Übungsklausur: Das Diskriminierungsverbot
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Übungsklausur: Das Diskriminierungsverbot
Institut für Öffentliches Recht Universität Augsburg Sommersemester 2014 Fallbesprechungen zum Grundkurs Öffentliches Recht III (Grundrechte) Übungsklausur: Das Diskriminierungsverbot (Lösung) Hinweis für die Korrektoren: Die vorliegende Klausur sollten Bearbeiter, die über solide Grundlagenkenntnisse verfügen und mit einem Sachverhalt arbeiten können gut bewältigen. Mehr als bei manch anderer Klausur kommt es hier auf ein genaues Hinsehen und Arbeiten und eine gute Argumentation sowie einen sauberen und stringenten Aufbau an. Das Ergebnis ist bei dieser Klausur völlig offen. Das gleiche gilt weitestgehend für den Weg zum Ergebnis, da je nach materiellrechtlicher Beurteilung des Falles viele Lösungswege möglich sind. Die Korrektur verlangt Ihnen daher, was Aufbaufragen angeht, ein wenig mehr ab als sonst. Um Ihnen dabei zu helfen den Überblick zu bewahren, sind die entscheidenden Weichenstellungen in den grauen Kästen vorgezeichnet. Obersatz: Die Verfassungsbeschwerde des Sixtus hat Aussicht auf Erfolg, wenn sie zulässig und begründet ist. A. Zulässigkeit I. Zuständigkeit des BVerfG unter Berücksichtigung der Solange-Rechtsprechung, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8a, 90 ff. BVerfGG Gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, §§ 13 Nr. 8 a, 90 ff. BVerfGG entscheidet das BVerfG über Verfassungsbeschwerden, die von jedermann mit der Behauptung erhoben werden können, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein. Das BVerfG wäre für die Verfassungsbeschwerde des Sixtus daher grundsätzlich zuständig. Etwas anderes könnte sich allenfalls aus der sog. Solange-Rechtsprechung des BVerfG ergeben. Danach macht das BVerfG von seiner Zuständigkeit keinen Gebrauch, wenn der zu überprüfende Rechtsakt ein solcher der Europäischen Union ist, weil und solange die EU, insbesondere durch die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes, einen wirksamen, dem des Grundgesetzes im Wesentlichen 1 gleichzuachtenden Grundrechtsschutz generell gewährleistet . Vorliegend steht mit einer Regelung des BGB ein nationales Gesetz zur Prüfung, sodass das BVerfG auch im Hinblick auf die Solange-Rechtsprechung zuständig wäre. Zwar kann ein nationaler Hoheitsakt auch unter die Solange-Rechtsprechung fallen. Dies würde aber voraussetzen, dass den nationalen Stellen bei der Umsetzung von Rechtsakten der EU keinerlei "Ermessensspielraum" zukommt. Haben die nationalen Stellen dagegen einen Ermessensspielraum, kann die Ausübung dieses Ermessens vom BVerfG voll überprüft werden. Gemessen an diesem Maßstab ist das BVerfG für die Überprüfung des § 311d BGB zuständig. Soweit § 311d BGB eine Benachteiligung wegen des Alters regelt, fehlt es bereits an einer europarechtlichen Vorgabe. Im Hinblick auf Nationalität und Geschlecht ist zwar ein Ziel durch die Richtlinie vorgegeben. Weitere Vorgaben macht die Richtlinie jedoch nicht. Bei der Auswahl der Mittel stand dem deutschen Gesetzgeber daher ein weiter Ermessensspielraum zu. § 311d BGB ist daher eindeutig eine Regelung, die dem nationalen Gesetzgeber zuzurechnen ist. Er ist daher am Maßstab der Grundrechte des GG zu überprüfen. Dafür ist das BVerfG das zuständige Gericht. Hinweis für die Korrektoren: Es ist auch möglich die Solange-Rechtsprechung beim Prüfungspunkt Beschwerdegegenstand anzusprechen. Auch eine Behandlung der Thematik an anderer Stelle der Zulässigkeit ist kein Fehler. II. Beschwerdeberechtigung, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG Gemäß Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG kann eine Verfassungsbeschwerde grundsätzlich 1 BVerfGE 73, 339 (387) – Solange II. 1 Institut für Öffentliches Recht Universität Augsburg Sommersemester 2014 von jedermann erhoben werden. „Jedermann“ ist, wer potentiell Träger der von ihm gerügten Grundrechte 2 sein kann ; dies ist bei lebenden natürlichen Personen grundsätzlich immer der Fall. Sixtus ist als natürliche Person daher beschwerdeberechtigt. III. Beschwerdegegenstand, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG Nach Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG kommt als Beschwerdegegenstand jeder Akt öffentlicher Gewalt in Betracht, also auch sämtliche Gesetze der deutschen Legislative. IV. Beschwerdebefugnis, Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG, § 90 Abs. 1 BVerfGG Beschwerdebefugt ist gemäß § 90 Abs. 1 BVerfGG, wer behaupten kann, durch die öffentliche Gewalt in einem seiner Grundrechte oder grundrechtsgleichen Rechte verletzt zu sein. 1. Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung Zunächst ist erforderlich, dass die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung gegeben, d.h. nicht offensichtlich ausgeschlossen ist; dies muss „substantiiert“ dargelegt werden. Es erscheint zumindest nicht ausgeschlossen, dass § 311d BGB Sixtus in seinen Grundrechten aus Art. 12 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG verletzt. 2. Beschwer Weiterhin müsste Sixtus selbst, gegenwärtig und unmittelbar betroffen sein: Da Sixtus die Autos selbst vermietet und das Gesetz am 02.05.2014 in Kraft getreten ist, ist er selbst und gegenwärtig betroffen. Fraglich ist jedoch, ob er auch unmittelbar betroffen ist. Unmittelbar betroffen ist ein Grundrechtsträger, wenn es keiner weiteren Vollzugsakte mehr bedarf. Bislang hat § 311 d BGB keine negativen Auswirkungen auf Sixtus gehabt. Er musste noch mit keinem ihm ungewollten Kunden einen Vertrag schließen. Schon gar nicht wurde er von einem Gericht gem. § 311d BGB zu Schadensersatz oder einer Entschädigung in Geld verurteilt. Grundsätzlich müssten diese Vollzugsakte aber abgewartet werden, wollte man von einer unmittelbaren Betroffenheit sprechen. Problematisch erscheint jedoch, ob es Sixtus zuzumuten ist, durch einen Verstoß gegen § 311d Satz 1 BGB ein Zivilurteil gegen sich zu provozieren. Für den Bereich des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts wird es allgemein als unzumutbar abgelehnt, eine Sanktion zu provozieren. Das BVerfG war im Sommer 2005 in einer – soweit ersichtlich bislang unveröffentlichten – Kammerentscheidung der Ansicht, eine Übertragung dieser Maßstäbe auf den Bereich des Zivilrechts sei nicht angebracht, weil es bei der Verurteilung zu Schadensersatz am Unwerturteil einer Verurteilung wegen einer Straftat bzw. Ordnungswidrigkeit fehle. Das überzeugt nicht. Sowohl die Verurteilung zu Schadensersatz als auch eine darüber hinausgehende Entschädigung in Geld würden Sixtus empfindlich treffen, finanziell u.U. mehr als ein Ordnungsgeld, vielleicht sogar härter als eine Geldstrafe. Darüber hinaus kann man sich fragen, ob in der möglichen Verurteilung zu immateriellem Schadensersatz (§ 311d S. 3 BGB) nicht auch ein Unwerturteil steckt. Zudem müssen die Betroffenen bereits jetzt Dispositionen treffen, um sich auf die neue Gesetzeslage einstellen zu können. Ausnahmsweise ist daher trotz fehlender Verurteilungen von einer unmittelbaren Betroffenheit des Sixtus auszugehen. Sixtus ist also beschwerdebefugt (a.A. natürlich vertretbar). V. Rechtswegerschöpfung, § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG i.V.m. Art. 94 Abs. 2 S. 2 GG Nach § 90 Abs. 2 S. 1 BVerfGG i.V.m. Art. 94 Abs. 2 S. 2 GG kann eine Verfassungsbeschwerde erst nach Erschöpfung des Rechtswegs erhoben werden. Rechtswegerschöpfung gem. § 90 II 1 BVerfGG i. V. m. Art. 2 Pieroth/Schlink, Grundrechte, 29. Aufl., Rn. 121 ff., 1228 2 Institut für Öffentliches Recht Universität Augsburg Sommersemester 2014 94 II 2 GG bedeutet, dass der Beschwerdeführer alle prozessualen Möglichkeiten zur Beseitigung der behaupteten Grundrechtsverletzung in Anspruch genommen haben muss. Gegen förmliche Bundesgesetze wie § 311 d BGB steht kein ordentlicher Rechtsweg offen. Er kann daher auch nicht vorab erschöpft werden. VI. Subsidiarität Nach der Rspr. des BVerfG ist die Verfassungsbeschwerde gemäß dem Grundsatz der Subsidiarität nur zulässig, wenn die Grundrechtsverletzung (abgesehen von der Ausschöpfung des Rechtsweges) durch die Gerichte oder andere Organe auf keine andere Weise beseitigt werden konnte oder hätte beseitigt werden können. Andere Möglichkeiten der Grundrechtswahrung (inzidente konkrete Normenkontrolle [Art. 100 GG] etc.), wären zwar in einem Zivilprozess möglich, einen solchen abzuwarten ist Sixtus allerdings nicht zuzumuten (s.o.). VII. Form und Frist, §§ 23 Abs. 1, 92; 93 Abs. 3 BVerfGG Laut Sachverhalt war der Antrag formgerecht i.S.d. §§ 23 Abs. 1 S. 2, 92 BVerfGG. Auch die Frist des § 93 Abs. 3 BVerfGG wurde laut Sachverhalt gewahrt. VIII. Zwischenergebnis: Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig. B. Begründetheit Obersatz: Die Verfassungsbeschwerde ist begründet, wenn § 311d BGB Grundrechte oder grundrechtsgleiche Rechten des S verletzen würde. Eine Verletzung setzt wiederum voraus, dass das Gesetz in den Schutzbereich eines Grundrechts oder grundrechtsgleichen Rechtes eingreift, ohne verfassungsrechtlich gerechtfertigt zu sein. Hinweis für die Korrektoren: Die Klausur ist so konzipiert, dass mit entsprechender Begründung mehrere gleichwertige Lösungswege möglich sind. Der Lösungsweg hängt jeweils davon ab, wie sich die Bearbeiter bei der Eröffnung des Schutzbereiches von Art. 12 GG, beim Eingriff in Art. 12 GG entscheiden. Auf die Einzelheiten und Konsequenzen der jeweiligen Entscheidung wird an entsprechender Stelle eingegangen. I. Berufsfreiheit – Art. 12 Abs. 1 GG In Betracht kommt zunächst eine Verletzung der Berufsfreiheit des S. 1. Schutzbereich a) Sachlicher Schutzbereich aa) Begriff des Berufes Zunächst müsste der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG eröffnet sein. Als einheitliches Grundrecht schützt Art. 12 GG gleichermaßen die Wahl und die Ausübung des Berufes. Der Berufsbegriff ist weit zu verstehen. In den Schutzbereich fallen daher nicht nur traditionelle Berufe, sondern auch neue und atypische Berufsbilder. Beruf ist demnach jede auf Dauer angelegte Tätigkeit, die der Schaffung und Erhaltung einer Lebensgrundlage dient. Die Tätigkeit als Autovermieter ist daher ohne weiteres als Beruf des Sixtus anzusehen. bb) Geschützte Tätigkeit Von der Berufsfreiheit geschützt ist jede Tätigkeit, die mit dem Beruf in Zusammenhang steht. Daher fallen auch der Abschluss von Verträgen im Rahmen des Berufes und die Entscheidung über den Vertragspartner in den Schutzbereich der Berufsfreiheit. Zwar wird oftmals die Privatautonomie der allgemeinen Handlungsfreiheit zugeordnet. Soweit diese Autonomie jedoch beruflich wahrgenommen wird, indem sie der 3 Institut für Öffentliches Recht Universität Augsburg Sommersemester 2014 unternehmerischen Betätigung dient, ist sie entsprechend der Subsidiarität des Art. 2 Abs. 1 GG der 3 Berufsfreiheit zuzuordnen . Der sachliche Schutzbereich ist daher eröffnet. Hinweis an die Korrektoren: Hier vollzieht sich die erste Weichenstellung. Wer die berufsregelnde Tendenz 4 als Frage des sachlichen Schutzbereiches behandelt , kann mit entsprechender Argumentation (siehe unten) auch zu dem Ergebnis kommen, dass mangels berufsregelnder Tendenz des § 311d BGB bereits der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG nicht eröffnet ist. Dies wäre die dritte Lösungsvariante. Die hier dargestellte Lösung orientiert sich an der Rechtsprechung des BVerfG, das die berufsregelnde Tendenz im Rahmen des Eingriffs prüft. b) Persönlicher Schutzbereich Art. 12 Abs. 1 GG ist ein Deutschengrundrecht. Sixtus ist laut Sachverhalt Deutscher im Sinne des Art. 116 GG und fällt daher unproblematisch unter den persönlichen Schutzbereich der Berufsfreiheit. Der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG ist daher eröffnet. 2. Eingriff a) Grundsatz Das Gesetz müsste in Art. 12 Abs. 1 GG eingreifen. Ein Eingriff ist jedes staatliche Handeln, das dem Einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht oder erschwert. Dabei ist es grundsätzlich unerheblich, ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich, mit oder ohne Zwang erfolgt (sog. moderner oder weiter Eingriffsbegriff). Durch § 311 d BGB wird es Sixtus nur noch dann möglich sein, wie bisher zwischen seinen Kunden zu differenzieren, wenn er Schadensersatz- und Entschädigungsansprüche in Kauf nimmt. Insofern wird das in den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG fallende Verhalten der Vertragsautonomie erschwert. b) Berufsregelnde Tendenz Wegen des weiten Schutzbereiches des Art. 12 Abs. 1 GG fordert das BVerfG zudem für einen Eingriff in die Berufsfreiheit in stetiger Rechtsprechung, dass die angegriffene Maßnahme eine berufsregelnde Tendenz aufweist. Dies ist zum einen der Fall, wenn die Maßnahme die Berufsregelung bezweckt (subjektiv berufsregelnde Tendenz), oder – bei berufsneutraler Zwecksetzung – sich unmittelbar auf die berufliche Tätigkeit auswirkt oder die mittelbaren Beeinträchtigungen von einigem Gewicht sind (objektiv 5 berufsregelnde Tendenz) . Da § 311d BGB nach der Gesetzesbegründung nicht gezielt die Regelung der Berufsausübung bezweckt und damit eine subjektiv berufsregelnde Tendenz ausscheidet, ist zu untersuchen ob die Regelung in engem Zusammenhang mit der Berufsausübung steht und ihr eine objektiv berufsregelnde Tendenz zukommt. An der objektiv berufsregelnden Tendenz könnten Zweifel bestehen, weil die Norm als Regelung des allgemeinen Schadens- und Vertragsrecht formuliert ist und tatbestandlich zumindest vordergründig keine Berufsausübung voraussetzt, sondern vielmehr auch für den nichtberuflichen Geschäftsverkehr gelten soll. 6 Solche Regelungen weisen regelmäßig keine objektiv berufsregelnde Tendenz auf . Sieht man sich den Wortlaut und damit den Anwendungsbereich des § 311d BGB jedoch genauer an, ergibt sich etwas anderes. Die Norm setzt voraus, dass regelmäßig gleichartige Leistungen öffentlich angeboten werden. Diese Voraussetzungen dürften im Regelfall nur bei gewerblich Tätigen und damit im Rahmen der Berufsausübung erfüllt sein. Dass eine nicht beruflich handelnde Person diese Voraussetzungen erfüllt, 3 BVerfG, Beschluss vom 9.10.2000 - 1 BvR 1627/95. 4 Vgl. Pieroth/Schlink, Grundrechte, 29. Aufl., Rn. 892. 5 Vgl. nur BVerfGE 95, 267 (302); Pieroth/Schlink, Grundrechte, 29. Aufl., Rn. 892. 6 BVerfGE 95, 267 (302); 96, 375 (397). 4 Institut für Öffentliches Recht Universität Augsburg Sommersemester 2014 dürfte dagegen der absolute Ausnahmefall sein. Diese mittelbare Einwirkung auf die Berufsausübung hat auch einiges Gewicht, da die Rahmenbedingungen der Berufsausübung so verändert werden, dass Berufsgruppen, die in den Anwendungsbereich der Norm fallen, zu Änderungen ihrer unternehmerischen Dispositionen gezwungen sein können. Damit kommt § 311d BGB eine objektiv berufsregelnde Tendenz zu. Hinweis für die Korrektoren: Eine a. A. ist hier gut vertretbar, es kommt lediglich auf eine entsprechende Argumentation an. Es sei noch einmal daran erinnert, dass dieser Punkt auch schon im Rahmen des Schutzbereiches erörtert werden kann (s.o.). Es ist im Rahmen der Frage nach der berufsregelnden Tendenz auch möglich, statt der Unterscheidung zwischen subjektiv und objektiv berufsregelnder Tendenz darauf abzustellen, dass die Einschränkung i.S.d. Rechtsprechung des BVerfG nur dann eine Rolle spielt, wenn kein unmittelbarer sondern nur ein mittelbarer Eingriff in die Berufsfreiheit vorliegt, weil nur dann eine Begrenzung staatlichen Handelns i.S.v. Art. 12 Abs. 1 GG erforderlich ist. Nachdem hier ein mittelbarer Eingriff vorliegt, ist dann die hinreichende Gewichtigkeit des Eingriffs festzustellen, s.o. Ganz feinsinnige Bearbeiter könnten hier überdies bereits auf die Idee kommen, zwischen den "Diskriminierungen", die Sixtus vornimmt zu differenzieren. Soweit Sixtus sich die Kunden nach dem Alter aussucht, wird diese bei Annahme eines sachlichen Grundes auch trotz § 311d BGB weiterhin möglich sein. Man könnte daher insofern einen Eingriff in die Berufsfreiheit verneinen. Soweit Sixtus wegen der Staatsangehörigkeit unterscheidet, liegt jedoch (vorbehaltlich der berufsregelnden Tendenz) zweifellos ein Eingriff vor. Bearbeiter, die einen Eingriff in die Berufsfreiheit bejahen, können bereits hier eine Einstufung nach der DreiStufen-Theorie vornehmen. § 311d BGB greift daher in die Berufsfreiheit des Sixtus ein (a. A. vertretbar). 3. Verfassungsrechtliche Rechtfertigung Der Eingriff in die Berufsfreiheit könnte jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt sein. Dies setzt voraus, dass die Berufsfreiheit einschränkbar ist und § 311d BGB formell und materiell verfassungsgemäß ist. a) Einschränkbarkeit der Berufsfreiheit Die Berufsfreiheit wird von der Verfassung nicht schrankenlos gewährleistet. Sie steht unter dem einfachen Gesetzesvorbehalt des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG, der entsprechend der Natur von Art. 12 GG als einheitliches Grundrecht sowohl für die Berufswahl als auch die Berufsausübung gilt. Sowohl die Berufswahlfreiheit als auch die Ausübungsfreiheit sind daher einschränkbar. b) Formelle Verfassungsmäßigkeit § 311d BGB ist laut Bearbeitervermerk formell verfassungsgemäß. c) Materielle Verfassungsmäßigkeit aa) Verhältnismäßigkeit im weiteren Sinn Zunächst müsste § 311d BGB verhältnismäßig sein. Dies setzt voraus, dass er einem legitimen Ziel dient und zur Erreichung dieses Zieles geeignet, erforderlich und im Hinblick auf die Berufsfreiheit angemessen ist. Hinweis für die Korrektoren: Aufgrund der unterschiedlichen Regelungsinhalte von § 311 d BGB ist auch eine getrennte Darstellung der Prüfung bezüglich S. 1 und 2, S. 3 und S. 4 von den Bearbeitern möglich. Entscheidend ist, unabhängig vom Aufbau, ob alle Regelungsinhalte des § 311 d BGB auf ihre Verhältnismäßigkeit hin geprüft werden. 5 Institut für Öffentliches Recht Universität Augsburg (1) Sommersemester 2014 Prüfungsmaßstab – Drei-Stufen-Theorie Das BVerfG prüft Eingriffe in die Berufsfreiheit in ständiger Rechtssprechung anhand der sog. Drei-StufenTheorie. Demnach sind gestaffelt nach Eingriffsintensität folgende Stufen zu unterscheiden: In die erste Stufe fallen Berufsausübungsregelungen, die das „Wie“ der Berufsausübung regeln. Auf zweiter Stufe befinden sich die subjektiven Berufszulassungsbeschränkungen (= Berufswahlregelungen), die die Berufsausübung von bestimmten, vom Grundrechtsträger beeinflussbaren Kriterien abhängig machen. Objektive Berufszulassungsbeschränkungen schließlich regeln die Berufswahl anhand von Kriterien, die für den Grundrechtsträger nicht beeinflussbar sind. Mit steigender Eingriffsintensität steigt auch der Maßstab für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung. Hinweis für die Korrektoren: Zunehmend wird die Drei-Stufen-Theorie als überflüssig abgelehnt, weil sie der Sache nach nichts anderes als eine qualifizierte Verhältnismäßigkeitsprüfung sei. Die Bearbeiter können sich dieser Ansicht anschließen. Dann jedoch müssen die nachfolgenden Überlegungen zum Berufsbild spätestens im Rahmen der Angemessenheit/Verhältnismäßigkeit i.e.S. angestellt werden. § 311d BGB regelt nicht das "Ob", sondern das "Wie" der Berufsausübung, indem er an bestimmte berufsbezogene Verhaltensweisen Rechtsfolgen knüpft. Er ist daher eine Berufsausübungsregelung. (2) Legitimes Ziel Eine Regelung zur Berufsausübung ist legitim, wenn sie vernünftigen Erwägungen des Allgemeinwohls dient. § 311d BGB bezweckt hier den Schutz bestimmter Personengruppen, die im Rechtsverkehr des Öfteren Diskriminierungen ausgesetzt sind. Ungeachtet der Diskussion, ob aus Art. 3 Abs. 2, 3 GG eine 7 Schutzpflicht des Staates vor Diskriminierungen folgt , ist der Schutz dieser Personen zumindest ein verfassungsrechtlich, auch nach dem Sozialstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) zulässiges Ziel. (3) Geeignetheit § 311d BGB müsste zum Schutz vor Diskriminierungen auch geeignet sein. Geeignet ist eine Maßnahme, wenn sie zur Zielerreichung beiträgt. § 311d BGB knüpft an die Benachteiligung bestimmter Personengruppen, die ohne sachlichen Grund erfolgt, eine Schadensersatzpflicht und eine Pflicht zur Entschädigung wegen immaterieller Schäden. Will der jeweilige Vertragsteil diese negativen Rechtsfolgen vermeiden, hat er nur die Möglichkeit, eine unbegründete Benachteiligung zu unterlassen. Damit ist die Regelung geeignet, Diskriminierungen entgegen zu wirken. (4) Erforderlichkeit § 311d BGB müsste zum Schutz vor Diskriminierungen auch erforderlich sein. Erforderlich ist eine staatliche Maßnahme dann, wenn es kein milderes, gleichermaßen wirksames Mittel gibt, das den Grundrechtsträger weniger belastet. Bei der Berufsfreiheit kann hierbei zwischen milderen Eingriffen auf einer niedrigeren Stufe (vertikal milderes Mittel) oder innerhalb der Stufe (horizontal milderes Mittel) unterschieden werden. Da § 311d BGB bereits auf der untersten Stufe eingreift, kommt nur ein horizontal milderes Mittel in betracht. Hinweis für die Korrektoren: Die Bearbeiter müssen nicht zwingend auf die Differenzierung zwischen horizontal und vertikal milderem Mittel eingehen. Andere mildere, gleich geeignete Mittel (Appelle, Aufklärungskampagnen oder ein reines Verbot der Diskriminierung etc.) sind hier nicht ersichtlich. Man könnte sich allerdings fragen, ob der Anspruch auf Entschädigung wegen erlittener immaterieller Schäden (§ 311d S. 3 BGB) erforderlich war, oder ob der Schadensersatzanspruch (§ 311d S. 2 BGB) nicht ausgereicht hätte. Bei einer Diskriminierung ist ein materieller Schaden allerdings oft nicht vorhanden oder nicht nachweisbar, z.B., wenn der Vertrag auch ohne Benachteiligung nicht zustande gekommen wäre oder wenn sich der Diskriminierte die gewünschte Leistung ohne zusätzliche Kosten anderweitig beschaffen kann. In solchen Fällen, wäre eine Diskriminierung ohne den Anspruch aus § 311d S. 3 BGB folgenlos. Will man aber auch insoweit Diskriminierungen verhindern, ist § 311d S. 3 BGB erforderlich. 7 vgl. zum Streitstand etwa ausführlich Bäuerle, Vertragsfreiheit und Grundgesetz, 2001, S. 402 m.w.N. 6 Institut für Öffentliches Recht Universität Augsburg Sommersemester 2014 Demnach ist § 311d BGB erforderlich. Hinweis für die Korrektoren: Die Differenzierung i.R.d. Entschädigungsanspruchs in § 311d S. 3 BGB können die Bearbeiter auch im Rahmen der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne ansprechen. (5) Angemessenheit/Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn Letztlich müsste § 311d BGB auch verhältnismäßig i.e.S. sein, d.h. die Beeinträchtigung der Berufsfreiheit darf nicht außer Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. Die betroffenen Positionen sind dabei im Sinne einer praktischen Konkordanz zu einem schonenden Ausgleich zu bringen. Dazu sind die widerstreitenden Interessen gegeneinander abzuwägen. Zunächst ist festzustellen, dass weder die Berufsfreiheit noch das Ziel des diskriminierungsfreien Umgangs der Menschen untereinander generell Vorrang für sich beanspruchen kann. Es bedarf daher einer einzelfallbezogenen Abwägung. Gegen die Verhältnismäßigkeit der Neuregelung spricht zunächst, dass die Auswahl seiner Vertragspartner zu den Kernelementen der unternehmerischen Betätigung gehört. Zudem sind Private - anders als der Staat - grundsätzlich nicht verpflichtet, bestimmte Bevölkerungsgruppen zu integrieren und zu fördern. In den allermeisten Fällen kann sich der betroffene Kunde anderweitig die Leistung verschaffen, die er wünscht. Zudem betrifft die Regelung in ihrer nicht sektorspezifisch begrenzten Fassung auch Bereiche, die nicht mehr zur Daseinsvorsorge gehören. Diese sind u.U. nicht mehr durch die soziale Verantwortung Privater (soweit sie überhaupt besteht) gedeckt. Und schließlich wird der Eingriff durch den Anspruch auf Ersatz eines immateriellen Schadensersatzes noch beträchtlich verschärft. Es sprechen jedoch auch viele Gesichtspunkte für die Verhältnismäßigkeit des Diskriminierungsverbots. Zum einen ist die Chancengleichheit in einem demokratischen Rechts- und Sozialstaat ein besonders schützenswertes Gut. Den Staat trifft daher für bestimmte Bereiche die Aufgabe der Daseinsvorsorge, die er bislang durch eine weit verzweigte Leistungsverwaltung zu erfüllen versuchte. In dem Maße, indem sich der Staat (gezwungenermaßen) aus der Leistungsverwaltung zurückzieht, hat er Sorge zu tragen, dass die wirtschaftlichen Grundlagen auch der Randgruppen auf andere Weise gesichert werden. Auf der anderen Seite entsteht den betroffenen Gewerbetreibenden kein Schaden dadurch, dass sie die Leistung, die sie öffentlich anbieten auch erbringen müssen, zumal sie auch ein Entgelt dafür erhalten. Insofern werden sie nur an ihrem eigenen Leistungsversprechen festgehalten. Schließlich lässt § 311 d BGB eine Benachteiligung aus sachlichen Gründen ausdrücklich zu. Dadurch werden die finanziellen Auswirkungen weiter abgeschwächt. So dürfte es Sixtus auch weiterhin möglich sein, ganz junge und ganz alte Kunden aus Gründen des Versicherungsschutzes auszuschließen. Damit bleibt nur die Diskriminierung ohne sachlichen Grund als Belastung. Solche Diskriminierungen erscheinen im Hinblick auf die Berufsfreiheit aber wenig schutzwürdig, da sie regelmäßig aus privaten und nicht aus unternehmerischen Motiven heraus verfolgt werden. Wägt man diese Argumente gegeneinander ab, erscheint das Diskriminierungsverbot verhältnismäßig ieS (a.A. genauso vertretbar). Hinweis an die Korrektoren: Hier ist im Hinblick auf die fast erbitterte Diskussion um das „Antidiskriminierungsgesetz“ (AGG) in Politik und juristischer Fachliteratur jedes Ergebnis vertretbar. Die vertretenen (und vertretbaren) Ansichten zur Verfassungsmäßigkeit eines Diskriminierungsverbotes bzw. der noch verfassungsmäßigen Ausgestaltung decken das gesamte Spektrum ab. Zu welchem Ergebnis die Bearbeiter aufgrund ihrer Abwägung gelangen spielt dann keine Rolle. Insbesondere können die Bearbeiter auch zu dem Ergebnis kommen, dass § 311d BGB nur teilweise (etwa im Hinblick auf § 311d S. 3 BGB) unverhältnismäßig, im übrigen aber verhältnismäßig ist, da die Norm insofern teilbar ist. Wichtig ist einzig, dass die Bearbeiter sich argumentativ ausführlich mit der Angemessenheit auseinandersetzen. Pauschale oder nur unzureichend begründete Ergebnisse sind daher negativ zu bewerten. bb) Sonstige materielle Voraussetzungen Eine Verletzung sonstigen materiellen Verfassungsrechts ist nicht ersichtlich. § 311 d BGB ist auch hinreichend bestimmt formuliert (auch im Hinblick auf die "angemessene“ Entschädigung), da die verwendeten unbestimmten Rechtsbegriffe im Wege gängiger Auslegungsmethoden konkretisierbar sind. 7 Institut für Öffentliches Recht Universität Augsburg Sommersemester 2014 Hinweis an die Korrektoren: Die Prüfung sonstiger materieller Voraussetzungen kann auch ganz unterbleiben. Bearbeiter die das Zitiergebot (Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG) - wie teilweise vertreten - als materielle Voraussetzung prüfen, können sich darauf beschränken, dass Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG auf 8 Berufsausübungsregeln keine Anwendung findet . Da Bearbeiter, die das Zitiergebot der formellen Verfassungsmäßigkeit zuordnen, diese aufgrund des Bearbeitervermerks gar nicht ansprechen müssen, sollten ungenaue oder gar falsche Ausführungen nicht negativ bewertet werden. Zwischenergebnis: Da der Eingriff in die Berufsfreiheit verfassungsrechtlich gerechtfertigt ist, ist Art. 12 Abs. 1, 2 GG nicht verletzt. II. Allgemeine Handlungsfreiheit – Art. 2 Abs. 1 GG Die allgemeine Handlungsfreiheit tritt als subsidiäres Auffanggrundrecht hinter Art. 12 Abs. 1 GG zurück, sodass eine Verletzung von Art. 2 Abs. 1 GG ausscheidet. Hinweis für die Korrektoren: Auf die Subsidiarität kann sich natürlich nur berufen, wer die Eröffnung des Schutzbereiches der Berufsfreiheit bejaht hat. Wer die Eröffnung des Schutzbereiches dagegen abgelehnt hat, muss den Eingriff und die verfassungsrechtliche Rechtfertigung hier prüfen. Die bei Art. 12 Abs. 1 GG angewandten Maßstäbe gelten entsprechend. An dieser Stelle kann noch ein Sonderproblem auftreten. Wer den Subsidiaritätsgrundsatz, wonach eine Prüfung von Art. 2 Abs. 1 GG bereits ausscheidet, wenn der Schutzbereich eines anderen Grundrechtes eröffnet ist, allzu wörtlich nimmt, kann in einer bestimmten Konstellation zu einem merkwürdigen Ergebnis kommen: Dies kann passieren, wenn ein Bearbeiter den Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG für eröffnet betrachtet, einen Eingriff aber wegen fehlender berufsregelnder Tendenz ablehnt. Dann fiele bei strenger Betrachtung Art. 2 Abs. 1 GG dem Subsidiaritätsgrundsatz "zum Opfer" (der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG war ja eröffnet). Damit könnte man zu dem Ergebnis kommen, dass § 311 d BGB an gar keinem Grundrecht (!) zu messen wäre. Dass dies nicht richtig sein kann, leuchtet ein. Das Erfordernis der berufsregelnden Tendenz ist ein Korrektiv für den (zu) weiten Schutzbereich der Berufsfreiheit. Dieses Korrektiv ist methodisch zweifelhaft in die Eingriffsprüfung gerutscht. Damit ist jedoch nicht gesagt, dass ein Gesetz nicht an Art. 2 Abs. 1 GG geprüft werden soll, nur weil der Schutzbereich von Art. 12 Abs. 1 GG ein "bisschen" (wenn auch "nicht ganz") eröffnet ist. Vielmehr prüft auch das BVerfG, auf das die Prüfung der berufsregelnden Tendenz im Rahmen des Eingriff zurückgeht, eine Regelung für die es die berufsregelnde Tendenz verneint hat ganz 9 selbstverständlich und ohne nähere Begründung anhand von Art. 2 Abs. 1 GG . Ergebnis: Sixtus ist durch § 311d BGB nicht in seinen Grundrechten verletzt. Die Verfassungsbeschwerde ist zwar zulässig, aber unbegründet und hat daher keine Aussicht auf Erfolg (a.A. gut vertretbar). 8 BVerfGE 64, 72 (79). 9 vgl. nur BVerfGE 96, 375 (398). 8