es den meisten Förderungen an einer qualitativen oder regionalen Orientierung. Die Eigenheimzulage gilt beispielsweise unverändert in Gesamtdeutschland, egal ob man ein Einfamilienhaus vor den Toren von Dessau oder eine Eigentumswohnung in Berlin Wedding erwerben will. Genauso verhält es sich mit der degressiven Abschreibung, der Investitionszulage im Osten und mit einigen KFW-Programmen. Diese Undifferenziertheit führt zu enormen Fehlinvestitionen und renziertheit führt zu enormen Fehlinvestitionen und Widersprüchlichkeiten. Natürlich gibt es auch Programme mit qualitativen Bindungen. Das Eigenheimzulagegesetz beinhaltet eine Ökozulage; 2 es gibt KFW-Programme zur CO –Minderung und zur Förderung erneuerbarer Energien; die Investitionszulage und das Programm Stadtumbau Ost investieren gezielt im Osten und die „soziale Stadt“ in problematischen Quartieren. Der Anteil qualitativ oder regional orientierter Programme insgesamt, liegt jedoch nur bei ca. 30 % (s. Darstellung 33). Dezentralisierung. Das neue Wohnraumförderungsgesetz gibt als Grundorientierung eine weitest gehende Dezentralisierung an. Es geht davon aus, dass die Akteure vor Ort die Probleme am besten kennen und sie deshalb am besten lösen können. Tatsächlich findet man innerhalb der Bundesländer und insbesondere innerhalb der großen Städte oft äußerst interessante regionale Förderprogramme und Modellprojekte. In Berlin und Hamburg werden seit langer Zeit Selbsthilfe- und Gemeinschaftsprojekte gefördert. Seit 1998 gibt es in Berlin ein Landesgesetz zur Förderung von neu gegründeten Genossenschaften. Exakt diese Programme leiden jedoch am meisten unter der katastrophalen Haushaltslage und müssen deswegen oft reduziert oder gestrichen werden (s. Berlin). Im folgenden werde ich die einzelnen Förderprogramme etwas ausführlicher erläutern. Sie gliedern sich in Bundes- und Landesförderprogramme. Ich beginne mit den Bundesförderungen. 4.3.1 Eigenheimzulagegesetz Das Eigenheimzulagegesetz ist seit Januar 1996 gültig und soll die Bildung von Wohneigentum fördern. Die Eigenheimzulage ist ein finanzieller Zuschuss für Eigentümer, Käufer oder Bauherren einer selbst genutzten Immobilie. Sie gliedert sich in drei Fördermöglichkeiten: 73 Rahmenbedingungen - Förderung 1. Grundförderung. Für den Erwerb von Neu- oder Altbauten, den Ausbau oder die Erweiterung einer Immobilie erhalten die Haushalte eine Grundförderung. Die Grundförderung ist ein Zuschuss in Höhe von 2,5 Prozent (bei Altbau, Ausbau, Erweiterung) bzw. 5 Prozent (bei Neubau) der Herstellungs- bzw. Anschaffungskosten, max. jedoch 1.278 € pro Jahr (bei Altbau, Ausbau, Erweiterung) bzw. 2.556 € pro Jahr (bei Neubau). 2. Kinderzulage. Die Kinderzulage ist ein Zuschuss von 767 € pro Jahr für jedes zum Haushalt des Steuerpflichtigen gehörende Kind, für das Anspruch auf einen Freibetrag besteht. Voraussetzung für den Erhalt der Kinderzulage ist der Erhalt der Grundförderung. 3. Ökozulagen. Für Neubauten, die nach dem Niedrigenergiehausstandard errichtet wurden, gibt es eine Zusatzförderung von 256 € Der Zuschuss wird 8 Jahre lang ab Fertigstellung des Objektes bzw. bei Anschaffung ab Beginn der Nutzung zu eigenen Wohnzwecken direkt ausgezahlt. Der Anspruch auf die Eigenheimzulage ist gesetzlich geregelt. Danach hat jeder unbeschränkt steuerpflichtige Bauherr oder Käufer Anspruch auf die Zulage, wenn er noch keine Förderung nach dem Eigenheimzulagegesetz erhalten hat. Für die Eigenheimzulage gelten bestimmte Einkommensbeschränkungen. Bemessungsgrundlage ist der Gesamtbetrag der Einkünfte. Die Summe dieser Einkünfte darf 81.807 € bei Alleinstehenden bzw. 163.614 € bei zusammen veranlagten Personen nicht übersteigen. Die Einkommensgrenze erhöht sich für den Bemessungszeitraum um 30.678 € für jedes Kind, für das ein Freibetrag für Kinder oder Kindergeld besteht (vgl. BMVBW, So hilft, 2002). jährlich (Öko-Zulage I). Bei Neu- und Altbauten gibt es für den Einbau bestimmter energiesparender Anlagen wie beispielsweise Wärmepumpen, Solar- oder Wärmerückgewinnungsanlagen noch Wohnungsgenossenschaften. Der Erwerb von Anteilen an neuen Wohnungsgenossenschaften wird pro Jahr mit 3% der geleisteten eine Zusatzförderung (Öko-Zulage II) von bis zu 205 € jährlich. Einlage (höchstens 1.227 € ) und mit einer Kinderzulage von 256 € Fördertabelle in € pro Jahr Neubauwohnung Eigenheim Altbau Ausbau Erweiterung Genossenschaftsanteil Grundförderung 5 %, max. 2556 2,5 %, max.1278 2,5 %, max.1278 3 %, max. 1227 Kinderzulage 256 / Kind 256 / Kind 256 / Kind 256 / Kind Ökozulage I 256 256 nein nein Ökozulage II 205 nein nein nein Darst. 34: Eigenheimzulage Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an BMVBW, So hilft, 2002 je Kind jährlich gefördert. Bedingung ist, dass den Mitgliedern das vererbliche Recht auf Erwerb der Wohnung eingeräumt wird (Eigentumsorientierung) und dass ein Mindestanteil von 5.113 € gezeichnet werden muss. Gemäß dem Förderansatz von 1995 wurde eine Förderung bewilligt unabhängig davon, ob ein Anteilszeichner eine Wohnung beziehen oder ob er nur den Genossenschaftsanteil als Anlagemöglichkeit nutzen wollte. Darüber hinaus gab es wenig schlüssige Aussagen, ob, 74 Rahmenbedingungen - Förderung wann und in welchem Umfang Wohnungen errichtet werden sollten. Dies führte dazu, dass in den beiden Anfangsjahren 96 % der Anteilszeichner gar keine Wohnung in einer Genossenschaft beziehen wollten bzw. konnten, weil überhaupt kein Wohnraum erstellt wurde. Für den Anleger eine erträgliche Investition, kommt er doch (bei zwei Kindern) und bei einer optimierten Anlagehöhe von 10.000 DM auf einen staatlich garantierten Zins von 12 % p.a. über einen Zeitraum von 8 Jahren (vgl. Harms, Neue Wege, 2000). 1999 wurden Zusätze zum Eigenheimzulagegesetz gemacht. Danach muss das Handeln der Genossenschaften, sofern kein Wohnungsbestand vorhanden ist, auf die Herstellung oder die Anschaffung von Wohnungen ausgerichtet sein. Außerdem müssen die Wohnungen überwiegend Genossenschaftsmitgliedern überlassen, unverzüglich mit der Geschäftstätigkeit begonnen und mehr als zwei Drittel der Geschäftsguthaben zu wohnungswirtschaftlichen Zwecken verwandt werden. Auch gab es eine Beschränkung der Förderung auf Mitglieder, die eine Wohnung der Genossenschaft innerhalb des Förderzeitraums nutzen, welche aber wenig später per Gerichtsbeschluss wieder aufgehoben wurde (ebenda). Im Moment tagt eine Kommission, die eine Studie über eine adäquate Genossenschaftsförderung ausarbeiten soll – eine weise und längst überfällige Entscheidung. nicht der Bauminister, sondern der Finanzminister.“ (Zitelmann, 4.3.2 Beispiel: Ein Anleger mit 100.000 € Jahreseinkunft, der eine Eigen- Steuern und Immobilien In den vorangegangenen Kapiteln habe ich bereits wiederholt auf steuerliche Vergünstigungen hingewiesen. Es gibt in Deutschland eine Unmenge von unterschiedlichsten Steuern und Steuervorschriften. Ohne einen guten Steuerberater lässt sich kein Projekt durchführen. Da dieses Thema viel zu umfassend ist, um es flächendeckend aufzuarbeiten, möchte ich hier nur einige projektrelevante Themen beispielhaft ansprechen: „Die eigentliche Wohnungsbaupolitik heißt es, macht hierzulande Immobilien, 2002, S.67). Dies wird auch auf längere Sicht so bleiben, denn das eigentliche Problem bleibt bestehen. Im Zuge einer sozialen Wohnungspolitik hat der Gesetzgeber das marktwirtschaftliche Spiel von Angebot und Nachfrage durch Regulierungen eingeschränkt, Mieten künstlich niedrig gehalten und das Bauen teuer gemacht. Im Vergleich zu alternativen Kapitalanlagen führt dies, wenn es nicht massive Steuervorteile gibt, zu unrentablen und niedrigen Renditen auf dem Immobilienmarkt. Möchte man eine soziale Wohnraumpolitik aufrecht erhalten, sind also weiter Steuervorteile notwendig, damit genügend Kapital in den Wohnungsbau fließt. Die Steuervorteile ergeben sich vor allem durch besondere Abschreibungsregeln, die in §7 EstG definiert werden. Die lineare Abschreibung ist der Normalfall und kann für Mietobjekte in Anspruch genommen werden. Sie beträgt nur 2 % und ist immer dann steuerlich uninteressant, wenn auch höhere Abschreibungen möglich sind. Die degressive Abschreibung gilt für Neubauten. Dabei können im Jahr der Fertigstellung oder der Anschaffung und in den folgenden 7 Jahren jeweils 5 % abgeschrieben werden, in den darauf folgenden 6 Jahren jeweils 2,5 % und in den folgenden 36 Jahren 1,25 %. tumswohnung für 150.000 € kauft und vermietet, kann in den ersten 8 Jahren fast 28.000 € sparen. Denkmalschutz-Abschreibung. Bei der Sanierung von Denkmälern sind umfangreiche Auflagen zu berücksichtigen. Als Ausgleich dafür werden Baukosten an Baudenkmälern steuerlich begünstigt. Die erhöhten Absetzungen betragen im Jahr der Herstellung und in den folgenden neun Jahren 10 % der begünstigten Kosten. Bei Objekten des Denkmalschutzes und bei in Sanierungsgebieten liegenden Rahmenbedingungen - Förderung Objekten gelten die Steuervorteile auch für Selbstnutzer. Eine gute Gelegenheit für Besserverdiener, die nicht die Vorteile der Eigenheimzulage nutzen können. Erhöhte Abschreibung in Sanierungsgebieten. Um Investitionen in förmlich ausgewiesenen Sanierungsgebieten anzuregen, hat der Gesetzgeber die Möglichkeit vorgesehen, erhöhte Absetzungen von 10 % der Herstellungskosten für die Modernisierung und Instandhaltung über 10Jahre abzuschreiben. Allerdings ist hierbei zu berücksichtigen, dass diese Vergünstigungen an Mietobergrenzen gebunden sind, die Investitionen trotzdem unrentabel machen können. Außerdem können die Gemeinden vom Eigentümer eines Hauses bei Aufhebung des Sanierungsgebiets einen „Ausgleichsbetrag“ verlangen, der dem durch die Gesamtsanierung entsprechenden Bodenwert entspricht. Die Sonderabschreibung Ost für die neuen Bundesländer ist zum 31. Dezember 2001 ausgelaufen und wurde durch das Investitionszulagegesetz abgelöst. Bei Neubauten konnten bis Ende 1996 50 % der Herstellungs- und Anschaffungskosten abgeschrieben werden. Vom 1.1.1997 bis Ende 1998 galt für Wohnimmobilien noch eine Abschreibung von 25 %. Zusätzlich konnte die lineare Abschreibung von 2 % in Anspruch genommen werden, womit sich ein maximales Ergebnis von 35 % ergibt. Das Besondere an dieser Abschreibung ist die freie Verteilung, die es dem Investor ermöglicht, flexibel auf sein zu versteuerndes Einkommen reagieren zu können. Durch die Reduzierung der Neubauabschreibung verlagerte sich die Förderung auf den Altbau, wo vom 1.1.1997 bis Ende 1998 frei über die ersten fünf Jahre verteilt 40 % der Modernisierungs- und Instandhaltungskosten abgeschrieben werden konnten. Bis zum zehnten Jahr konnten auch die übrigen Kosten auf dem Wege der Restwertabschreibung abgesetzt werden. Das Ergebnis war faktisch, dass in 10 Jahren 100 % der Modernisierungskosten abgeschrieben werden konnten. Anspruchsberechtigter für die Sonder-Afa waren nicht nur einzelne Steuerberechtigte, sondern auch Personengesellschaften. Abgelöst wurde die Sonderabschreibung durch die Investitionszulage, welche besonders deswegen Sinn macht, weil bei einer Zulage nicht diejenigen einseitig bevorzugt werden, die besonders viel Steuern bezahlen. Nach dem Investitionszulagegesetz bekommt man vom Staat 15 % (in Sanierungsgebieten 22 %) der Modernisierungskosten im Altbaubestand. Die Bemessungsgrundlage liegt bei 614 € (1.200 €). Bei Neubau liegt die Bemessungsgrundlage bei 2.045 € . Die Förderung beträgt hier 10 % der Kosten. Die Sonderabschreibung führte seit Mitte der neunziger Jahre zunehmend zu Kampagnen gegen „Abschreibungskünstler“, die es schafften ihre Steuereinnahmen komplett mit ihren „Verlusten“ gegenzurechnen. Seit dem Jahr 1999 wurde daraufhin eine Mindestbesteuerung eingeführt. Ledige können demnach nur noch bis zu einer Höhe von 51.500 Euro Verluste unbeschränkt ausgleichen. Darüber hinausgehende Verluste können nur noch bis zur Hälfte der verbleibenden positiven Einkünfte ausgeglichen werden. Was sich hier so einfach anhört, ist in Wirklichkeit so komplex, dass hier nicht weiter darauf eingegangen werden kann. Zusätzlich zu der Beschränkung des Verlustausgleiches gibt es noch einen anderen Paragrafen (2b EstG), der den Verlustausgleich unter bestimmten Bedingungen sogar völlig untersagt, um „Verlustzuweisungsgesellschaften“ unmöglich zu machen. Zweck dieses Paragrafen ist es, Investitionsmodelle zu verhindern, die nur auf „Steuerersparnis“ abzielen, bzw. keine „Gewinnerzielungsabsicht“ nachweisen können (vgl. Zitelmann, Immobilien, 2002, S.67ff). 4.3.3 KFW – Programme Die Kreditanstalt für Wiederaufbau ist eine bundeseigene Förder- 75 76 Rahmenbedingungen - Förderung bank, die zweckgebundenen Projekten zinsverbilligte Kredite gewährt. Sie unterstützt den Wohnungsbau durch fünf verschiedene Programme: gen, liegt die daraus folgernde Subventionsleistung bei ca. 2 Mrd. € Wohneigentumsprogramm. Seit August 2000 kann jeder, der in Deutschland selbst genutztes Wohneigentum kauft oder neu baut, einen zinsgünstigen KFW-Kredit in Höhe von bis zu 30 % der Investitionskosten bekommen. 2001 wurden Darlehen für 120.000 Eigenheime und Eigentumswohnungen zugesagt. Die Gesamtdarlehens- Das Wohngeld ergänzt als personenbezogene Förderung die objektbezogenen Förderungen der Wohnungsbauförderung und sollte deswegen in diesem Zusammenhang erwähnt werden. Das Wohngeld wird als Miet- oder Lastenzuschuss geleistet. Es hilft Mietern und Inhabern von Eigenheimen oder Eigentumswohnungen, die Wohnkosten zu tragen und wird je zur Hälfte vom Bund und von den Ländern bezahlt. Auf Wohngeld besteht ein Rechtsanspruch. Jeder, der die Vorraussetzungen erfüllt, sollte seinen Anspruch geltend machen. Die Höhe des Wohngeldes hängt ab von der Zahl der Haushaltsangehörigen, der Höhe des Gesamteinkommens und der Höhe der zuschussfähigen Miete. Wohngeldberechtigte, die zugleich Sozialhilfe oder Kriegsopferfürsorge erhalten, brauchen keinen Wohngeldantrag mehr zu stellen. Sie erhalten einen sogenannten besonderen Mietzuschuss, der zusammen mit der Sozialhilfe oder den Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz ausgezahlt wird. Nachdem das Wohngeld seit 1991 nicht mehr erhöht worden war, trat am 1. Januar 2001 eine Wohngeldreform mit verbesserten Miethöchstsätzen in Kraft. Diese sollte den Rückgang an sozialen Wohnungsbauten und die steigenden Mieten kompensieren. 1998 bezogen 2,95 Millionen Haushalte Wohngeld, wodurch Kosten von summe betrug 6,3 Mrd. € (Laufzeit: 30 Jahre, Zins: 5,25 %, 10-jährige Zinsbindung). KFW-Wohnraum-Modernisierungsprogramm. Dieses Programm bezieht sich auf die Altbausanierung in Ostdeutschland. Die Darlehen werden für Instandsetzung und Verbesserung des Gebrauchswertes von Wohnungen eingesetzt. Das Fördervolumen 2001 betrug 737 Mio. € (Laufzeit: 30 Jahre, Zins: 3,44 %). CO2-Minderung. Bei Sanierungsmaßnahmen, die zu einer deutli2 chen CO –Minderung führen (neue Heizung, Wärmedämmung, 2 Fenster), vergibt die KFW-Bank zinsgünstige Darlehen. Je nach CO Reduktion liegen die Zinsen bei 2,42 oder bei 4,49 % (Laufzeit: 20 Jahre, Zins: 2,42 oder 4,49 %). Solarstrom-Programm. Das 100.000–Dächer–Solarstrom–Programm fördert die Errichtung und Erweiterung von Photovoltaik bzw. Solarstrom-Anlagen ab einer Spitzennennleistung von ca. 1 kW (Laufzeit: 10 Jahre, Zins: 1,91 %). Erneuerbare Energien. Biomasse- oder Biogasanlagen, geothermische Anlagen, Kraft-Wärme-Kopplung, Wasserkraft, etc. werden mit diesem Programm gefördert. (Laufzeit: 20 Jahre, Zins: 4,49 %). Insgesamt vergab die KFW 2001 eine Darlehenssumme von 9 Mrd. € an die oben genannten Programme. Da die Zinsreduktionen im Vergleich zum normalen Kapitalmarkt teilweise nur 0,5 – 1 % betra- (vgl. KFW, Bilanz, 2002). 4.3.4 Wohngeld 3,6 Mrd. € entstanden sind (vgl. BMVBW, Wohngeld, 2002). 4.3.5 Regional-, Stadt- und Quartiersförderungen Die Problematik der Wohnraumversorgung kann und darf nicht isoliert betrachtet werden. Es bestehen immer Abhängigkeiten zum städtischen, sozialen, arbeitsmarktpolitischen und ökologischen Kontext. Ich habe versucht, in den ersten beiden Kapiteln diese Rahmenbedingungen - Förderung Abhängigkeiten darzustellen. Auch die Projektuntersuchungen beschränken sich keineswegs nur auf die Frage der Wohnraumversorgung. Der Staat bzw. die Europäische Union versuchen dieser zunehmenden Komplexität und Aufgabenverschränkung durch Programme gerecht zu werden, welche die klassische Städtebauförderung ergänzen (soziale Stadt, Stadtumbau Ost, ExWoSt). Städtebauförderung. Seit Anfang der 70er Jahre stellen Bund und Länder gemeinsam in einem speziellen Programm zur Städtebauförderung Investitionshilfen für die Erneuerung und Entwicklung der Städte und Gemeinden bereit. Hauptanliegen der Städtebauförderung ist es, die Städte als Wirtschafts- und Wohnstandorte zu stärken. Derzeit befinden sich 1.400 Maßnahmen in der Durchführungsphase. Im Jahr 2002 beträgt der Verpflichtungsrahmen 612 Mio. € , Städtebau über 330 Modellvorhaben in 20 Forschungsfeldern gefördert worden, darunter auch zahlreiche Wohnprojekte. Die bisher gewonnenen Erkenntnisse sollen forschungsfeldübergreifend im Forschungsfeld "Städte der Zukunft" zusammengeführt und umgesetzt werden. Die Umsetzung der ausgewählten Strategien in die kommunale Praxis wird durch die Gewährung eines Bundeszuschusses, durch die wissenschaftliche Begleitung und einen intensiven Erfahrungsaustausch gefördert (vgl. BBR, ExWoSt, 2002). Soziale Stadt. 1999 wurde das Programm der “sozialen Stadt“ aufgelegt, um der sozialen und räumlichen Polarisierung in den Städten entgegenzuwirken. Ziel dieses Programms ist es, in Stadtteilen mit besonderen Entwicklungsbedarf durch fächerübergreifende Strategien eine zukunftsfähige Entwicklung zu initiieren. Unter aktiver Beteiligung der Bevölkerung sollen dazu in den Quartieren soziale, ökonomische, ökologische und kulturelle Impulse gegeben welcher zu gleichen Teilen von Bund und Ländern getragen werden muss (vgl. BBR, Städtebauförderung, 2002). ExWoSt. Das Bundesministerium für Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen fördert im Forschungsprogramm "Experimenteller WohnungsStädtebauhilfen des Bundes 600 und Städtebau (ExWoSt)" Modellvorhaben ausgewählter Planungs- und 500 Baumaßnahmen. Die geförderten Stadtumbau Ost Projekte werden wissenschaftlich 400 soziale Stadt begleitet und unterstützt. Ziel ist es 300 dabei, aus den in der Praxis gesammelten Erfahrungen Hinweise über Städtebau (neue Länder) 200 die Bewährung und Weiterentwick100 lung der städtebau- und wohnungsStädtebau (alte Länder) politischen Rahmensetzungen des 0 Bundes ableiten zu können. 1997 1998 1999 2000 2001 2002 In den letzten zehn Jahren sind im Darst. 35: Städtebauhilfen des Bundes Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: BBR, Städtebauförderung, 2002 Experimentellen Wohnungs- und 77 78 Rahmenbedingungen - Förderung werden. Das Programm hat ein Volumen von 230 Mio. € ; 77 Mio. € vom Bund, der Rest durch Länder und Kommunen (vgl. BBR, soziale Familien zur Schaffung von Wohneigentum verwendet. Das Fördervolumen des Bundes wurde auf die Mindestausstattung von 230 Stadt, 2002). Mio. € begrenzt. Ergänzt wird diese Summe durch die Fördergelder Stadtumbau Ost. Wegen der besonderen Situation in den neuen Ländern - Leerstand von einer Mio. Wohnungen - hat die Bundesregierung das Programm "Stadtumbau Ost" auf den Weg gebracht: des jeweiligen Landes (vgl. BMVBW, Wohnraumförderung, 2002). Für den Zeitraum 2002 - 2009 stehen 2,7 Mrd. € zur Verfügung, die vom Bund (etwa 1,1 Mrd. € ), Ländern (1,1 Mrd. €) und Gemeinden (0,6 Mrd. € ) finanziert werden. Mit diesem Programm sollen die Städte funktionsfähiger gemacht, die Innenstädte aufgewertet und dauerhaft leerstehende Wohnungen vom Markt genommen werden. Schwerpunkt ist die Reduzierung des Angebotsüberhangs, die Aufwertung der vom Rückbau betroffenen Viertel sowie die Stärkung des innerstädtischen Altbaus und der erhaltenswerten Stadtquartiere (vgl. BMVBW, Stadtumbau Ost, 2002). 4.3.6 Soziale Wohnraumförderung Mit dem Inkrafttreten des Gesetzes zur Reform des Wohnungsbaurechts und dem darin enthaltenen Wohnraumförderungsgesetz zum 1.1.2002 wurde das System des Sozialen Wohnungsbaus in die Soziale Wohnraumförderung überführt. Zielgruppe der Sozialen Wohnraumförderung ist nicht mehr die breite Bereitstellung von sozial gebundenem Wohnraum, sondern explizit nur die Haushalte, die sich am Markt nicht angemessen mit Wohnraum versorgen können und auf Unterstützung angewiesen sind. Für diese Zielgruppen gelten entsprechende Einkommensgrenzen. Die Durchführung der Sozialen Wohnraumförderung ist Aufgabe der Länder. Neben der Förderung des Neubaus von Mietwohnungen und den zusätzlichen bestandsbezogenen Instrumenten wird ein erheblicher Anteil der Förderung für die Unterstützung von 4.3.7 IBB Am Beispiel des Landes Berlin möchte ich die Förderungsmöglichkeiten der Bundesländer vorstellen. Diese werden organisiert durch die jeweiligen Landesbanken – in diesem Fall durch die IBB (Investitionsbank Berlin). Der Schwerpunkt der Berliner Landesförderung lag auf der Alt- und Plattenbausanierung sowie der Schaffung von Wohneigentum. Im Förderzeitraum von 1999 wurden 1.776 Wohneigentumsmaßnahmen durch zinsverbilligte Kredite gefördert. Der Mietwohnungsbau (EOF) wurde drastisch reduziert auf 300 Wohneinheiten. Innerhalb des Programms der sozialen Stadterneuerung wurden 2.478 Wohneinheiten saniert, was einem Fördervolumen von 100 Mio. € entspricht. Dieses Programm bezieht sich auf Gebäude in Sanierungsgebieten, die vor dem 31. Dez. 1918 errichtet worden sind. Die Förderung besteht aus Baukostenzuschüssen in Höhe eines Drittels der anerkannten Bau- und Baunebenkosten. Mit dem Programm Stadtweite Einzelmaßnahmen wurden 1999 3.760 grundlegende Modernisierungsmaßnahmen in vor 1991 errichteten Gebäuden gefördert. Die Art der förderbaren Maßnahmen wurden in einem Sanierungskatalog festgelegt. Ein weiterer wichtiger Schwerpunkt war die Plattenbausanierung, für die im Jahr 1999 die IBB Fördermittel in Höhe von 55 Mio. € für 4.589 Wohneinheiten zur Verfügung stellte. Die Programme der wohnungspolitischen Selbsthilfe und der Genossenschaftsförderung möchte ich ein wenig detaillierter vorstellen (vgl. IBB, Rechenschaftsberichte, 2001 und Homepage, 2002). Wohnungspolitische Selbsthilfe. Das Programm "Wohnungspoliti- Rahmenbedingungen - Förderung sche Selbsthilfe" wurde zum ersten Mal im Oktober 1981 in Westberlin aufgelegt - damals auch ein Instrument zur Befriedung der Hausbesetzerszene. Bedingung einer Förderung ist, dass ein Teil der Sanierung in Selbsthilfe (Eigenarbeit) erbracht werden muss. Mit dem Geld des Programms sind bislang 323 Häuser saniert worden. 27 Millionen DM stellte das Land Berlin bis 1990 jährlich zur Verfügung. In den 90er Jahren waren es im Durchschnitt 40 Millionen DM. 1996 kürzte der Senat die Zuschüsse. Ursprünglich ging der Senat von einem Selbsthilfeanteil von 15 % aus. Sagenhafte 85 % wurden den Projekten als Zuschuss zur Verfügung gestellt (ein wahrhaft politischer Preis). Ab 1996 wurde dieser Anteil auf 37,5 % reduziert. 25 % mussten jetzt durch Eigenleistungen erbracht werden. Der Rest bedurfte einer Finanzierung aus Bankkrediten. Durch diese Vergünstigungen konnten teilweise sehr 2 kostengünstige Mieten von 4 - 5 DM/m realisiert werden (vgl. AKS, Homepage, 2002). Genossenschaftsförderung. In Kapitel 4.1.5 habe ich darauf hingewiesen, dass es im Zuge der Privatisierungsmaßnahmen öffentlicher Wohnungsbaugesellschaften zu einigen Genossenschaftsausgründungen gekommen ist. Diese werden in Berlin seit 1999 in begrenzter Anzahl wieder gefördert. Die im Projektteil beschriebene Bremer Höhe ist das erste Projekt, welches in den Genuss dieser Förderung gekommen ist. Die Förderung gliedert sich in mehrere Teilbereiche: Bestandserwerbsdarlehen. Das Land Berlin vergibt zinsverbilligte Bestandserwerbsdarlehen zu einem Zinssatz von 2,5 % p.a. bis zu einer Förderungshöhe von 409 € /m und über eine Laufzeit von 15 2 Jahren. Gründung. Durch Zahlung eines einmaligen Zuschusses in Höhe von 511 € für jede in die Genossenschaft überführte Wohnung werden Wichtigste Berliner IBB-Programme in Mio. € Wohnungsbauförderung Berlin in Mio. € 350,0 12000 Gesamt Eigentum 300,0 Genossenschaft 10000 Mietwohnungsbau Soz.Stadterneuerung Stadtw.Maßnahmen 250,0 Denkmalschutz 8000 Plattenbauweise 200,0 6000 150,0 4000 100,0 2000 50,0 0,0 0 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 Darst. 37: Wohnungsbauförderung Berlin I Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: IBB, Rechenschaftsberichte, 2001 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 Darst. 36: Wohnungsbauförderung Berlin I I Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: IBB, Rechenschaftsberichte, 2001 79 80 Rahmenbedingungen - Förderung die anfallenden Kosten der Gründung pauschal gefördert. Der 4.3.8 Mindestzuschuss beträgt 10.226 € ; maximal werden 25.565 € Damit schließt sich der Kreis und wir befinden uns wieder bei der Frage nach der Finanzierbarkeit von Wohnungspolitik. An dieser Stelle möchte ich noch einmal einen etwas differenzierteren Blick auf den Wohnungsmarkt werfen. Dieser ist zwar im Landesdurchschnitt entspannt, Deutschland gliedert sich heute jedoch in drei völlig unterschiedliche Teilregionen. Es gibt eine Wachstumsregion (Süddeutschland) mit einer erheblichen Wohnungsnot und einem hohen Bedarf an preisgünstigem Wohnraum. In München sind von 1999 bis 2000 die Neuvertragsmieten um 9,7 % gestiegen (vgl. BSI, Fakten, 2001, S.10). Daneben gibt es Stagnationsregionen (Ruhrgebiet) und Schrumpfungsregionen (Ostdeutschland), die einen erheblichen Investitionsbedarf an Umstrukturierungsmaßnahmen erfordern. Die Darstellungen 38 und 39 zeigen, dass die Belastung durch die Bruttokaltmiete am Haushaltseinkommen in den letzten Jahren gestiegen ist. Dies gilt besonders für die unteren Einkommensgruppen, die 41 % ihres Einkommens für die Miete aufbringen müssen. erstattet. Genossenschaftsanteile. Gefördert wird auch der Erwerb von Geschäftsanteilen an einer Genossenschaft, sofern diese nach dem 1. Januar 1995 in das Genossenschaftsregister eingetragen worden ist. Die Förderung besteht hier in der Vergabe zinsloser Darlehen in Höhe von 4.090 € pro antragstellendem Genossenschaftsmitglied. Die Rückzahlung des Darlehens erstreckt sich über maximal 8 Jahre (vgl. Stadtentwicklung Berlin, Gründungsleitfaden, 2001, S.33-39). Die Förderung sieht sich als Ergänzung zur staatlichen Unterstützung aus dem Eigenheimzulagegesetz. Die Eigentumsorientierung ist damit zwingender Bestandteil dieser Finanzierung. Die Fördergelder reichen bisher für ca. 2000 – 3000 Wohnungen pro Jahr. Interessanterweise ist die Genossenschaftsförderung die einzige, die sich in den Sparhaushalt der Jahre 2002/03 hinüberretten konnte. Die anderen oben genannten Programme gibt es nicht mehr. Sie wurden komplett gestrichen (s. Darstellung 36,37). Bruttokaltmiete Belastung durch die Bruttokaltmiete in den alten Ländern 1991 bis 1998 115 Nachbetrachtung Wohnungsmiete – Lebenshaltung Index 1995 = 100 Wohnungsmiete 110 Lebenshaltung 105 Jahr 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 Anteil der Bruttokaltmiete am Haushaltseinkommen 19,7 % 21,0 % 22,8 % 23,4 % 23,7 % 23,9 % 25,0 % 100 95 90 85 80 75 70 1991 Darst. 38: Bruttokaltmiete - Haushaltseinkommen Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: BSI, Fakten, 2001, S.17 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 Darst. 39: Wohnungsmiete - Lebenshaltung Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: BSI, Fakten, 2001, S.16 Rahmenbedingungen - Förderung Diese Einkommensgruppen profitieren überhaupt nicht von der zunehmenden Eigentumsorientierung der Förderungspolitik, da sie das notwendige Eigenkapital nicht aufbringen können. Sie sammeln sich in den verbliebenen, immer knapper werdenden Sozialwohnungen. Zwischen 1987 und 1999 ist der Bestand an Sozialwohnungen durch das Auslaufen von Belegungsbindungen von 3,93 Mio. Wohnungen auf 2 Mio. Wohnungen gesunken. Jährlich verringert sich dieser Bestand um weitere 100.000 Einheiten (vgl. BSI, Fakten, 2001, S.11). Man kann also keineswegs davon sprechen, dass es einer Wohnungspolitik nicht mehr Bedarf. Allerdings eher einer Politik, die es schafft, zwischen den Vor- und Nachteilen von Miete und Eigentum zu vermitteln, die sich mehr an Qualitäten orientiert und die differenzierter auf die unterschiedlichen Gegebenheiten eingehen kann. 81 82 Projektbeispiele 5 Projektbeispiele Die untersuchten Projekte müssen sich mit den im vorigen Kapitel erläuterten Rahmendingungen auseinandersetzen, obwohl diese sicherlich nicht perfekt sind. Inwieweit sich diese verbessern lassen, wird Ergebnis der Projektanalyse sein und im Anschluss an dieses Kapitel erläutert werden. Für die Projektuntersuchung habe ich 10 Untersuchungskriterien ausgewählt, die ich im Folgenden vorstellen möchte: 1. Projektprofil / Idee: An dieser Stelle wird das Projekt kurz vorgestellt und die grundsätzliche Projektidee präsentiert. 2. Entstehung / Transformation: Dieser Punkt ist besonders bei älteren Projekten interessant. An dieser Stelle werden die Rahmenbedingungen erläutert, die zur Entstehung des Projekts geführt haben (Reflex oder Reflexion). Außerdem werden die unterschiedlichen Transformations- und Wachstumsphasen des Projekts erläutert. 3. Akteure: Projekte sind nur bedingt übertragbar, weil deren Entstehung ganz wesentlich von bestimmten Initiatoren und Akteuren abhängig ist. Dieser Aspekt wird hier näher beleuchtet. Dabei werden die Initiatoren, wesentliche Akteure aus dem Umfeld, die Nutzer oder die Anleger vorgestellt. 4. Gesellschaftsform: Bei der Realisierung ist es entscheidend, eine Gesellschaftsform zu finden, die der Projektidee entspricht. Ein Verein beispielsweise kann wirtschaftlich nicht tätig werden, eine Genossenschaft nur seine Mitglieder fördern, eine KG erlaubt keine Mitbestimmung der Anleger. Jede Gesellschaftsform hat ihre Vorund Nachteile. Diese sollen hier untersucht und erläutert werden. 5. Finanzierung: Von einem guten Gedanken alleine lässt sich kein Projekt finanzieren. Insbesondere wegen der ausbleibenden staatlichen Förderungen ist an dieser Stelle eine hohe Kreativität gefordert. Die untersuchten Projekte nutzen ein weites Spektrum alternativer Finanzierungsformen. 6. Konflikte: Jedes Projekt hat mit Problemen und Konflikten zu kämpfen. Die Darstellung dieser Konflikte hat oft einen größeren Lernwert, als die Projektbeschreibung selbst. 7. Kooperation / Vernetzung: Bei der Projektauswahl habe ich großen Wert darauf gelegt, keine von der Welt abgewandte, isolierte Projekte auszuwählen. Dementsprechend wird an dieser Stelle die Frage geklärt in welchen Kontext das Projekt steht, welche Außenwirkung es hat und wie es vernetzt ist. 8. Lessons Learned: An dieser Stelle fasse ich die oben gewonnen Erkenntnisse zusammen und stelle sie den im Kapitel 2 entwickelten Strategien gegenüber. 9. Anschrift + Kontakt: Zur detaillierteren Informationsbeschaffung gebe ich Anschrift und Adresse des Projekts an. 10. Quellen: Quellennachweise der Projektstudie. 5.1 Projekte Bei der Untersuchung wird unterschieden zwischen Detailprojekten, die ich sehr ausführlich untersuche und Teilprojekten, bei denen ich mich nur bestimmten Aspekte widme. Projektbeispiele / Stadtwerk KG Stadtwerk KG (Detail) Profil: Soziale und ökologische Stadterneuerung Standort: Berlin Gesellschaftsform: Kommanditgesellschaft (KG) Finanzierung: ökologischer und sozialer Immobilienfonds Aspekte: Finanzierung, Gesellschaftsform 1. Projektprofil/Idee Die StadtWerk Berlin KG ist kein normales Immobilienunternehmen. Erstens hat es sich als solches einer sozialen, ökologischen und nachhaltigen Stadtentwicklung verschrieben und zweitens fordert es interessierte Anleger dazu auf, sich an dieser Idee mittels eines Immobilienfonds zu beteiligen. Dabei kann der Anleger abwägen zwischen den Freuden einer prognostizierten Rendite zwischen 4 und 5 % Prozent (in den ersten Jahren weitestgehend steuerbefreit) und dem Bewusstsein, sein Geld auch inhaltlich sinnvoll angelegt zu haben. Das Handlungsfeld ist die soziale und behutsame Stadterneuerung. Bei den Projekten werden folgende Kriterien beachtet: Der Umfang von Maßnahmen und die Höhe der Mieten orientieren sich an der finanziellen Leistungsfähigkeit und den Bedürfnissen der Mieter. Vorrangig wird Altbausubstanz behutsam saniert und erhalten. Daneben gibt es auch eine vorsichtige Entwicklung durch Neubau in städtebaulichen Zusammenhängen. Projekte sind flächensparend und verkehrsmindernd zu planen und zu bauen. Die eingesetzten Materialien und Baustoffe sollen natürlich und recyclingfähig sein. Durch den Einsatz moderner Technik und Wärmedämmung werden regenerative oder ressourcen-schonende Ener2 gien genutzt, wodurch der Energiebedarf gesenkt und die CO Emissionen verringert werden. Die Immobilienprojekte der StadtWerk Berlin KG werden über die ganze Stadt verteilt und in einer Gesellschaft zusammengefasst, um eine ausgewogene Mischung unterschiedlicher und grundstücksübergreifender Projekte zu erreichen und das Risiko des Anlegers zu verringern. In erster Linie handelt es sich um Sanierung und Bau von Mietwohnungen, aber auch von Gewerbeimmobilien und Gebäuden, die einer kulturellen, sozialen oder gesellschaftlichen Nutzung dienen. 2. Entstehung/Transformation Die Stadtwerk KG ist geboren aus dem Gedanken, kleinen Genossenschaften mittels eines Immobilienfonds privates Anfangskapital zur Verfügung zu stellen. Fabian Tacke, damals noch Vorstand der Selbstbau e.G., hatte die Idee, eine eG & Co KG zu gründen. Dies ist eine Kommanditgesellschaft, in der die Genossenschaft Komplementärin und Geschäftsführerin ist und in welcher der Immobilienfonds die Rolle der Kommanditisten, der privaten Geldanleger, übernimmt. Rechtlich gesehen ist bei einer solchen Konstellation die KG Grundstücks- oder Hauseigentümer. Die Kommanditisten sind nominell Miteigentümer (genauso wie es bei herkömmlichen Modellen die Banken sind) und man müsste diesen eine jährliche Gesellschafterversammlung zugestehen. Auch wenn die Mitbestimmungsbefugnisse der Kommanditisten als Teilhafter nur marginal sind fand sich keine Genossenschaft, die sich auf diese „Besitztumseinschränkung“ eingelassen hätte („Dann gehört uns das Haus ja nicht mehr“). Investoren wären wohl vorhan- 83 84 Projektbeispiele / Stadtwerk KG den gewesen (vgl. Tacke, Interview, 2002). Der Gedanke des „sozialen“ Immobilienfonds blieb und wurde nach dem Scheitern der GmbH & Co KG unabhängig weiterentwickelt. Die Rolle, welche die Genossenschaften nicht wollten, nimmt Fabian Tacke als Komplementär der Stadtwerk KG jetzt selbst ein. Ursprünglich sollte es sich bei dem Fonds um einen offenen Immobilienfons handeln, der nach und nach immer mehr Projekte innerhalb der Thematik der sozialen Stadterneuerung aufnimmt. Steuerliche Benachteiligungen der Kommanditisten, schwierige Abschätzung der Wertentwicklung durch unterschiedliche Investitionsphasen, unterschiedliche Ausstiegs- und Einstiegszeitpunkte der Kommanditisten – diese Schwierigkeiten führten schließlich dazu, dass es sich bei der Stadtwerk KG jetzt um einen geschlossenen Immobilienfonds handelt, der u.a. von der Umweltbank angeboten wird (vgl. Tacke, Interview, 2002). 3. Akteure. 1989 begann Fabian Tackes Laufbahn in der Berliner Stadterneuerung. Im AKS (Arbeitskreis Berliner Selbsthilfegruppen im Altbau e.V.) arbeitete er mit an der Vernetzung der damals zahlreichen besetzten Häuser in Ost-Berlin und beriet in Fragen des Erwerbs, der Selbsthilfe, der Rechtsform und der Sanierung. Seit August 1993 arbeitete Tacke als Projektleiter und später Geschäftsführer bei der Mietergenossenschaft SelbstBau e.G. 1996 machte er sich mit seinem Büro für Projektsteuerung in der Stadterneuerung selbstständig. Zu seinen Auftraggebern gehören sowohl öffentliche und gemeinnützige Einrichtungen als auch private und gewerbliche Bauherren. Mit der StadtWerk Berlin KG hofft Fabian Tacke, ein neues Modell in der Berliner Immobilienwirtschaft umzusetzen, das Kapitalanlegern eine interessante Beteiligung in eine soziale und ökologische Stadtentwicklung bietet. Zum Beirat der Stadtwerk KG gehören außerdem: Gert Behrens, seit 1966 u.a. selbstständiger Steuerberater bei Stattbau und Aufsichts- ratsvorsitzender der Bewohnergenossenschaften Luisenstadt e.G. und FriedrichsHeim e.G.; Jeanette Martins, Abgeordnete von „Bündnis 90 / Die Grünen“; Albrecht Stahl, Rechtsanwalt (vgl. StadtWerk KG, Homepage, 2002.) 4. Gesellschaftsform. Als Gesellschaftsform wurde eine Kommanditgesellschaft gewählt. Fabian Tacke ist Komplementär der Gesellschaft. Als solcher haftet er mit seinem Privatvermögen und ist allein zur Geschäftsführung berechtigt. An der Gründung waren noch 9 Kommanditisten (Teilhafter) beteiligt, die alle mindestens 10.000 DM einbrachten. Um auch bei einer Publikumsgesellschaft wie der StadtWerk Berlin KG ein hohes Maß an Transparenz sicherzustellen, nehmen Anleger ihre Rechte in erster Linie in der Gesellschafterversammlung und über den Beirat wahr. Dieser besteht aus drei bis fünf gewählten, sachverständigen Vertretern. Der Beirat vertritt die Interessen der Anleger, berät den geschäfts-führenden Gesellschafter, überwacht die wirtschaftliche Entwicklung, die Einhaltung der sozialen und ökologischen Kriterien und trifft zusammen mit dem Komplementär wichtige Entscheidungen, bei denen die durch die Satzung die Zustimmung des Beirates zwingend vorgeschrieben ist (z.B. Aufnahme von langfristigen Darlehen). Der Komplementär Fabian Tacke ist jedem Gesellschafter rechenschaftspflichtig. Komplementär (Vollhafter) Kommanditist Kommanditist Kommanditist (Teilhafter) (Teilhafter) (Teilhafter) Darst. 40: Stadtwerk KG Gesellschaftsform Quelle: eigene Darstellung Projektbeispiele / Stadtwerk KG 5. Finanzierung Die Stadtwerk KG realisiert über einen geschlossenen Immobilienfonds 4-5 Bauvorhaben. Bei einer Fortführung müsste einen neue KG gegründet werden. Das erste Projekt der KG liegt in der Wönnichstraße in Lichtenberg. Tabelle 41 zeigt das prognostizierte Investitionsvolumen dieses Projekts. Erwerb: Für den Erwerb ergibt sich ein Investitionsbedarf von rund 1.175.000 DM. Die Finanzierung erfolgt mit 475.000 DM (40%) aus Eigenmitteln der Gesellschaft. Dies ist eine solide Grundlage und sichert eine rentable Bewirtschaftung. Als Partner für die Finanzierung des Vorhabens konnte die Umweltbank AG Nürnberg gewonnen werden, die ein Hypothekendarlehen von 700.000 DM zugesagt hat. Nach der Wirtschaftlichkeitsberechnung ergibt sich ein Ertrag aus der laufenden Bewirtschaftung (Leerstand angenommen 30%) von ca. 16.000 DM pro Jahr. Dies entspricht einer Eigenkapitalverzinsung von etwa 5,5 % vor bzw. 3,3 % nach Tilgung. Ausschüttungen sind bis zum Abschluss der Sanierung nicht vorgesehen (vgl. StadtWerk KG, Homepage, 2002). Vorschau Sanierung: Die Sanierung soll nach dem Erwerb zügig, aber ohne Zeitdruck geplant und vorbereitet werden. Die Kostenschätzung ergibt einen Gesamtinvestitionsbedarf von ca. 4.700.000 DM. Um die Sanierung zu finanzieren, wird eine weitere „Kapitalerhöhung“ durchgeführt. Daneben werden Mittel aus dem Förderprogramm „Soziale Stadterneuerung“ und Darlehen aus den KfW Förderprogrammen zum Einsatz kommen. Eine weitere Aufnahme von Hypothekendarlehen ist nicht vorgesehen. Nach der Sanierung (geplant bis 2005) ergibt sich ein jährlicher Überschuss von rund 50.000 DM (2,3% p.a.), der zum großen Teil auch zur Ausschüttung kommen soll. Der Tilgungsgewinn beträgt dann 1,8%, so dass ein Gesamtergebnis von anfänglich 4,1 % p.a. entsteht. Die steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten führen dazu, dass die Gesellschaft in den ersten 12 Jahren keine oder nur geringfügige zu versteuernde Überschüsse erwirtschaftet. In den ersten Jahren der Sanierung werden Steuerminderungen für die Anleger möglich (vgl. StadtWerk KG, Kapitalerhöhung, 2001). Während für die Anfangsinvestition die Beteiligungen der Kommanditisten im wesentlichen im direkten Umfeld des Initiators geworben wurden, hat die Umweltbank für die Weiterführung einen Immobilienfonds aufgelegt und für diesen eine Setzungsgarantie übernommen. Damit dürfte die finanzielle Zukunft der Stadtwerk KG gesichert sein (vgl. Umweltbank, Homepage, 2002). Gesamt Eigenkapital Eigenkapital (Fonds) Darlehen Umweltbank KFW Wohnraummodern. Baukostenzuschuss Berlin 5.569.000 DM 100,0 % 475.000 DM 8,5 % 2.176.000 DM 39,0 % 700.000 DM 12,6 % 1.268.000 DM 22,7 % 705.000 DM 12,6 % Darst. 41: Stadtwerk KG Finanzierung Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: StadtWerk KG, Kapitalerhöhung, 2001 6. Konflikte. Die Finanzierung der Wönnichstraße ist gesichert. Der neue Berliner Haushalt (2002/03) sieht jedoch eine Streichung der Fördermittel der sozialen Stadterneuerung und der stadtweiten Maßnahmen vor. Die Folgeprojekte können demnach nicht mehr im selben Umfang saniert werden, was zu einer Konzentration auf Gebäude mit einer relativ guten Gebäudesubstanz führen wird. Dies wird in Zukunft zu einem bunten Nebeneinander sanierter und total verfallener Gebäude führen (vgl. Tacke, Interview, 2002). 7. Kooperation / Vernetzung. Sollte das Konzept erfolgreich sein, besteht die Möglichkeit einer Neuauflage (Stadtwerk II). Eine Ausweitung des Konzeptes und eine Vernetzung mit anderen Projekten ist nicht vorgesehen. 85 86 Projektbeispiele / Stadtwerk KG 8. Lessons Learned. Folgt man der in Kapitel 2.9.9 gewählten Definitionen ist die Stadtwerk KG eindeutig der nachhaltigen Ökonomie zuzuordnen. Sie richtet sich in erster Linie an Investoren, die eine adäquaten Rendite mit einer ethischen Anlageform verbinden wollen. Das Ziel der Stadtwerk KG ist die Erstellung eines ökonomischen, ökologischen und sozialen Produkts. Die Vorteile der KG – Haftungsbeschränkung und Steuerabschreibung – kommen hier bestens zur Geltung. Transparenz ist dabei wichtiger als demokratische Teilnahme, sowohl der Anleger als auch der eigentlichen Nutzer (Mieter). Leider konnte das Modell der eG & Co KG nicht realisiert werden. Diese hätte die Vorteile Genossenschaft (demokratische Teilnahme) ideal mit den Vorteilen der KG verbunden. Insgesamt kann man ökologisch oder sozial orientierten Immobilienfonds nur eine ähnliche Dynamik wie den Windkraftfonds wünschen. In Freiburg wird gerade über einen „Solarfonds“ die Erstellung von zahlreichen Plusenergiehäusern realisiert (vgl. Solarfonds, Homepage, 2002). 9. Quellen Umweltbank (Hg.) (2002): Homepage, 08/02, www.umweltbank.de, 15.Juni. 2002 Stadtwerk KG (Hg.) (2002): Homepage, 06/02, www.stadtwerk-berlin.de, 04. Juni 2002 Stadtwerk KG (Hg.) (2002): Informationen zur ersten [Kapitalerhöhung], Mai 2001, Berlin, Stadtwerk KG Stadtwerk KG (2002): [Interview] mit Fabian Tacke, Berlin, 12.05.02 Stadtwerk Berlin KG Eberswalder Straße 30 10437 Berlin Tel. 030 – 443 59 418 www.stadtwerk-berlin.de Projektbeispiele / Mieterfonds Mieterfonds (Teil) Profil: Eigentum für Schwellenhaushalte Standort: Berlin Gesellschaftsform: GmbH & Co KG Finanzierung: Eigenkapital, Fremdmittel aus KG Aspekte: Finanzierung 1. Projektprofil/Idee. Die Wohnungspolitik der Bundesregierung basiert sehr stark auf der Förderung von selbstgenutztem Eigentum. Um den Traum vom Eigenheim realisieren zu können, bedarf es jedoch einer Eigenkapitalbasis von mindestens 10% - 15% - eine Vorgabe, die von vielen Haushalten nicht erfüllt werden kann (Schwellenhaushalte). Beim Modell des Mieterfonds wird der Eigenkapitalanteil im wesentlichen von einem Immobilienfonds oder von externen Geldanlegern übernommen. Die Bewohner des Gebäudes, die ursprünglich nur wenig oder gar kein Kapital einbringen konnten, zahlen über die Miete diese Investoren aus und erwerben so sukzessive Teile ihrer Wohnung. Nach 20 Jahren können sie im Besitz ihrer Wohnung sein. Der Investor freut sich über eine Rendite zwischen 4 und 6% und über die Möglichkeit steuerlicher Abschreibungen. Das Modell des Mieterfonds soll eine hohe Flexibilität zwischen Eigentum und Miete erlauben. Dadurch sollen die Risiken der Eigentumsbildung vermieden werden. Fällt beispielsweise ein Haushalt durch Arbeitslosigkeit in die Grenzen der Mietförderung, kann der Eigentumserwerb wieder umgewandelt werden in eine normale Mietzahlung und somit Wohngeld in Anspruch genommen werden. Ähnlich kann bei einem Wohnortwechsel (andere Arbeitsstelle) verfahren werden. 2. Entstehung/Transformation. Das Modell wurde 1995 – 1997 am IFF mit finanzieller Unterstützung des Sozialministeriums Mecklenburg – Vorpommern entwickelt. Die Funktionsweise ist praxisnah im IFF – Finanzratgeber „Mieter kaufen ihr Haus“ beschrieben (vgl. IFF, Mieterfonds, 1997). Eine Wohnbundstudie (NRW) zur Altbausanierung in Leipzig griff 1999 diese Idee auf und schlug sie in der Altbausanierung der Stadt Leipzig vor. Das Büro Forma Urbis in Berlin hat 2001 ebenfalls die Möglichkeit der Durchführung geprüft. Leider liegen bislang keine Resultate vor. 3. Akteure. Zu den Zielgruppen sollen diejenigen Mietergruppen gehören, die Interesse an einer Eigentumsbildung haben, sich bislang jedoch nicht auf die mit dem Kauf verbundenen individuell zu tragenden Risiken einlassen wollten und die auch nicht über das notwendige Eigenkapital verfügen (Schwellenhaushalte). 4. Gesellschaftsform. Bei dem vorliegenden Projekt handelt es sich um eine GmbH & Co KG. Hauptkonstruktion ist die Kommanditgesellschaft, deren Kommanditisten die Mieter/Eigentümer und die externen Geldanleger sind. Komplementär der GmbH & Co KG ist zur Haftungsbegrenzung eine GmbH. Dies gibt allen Beteiligten die Sicherheit, nur für den Wert ihrer eigenen Wohnung haften zu müssen. Der einzige Gesellschaf- Nutzer Investor Nutzer Investor Darst. 42: Mieterfonds Grundprinzip Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Scheck, Prospekt, 2002 87 88 Projektbeispiele / Mieterfonds tungen Kommanditanteile erarbeiten zu können. Die fehlenden Finanzmittel können über Bankdarlehen beschafft werden. Für den Fremdanleger sind die Anteile an der Kommanditgesellschaft aus mehreren Gründen interessant. Er kann Steuersparmöglichkeiten in Anspruch nehmen, profitiert von der Verzinsung der Anteile sowie dem Wertzuwachs der Immobilie. Über einen monatlichen Mietzins, der aus den Betriebskosten, der Verzinsung von Bankdarlehen und Fremdkapital und einer Tilgung besteht, erwirbt der Mieter/Nutzer sukzessive seine Wohnung (vgl. ter der GmbH ist ein von den Mietern zu gründender Verein. Dieser Verein übernimmt die Geschäftsführung der GmbH und die Verwaltung der KG und des Hauses. Außerdem kann er die Mieterfondsanteile treuhänderisch verwalten. Das Stammkapital der GmbH wird von allen Interessenten anteilig aufgebracht und für die Kosten des Hauses verwendet. 5. Finanzierung. Das Hauptproblem von Schwellenhaushalten ist die mangelnde Eigenkapitalausstattung. Beim Mieterfondsmodell wird dieses Manko dadurch behoben, dass ein gemeinsamer Fonds geschaffen wird, der unterschiedlichen Formen der Teilnahme Raum bietet. Dieser Fonds wird ausgestattet mit unterschiedlich hohen Eigenkapitalanteilen der Mieter/Nutzer - je nach Vermögenslage. Hinzu kommen die Förderanteile aus dem Eigenheimzulagegesetz und Kommanditanteile von Fremdanlegern, die wesentlich zu einer Verbreiterung der Eigenkapitalbasis beitragen sollen. Des Weiteren sollte die Möglichkeit geschaffen werden, durch Eigenleis- Wohnbund, Trägerstrukturen, 1999, S. 62). 6. Konflikte/Probleme. Die Rechtskonstruktion, die es zu Beginn eines solchen Erwerbsmodells zu bewältigen gilt, ist relativ aufwendig und kompliziert. Der Wohnbund schlägt deswegen eine Kooperation mit schon bestehenden Vereinsstrukturen oder Genossenschaften vor (vgl. Wohnbund, Trägerstrukturen, 1999, S. 62). 8. Lessons Learned. Da das Modell des Mieterfonds noch nicht Verlaufsprognose Verein GmbH (Nutzer) (Vollhafter) Kommanditist Kommanditist Kommanditist (Nutzer) (Nutzer) (Anleger) 100% 90% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 20% 10% 0% Bankdarlehen Fremdkapital Selbsthilfe Eigenkapital Eigenheimzulage 1 Jahr Darst. 43: Mieterfonds Aufbau Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Scheck, Prospekt, 2002 8 Jahre 15 Jahre 22 Jahre Darst. 44: Mieterfonds Verlauf Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an Scheck, Prospekt, 2002 Projektbeispiele / Mieterfonds realisiert wurde ist es nicht möglich an dieser Stelle ein Fazit zu ziehen. Der Mieterfonds verspricht jedoch, trotz der etwas komplizierten Gesamtkonstruktion, eine gangbare Möglichkeit Schwellenhaushalte an der Eigentumsbildung zu beteiligen. Er zeichnet sich aus durch ein gemeinschaftliches Vorgehen und durch die Aktivierung von Selbsthilfe – in Form von Eigenkapital und Eigenarbeit – und Fremdkapital. 10. Quellen IFF Institut für Finanzdienstleistungen (Hg.) (1997): [Mieterfonds] für Schwellenhaushalte, 09/02, www.iff-hamburg.de/2/ mieterfonds.html, 12.Sept.2002 Reifner, U. (1997): [Mieter kaufen] gemeinsam ihr Haus, Hamburg, Rowohlt Scheck, J.P. (2002): [Prospekt] Wohneigentum für Schwellenhaushalte, Berlin, Scheck Wohnbund NRW (Hg.) (1999): [Trägerstrukturen], Trägerformen der Wohneigentumsbildung durch Selbstnutzer in Leipzig, Bochum, Wohnbund NRW 89 90 Projektbeispiele / Kraftwerk 1 Kraftwerk 1 (Detail) Genossenschaft (Neubau) - Zürich Finanzierung: Depositenkasse, Fonds de Roulement, Genossenschaftsanteile, interner Solidarfonds „Wohne wild und zufrieden – KraftWerk1“ 1. Projektprofil. Kraftwerk 1 ist eine neu gegründete Genossenschaft mit dem Ziel, in gemeinsamer Selbsthilfe ihren Mitgliedern preisgünstigen Raum für Wohnen, Arbeiten und öffentliche Nutzungen zu verschaffen. Sie möchte nachhaltige Strukturen schaffen, welche selbstverwaltete, sichere und ökologische Lebensformen ermöglichen. Zu diesem Zweck hat sie in einem zentrumsnahen Zürcher Industriequartier drei Gebäude errichtet, die Platz bieten für ca. 450 Bewohner (300 Wohnen + 150 Arbeiten). KraftWerk1 versteht sich als soziales Pionierprojekt/Experimentierfeld und hat diese Ausrichtung mit seiner Charta zum verbindlichen Programm gemacht. Das Projekt legt Wert auf eine breite soziale Durchmischung, eine aktive Nachbarschaft und eine große Anzahl gemeinschaftlicher Güter und Infrastrukturen. Die Liegenschaften der Genossenschaft sollen dauerhaft der Spekulation entzogen werden. 2. Entstehung/Transformation. Die Geschichte des Kraftwerk 1 ist lang. Sie hat ihre Ursprünge im Gesellschaftsentwurf „bolo`bolo“ aus dem Jahre 1986 des Schriftstellers p.m., der eine bedeutende Rolle in der europäischen Alternativszene spielte. Bis zur Realisierung des Kraftwerks kam es zu einigen Transformationen, die ich im folgenden erläutern möchte: Phase 1: Bolo`Bolo ist eine humorvolle, chaotische, gegenkulturelle Kritik der technologischen Zivilisation und des zentralistischen Staates, eine regionalistische und ökologische Gesellschaftsutopie. In seinem Buch schlägt p.m. die Zerstörung der PAM (Planetaren Arbeitsmaschine) durch gezielte Substruktion bei gleichzeitigem Aufbau neuer alternativer, regional verankerter Lebenswelten vor, welche er Bolos nennt. Bolos sind kleine, dezentrale Gemeinschaften, die nicht mehr als 500 Menschen umfassen sollen. Diese autarken, auf einen möglichst hohen Grad der Selbstversorgung und regional gebundenen Wirtschaftsformen beruhenden Gemeinschaften, können sowohl ländliche, als auch Stadtteil-Kommunen sein, die letztlich ohne Geld, ohne Polizei und ohne Staat leben sollen. Der Aspekt der Befreiung von staatlicher Unterdrückung spielt hier eine sehr große Rolle (vgl. p.m, bolo’bolo,1986). Phase 2: Mit Ihrem Buch Kraftwerk 1 von 1993, versuchten p.m., Andreas Hofer und Martin Blum die Grundlage für die Realisierung eines Bolos zu erarbeiten und stießen dabei auf eine überwältigende Resonanz. „Was wird möglich, wenn 700 Leute zusammen arbeiten und wohnen? Wir sehen ein solches Projekt als Chance, nachhaltige Lebensweisen praktisch zu erproben. Wir gestalten ein neues Stadt-Quartier, in dem wir Haushalten, Zusammenleben und Arbeiten neu verbinden. Wir sind genug Leute, um zwischen Hausund Erwerbsarbeit neue Formen gemeinschaftlicher Arbeit einzuführen ... Dissidente Praxis hat es aber zu allen Zeiten gegeben. Wir Projektbeispiele / Kraftwerk 1 können nicht darauf warten, bis die Mehrheit zustimmt, sondern wir ziehen es vor, heute schon anders zu leben, weil dies schließlich unser einziges Leben ist.“ (p.m. u.a, Kraftwerk 1, 1993) Im Vergleich zum Buch von 1986 kam es jedoch zu einigen Transformationen. Das Ursprungsprojekt von p.m. ging von einer sehr großen Vereinheitlichung der Lebensstile innerhalb der jeweiligen Bolos aus, die in totaler Opposition zur Außenwelt stehen. Unterschiedliche Lebensstile müssten ihren Ausdruck in unterschiedlichen Bolos finden. Diese krasse Trennung von Lebensstilen taucht in dem Buch Kraftwerk 1 nicht mehr auf. Das Projekt bekommt einen integrativeren Charakter, der allerdings von einer gemeinsamen Idee gekennzeichnet sein muss (Satzung). Autarkie bzw. eine gewisse Größe ist auch weiter wichtig für das Projekt, allerdings gerade nicht, um sich erfolgreich vom Rest der Welt abschotten zu können, sondern im Gegenteil, um einer zu starken Intimität und einer daraus folgenden Verinselung entgegenwirken zu können. Dementsprechend soll Kraftwerk 1 auch keine Landkommune sein, sondern mitten in der Stadt platziert werden. Die Größe des Projekts ist auch wichtig, um die Außenwirkung der Projektidee zu vergrößern. Phase 3: Als Phase 3 möchte ich den Realisierungsprozess des Kraftwerks bezeichnen. Im Prinzip wurden die Gedanken des Buches „Kraftwerk 1“ weiterentwickelt. Kraftwerk 1 versteht sich heute als Impulsgeber für die Stadtentwicklung und hat dementsprechend einen beträchtlichen Bekanntheitsgrad erreicht. Damit ist das Projekt urban geworden. Unterstrichen wird dieser Charakter durch eine umfassende Publikations- und Informationspolitik. Im Verlauf der Realisierung mussten allerdings einige Eingeständnisse gemacht werden. Die städtebauliche Situation beengt das Projekt. Mieten und Genossenschaftsanteil sind relativ hoch, was eine soziale Durchmischung erschwert und gerade Schlechtverdienende ausschließt. Die Verbindung von Wohnen und Arbeiten ist eher Aus- nahme als Regel. Das Projekt ist keineswegs autark, obwohl es zahlreiche Synergien gibt. Auch die wohnortnahen Dienstleistungen müssen verstärkt werden. Ein realisiertes Projekt verliert schnell den Charme des Utopischen. Diese Erkenntnis gilt auch für das Kraftwerk - aber an einer Utopie muss man ein realisiertes Projekt dieser Größenordnung auch nicht messen. Was erreicht wurde, ist schon beeindruckend genug (vgl. Schweidlenka, Subversion, 2001). Architektur (extra). Die Baugenossenschaft Kraftwerk 1 ist ein groß angelegtes Wohn- und Arbeitsexperiment, nicht nur was die sozialen und ökologischen Belange angeht, sondern auch hinsichtlich der Architektur. Dabei musste man sich städtebaulich erst einmal einer planerischen Vorbelastung beugen. Wer auf dem Grundstück bauen wollte, musste dies nach einem alten städtischen Gestaltungsplan. Dieser Plan legt Größe und Lage der vier Baukörper zwingend fest. In Folge konzentrierten sich die Architekten vor allem auf die innere Organisation. Das spektakuläre Innenleben des zentralen achtgeschossigen Baukörpers ist von außen kaum sichtbar. Seine schroffe, mit dunklem Klinker verkleidete Backsteinhaut und das regelmäßige Fensterraster lassen nicht auf den komplexen Aufbau schließen. Im Inneren kreuzen sich zwei Erschließungssysteme: In der Vertikalen gibt es vier Treppen- und Lifttürme. Im Erdgeschoss, im dritten und im sechsten Obergeschoss verbinden das Haus in der Längsachse - analog Le Corbusiers Unité d'habitation – sogenannte rues intérieurs. Die Architekten nutzen die Möglichkeiten der Schottenbauweise und schaffen es, zweioder mehrgeschossige Maisonnettewohnungen, Durchschusswohnungen (ihr größter Raum erstreckt sich über die gesamte Gebäudetiefe von 17 Metern), loftartige Einheiten sowie Apartments mit gegeneinander versetzten Geschossen in einem Baukörper unterzubringen. In fünf Riesenwohngemeinschaften können bis zu 20 91 92 Projektbeispiele / Kraftwerk 1 Menschen ihre Wohn- und Arbeitsbereiche miteinander verknüpfen. Am schönsten sind die Maisonnettewohnungen: Sie haben gegen den Hof jeweils einen luftigen, überhohen Raum, der die oberen und unteren Räume der Wohnung miteinander verbindet. Der Trick liegt im Schnitt: Dort, wo sich auf der Westseite vier Geschosse erstrecken, sind auf der Ostseite nur drei Geschosse untergebracht. 2 Insgesamt entstanden 110 Wohneinheiten auf über 10. 000 m Fläche. Dazu gibt es zahlreiche Gemeinschaftseinrichtungen, die von den Bewohnern selbst verwaltet werden: Gästezimmer, ein Gemeinschaftsraum auf der Dachterrasse, Kindergarten und Hort, Ateliers, Waschsalon, Kochclub, Pantoffelbar, Nähatelier und Verleihpool. Als Infrastruktur für das ganze Quartier kommen hinzu: Brasserie Bernoulli, Coiffeursalon 5, Deux Luxe / Früchte & Gemüse und Restaurant. In der Tiefgarage gibt es eine Mobility CarSharing Station mit mehreren CarSharing-Autos. Dass innovativer Wohnungsbau nicht nur günstig sondern auch ökologisch sein kann, beweist Kraftwerk 1 ganz nebenbei. Der Gesamtenergieverbrauch der vier Bauten beträgt rund ein Drittel des derzeitigen Durchschnitts der Häuser in der Schweiz und erreicht damit den Minergie-Standard. Von der Bausumme wurden 2% explizit zur Förderung einer nachhaltigen Bauweise verwendet. Darüber hinaus fließen 1 % der Mieteinnahmen fortlaufend in die Optimierung ökologischer Maßnahmen. Zum Einsatz kommen u.a. ein geleastes Solarkraftwerk, ein Gründach, eine verbesserte Wärmedämmung, eine mechanische Ersatzluftanlage, ökologische Baustoffe, No-Mix-Toiletten, Umweltkommunikation, etc. (vgl. Roderick, Sozialutopie, 2001). 3. Akteure. Wie viele andere alternative Projekte lebte das Kraftwerk lange von der Inspiration einiger weniger Schlüsselpersonen, welche die Grundzüge des Projektes erdachten und lange Zeit für die Entwicklung verantwortlich waren. Andreas Hofer, Martin Blum und der oben bereits erwähnte p.m. entschlossen sich 1992 ein Buch zu schreiben, um die Gedanken des „bolos“ einer Konkretisierung näher zu bringen (s.o.). Durch die Popularität p.m.`s (und seiner bolos) war das Projekt von Anfang an in der Lage, große Massen an Interessenten in seinen Bann zu ziehen. Dadurch kam eine sehr breite Basis zu Stande, die für die Realisierung eine entscheidende Rolle spielte. Die vielen ambitionierten Teilprojekte (ökologische Ausrichtung, Mitbestimmung bei den Grundrissen, soziale Absicherung, gemeinschaftliche Infrastruktur, Gründung der Genossenschaft) waren nur durch massive ehrenamtliche Vorarbeit zu bewerkstelligen. Eine Person, die bis heute in vielen Gremien (Vorstand, Bau- und Finanzkommission) tätig ist, lässt sich während dieses Prozesses allerdings noch einmal hervorheben. Andreas Hofer, freiberuflicher Architekt, Mitherausgeber des Buches Kraftwerk 1, war in an allen entscheidenden Verhandlungen als Vorstand, Bauherrenvertreter, Projektentwickler und als Bewohner beteiligt. 4. Gesellschaftsform. Beim Kraftwerk 1 handelt es sich um eine Genossenschaft mit all Ihren gängigen Organen. Sie wird geleitet von einem siebenköpfigen Vorstand. Zusammen mit der Geschäftsstelle erledigt dieser die laufenden Geschäfte, koordiniert die Projektentwicklung und sorgt dafür, dass die Mitglieder und weitere Interessierte über das aktuelle Geschehen informiert sind und ihr Wissen und ihre Anliegen in die Projektentwicklung einbringen können (s. Darstellung 45). Dazu hat der Vorstand eine Reihe von Kommissionen ins Leben gerufen. Die offenen Kommissionen "Spirit", "Ökologie" und "Kinder" stehen allen Interessierten offen. Hier werden Ideen und Anliegen gesammelt und breit diskutiert. Die Gruppe Spirit beschäftigt sich mit den gemeinschaftlich genutzten Infrastrukturen (Waschsalon, Pantoffelbar, Dachraum, Gästeapartment,...) und arbeitet für diese Projektbeispiele / Kraftwerk 1 100,0 % 50,0 Mio. F Gesamt 4,0 % 2,00 Mio. F private Darlehen (mittelfristig) 4,2 % 2,30 Mio. F privates Darlehen (langfristig) 3,8 % 1,86 Mio. F Fachkommissionen bestehen aus externen, bezahlten Experten und Vorstandsmitgliedern FachKommission Finanzen Öffentlichkeit Bau Verwaltung Depositenkasse Fonds de Roulement (10 Jahre – 3.25 %) 8,5 % 3,96 Mio. F Vorstandsmitgl und Genossen externe Fachleute Beratung Vorstand offene Kommission Überwacht (7 Personen) Amtszeit: 2 Jahre tägliche Geschäfte Spirit Anteilsscheinkapital der Mieter 15000 Franken 0,35 Mio. F Anteilscheine der Stadt Zürich 0,11 Mio. F Solidaranteil andere Genossen- Kontrollstelle 2 Revisoren Ökologie schaften 20,3 % Eigenkapital 10,0 % 5,00 Mio. F Darlehen aus der Pensionskasse 50,0 % 25,6 Mio. F Info ZKB / Migrosbank / ABS 79,7 % 9,55 Mio. F Verantwortung wählt Kinder Generalversammlung Hypothekendarlehen 19,0 % wählt jährlich stimmt ab über Kernfragen Allreal Hypothek Fremdkapital Darst. 46: Kraftwerk 1 Finanzierung Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Weidmann, Interview, 2001, S.10 Darst. 45: Kraftwerk 1 Rechtsform Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Kraftwerk 1, Homepage, 2002 tragfähige Strukturen aus. Die Kommission “Ökologie“ erarbeitet Vorschläge zu ökologischem Bauen und zur ökologischen Bewirtschaftung des Gebäudes. Eine Gruppe von interessierten Eltern widmet sich in der Kinderkommission Themen wie Betreuung, Mittagstisch, Freizeitgestaltung, gemeinsame Infrastrukturen, etc. Die offenen Kommissionen bestehen aus Mitgliedern der Genossenschaft und jeweils einem Vorstandsmitglied. Über diese Konstellation können die erarbeiteten Vorschläge in die Vorstandsbeschlussfindungen eingebracht werden. Die Fachkommissionen “Finanzierung“, “Öffentlichkeit“, “Bau“ und “Verwaltung“ bestehen aus 1-4 Vorstandsmitgliedern (je nach Fachkompetenz) und externen, bezahlten Experten. Sie sorgen für eine professionelle Umsetzung von Kraftwerk 1 und erhalten vom Vorstand ein Mandat. Die Kontrollstelle (ähnlich Aufsichtsrat) besteht aus zwei RevisorInnen und hat die Aufgabe den Vorstand zu überwachen. Sie prüft die Bilanz, die Darstellung der Vermögenslage und des Geschäftsergebnisses, die Arbeit und Organisation der Geschäftsführung und legt der Generalversammlung darüber einen schriftlichen Bericht vor. Die Kontrollstelle wird für die Dauer von zwei Jahren von der Generalversammlung gewählt. Als Kontrollstelle kann auch eine Treuhand- oder eine Revisionsgesellschaft gewählt werden, sofern sie von einem schweizerischen Fachverband anerkannt ist. Darüber 93 94 Projektbeispiele / Kraftwerk 1 hinaus hat sich die Genossenschaft ideelle und prominente Rückendeckung organisiert. In einem Patronatskomitee, welches die Genossenschaft berät, finden sich Mitglieder aus Politik, Kultur und Wissenschaft. Die ordentliche Generalversammlung findet jährlich statt. Sie wählt den Vorstand und die Kontrollstelle und legt die Eintrittsgelder und Jahresbeiträge fest. Jedes Mitglied hat in der Generalversammlung eine Stimme (vgl. Kraftwerk 1, Statuten, 1999). 5. Finanzierung. Die Immobilienkrise stand bei der Realisierung des Projekts Pate. In den neunziger Jahren fielen wegen des Überangebots an Büroflächen die Bodenpreise im Industriequartier. Bauzinsen und Baukosten sanken und die Immobilienfirmen wussten nicht, was sie mit den ausrangierten Industriearealen anfangen sollten. Die Baugenossenschaft wurde deshalb schnell zu einem ernst zu nehmenden Partner, auch für mächtige Immobilienfirmen. Konkret wurde es 1998: Nachdem sich schon mehrere Architekten und Investoren die Zähne am Areal ausgebissen hatten, fanden sich die Genossenschaft Kraftwerk 1, Oerlikon-Bührle Immobilien (heute Allreal Generalunternehmung) sowie die beiden Zürcher Architekturbüros Bünzli & Courvoisier und Stücheli Architekten zu einem pragmatischen Team zusammen. Als neue Genossenschaft, die keine Liegenschaften als Sicherheit einbringen und keinen Nachweis professionellen Wirtschaftens einbringen konnte, hatte Kraftwerk 1 ein großes Problem mit der Eigenkapitalbeschaffung. Zudem war es das Ziel der Genossenschaft, das Anteilsscheinkapital nicht zu groß werden zu lassen, weil dies zu einem Ausschluss schlechter Verdienender geführt hätte (und teilweise hat). Es wurden eine Vielzahl von Möglichkeiten erarbeitet, um schließlich bei einem akzeptablen Eigenkapitalanteil von ca. 20 % zu landen. Ca. 4 % (2,00 Mio.) EURO kommen aus einer vom Kraftwerk aufgelegten Depositenkasse. Die Depositenkasse bietet den Mitgliedern der Genossenschaft einerseits die Möglichkeit Geld zu attraktiven Zinsen anzule- gen. Andererseits vergrößert dieses Geld die Eigenkapitalbasis des Projektes und löst damit hochverzinste Darlehen ab. Die Zinsen liegen, je nach Geschäftslage, zwischen dem Sparheftzins der Züricher Kantonalbank und dem Zinssatz für Neuhypotheken. Die Kündigungsfristen liegen je nach Geldvolumen zwischen einem ein und sechs Monaten. Weitere 4,2 % (2,3 Mio. F) kommen von privaten Darlehensgebern, die namentlich nicht genannt werden. 3,8 % (Mio. F) gibt der Fonds de Roulement des Schweizer Verbandes für Wohnbau- und Eigentumsförderung (SWE) als zinsgünstiges Darlehen, welches nach Ablauf von 10 Jahren zurückgezahlt werden muss (vgl. Darstellung 47). Diesem Dachverband, der es sich zum Ziel gesetzt hat gemeinnützigen Wohnraum zu fördern, gehören ca. 200 Genossenschaften an. Die Maximalförderung liegt bei 25.000 F je Wohnung bzw. 5 % der Anlagekosten. Vorausgesetzt werden 10 % Eigenmittel. Der Zinssatz für das Jahr 2002 betrug günstige 3.25 %. Das Anteilsscheinkapital macht den größten Teil des Eigenkapitals aus. Jeder Mieter muss bei 2 Reservierung 5.000 und bei Einzug zusätzliche 10.000 F / 35 m bezahlen. (8,5 % , 3,96 Mio. F). Diese Einlagen werden geringfügig verzinst. Sollten Mieter dazu nicht in der Lage sein, gibt es die Möglichkeit eines Darlehens durch den Kapitalfonds des Kraftwerks. Die Stadt Zürich bzw. andere Genossenschaften haben Anteilsscheine für 0,46 Mio. F gezeichnet. Die Restfinanzierung wird über ein zinsgünstiges Darlehen der Pensionskasse und über Darlehen der ABS-Bank (Ökoförderkredit), der ZKB und der Migrosbank realisiert. Die Allreal AG ist Generalunternehmer und Projektentwickler des Bauvorhabens. Eine sehr eigentümliche Partnerschaft, ohne die ein „alternatives“ Projekt dieser Größenordnung wohl nicht realisierbar gewesen wäre. Als solches ist die Allreal AG mit 19 % (9,55 Mio. F) am Kraftwerk beteiligt (vgl. Kraftwerk 1, Homepage, 2002 und Weidmann, Krise, 2001, S.22f). Projektbeispiele / Kraftwerk 1 KraftWerk1 versteht sich als soziales Pionierprojekt und hat diese Ausrichtung mit seiner Charta zum verbindlichen Programm gemacht. Obwohl durch alternative Finanzierungsmethoden ein Mietpreis erreicht wurde der ca. 20 % unter durchschnittlichen 2 Neubaumieten liegt, sind 200 bis 220 Franken je m und Jahr und 2 15.000 Franken Genossenschaftsanteil je 35m Nutzfläche nicht für Jedermann/frau erschwinglich. Um trotzdem zu einer sozial ausgewogenen Mischung zu gelangen, wurde ein Mietzins- und ein Kapitalfonds eingerichtet. Außerdem wurden Vereinbarungen mit externen Sozialinstitutionen (Stiftung Altried / Stiftung Domicil) getroffen, die in KraftWerk1 Wohnungen mieten sowie das Anteilscheinkapital stellen und diese an ihre Klientel (geistig/körperlich Behinderte bzw. ausländische Familien mit Wohnproblemen) - bei Bedarf vergünstigt – weitervermieten (s. Darstellung 46). Kapitalfonds - Der für die Finanzierung nötige durchschnittliche 2 Kapitalbedarf pro 35 m Nutzfläche liegt etwas tiefer als die 15.000 Franken, die KraftWerk1 von den Mietern verlangt. Der Differenzbetrag ist teils nötig, um das Leerstandsrisiko abzudecken, teils wird damit der Kapitalfonds alimentiert. Mit Beschluss der Generalversammlung vom 1. Juli 2000 werden dem Kapitalfonds 500.000 Franken zugewiesen. Menschen, die das erforderliche Anteilscheinkapital für ihre Wohnung nicht aufbringen können einen Antrag stellen, das fehlende Kapital aus diesem Kapitalfonds zu beziehen. Die maximale individuelle Solidaritätsleistung beträgt zwei Drittel des erforderlichen Anteilscheinkapitals. Das Anteilscheinkapital wird geringfügig verzinst. Die Zinsen werden auf die Miete geschlagen (Beschluss GV 20. 11. 1999). Mietzinsfonds - Neben der Miete erhebt Kraftwerk1 einen Beitrag an einem Mietzinsfonds, mit dem soziale Härten gemildert, gemeinsam nutzbare Infrastrukturen gefördert und ökologische Programme unterstützt werden können. Der so genannte Spirit-Beitrag wird Schweizer Verband für Wohnbau- und Eigentumsförderung (SWE) Der SWE versteht sich als Kompetenzzentrum des gemeinnützigen Wohnungsbaus. Als genossenschaftlicher Dachverband vertritt er die Interessen seiner Mitglieder gegenüber Öffentlichkeit, Behörden, Amtsstellen und Wirtschaft. Der SWE fördert den preisgünstigen Wohnungsbau auf genossenschaftlicher und gemeinnütziger Basis. Er hat zur Zeit 200 Mitglieder. Bei einem Verbandsbeitritt sind Anteilscheine von mindestens Fr. 1'000.—zu zeichnen, eine Eintrittsgebühr entfällt. Der jährliche Mitgliederbeitrag beträgt gemäss Beschluss der Delegiertenversammlung Fr. 3.-- je Wohnung und Jahr, mindestens jedoch Fr. 150.-- und höchstens Fr. 500.-- im Jahr. Die Soziale Stiftung SWE unterstützt Mitglieder des SWE durch finanzielle Leistungen, wenn damit nach einer Krisensituation bzw. Sanierung ein Weiterbestand des gemeinnützigen Wohnbauträgers möglich ist. In sozialen Härtefällen von Mieter/innen kann die Stiftung auch einmalige Mietzinszuschüsse ausrichten. Zusätzlich zu den finanziellen Leistungen kann die Stiftung auch Beratungsleistungen übernehmen. Der Fonds de Roulement vergibt an die Mitglieder des SWE zinsgünstige Darlehen für die Restfinanzierung von Neubauten, Renovationen und den Erwerb von bestehenden Liegenschaften. Gefördert wird mit maximal 25.000 Franken pro Wohnung bzw. 5 % der Anlagekosten bei mindestens 10 % Eigenkapital. Die Rückzahlung erfolgt in der Regel innerhalb von 10 Jahren. Der Zinssatz betrug 2002 3,25 %. Im Jahr 1999 wurden 11 Darlehensgesuche über 3.75 Mio. Franken genehmigt. Die EGW (Emissionszentrale für gemeinnützige Wohnbauträger) ist eine Genossenschaft, die 1990 von den Dachverbänden der gemeinnützigen Wohnbauträger gegründet wurde. Sie ist eine gesamtschweizerische, selbständige privatrechtliche Organisation, die in enger Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Wohnungswesen (BWO) steht. Ihr Ziel ist es, den gemeinnnützigen Bauträgern durch die Vermittlung von Anleihensquoten zu zinsgünstigen finanziellen Mitteln zu verhelfen. Durch die Bundesbürgschaft nach WEG (Wohnbau- und Eigentumsförderungsgesetz) werden die Zinskonditionen wesentlich verbessert. Darst. 47: SWE – Verband (Schweiz) Quelle: SWE, Homepage, 2002 95 96 Projektbeispiele / Kraftwerk 1 monatlich von allen verdienenden Bewohnern erhoben und bemisst sich nach ihrem Einkommen. Die Beiträge liegen zwischen 15 und 55 F / Monat. Auf diese Weise werden jährlich 80.000 F zusammengebracht. Die eine Hälfte wird für den Betrieb gemeinsam nutzbarer Infrastrukturen (Infrastrukturfonds) oder für spezielle Ökomaßnahmen (Ökofonds) gebraucht. Die andere Hälfte wird für die Vergünstigung von Mieten (Mietzinsfonds) verwendet. Die Mietzinsreduktionen sind an Personen gebunden. Die maximale individuelle Solidaritätsleistung beträgt 20% des Mietzinses. Auf Hilfen aus dem Mietzinsfonds gibt es keinen Anspruch. Die Solidarität mit allen Nutzern verlangt, dass Antragsteller ihrerseits alles zumutbare unternehmen, um ihre finanziellen Probleme zu lösen oder zu minimieren. Insbesondere sollen zuerst die Unterstützungsleistungen der öffentlichen Hand ausgeschöpft und private Lösungen gesucht werden. Die Bezugsdauer sollte so kurz wie möglich gehalten werden. Eine aus externen bestehende Solidaritätskommission ist zuständig für die Behandlung und den Entscheid über die Gesuche (vgl. Kraftwerk 1, Homepage, 2002). 6. Konflikte/Probleme. KraftWerk1 stellten sich als junger, innovativer Genossenschaft einige schwierige Anfangsprobleme, vor allem finanzieller Natur. Erstens gab es die Möglichkeit nicht, bestehende Liegenschaften als Sicherheiten einzusetzen. Zweitens musste bei den potentiellen Geldgebern das Vertrauen in die professionelle Arbeitsweise der jungen Genossenschaft neu geschaffen werden. Und drittens galt es stets, die Attraktivität des innovativen Projektes unter Beweis zu stellen. Diese drei Hürden erschwerten die Sicherung der Finanzierung sehr. Ohne eine Generalunternehmung (Allreal AG), welche an das Projekt glaubt(e) und dem Kraftwerk die Zeit gab, die Sie für den erfolgreichen Abschluss aller Verhandlungen brauchten, hätte ein Projekt in der Größenordnung des jetzigen KraftWerk1 unmöglich realisiert werden können. Es gab auch immer erhebliche Bedenken was die Entwicklung des Quartiers betrifft. Die jetzige Situation bietet die einmalige Chance, dass sich der äußere Kreis 5 schnell zu einem dicht genutzten, spannenden Quartier entwickelt. Aber es ist auch eine erhebliche Skepsis an der Planungseuphorie erlaubt. Die von der revidierten Bau- und Zonenordnung (BZO) erlaubte hohe bauliche Ausnutzung und das Wiederanziehen der Konjunktur bergen die Gefahr, dass das Gebiet monofunktional für Dienstleistungen genutzt wird. Was die soziale Konzeption betrifft kommt es immer wieder zu kleinen Reibereien: die Groß-WG ist doch zu laut, erlaubt zu wenig Privatsphäre, die Gemeinschaftsräume werden vernachlässigt, sind zu verraucht, es verschwinden Sachen, die Bevormundung durch den Vorstand nervt, etc. Die Akzeptanz für diese “kleinen Pannen“ ist jedoch groß. Wie aus den Erwartungs- und Erfahrungsberichten hervorgeht, waren sich alle Bewohner bewusst, dass sie sich auf ein “soziales Experiment“ einlassen, das nicht automatisch und ohne eigenes Zutun zum großen Erfolg werden kann. Die Bereitschaft sich auf ein solches Experiment einzulassen eint die Bewohner des Kraftwerks, was die Lösung von Konflikten erleichtert. Die alltäglichen Erfahrungen sind noch nicht sehr groß, schließlich wurde das Kraftwerk vor gerade erst einem Jahr bezogen. Die Bereitschaft, sich in irgendwelchen Kommissionen zur Verrügung zu stellen, kann ganz schnell abnehmen. Zum Thema der sozialen Konstruktion wird eine universitäre Langzeitstudie vorgenommen. Auf die Ergebnisse dieser Studie darf man gespannt sein. (vgl. Kraftwerk 1, Chronisten, 2002 und Weidmann, Interview Hofer, 2001, S.7f) 7. Kooperation / Vernetzung. KraftWerk 1 konnte vielschichtige Kooperationen aufbauen. So u.a. mit der European Architectural Students Assembly; dem International Network for Urban Research and Action; der deutschen Gemeinschaft Niederkaufungen und der Longo Mai; dem Netzwerk für Selbstverwaltung, dem Alternativen Projektbeispiele / Kraftwerk 1 Handels-, Dienstleistungs- und Kulturzentrum Zürich; der Global Forum 94-Konferenz (1994)); zu Rutelli, dem grünen Bürgermeister von Rom & seinem Team zur ökologischen Stadterneuerung; der Stadt Zürich; dem Migros Genossenschaftsbund; verschiedenen Medien, vor allem der linksalternativen Szene und der ETH Zürich. (vgl. Kraftwerk 1, Homepage, 2002) 8. Lessons Learned. Das Kraftwerk hat einen interessanten Prozess genommen von den gegenkulturellen Gesellschaftsutopien der Bolos zur urbanen, kulturellen und integrativen Kraft des realisierten Projektes– man könnte auch sagen von einer Resistence zu einer Project Identity. Obwohl das Kraftwerk1 von einem Gemeinschaftsgedanken bestimmt wird, zieht es sein Potential aus der Individualisierung unserer Gesellschaft. Der im Kraftwerk1 gelebte Solidaritätsgedanke ist Resultat eines selbstbestimmten Prozesses, eines Lebensentwurfs der individuell erarbeitet und aus den verfügbaren Bausteinen, Beziehungen und Kommunikationsmustern zusammengesetzt wird. Das Kraftwerk ist zweifellos geboren aus dem Bedürfnis der einzelnen Bewohner wieder stärker „Subjekt des eigenen Handelns“ zu sein. Dadurch entstehen innerhalb und in Auseinandersetzung mit einem urbanen Kontext Möglichkeiten, die weit über diejenigen nostalgisch idealisierter Gemeinschaften hinausgehen. Das Kraftwerk präsentiert ein hohes Maß kollektiver Kreativität und bleibt trotzdem strukturell offen und aktiv mit seiner Außenwelt verknüpft. Es entspricht dem Wunsch der Initiatoren, den Kraftwerk-Gedanken weiterzutragen. Dieser ist jedoch nicht institutionell verankert und man fragt sich, ob es nicht zwangsläufig eine Tendenz geben wird, sich nach 20 jähriger Anstrengung auf dem Erreichten auszuruhen. Der Schweizer Fonds de Roulement ist generell ein Instrument, welches einem revolvierenden Sozialfonds nahe kommt und damit auch für eine Kontinuität der Entwicklung von genossenschaftlichen Projekten sorgen kann. Neue Genossenschaften wird es also geben – aber auch neue Kraftwerke? SWE (Hg.) (2002): [Homepage] Schweizerischer Verband für Wohnbau- und Eigentumsförderung, 07/02, www.swe-wohnen.ch, 27. Sept. 2002 Tec 21 (2001): Kraftwerk 1, Nr.42 vom 19.Okt.2001, Zürich Weidmann, Ruedi (2001): Ein besseres Stück Stadt, [Interview] mit Andreas [Hofer], in: tec 21, Nr.42 vom 19.Okt.2001, Zürich Weidmann, Ruedi (2001): Die [Krise] als Chance in: Tec 21, Nr.42 vom 19.Okt.2001, Zürich Kraftwerk 1 (Hg.) (2002): Texte der [Chronisten], 06/2002, www. kraftwerk1.ch, 12.Aug.2002 Kraftwerk 1 (Hg) (2002), Homepage, 06/2002, www.kraftwerk1.ch, 12.Aug.2002 Kraftwerk 1 (Hg.) (2000): Jahresbericht 2000, 06/2002, www.kraft-werk1.ch, 12.Aug.2002 Kraftwerk 1 (Hg.) (1999): Jahresbericht 1999, 06/2002, www.kraft-werk1.ch, 12.Aug.2002 Kraftwerk 1 (Hg.) (1999): [Statuten] der Genossenschaft, 06/2002, www.kraftwerk1.ch, 12.Aug.2002 Hönig, Roderick (2001): Gestalt gewordene [Sozialutopie], 07/2002, http://db.nextroom.at/tx/10360.html, 12.Aug.2002 p.m. u.a. (1993): [Kraftwerk 1] - Projekt für das Sulzer-Escher-Areal, Zürich, Paranoia City Verlag p.m. (1986): bolo`bolo, Zürich, Paranoia City Verlag Schweidlenka, Dr. Roman (2001): Bolo Bolo und die schleichende [Subversion], 08/2002, www.esonet.at/groups/bolo.html, 12. Aug. 2002 Bau- und Wohngenossenschaft KraftWerk1 Hardturmstrasse 269, 8005 Zürich Tel. 01-440 29 81 E-Mail: info@kraftwerk1.ch www.kraftwerk1.ch 97 98 Projektbeispiele / 1892 Genossenschaft von 1892 (Teil) Profil: traditionelle Genossenschaft Standort: Berlin Gesellschaftsform: Genossenschaft Finanzierung: Genossenschaftsanteile, Spareinlagen Aspekte: Entstehung / Transformation, Akteure 1. Projektprofil/Idee. Die Gründungsphase der ersten Genossenschaften liegt in einer Zeit, die der heutigen, provokant formuliert, in gewissen Punkten durchaus ähnlich ist. Die ausufernde Industrialisierung (heute die Globalisierung) brachte Probleme mit sich, die in einer massiven Umwälzung der bestehenden Verhältnisse resultierte. Auf diese Probleme wollte (heute konnte) der Staat nur unzureichend reagieren, was zur Folge hatte, dass Selbsthilfeorganisationen wie die Genossenschaften, eine erste Blütezeit erlebten. Die genossenschaftliche Strategie besteht aus einer Kopplung von persönlichem Engagement, persönlichem Kapital und einer gemeinschaftlichen Idee, sowohl der betroffenen Nutzer (Genossenschaftsmitglieder), als auch der erforderlichen Förderer (bürgerl. Philantrophen). Die damals entworfenen Finanzierungsformen werden heute innerhalb innovativer Altgenossenschaften wie der 1892 reaktiviert. Man spricht auch von einer Wiederbelebung des aus der Wohnreform resultierenden Genossenschaftsgedanken. Auch der pragmatische Ansatz einer Utopie „im Kleinen“, angesichts einer nicht zu kontrollierenden, gesamtgesellschaftlichen Umwälzung, entspricht heutigen strategischen Ansätzen und Projektionen. „Wer heute eine neue Gartenvorstadt von bestimmten Umfang in Aussicht stellt, findet leicht Hunderte von Mitgliedern; wer in derselben Stadt aber durch eine verständige Steuerreform oder durch Einführung einer neuen Bauordnung, die das Massenmietshaus ausschließt, die ganze Gemeinde einer Gartenstadt ähnlich machen will, findet viel weniger Gefährten der Arbeit.... Anschauung ist die erste Stufe der Erkenntnis... Wo immer es möglich ist, müssen wird auch Einzelbeispiele schaffen, wenn wir uns auch ihrer Begrenzung nach Raum und Zeit bewusst bleiben. Wir müssen helfen an Genossenschaften, an Siedlungen, an all dem, was Menschen guten Willens zuerst verstehen lernen können....“ (Damaschke, Leben zit. in Novy, Innovation, 1992, S.11). Um diese Parallelität eingehender beleuchten zu können, beschäftige ich mich im Folgenden nicht mit der „Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892“, sondern im wesentlichen mit dem historischen Vorgänger: dem „Berliner Spar- und Bauverein (BSBV). Dabei widme ich mich vor allem den Aspekten der Entstehung / Transformation, Akteure und Finanzierung. 2. Entstehung/Transformation Das philanthropische Selbsthilfemodell. „Der Gedanke in Berlin eine Baugenossenschaft von der besonderen Organisationsform, die dem Spar- und Bauverein zu Grunde liegt ins Leben zu rufen, ging von einer kleinen Anzahl von den besitzenden Klassen angehörenden Männern aus, denen das Wohl der Minderbemittelten am Herzen lag.“ (Albrecht, Fünf Jahre zit in: Novy, Innovation, 1992, S.14) Die Berliner „Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892“ wurde Projektbeispiele / 1892 unter dem Namen „Berliner Spar- und Bauverein (BSBV)“ gegründet. Es handelte sich dabei um eine von staatlichen und bürgerlichen Reformkreisen ausgehende Initiative, die praktische Beteiligung und aktive Mitwirkung der Arbeiterschaft vorsah, um sie aus der degradierenden Rolle passiver Almosenempfänger zu befreien und in die bürgerliche Gesellschaft und den wilhelminischen Staat zu integrieren. „Zu befrieden“ und von der „Verfolgung utopischer Ideale abzubringen“ (vgl. Kromrey, Baugenossenschaften zit in: Novy, Innovation, S.15), wie von den Sozialdemokraten vorgeworfen wurde. Das Modell einer fast nur von Laien verwalteten Genossenschaft wurde nach einem Jahr durch eine grundlegende Umstrukturierung vor seinem Scheitern gerettet. In der Generalversammlung von 1893 wurden Vorstand und Aufsichtsrat mit „professionellen Wohnreformern“ versehen, die fortan die Geschicke der Genossenschaft leiteten. Durch das Engagement des berühmten Architekten Messel wurde der BSBV über die Grenzen des wilhelminischen Deutschland hinaus bekannt. Bis 1918 entstanden 6 Bauvorhaben mit 1560 Mitgliedern (Sicking, Stargader und Proskauer Straße, Tempelhof, Charlottenburg und Westend). Die Genossenschaft hatte sich vom kleinen Sozialexperiment zum professionellen Unternehmen entwickelt. Diese ersten Siedlungen blieben aber dennoch „Reforminseln inmitten des steinernen Berlin“ (vgl. Novy, Innovation, S.11ff). Reformwohnungsbau auf Massenbasis. Der Zusammenbruch der privaten Bautätigkeit während und vor allem nach dem ersten Weltkrieg, erzwang den Reformwohnungsbau auf Massenbasis. Erstmals wurde eine breit angelegte Wohnungspolitik realisiert, ermöglicht durch den Zusammenbruch der Monarchie, die Konstitution eines demokratischen Staates - der Weimarer Republik - und durch die Ressourcen einer kurzen, aber intensiven, wirtschaftlichen Blütezeit. Die meist noch ehrenamtlich geführten Genossenschaften waren mit dieser Aufgabe überfordert. Es bedurfte einer professionelleren Struktur und einer komplexeren Kooperation zwischen Finanzierungsinstituten, Bestandsverwaltungen, Baubetreuungs- und Planungsorganisationen. Aufbauend auf den örtlichen, der Arbeiterbewegung nahestehenden Genossenschaften entstanden Serviceunternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft, die sich auf übergeordneter Ebene in einer programmgebenden Muttergesellschaft organisierten. 1924 erfolgte in Berlin sowohl die Gründung der DEWOG als Muttergesellschaft, wie auch der GEHAG als Berliner genossenschaftlich-gewerkschaftliches Betreuungsunternehmen. In diesem Verbund von sozialen Baubetrieben, gewerkschaftlichen Bauherrenorganisationen, von Arbeiterbank, Volksfürsorge und Konsumgenossenschaften – unterstützt durch Mittel der 1924 staatlicherseits eingeführten, die Inflationsgewinne der Hausbesitzer abschöpfenden Hauszinssteuer – entstanden Berlins lebendigste Siedlungen. Die GEHAG übernahm die Planung und Baudurchführung der Bauten für ihre Mitgliedergenossenschaften „Paradies“, „Freie Scholle“, „Ideal“, „Lichtenberger Gartenheim“, „Beamten-Wohnungsverein Neukölln“ und für kurze Zeit auch für den „Berliner Bau- und Sparverein“. Im Jahre 1924 entstand, im Auftrag des Berliner Bau- und Sparvereins, die Siedlung Schillerpark im Stil des „neuen Bauens“ (Bruno Taut). Bauherr war der BSBV, die Baubetreuung übernahm die GEHAG, die Bauausführung die Berliner Hütte. Es kam jedoch zum Bruch mit der GEHAG und ab 1925 übernahm der BSBV die Bauabwicklung wieder selbst. Mit der Weltwirtschaftskrise 1929 war die Blütezeit schon bald wieder vorbei (ebenda, S.56ff). Die Machtergreifung. Die Folgejahre standen im Zeichen der Machtergreifung, der Gleichschaltung und des Krieges. Der Genossenschaftsgedanke wurde durch einen völkischen, nationalistischen ersetzt, die Siedlung Attilahöhe entstand. Die meisten Gemein- 99 100 Projektbeispiele / 1892 schaftseinrichtungen wurde aufgelöst. Der BSBV wurde auf die reine Wohnraumversorgung reduziert. 1942 wurde der BSBV in die „Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892“ umbe- Darst. 48: BSBV, Bristolstraße Quelle: Novy, Innovation, 1992, S.79 nannt. Dies war notwendig geworden, weil die namensgebende Spareinrichtung nicht mehr weiter existieren durfte (ebenda, S.86ff). Sozialer Wohnungsbau. In der Nachkriegszeit kam es im Zuge des Wirtschaftswundes ab Mitte der 50er Jahre zu einem weiteren bescheidenen Aufschwung (Eulerstrasse, Totilastrasse, Marienhöhe, Buckow). Mehr und mehr gerieten die Genossenschaften jedoch in ein Dilemma, aus dem sie sich bis heute nicht lösen konnten. Das Wohnungsbaugesetz von 1952 setzte auf schnelles Wachstum und Konzentration. Die enormen Aufgaben des Wiederaufbaus begünstigten professionell geführte, große Wohnungsbauunternehmen. Die Genossenschaften wuchsen zwar, konnten mit der „Dynamik“ dieser Gesellschaften jedoch nicht mithalten. Hinzu kam, dass mit einer zunehmenden Regulierung und Sättigung des Wohnmarktes, der Selbsthilfezweck im Sinne einer Schaffung kostengünstigen Wohnraumes haltlos wurde. Sozialer Wohnraum wurde jetzt im wesentlichen vom Sozialstaat geschaffen (ebenda, S.94ff). Eine Profilierung über den Genossenschaftsgedanken konnte angesichts der erreichten Größe und des damit einhergehenden Bindungsverlustes zu den Mietern, angesichts des Wertewandels durch Individualisierung und Konsumorientierung, nicht mehr erreicht werden. Die Genossenschaften widmeten sich fortan im wesentlichen der Bestandverwaltung. Die Bevölkerungsstruktur alterte beständig. Die Wohnhöfe bekamen, mangels Benutzung durch spielende Kinder etwas geisterhaftes. Von Orten des sozialen Experiments und der sozialer Kreativität konnte man beim besten Willen nicht mehr sprechen. Die Themengenossenschaft. Erst kürzlich ergeben sich neue genossenschaftliche Nischen, die nicht mehr so sehr auf einem gemeinschaftlichen, gesellschaftlichen Gedankengut basieren, sondern sich an pluralistischen, identitätsbildenden Gruppenmerkmalen (Lifestyles) orientieren (Wohnen mit Kindern, generationsübergreifend, autofrei, kommunikativ, Behindertenwohnen, Selbstbestimmtes Wohnen,....) Die „Berliner Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892“ ist eine der wenigen, traditionellen Wohngenossenschaften, die in den letzten Jahrzehnten beständig eine Revitalisierung des Genossenschaftsgedankens probiert hat und baulich wieder tätig geworden ist. Die neueren Wohnprojekte der 1892 sind wieder "Versuchsstationen" und verfolgen explizit ursprüngliche Ideen gemeinschaftsbildender Architektur. So wurde zum 100jährigen Geburtstag das Pilotprojekt "kommunikatives Wohnen" im "experimentellen Wohnungsbau" realisiert. Neue Wege, Innovation und Orientierung an den Bedürfnissen der Mitglieder war und ist die Unternehmensphilosophie der 1892. Deren Praxis spiegelt sich insbesondere im jüngsten Konzept, "offensives Altern" wieder, ein generationsübergreifendes Frauenwohnprojekt in Kooperation mit gleichnamigem Verein oder im Weiterbau der Siedlung Gartenstadt Falkenberg, deren ursprüngliche Gestaltung neu interpretiert und mit einem Projektbeispiele / 1892 Teilprojekt "autofreies Wohnen" realisiert wird. In der Chausseestraße soll das Konzept des „autofreien Wohnens“ an einem durch den öffentlichen Verkehr hervorragend erschlossenen, innerstädtischen Bereich, weiterverfolgt werden. Der Kreis schließt sich. Des weiteren versucht die 1892, angesichts des Rückzugs öffentlicher Förderungen, wieder stärker privates Kapital zu aktivieren. So wurde 1995 die Spareinrichtung mit unterschiedlichsten Anlagemöglichkeiten wieder eingerichtet. Heute hat die 1892 mehr als 10000 Mitglieder und über 6000 Wohnungen in ihrem Bestand (vgl. BBW 1892, Homepage). 3. Akteure. Es gibt mehrere Personen, die in der Geschichte der 1892 eine bedeutende Rolle gespielt haben. Zu ihnen zählen in der Gründungsphase insbesondere Alfred Messel, Heinrich Albrecht und Adolf Damaschke. Albrecht gilt als Pionier und Leitfigur der deutschen Genossenschaftsbewegung. Er gehörte zahlreichen Verbänden an u.a. der Centralstelle für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen, dem Albrechtverband, dem Reichsverband Deutscher Baugenossenschaften, des Deutschen Vereins für Wohnungsreform, der Deutschen Gartenstadtgesellschaft, etc. Im Berliner Spar- und Bauverein war er Mitglied des Aufsichtsrats von 1893 – 1921 (vgl. Novy, Innovation, S.14). Adolf Damaschke (Journalist, Bodenreformer und Pädagoge) war eine kaum minder schillernde Persönlichkeit der Berliner Reformszene. Unter starkem, persönlichen Einsatz engagierte er sich in der Mitgliederwerbung des BVBS und gehörte von 1893 – 1899 dem Aufsichtsrat an. Auch er war in zahlreichen Verbänden tätig (National Sozialer Verein, Bund Deutscher Bodenreformer, CAW, etc.) (ebenda, S.15). Alfred Messel war im BSBV von 1893 – 1998 im Vorstand und 1899 – 1902 im Aufsichtsrat. Vor allem war er jedoch der Architekt der Genossenschaft und verhalf mit seiner Aufsehen erregenden Archi- tektur dem BSBV zu seiner damaligen Vorreiterrolle im innerstädtischen Arbeiterwohnungsbau, die 1900 auf der Pariser Weltausstellung mit einer Goldmedaille honoriert wurde. Alfred Messel war auch der erste Stararchitekt, der die „kleine Wohnung“ als Tätigkeitsfeld für sich entdeckte. Ihm folgten Architekten wie Paul Mebes, Hermann Muthesius und später Bruno Taut. In einem Nachruf des BSBV heißt es: „Beim Entstehen des Vereins stellte Messel uns seine hervorragende Kraft als Architekt zur Verfügung....er war der Mitarbeiter, der jahrelang in unendlich vielen Sitzungen und Beratungen die Wünsche der Genossen anhörte und mit bewundernswerter Hingabe liebevoll auf sie einging, soweit er es mit seinem bereits damals klangvollen Namen als Künstler vereinen konnte....“ (BVBS Mitgliederzeitung zit. in Novy, Innovation, S.28.) 4. Gesellschaftsform. Die organisatorische Struktur des BSBV wurde analog den Vorschriften des Genossenschaftsgesetzes in seiner Satzung festgelegt. Dem Vorstand, bestehend aus 6 Mitgliedern, oblag die Geschäftsführung. Er wurde vom 24 – köpfigen Aufsichtsrat berufen, der Beratung und Kontrolle des Vorstands übernahm. Die Generalversammlung trat jährlich zusammen, wählte den Aufsichtsrat und bestimmte über die Richtlinien der Unternehmenspolitik. Zusätzlich wurde eine Revisionskommission zur Prüfung der Geschäfts- und Kassenprüfung, sowie eine Baukommission für die Neubauprojekte gegründet. 5. Finanzierung. Die ursprüngliche Finanzierung des „Berliner Sparund Bauvereins“ stand auf „vielen Beinen“, allesamt privatwirtschaftlicher Natur. Ca. 10 % Eigenmittel wurden von den Bewohnern aufgebracht. Jedes Mitglied verpflichtete sich Genossenschaftsanteile im Wert von 300 Mark zu zeichnen. Dies entsprach ca. 15 – 25 % des Jahreseinkommens. Auf heutige Verhältnisse wären dies bei einem Jahreseinkommen von 50.000 DM zwischen 8.000 und 12.000 DM. 101 102 Projektbeispiele / 1892 Wer seinen Genossenschaftsanteil nicht voll einzahlen konnte, bekam die Möglichkeit der wöchentlichen Ratenzahlung von 30 Pfennig. Hinzu kamen die Spareinlagen, die in keiner anderen Genossenschaft so hoch waren und 1914 etwa 550 DM pro Person entsprachen. Über die Sparkasse wurden die wöchentlichen Ratenzahlungen abgewickelt; ebenso die jährlichen Dividendenzahlungen von drei bis vier Prozent. Des weiteren wurden Privatpersonen durch die Ausgabe von Schuldverschreibungen zur Finanzierung herangezogen (Privatdarlehen), auch wenn dies im Falle der BSBV nur geringfügig gelang (1911 Wertpapiere im Wert von 500.000 DM). 1. Spareinlagen mit dreimonatiger Kündigungsfrist 3,25 % p.a. 2. Spareinlagen mit sechsmonatiger Kündigungsfrist 4,00 % p.a. 3. Festzinssparen 1 – 12 Jahre 4,05 – 4,75 % p.a. + Bonus-Raten-Sparen, Rendite-Sparen, VL-Sparen Darst. 49: Anlagemöglichkeiten 1892 (aktuell) Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: BBW 1892, Homepage, 2002 Weitere Kapitalgeber der Genossenschaft waren neben Renten-, Krankenversicherungen und Pensionskassen auch Stiftungen. Oft waren solche Unterstützungen mit Belegungsbindungen verknüpft, wie etwa die Versorgung der Mitarbeiter der Preußischen Staatseisenbahnen in der Siedlung Proskauer Straße. Diese privatwirtschaftlichen Finanzierungsmethoden spielten über einen langen Zeitraum keine besondere Rolle mehr, da über Jahrzehnte ein Großteil des Finanzierungsvolumens von der öffentlichen Hand übernommen wurde. Erst 1995, angesichts der auslaufenden Wohnungsbauförderpro- gramme, initierte die 1892, in Anknüpfung an die Tradition der Wohnreform wieder genossenschaftsinterne Sparanlagen. 7. Kooperation / Vernetzung. Beteiligungen: Gilde Heimbau Wohnungsbaugesellschaft mbH, Berlin; GA FA Grundstücksentwicklungsgesellschaft für die Gartenstadt Falkenberg mbH, Berlin; GfÖ Gesellschaft für Öffentlichkeitsarbeit gemeinnütziger und städtische Wohnungsunternehmen in Berlin mbH, Berlin; Verbund Nordberliner Wohnungsbaugenossenschaften GmbH, Berlin Mitgliedschaften: Berliner Volksbank eG, Ostfriesische Volksbank eG, Ökobank eG, Deutscher Genossenschaftsverlag eG, Verband BerlinBrandenburgischer Wohnungsunternehmen e.V., Arbeitgeberverband der gemeinnützigen Wohnungswirtschaft e.V., ArbeiterSamariter-Bund Landesverband Berlin e.V., DESWOS Deutsche Entwicklungshilfe für soziales Wohnungs- und Siedlungswesen e.V., Genossenschaftsforum e.V., Verein Kreditreform Berlin e.V., BBA Berlin-Brandenburgische Akademie der Wohnungswirtschaft e.V., Housing for older people in Europe (HOPE), GdW - Selbsthilfeeinrichtung zur Sicherung von Spareinlagen, Pensionssicherungsverein, Interessengemeinschaft Multi-Media, WOHNBUND - Verband zur Förderung wohnpolitischer Initiativen. 8. Lessons Learned. „Reform schafft Inseln, Oasen, nicht mehr. Sie schafft dadurch Beispiele, und sie wirken beispielhaft, nicht so sehr dadurch, dass sie in großem Maßstab wiederholt werden; vielmehr stellen sie einen Anspruch her, dem die bestehende Ordnung nicht genügen kann. Dadurch untergräbt die Reform allerdings diese Ordnung und befördert die Veränderung.“ (Posener, 1979, S.343 zit. in Novy, Innovation, 1992, S.24). In dieser Weise schreibt Posener über die Wohnreform der Jahrhundertwende – in ähnlicher Weise schreibt Castells heute über resistence und project identities. Geschichte wiederholt sich. Eine Linearität von Entwicklung gibt es nicht (s.Kapitel 2). Projektbeispiele / 1892 Novy, Neumann-Cosel (1992): Zwischen Tradition und [Innovation], 100 Jahre Berliner Wohnungs- und Baugenossenschaft von 1892, Berlin, Edition Hentrich BBW 1892 (Hg.) (2002): [Homepage] der Bau- und Wohnungsgenossenschaft von 1892, 05/02, www.bbwo1892.de, 08.Mai 2002 Albrecht, H (1898): [Fünf Jahre] praktisch-sozialer Thätigkeit, Aus der Versuchtsstation der Centralstelle für Arbeiter-Wohlfahrtseinrichtungen, Schriften der CAW Nr.14, Berlin Damaschke, A. (1928): Aus meinem [Leben], Berlin Kromrey, M. (1903): [Baugenossenschaften] und der Berliner Bauund Sparverein, Diss., Tübingen Verwaltung-Mitte Haeselerstraße 15 14050 Berlin Tel. 030/303 02 67 1892@bbwo1892.de www.bbwo1892.de Darst. 50: Genossen Quelle: Novy, Innovation, 1992, S.41 103 104 Projektbeispiele / Wogeno WOGENO (Teil) Profil: Dachgenossenschaft Standort: München, Zürich Gesellschaftsform: Genossenschaft, Hausvereine Finanzierung: Genossenschaftsanteile, verzinste Anteile, Spareinlagen durch Fremdanleger Aspekte: Gesellschaftsform, Finanzierung Als klassische, nicht-eigentumsorientierte Genossenschaft ist die WOGENO von den Förderungen des Eigenheimzulagegesetzes ausgeschlossen. Einige Wohnungen können jedoch über das Münchner Modell (sozialer Wohnungsbau) realisiert werden. Die Projekte der WOGENO finden sich alle in den Bereichen sozialer, ökonomischer und ökologischer Nachhaltigkeit. Da die einzelnen Hausprojekte weitestgehend unabhängig arbeiten, gleicht allerdings kein Projekt dem Anderen. Das Neubauprojekt in der Messestadt Riem zeichnet sich durch ökologisches, kosten- und flächensparendes Bauen, sowie autoreduziertes Wohnen aus; das Neubauprojekt in der Johann-Fichte-Straße durch Car-Sharing, Solarenergie und die Integration Behinderter. Die Metzstraße ist ein agenda21Testhaus für behutsame und ökologische Modernisierung, die Agnesstraße ein eher normales Mietshaus in Selbstverwaltung (vgl. Mieterverein München, Ohne Auto, 2002 und Mieterverein München, Selbstverwaltet, 2002). 1. Projektprofil/Idee. Kleine Genossenschaften leiden unter mangelndem Eigenkapital, ineffizienter Verwaltung, fehlendem KnowHow, unerprobter Strukturierung und hoher Belastung durch genossenschaftliche Prüfverfahren. Große Genossenschaften haben diese Nachteile nicht. Jedoch fehlt es Ihnen an persönlicher Bindung, Transparenz, demokratischer Teilnahme. Die WOGENO versucht, die jeweiligen Potentiale zu bündeln und Nachteile zu vermeiden. Sie versteht sich als Selbsthilfeorganisation, als Dach selbstverwalteter Hausgemeinschaften, denen sie logistische und materielle Unterstützung als Dienstleistung anbietet. Jede Gruppe hat damit Zugang zu Bauträgerleistungen (z.B. Finanzierung, Projektierung, Grundstücksverhandlungen) und kann gleichzeitig ihre spezifischen Ziele (z.B. autoreduziertes Wohnen oder Zusammenleben Behinderter und Nichtbehinderter) entwickeln und gestalten. 2. Entstehung/Transformation. Anlass zur Gründung der WOGENO im Jahr 1993 war weder ein konkretes Hausprojekt noch die Zugehörigkeit zu einer Berufsgruppe oder einer politischen oder geistigen Strömung. Die Gründungsmitglieder der WOGENO trafen sich aufgrund des gemeinsamen Wunsches, in einer Stadt wie München, die von zunehmendem Existenzkampf auf dem wohn- und sozialpolitischen Feld geprägt ist, wieder neue Zeichen zu setzen und konkrete solidarische Alternativen zu Vereinzelung, ShareholderValue und sozialer Erosion zu entwickeln. Im Jahr 1994 wurde die WOGENO in das Genossenschaftsregister eingetragen und ist seitdem aus der wohnpolitischen Diskussion Münchens nicht mehr wegzudenken. Ihr ist es auch zu verdanken, dass die Vergabe von Erbbaurechte an Genossenschaften neuerlich politisch wieder propagiert wird. Die ersten Projekte wurden vor allem auf ehrenamtlicher Basis erledigt. Zum 31.12.2000 wuchs die Projektbeispiele / WOGENO WOGENO jedoch auf eine Mitgliedszahl von 449 Mitgliedern, was eine Professionalisierung notwendig machte. Sekretariats- und Buchhaltungsaufgaben sowie ein Teil der Geschäftsführungsaufgaben werden jetzt durch Anstellungsverträge geregelt. Das gesamte bezahlte Arbeitskontingent beträgt nun ca. drei Viertel einer ganzen Vollzeitstelle. 3. Akteure. Die WOGENO hat in ihren Kreisen (Aufsichtsrat und Vorstand) alles was man für ein Wohnungsunternehmen braucht: Buchhändler, Architekt, Sozialökonom, Kauffrau, Soziologe, Steuerberater, Bautechniker, Stadtplaner und Berater für Betriebsräte. 4. Gesellschaftsform. Bei der WOGENO handelt es sich, was die Grundstruktur (Satzung) betrifft, um eine relativ normale Genossenschaft mit einem Vorstand, einem Aufsichtsrat und einer Generalversammlung. Die Besonderheit der WOGENO liegt darin, dass Sie sich in Ihrem Selbstverständnis eher als Dachorganisation versteht, die für einzelne, relativ autonome, selbstverwaltete Hausprojekte nur die Logistik bietet. Es ist der WOGENO wichtig, dass die Genossenschaftsmitglieder selbst aktiv werden (vgl. WOGENO, Homepage, 2002). Faktisch bedeutet dies, dass in den einzelnen Projekten je 2 gewählte Haussprecher gibt, deren Aufgabe es ist, den Kontakt zur WOGENO bzw. zu Vorstand und Aufsichtsrat zu pflegen. Sie haben eine Mittlerfunktion, koordinieren die Bewohnerversammlungen und vertreten die Hausbewohner gegenüber der WOGENO. Das Ablesen der Verbrauchsdaten, die Pflege und der Unterhalt des Hauses und Gartens werden von den Bewohnern im Ehrenamt übernommen. Die reinen Hausmeistertätigkeiten werden in zwei Häusern von je einem Bewohner gegen Bezahlung erledigt. In einem Haus sind die Hausmeistertätigkeiten auf mehrere Schultern verteilt, die je nach Arbeitsaufwand vergütet werden. Alle Häuser haben zur Erledigung der anfallenden Arbeiten das Arbeitsgrup- penmodell eingeführt. Diese Arbeitsgruppen erstatten regelmäßig der Bewohnerschaft Bericht und arbeiten mit dem jeweiligen für das Projekt verantwortlichen Vorstand zusammen. Die normale Hausbewirtschaftung d.h. Finanzierung, Buchhaltung, Mietenbuchhaltung, Vertragsabschlüsse, Abrechnung der Bewirtschaftungs- und Nebenkosten, bleiben bei der WOGENO (vgl. Balleisen, E-Mail, 2002). Die WOGENO Zürich geht in Sachen Selbstverwaltung und Autonomie noch deutlich weiter. Die einzelnen Hausprojekte schließen sich in Hausvereinen zusammen, welche die jeweiligen Objekte von der WOGENO Zürich mieten. Bestandteil dieses Mietvertrages ist ein Kriterienkatalog von 6 Punkten, die von den Hausvereine entweder selbst übernommen werden oder als Dienstleistung bei der WOGENO Zürich belassen werden können. Zu diesen Kriterien zählen: 4.1 Genossenschaftsinterne Vermietung: Der Hausverein erledigt alle Aufgaben im Zusammenhang mit Wohnungswechsel und Wechsel von Mieter/innen von Gewerberäumen. 4.2.Wohnungsabgaben und Unterhalt oder Erneuerungen: Der Hausverein übernimmt die Durchführung der gesamten Wohnungsabgabe, insbesondere die Besichtigung der Wohnung nach Dachgenossenschaft Hausmiete Dienstleistung Hausverein Hausverein eig. Verwaltung eig. Verwaltung Miete Mieter Fördermitglieder ca. 50 % Darst. 51: Basisprinzip Wogeno Quelle: eigene Darstellung 105 106 Projektbeispiele / WOGENO Kündigung und Abklären eines eventuellen Unterhalts- oder Erneuerungsbedarfs. Sind Unterhalts- oder Erneuerungsarbeiten erforderlich, übernimmt der Hausverein deren Organisation und Kontrolle. 4.3. Mietzinsinkasso/Zahlungsverkehr: Der Hausverein übernimmt das Mietzinsinkasso und den Zahlungsverkehr. 4.5 Unterhalt: Der Hausverein übernimmt die nachfolgenden Unterhaltsarbeiten: ordentlicher Unterhalt der Liegenschaft, Einsatz einer Hauswartgruppe, Erstellen eines jährlichen Budgets für planbare Unterhalts- und Erneuerungsarbeiten. 4.6. Diverses: Der Hausverein übernimmt Abschluss und Kontrolle von Serviceverträgen und den Erlass von Hausregeln und Ämtern. Die WOGENO Zürich besitzt zurzeit rund 45 Liegenschaften, zwei Drittel davon in der Stadt Zürich und ein Drittel im übrigen Kantonsgebiet. Darüber hinaus gibt es noch WOGENOs in 13 anderen Schweizer Städten (vgl. WOGENO-Zuerich, Homepage, 2002). 5. Finanzierung. Die WOGENO ist als nicht – eigentumsorientierte Genossenschaft weitestgehend von staatlichen Förderungen ausgeschlossen. Es bieten sich ihr auch keine steuerlich wirksamen Abschreibungsmöglichkeiten. Sie verwendet daher viele Anstrengungen auf die Entwicklung alternativer Finanzierungssysteme, insbesondere zur Erhöhung des Eigenkapitals, welches 1999 bei 36,6 % lag. Direkteste Form der Unterstützung ist die Mitgliedschaft in der WOGENO, die durch Zeichnung eines Geschäftsanteils von 3.000 DM erreicht wird (6,6 % EK). Wohnungsmieter zeichnen darüber hinaus 2 Anteilsscheine im Wert von durchschnittlich 500 DM / m (20,4 % EK). Wer Mitglied ist, kann nachträglich weitere Anteile erwerben und so die Eigenkapitalbasis der Genossenschaft stärken. Diese freiwillig aufgestockten Geschäftsanteile werden an der Gewinnverteilung mit bis zu 4% jährlicher Ausschüttung, aber je nach Geschäftslage, beteiligt (4,1 % EK). Mieterdarlehen an die WOGENO werden mit 4 % Zinsen / Jahr vergütet. Anstelle der Gewinnausschüttung werden sie jedoch steuerneutral mit der Miete verrechnet. Gemeinsam mit der GLS Gemeinschaftsbank eG, der Raiffeisenbank München eG und der Ökobank eG hat die WOGENO banküblich gesicherte Sparbriefe mit fester Laufzeit aufgelegt. Mit ihnen kann jede Sparerin / jeder Sparer – also auch Nichtmitglieder – den genossenschaftlichen Wohnungsbau unterstützen. Die WOGENO erhält aus den eingelegten Sparbriefbeständen Hypothekendarlehen zu einem vorher vereinbarten Zins. Die Zinseinkünfte aus den Sparbücher liegen je nach Anlagedauer zwischen 3,25 und 5 %. Mit der GLS Gemeinschaftsbank eG wurde ein Bürgschaftsmodell entwickelt, das es Mitgliedern wie Nichtmitgliedern ermöglicht, Projekte wirtschaftlich zu fördern, ohne eigene Geldmittel bereitstellen zu müssen. Durch Bürgschaften in begrenzter Höhe ist die Bank Pflichtanteile 3000 DM/Mitglied Pflichtanteil Wohnen (6,6 % EK) 500 DM / qm Bis 4 % Gewinnverteilung (20,4 % EK) (4,1 % EK) Bürgschaften Spareinlagen Mieterdarlehen Senkung der Darlehen um 0,5 % Ökobank/GLS 5-10 Jahre 3,25 – 5 % Verrechnung 4% mit Miete (4,8 % EK) evtl. evtl. Grundstück in Selbsthilfe Erbbaurecht Darst. 52: Finanzierung Wogeno Quelle: eigene Darstellung EK - Eigenkapital Förderanteile evtl. 1. und 3. Förderweg Projektbeispiele / WOGENO in der Lage, gewisse Risikoaufschläge nicht zu berechnen und diesen Vorteil an das jeweilige Projekt weiterzugeben. So sinkt die Zinsbelastung bei Hypothekendarlehen um bis zu 0,5 %. Die Vergabe von Erbbaurechten an Genossenschaften in München wurde auch durch das Engagement der WOGENO wieder zum kommunalpolitischen Steuerungsinstrument. Daneben sucht die WOGENO auch den Kontakt zu anderen potentiellen Erbbaurechtsgebern: Erbengemeinschaften, ältere Hausbesitzer, öffentlich-rechtliche Institutionen. Bei einigen Projekten wurde ein Förderung über den 1. und 3. Förderweg des sozialen Wohnungsbaus realisiert (Münchner Modell). Die Restsumme wird aus KfW – Darlehen und freien Bankdarlehen erbracht (vgl. WOGENO, Homepage, 2002). 6. Konflikte/Probleme. Die Wohnkosten sind in München extrem in die Höhe gegangen. Als boomender Teilmarkt ist München sehr schlecht auf die zurückhaltende Förderpolitik des Bundes eingestellt, die sich an einer geringen Gesamtproblematik orientiert und die deswegen die Programme des sozialen Wohnungsbaus auf ein Mindestvolumen von 230 Mio. EURO reduziert hat. Die Stadt München sieht sich deswegen gezwungen eigene Ergänzungsprogramme (Münchner Modell für Mietwohnungsbau) aufzulegen. Die WOGENO nutzt diese Förderprogramme. Hier wird jedoch ein Konflikt zwischen der Förderphilosophie des sozialen Wohnungsbaus und dem Genossenschaftsgedanken deutlich. Die Genossenschaft ist in erster Linie eine Selbsthilfeorganisation zur Förderung der eigenen Mitglieder. Maßgebendes Element der Genossenschaft ist die Genossenschaftssatzung, die Unabhängigkeit, Mitbestimmung, Selbstverwaltung und Spekulationsfreiheit zwingend gewährleistet. In der Regel wird die Rechtsform der Genossenschaft nicht von „Großverdienern“ in Anspruch genommen, ausgeschlossen sind sie jedoch nicht. Die Einkommen der Genossenschafts- mitglieder der WOGENO sind jedoch durchmischt. Der soziale Wohnungsbau hingegen basiert auf der breit angelegten Schaffung von Wohnraum für sozial Benachteiligte. Es gibt ganz klare Einkommensgrenzen und Belegungsbindungen. Diese Bestimmungen beeinträchtigen natürlich die Gestaltungsfreiheit einer Genossenschaft (vgl. Stadt München, Bündnis, 2001). 7. Kooperation / Vernetzung. In der Schweiz gibt es eine WOGENO, die in 14 verschiedenen Städten aktiv ist, insbesondere in Zürich und Umgebung (WOGENO-Zürich – 45 Projekte) und die bereits seit 1981 existiert. Zwischen der WOGENO Zürich und der WOGENO München gibt es enge Verbindungen. 8. Lessons Learned. Mit der Wogeno wurde versucht, die Vor- und Nachteile großer und kleiner Genossenschaften miteinander zu einem Optimum zu verbinden. Inhaltlich ist dies gelungen. Insbesondere die WOGENO Zürich bietet ihren Mitgliedern (den einzelnen Hausvereinen) eine weitgehende Selbstverwaltung und Mitbestimmung an. Gleichzeitig gibt sie Ihnen die Möglichkeit, ganz nach Wunsch, die professionelle Verwaltung der Dachgenossenschaft zur Aufgabenentlastung zu Nutzen. Ein insgesamt äußerst erfolgreiches und Gemeinschaftlichkeit stiftendes Gesamtkonzept. Es gibt sogar einen Solidarfonds (Zürich). Gesellschaftsrechtlich ist diese Trennung jedoch nicht nachzuvollziehen. In dieser Beziehung gleicht die WOGENO eher einer ganz normalen Genossenschaft mit Vorstand, Aufsichtsrat und Generalversammlung. Es gibt zwar einzelne Hausvereine, mit denen die WOGENO Bewirtschaftungsverträge abschließt, die Mitglieder der Vereine sind allerdings genauso Mitglieder der Genossenschaft. Dies bedeutet, dass die Errungenschaften einer weitest gehenden Autonomie und eines Solidarfonds jederzeit wieder rückgängig gemacht werden können. Ein wirksames Kontroll- oder Nutzermodell (s. Kapitel 4.1.8) liegt nicht vor. Der „Schatten Oppenheimers“ 107 108 Projektbeispiele / WOGENO schwebt also auch über der WOGENO. Es ist deswegen keineswegs auszuschließen, dass es nach den Anstrengungen der ersten Jahre, zu einer Wachstumsstagnation kommt. Die WOGENO passt als solidarische Selbsthilfeorganisation sehr gut in den Münchner Kontext. Obwohl die Mieten relativ hoch sind, kann sie für ihre Mitglieder, angesichts des äußerst angespannten Marktes in München, erhebliche Entlastungen realisieren. Johann-FichteStr. Finanzierung WOGENO Zürich (Hg.) (2002): Homepage, 05/02, www.wogenozuerich.ch, 10.Juli 2002 Grundstück WOGENO München (Hg.) (2002): Homepage, 06/02, www.wogeno.de, 12.Aug.2002 Einlage pro Qm Miete Balleisen, Ute (2002): Fragen zur WOGENO, pers. [E-Mail], 18.Juli 2002 Stadt München (2001): Protokoll der Sitzung [Bündnis] für Wohnungsbau vom 23.02.2001, www.muenchen.de/plan/aktuelles /wim3/pdf/wim3e.pdf Mieterverein München e.V. (1999): Günstiger wohnen [ohne Auto], 09/02, www.mieterverein-muenchen.de/guenstige.htm, 06.Sept.2002 Mieterverein München e.V. (1999): [Selbstverwaltet], ökologisch und günstig wohnen, 09/02, www.mieterverein-muenchen.de /report.htm, 06.Sept.2002 Schmidt, Peter (2001): [Wohnmaschine] mit sozialem Antrieb, 07/02, www.wohnbund.de/ info0401_2.htm, 27.Aug.2002 WOGENO München eG Aberlestr. 16 Rgb. D-81371 München Tel: 089 / 721 17 05, Fax: 089 / 725 50 74 www.wogeno.de, www.wogeno-zuerich.de 32 WE, 30 Qm - 110 Qm barrierefrei, einige rollstuhlgerecht Gäste- und ein Pflegeappartment großer Multifunktionsraum Büro des Clubs der Behinderten sowie Büros einiger Bewohnerinnen Ca. 25% 1. Förderweg 50% 3. Förderweg 25% freifinanziert Erbbaurecht von der Stadt München für 99 Jahre 475 – 875 DM 1.Förderweg: DM 10,10 / m2 3.Förderweg: DM 12,90 / m2 Freifinanziert: DM 18,50 / m2 (jeweils netto kalt) Darst. 53: Wogeno Projektbeispiel Johan-Fichte-Straße Quelle: Schmidt, Wohnmaschine, 2001 Projektbeispiele / Bremer Höhe Bremer Höhe Profil: Genossenschaftsausgründung Standort: Berlin Gesellschaftsform: Genossenschaft Finanzierung: Genossenschaftsanteile, staatliche Förderung Aspekte: Entstehung / Transformation, Finanzierung 1. Projektprofil/Idee. Das Altschuldenhilfegesetz, welches 1993 im Zuge der Wiedervereinigung in Kraft trat, schreibt allen ostdeutschen Wohnungsbaugesellschaften die Veräußerung von 15 % ihres Bestandes vor. Seit 1995 können sie dieser Auflage auch durch den Verkauf an eigens gegründete Bewohnergenossenschaften nachkommen. Bis 1999 wurden mindestens 40 Wohnungsgenossenschaften gegründet. 50 % des Kaufpreises werden an den Erblastentilgungsfonds weitergereicht. Insgesamt ist der Verkauf an eine Genossenschaft jedoch eher die Ausnahme als die Regel. Obwohl sowohl das Altschuldenhilfegesetz, als auch die Politik, einer mieternahen Privatisierung offiziell die oberste Priorität verleihen, werden Verkäufe an gewöhnliche, finanzkräftige Investoren bevorzugt. Dies hängt mit dem Interesse der Kommunen an einer raschen Realisierung möglichst hoher Verkaufsgewinne zusammen. Kritiker dieser Wohnungspolitik beklagen, dass die Städte langfristig Steuerungsinstrumente ihrer Wohnungspolitik aus der Hand geben. Sie verlieren so Bestände, mit denen sie bisher Wohnungsnotlagen auf dem freien Markt ausgleichen konnten. Damit riskieren die Kommunen, dass die soziale Entmischung in ihren Quartieren weiter zunimmt. Die verbleibenden kommunalen Bestände degenerieren so schnell zu Sammelstellen für soziale Problemfälle. Die Betreiber der privaten Unternehmen, welche die kommunalen Wohnungsbestände übernehmen, haben ein ausschließlich verwertungsorientiertes Interesse an den Wohnungen. Aspekte der sozialen Wohnungswirtschaft spielen für sie kaum eine Rolle. Trotzdem halten die Kommunen an der Privatisierungspolitik fest. Um Höchstpreise zu erzielen, ignorieren sie dabei häufig die Belange der Bewohner. Die Genossenschaft ist eine Möglichkeit für die Betroffenen, sich gemeinsam gegen solche Missachtung zu wehren, wie das Beispiel der Bremer Höhe in Berlin zeigt (vgl. Holm, Everybody`s Darling, 2001.) 2. Entstehung/Transformation. Im November 1999 kündigte die WIP an, die Bremer Höhe, ein Ensemble aus 520 Wohnungen, erbaut in den Jahren zwischen 1880 und 1912, das komplett unter Denkmalschutz steht, an den „Bauverein zu Hamburg“ verkaufen zu wollen. Diese überraschende Information führte zu empörten Protesten seitens der Bewohner. Zwar begründete die Wohnungsbaugesellschaft den angekündigten Verkauf mit ihren Privatisierungsverpflichtungen aufgrund des Altschuldenhilfegesetzes, aber sie verzichtete darauf, den im Gesetz bevorzugten Verkauf direkt an die Mieter auch nur zu versuchen. Verständlich, weist ein Artikel der Berliner Morgenpost doch nach, dass die für den Verkauf an den „Bauverein zu Hamburg“ beauftragte Maklerfirma (230.000 DM Courtage), in den Händen des WIP-Geschäftsführers Klaus-Dieter Friedland ist (vgl. Mieterecho, Chance, 2000). 109 110 Projektbeispiele / Bremer Höhe Von einem privaten Eigentümer befürchteten die Bewohner steigende Mieten und Verdrängung. Zwar sahen die Verträge eine Verpflichtung des zukünftigen Besitzers vor, den Mietern ihre Wohnungen als Eigentumswohnungen zum Kauf anzubieten. Aber nur wenige der Mieter hätten die - nach einer umfassenden Sanierung - hohen Preise bezahlen können. Glücklicherweise sprachen sich jedoch einige einflussreiche Persönlichkeiten für eine mieternahe Privatisierung aus (u.a. Wowereit, Häußermann, Bezirkspolitiker,.....), sodass die WIP zum Einlenken bewegt werden konnte. Sie machte den Mietern im Dezember 1999 ein Angebot, das vorsah, den inzwischen abgeschlossenen Kaufvertrag mit einem Hamburger Investor bis zum 1. Mai 2000 auf Eis zu legen. Diese Zeit stellte sie ihren Mietern zur Verfügung, um selber ein tragfähiges Kaufangebot zu entwickeln. Es folgte eine öffentliche Versammlung und eine Genossenschaftsgründung in Windeseile. Dem trotzdem erfolgten Verkauf an den Investor folgte mit Hilfe des Senats der Rückkauf durch die Genossen und seit 1. Mai 2000 ist der gesamte Block im Besitz der Genossenschaft Bremer Höhe. Von den ca. 400 Mietern sind bislang 160 der Genossenschaft (insgesamt 203 Mitglieder) beigetreten. Im Jahr 2003 sollen es mindestens 330 sein. Die Sanierung soll in drei Abschnitten jeweils zwischen März und November der Jahre 2001 – 2003 geschehen. Nur vier bis sechs Wochen sind pro Wohnung veranschlagt. In dieser Zeit müssen die Mieter umgesetzt werden. Die Genossenschaft bietet einen kostenlosen Umzugsservice an und will auch Gemeinschaftsräume schaffen, in denen die Mieter während der Sanierungszeit ihre alten Nachbarn sehen können. Diese Treffpunkte sollen auch nach dem Ende der Arbeiten bestehen bleiben. Im Zuge der Sanierung soll auch die Monotonie der Zweizimmerwohnungen durchbrochen werden. Neben Einzimmer- entstehen Drei-, Vier- und Fünfzimmerwohnungen für Familien mit Kindern. Ca. 85 % der jetzigen Mieter wollen nach der Sanierung in ihre Wohnungen zurückziehen (vgl. Seefeld, Begehrte, 2000 und Schaffelder, Spekulationsfrei, 2000) 3. Akteure. Die WIP hatte bei dem geplanten Verkauf der Bremer Höhe sicherlich die Hoffnung auf geringe Widerstände seitens der Bewohnerschaft. Wie so oft war es Zufall, dass es eine Person gab, die sich nicht so einfach damit abfinden wollte und zum Widerstand anregte. Tobias Dutschke, ein junger Musiker, schickte Ende Oktober 1999 einen offenen Brief an die WIP, das Bezirksamt und die Betroffenenvertretung Prenzlauer Berg. Das Schreiben hängte er auch in jeden der 49 Aufgänge der "Bremer Höhe" mit dem Resultat, dass er heute im Vorstand der Genossenschaft sitzt und 10 – 12 Stunden am Tag ehrenamtlich für sie tätig ist. Nach anfänglichen Schwierigkeiten waren schnell weitere engagierte Partner gefunden. Ulf Heitmann ist Jurist und heute ebenfalls im Vorstand, außerdem bezahlter Geschäftsführer der Genossenschaft. Vorher arbeitete er für IBIS, einen Sanierungsträger für Selbsthilfeprojekte. Roswitha Fechner, ehemalige Direktorin der deutschen Außenhandelsbank, komplettiert als Dritte den Vorstand. Die 59jährige, seit 30 Jahren in der Bremer Höhe, will nicht nur für sich selbst sorgen, sondern auch etwas für die Gesellschaft tun: "Wenn ich morgens aufstehe, haben schon so viele Menschen für mich gearbeitet, ..." (Hettlage, Engagement, 2000). 4. Gesellschaftsform. Die Bremer Höhe ist eine "eigentumsorientierte" Genossenschaft. Dies war wegen des Altschuldenhilfegesetzes nötig, dem der gesamte Wohnungsbestand der WIP unterliegt. 15 Prozent der Wohnungen muss die WIP deshalb in Eigentum umwandeln. Für die Genossenschaft heißt das, dass alle Mitglieder, die schon vor dem 1. Mai in ihren Wohnungen waren, diese zum Kostenpreis von etwa 2.500 DM pro Quadratmeter erwerben können. Neue Mitglieder können das nur, wenn mehr als die Hälfte der Genossen eines Hauses dem Erwerb zustimmen. Sie müssen auch Projektbeispiele / Bremer Höhe die normalen Marktpreise bezahlen (zwischen 3.000 und 3.500 DM). Die Genossenschaft besteht aus einem Vorstand (3 Personen), der für die täglichen Geschäfte zuständig ist, einem Aufsichtsrat (7 Personen) der den Vorstand kontrolliert und einer Mitgliederversammlung. Des Weiteren besteht ein Beirat aus Fachleuten aus Politik und Wohnungswirtschaft, der den Vorstand berät. Die Mitgliedschaft wird erworben durch das Eintrittsgeld (100 DM) und den Kauf von 2 Geschäftsanteilen zu je 1.000 DM. Bei Erwerb einer Wohnung oder eines Geschäfts müssen 10 Geschäftsanteile gezeichnet werden. 5. Finanzierung. Die Bremer Höhe hat eine Gesamtfläche von 32.000 Quadratmetern und besteht aus 514 Wohnungen. Es muss2 ten 860 DM / m zusammengebracht werden, was einer Gesamtinvestitionssumme von 27.3 Mio. DM entspricht. Insgesamt 800 DM gab es von der landeseigenen Investitionsbank Berlin (IBB) als Darlehen zu 3 % mit 1.5 % Tilgung. Weitere 60 DM kommen als Kapitalmarktsdarlehen zu 6 % ebenfalls von der IBB. Diese vom Bausenat eigens für die Genossenschaft konzipierte Finanzierung trägt inzwischen den Namen "Modell Bremer Höhe". Sie soll auch für die "Wöhlertgärten" in Mitte und zukünftige Berliner Genossenschaften angewandt werden. Die Sanierung der Bremer Höhe kostet etwa 50 Mio. DM, also ca.1.600 DM pro Quadratmeter. Von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KFW) kommen 782 DM pro Quadratmeter, die es als zinsverbilligtes Darlehen gibt. 180 DM zahlt der Bund als Investitionszulage. Aus dem Programm "soziale Stadterneuerung" kommen die restlichen 640 DM, davon 320 DM als Darlehen und 320 DM als Zuschuss. Dieses Programm wurde im Jahr 2002 eingestellt und steht in Zukunft nicht mehr zur Verfügung. Eine weitere wichtige Vorraussetzung für den erfolgreichen Erwerb des Areals war die Möglichkeit, die Eigenheimzulage für eine Genossenschaftsgrün- dung in Anspruch zu nehmen, da die zu zahlenden Genossenschaftsanteile dadurch auf ein erträgliches Maß reduziert werden konnten. Der Genossenschaftsanteil bei Bezug einer Wohnung beträgt 10.000 DM. Davon wird ein Großteil (8.000 DM) vom Berliner Programm zur Genossenschaftsförderung als zinsloses Darlehen vergeben. Bleiben also 2.000 DM, ein im Vergleich zu anderen neuen Genossenschaften, sehr geringer Betrag. Kauf + Sanierung Gesamtsumme 81,5 Mio. DM 100,0 % IBB – Darlehen zu 3% 25,6 Mio. DM 31,4 % KFW – Darlehen 25,0 Mio. DM 30,7 % soziale Stadterneuerung Darlehen 10,2 Mio. DM 12,5 % soziale Stadterneuerung Zuschuss 10,2 Mio. DM 12,5 % Investitionszulage Bund 5,8 Mio. DM 7,1 % Bankdarlehen zu 6 % 1,7 Mio. DM 2,1 % Genossenschaftsanteile (Bewohner) 0,6 Mio. DM 0,7 % Genossenschaftsanteile (gefördert) 2,4 Mio. DM 2,9 % Darst. 54: Finanzierung „Bremer Höhe“ Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Hettlage, Finanzierung, 2000 und Molle, Bremer Höhe, 2000 6. Konflikte/Probleme. Ausgegründete Genossenschaften wie die Bremer Höhe kamen in den letzten Jahren in Berlin in den Ruf eines Hoffnungsträgers angesichts des zunehmenden Verkaufs öffentlicher Bestände und der auslaufenden Bindungen des sozialen Wohnungsbaus und der sozialen Stadterneuerung. Drei Grundprobleme lassen sich hierbei jedoch ausmachen, die den Erfolg eines solchen Modells gefährden: 1. Wie oben bereits erwähnt ist der bevorzugte Verkauf öffentlichen Eigentums an Mieter oder an Genossenschaften durch das Altschuldenhilfegesetz zwar vorgesehen, in der Realität wird er wegen des 111 112 Projektbeispiele / Bremer Höhe weitaus höheren Aufwands jedoch kaum praktiziert. Darüber hinaus orientiert sich die Verkaufssumme teilweise an unrealistischen 2 Verkehrswerten (Bremer Höhe: 850 DM/m ), die eine neugegründete Genossenschaft finanziell sehr stark belasten. Ein positiveres Beispiel kommt in dieser Hinsicht aus Dänemark, wo Bewohnergenossenschaften bei Wohnungsprivatisierungen generell ein Vorkaufsrecht erhalten. 2. Die Bremer Höhe ist auf öffentliche Fördermittel angewiesen, die im wesentlichen an die Möglichkeit der Eigentumsorientierung gebunden sind (Genossenschaftsförderung des Bundes und des Landes). Nach dem Auslaufen der ergänzenden Programme der sozialen Stadterneuerung bleiben für zukünftige Modelle tatsächlich nur noch die eigentumsorientierten Programme des Bundes und die KFW - Programme übrig. Diese Eigentumsorientierung widerspricht jedoch dem „Geist“ einer Genossenschaft langfristig spekulationsfreien und damit indirekt mietgebundenen oder zumindest sozial gestalteten Wohnraum zur Verfügung zu stellen, indem jederzeit die Möglichkeit zur Umwandlung in Einzeleigentum garantiert wird. „Obwohl die Begründung für den kleinen Genossenschaftsboom gerade in der vorgeblich sozialen Garantieleistung dieser Eigentumsform für die Quartiere liegt, halten sich die Experten mit Aussagen über die langfristige Perspektive merklich zurück.“ (Holm, Everybody`s Darling, 2001). 3. In dieser Hinsicht ist es fraglich mit welchem Umfang und mit welcher Berechtigung gefördert werden sollte, bzw. woher diese Mittel kommen sollten. Den Genossenschaften Bremer Höhe und Wöhlertgarten wurde im Jahresetat der Fördermittelbedarf für 634 Wohnungen aus Bestandserwerbsprogrammen gewährt, was ca. 25% der Gesamtsumme entspricht. Daneben gab es eine Förderzusage aus den Mitteln des Programms "Soziale Stadterneuerung" für insgesamt 430 Wohnungen; auch hier konzentrierte sich etwa ein Viertel des Gesamtprogramms auf die Genossenschaftsprojekte. Bezogen auf den Bezirk Prenzlauer Berg bedeutete dies, dass die Genossenschaft etwa die Hälfte aller Fördermittel des Programms "Soziale Stadterneuerung" im Bezirk bindet. Diese Fördersummen können allenfalls Modellcharakter haben. Auf die Gesamtproblematik des Verkaufs öffentlicher Wohnungsbestände sind sie nicht übertragbar (vgl. Holm, Everybody`s Darling, 2001). 7. Kooperation / Vernetzung. Die Bremer Höhe ist aus einer spezifischen Notlage heraus entstanden. Eine weitere Vernetzung und Erweiterung der Genossenschaft ist nicht vorgesehen. Gleichwohl wurde und wird das Sanierungsmodell weiterverwendet beim „Wöhlertgarten“ und bei den neuen Genossenschaften in Hellersdorf und Marzahn. 8. Lessons Learned. Berlin ist weder mit München noch mit Hamburg oder Zürich vergleichbar. Es ist eine schrumpfende Stadt mit sehr niedrigen Mieten und einer hohen Leerstandsquote. Der Berliner Markt ist extrem übersubventioniert und verzerrt. Die pro– Kopf Ausgaben der Wohnungsbauförderung sind fünf Mal so hoch wie in Hamburg und mehr als sechs Mal so hoch wie in Bayern. Das Selbsthilfepotential der einzelnen Mieter kann deswegen bisher nur relativ wenig aktiviert werden. Andererseits ist Berlin eine sehr politische Stadt, eine Stadt in der das Genossenschaftswesen eine sehr lange Tradition hat und in der es auch in den letzten Jahren immer wieder interessante genossenschaftliche Ansätze gab. Hinzu kommt, dass gerade hier große Bestände öffentlicher Wohnungsunternehmen privatisiert werden. Gerade in Berlin wäre es notwendig eine Förderung zu schaffen, die dem Genossenschaftsgedanken insgesamt am ehesten entspricht und die langfristig auf eine Vernetzung der unterschiedlichsten schon vorhandenen Ansätze abzielt bzw. die sich, entsprechend des Selbsthilfegedankens, auch von einer immer noch vorherrschenden Projektbeispiele / Bremer Höhe staatlichen Subventionslogik lossagt. Statt einer erneuten Subventionierung sollte also lieber ein revolvierender Solidarfonds geschaffen werden, der – als Anfangsinvestition – von der Stadt mit einem geringen Grundkapital oder mit abgeschriebenen Häusern bestückt werden könnte und dem sich sowohl die traditionellen, wie die neu gegründeten Genossenschaften anschließen sollten. Hettlage , Bernd (2000): Bremer Höhe – [Engagement] aus Trägheit in: Tagesspiegel vom 23.09.2000 Hettlage , Bernd (2000): So funktioniert die [Finanzierung] in: Tagesspiegel vom 23.09.2000 Schaffelder, Christof (2000): [Spekulationsfreie] Zone Bremer Höhe in Scheinschlag Nr. 01/2000 Holm, Andrej (2001): Genossenschaften – Vom wohnungspolitischen Stiefkind zu [„Everybody`s Darling“] in: MieterEcho Nr. 283, Jan./Febr. 2001 Mieterecho (Hg.) (2000): Eine faire [Chance] für Genossenschaften? in: MieterEcho Nr.278, März/April 2000 Seefeld , Hartmut (2000): [Begehrte] Bremer Höhe in: VorOrt 01/2000 Molle, Albrecht (2000): [Bremer Höhe] ist gerüstet in: VorOrt 01/2000 Wohnungsgenossenschaft "Bremer Höhe" eG Schönhauserallee 59 b 10437 Berlin Tel.030/4467760 FAX 030/44677620 113 114 Projektbeispiele / PWG Stiftung PWG Profil: Stiftung zur Förderung von preiswertem Wohnraum Standort: Zürich Gesellschaftsform: Stiftung Finanzierung: Stiftungsvermögen und Kredite Aspekte: Gesellschaftsform 1. Projektprofil/Idee. „Eine lebendige Stadt braucht lebendige Quartiere, in denen die verschiedensten Menschen nebeneinander wohnen und arbeiten. Damit alle diese Menschen - Familien, Alleinstehende, Junge und Ältere - in ihren Quartieren leben können, müssen preisgünstige Wohn- und Arbeitsräume erhalten werden. Wenn Spekulation ins Spiel kommt, werden die Mietzinse für viele unerschwinglich, die Quartiere verändern sich, die Wohnlichkeit der Stadt sinkt.“ (PWG-Stiftung, Homepage, 2000) Die Stiftung PWG ist eine gemeinnützige, öffentliche Stiftung der Stadt Zürich mit eigener Rechtspersönlichkeit. Sie bezweckt, preisgünstigen Wohn- und Gewerberaum zu erhalten und zu schaffen. Um dieses Ziel zu erreichen, kauft sie aus ihrem Stiftungsvermögen Wohn- und Gewerbeimmobilien und entzieht diese dadurch dauerhaft der spekulativen Verwertung. Die Stiftung PWG übernimmt beim Kauf die bisherigen Mieterinnen und Mieter, sie bietet ihnen ein Mitspracherecht bei Umbauten und Renovationen und betreibt eine transparente und sozial gemäßigte Mietzinspolitik. Auf Wunsch können die Mieterinnen und Mieter ihre Liegenschaft weitgehend selbst verwalten. Die Stiftung stellt ihre Liegenschaften Haus-, Wohn- und Baugenossenschaften, Kleinbetrieben und gemeinnützigen Trägerorganisationen zur Verfügung. Die Abgabe erfolgt mittels langfristiger Mietverträge mit einer Dauer von höchstens 10 Jahren oder im Baurecht auf 30 Jahre. Die Aufnahme geeigneter Bestimmungen in die Abgabeverträge, die sich auf das Reglement und die Statuten der Stiftung beziehen, stellt sicher, dass der Zweck im Sinne der Stiftung erhalten bleibt. 2. Entstehung/Transformation. Ihren Ursprung hat die Stiftung zur Erhaltung von (P)reiswertem (W)ohn- und (G)ewerberaum in einer Initiative der Sozialdemokratischen Partei der Stadt Zürich von 1984. Die Initiative verlangte die Einrichtung einer Stiftung mit einem Kapital von 50 Millionen Franken, um Häuser der Spekulation zu entziehen. Am 9. Juni 1985 wurde die Initiative in einer Volksabstimmung von den Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern der Stadt Zürich angenommen. Die Stiftung PWG hat ihre Tätigkeit am 1. Juni 1990 aufgenommen. Im Jahr 2002 ist die Stiftung im Besitz von 90 Liegenschaften, was einem Anlagewert von 200 Mio. Franken entspricht. Wegen der schlechten Haushaltslage der Stadt Zürich muss die Stiftung seit 1999 die Hälfte des Stiftungskapitals zum jeweiligen Zinssatz der ZKB für I. Hypotheken auf Wohnliegenschaften (max. 6 %) verzinsen. 3. Akteure. Die PWG Stiftung hat eine eigene Rechtspersönlichkeit und ist von der Verwaltung der Stadt Zürich unabhängig. Der Präsident und die Mitglieder des Stiftungsrates werden vom Gemeinderat der Stadt Zürich gemäss Parteienproporz für jeweils eine Amtsperiode von vier Jahren gewählt. Die Stiftung untersteht der Aufsicht des Gemeinderates. Sie ist verpflichtet, Budget und Jahres- Projektbeispiele / PWG rechnung dem Gemeinderat zur Abnahme zu unterbreiten. Änderungen der Statuten beschließt der Gemeinderat. Bei einer Auflösung der Stiftung fällt das Stiftungsvermögen der Stadt Zürich zu. Es ist zugunsten des gemeinnützigen Wohnungsbaus zu verwenden. 4. Gesellschaftsform. Die Organisationsstruktur der PWG – Stiftung besteht aus dem Stiftungsrat, dem Ausschuss, der Verwaltung und der Kontrollstelle. Stiftungsrat: Der Stiftungsrat ist das oberste Organ der Stiftung und besteht aus 19 Mitgliedern. Die Amtsdauer der Mitglieder des Stiftungsrates und des Ausschusses beträgt vier Jahre und beginnt jeweils am 1. September des Jahres, in welchem die Gemeindebehörden neu gewählt werden. Der Stiftungsrat ist für alle Geschäfte zuständig, die in den Statuten nicht anderen Organen zugewiesen werden. Er tritt jährlich mindestens viermal zu einer Sitzung zusammen. Weitere Sitzungen werden je nach Bedarf einberufen. Ihm stehen insbesondere folgende Befugnisse zu: a) Kauf, Tausch und Verkauf von Liegenschaften sowie Erwerb, Einräumung, Veräußerung und Aufhebung von Baurechten und anderen Dienstbarkeiten soweit die einmalige Leistung von 100.000 F oder die jährlich wiederkehrende Leistung von 10.000 F übertroffen wird. b) Aufnahme von Darlehen und Hypotheken sowie Bewilligung der Verzinsung des Gründungskapitals c) Wahl des Ausschusses d) Beschlussfassung über die Ausführung von baulichen Projekten sowie Anschaffungen und Arbeitsvergebungen von über 100.000 F; Genehmigung der entsprechenden Abrechnungen e) Abschluss und Kündigung von langfristigen Mietverträgen f) Erlass von Reglementen über Liegenschaften, Wohnungen und Gewerberäume g) Festsetzung der Anstellungsbedingungen für das gesamte Personal h) Wahl der Verwalterin bzw. des Verwalters Ausschuss: Der Stiftungsrat bestellt aus seiner Mitte einen Ausschuss von fünf Mitgliedern, der für die Durchführung der täglichen Geschäfte zuständig ist und ernennt den Vorsitzenden. Der Ausschuss hat die Aufgabe, die Geschäfte des Stiftungsrates vorzubereiten. Er entscheidet über Kauf, Tausch und Verkauf von Liegenschaften sowie Erwerb, Einräumung, Veräußerung und Aufhebung von Baurechten, wenn dabei eine Summe von einmalig 100.000 F nicht überschritten wird. Außerdem ist er zuständig für Abschluss und Kündigung der Mietverträge sowie für die Überwachung der Verwalterin bzw. des Verwalters und des übrigen Personals der Stiftung. Geschäftsstelle: Für die Stiftung wird eine Geschäftsstelle eingerichtet. Mit Zustimmung des Stiftungsrates sowie des Stadtrates kann die Stadtverwaltung beauftragt werden, für die Stiftung bestimmte Verwaltungsaufgaben gegen Entgelt zu erledigen. Unter denselben Voraussetzungen kann die Schätzungskommission der Stadt für die Bewertung von Immobilien beigezogen werden. Der Verwalter bereitet die Geschäfte des Ausschusses vor. Kleinere Entscheidungen (bis 25.000 F) kann er selbstständig treffen. Kontrollstelle: Der Gemeinderat wählt als Kontrollstelle eine anerkannte Treuhandgesellschaft oder mit Zustimmung des Stadtrates die städtische Finanzkontrolle. Die Amtsdauer beträgt vier Jahre und fällt mit derjenigen des Stiftungsrates zusammen. Die Kontrollstelle prüft die Bilanz und die Jahresrechnung der Stiftung und erstattet darüber dem Stiftungsrat einen schriftlichen Bericht. Selbstverwaltung: Die Stiftung PWG fördert die Bestrebungen von Mieterinnen und Mietern nach Mitbestimmung. Nach Möglichkeit sollen diese ihre Häuser selbst verwalten. Selbstverwaltung heißt, dass pro Liegenschaft nur ein Mietvertrag ausgearbeitet wird. 115 116 Projektbeispiele / PWG Idealerweise schließen sich dazu die Bewohner in einem Mieterverein zusammen, der mit seinen Mitgliedern Untermietverträge abschließt. Die Stiftung PWG verwaltet nur noch den Kapitalzins und den Erneuerungsfonds. Die Verwaltung von Unterhalt, von Kosten für öffentliche Abgaben und Gebühren, von Heiz- und Nebenkosten ist Sache des Hausvereins. Alternativ zum Hausverein ist auch die Gründung einer Genossenschaft oder einer gemeinnützigen Gesellschaft möglich. Statuten: Die Grundsätze der Stiftungskonzeption (Zweck, Organe, Kontrolle, Auflösung, etc.) sind in den Statuten der Stiftung festgehalten. Reglement: Der Stiftungsrat beschließt darüber hinaus ein Reglement, welches konkretere Angaben über die Art der Gemeinnützigkeit enthält. In diesem Reglement sind beispielsweise festgeschrieben, die Einkommenshöchstgrenzen, die Mindestbelegung einer Wohnung, die Höhe der Mietzinse und diverse Vorzugs- und Dringlichkeitskriterien (Anzahl der Kinder, die persönlichen finanziellen Verhältnisse, die Dringlichkeit des Wohnungswechsels, bei Gewerberäumen die Standortnotwendigkeit und die Quartierversorgung, etc.) (vgl. PWG-Stiftung, Statuten, 1985). 5. Finanzierung. Die Stadt Zürich hat der Stiftung 1985 ein Gründungskapital von 50 Mio. F gewidmet. Der Wert des Gründungskapitals ist ungeschmälert zu erhalten. Der Stiftungszweck wird im wesentlichen durch die Betriebsüberschüsse und die Zinserträge des Gründungskapital verwirklicht. Pro Jahr werden von der Stiftung PWG fünf bis zehn Liegenschaften erworben, wobei zwischen 8 und 18 Mio. F investiert werden. Um diese Summen realisieren zu können, kann die Stiftung Hypotheken und Darlehen aufnehmen. Das Stiftungsvermögen ist inzwischen auf 75 Mio. F angewachsen (vgl. PWG-Stiftung, Jahresbericht). Die Mietund Baurechtszinsen werden so bemessen, dass sie zur Verzinsung des eingesetzten Fremd- und Eigenkapitals, zur Deckung der Unterhalts- und Verwaltungskosten sowie zur Errichtung eines angemessenen Erneuerungsfonds ausreichen. 6. Konflikte/Probleme. Der Stiftungsrat der PWG-Stiftung wird gemäss Parteienproporz bestellt. Damit spiegelt die Politik der Stiftung das politische Klima einer Stadt wieder. Ein Umstand, der mit den eigentlichen Zielen, preiswerten Wohnraum insbesondere für Familien, Hausgemeinschaften und Genossenschaften zu schaffen, nicht immer vereinbar ist. So wurde der Stiftung in den letzten Jahren vorgeworfen, eher eine andere Kategorie von MieterInnen in den Städten halten zu wollen, nämlich die zu einer Abwanderung tendierenden „guten Steuerzahler“. Diesem „guten Steuerzahler“ böte man günstige Mieten bei vergleichsweise gutem Standard an. Wirklich niedrige Mieten, von den auch arme Familien profitieren könnten, kämen nicht mehr zu Stande. Die PWG wurde auch immer wieder dazu instrumentalisiert Liegenschaften aufzukaufen, die der Stadt ein Dorn im Auge waren, was zuletzt beim Alkoholikertreff Schönau der Fall war. Ein positiver Effekt der höheren Mieten ist, dass durch den vermehrten Rücklauf das Vermögen der Stiftung wächst und dadurch mehr Projekte gekauft werden können. Das Bedürfnis nach Expansion wiederspricht hier dem Bedürfnis nach günstigen Mieten (vgl. Stahel, Mietzinsnot, 2002). 7. Kooperation / Vernetzung. Die PWG-Stiftung arbeitet mit mehreren Kooperationspartnern zusammen. Dazu zählen der Mieterverband, der Schweizer Verband für Immobilien-Treuhänder, der Schweizerische Verband für Wohnungswesen, der Hauseigentümer Verband Zürich, die Genossenschaft Neubühl Zürich, die Internetplattform Wohnlink.ch, das Bundesamt für Wohnungswesen, das Statistische Amt des Kantons Zürich, das Bundesgericht und die Bundesbehörden der Schweizerischen Eidgenossenschaft. 8. Lessons Learned. Die PWG–Stiftung ist das ideale Beispiel eines Projektbeispiele / PWG in Kapitel 4.1.8 beschriebenen Nutzermodells. Es bestehen gesellschaftsrechtlich völlig unabhängige Organisationen. Die Stiftung als Verwaltungsorganisation besitzt den Eigentumstitel des Grundstücks/Gebäudes und stellt Bedingungen auf, unter denen sie dieses verpachtet oder vermietet. Mieter oder Pächter sind eine Genossenschaft, ein Verein oder ein gemeinnütziger Träger, der die Vorgaben der Stiftung erfüllt, ansonsten aber völlig unabhängig von ihr ist. Auf diese Weise wird einerseits die Autonomie und Eigenverantwortlichkeit der einzelnen Projekte gestärkt. Andererseits wird sichergestellt, dass diese nicht in Versuchung kommen, eventuelle Vorteile zu kapitalisieren. Über den Erbpachtzins oder über einen vertraglich festgehaltenen Mietanteil kann darüber hinaus dauerhaft ein Solidartransfer zu anderen/neuen Projekten gewährleistet werden. Die Mitglieder der Stiftung könnten diese Bestimmungen zwar aufheben. Da sie selbst nicht von den Leistungen (günstiges Wohnen) profitierten, haben sie daran jedoch kaum ein Interesse. Der Förderzweck der Stiftung unterliegt kaum konjunkturellen Schwankungen und besitzt eine sehr hohe Dauerhaftigkeit. Problematisch ist die Abhängigkeit der Besetzung des Stiftungsrates durch den Parteienproporz und die daraus folgende Instrumentalisierung. Dementsprechend wäre es sinnvoll einen anderen Mechanismus zu finden, um zu einer optimalen Besetzung des Stiftungsrates zu kommen (z.B. NGO + Wissenschaft + Bürger + Politik). Stahel, Thomas (2002): Mietzinsnot, wohnen.ch/puff.html, 02.Apr.2002 08/2002, www.stadt- PWG-Stiftung (Hg.) (2000): Homepage, 2000, www.pwg.ch, 12. Aug. 2002 PWG-Stiftung (Hg.) (1985): Statuten, www.pwg.ch, 12. Aug. 2002 Stiftung PWG Werdstrasse 36 Postfach 8026 Zürich Telefon 01/291 17 60 - Telefax 01/291 59 12 http://www.pwg.ch - pwgstiftung@access.ch 117 118 Projektbeispiele / Syndikat Mietshäuser Syndikat Profil: Wohn-, Kultur- und Arbeitsprojekte in Selbstverwaltung Standort: Freiburg Gesellschaftsform: GmbH + Hausverein Finanzierung: Solidarfonds, Selbsthilfe, Direktkredite Aspekte: Detailprojekt 1. Projektprofil/Idee. Das Mietshäuser Syndikat ist eine Gesellschaft (GmbH), die es sich zum Ziel gesetzt hat, selbstverwaltete und solidarisch organisierte Mietshausprojekte mit sozialverträglichen Mieten zu unterstützen und politisch und ökonomisch durchzusetzen. Das Besondere am Mietshäuser Syndikat ist seine dezentrale Organisationsstruktur mit autonomen Einzelprojekten und einer solidarischen Dachstruktur, welche technische Hilfe, Beratung und Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung stellt sowie über einen Solidarfonds verfügt, der Kauf und Sanierung der Projekte unterstützt. Im Moment gibt es 11 ausgeführte Projekte sowie 5 Projektinitiativen. Die Einzelprojekte sind sehr unterschiedlich - insbesondere hinsichtlich ihrer qualitativen Zielsetzungen (Satzungen). Das JB9 ist beispielsweise ein reines Wohnprojekt, welches sich zwanglos einer ökologischen Sanierung verpflichtet hat. „Im Grün 8“ befinden sich zwei Apartments für wohnungslose Frauen. Bei den Grether Projek- ten geht es um Ökologie, Kultur und die Verbindung von Wohnen und Arbeiten. Die Projektinitiative „Rasthaus“ möchte eine Anlaufstelle für Flüchtlinge und MigrantInnen schaffen, die in ungesicherten Verhältnissen leben. Die „Wagenwiese GmbH“ ist auf der Suche nach Stellplätzen für ihre Wagenburg. Das Mietshäuser Syndikat nutzt seine große Popularität in Freiburg zum Einwerben von Direktkrediten. Auf diese Weise wurden in den letzten 25 Jahren mehr als 5 Mio. DM an Fremdkapital aktiviert. Jedes Projekt muss dabei für sich selbst werben. Der Anleger kann selbst entscheiden, ob und inwieweit (Zinshöhe) er das jeweilige Projekt unterstützen will. 2. Entstehung/Transformation. Das Mietshäuser Syndikat entstand aus zwei Projekten, dem Gasthaus Krone und dem Grether Verein. Im Jahre 1978 kauften 15 Leute das Gasthaus Krone in Sulzburg und gründeten dort in Selbstorganisation und gemeinsamer Bewirtschaftung ein alternatives Wohn- und Arbeitsprojekt (Kommune). Programmatisch wurde hier fast alles ausprobiert. Es wurde getöpfert, geschreinert, gefärbt, gewebt. Es gab eine Käserei, eine Bäckerei, eine Autowerkstatt, eine Dorfkneipe, ein Dorfkino, diverse Musikveranstaltungen, etc. Die Finanzierung des Kaufpreises von 220.000 DM geschah anfangs über die Bank. Das zweite Ausgangsprojekt ist die Grether Fabrik in Freiburg. Ende der 70er Jahre sollte die alte Eisengießerei auf dem Grethergelände abgerissen werden. Es bildete sich eine Initiative, um den Abriss zu verhindern und daraus ein selbstverwaltetes Projekt zu machen. Das Gebäude wurde, nach langen Auseinandersetzungen mit den Eigentümern und der Stadt, mit Hilfe von Mitteln aus dem sozialen Wohnungsbau und Bankkrediten in Wohnungen und Gewerberäume umgebaut. 1984 trennte sich die Kommune in Sulzburg. Einige Mitglieder kehrte in die Stadt zurück und engagierten sich beim Grether Verein, Projektbeispiele / Syndikat der mittlerweile den Namen Grether Baukooperative e.V. trug. Bis 1987 dauerte die heiße Zeit des Häuserkampfes. Nachdem die meisten Häuser geräumt waren kam es zu einem kurzen „Innehalten“ und die Akteure des Grether Projekts und der Krone überlegten sich, wie es weitergehen könne. Es gab konkreten Handlungsbedarf innerhalb der Projekte durch eine anhaltende Hochzinsphase, welche die Realisierung der Projekte zu gefährden schien. Hinzu kam, dass sich die Sanierungskosten von Grether um 10 % erhöhten. Eine „Schwarze Loch Gruppe“ wurde gegründet, welche alternative Finanzierungsformen entwickeln sollte. Die Krone hatte schon einmal mit Direktkrediten von Privatpersonen experimentiert. Dieses System wurde aufgegriffen und über die Jahre zur Perfektion entwickelt. In der Anfangszeit wurde lange damit geworben, nach Rückzahlung der Bankkredite, die Mieten auf die Höhe der Betriebskosten senken zu können. Dieses Prinzip erschien der “Schwarzen Loch Gruppe“ zu unsolidarisch. Sie entwickelten einen Solidarfonds, der neue Projekte in der kapitalintensiven Anfangsphase unterstützen sollte. Mit fortlaufender Entschuldung müssen die Projekte einen steigenden Solidaranteil an den Solidarfonds zurückbezahlen, worauf dieser dann wieder neue Projekte fördern kann, etc. In einem Artikel von Klaus Novy in der Arch+ 02/1982, entdeckte man ähnliche Ideen, die in unterschiedlicher Form noch weiterentwickelt wurden (vgl. Novy, Trägerform, 1982). Solidarfonds und Direktkredite sind noch heute die Grundsäulen des Mietshäuser Syndikats. Nachdem die Finanzierung geklärt war, machte man sich auf die Suche nach einer geeigneten Rechtsform, die dem Prinzip der solidarischen Refinanzierung entsprach. Lange Zeit wurde die Form einer Sekundärgenossenschaft favorisiert, die sich über eine Anzahl autonomer Hausgenossenschaften spannt. Da Genossenschaften klassische Selbsthilfeorganisationen sind, war es diesen Hausgenossenschaften jedoch rechtlich nicht möglich, Transferleistungen in Richtung anderer Hausgenossenschaften zu erbringen (Solidarfonds). Ein Hindernis, welches in der zwingenden Mitgliederorientierung der Genossenschaft begründet liegt. Hinzu kam, dass genossenschaftliche Prüfverbände sehr hohe Prüf- und Gründungsgebühren verlangen, die von kleinen Genossenschaften nicht tragbar sind. Schließlich entdeckte man über eine Publikation von Matthias Neuling (vgl. Neuling, Pfade, 1987) die GmbH, versehen mit einer entsprechenden Satzung, als geeignetste Trägerform. Leicht abgewandelt entstand daraus das Prinzip des Mietshäuser Syndikats, welches 1993 mit den Ausgangsprojekten Grether Ost und Krone Sulzburg gegründet wurde und bis heute in vergleichbarer Form besteht (s. Darstellung 55). 3. Akteure. Die Initiatoren des Syndikats kommen aus der Hausbesetzer- , der Kommune- und der Anti-Atomkraft-Bewegung und sind teilweise bis heute mit dem Projekt verbunden. Die Anleger sind bisher größtenteils Leute, die das Projekt durch persönlichen Kontakt kennen. Für die einen steht der soziale Aspekt des Projektes, mit dem dauerhaft günstiger Wohnraum für sozial Schwache geschaffen wird, im Vordergrund. Andere wiederum überzeugt die Transpa- Mietshäuser Syndikat GmbH + Verein Vetorecht Verkauf,.. Hausbesitz GmbH Solidarbeitrag Hausbesitz GmbH Hausbesitz GmbH Hausbesitz GmbH Darst. 55: Mietshäuser Syndikat, Gesellschaftsform I Quelle: eigene Darstellung 119 120 Projektbeispiele / Syndikat renz der Anlageform. Für manche ist gerade der Umstand, dass es sich bei dem Projekt um eine regionale Geldanlage handelt, ein zusätzlicher Anreiz. 4. Gesellschaftsform. Das Gesamtprojekt besteht aus dem Verein Mietshäuser Syndikat, der Mietshäuser Syndikat GmbH als geschäftliche Vertretung des Vereins, dem Solidarfonds und den jeweiligen Projekten, welche als GmbHs organisiert sind. Gesellschafter dieser Projekt-GmbHs sind die jeweiligen Hausvereine und die Mietshäuser Syndikat GmbH, welche über den Verein eine gemeinnützige Satzung in den Gesellschaftervertag einbringt. Dieser Konstruktion liegt das Prinzip zu Grunde, auf der einen Seite autonome Hausprojekte mit einer eigenen Rechtsform zu haben, die über die eigenen Belange (abgesehen von einem Verkauf) entscheiden können und auch bei einem Konkurs nicht die anderen Projekte gefährden. Auf der anderen Seite möchte man eine Gemeinschaftskonstruktion haben, welche solidarisch neue Projekte initiieren und gefährdete Projekte unterstützen kann. Die Rechtsform der GmbH ist hervorragend geeignet, denn sie hat günstige Unterhaltskosten und eine einfache Handhabung: Im Vergleich zur Genossenschaft muss die GmbH keinem PrüfungsHausverein Genossenschaft,...) Mietshäuser Syndikat Hausbesitz (oder GbR, oder Beteiligung 12.600 € GmbH Beteiligung 12.400 € GmbH alleiniger Gesellschafter Mietshäuser Syndikat Verein Darst. 56: Mietshäuser Syndikat Gesellschaftsform II Quelle: eigene Darstellung verband angehören, der für die Prüfung jährlich bis zu 5.000 € verlangt, und die GmbH muss sich nicht vom Prüfungsverband Beteiligungen genehmigen lassen. a. Der Verein. Der Verein Mietshäuser Syndikat ist die Basis des Gesamtprojektes. Er hat ca. 130 ideelle Mitglieder, die den Grundgedanken des Syndikats erdacht haben. Die Mitglieder haben einmalig eine Einlage von mindestens 250 € geleistet, welche nicht verzinst wird. Einmal im Jahr wird die Mitgliederversammlung einberufen. In ihr werden u.a. die Vorstände gewählt. b. Die Mietshäuser Syndikat GmbH. Wirtschaftliche Tätigkeiten des Vereins sind zur Haftungsbeschränkung ausgelagert an die Mietshäuser GmbH. Der Verein ist alleiniger Gesellschafter und stellt das Stammkapital von 25.000 € zur Verfügung. Die GmbH beteiligt sich an selbstorganisierten Mietshäusern und verwaltet den Solidarfonds. Ihre Einnahmen ergeben sich aus den Mitgliedereinlagen des Vereins, welche im wesentlichen den Gesellschafteranteilen der Hausbesitz GmbHs zufließen (jeweils 12.400 € - 25.000 € ). Bei erfolgreicher Beratung eines neuen Projektes, wenn sich also das Syndikat an einem neuen Projekt beteiligt, berechnet die GmbH 0,5 Prozent vom Kaufpreis zzgl. der Investitionskosten als Projektentwicklungskosten. Außerdem wird das neue Projekt Mitglied im Syndikat mit einer Einlage von 250 € . Die Mittel des Solidarfonds fallen ebenfalls an die Mietshäuser GmbH. Damit werden die laufenden Kosten finanziert, ebenso wie einige bezahlte Stellen. Im wesentlichen arbeitet die GmbH jedoch ehrenamtlich. c. der Hausverein. Der Hausverein ist ein Zusammenschluss aller Nutzer und Bewohner eines Gebäudes. Er versteht sich als Teil eines Solidarzusammenschlusses der MieterInnen und Wohnungssuchenden im Mietshausbereich. Die Hausversammlung ist das Beratungsund Entscheidungsorgan. Sie wird durch 2 Vorstände nach außen vertreten. Projektbeispiele / Syndikat d. die Hausbesitz GmbH. Zusammen mit dem Hausverein (Einlage 12.600 € ) gründet die Mietshäuser GmbH (Einlage 12.600 € ) die Hausbesitz GmbH (Stammkapital 25.000 € ). Der Hausverein, das eigentliche Projekt, soll dabei möglichst autark und unabhängig bleiben. Per Gesellschaftervertrag sichert sich die Mietshäuser GmbH lediglich Einfluss auf die existentiellen geschäftlichen Angelegenheiten, vor allem auch um den Gemeinwohlcharakter des Projektes zu garantieren. Das Syndikat hat z.B. bei allen Projekten ein Vetorecht gegen Verkauf oder Privatisierung, wodurch Gebäude und Grundstück auf Dauer dem spekulativen Immobilienmarkt entzogen werden. 5. Finanzierung. Grundgedanke der Finanzierung ist es, sich langfristig selbst über einen Solidarfonds zu fördern. Dieser Solidarfonds unterstützt Projekte in der kapitalintensiven Anfangsphase, so dass auch kurzfristig günstige Mieten zu Stande kommen können. Später, wenn ein Großteil der Kredite zurückgezahlt sind, wird über einen Solidaranteil der Fonds mit neuem Geld versehen. Die Summe aus Miete und Solidaranteil sollte bei allen Projekten (alt wie neu) ungefähr gleich sein. Dieser Solidarfonds macht momentan jedoch nur einen kleinen Finanzierungsanteil aus. (zwischen 0,50 € und 0,05 € /m²/Monat) und wird eher für die laufenden Kosten der Mietshäuser GmbH verwendet. Neben dem Gesellschaftsanteil der Miethäuser GmbH (12.400 € ) kommt es häufig zu stillen Beteiligungen älterer Projekte, die dadurch ihre Überschüsse steuerfreundlich unterbringen können. Der weitaus größte Teil der Finanzierung wird jedoch von Direktkrediten übernommen. Direktkredite kürzen den Weg zwischen Anleger, Bank und Kreditnehmer ab, indem der Anleger sein Geld direkt bei den entsprechenden Projekten anlegen kann. Für jeden Kredit wird ein Vertrag mit dem jeweiligen Projekt abgeschlossen, in dem alle Details geregelt sind (Kredithöhe, Verzinsung, Kündigungsfrist, Rückzahlung, Sicherheiten, z.B. in Form einer treuhänderischen Sammelgrundschuld). Gesucht werden Beträge ab 1.000 DM für mindestens 3 Monate und für höchstens 3% Zinsen im Jahr. Diese solidarischen Direktkredite sind bisher bei allen Projekten im Mietshäuser Syndikat die Grundsäule der Finanzierung. Es ist erstaunlich was für Summen in den letzten 10 Jahren mobilisiert werden konnten. Bei dem Projekt Grether Ost liegt der Anteil z.B. bei fast 60% (2,6 Mio. DM ). Die eingelegten Beträge reichen von 150 € bis zu 150.000 € . Insgesamt stecken gut 5 Mio. € Direktkredite in den verschiedenen Gebäuden des Mietshäuser Syndikats. Viele davon haben lange Laufzeiten. Es sind jedoch auch kurze möglich. Die Gewissheit sein Geld sozial oder ökologisch angelegt zu haben, scheint dabei eine bedeutende Rolle zu spielen. Jedes Projekt beantragt darüber hinaus wenn möglich öffentliche Fördermittel (z.B. Darlehen aus dem sozialen Wohnungsbau, Sanierungszuschüsse,....). Ein gewisser Anteil wird noch über die Eigenhilfe realisiert. Der Rest kommt von diversen Gemeinschaftsbanken wie die GLS, die Ökobank oder die Umweltbank. Die GLS stellt auch einen abrufbaren Verfügungskredit, der bei Rückzahlungsengpässen aktiviert werden kann. Bei einem neueren Projekt, dem Rasthaus Vauban, einer Anlaufstelle für Migranten und Flüchtlinge, wird der Gedanke geprüft, ob man mittels einer GmbH & Co KG stärker das Kapital finanzkräftigerer Investoren aktivieren könnte. Die KG bietet den Vorteil steuerlicher Abschreibungsmöglichkeiten – ein für Besserverdienende oft entscheidendes Kriterium. Die Hausbesitz GmbH träte in diesem Fall an die Stelle des Vollhafters und damit alleinigen Geschäftsführers der KG, womit die Autonomie des Projekts gewahrt bleiben würde. Vor ca. 2-3 Jahren setzte man sich zudem intensiv mit einer Umgestaltung des Syndikats in eine außerbörsliche Aktiengesellschaft auseinander, vor allem auch um das lahme Mitgliedergeschäft des 121 122 Projektbeispiele / Syndikat Vereins zu beleben. Bis heute gibt es nur 120 Mitglieder im Syndikat Verein, die eine unverzinsliche Einlage von 250 € geleistet haben. Dementsprechend können Gesellschafteranteile an den Hausbesitz GmbHs teilweise nur über Bankkredite finanziert werden. Diese Ideen wurden mit dem Abflauen der Aktieneuphorie jedoch fallen gelassen. Hinzu kam, dass es eine Änderung der Gesetzgebung gab, welche die Möglichkeit einer Stimmrechtsbeschränkung aufhob. Mit dieser Beschränkung konnte der Stimmanteil bei den Aktionärsversammlungen von der Anzahl der Aktien abgelöst werden. Theoretisch konnte z.B. dadurch der Stimmanteil, unabhängig vom Aktienbesitz, auf eine Stimme begrenzt werden, was den Prinzipien des Syndikats entgegenkam. Diese Möglichkeit gibt es jetzt nicht mehr (vgl. Syndikat, Handbuch, 2002). 6. Konflikte. Das Kreditwesengesetz verbietet die Annahme von mehr als 5 Direktkrediten in unbegrenzter Höhe oder von mehr als 25 Krediten mit einer Summe von insgesamt 25.000 DM, wenn keine banküblichen Sicherheiten vorhanden sind. Mit dem Schreiben vom 01.06.99 untersagte das Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen der Grether Ost die Annahme von Direktkrediten. Weiterhin verlangte das Bundesaufsichtsamt die "unverzügliche Abwicklung des von Grether Ost betriebenen Einlagengeschäftes". Damit war das Gesamtprojekt Mietshäuser Syndikat in seinem Bestand gefährdet. Bankübliche Sicherheiten hätten die Kosten für die Direktkredite vervielfacht und letztendlich nicht zu einer zusätzlichen Sicherheit der Anleger geführt. Die Direktkredite sind über das Grundbuch in Form einer Sammelgrundschuld abgesichert, Treuhänder der Absicherung ist ein Rechtsanwalt. Die eigentliche Sicherheit ist 2 jedoch der Wert der Immobilie, ein 2.500 m großes Grundstück und die darauf stehenden Gebäude, in bester Lage in Freiburg. Zwischenzeitlich sah sich das Syndikat dazu gezwungen, einen Ost Direktkreditfonds (Peanuts Company), eine GbR mit beschränkter Haftung zu gründen. Dieser Fonds hatte den Zweck, das Geld von Finanzierung Mietshäuser Projekt Gesellschafter Hausverein (Einlage) stiller Gesellschafter (Einlage) Gesellschafter MS Syndikat (Einlage) Direktbeteiligungen Finanzierungsbeispiel Eigenleistung (Darlehen) Hausbesitz GmbH Bankdarlehen (Darlehen) öffentliche Förderung Solidarfonds Darst. 57: Mietshäuser Syndikat Finanzierung Quelle: eigene Darstellung Projekt Grundstück Wohnungen Miete Grether Süd 575 m2 4 WE Solidarbeitrag 390 € / Jahr Gesamtkosten 700.000 € GmbH-Anteil Hausverein 25.000 € 5,11 €/ m2 GmbH-Anteil Syndikat 25.000 € Stille Beteiligung Grether West 100.000 € Darlehen der GLS – Bank 300.000 € Direktkredite 250.000 € Darst. 58: MS Finanzierungsbeispiel Quelle: Syndikat, Homepage, 2002 Projektbeispiele / Syndikat Kleinanlegern (Peanuts) zu bündeln, um die Auflage erfüllen zu können, nicht mehr als „5 Direktkredite in unbegrenzter Höhe“ annehmen zu müssen. Nach ca. einem Jahr fand man jedoch, auch wegen eines ausgesprochen ausgeprägten öffentlichen Interesses, eine unbürokratische Lösung. Der Präsidenten des Bundesamtes schlug vor, eine kleine Änderung der Kreditverträge vorzunehmen. Die zusätzliche Vertragsklausel lautet: „Die Rückzahlung der Darlehen und die Zahlung der Zinsen kann nicht verlangt werden, solange die Gesellschaft dieses Kapital zur Erfüllung ihrer (nicht nachrangigen) fälligen Verbindlichkeiten benötigt." (lt. Schreiben des BaKred vom 27.09.99) Im Fall Grether Ost hat dieser Rangrücktritt der Direktkreditgeber jedoch wenig Bedeutung: die nun vorrangig gestellten Verbindlichkeiten machen nur einen geringen Teil der Gesamtverbindlichkeiten aus. Konkret sind damit offene Rechnungen gemeint, die sich im Durchschnitt zwischen 20.000 und max. 50.000 DM bewegen. Dies ist wenig im Verhältnis zu einem Direktkreditvolumen von 4 Mio. DM (vgl. Syndikat, Homepage, 2002). Solidarfonds. Ein potentieller interner Konflikt ist die Verlässlichkeit einer dauerhaften Verfügbarkeit über die Solidaranteile der einzelnen Projekte. Es fällt auf, dass die Solidaranteile eher gering sind. Sie dienen zur Tilgung der laufenden Kosten der Arbeit des Mietshäuser Syndikats, weniger jedoch zur Finanzierung neuer Projekte. Tatsächlich ist es so, dass allein die Hausvereine, als Geschäftsführer der Haus GmbHs, über die Miethöhe und den Solidaranteil bestimmen können. Bei entsprechend niedrigen Mieten entstehen natürlich keine Überschüsse, auf welche die Mietshäuser GmbH, als Gesellschafter der Hausbesitz GmbH, Anspruch hätte. In der Realität ist die Höhe des Solidaranteils also Verhandlungssache zwischen den beiden Gesellschaftern. Im Prinzip könnte ein Projekt entscheiden keine Solidarbeträge mehr zu zahlen, was bis heute allerdings nicht vorgekommen ist. Hier wird deutlich, dass die Autonomie der einzelnen Hausprojekte, neben der Unmöglichkeit des spekulativen Verkaufs, eine Grundvoraussetzung der Syndikatskonstruktion ist. Lösen ließe sich das oben beschriebene Problem nur durch einen Übergang des Eigentumstitels in die Mietshäuser Syndikats GmbH. Dies wollte man jedoch nicht, denn im Gegenzug könnte diese, bei entsprechender Stimmenmehrheit (rein theoretisch) die Selbstverwaltung der Hausvereine aussetzen (vgl. Syndikat, Interview, 2002). 7. Kooperation/Vernetzung. Das von ehemaligen Hausbesetzern und alternativen Wohnprojekten als Dachverband selbstorganisierter Mietshäuser gegründete Syndikat ist auf Erfolgskurs. „Wir haben Anfragen aus ganz Deutschland, unter anderem aus Halle, Oldenburg, Berlin und Kassel“, berichtet Geschäftsführer Stefan Rost. Ein großes Wohnprojekt in Tübingen und ein Kommunehaus in Frankfurt gehören seit diesem Jahr zum Syndikat. Dies ist jedoch nur als Übergang gedacht. Mittelfristig sollen sich in anderen Städten eigene Syndikate aufbauen. Dann will man den GmbH Anteil an diese abtreten und eine Vernetzungsstruktur zwischen den Syndikaten schaffen. Das Syndikat steht mit vielen alternativen Projekten in Kontakt. Es unterhält eine sehr umfangreiche Webpage und bringt 4 mal im Jahr die Mitgliederzeitschrift “synapse“ heraus. 8. Lessons Learned. In Freiburg gibt es eine große Anzahl alternativer Projekte wie das Mietshäuser Syndikat und die dazugehörige studentische Siedlungsinitiative SUSI GmbH. Es gibt bekannte Stadterweiterungs- und Umnutzungskonzepte wie das Rieselfeld und den Stadtteil Vauban, ein ehemaliges Kasernengelände, welches gerade unter vorbildlichen Bedingungen umgebaut wird. Freiburg ist die Solarhauptstadt Deutschlands mit unzähligen Solardächern, Solarfonds und einer Solarfabrik. Es gibt ein gut ausgebautes Nahverkehrssystem. Am Bahnhof steht eine Mobilitäts- 123 124 Projektbeispiele / Syndikat zentrale mit Car-Sharing, Fahrradverleih und Mobilitätszentrum. Seit Juli 2002 ist der erste grüne Oberbürgermeister im Amt. Die Bürger der Stadt Freiburg scheinen sich überdurchschnittlich für die Belange der Stadt zu interessieren. Aber warum gerade Freiburg? „The reconstruction of societies institutions by cultural social movements, bringing technology under the control of peoples desires, seems to require a long march from the communes built around Resistance Identity to the heights of new project identities, sprouting from the values nurtured in these communes.“ (Castells, Novy, Klaus (1982): Anmerkungen zum Verhältnis von [Trägerformen] und Finanzierungs-alternativen in Arch+ Nr.61 vom Feb. 1982 Information Age III, S.354) Syndikat (Hg.) (2002): [Synapse 01/2002], Mitgliederzeitschrift, Freiburg, Mietshäuser Syndikat Dieses Zitat von Manuell Castells bringt Aufschluss über die Entwicklungen in Freiburg. In den 80iger und 90iger Jahren gab es in Freiburg eine sehr starke Anti-Atomkraft- und Hausbesetzerbewegung, bedingt durch die Nähe zum AKW Biel und dem hohen Anteil von Studenten sowie in Konfrontation mit einer extrem konservativen Stadtpolitik. Nachdem 1987 alle besetzten Häuser geräumt waren, verlagerten sich die Betätigungsfelder dieser stark politisierten Gruppen auch in Richtung solcher Projekte wie die SUSI GmbH und dem Syndikat (Resistance Identities). Das Gelingen dieser Projekte und deren offensichtlicher Erfolg (siehe massive Unterstützung durch Direktkredite), veränderte mit Sicherheit die politische Haltung in der Stadt insgesamt, wodurch solche von der Stadt begleiteten Projekte wie der Stadtteil Vauban in dieser ambitionierten Form überhaupt erst möglich waren (Project Identities). Interessanterweise hat sich das Verhältnis der Stadt zum Syndikat (und andersherum) noch kaum normalisiert. Auch heute würde die Stadt dem Syndikat freiwillig kein Grundstück oder Gebäude überlassen, obwohl die Arbeit des Syndikats, nüchtern betrachtet, mit Sicherheit einen sehr hohen öffentlichen Nutzen hat. Kooperation gibt es aber auf anderen Ebenen, z.B. wenn sich die Akteure der SUSI GmbH maßgeblich im Forum Vauban engagieren. Syndikat (Hg.) (2002): [Homepage] des Mietshäuser Syndikats, 08/02, www.syndikat.org, 10.Aug.2002 Syndikat (Hg.) (2002): [Interview] mit Stefan vom Mietshäuser Syndikat, 08/02, www.syndikat.org, 24.Aug.2002 Syndikat (Hg.) (2000): Wiese, [Villa], Wolkenkratzer, Freiburg, Mietshäuser Syndikat Syndikat (Hg.) (2001): [Synapse 12/2001], Mitgliederzeitschrift, Freiburg, Mietshäuser Syndikat Syndikat (Hg.) (2002): Syndikat [Handbuch], Freiburg, Mietshäuser Syndikat Mietshäuser Syndikat GmbH Adlerstr. 12 79098 Freiburg Tel.: (0761) 281892 / Fax: (0761) 22407 info@syndikat.org / www.syndikat.org 9 7 35 SUSI Freiburg 1995 0 7500 45 225 500.000 32.000 3.000.000 185.592 10.500.000 Sol ida rbe i [D M tr a g ] 4 848 in n ah [DM me ] 340 780 Mie te 140 1988 fpre [DM is ] 1978 Freiburg Wo Sulzbach K au n Per son e ung en Wo hn hnf l [m2äche ] w.fl ä [m2 che ] Ent s Krone Grether West Ge Ort teh u ng Projektbeispiele / Syndikat 9.800 810.00 5.000 15.246 Grether Ost Freiburg 1995 1109 1432 16 56 9.000.000 289.674 Villa Nostra Bad Krozingen 1996 0 424 4 14 1.500.000 46.000 2.500 Rennerstraße Freiburg 1998 0 120 2 6 350.000 12.960 720 Grether Süd Freiburg 2000 287 344 4 12 1.300.000 74.962 760 Schellingstrasse Thübingen 2001 0 13 100 1.700.000 Grün8 Freiburg 2001 100 530 8 16 1.200.000 JB 9 Freiburg 2002 0 219 2 6 635.000 2416 11757 105 479 29.685.000 641.188 34.026 Summen Projektinitiativen: Fritze, Frankfurt - Rasthaus, Wagenwiese, Spittelackerstr, Markgrafenstr, Freiburg - Bopp´sche Lederfabrik Darst. 59: Mietshäuser Syndikat Projekte Quelle: eigene Darstellung in Anlehnung an: Syndikat, Handbuch, 2002 125 126 Projektbeispiele / WOGEBE WOGEBE (Trier) Profil: integrales Quartierskonzept Standort: Trier Gesellschaftsform: Quartiersgenossenschaft + GmbH´s Finanzierung: Genossenschaftsanteile, Förderungen, Selbsthilfe Aspekte: Detailprojekt 1. Projektprofil/Idee. Die Grundlage des Mietshäuser Syndikats und der Wogeno basiert auf der Idee, mehr oder weniger autonome Hausprojekte durch einen Solidarbund miteinander zu verbinden. Entscheidend für die Mitgliedschaft ist der Wille der einzelnen Projekte an diesem Solidarverbund teilzunehmen. Eine Entscheidung die von innen heraus aus den einzelnen Projekten kommen muss. Die Wohnungsgenossenschaft am Beutelweg ist ein Konstrukt, welches zuerst einmal von außen an die jetzigen Bewohner der einzelnen Häuser herangetragen wurde. Gemeinsam ist ihnen ursprünglich nicht eine bestimmte Idee, sondern ein bestimmter Ort (Trier Nord) und eine bestimmte Ausgangsproblematik (extremer Verfall, anstehender Verkauf, hohe Arbeitslosenquote). Die Wohnungsgenossenschaft am Beutelweg ist außerdem nur ein Bestandteil eines Gesamtkonzepts, mit dem ein sozial extrem heruntergekommener Stadtteil in den letzten 10 Jahren nachhaltig saniert und gesichert werden konnte. Die Genossenschaft konzentriert sich dabei auf die Übernahme von Häusern und Wohnungen aus dem Bezirk in das genossenschaftliche Eigentum und deren Sanierung. Projektbegleitend organisiert das Bürgerhaus soziale Maßnahmen und Absicherungen. Das Projekt PROLOG (Projekt Lokale Ökonomie und Gründungsinitiativen), vom Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit gefördert, engagiert sich im Aufbau einer stadtteilbezogenen Ökonomie. Die Genossenschaft integriert Arbeitslose durch Selbsthilfemaßnahmen in der Gebäudesanierung. Darüber hinaus hat sie zwei marktwirtschaftlich orientierte Tochtergesellschaften ausgegründet, nämlich die Hausverwaltungs- und Sanierungs-GmbH (HVS), die heute 70 Beschäftigte hat und die Wohnungswirtschaftliche Service Gesellschaft GmbH. Beide zielen auf die Reintegration von Langzeitarbeitslosen und die berufliche Qualifizierung im Quartier ab. Mit Hilfe dieses überzeugenden Konzeptes zur dauerhaften Sicherung bezahlbaren Wohnraums und zur integrativen Sanierung nach Prioritäten sozialer Verträglichkeit gelang in Trier, durch zähe Verhandlungen und intensive Überzeugungsarbeit, ein bemerkenswertes Vorhaben. BewohnerInnen eines „sozialen Brennpunktes" übernehmen ihre Wohnungen in Form genossenschaftlichen Eigentums, sichern sich und ihren Kindern lebenslanges Wohnrecht in bezahlbarem Wohnraum und schaffen Optionen für Eigen- und Erwerbsarbeit durch die Sanierung und Bewirtschaftung der Gebäude und des Umfeldes. Das Stadtquartier ist seit dem Jahr 2000 im Bund – Länderprogramm „Soziale Stadt“ und hat sowohl von diesem Programm, als auch von der Schaderstiftung, einen Förderpreis erhalten. 2. Entstehung/Transformation. Heinz A. Ries beschreibt die Ausgangssituation des Quartiers in den achtziger Jahren wie folgt: Projektbeispiele / WOGEBE „Im Stadtteil Trier-Nord liegt das Quartier Nells-Ländchen, unverkennbar als sozialer Brennpunkt zu identifizieren, mit rund 120 Häusern und ca. 1200 Bewohnern. Es fehlen Gewerbebetriebe, Dienstleistungsunternehmen, Arztpraxen, Cafes und Gaststätten, soziale Einrichtungen, und Spielplätze und Begegnungsorte für BürgerInnen. Im Quartier überwiegt ein maroder Hausbestand infolge von Desinvestition und Wohndichte. Fast alle Häuser sind in städtischem oder in Bundesbesitz. Der Stadtteil ist geprägt durch Kasernengebäude, die um 1900 gebaut und nach 1930 provisorisch für Wohnzwecke umgebaut wurden, durch Notunterkünfte und Schlichtbauten des sozialen Wohnungsbaus der Jahre 1935 - 1950 und durch bessere Liegenschaften, bewohnt durch das französische Militär und erstellt nach 1950 (späteres Konversionsgebiet). Im Quartier wohnen rund 3000 Einwohner mit all den typischen Merkmalen einer mehrfach benachteiligten Bevölkerung: überwiegend niedriges Bildungsniveau der Bewohner, fehlende Berufsausbildung, eine hohe Quote an Arbeitslosen (über 40 %), insbesondere Langzeitarbeitslose. Vorzufinden ist auch eine überdurchschnittlich hohe Zahl an Kindern (37 % gegenüber 17 % in der Stadt) und viele Alleinerziehende“ (Ries, Nachhaltigkeit, 2001) Ausgangspunkt der Entwicklung/Transformation des Quartiers war eine universitäre Analyse, die für dieses Gebiet vier Ausstattungsdefizite identifizierte und versuchte strukturell nachhaltige Gegenstrategien, also Strategien, die sich nicht nur am Gebäudezustand orientieren, zu entwickeln. 1. Mehrfache Exklusion der BewohnerInnen infolge langjähriger Deprivation > Strategie: Beratungsangebote (therapeutische Hilfen, Schuldenberatung, Familienarbeit, Kinder- und Jugendarbeit,...) 2. Fehlendes bürgerschaftliches Netzwerk > Strategie: BürgerInnentreffs, Gemeinwesenarbeit, etc. 3. Die Bewohner verfügen über wenig am Arbeitsmarkt ausgerichte- tes Wissen und Können > Strategie: niedrigschwellige, individuelle Bildungs- und Qualifizierungsangebote,.... 4. marodes physisches Umfeld infolge langjähriger Devestion > Strategie: Kapital, Investition für Sanierung, Neubau und Aufbau einer lokalen, an den BürgerInnen orientierten Ökonomie. (vgl. ebenda) Mit Hilfe einer Gruppe engagierter Bürger und Bürgerinnen aus der Mittelschicht, finanziert durch die Stadt Trier und begleitet von der Universität wurde 1983 ein Stadtteilzentrum gegründet, welches nach 6 Jahren in die private Trägerschaft eines Vereins überführt wurde (Kinderpflege, Lebensberatung, Kinder- und Jugendarbeit, Qualifizierung, Trans-Kultur, Kontakt- und Informationsstelle). Getragen werden diese sozialen Einrichtungen weitestgehend von der Stadt. Der erste Schritt in die Entwicklung des Stadtteils kann man also als Investition in die jeweiligen Menschen bezeichnen (soziale Nachhaltigkeit) – „Nur durch die Investition in die Menschen eines sozialen Brennpunkts,...., wird verhindert, dass die Sozialhilfeausgaben in den kommenden Jahren exponentiell steigen werden und Armut nur verwaltet wird und sich perpetuiert“ (ebenda). Wichtige Rahmenbedingungen blieben jedoch erst einmal unberührt. So konnte nur wenig gegen die weiterbestehende, sogar wachsende Arbeitslosigkeit im Stadtteil und gegen die Verwahrlosung des Wohnungsbestandes getan werden. Der Drehtüreffekt bei den Qualifizierungsmaßnahmen war ebenfalls unübersehbar. Appelle an die Politik blieben bei den leeren Kassen der Stadt ohne Folgen. Zudem waren viele Politiker der Meinung, dass eine Sanierung der Häuser wegen der offensichtlichen Gewalt der Bewohner gegen materielle Sachen, nicht von Bestand sein könne. Im Jahre 1989 wurde beschlossen einen Teil der Häuser zu privatisieren. Dabei handelte es sich um drei Wohnblöcke mit 106 Wohneinheiten. Bewohnt wurden sie von 308 Personen, darunter 110 Kinder 127 128 Projektbeispiele / WOGEBE und Jugendliche. 41 % der erwerbsfähigen Bewohner waren zu diesem Zeitpunkt arbeitslos. Der Anteil der Personen in sozialen Transferleistungen lag bei ca. 60 %. Der Wohnungsmarkt in Trier war zu diesem Zeitpunkt sehr angespannt. Die Lage der Gebäude am Zentrumsrand erhöhte die Gefahr von Spekulation und Verdrängung. Eine bewohnernahe Lösung schien ausgeschlossen. Verantwortungsvolle Käufer ließen sich wegen des Klientel nicht finden. Auch die Stadt zeigte kein Interesse. In dieser Phase wandten sich die Mieter an das Bürgerhaus Trier Nord. Ein Arbeitskreis wurde eingerichtet, der in relativ kurzer Zeit drei Aufgaben zu lösen hatte: Bildung eines rechtlichen Trägers als Verhandlungspartner für das Bundesvermögensamt, Entwicklung eines betriebswirtschaftlich tragbaren Sanierungskonzeptes und eines sozialpädagogischen Gesamtkonzeptes. Das Bürgerhaus entwickelte daraufhin das Konzept „Integrative Stadtentwicklung“ (ISA). „Das Konzept basiert auf drei menschlichen fundamentalen Grundbedürfnissen: aktiv tätig seine Existenz, sein Überleben abzusichern, sich zu entfalten, zweitens über ein sicheres Stadt Genossenschaft Bürgerhaus Trier-Nord WOGEBE WSG GmbH Wohnungsgenossenschaft am Beutelweg eG Wohnverwaltungsfirma (12 Mitarbeiter) Stadtteilarbeit Bewohnerräte HVS GmbH AG Sanierung Haus-Verwaltungsund SanierungsGmbH (70 Mitarbeiter) Qualifizierung AG soziale Intervention Darst. 60: ISA - Konzept Quelle: eigene Darstellung Tochterfirmen PROLOG und schönes zu Hause zu verfügen und drittens soziale Anerkennung und Zuneigung zu empfangen und zu geben, d.h. sich als positiven Teil einer Gemeinschaft zu fühlen. Abgeleitet davon ist unser Dreisäulenprinzip von Wohnen, Arbeiten und dem Wechsel von Selbsthilfe und Teilhabe (Geben/Empfangen). Diese drei essentiellen Grundbedürfnisse lassen sich auch operational in konkrete mittel- und langfristige Ziele übersetzen. Schaffung von Wohnraum, verbunden mit lebenslangen Wohnrecht, Möglichkeit existenzsichernder Erwerbsarbeit und vielseitiger Formen der Beteiligung durch nachbarschaftliche Selbsthilfe und Teilhabe.“ (vgl. Ries, Beutelweg, 1999, S.13) Kernpunkt des Konzepts war die Gründung der Wohngenossenschaft am Beutelweg. Die bis dahin mittellosen BewohnerInnen wurden dadurch zu Eigentümern an gemeinschaftlichen Eigentum, was ihr Verhältnis zum Stadtteil nachhaltig ändern sollte. Zu den anfänglich 3 Häusern des Bundes kamen bis 1995 noch 2 Häuser mit 36 Wohnungen in der Röntgen- und in der Hochwaldstraße hinzu, bis 1999 die Parkstraßensiedlung mit 51 Wohnungen. Ende 2001 verfügte die Genossenschaft über 106 Häuser mit über 540 Wohneinheiten und jährlichen Mieteinnahmen von 2,2 Mio. DM. In den ersten 10 Jahren wurden mit Hilfe von Darlehen aus dem sozialen Wohnungsbau ca. 1/3 aller Häuser saniert. Die BewohnerInnen haben für ca. 12 Mio. DM Selbsthilfe geleistet, was auch zu einer stärkeren Identifikation mit dem Quartier führte. Um darüber hinaus Qualifizierungsmaßnahmen und reguläre Arbeitsplätze zu schaffen und dem Konzept „Integrativen Stadtentwicklung“ gerecht zu werden, wurden 1993, in enger Zusammenarbeit mit dem Sozialamt der Stadt Trier und dem Sozialministerium des Landes, zwei Tochterfirmen gegründet. Die Tochterfirma HVS GmbH ist ein Handwerksverbund, der Ende 2001 rund 70 Mitarbeiter beschäftigt und 2000 einen Jahresumsatz Projektbeispiele / WOGEBE von 7,5 Mio. DM hatte. Zu dem Verbund gehören Maler, Zimmerer, Schreiner, Dachdecker, Tischler, Maurer und Lackierer. Die GmbH beteiligt sich an der Sanierung der Genossenschaftswohnungen, ist aber auch auf dem freien Markt aktiv. Die HVS hat sich in den ersten 9 Jahren ihres Bestehens streng an ihren Prinzipien der ökologischen, ökonomischen und sozialen Nachhaltigkeit orientiert. Die MitarbeiterInnen haben sich im Themenbereich „ökologisches Bauen“ qualifiziert und arbeiten mit modernen Baustoffen, die umweltverträglich sind und aus heimischer Produktion stammen. Solarenergie, umweltbewusste Isoliertechnik, die Kooperation mit Firmen aus der Region sind wichtige Elemente der HVSArbeitsweise. Etwa ein Drittel der Beschäftigten sind ehemals arbeitslose StadtteilbewohnerInnen, die gleiche Anzahl von Personen hat die HVS als Sprungbrett in andere versicherungspflichtige Arbeiten genutzt. Die HVS stellt bis zu 75 Praktikumsstellen jährlich primär für StadtteilbewohnerInnen zur Verfügung und leitet bis zu 150 Genossenschaftsmitglieder jährlich in der Selbsthilfe an. Mögliche Gewinne werden in die Schaffung neuer Ausbildungs- und Arbeitskräfte investiert. Verschiedene innerbetriebliche Regelungen (Arbeitszeitkonten, betriebliche Beteiligung an der Altersversorgung) führen zu hoher Mitarbeiterzufriedenheit und niedriger Fluktuation. Das zweite Tochterunternehmen der WOGEBE ist die „Wohnwirtschaftliche Service Gesellschaft mbH (WSG)“, welche 1997 gegründet wurde. Als hundertprozentige Tochterfirma der WOGEBE verwaltet die WSG den eigenen Wohnungsbestand und den Wohnungsbestand anderer Eigentümer. Als Weiterentwicklung des ISA-Konzeptes wurde 1997 das Folgeprojekt PROLOG (Projekt Lokale Ökonomie und Gründungsinitiativen) gegründet. Ziel ist die Bekämpfung von Verarmung, Verschuldung und Ausgrenzung durch die Aktivierung neuer wirtschaftlicher Tätigkeiten im Stadtteil. „Es geht u.a. um den Aufbau von Unternehmensinitiativen, Qualifizierungsprojekten und Optionen der Selbsthilfe, der Eigenarbeit und Nachbarschaftshilfe und den Aufbau von Kooperations-, Unterstützungs- und Beratungsstrukturen.“ (ebenda, S.34) Im Jahr 2000 wurde das Quartier in das Bund-Länder-Programm „Soziale Stadt“ aufgenommen. Mit den Mitteln dieses Programms konnte das Bürgerhaus Trier-Nord grundlegend saniert werden. Des Weiteren wurden Wohnumfelderneuerungen und Spielraumgestaltung vorgenommen, die lokale Ökonomie weiterentwickelt und neue Beschäftigungs- und Qualifizierungsangebote geschaffen werden. 3. Akteure „Ohne die Bereitschaft von ehrenamtlich tätigen BürgerInnen, die bereit waren, ihr Know-How in den Dienst einer Vision zu stellen, wäre das Projekt weder zustande gekommen, noch hätte es überlebt.“ (Ries, Nachhaltigkeit, 2001) Als 1988/89 die Mieten der Häuser Am Beutelweg 2-20 um ca. 200 DM erhöht werden sollten und sich abzeichnete, dass ein Verkauf bevorstand, wandten sich die Bewohner an die damalige Leiterin des Bürgerhauses Susanne Elsen. Diese konsultierte ihren Doktorva- Darst. 61: Bestand Wogebe 2001 Quelle: Quartiersmanagement Trier-Nord, Nordblick, 2001, S.11 129 130 Projektbeispiele / WOGEBE ter Prof. Dr. Heinz A. Ries und zusammen erarbeiteten sie ein erstes Konzept zur integrativen Sanierung des Beutelwegs, dessen Hauptbestandteil die Wohngenossenschaft am Beutelweg ist. Susanne Elsen arbeitete von 1983 – 1992 als Sozialpädagogin im Bürgerhaus Trier-Nord. Sie ist heute Professorin an der Fachhochschule München und Aufsichtsratsvorsitzende der Wohnungsgenossenschaft am Beutelweg. Prof. Dr. Heinz A. Ries ist Professor für Erziehungswissenschaften in Trier und seit Bestehen der WOGEBE deren Vorstandsvorsitzender. Beide veröffentlichten, immer wieder auch zusammen, zahlreiche Bücher über das Thema Gemeinwesen, Solidarökonomie und Arbeitsgesellschaft. Ein weiterer wichtiger Initiator der Wohnungsgenossenschaft war Klaus Jensen, 1991 Mitinhaber des Sozialplanungsbüros JensenKappenstein. Jensen stellte in der Gründungsphase, die immerhin ein Jahr dauerte, kostenlos sein betriebswirtschaftliches Know-How zur Verfügung und übernahm das Projektmanagement der WOGEBE. Seit 1994 ist er Staatssekretär im Ministerium für Arbeit, Soziales und Gesundheit. 4. Gesellschaftsform. Die WOGEBE ist ein Projekt des Bürgerhauses in eigener Trägerschaft. Sie besteht, wie bei einer Genossenschaft üblich, aus einer Genossenschaftsversammlung, einem Aufsichtsrat und dem Vorstand. WSG, HVS und PROLOG sind hundertprozentige Tochterfirmen der WOGEBE und als GmbHs organisiert. Die dauerhafte Beteiligung der BewohnerInnen - nicht nur aus demokratischen Ansprüchen heraus, sondern auch um ein Gelingen des Projektes auf lange Sicht zu gewährleisten -ist ein zentraler Baustein der Arbeit der WOGEBE. Schon bald nach Gründung der Genossenschaft wurde begonnen, Bewohnerräte zu bilden, die jeweils eine Hausgemeinschaft vertreten und als Bindeglied zwischen Verwaltung, Vorstand und Bewoh- nerInnen fungieren. Die Bewohnerräte sind erste Ansprechpartner für neue Bewohner, aber auch wenn beispielsweise das Umfeld neu geplant wird und die Meinung und Beteiligung der BewohnerInnen gefragt ist. Sie organisieren häufig auch nachbarschaftliche Hilfen, z.B. für ältere Menschen, achten mit darauf, dass Regeln des Zusammenlebens eingehalten werden. 5. Finanzierung. Die WOGEBE versteht sich als Sozialgenossenschaft. Sie verfolgt soziale Ziele mit ökonomischen Mitteln und ist damit nach europäischem Verständnis ein Unternehmen der Economie Solidaire. Die Genossenschaft, die ansonsten in Deutschland im vollen Umfang den Gesetzen des Marktes unterliegt, übernimmt damit öffentliche Aufgaben und nicht zu Unrecht erwartet sie deswegen ein Entgegenkommen des Bundes, des Landes und der Stadt. Dementsprechend kam der Bund der neugegründeten Genossenschaft auch mit dem Kaufpreis für die Liegenschaften entgegen. Das Land Rheinland-Pfalz förderte die Sanierung im Rahmen des sozialen Wohnungsbaus. Die Stadt Trier übernahm eine Bürgschaft für die Kredite der Stadtsparkasse und übernahm außerdem die Kosten für die Projektberatung und die sozialpädagogische BewohnerInnenarbeit für die besonders schwierige Phase der Sanierung. Hinzu kam noch ein umfangreicher Zuschuss aus dem Europäischen Sozialfonds, der es ermöglichte, eine erste Gruppe sozialhilfeberechtigter Bewohnerinnen und Bewohner in tariflich bezahlte, befristete Arbeitsverhältnisse zu integrieren und unter Wertschöpfungseffekten in ihrem eigenen Wohnbereich zu qualifizieren. Für die Parkstraßensiedlung, ehemals vom französischen Militär benutzt, wurden Konversionsmittel zur Verfügung gestellt. Die WOGEBE konnte als neugegründete Genossenschaft kaum Eigenkapital einbringen. Die Höhe der Genossenschaftsanteile beliefen sich auf lediglich 100 DM. Die Selbsthilfeleistung der Projektbeispiele / WOGEBE Bewohner musste diesen Mangel kompensieren. Darüber hinaus stehen der WOGEBE Trier seit Ende 2000 Mittel aus dem Programm der „sozialen Stadt“ zur Verfügung. Sanierungsaufwand: 88.000.000 DM Davon Selbsthilfe: 12,5% 11.000.000 DM Genossenschaftsanteile a 100 DM: 0,17 % 15.150 DM Fördermittel Programm sozialer Wohnungsbau des Landes RheinlandPfalz Konversionszuschüsse des Landes Rheinland-Pfalz „Soziale Stadt“ Kapitalmarktmittel Darst. 62: Wogebe Finanzierung Quelle: eigene Darstellung 6. Konflikte/Probleme. „Wir haben kein Eigenkapital, werden aber Muskelhypothek einbringen. Die Einlage beträgt keine Tausende, sondern lediglich 100 DM. Die handelnden Personen sind Sozialwissenschaftler, eine Pädagogin, ein Theologe, Kommunalpolitiker. Die Mitglieder der Genossenschaft sind vielfach Menschen ohne Arbeitseinkommen, Sozialhilfeempfänger, etc.“ (vgl. Ohlig, Artikel, 2002) Mit dieser Antwort „erntete“ Klaus Jensen (Projektmanager) beim genossenschaftlichen Prüfverband in Düsseldorf natürlich erst einmal ungläubige Gesichter. Ähnlich schwierig gestaltete sich die Überzeugungsarbeit bei den eigenen Leuten, die kaum die geeignete Qualifikation hatten; bei den Politikern der Stadt und des Bundes, die eher gewohnt waren mit professionellen Wohnungsunternehmen zu kooperieren; den beteiligten Architekten, die ganz anders als sonst zu planen und zu bauen hatten; den Baufirmen, die nun nicht mehr allein auf der Baustelle waren; den Projektmanagern, die viele Kooperationspartner zusammenführen mussten; und vor allem den Bewohnern, die plötzlich Eigenverantwortung tragen sollten für eine Gesellschaft, die nicht von ihnen selbst initiiert worden ist. Die prognostizierten Probleme bewahrheiteten sich zum Teil. Insbesondere die Koordinationsaufgaben erwiesen sich als zeitaufwendig. Die Dichte der Geschäftsvorgänge, die Ungleichzeitigkeit der Entwicklungsphasen, die Anzahl und Unterschiedlichkeit der AkteurInnen, die Unterschiedlichkeit der Unternehmensteile, Gremien und Interessen erforderten umfangreiche Absprachen und Verantwortlichkeitserklärungen. Die Bewohner waren zuerst sehr skeptisch. Viele glaubten nicht an die Ernsthaftigkeit der Sanierungsabsicht. Viele Gespräche waren notwendig, „manchmal gab es unangenehme Worte, Ungeduld und überdrehte Erwartungen.“ (Baschab, aktiv, 2001, S.17) Dabei wurde auch offenbar, dass viele Menschen sich in ihrer Abhängigkeit eingerichtet hatten und ihre Chancen oftmals gar nicht wahrnehmen konnten. Ängste und andere Blockaden mussten von daher in mühevoller Bildungs- und Sozialarbeit aufgebrochen werden. Die Sanierungsplanung hatte schwierige Rahmenbedingungen zu berücksichtigen, wie etwa die teilweise Umsiedlung der Bewohner innerhalb des eigenen Hausbestands, den Miteinbezug der Selbsthilfe und die dadurch bedingte lange Sanierungsdauer. Die Sanierung erfolgte nach dem Schubladenprinzip, Hausteil um Hausteil. Um die Geduld der Mieter nicht überzustrapazieren und um schnell sichtbare Erfolge nachzuweisen entschloss man sich zuerst in einer „Schnellaktion“ die gröbsten Missstände, die undichten Fenster, zu ersetzen. Es erwies sich auch als Problem, dass Wohnungsgenossenschaften eine Mindestgröße haben müssen, um die notwendige professionelle Verwaltung und Bewirtschaftung gewährleisten zu können. Auch die Akteure der WOGEBE haderten, wie viele andere kleine Genos- 131 132 Projektbeispiele / WOGEBE senschaften auch, mit den „monopolistischen Prüfungsverbänden“ und den jährlich verpflichtenden Prüfungen, sowie der Gründungsprüfung, die „maßgebliche Anteile der Erträge kleiner Genossenschaften verschlingen“ würden (Ries, Beutelweg, 1999, S.49). Allerdings muss man die Probleme eines solchen Vorgangs an den vorherigen Problemen messen, die sicherlich nicht geringer waren. Eine Evaluation, die 1996 vom Büro für Sozialplanung Schneider & Kappenstein ausgeführt wurde, ergab bereits eine deutlich gesteigerte Bewohnerzufriedenheit. „Wenn man dat sieht, wat in zwei Jahren gemacht wurde – ist schon gut.“ (ebenda, S.20) Des weiteren weist die Studie darauf hin, dass den Ausgaben der Kommune zur Förderung des Projekts beträchtliche Einsparungen gegenüberstehen. Durch die neugeschaffenen Arbeitsplätze kam es in den ersten drei Jahren zu Rückflusseffekten im Sinne des Lohnsteueraufkommens in der Höhe von ca. 900.000 DM und Minderausgaben im Sozialhilfeetat von 4,4 Mio. DM. Allerdings bescheinigt die Evaluation den Bewohnern eine immer noch sehr große Unsicherheit, was die Zukunft des Quartiers und die Dauerhaftigkeit der Maßnahmen betrifft, insbesondere wegen der weiterexistierenden sozialen Missstände. „Die geben so viel Geld für die Sanierung aus un`nach nem Jahr siet et wieder aus, da kriegste dat heulende Elend......Die Sanierung is` schön und gut, doch leider bringt dat hier nix ein, man muss die Leut sieben.“ (ebenda, S.20) 7. Kooperation / Vernetzung. Wie bereits erwähnt ist die WOGEBE auf unterschiedlichen Ebenen vernetzt. Aus ihr ausgegründet sind die HVS-GmbH, die WSG-GmbH und das Projekt PROLOG. Darüber hinaus kooperiert sie eng mit dem Bürgerhaus Trier-Nord, der Stadt Trier und der Universität Trier. Kontakte bestehen zum Sozialplanungsbüro Schneider & Kappenstein, den Architekturbüros 4plus und Hamm/Tischatschek, dem Verband rheinischer und westfälischer Wohnungsunternehmen, dem Bundesver- band deutscher Wohnungsunternehmen, dem Verband der Westdeutschen Wohnungswirtschaft und dem Rechtsanwaltsbüro Dr. Hermann. 8. Lessons Learned. Das bemerkenswerte an der Wogebe ist sein interdisziplinärerer und fachübergreifender Ansatz. Neben der Wohnraumversorgung und der Wohnumfeldverbesserung sind therapeutische, beratende und weiterbildende Maßnahmen, sowie arbeitsplatzschaffende, reintegrierende, ökonomische Initiativen Bestandteil des Gesamtkonzepts. Mit der Gründung der Wogebe wurde ein wichtiger Schritt aus der reinen sozialen Armutsverwaltung unternommen – nach der Devise: gerade in Quartieren mit besonders hoher Arbeitslosigkeit gibt es besonders viel zu tun. Die Wogebe versucht, in Kombination mit HVS und WSG, die wenigen Eigenressourcen des Gebiets optimal zu fördern. Diese liegen in der vorhandenen Zeit arbeitsloser Bewohner, in dem Willen eine Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt zu erreichen, dem natürlichen Selbsthilfepotential, der Verfügbarkeit von Freiflächen und Gebäuden und den wenigen, aber vorhandenen, Geldmitteln der Haushalte. Ein Schlüsselkonzept bei der Aktivierung von Selbsthilfepotentialen, bei der Schaffung lokaler Ökonomien und Kreisläufe, ist das der Teilhabe. Den Bewohnern von Trier Nord wird über das Konzept der „Integrativen Stadtentwicklung“ die Möglichkeit gegeben, am Wohneigentum teilzunehmen (Genossenschaft), am Arbeitsmarkt (HVS), an Weiterbildungen und an Gemeinschaftseinrichtungen (Bürgerhaus), an einer gewissen sozialen Sicherheit (wir werden nicht verdrängt), an sozialer Anerkennung (wir haben etwas geschafft), an Entscheidungsprozessen (Sanierungsplan) und an einer Quartiersidentität. Projektbeispiele / WOGEBE Ries, Heinz A. (2001): [Nachhaltigkeit] wird von Menschen gelebt, überarbeiteter und gekürzter Vortrag anlässlich der 3. Biobautage 2001, 09/02, www.netzwerk-wohnprojekte.de/netz/ 700/pdf/3Workshop.pdf Ries, Heinz A. (1999): Die Genossenschaft am [Beutelweg], Aus der Not geboren, Trier, WOGEBE Ohlig, Maria (2002): unveröffentlichter [Artikel], E-Mail vom 20.07.2002 Baschab, Collignon (2001): Die BewohnerInnen werden [aktiv] in: Nordblick (Stadtteilzeitung) Nr. 11/2001 Quartiersmanagement Trier-Nord (Hg.) (2001): Nordblick, Stadtteilzeitung Trier-Nord vom Nov. 2001, Trier, Bürgerhaus Elsen, Susanne (1998): [Gemeinwesenarbeit] und Gemeinwesenökonomie im Zeitalter der „Globalisierung" in: TAK AÖ-Rundbrief , Nr. 84 Ohlig, Ries (2001): [Armut], Arbeitslosigkeit und Ausgrenzung beseitigen als Förderauftrag – Wohnungsgenossenschaft in Trier in: Genossenschaftliche Informationen 2/2001 Wohnungsgenossenschaft am Beutelweg eG (WSG) Röntgenstr. 4 PLZ/Ort: 54292 Trier Telefon: 0651/1454712 / Fax: 0651/1454727 WOGEBE@t-online.de Darst. 63: Wogebe Trier Quelle: Nordblick, Nr.11/2001, S.21 133 134 Projektbeispiele / Solidair Spektrum individueller Teilnahme: als Anleger, Bewohner, Unterstützer, Spender, Teilnehmer, Benutzer, Besucher oder Betreiber (vgl. Solidair, Charta, 1999). Solidair Profil: Wohn-, Arbeits- und Kulturprojekt, alternative Ökonomie Standort: Utrecht Gesellschaftsform: Stiftung & Co KG, Vereine Finanzierung: Love-Money, Eigenkapital, Solidarfonds, Selbsthilfe, Stiftung Aspekte: Transformation, Gesellschaftsform 1. Projektprofil/Idee. Das Projekt Solidair sprengt den bisher üblichen Rahmen, der sich vor allem mit dem alternativen Wohnen auseinandergesetzt hat und beschäftigt sich generell mit der praxisorientierten Ausformung einer alternativen, nachhaltigen Ökonomie. Solidair besteht seit 1974 in Utrecht/Holland und ist ein Dachverband von über 50 Arbeits-, Dienstleistungs-, Sozial-, Kultur- und Wohnprojekten mit mehr als 160 Teilnehmern in mittlerweile 6 verschiedenen Städten. Solidair steht für Nachhaltigkeit in ökonomischem Verhalten, für Kooperation und gegenseitige Unterstützung sowie für soziales, ökologisches und verbindliches Handeln. Dabei versteht sich Solidair ausdrücklich als Bottom-Up-Initiative. Dem ausgewogenen Verhältnis zwischen Projektautonomie bzw. Individualität und gemeinschaftlicher Perspektive wird viel Aufmerksamkeit gewidmet. Entsprechend dieser Autonomie bietet die Vereinigung ein reiches 2. Entstehung/Transformation. Anarchie und Kollektivität. Im Jahr 1974 regte die anarchistische Diskussionsgruppe "Keerkring" (Wendekreis) einen Zusammenschluss von alternativen Projekten und Einzelpersonen an, um Wohnen und Arbeiten gemeinsam organisieren zu können. Dieses Projekt litt jedoch jahrelang unter einer starken Fluktuation, mangelnder Transparenz und Verbindlichkeit. Gleichzeitig brachte die “Kraakerbewegung“ (Hausbesetzer) Zulauf von Menschen, die an anderen Lebensformen interessiert waren (vgl. Voß, 20 Jahre, 1999). VAKgroep. Um zu einer größeren Stabilität zu kommen entschloss man sich 10 Jahre später die verbindlichere Struktur der VAKgroep zu schaffen. An der VAKgroep beteiligten sich vor allem Wohngruppen, aber auch selbstverwaltete Betriebe und kulturelle Projekte. Um den heterogenen Bedürfnissen dieser Gruppen gerecht zu werden und zu einer stärkeren Professionalisierung zu gelangen, wurden verschiedene Stiftungen und Vereine gegründet. Die Stiftung "Kollektieve Kas" verwaltete einen Teil der in der VAKgroep erwirtschafteten Gelder (Solidarfonds). Wohngruppen konnten sich bei Kauf und Renovierung von Wohn- und Gewerbegebäuden von der Stiftung "Huis" beraten lassen. Um die immateriellen Interessen der Vereinigung (Informationsarbeit, Bildung) kümmerte sich die Stiftung "Komma". Die Arbeit der Stiftungen basierte hauptsächlich auf ehrenamtlichen Engagement. Neben den oben beschriebenen internen Organisationen gab es noch den "Ana Maria Fonds", der auch Projekte außerhalb der VAKgroep fördern konnte. Diesem Stiftungsfonds wurde Geld von Privatpersonen und Organisationen als Schenkung oder leihweise zur Verfügung gestellt, zur Förderung (Kredit oder Zuschuss) von sozialen Projekten. Der Ana Maria Fonds Projektbeispiele / Solidair kaufte und mietete darüber hinaus auch Wohn- und Betriebsräume für soziale und kulturelle Projekte (ebenda). Gemäss den Prinzipien der Selbstverwaltung hatte die VAKgroep einen nur formalen Vorstand. Die notwendigen Entscheidungen wurden auf der Jahresversammlung von den Delegierten aller Projekte und Wohnvereine getroffen. Hauptaufgabe dieser Jahresversammlung war es, die Entscheidungen der Stiftungen (Huis, Kollektive Kas, Komma) zu bestätigen oder zu widerrufen. Es gab also interessanterweise keine Vertreterorganisation, die in der Lage war, Entscheidungen des täglichen Geschäfts zu treffen. Die VAKgroep ist, trotz ihrer Größe und ihres langjährigen Bestehens, bis vor kurzem relativ unbekannt geblieben. Es wurde bewusst auf Öffentlichkeitsarbeit verzichtet (ebenda). Solidair. In der neuesten Überarbeitung der VAKgroep, jetzt Solidair, wurde die Tendenz der stärkeren Organisation fortgeführt. Dies geschah jedoch nicht, um zu einer größeren Determinierung zu kommen, sondern im Gegenteil: der Individualisierung der Gesellschaft wurde dadurch entsprochen, den einzelnen Projekten eine größere, emanzipativere Gestaltungsfreiheit einzuräumen. Solidair ist ein Verein der Vereine. Um den unterschiedlichen Bedürfnissen der Projekte unter einer gemeinsamen Zielsetzung nachkommen zu können, wurde zwischen der Vereinigung Solidair und den einzelnen Projekten ein Layer, bestehend aus 5 Vereinen und Stiftungen, eingefügt. Dieser erlaubt es den einzelnen Projekten selbst zu bestimmen, auf welche Weise – Förderung, Teilnahme oder Aufbau – Solidarität verstanden werden will. Mit der Respons KG gibt es darüber hinaus jetzt eine Organisation, welche die Kompetenz hat, sich – in Korrespondenz mit Kommission und Vorstandsversammlung - um die täglichen Geschäfte zu kümmern. Die Vereinigung Solidair ist das ideelle Gegenstück zur Respons KG. Sie entwirft in vierjähriger Überarbeitung das Dach, den Leitgedan- Gesellschaft A N A R C H I E alternative Gesellschaftsmodelle (Keerkring) Gesellschaft VAKgroep Gesellschaft Solidair Darst. 64: Transformation Solidair Quelle: eigene Darstellung 135 136 Projektbeispiele / Solidair ken für die Projekte und verwaltet Solidarfonds und Gemeinschaftsinstitutionen. Dieser Leitgedanke ist heute von pragmatischer Solidarität und Nachhaltigkeit geprägt. Dies zeigt sich vor allem in dem völlig undogmatischen Umgang mit Finanzierungssystemen und Geld im Allgemeinen. Die Transformation der VAKgroep zur Solidair wurde auch deswegen vorgenommen, um aus dem Nischendasein eines alternativen Projektes herauszukommen. Solidair ist ein Dachverband, der verschiedenartigste Gruppierungen bündelt, als solcher viel stärker wachsen und in diesem Sinne auch eine stärkere gesellschaftliche Bedeutung entwickeln kann. Transformation. Die Transformation von Solidair zeigt die Entwicklung alternativer Bewegungen in den letzten 30 Jahren. Die Anfänge waren geprägt durch offene, unverbindliche, politische und ideologische Strukturen (z.B. Kommunen). Systemkritik und die Auflehnung gegen Staat und Obrigkeit standen im Vordergrund. Anarchie war oft Selbstzweck, aber auch Ausgangspunkt auf der Suche nach einer besseren Gesellschaft. Da sich Anarchie, Kommune und striktes Konsensprinzip bei zunehmender Größe und Projekterfahrung im Alltag oft als wenig praktikabel erwiesen, kam es über die VAKgroep zu einer stärkeren Strukturierung und Organisation. Solidair setzt diesen Trend fort. Hinzu kommt, dass den Individuen und den einzelnen Projekten eine weit größere Autonomie zugestanden wird – sowohl was ihre Rechte als auch was ihre Pflichten betrifft. Die Vereinigung Solidair hat ihre Ideale keineswegs verloren. Sie ist jedoch pragmatischer, unideologischer und vor allem demokratischer geworden. Ein weiterer wichtiger Punkt ist ihr Außenverhältnis. Die Transformationen von Solidair wurden nicht zuletzt auch deswegen unternommen, um wieder eine größere Integrationskraft und Ausstrahlung auf die Gesamtgesellschaft entwickeln zu können. 3. Akteure. Es gibt heute ca. 60 Arbeits-, Dienstleistungs-, Sozial-, Kultur- und Wohnprojekte mit zahlreichen Mitgliedern und Förderern in 6 verschiedenen Städten. Die Betriebe sind in folgenden Branchen tätig: Architekturbüros, Betriebsberatung, Verlage, Grafiker, Designer, Computer- und Internetdienstleister, Druckereien, Transportfirmen, Bauern, Musiker, Künstler, Ökotechniker, Physiotherapeuten, Ferienhausbesitzer , Kopierläden, Beschäftigungsinitiativen und Beratungsstellen. 1999 gab es zehn verschiedene Wohnprojekte. 4. Gesellschaftsform. Die Gesamtstruktur von Solidair gliedert sich in einen Verein (Solidair e.V.), der sich mit der ideellen Ausarbeitung einer alternativen Ökonomie auseinandersetzt und in eine Geschäftstruktur (Stiftung & Co KG), die sich der tatsächlichen Umsetzung dieser Ideen widmet. Die Kommanditisten der KG und Mitglieder des Vereins sind identisch (Resonans, Commitment, SamSam, AMF Onroerend Goed). Der Komplementär der KG besteht aus Gründen der Haftungsbeschränkung aus einer Stiftung, deren Vorstandsmitglieder von Solidair e.V. gewählt werden. Solidair. Der Verein Solidair bildet ein gemeinsames Dach für die unterschiedlichen Stiftungen, Vereine und Projekte (AMFImmobilien, SamSam, Commitment, Resonanz und Ana Maria Fonds). Die gemeinsame Zielsetzung wird in einer Charta und einem Statut festgehalten und alle 4 Jahre überarbeitet. Neben der Generalversammlung aller Projekte gibt es noch eine Generalversammlung der Vereinsvorstände, die einen Vorstand bilden und die Kreditkommission wählen können. Diese Versammlung entscheidet, im Zusammenarbeit mit der AMF Administration über die Vergabe von Krediten und die Neuaufnahme von Projekten. Unter dem Namen Solidair werden die einzelnen Organisationen nach außen vertreten. Respons CV (KG). Die ökonomische Struktur im engeren Sinne ist die Respons CV. Sie tritt nicht öffentlich in Erscheinung und ist organi- Projektbeispiele / Solidair siert als Kommanditgesellschaft, deren Komplementär (voll haftend, aber durch Rechtsform auf das geringe Stiftungsvermögen beschränkt) der Verein AMF Administration ist und der die Verwaltung übernimmt. Kommanditisten (also mit ihrer Einlage haftend) sind die Vereine Resonans (Projekte mit fast vollständiger ökonomischer Einbindung in die Struktur), Commitment (Projekte mit teilweiser ökonomischer Einbindung) und SamSam (SicherheitsgeberInnen), sowie die Stiftung AMF Immobilien. Respons vergibt Gelder (Darlehen oder Zuschüsse) sowohl an eigene Gruppen (Mitglieder von Resonans, Commitment), als auch an Externe. Auf folgende Kriterien wird bei der Mittelvergabe insbesondere geachtet: Eigenverantwortlichkeit, finanzielle Überlebensfähigkeit, Professionalität, Erfahrung, Maßstäblichkeit, Sicherheiten, Gemeinschaftlichkeit und alternative Thematik sowie Übereinstimmung mit dem „SolidairGedanken“. Die Respons KG behält es sich vor, die Projekte zu überprüfen. Die Entscheidungsfindung über die Kreditvergabe wird von einer Prüfungskommission vorbereitet. Im Gesellschaftervertrag der Kommanditgesellschaft wurde festgehalten, dass die Kreditvergabe nur in Kooperationen mit den Kommanditisten (= Vereinsmitgliedern) getroffen werden kann. AMF Administration (Stiftung). Der Vorstand dieser Stiftung besteht aus 5 Mitgliedern, die von den Vereinen gewählt werden. Die AMF Administration übernimmt die Rolle des Komplementärs – und damit des Vollhafters - innerhalb der Respons KG. Durch diese Konstruktion verringert sich das Haftungsrisiko der einzelnen Vereine auf ihre Kommanditanteile. Die AMF Administration führt die täglichen Geschäfte der Gesamtkonstruktion. Dabei wird sie unterstützt von den Verwaltungsdienstleistern de Verandering und Raamwerk, die als Projekte Mitglied von Solidair sind und das nötige Fachwissen beisteuern. Spenden/Teilnahme/Aufbau. In 25–jähriger Erfahrung haben die Projektmitglieder von Solidair gelernt, dass nicht jeder auf die gleiche Art teilnehmen kann oder will. Diese Erkenntnis basiert auch auf dem Anspruch, dass Solidarität eher aus einer freiwilligen, selbstbestimmten Haltung heraus praktiziert werden soll, als aus einem äußeren Zwang. Die Vereinigung Solidair stellt deswegen ganz unterschiedliche, individuelle Möglichkeiten der Teilnahme zur Verfügung. Grundsätzlich wird unterschieden zwischen den „drei Schritten zu einer solidarischen Ökonomie: der Förderung (contribution), der Teilnahme (participation) und dem Aufbau (building). Innerhalb von Solidair gibt es verschiedene Organisationen, die innerhalb von einem dieser drei Schritte ihr eigenes Gebiet von Aktivitäten haben, und die sich bei der täglichen Arbeit ergänzen (vgl. TAKAÖ, Drei Schritte, 1999). Schritt 1: Förderung. Jede Einzelperson oder Gruppe kann einmalige oder regelmäßige Beiträge leisten (Spenden, Geschenke, Erbschaften) über den Ana Maria Fonds und den Added Value Fonds, der gemeinsam mit der Triodos Bank errichtet wurde. Diese Art der Förderung wird nicht verzinst. Sie ist als Spende zu verstehen. Schritt 2: Teilnahme. Anders verhält es sich bei der Kategorie der Teilnahme. Teilnehmen können sowohl Projekte, als auch Geldanleger. Die Projekte führen einen Teil ihres Gewinns an den Verein Solidair ab. Dafür profitieren sie von den angebotenen Vorzügen und Leistungen (günstige Kredite, Weiterbildung, Vernetzung, Synergien,...). Der aufgewendete Betrag steht zu den bezogenen Leistungen in einem reellen Verhältnis. Die Leute, die über die Vereinigung SamSam ihr Geld bei Solidair anlegen, bekommen für diese sozial orientierte Geldanlage eine Verzinsung von 0-3%. Auch sie nehmen Anteil an einer alternativen Ökonomie. Schritt 3: Aufbau. Der Verein Respons ist ein Zusammenschluss von Betrieben, Initiativen und Einzelpersonen, die noch einen Schritt 137 138 Projektbeispiele / Solidair weitergehen. Sie leisten einen höheren Beitrag und garantieren Leitbild Ana Maria Fonds Geld Geld Respons Projekte Projekte Projekte Solidair Charta Respons KG AMF Verwaltung SamSam Geld AMF-Immo Projekte Projekte Projekte Commitment Projekte Projekte Geld – finanzielle Überwachung Dieser Filter musste eingeführt werden, um den unterschiedlichen Projekten und den unterschiedlichen Bedürfnissen gerecht zu werden Darst. 65: Solidair Aufbau I Quelle: eigene Darstellung Projektbeispiele / Solidair Projektkomission 3 Mitglieder wählt Dissident (Brainpool) Berät Vorstandsversammlung wählt Stiftung AMF- Adminis. (1 Vertr / Verein) Solidair e.V. Vorschlag (Komplementär) Respons KG Generalvers. aller Solidairmitgl. alle 4 Jahre Kommanditisten, Mitspracherecht, Konsultationspflicht Resonans (Verein) Commitment (Verein) SamSam (Verein) Vorstand Vorstand Vorstand entsendet entsendet entsendet Generalversammlung Generalversammlung Generalversammlung (25 Mitglieder) (30 Mitglieder) (60 Mitglieder) AMF OG (Stiftung) AMF AN (Stiftung) Board Board (3-5 Mitglieder) (3-5 Mitglieder) Unterstützer Unterstützer Verein Stiftung & Co KG Darst. 66: Solidair Aufbau II Quelle: eigene Darstellung 139 140 Projektbeispiele / Solidair weitergehen. Sie leisten einen höheren Beitrag und garantieren einen Ausbau, eine Weiterentwicklung der Gesamtstruktur (ebenda). Die Ressourcen, die diese Organisationen zusammenbringen, werden für die solidarische Ökonomie verwendet. Dies geschieht mit Hilfe von finanzieller Unterstützung (Geschenke, Darlehen, Garantien, Zuschüsse usw.), Beratungsleistungen, Lobbyarbeit, Vernetzung, der Vermittlung von Fachkenntnissen, Weiterbildung, Präsentation, Publikation und Imagearbeit. Alle Projekte müssen eine Reihe von Bedingungen erfüllen, um Unterstützung bekommen zu können. Sie müssen lebensfähig sein, soweit wie möglich selbstorganisiert, einen Wert für die Gesellschaft haben und an einer lokalen, solidarischen Ökonomie teilnehmen. Auf diese Art wird ein Modell solidarischer Ökonomie geschaffen, das Stärke und Ressourcen aus sich selbst heraus schafft. Indem das, was über den eigenen Bedarf hinausgeht, für andere nutzbar gemacht wird, und indem andere Initiativen, die Unterstützung erhalten, danach gefragt werden ebenso zu verfahren, entsteht ein sich selbst stärkendes und sich selbst unterstützendes Netzwerk. Resonans. Resonans ist ein Verein von Betrieben, Initiativen, Einrichtungen und Wohnungszusammenschlüssen (August 2002). Ziel ist es einer solidarisch-ökonomischen Struktur Inhalt und Form zu geben. Zu den zur Zeit (August 2002) 25 Projekten zählen Baufirmen, Bioläden, ein Zentrum für Forschung, Schulung und Bildung, Wohnzusammenschlüsse, Biobauern und Künstler. Wenn es um den Einsatz von Mitteln und Möglichkeiten geht liegt der Maßstab bei Resonans wesentlich höher als bei Commitment (Aufbau). Der Beitrag pro Mitglied liegt für Betriebe bei 3 - 10 Prozent des Nettogewinns - je nach Geschäftserfolg. Wohnprojekte zahlen in der Regel neben einem Festbetrag 10 ƒ pro Mitglied pro Monat. Zu den Leistungen von Resonans zählen: - Kooperation, Information, Erfahrungsaustausch und Schulungen - gemeinschaftliche, kostenfreie Bereitstellung von Dienstleistungen (sinnvolle Initiativen + professionelle Dienstleistungen) - Absicherungsfonds (noodfonds) zur Risikominimierung, Krankenversicherung - Unterstützungsfonds um einen Einstieg in den alternativen Sektor zu schaffen (Anfangskapital, Investition) - Darlehenerteilung via Respons KG - gemeinsamer Auftritt, gemeinsame Plattform (vgl. Solidair, Faltblatt, 2000 und Solidair, Homepage, 2002) Commitment. Der Verein Commitment hat im Moment 30 Mitglieder. Die Prinzipien sind mit denen von Resonans vergleichbar. Der Hauptunterschied liegt darin, dass sich Commitment eher als teilnehmende Organisation versteht und nicht so sehr als Aufbauende. Dementsprechend sind die Mitglieds- und Solidarbeiträge geringer (2-5% des Nettogewinns) (ebenda). SamSam. SamSam ist ein Verein von Menschen, die in solidarische Projekte investieren wollen. Dieser Verein hat momentan 60 Mitglieder. Sie bezahlen einen kleinen Mitgliedsbeitrag von 10 ƒ pro Jahr und legen Geld an, welches mit einem Inflationsausgleich von 0,5 – 3% verzinst wird. Die eingezahlten Gelder werden genutzt um geeignete Initiativen, vor allem in der kapitalintensiven Anfangsphase zu unterstützen. Über die Verteilung aller Gelder entscheidet die Respons KG (ebenda). AMF–Immobilien (Onroerend Goed). Die AMF Immobilien ist eine Stiftung die gemeinschaftsgebundene Immobilien besitzt, verwaltet, initiiert und berät. Für die Mitglieder/ Wohngruppen von Respons oder Commitment stellt sie Eigenkapitalbeträge für die Neugründung und Kauf von gemeinnützigen Immobilien zur Verfügung. Immobilieneigentümer können für technische, administrative und soziale Dienstleistungen mit der AMF Verwaltungsverträge abschließen (ebenda). Projektbeispiele / Solidair Ana Maria Fonds. Der Ana Maria Fonds ist eine Stiftung, die sozial innovative und gemeinschaftliche Projekte fördert. Sie tritt ein für eine ökologische, soziale und ethische Ökonomie. Die vom Ana Maria Fonds unterstützten Projekte sind zum größten Teil, aber nicht zwingend, Mitglied bei Solidair. Der Fonds finanziert sich durch Spenden und Legate von Privatpersonen, Institutionen und Betrieben. In Zusammenarbeit mit der Triodos Bank wurde außerdem der Fonds „Toegevoegde Waarde“ (Mehrwert) errichtet worden. Vor allem Betriebe zahlen hier jährlich 1% ihres Nettogewinns ein. Es besteht die Möglichkeit, als Spender bestimmte Projekte direkt zu fördern (vgl. AMF, Homepage, 2002). 5. Finanzierung. Die Vereinigung Solidair finanziert sich auf drei Arten: über die Mitgliedsbeiträge der Vereine Resonans und Commitment und die Einnahmen der Stiftung AMF Onroerend Goed, über Spenden und Legate des Ana Maria Fonds und über die Geldanlagen des Vereins SamSam. Mitgliedsbeiträge. Die Höhe der Mitgliedsbeiträge richtet sich nach der Entscheidung, ob man sich eher als teilnehmendes oder als aufbauendes Mitglied sieht und nach dem Erfolg bzw. den Überschüssen des Unternehmens oder Wohnprojektes. Der Verein Commitment beispielsweise bekommt von Betrieben pauschal ƒ10,pro Mitarbeiter / Monat. sowie 3 – 5 % vom Unternehmensgewinn je nach Einkommen. Die Wohnprojekte zahlen ƒ 300,- pro Jahr und ƒ10,- pro Mitglied / Monat und die Hälfte der selten vorhandenen Überschüsse. Mietzahlungen werden nach Einkommen gestaffelt. 60 % der Einnahmen stehen dem Verein Commitment selbst zur Verfügung, 40 % werden an den Solidarfonds der Respons KG weitergeleitet (vgl. Solidair, Homepage, 2002). Förderung. Wenn ein Projekt in der Gründungsphase oder in einer finanziellen Notlage einen Kredit oder einen Zuschuss benötigt, stellt es einen Antrag bei der Kreditkommission. Diese Kommission besteht aus drei Mitgliedern, die von der Vorstandsversammlung von Solidair bestimmt wurden. Auf folgende Kriterien wird bei der Mittelvergabe geachtet: Eigenverantwortlichkeit, finanzielle Überlebensfähigkeit, Professionalität, Erfahrung, Maßstäblichkeit, evtl. Sicherheiten, Gemeinschaftlichkeit und alternative Thematik und die Übereinstimmung mit dem „Solidair-Gedanken“. Erfüllt das Projekt diese Kriterien kommt es zu einer Empfehlung an die Vorstandsversammlung, die letztendlich über die Vergabe der Kredite entscheidet (vgl. Jonkers, Interview, 2002). Resonans Betriebe fest variabel Einlage Wohnprojekte fest variabel ƒ10,- pro Mitarbeiter/Monat 3 – 10 % vom Unternehmensgewinn je nach Einkommen Einlage über ƒ 5.000,- beim Eintritt ƒ 300,- pro Jahr und ƒ 10,- pro Mitglied/Monat 2/3 der Überschüsse Mietzahlung nach Einkommen gestaffelt Commitment Betriebe fest ƒ10,- pro Mitarbeiter/Monat variabel 3 – 5 % vom Unternehmensgewinn je nach Einkommen Wohnprojekte fest variabel ƒ 300,- pro Jahr und ƒ 10,- pro Mitglied/Monat 1/2 der Überschüsse Mietzahlung nach Einkommen gestaffelt Darst. 67: Finanzierung Resonans Quelle: Solidair, Homepage, 2002 141 142 Projektbeispiele / Solidair 7. Kooperation / Vernetzung. Der Vernetzungsgedanke ist grundlegendes Prinzip für den Verein Solidair. Um die interne Kommunikation zu fördern werden gemeinsame Veranstaltungen und Weiterbildungen angeboten. Es gibt ein internes Branchenbuch der einzelnen Projekte, einen Newsverteiler und eine Mitgliederzeitschrift, die dreimal jährlich erscheint (Solidairnieuws). Außerdem gibt es zahlreiche Kontakte zu anderen Projekten im In- und Ausland. (aarde.nl, antenna.nl/aseed, attac.nl, all.at/emmaus, konfrontatie.nl, nut.nl, stelling.nl/wto, strohalm.nl, xminy.nl, netwerkvlaanderen.be, radicalroutes.org, oekozentrum.de, TAKAÖ, Triodos Bank, etc) (vgl. Solidair, Homepage, 2002). 8. Lessons Learned. Die Vereinigung Solidair hat einen äußerst interessanten Prozess genommen, ein Prozess der keineswegs abgeschlossen, nahezu zur Lebensnotwendigkeit des Projekts geworden ist und der jetzt per Satzung im 4 jährigen Zyklus perpetuiert werden soll. Man muss diesen Prozess in Auseinandersetzung mit dem jeweiligen Zeitkontext sehen. Die soziale Marktwirtschaft der Nachkriegsjahre kann man als umfassendes System verstehen, welches insgesamt alle Lebensbereiche des Menschen berührt und auch bestimmt hat (noch viel stärker der Kommunismus). In den achtziger und neunziger Jahren kam es zu einer zunehmenden Individualisierung und Liberalisierung. Das Leben spannte sich zwischen persönlichem Streben, inidividueller Verwirklichung und sozialer Fürsorge durch den Staat, auf. Ökonomie und Individuum entschwanden zunehmend der Einflussnahme des Staates. Es kam zu einer Trennung der Systeme. Diese Trennung schwächte den Staat in seiner Handlungsfähigkeit und wir sehen jetzt leichte Ansätze einer Bewegung, die aus einer selbstbestimmten, individuellen Haltung heraus, zu einer Aufweitung des Begriffs des nicht-staatlichen führen bzw. der Ökonomie führen. Ökonomie kann nun nicht mehr nur Ausdruck des persönlichen Gewinnstrebens sein, sondern muss sich wieder an der Ursprungsdefinition des Begriffs orientieren, die das ganze Haus meint, also im sozialen und ökologischen Sinne unsere Umwelt mit einschließt (Nachhaltigkeit). Die Vereinigung Solidair hat, wie ich im vorangegangenen Kapitel erläutert habe, auf diese Transformationen reagiert und konnte deswegen überleben. Solidair steht heute für eine Aufweitung des ökonomischen Begriffs, der sich wieder auf alle Lebensbereiche beziehen soll. Da der Staat einem solchen Projekt keine Nischen mehr garantieren kann, muss es wachsen und sich vernetzen. Da es wachsen und überleben will, muss es sich öffnen, muss es integrieren und eine Vielzahl von Möglichkeiten der Teilnahme bieten. Solidair bietet keine systemische Alternative zu Marktwirtschaft und Demokratie, sondern vermittelt mehr einen besonderen Lebensstil, eine besondere Auslegung dieser beiden Faktoren. Wer sich für Solidair entscheidet, entscheidet sich für bestimmte Nachbarschaften, bestimmte Freundeskreise, bestimmte soziale Kontakte, bestimmte Arbeitskollegen, bestimmte Gesprächsthemen, bestimmte Tätigkeiten und für eine bestimmte Lebenshaltung. Das Kriterium der Lebensqualität spielt dabei eine mindestens genauso große - vielleicht sogar größere - Rolle, wie der Wunsch nach einer gesamtgesellschaftlichen Verbesserung. Wenn man die interne Organisation von Solidair näher betrachtet, erkennt man, dass sich dahinter „normale demokratische“ Strukturen verbergen – mit regelmäßigen Wahlen, parlamentarischen Vertretungen, Rechten und Pflichten, Sicherheiten und Verantwortlichkeiten. Gemäß der Theorie, dass Solidair immer auf Defizite der Gesellschaft reagiert hat, scheint es schlecht bestellt zu sein, um die Mitbestimmungsund Gestaltungsmöglichkeiten unserer Demokratie. Und in der Tat – der entscheidende Unterschied liegt nicht in der politischen Struk- Projektbeispiele / Solidair tur, sondern einzig im Stellenwert der Ökonomie zum politischen System. Während man generell zunehmend von einer Trennung dieser beiden Systeme ausgehen kann und die Politik zunehmend an Einfluss auf die Ökonomie verliert, sind bei Solidair Ökonomie und Individuum Bestandteil eines integralen Systems. In diesem Sinne macht es natürlich auch keinen Sinn, sich an dieser Stelle ausschließlich mit den Wohnungsprojekten zu befassen. Es kommt mehr auf den Hintergrund an, vor dem bei Solidair Wohnen, Arbeiten und Leben verstanden wird. In welche Richtung wird sich Solidair nun weiterentwickeln? In dem von Solidair verfassten Text „Drei Schritte zu einer solidarischen Ökonomie“ wird u.a. auf die „global eco-player“ body shop, fair trade und Ben & Jerries verwiesen. Vom „Keerkring“ zu „Body Shop“ also – eine rasante Entwicklung. TAKAÖ (Hg.) (1999): [Drei Schritte] zu einer solidarischen Ökonomie, deutsche Übersetzung, 02/02, www.leibi.de/takaoe/90_ 10.htm, 09.Sept.2002 Solidair (Hg.) (1999): [Charta] der Vereinigung Solidair, 07/02, www.leibi.de/takaoe/90_11.htm, 17.Juli.2002 Voß, Elisabeth (1999): VAKgroep: [20 Jahre] Selbstverwaltung in Utrecht in: TAK AÖ-Rundbrief, Nr. 89, Dezember 1999, 07/02, www.leibi.de/takaoe/89_02.htm, 09.Sept.2002 Solidair (Hg.) (2000): Für eine solidarische Ökonomie [Faltblatt], Utrecht, Solidair Solidair (Hg.) 06.Mai.2002 (2002): Homepage, Jonkers, Andre (2002): [Interview] 01.Juli.2002 und 9.Sept.2002 03/02, Solidair, www.solidair.nl, pers. E-Mail, AMF (Hg.) (2002): Homepage, 09/02, www.amf.nl, 10.Sept.02 Tel. Verein solidair Lauwrecht 55 3515 GN Utrecht, Niederlande 0031 30 272 1660 / Fax 0031 30 272 1532 info@solidair.nl / www. solidair.nl 143 144 Projektbeispiele / Projektauswertung 5.2 Projektauswertung Bei der Projektauswertung möchte ich die im 2. Kapitel entwickelten Kriterien den Projekten gegenüberstellen und mittels eines Ratings überprüfen inwieweit diese den gestellten Anforderungen entsprechen. 5.2.1 Initiative (Ausgangspunkt) Der erste Kriterienkomplex bezieht sich auf die Frage der Initiative, des Ausgangspunktes der Projekte. staatliche Unabhängigkeit. Im ersten Kapitel habe ich den Sozialstaatsabbau beschrieben und darauf hingewiesen, dass sich der Staat eine flächendeckende Versorgung mit sozialen Wohnraum nicht mehr erlauben kann. Dementsprechend stellt sich in Darstellung 1 die Frage einer weitest gehenden staatlichen Unabhängigkeit der Projekte. Besonders hoch ist diese bei den Projekten die traditionell aus einer anti-staatlichen Haltung heraus gegründet wurden (Syndikat und Solidair) und vor allem bei der historischen 1892, die einen sozial intervenierenden Staat überhaupt noch nicht kannte. Aber auch die anderen Projekten leben von einer relativ hohen staatlichen Unabhängigkeit, indem sie besonders viel Eigenkapital, Selbsthilfe, solidarische Transfermittel und sozial oder ökologisch orientiertes Fremdkapital aktivieren. Lediglich zwei Projekte sind etwas niedriger zu bewerten. Die Wogebe muss sich mit außerordentlichen sozialen Problemen im Quartier auseinandersetzen und Bedarf deswegen einen größeren staatlichen Unterstützung. Die Bremer Höhe muss konkurrenzfähig sein auf einem äußerst entspannten Wohnungsmarkt. Reflex oder Reflexion. Darstellung 2 und 3 erläutern die von Beck suggerierte Frage, ob die Projektgründung eher aus einem Reflex bzw. aus einem besonderen lokalen Defizit heraus entstanden ist oder aus einer Idee, einem kollektiven Bedürfnis bzw. einer kriti- schen Haltung heraus (Reflektion). Die Reflektion wird dabei insgesamt höher bewertet als der Reflex. Selbst wenn ein besonderes lokales Defizit vorliegt wie bei der Wogebe in Trier, entstehen Lösungsstrategien in Deutschland kaum aus einem reinen Reflex der Betroffenen heraus, sondern immer auch mittels der Reflexion Außenstehender oder „sich betroffen oder zuständig Fühlender“. Letztendlich darf man nicht vergessen, dass wir - trotz allem - in einem Wohlfahrtsstaat und nicht in einem Dritte-Welt-Land leben. In Bezug auf den Reflex wird die 1892 deswegen wieder besonders hoch bewertet, weil die Rahmenbedingungen damals noch anders waren. Die anderen Projekte reagieren natürlich auch auf Problemkontexte. In München und in Zürich sind diese in den hohen Mieten, in Berlin und Freiburg in der drohenden Verdrängung zu finden. Insgesamt überwiegt bei den untersuchten Projekten jedoch der ideelle Ansatz, welche besonders bei stark ausgeprägt ist beim Kraftwerk (Zürich), beim Freiburger Syndikat und bei Solidair in Holland. Bei diesen Projekten stellt sich dementsprechend auch nicht mehr nur die Frage der reinen Versorgung, sondern vor allem auch die Frage nach der Art des Wohnens, Lebens und Arbeitens. Bottom Up oder Top Down. Wie bereits erwähnt, werden Defizitstrategien in der Gründungsphase meistens von Außenstehenden begleitet. An dieser Stelle stellt sich die Frage, welche Projekte von einem Top Down Ansatz abhängen und welche im wesentlichen von den Nutzern oder Betroffenen selbst entwickelt werden. Top Down meint an dieser Stelle nicht ausschließlich mittels einer staatlichen Initiative wie bei der Wogebe. Damit ist auch der Ansatz der Stadtwerk KG gemeint - der im wesentlichen auf der Initiative des Komplementärs beruht. Als klassische Bottom-Up-Strategien können das Mietshäuser Syndikat und Solidair aus Utrecht, aber auch die PWG-Stiftung bezeichnet werden, welche mittels eines Bürgervotums entstanden ist. Projektbeispiele / Projektauswertung staatliche Unabhängigkeit 12 10 8 6 4 2 0 Kraftwerk Bremerhöhe Wogeno 1892 alt Quelle: eigene Darstellung ai r So lid ai r So lid Sy nd ik at W og eb e al t 18 92 er k tw So lid tw 18 92 Darst. 68: Projektauswertung I Kr af 0 M ie te rf o nd s St ad tw er k 2 0 ai r 4 2 Sy nd ik at W og eb e 6 4 al t 8 6 W og en o 10 8 er k 12 10 PW G 12 Kr af Solidair Reflexion PW G Reflex al t Sy nd ik at W og eb e er k tw So lid 18 92 tw Kr af Kr af 0 M ie te rf o nd s St ad tw er k 2 0 ai r 4 2 al t Sy nd ik at W og eb e 6 4 W og en o 8 6 er k 10 8 PW G 12 10 M ie te rf o nd s St ad tw er k 12 M ie te rf o nd s St ad tw er k Wogebe Top Down PW G Bottom Up Syndikat 18 92 PWG W og en o Stadtwerk W og en o Mieterfonds 145 146 Projektbeispiele / Projektauswertung Dieses Beispiel zeigt auch sehr gut, dass sich die soeben vorgenommene Kategorisierung nur auf die Gründungsphase bezieht. Als laufendes Projekt würde die PWG-Stiftung, bestehend aus der Stiftung und zahlreichen unabhängigen Wohnprojekten, ein ausgeglichenes Rating zwischen Top Down und Bottom Up erhalten genauso wie das Syndikat und die Wogeno. Genau darin liegt schließlich die Stärke dieser Projekte. 5.2.2 Teilnahme Der zweite Kriterienkatalog widmet sich den unterschiedlichen Formen der Teilnahmen an den Projekten. Demokratie und Selbstverwaltung. Mit diesen Punkten beziehe ich mich auf die Mitbestimmungsmöglichkeiten der Nutzer bzw. der Förderer ist eine eines Projekts. Mit der Ausnahme der Stadtwerk KG, sind diese grundsätzlich sehr hoch einzuschätzen. In den Genossenschaftsstrukturen Stellvertreterdemokratie zwingend vorgeschrieben. Die GmbH- und die Vereinssatzungen von Syndikat und Solidair erlauben noch direktere demokratische Teilnahmemöglichkeiten der einzelnen Bewohner bzw. Nutzer (Selbstverwaltung). Projektautonomie. Die meisten Organisationen sind unterteilt in eine Dach- oder Sekundärstruktur und eine Vielzahl von Projekten. Ziel dieser Trennung ist es, der Gesamtstruktur einerseits eine hohe Dauerhaftigkeit zu verleihen. Andererseits sollen die Projekte, von Grundentscheidungen abgesehen, eine sehr hohe Unabhängigkeit und Autonomie haben. Perfekt durchgeführt ist diese Trennung bei der PWG-Stiftung, dem Syndikat und Solidair. Die Genossenschaften sind zu einer solchen Trennung nur bedingt in der Lage. Die Wogeno Zürich sieht zwar eine deutliche Trennung der Verwaltungs- und Bewirtschaftungsaufgaben als Möglichkeit vor. Diese müssen jedoch von der Genossenschaft insgesamt gewährt werden und können jederzeit wieder aufgehoben werden. Ähnliches gilt für die Wohn- gruppen innerhalb des Kraftwerks, die einzelnen „Aufgänge“ der Bremer Höhe und die Häuservertretungen der Wogebe. Eigenkapital und Selbsthilfe. Diese beiden Finanzierungsformen spielen bei den meisten Projekten eine entscheidende Rolle. Der Eigenkapitalanteil ist besonders hoch beim Mieterfonds, dem Kraftwerk, der 1892 und der Wogeno. Beim Mieterfonds ist lässt sich dies durch die angestrebte Eigentumsbildung, bei den anderen Projekten durch die teuren Baulagen und die Neubautätigkeiten erklären. Selbsthilfe spielt vor allem innerhalb des Syndikats, Solidairs und der Wogebe eine entscheidende Rolle. Auch die PWG Stiftung fördert derartige Projekte. Fremdkapital. Beim Fremdkapital schlägt die große Stunde der KGs (Stadtwerk KG und Mieterfonds). Insbesondere das Prinzip der Stadtwerk KG basiert im wesentlichen auf der Sammlung von Fremdkapital für eine ökologische und soziale Stadterneuerung unter Berücksichtigung der steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten. Auch das Syndikat aktiviert mittels Direktkrediten beträchtliche Summen zur Projektfinanzierung. Die Wogeno verzinst von Nichtbewohnern und von Bewohnern zusätzlich gezeichnete Anteilsscheine mit bis zu 4 %. Die 1892 wurde durch Stiftungen und eine genossenschaftsinterne Spareinrichtung unterstützt. Ein Stiftungsfonds und diverse Sparanlagen versorgen Solidair mit Fremdkapital. Kraftwerk, PWG-Stiftung, Solidair und Mietshäuser Syndikat profitieren zudem von einem internen Solidarfonds. er k og eb e Projektautonomie 12 12 10 10 8 8 6 6 4 4 2 2 0 0 Darst. 69: Projektauswertung II Quelle: eigene Darstellung ai r ai r So lid Lovemoney So lid 0 Sy nd ik at W og eb e 2 0 Sy nd ik at W og eb e 4 2 al t 6 4 18 92 6 al t 8 18 92 Selbsthilfe W og en o 10 er k 12 tw er k So lid ai r al t Sy nd ik at W og eb e 18 92 W og en o tw 0 PW G 2 0 Kr af 4 2 PW G 6 4 Kr af M ie te rf o nd s St ad tw er k So lid ai r og eb e Demokratie W og en o ai r M ie te rf o nd s St ad tw er k So lid W al t Sy nd ik at 18 92 og en o er k 8 6 er k al t Sy nd ik at W og eb e 18 92 W ftw PW G 10 8 tw er k Kr a M ie te rf o nd s St ad tw er k 12 10 Kr af tw W og en o Kr af PW G M ie te rf o nd s St ad tw er k 12 PW G M ie te rf o nd s St ad tw er k So lid ai r W Sy nd ik at al t og en o ftw PW G 18 92 W Kr a M ie te rf o nd s St ad tw er k Projektbeispiele / Projektauswertung Selbstverwaltung Eigenkapital 12 10 8 147 148 Projektbeispiele / Projektauswertung 5.2.3 Inhalte Die Projekte setzen inhaltlich verschiedene Schwerpunkte. Einige konzentrieren sich auf die Schaffung von kostengünstigen Wohnraum. Andere fokussieren auf die Themen Kollektivität, Ökologie oder Subpolitik. sozialer Wohnraum und Kollektivität. Das Kriterium des sozial verträglichen, kostengünstigen Wohnraums trifft auf alle Projekte zu. Anders verhält es sich beim Kriterium der Kollektivität und der Gemeinschaftlichkeit. Bei den ideell motivierten Projekten von Solidair, Syndikat , Wogeno und Kraftwerk ist dieses höher einzuschätzen, als bei den defizitorientierten Projekten der Bremer Höhe und der Wogebe. Beim Mieterfonds und bei der Stadtwerk KG spielt es keine Rolle. Ökologie. Anstatt auf die Kollektivität konzentriert sich die Stadtwerk KG stärker auf das Thema Ökologie. Nicht umsonst wird dieses Projekt von der Umweltbank unterstützt. In den anderen Projekten ist die Ökologie unterschiedlich vertreten. In der historischen 1892 hat sie kaum eine Rolle gespielt. In der PWG – Stiftung, der Bremer Höhe , der Wogeno, dem Syndikat, Solidair und der Wogebe ist das Thema zwar sehr stark vertreten, kann aber nicht unbedingt als primäre Zielsetzung betrachtet werden. Am stärksten vertreten ist die Ökologie wahrscheinlich im Kraftwerk, welches einen eigenen Ökofonds unterhält. Subpolitik. Als politisch kann man vor allem drei Projekte bezeichnen: Erstens das Utrechter Projekt Solidair, welches so weit geht, eine andere, alternative Ökonomie andenken und praktizieren lassen zu wollen; zweitens das Syndikat, welches noch heute von seinem stark politisierten, aus der Hausbesetzerzeit und der AntiAtomkraftbewegung stammenden, Hintergrund lebt; und drittens die Wogeno, die aus einer wohnpolitischen Initiative hervorgegangen ist und sich aktiv in die Münchner Wohnungspolitik einschaltet. Das Kraftwerk 1 hat durch seine Realisierung einiges an politischer Sprengkraft verloren, ist aber in dieser Beziehung immer noch als sehr aktiv einzuschätzen. Weniger bis gar nicht subpolitisch sind der Mieterfonds, die Stadtwerk KG, die Bremer Höhe und die Wogebe. Das ändert natürlich nichts an der Tatsache, dass sie für die jeweilige Stadtpolitik eine teils sehr hohe Bedeutung erlangt haben. er k og eb e 2 0 0 Darst. 70: Projektauswertung III Quelle: eigene Darstellung So lid ai r 4 2 og eb e 6 4 W 8 6 Sy nd ik at 10 8 al t 10 18 92 Ökologie og en o og eb e So lid ai r W al t Sy nd ik at og en o 18 92 W Kollektivität W 0 er k 2 0 ftw 4 2 er k 6 4 PW G 8 6 Kr a M ie te rf o nd s St ad tw er k 10 8 ftw og eb e So lid ai r W al t Sy nd ik at 12 10 PW G er k og en o ftw PW G 18 92 W Kr a M ie te rf o nd s St ad tw er k 12 Kr a 12 M ie te rf o nd s St ad tw er k So lid ai r W Sy nd ik at al t og en o ftw PW G 18 92 W Kr a M ie te rf o nd s St ad tw er k Projektbeispiele / Projektauswertung sozialer Wohnraum Subpolitik 12 149 150 Projektbeispiele / Projektauswertung 5.2.4 Projektion / Dauerhaftigkeit Am Schluss möchte ich ein paar Kriterien ansprechen, die an die Frage anknüpfen, warum ich mich überhaupt mit diesen relativ kleinen Projekten beschäftige. Die von mir vorgestellten Projekte kann man als Demokratieexperimente im Kleinen bezeichnen. Sie sind, auch im Gegensatz zu vorhandenen gesellschaftlichen Strömungen, Träger kollektiver Bedürfnisse und nachhaltiger Strategien und kompensieren damit für ein Vakuum, welches durch den Rückzug des Nationalstaates geschaffen wurde. Im Sinne Castells sind sie Resistence Identities und es stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob sie auch eine darüber hinausgehende Projektionskraft besitzen bzw. überhaupt besitzen wollen. Ausstrahlung und Vernetzung. Diese Ausstrahlung / Projektionskraft haben vor allem die Projekte, die einen über das Wohnen hinausgehenden, integrativen Ansatz haben. An erster Stelle sei hier das Utrechter Projekt Solidair genannt, welches auch im benachbarten Ausland einen relativ hohen Bekanntheitsgrad erreicht hat und welches man als Synonym für eine andere, alternative Ökonomie bezeichnen kann. Das Mietshäuser Syndikat hat vor allem einen deutlichen Einfluss auf die Stadt Freiburg genommen. Durch die Entscheidung mittelfristig auch Syndikate in anderen Städten zu gründen und durch eine erste Ausdehnung Richtung Frankfurt und Tübingen, soll dieser Einfluss ausgebaut werden. Die Wogebe in Trier gilt seit ca. 10 Jahren als Musterbeispiel der Gemeinwesenökonomie und ist dementsprechend erforscht und publiziert worden. Interessanterweise erreichen, über die Notwendigkeit Fremdkapitalgeber zu locken, auch relativ unkomplexe Projekte wie die Stadtwerk KG (vor allem der Freiburger Solarfonds – Kap.4.1.2) einen hohen Bekanntheitsgrad. Besonders hervorheben möchte ich noch einmal den Einfluss der 1892 auf die damalige Wohnreformbewegung. Die Liste der Persön- lichkeiten, die mit dieser Genossenschaft verbunden werden können (Mebes, Taut, etc.) macht deutlich, dass gesellschaftliche Fragen zur damaligen Zeit einen weit größeren Stellenwert hatten. Das Internet gibt den einzelnen Projekten die Möglichkeit aktiv miteinander in Kommunikation zu treten und sich zu vernetzen. Nur Bremer Höhe und Wogebe haben bisher keine Internetpräsentation. Freiburger Mietshäuser Syndikat und Solidair geben sogar regelmäßig Mitgliederzeitschriften heraus. Fast alle Projekte sind darüber hinaus Mitglied in zahlreichen Verbänden und Organisationen. Dauerhaftigkeit. Ein letzter Punkt, der in meiner Untersuchung eine starke Rolle gespielt hat, ist die Frage der Dauerhaftigkeit dieser Projekte. Eine Frage, die ich in Bezug auf das Oppenheimer´sche Transformationsgesetz, auf revolvierende Fonds und das Thema der dauerhaften Spekulationsfreiheit in den vorrangegangen Untersuchungen erläutert habe und die auch eine wichtige Rolle in Bezug auf eventuelle Förderschwerpunkte spielen könnte. Diese Dauerhaftigkeit ist vor allem dann gegeben, wenn es eine klare gesellschaftsrechtliche Trennung zwischen einer Unternehmensorganisation (quasi-autonomes Projekt) und einer Verwaltungsorganisation (Dach- oder Sekundärorganisation) gibt, welche die ideelle Integrität und die dauerhafte Spekulationsfreiheit garantieren, sowie einen Solidarfonds verwalten kann. Diese Bedingungen sind vor allem bei der PWG – Stiftung, der in Kapitel 4.1.5 erläuterten Lawaetz-Stiftung in Verbindung mit einer Mietergenossenschaft, beim Mietshäuser Syndikat und bei Solidair gegeben. Die Genossenschaften erfüllen diese Bedingungen nicht. Sie können sich jederzeit auflösen oder beispielsweise in eine AG umwandeln. Dies passiert allerdings nicht besonders häufig, da es nicht dem Sinn einer Genossenschaft entspricht. Projektbeispiele / Projektauswertung Dauerhaftigkeit 12 10 8 6 4 2 Bremerhöhe Wogeno 1892 alt Solidair Darst. 71: Projektauswertung IV Quelle: eigene Darstellung ai r k G PW af tw er Kr St ad tw M ie te r So lid 18 92 af tw er Kr PW fo nd s 0 ai r 2 0 al t Sy nd ik at W og eb e 4 2 W og en o 6 4 k 8 6 G 10 8 er k 12 10 fo nd s 12 St ad tw M ie te r Wogebe Vernetzung er k Ausstrahlung Syndikat So lid Kraftwerk al t Sy nd ik at W og eb e PWG 18 92 Stadtwerk W og en o 0 Mieterfonds 151 152 Projektbeispiele / Projektauswertung Projekt Mieterfonds Gesellschaftsform GmbH & CO KG Stadtwerk KG KG Kraftwerk 1892 WOGENO Bremer Höhe Genossenschaft Genossenschaft Genossenschaft Genossenschaft (Schweiz) (traditionelle) (Dach) (Ausgründung) PWG Stiftung Syndikat WOGEBE GmbH + Hausver- Genossenschaft ein (Quartier) Solidair KG + Vereine Ausgangspunkt Idee Idee Idee Idee Idee Ort / Problem Idee Idee Ort / Problem Idee Trennung Träger - nein nein nein nein jein nein ja ja nein ja kaum nein ja ja ja ja ja besonders ja besonders Berlin, Wedding Projekte demokratische Mitbestimmung Berlin Zürich Berlin München Berlin Schweiz Freiburg Trier Utrecht Träger 1 1 1 1 1 1 1 1 1 Projekte 1 1 1 4 1 66 11 1 60 50 300 6000 88 200 519 105 540 100 5 150 0 4 0 90 20 0 50 sozial, sozial sozial sozial sozial sozial spekulationsfrei sozial sozial ökologisch ökologisch kollektiv kollektiv kollektiv kollektiv sozial Lage Wohnungen Arbeiten Zielsetzung sozial ökologisch kollektiv kollektiv Kontext sozialer soziale Neubau Kerngebiete Gesamtmünchen Verdrängung (Gebiet) Brennpunkt Stadterneuerung Hafengebiet Wohngebiete sehr hohe Mieten niedrige Mieten hohe Mieten Randlagen schlechte Bau- hohe Mieten substanz Nutzung Wohnen Wohnen Wohnen Wohnen Wohnen Wohnen hohe Mieten Wohnen Verdrängung sozialer hohe Mieten Brennpunkt Wohnen Wohnen Wohnen Arbeiten Arbeiten Arbeiten Kultur Kultur Finanzierung 0 8,5 10 20,4 0,7 0,17 3,3 0,2 8,5 0 0 0 0 0 3,3 0 Eigenleistung 0 0 0 0 0 12,5 14,3 12,5 LoveMoney 1 39 8,2 18 16,2 0 0 48,4 12,6 15 0 33,4 0 0 3,4 0 64 62 0 2,1 15 15,7 17 0 0 0 19,6 72,3 1,8 22,7 3,8 0 30 77,5 0 9,8 0 0 10 0 0 0 0 Eigenkap (Bew) Eigenkap (Träger) Förd.Darl.alt.Bank Darl. Bank Förd. Zuschuss Förd. Darl. Staat Stiftung Darst. 72: Zusammenfassung Projekte Quelle: eigene Darstellung hohe Mieten Fazit 6 Fazit Die Tendenzen der Globalisierung und der Individualisierung muss man als Prozess betrachten. Sie haben Beide ihre berechtigten Ursprünge und sie produzieren beide Gegenbewegungen, die zu notwendigen Korrekturen führen können. Die Globalisierung zwingt uns, die ganze Welt zu sehen. Sie entlarvt den Sozialstaat als ein Konstrukt, welches besonders gut unter Ausschluss zahlreicher Länder funktioniert hat. Die Globalisierung hat Reichtum, Bildung und Gesundheit transferiert. Von diesem Transfer haben viele vorher marginalisierte Länder profitiert. Gleichwohl hat die Globalisierung in gewisser Weise noch überhaupt nicht stattgefunden. Sie beschränkt sich momentan fast ausschließlich auf Einrichtungen des Kapitals und der Ökonomie, die noch nicht einmal demokratisch organisiert sind. Sie verteilt den Reichtum nicht und führt zu einer immensen Polarisierung und Segregation. Darüber müssen wir uns nicht beschweren, denn auch Deutschland gehört zu den Ländern, die von dieser Einseitigkeit eher profitieren und dementsprechend notwendige Korrekturen vermeiden. Der letzte Wahlkampf war nicht von globalen Perspektiven bestimmt, sondern von dem immensen Wunsch, gewonnene Privilegien zu bewahren und schon gar nicht für ein mehr an globaler Demokratie und sozialer Gerechtigkeit aufzugeben. Soziale Gerechtigkeit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit - fürwahr abstrakte Werte, wenn man sich diese nie selbst erobern musste (in Deutschland sind sie wohl vom Himmel gefallen). Es bleibt zu befürchten, dass diese erst dann wieder nachdrücklich eingefordert werden, wenn der Leidensdruck sehr hoch geworden ist, wenn zu viele der Unsicherheiten der dritten Welt in unsere erste Welt eingezogen sind. Aber auch dann ist, aus einer neuerfahrenen und gelebten Haltung heraus, aus einer Mischung aus Reflex und Reflektion, der Wille zu einer politischen Globalisierung noch möglich. Ähnlich verhält es sich mit der Individualisierung. Das Zeitalter der Utopien ging vorüber und hinterließ in den Individuen den Wunsch, sich wieder stärker um ihre eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Vor dem Hintergrund sozialer Sicherheit experimentierte es sich leicht mit der Loslösung von überkommenen Institutionen und Konventionen. Ein notwendiger Prozess, musste man sich doch auf die Suche nach neuen Identitäten begeben und entdeckte man doch, dass die Triebfeder individueller Bedürfnisse stärker zu sein schien, als die gemeinschaftlicher, zumal gescheiterter Utopien. Aber auch hier zeichnet sich eine andere Erkenntnis am Horizont ab, welche Individuen die Kälte, Unsicherheit und Einsamkeit ihrer derzeitigen Existenz spüren lässt und zu neuen Formen der Kollektivität tragen kann und trägt. Die von mir ausgesuchten Projekte entsprechen der Tendenz, sich aus einem individuellen Bedürfnis für neue Formen der Kollektivität zu entscheiden aus einem Reflex heraus, um vor den Unsicherheiten der Individualisierung zu fliehen, aber auch aus einer Reflexion heraus, indem man sich bewusst gegen einen von Belanglosigkeit, Konsum und Geld geprägten und für einen anderen, alternativen Lebenskontext entscheidet (Lifestyleentscheidung). Gleichwohl halte ich diese Projekte insbesondere dann für besonders erfolgreich, wenn sie zwar im täglichen Geschäft den Bedürfnis nach individueller Autonomie und spontaner, selbstgewählter Kollektivität folgen, auf Dauer sich jedoch gleich einem Grundgesetz einer kollektiven und demokratischen Zielsetzung verschreiben und indem es Institutionen gibt, die über die Einhaltung des Erreichten wachen. Am Ende des letzten Projektes habe ich schon einmal darauf hingewiesen, dass hier nichts ungewöhnliches und revoluti- 153 154 Fazit onäres eingefordert wird. Hier zeichnet sich lediglich das Bedürfnis ab, wieder Teil einer demokratischen Ordnung zu werden, die zwischen Kollektivität und Autonomie vermitteln kann. Einer Ordnung der sich auch die Ökonomie unterordnen soll und damit wieder zu einer gesellschaftsschaffenden, identitäts- und wertestiftenden Kraft werden kann. In diesem Sinne können die Elemente des Staates, des Individuums und des Marktes auch wieder als Bestandteil desselben Systems, desselben Hauses verstanden werden - denn, wie gesagt: Ökonomie kommt von „oikos“ und meint das ganze Haus. 6.1 Gesellschaftsrecht Die bisherige Untersuchung hat gezeigt, dass es bereits jetzt eine Vielzahl von Möglichkeiten gibt, die Zielsetzung einer ökonomischen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeit innerhalb der vorhandenen Gesellschaftsformen durchzusetzen. Dies gilt sowohl für „Unternehmen mit sozialer Zielsetzung“ wie für Genossenschaften. Trotzdem möchte ich an dieser Stelle ein paar wichtige Verbesserungsvorschläge machen, die sich vor allem auf das Genossenschaftsrecht beziehen. 6.1.1 Genossenschaften Der Genossenschaftsgedanke basiert auf dem Prinzip der Selbsthilfe, der Selbstverwaltung und der Mitgliederförderung. Für diese Prinzipien gab es in den Zeiten des Sozialstaates nur wenig Verwendung. Selbsthilfe und Mitgliederförderung wurden durch die staatliche Fürsorge ersetzt. Die Prinzipien der Selbstverwaltung und der demokratischen Teilhabe erschienen angesichts der erreichten Größe und des abnehmenden Beteiligungsinteresses (Individualisierung) eher als Belastung. Die großen Genossenschaften wurden immer mehr zu gewöhnlichen Wirtschaftsunternehmen, die in Konkurrenz zu anderen sozialen Wohnungsträgern standen und gegenüber diesen benachteiligt waren. Um dieser Benachteiligung entgegenzuwirken, wurde das Genossenschaftsgesetz wiederholt modifiziert. Das Management, die Rechnungslegung, die Finanzierung und die steuerliche Behandlung gleichen heute in wesentlichen Teilen den Aktiengesellschaften. Kooperationsgesellschaften. Axel Bialek beschreibt diese Unternehmen als „Post-Genossenschaften“ und schlägt vor, ihnen eine neue Gesellschaftsform zu geben – die Kooperationsgesellschaft. Diese unterscheidet sich von der Aktiengesellschaft durch den in der Satzung festgeschriebenen sozialen Auftrag, die vom Kapitaleinsatz unabhängige Stimmrechtsverteilung und durch eine stärkere demokratische Kontrolle bzw. Teilnahme der Mitglieder. Gleichzeitig verbessert sie gegenüber der Genossenschaft die Möglichkeit der Fremdkapitalaufnahme, indem sie als Ergänzung zu den klassischen Nutzermitgliedern die Investorenmitglieder einführt und eine professionelle Unternehmensführung vorsieht. Diese Lösung hätte den Vorteil, dass sich Genossenschaften, die sich gegen die Rechtsform einer Kooperationsgesellschaft entscheiden, wieder ihrem unverwechselbaren Profil annähern könnten, welches durch die Eingangs genannten Kriterien definiert ist (Selbstverwaltung, Mitgliederförderung, Selbsthilfe) (vgl. Bialek, Perspektiven, 1995, S.287-289). kleine Genossenschaften. Sollte es zu einer solchen Trennung nicht kommen, müssen auf jeden Fall die Rahmenbedingungen für die Neugründung kleiner Genossenschaften verbessert werden. Der Verein zur Förderung des Genossenschaftsgedankens schlägt folgende Änderungen vor: 1. Es sollte die Bildung neuer Prüfungsverbände, insbesondere für kleine Genossenschaften, unterstützt werden. Die bestehenden Prüfungsverbände könnten die Kosten einer Gründungsprüfung – Fazit im Sinne einer Akquisitionsleistung – deutlich günstiger gestalten. Bei kleinen Genossenschaften könnte z.B. durch eine Neugestaltung der Prüfungsgebühren der Aufwand in den ersten 10 Jahren – im Sinne einer Umlage – durch die Altgenossenschaften unterstützt werden. 2. Zur Rechtsklarstellung sollten die in den letzten Jahren entstandene Dienstleistungsgenossenschaften in den Katalog der „Arten der eingetragenen Genossenschaften“ aufgenommen werden. 3. Die Mindestzahl der Mitglieder einer Genossenschaft sollten auf drei gesenkt werden. Auf diese Weise soll die genossenschaftliche Rechtsform auch für kleine produktivgenossenschaftlich organisierte Unternehmen leichter zugänglich gemacht werden. 4. Kleine Genossenschaften sind durch eine aktive Einbindung der Mitglieder in die Entscheidungen des Vorstandes gekennzeichnet. Daher sollte für diese die Existenz eines nunmehr überflüssigen Aufsichtsrates nicht obligatorisch sein. 5. Der Prüfungsaufwand kann gerade für kleine Genossenschaften gemindert werden, wenn die Pflicht zur jährlichen Prüfung nicht Höchstgrenzen kann dabei gewährleistet werden, dass das genossenschaftliche Wesen nicht gefährdet wird. Relevanz für die untersuchten Projekte. Die von mir untersuchten Genossenschaften würden durch die oben genannten Änderungen deutlich profitieren. Die Wogeno müsste beispielsweise nur einen kleinen Teil der momentan fälligen Prüfungsgebühren bezahlen. Zudem könnte sie, wie das Mietshäuser Syndikat, stärker auf das Geld von Fremdkapitalanlegern zurückgreifen und dadurch die Finanzierung auf eine wesentlich breitere Kapitalbasis stellen. europäische Genossenschaft. In Europa gibt es teilweise erhebliche Unterschiede in den gesetzlichen Bestimmungen. Zur Erleichterung grenzübergreifender und transnationaler Tätigkeiten wurde das Statut einer „Europäischen Genossenschaft“ erarbeitet, welches momentan diskutiert wird. Diesem Statut für transnationale Genossenschaften sollen sich auf Dauer auch die Bestimmungen der einzelnen Länder anpassen. Viele der oben besprochenen Themen kommen darin vor. schon bei 2 Mio. DM einsetzt, sondern erst bei 2 Mio. € (vgl. BzFdG, 6.1.2 Unternehmen mit sozialer Zielsetzung Vorschläge, 2002). Genossenschaften besitzen nicht die Eigenschaft, einen über die Mitgliederförderung hinausgehenden sozialen Auftrag erfüllen zu können. Um die Frage der Förderungswürdigkeit und der Gemeinnützigkeit deutlicher klären zu können, böte sich die Möglichkeit an, für diese Art der Unternehmen eine eigene Gesellschaftsform zu schaffen. Hans H. Münkner experimentiert in seinem Buch „Unternehmen mit sozialer Zielsetzung“ mit einer Vielzahl von Alternativen – Arbeiterproduktivgenossenschaften, selbstverwaltete Gruppenunternehmen, Vereine und Kooperationsgesellschaften (vgl. Münkner, Unternehmen, 2000, S. 115f). Auf diese Vorschläge kann ich an dieser Stelle nicht detaillierter eingehen. Ich möchte allerdings darauf hinweisen, dass sich das völlig veraltete Gemeinnützigkeitsrecht im Fremdkapitalbeschaffung. Da es wohl in absehbarer Zeit kaum zur Einführung der von Bialek vorgeschlagenen Kooperationsgesellschaft kommen wird, ist die Verbesserung der Fremdkapitalaufnahme der Genossenschaften eine ernst zu nehmende Frage. In acht europäischen Ländern mit Genossenschaftsgesetzen neueren Datums (Frankreich, Italien, Spanien, etc.) sind Investitionen von Nichtmitgliedern gestattet. Teilweise werden in diesen Ländern auch begrenzte Mehrstimmrechte zugelassen (vgl. EG-Kommission, Europa, 2001, S.21). Eine Liberalisierung des Genossenschaftsrechts sollte in diesen Punkten zugelassen werden, um ihnen zu einer größeren Wettbewerbsfähigkeit zu verhelfen. Durch Mindest- und 155 156 Fazit Moment in längst überfälliger Überarbeitung befindet. Dieses hat bisher darüber entschieden, ob ein Unternehmen eine soziale Zielsetzung verfolgt oder nicht. gen an bestimmte Kriterien der Nachhaltigkeit geknüpft werden. Ebenso müsste das Eigenheimzulagegesetz regionalisiert werden, um den vorhandenen Widersprüchlichkeiten begegnen zu können (vgl. Wohnbund, Stellungnahme, 2002). 6.2 Wohnungsbauförderung Eine meiner Ausgangsthesen ist, dass die Gestaltungsmacht des Nationalstaates rapide abgenommen hat und weiter abnehmen wird. Die noch verbleibenden Förderungen müssen deswegen streng dem Prinzip des Enablement, der Hilfe zur Selbsthilfe, der Subsidiarität folgen und sich viel mehr an den Qualitäten einer sozialen und ökologischen Nachhaltigkeit orientieren. Dies bedeutet auch, dass sie stärker verknüpft werden müssen mit ergänzenden Programmen der Arbeitsförderung, der Sozialfürsorge, der Weiterbildung, der Kultur, der Umwelt und der Quartiersgestaltung. 6.2.1 Dezentralisierung und Qualitätsbindung In Kapitel 4.1 habe ich darauf hingewiesen, dass über die Abschreibungsmöglichkeiten und über das Eigenheimzulagegesetz zu viel Geld in Subventionen fließt, die nicht an bestimmte Qualitäten gebunden sind, sich teilweise widersprechen und politisch kontraproduktiv wirken. Die Dezentralisierung des Wohnraumförderungsgesetzes vom Sommer 2001 sollte hier als Vorbild genommen werden und dementsprechend über eine Neugewichtung der Programme nachgedacht werden. Dies ist insbesondere auch deswegen erforderlich, weil Deutschland mittlerweile in drei völlig unterschiedliche Regionstypen zerfällt: Wachstumsregionen (München), Stagnationsregionen (Ruhrgebiet) und Schrumpfungsregionen (Ostdeutschland). Auf die Bedürfnisse dieser unterschiedlichen Regionstypen muss qualitativ differenziert reagiert werden können. Der Wohnbund schlägt eine Umstellung der degressiven Abschreibung auf eine Investitionszulage vor. Dadurch könnten Förderun- Durch Dezentralisierungen und Qualitätsbindungen könnten ökologisch und sozial ambitionierte Projekte wie die Wogeno, die Stadtwerk KG oder den Freiburger Solarfonds besser unterstützt und damit für eine größere Verbreitung dieser Ideen gesorgt werden. 6.2.2 soziale Wohnraumförderung und soziale Stadt Der Wohnbund fordert auch eine Wiederaufstockung des Programms der sozialen Wohnraumförderung und eine inhaltliche Verknüpfung mit dem Programm der sozialen Stadt. Ein integratives Vorgehen sei an dieser Stelle notwendig, um die Tendenzen der Segregation und der Polarisierung in unseren Städten aufhalten zu können. Diese Konzepte müssten in ein gesamtstädtisches Konzept eingebunden werden (vgl. Wohnbund, Herausforderungen, 2002). Insbesondere die Wogebe in Trier kann man als Vorläufermodell einer solchen integrativen Entwicklung sehen. Sie hätte zu ihrer Zeit enorm von einer entsprechenden Infrastruktur und zielgerichteten Förderung profitieren können. Gleichzeitig wird an dieser Stelle signalisiert, dass Genossenschaften nur bedingt die Aufgabe des sozialen Wohnungsbaus übernehmen können. Allgemeine Mietbindungen sind in Genossenschaften beispielsweise nicht zu realisieren, da sie einen zu hohen Eingriff in die Autonomie der Genossenschaft bedeuten würden und auch nicht im Interesse der Genossenschaftsmitglieder insgesamt liegen. Überhaupt ist der Begriff der Miete irreführend in Bezug auf Genossenschaften, da die jeweiligen Mitglieder Eigentümer des Objektes sind. Fazit 6.2.3 Genossenschaftsförderung Genossenschaften vermitteln zwischen den Stärken und Schwächen von Eigentum und Miete. Insbesondere in Zeiten, in denen der Staat an Handlungsspielraum verliert, sind sie in der Lage, durch die Aktivierung von Eigenkapital, Selbsthilfe und Fremdkapital, eine sozial gemäßigte Wohnraumversorgung zu ermöglichen. Dabei entsprechen sie auf ideale Weise den im zweiten Kapitel formulierten Anforderungen nach einer Neupositionierung zwischen sozial und liberal, zwischen Eigenverantwortung und Kollektivität. Die nun folgenden Verbesserungsvorschläge der Genossenschaftsförderung, versuchen im wesentlichen eine Gleichstellung zu den Förderungen von Miete und Eigentum zu erreichen. Darüber hinaus stellt sich die Frage, nach der Schaffung eines genossenschaftsinternen Solidar- und Förderungsmodells. Genossenschaftszulage. Grundsätzlich sollten Genossenschaftseigentum und Einzeleigentum gleichgestellt und in gleicher Höhe gefördert werden. Im Gegensatz zur bestehenden Eigentumsorientierung sollte diese Förderung jedoch nur Genossenschaften gewährt werden, die sich einer stiftungsähnlichen, gemeinschaftlichen und generationsübergreifenden Sicherung des Vermögensbestandes verpflichtet haben. Der BzFdG sieht sowohl für das Eigentum wie für die Genossenschaft eine Zulage von 3-4% über einen Zeitraum von 8 Jahren vor. Die Kinderzulage sollte aus familienpolitischen Gründen beibehalten werden. Um die in Kapitel 4.2.3 beschriebenen Steuersparmodelle zu verhindern, sollte diese nur für tatsächliche Wohnungsnutzer gewährt werden. Die Genossenschaftsanteile müssen zwischen 10.000 und 80.000 DM liegen. Bewilligt wird die Förderung ausschließlich für den Neubau und den Bestandserwerb (vgl. BzFdG, Förderung, 2000, S.27). Investitionsfonds. Aus der oben beschriebenen Zulage lassen sich nur schlecht neue Genossenschaften realisieren. Sie stellt kaum mehr als eine Gleichbehandlung bzw. verminderte Diskriminierung gegenüber anderen Wohn- und Investitionsmodellen sicher. Hinzu kommt, dass der Solidar- und der Selbsthilfegedanke in dieser Förderungsform nicht verankert ist und die Genossenschaften dadurch langfristig auf staatliche Hilfen angewiesen bleiben. Der BzFdG hat deswegen die Idee des Schweizer Fonds de Roulement aufgenommen und schlägt die Errichtung eines genossenschaftlichen, revolvierenden Investitionsfonds vor. Der Fonds sollte auf den Prinzipien der deutschen Wohnreform- und Genossenschaftsbewegung aufbauen und sich an der Finanzierung neuer Projekte durch die Übernahme von Genossenschaftsanteilen und durch die Bereitstellung zinsgünstiger Darlehen beteiligen. Diese Hilfen könnten bevorzugt verwendet werden für Projekte, die sich für eine soziale und ökologische Nachhaltigkeit ausgesprochen haben. Der Investitionsfonds hat außerdem die Aufgabe einen solidarischen Verbund unter den Genossenschaften aufzubauen und über steuerliche Anreize hinaus Privatkapital zu mobilisieren. Dazu sollten Anleger dem Investitionsfonds Geld in Form von Genossenschaftsanteilen zur Verfügung stellen. Eine Anlageform, welche ebenfalls von der Genossenschaftszulage (ohne Kindergeld) profitieren könnte (3%). Die Fondsgenossenschaft soll eine Selbsthilfeeinrichtung sein, die sich nach genossenschaftlichen Grundsätzen selbst verwaltet. Die Mitgliedschaft für neue und bestehende Wohnungsgenossenschaften ist freiwillig. Der Fonds ist also kein Organ der staatlichen Wohnungspolitik (vgl. ebenda, S.19ff). Alternativ zu der Form einer Sekundärgenossenschaft könnte man auch eine Stiftung als Gesellschaftsform wählen, wie sie in Deutschland bereits in Form der Lawaetz- und der Trias-Stiftung existiert. Diese Stiftung könnte auch in anderen Bundesländern und Städten als neuer Akteur einer nachhaltigen Wohnungspolitik auftreten. Eine 157 158 Fazit Grundkapitalausstattung solch einer Stiftung durch den hätte den Vorteil einer hohen Dauerhaftigkeit des Stiftungszwecks und einer konjunkturellen Unabhängigkeit. Durch die Trennung von Besitzund Verwaltungsstrukturen, die ich innerhalb dieser Diplomarbeit bereits mehrfach beschrieben habe, ließe sich auch die Dauerhaftigkeit eines Solidarmodells in einer Stiftungssatzung festschreiben. Prüfungsverband für kleine Genossenschaften. Die Gebühren der bestehenden Prüfverbände sind für kleine, neugegründete Genossenschaften nicht tragbar. Hinzu kommt, dass sie mit den speziellen Problemen dieser Genossenschaften nicht vertraut sind. Die Gründung eigener Prüfungsverbände sollte deswegen politisch unterstützt werden. Diese sollten im Rahmen des Genossenschaftsgesetzes finanzielle Zuwendungen bekommen, die es ihnen ermöglichen, preiswerte Beratungen sowie preiswerte Erst- und Folgeprüfungen anzubieten. Bürgschaften und Solidarfonds. Außerdem ist zu überlegen, ob man als Ergänzung zum Investitionsfonds nicht – wie in der Schweiz – ein Bürgschaftsinstitut und eine Solidarstiftung einrichten sollte. Durch das Bürgschaftsinstitut könnten Landes- und Bundesbürgschaften vermittelt und damit die Bonität von Genossenschaftsneugründungen verbessern werden. Die Stiftung könnte zinslose Darlehen an Menschen vergeben, die es sich momentan nicht leisten können, einen Genossenschaftsanteil zu zeichnen. 6.3 Entwürfe Die vorliegende Diplomarbeit ist Bestandteil des Urban Projects. Dies ist eine Plattform für den fachübergreifenden und interdisziplinären Austausch von Studenten unterschiedlichster Fachrichtungen. Ziel dabei ist es, im Studium Projekte zu entwickeln, die ökologische und soziale Aspekte einbeziehen, technisch und ökonomisch realisierbar sind und sich mit dem Thema Stadt und Gesellschaft befassen. Das Urban Project folgt dem Leitgedanken einer nachhaltigen Stadtentwicklung. Es ist ein offenes Netzwerk von Studenten im Hauptstudium, Diplomanden, Doktoranden und Absolventen, die selbständig oder in kleinen Gruppen an inhaltlich verwandten Themen arbeiten und sich gegenseitig austauschen oder bei speziellen Fragen zur Seite stehen. Durch diese Vernetzung unterschiedlicher Fachkenntnisse entsteht die Möglichkeit, neue Ideen und Konzepte zu entwickeln und durchzuarbeiten. Momentan besteht dieses Netzwerk aus Energie- und Umwelttechnikern, Architekten, Städtebauern, Stadt- und Regionalplanern, Landschaftsplanern und Sozialwissenschaftlern (vgl. urban-project, Homepage, 2002). Ich habe während des Diploms im wesentlichen mit drei anderen Diplomarbeiten kooperiert und versucht, meine Erkenntnisse eines alternativen Projektmanagements in diese Projekte einfließen zu lassen. Diese Kooperationen möchte ich kurz beschreiben. Sie erweitern das untersuchte Spektrum noch einmal, indem sich die vorliegenden Strategien teilweise auch auf Freiflächen und temporär genutzte Flächen beziehen. Strategien, die ursprünglich Bestandteil der Diplomarbeit waren (RAW-Temple, Dostoprimetschateljnosti, Dietzenburg, Haus des Lehrers), im Zuge einer stärkeren Fokussierung allerdings nicht mehr berücksichtigt werden konnten. Verbindende Elemente dieser Strategien bleiben die unterschiedlichen Formen der Teilnahme, die Erweiterung der Verfügbarkeit und die nachhaltige Orientierung. weitere Projekte - Literaturliste Bürgerstadt AG Die Bürgerstadt versucht mittels einer Aktiengesellschaft, privates Kapital in die Stadtentwicklung zu lenken. Ihre Gründungsväter kommen zum großen Teil aus dem „Planwerk Innenstadt“. www.buergerstadt.de DS-Fonds Der DS-Fonds ist eine Stiftungsinitiative, die gegründet wurde, um in Berlin gemeinschaftliche und nachhaltige Projekte in Stadt und Land zu realisieren (in Planung). www.landprojekt.de Eigentum 2000 eG Genossenschaftsausgründung in Berliner Plattenbau (Marzahn) Falkenried-Terrassen Mietergenossenschaft in Hamburg, Pachtvertrag mit der Lawaetz-Stiftung Findhorn Foundation Die Findhorn Foundation ist das vielleicht bedeutendste spirituell orientierte Gemeinschaftsprojekt unserer Zeit. Sie wurde 1962 gegründet und umfasst heute 450 Bewohner. 14.000 Tagesbesucher besuchen die Foundation jährlich. www.findhorn.org www.ecovillagefindhorn.com Freiburger Solarfonds Der Solarfonds ist ein ökologischer Immobilienfonds, der Kapital sammelt für die Errichtung von „Plusenergiehäusern“ in Freiburg. www.freiburgersolarfonds.de Horizont eG Genossenschaftsausgründung in Berliner Plattenbau (Marzahn) Inhabitat eG Die Inhabitat ist eine „Genossenschaft für Immobilienbesitz“, welche auf die Förderung des Eigenheimzulagegesetzes zugeschnitten wurde (Besitzer von Anteilsscheinen müssen nicht Mieter der Genossenschaft sein). Kommune Niederkaufungen Die Kommune Niederkaufungen wurde 1986 gegründet. Im Jahr 2000 wohnten darin etwa 53 Erwachsene und 17 Kinder. Darüber hinaus sind 12 Betriebe in der Kommune angesiedelt. Entscheidungen werden im Konsens getroffen. Privateigentum gibt es nicht. www.kommune-niederkaufungen.de/ Lawaetz-Stiftung Hamburger Stiftung zur Förderung wohnungspolitischer und städtebaulicher Eingriffe Lebensgarten Steyerberg Gegründet 1985, leben heute 140 Menschen im Lebensgarten Steyerberg, davon 50 Kinder. Angegliedert sind mehrere Betriebe. Die Siedlung besteht aus 44 Arbeiterreihenhäusern der dreißiger Jahre und einem Seminarhaus. Die Finanzierung erfolgt individuell. Neues Wohnen eG Genossenschaftsausgründung in Berliner Plattenbau (Hellerdorf) Nordlicht eG Genossenschaftsausgründung in Berliner Plattenbau (Marzahn) A A Literaturliste - weitere Projekte Ökodorf Sieben Linden Genossenschaftliches Siedlungsmodell bei Poppau. www.oekodorf7linden.de PAG (Projektwerkstatt auf Gegenseitigkeit) 2001 gegründete Stiftung für dissidente Subsistenz. Beratung und Finanzierung von solidarischen, gleichberechtigten und eigenverantwortlichen Wohn-, Lebens- und Arbeitsprojekten. Berlin. www.gegenseitig.de Schanze eG Dies ist eine Hamburger Dachgenossenschaft aus der Hausbesetzerszene mit 15 Wohnprojekten, von denen 11 selbstverwaltet sind. Sargfabrik 1/2 Die Sargfabrik ist ein Neubau-Gemeinschaftsprojekt in Wien, welches man als soziales und architektonisches Experiment bezeichnen könnte. www.sargfabrik.at Selbstnutzer Selbstnutzer.de ist ein Initiative der Stadt Leipzig, privates Kapital für die Sanierung von innerstädtischen Altbauten zu aktivieren (WEG). Stiftung Synanon Die Stiftung Synanon versucht, süchtigen Menschen wieder eine Perspektive zu bieten. Sie unterhält mehrere Häuser in Berlin und Brandenburg, in denen ca. 320 Menschen leben und arbeiten können. Stiftung Trias Neugegründete Stiftung zur Erstellung von ökologischem und sozialem Wohnraum www.stiftung-trias.de Stötteritzer Margerite Die Stötteritzer Margerite ist eine Stadtteilgenossenschaft aus Leipzig, die vor allem in der Wohnumfeldverbesserung tätig ist (Vorläufer Quartiersmanagement). Studentendorf Schlachtensee Aus Protest gegen den geplanten Abriss des Studentendorfes gründete sich eine Arbeitsgemeinschaft, die zum Ziel hatte, die 12 Mio. DM teure Anlage mittels eines Immobilienfonds oder mit Hilfe eines Investors selbst zu übernehmen und zu verwalten. www.studentendorf.de Susi GmbH Studentenwohnungen in Selbstverwaltung. Freiburger Projekt im Zusammenhang mit dem Mietshäuser Syndikat. www.susi-projekt.de Wohnreform eG Hamburger Dachgenossenschaft in der Gründungsphase Wagnis eG Eigentumsorientierte Neubaugenossenschaft in München. www.wagnis.org Wohnreform 2000. Hamburger Dachgenossenschaft in der Gründungsphase Literaturliste AKS (Hg.) 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Investitionen USA 25 Darst. 30 revolvierender Fonds I 69 Darst. 10 Privatstiftungen 26 Darst. 31 revolvierender Fond II 69 Darst. 11 lokale Ökonomie 29 Darst. 32 Schuldenstand 70 Darst. 12 Die andere Ökonomie 32 Darst. 33 Subventionen 70 Darst. 13 Nachhaltige Unternehmen 33 Darst. 34 Förderung Bund 71 Darst. 14 Zusammenfassung Strategien 34 Darst. 35 Eigenheimzulage 73 Darst. 15 Staat - Kollektiv – Individuum 36 Darst. 36 Städtebauhilfen des Bundes 77 Darst. 16 :Planung und Umsetzung 37 Darst. 37 Wohnungsbauförderung Berlin I 79 Darst. 17 Kollektivität – Autonomie 38 Darst. 38 Wohnungsbauförderung Berlin I I 79 Darst. 18 Matrix Projekte 38 Darst. 39 Bruttokaltmiete – Haushaltseinkommen 80 Darst. 19 Gesellschaftskonstruktion und Auswertung (GbR) 42 Darst. 40 Wohnungsmiete - Lebenshaltung 80 Darst. 20 Gesellschaftskonstruktion und Auswertung (KG) 43 Darst. 41 Stadtwerk KG Gesellschaftsform 84 Darst. 42 Stadtwerk KG Finanzierung 85 Darst. 21 Gesellschaftskonstruktion und Auswertung (GmbH) 44 Darst. 43 Mieterfonds Grundprinzip 87 Darst. 44 Mieterfonds Aufbau 88 Darst. 22 Gesellschaftskonstruktion und Auswertung (AG) 46 Darst. 45 Mieterfonds Verlauf 88 Darst.1 Aufbau Diplomarbeit 3 Darst. 2 Bildung, Gesundheit, Lebenserwartung (global) 5 Darst. 3 Einkommen (global) 6 Darst. 4 End of Politics Darst. 5 A Darstellungen Darst. 46 Kraftwerk 1 Finanzierung 93 Darst. 70 Projektauswertung II 147 Darst. 47 Kraftwerk 1 Rechtsform 93 Darst. 71 Projektauswertung III 149 Darst. 48 SWE – Verband (Schweiz) 95 Darst. 72 Projektauswertung IV 151 Darst. 49 BSBV, Bristolstraße 100 Darst. 73 Zusammenfassung Projekte 152 Darst. 50 Anlagemöglichkeiten 1892 (aktuell) 102 Darst. 51 Genossen 103 Darst. 52 Basisprinzip Wogeno 105 Darst. 53 Finanzierung Wogeno 106 Darst. 54 Wogeno Projektbeispiel Johan-Fichte-Straße 108 Darst. 55 Finanzierung „Bremer Höhe“ 111 Darst. 56 Mietshäuser Syndikat, Gesellschaftsform I 119 Darst. 57 Mietshäuser Syndikat Gesellschaftsform II 120 Darst. 58 Mietshäuser Syndikat Finanzierung 122 Darst. 59 MS Finanzierungsbeispiel 122 Darst. 60 Mietshäuser Syndikat Projekte 125 Darst. 61 ISA - Konzept 128 Darst. 62 Bestand Wogebe 2001 129 Darst. 63 Wogebe Finanzierung 131 Darst. 64 Wogebe Trier 133 Darst. 65 Transformation Solidair 135 Darst. 66 Solidair Aufbau I 138 Darst. 67 Solidair Aufbau II 139 Darst. 68 Finanzierung Resonans 141 Darst. 69 Projektauswertung I 145 Der zeitgenössische Kontext wird durch die Globalisierung, die Liberalisierung und den Sozialstaatsabbau geprägt. Vor diesem Hintergrund orientieren sich städtebauliche Strategien und Projekte zunehmend an einer emanzipierteren, selbstbestimmteren Gesellschaft. Die Begriffe kommen vorwiegend aus dem angelsächsischen Raum, in dem der Staat traditionell keine große Rolle gespielt hat (Informelle Strukturen, Kollektivität, Verbraucheraktivismus, Subpolitik, Dritter Weg, Enablement, etc.). In der vorliegenden Arbeit werden diese Ansätze mit Hilfe einer Analyse bestehender Beispielprojekte (vorwiegend aus dem Wohnungsbau) auf ihre Realisierbarkeit überprüft. Der Arbeit zu Grunde liegt ein Architekturverständnis, welches den Architekten eher als Initiator, Kultivator, Gestalter von Prozessen sieht und ihn nicht auf die Aufgabe der Raumbildung und Ästhetisierung reduziert. Projekte: Stadtwerk KG. Die Stadtwerk KG ist ein geschlossener Immobilienfonds, der in der sozialen und ökologischen Stadterneuerung tätig ist. Mieterfonds. Der Mieterfonds bietet Schwellenhaushalten mittels eines Immobilienfonds die Möglichkeit, sukzessive Eigentum zu erwerben. Kraftwerk 1. Das Kraftwerk ist ein Neubau-Genossenschaft aus der Schweiz mit ca. 500 Bewohnern. Die Schweiz bietet einmalige Bedingungen für die Neugründung von Genossenschaften. Genossenschaft von 1892. Diese Genossenschaft ist eine der großen Bestandsgenossenschaften Berlins. Insbesondere die Entstehungsgeschichte erlaubt einige interessante Rückschlüsse auf die heutige Situation. Wogeno. Die Wogeno ist eine Dachgenossenschaft, welche die Vorteile einer großen Bestandsgenossenschaft (Kapitalausstattung, professionelle Verwaltung) mit denen einer neugegründeten, identitätsorientierten Genossenschaft verbindet. Bremer Höhe. Diese Berliner Genossenschaft ist im Zuge der Privatisierung öffentlichen Wohnungsbestandes entstanden. Sie bietet eine mieternahe Alternative zur Umwandlung in Eigentumswohnungen. Stiftung PWG. Die Stiftung PWG ist eine gemeinnützige, öffentliche Stiftung der Stadt Zürich. Sie bezweckt, preisgünstigen Wohn- und Gewerberaum zu erhalten und zu schaffen. Syndikat GmbH. Das Mietshäuser Syndikat ist ähnlich wie die Wogeno eine Dachorganisation selbstverwalteter Wohn-, Arbeits- und Kulturprojekte. Wogebe. Die Wohnungsgenossenschaft am Beutelweg ist eine Stadtteilgenossenschaft, die in einem sozialen Brennpunkt tätig ist und wohnungspolitische, soziale, arbeitsmarktpolitische und kulturelle Strategien miteinander verknüpft. Solidair. Solidair ist eine Dachorganisation von ca. 50 unterschiedlichen Projekten, die sich einer alternativen, nachhaltigen Ökonomie verschrieben haben.