Das Phänomen `hikikomori` – Ursachen und Reaktionen der

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Das Phänomen `hikikomori` – Ursachen und Reaktionen der
Schmitz, Dominic (2013). Das Phänomen ‘hikikomori’ – Ursachen und Reaktionen der Gesellschaft. Cologne.
Unpublished.
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Das Phänomen ‘hikikomori’ – Ursachen und
Reaktionen der Gesellschaft
SCHMITZ, DOMINIC
MARCH 2013
CITATION:
Schmitz, Dominic (2013). Das Phänomen ‘hikikomori’ – Ursachen und Reaktionen der Gesellschaft.
Cologne. Unpublished.
1 AUTHOR:
Dominic Schmitz
Linguistics, Phonetics
ABSTRACT:
Das Ph änomen der h ikikomori beschäftigt japanisch e und internationale Soziologen und Psychologen nicht erst seit
jüngster Zeit, jedoch waren die Betroffenen lange nicht unter einem Begriff zusammengefasst. Während die
Gesellschaft in großen Teilen mit Verleugnung auf h ikikomori reagiert, diskutieren Forscher, ob das Phänomen
medizinischen oder sozialen Ursprungs ist.
Schmitz, Dominic (2013). Das Phänomen ‘hikikomori’ – Ursachen und Reaktionen der Gesellschaft. Cologne.
Unpublished.
Das Phänomen ‘hikikomori’ – Ursachen und Reaktionen der Gesellschaft
Das Phänomen der hikikomori beschäftigt japanische und internationale Soziologen und
Psychologen nicht erst seit jüngster Zeit, jedoch waren die Betroffenen lange nicht unter
einem Begriff zusammengefasst. Während die Gesellschaft in großen Teilen mit Verleugnung
auf hikikomori reagiert, diskutieren Forscher, ob das Phänomen medizinischen oder sozialen
Ursprungs ist.
Inhaltsverzeichnis
1 Eine Einführung in die Thematik „hikikomori“.................................................................................... 1
2 Ein statistischer Überblick .................................................................................................................... 3
3 Medizinische oder soziale Ursache?..................................................................................................... 5
3.1.1 Die medizinische Sichtweise .................................................................................................. 6
3.1.2 Psychiatrischer Hintergrund ................................................................................................... 6
3.1.3 Zusammenfassung: Medizinische Perspektive ....................................................................... 7
3.2 Die soziologische Sichtweise..................................................................................................... 8
4 hikikomori als Stigma ........................................................................................................................... 9
5 Familie und hikikomori....................................................................................................................... 10
6 Das Phänomen als soziale Identität .................................................................................................... 11
7 Zusammenfassung und Ausblick ........................................................................................................ 11
8 Anhang ............................................................................................................................................... 14
8.1 Abbildungen ............................................................................................................................ 14
8.2 Literaturverzeichnis ................................................................................................................. 16
8.3 Internetquellen ......................................................................................................................... 17
Schmitz, Dominic (2013). Das Phänomen ‘hikikomori’ – Ursachen und Reaktionen der Gesellschaft. Cologne.
Unpublished.
1 Eine Einführung in die Thematik „hikikomori“
Der Begriff „hikikomori“ besteht aus etymologischer Sicht aus den zwei Bestandteilen 引き
(hiki sich zurückziehen) und 籠もる (komoru sich einschließen). 1 Erstmalig erwähnt und
geprägt wurde der Begriff vom japanischen Psychologen Saitô Tamaki (斎藤 環, geb. 1961). 2
Nachdem die Thematik vor dem Jahr 2000 nur kleinen Kreisen bekannt war 3 , führten
verstärkte Medienberichte zu einer stetig größer werdenden öffentlichen Aufmerksamkeit 4,
dies auch im japanischen Ausland. 5 Internationale Standardwerke sind wegen der erst kurzen
Geschichte der Thematik noch relativ rar, allerdings werden sämtliche Werke Saitôs 6 und das
Buch „Shutting Out the Sun“ von Michael Zielenziger (geb. 1955) 7 als solche gehandelt.
Aufgrund wenig wissenschaftlicher Auseinandersetzung durch die Presse wird die Gruppe der
hikikomori jedoch meist als heterogene Menge dargestellt:
„Those people clumped together as sufferers of 'acute social withdrawal syndrome' in
the media under the simplified moniker of 'hikikomori', appear to be in actuality a
heterogeneous group with largely disparate personal reasons for their social
withdrawal.” 8
Dies mag auch an der weitläufig bekannten, eher wagen Definition liegen: So wird als
hikikomori bezeichnet, wer über einen Zeitraum von sechs oder mehr Monaten jegliche
Kontakte zur Gesellschaft, etwa Schule oder Beruf, abbricht und sich isoliert in sein Zuhause
1
Vgl. Hülsmann, Katharina: „Der Raum als Mutterschoß: Silent Hill 4 und das HikikomoriPhänomen.“ In: Mae, Michiko u. Elisabeth Scherer (Hg.): Japan-Pop-Revolution: Neue Trends der
Japanischen Gesellschaft Reflektiert in der Popkultur. Düsseldorf: Düsseldorf univ. press 2011, S. 44.
2
Vgl. Dziesinski, Michael J.: „Hikikomori: Investigations Into the Phenomenon of Acute Social
Withdrawal in Contemporary Japan.“ Honolulu, Hawaii: University of Hawai’i Manoa 2003, S. 2.
http://towakudai.blogs.com/Hikikomori.Research.Survey.pdf (Stand: 09.01.2013)
3
Vgl. Horiguchi, Sachiko: „Hikikomori: How Private Isolation Caught the Public Eye.” In: Goodman,
Roger; Imoto, Yuki; Toivonen, Tuukka (eds.): A Sociology of Japanese Youth: From Returnees to
NEETs. New York: Routledge 2012, S. 125.
4
Vgl. Dziesinski 2003, S. 2; Vgl. Hülsmann 2011, S. 43; Vgl. Hirashima, Natsuko: „Psychopathology
of Social Withdrawal in Japan.” In: Journal of the Japan Medical Association, Vol. 44, No. 6 (2001),
S. 260; Vgl. Koyama, Asuka (et al.): „Lifetime Prevalence, Psychiatric Comorbidity and Demographic
Correlates of ‘hikikomori’ In a Community Population in Japan.” In: Psychiatry Research, Vol. 176
(2010), S. 69.
5
Vgl. Horiguchi 2012, S.128; Vgl. Kunze, Anne: „Angst: Einsiedler im Kinderzimmer.“ Spiegel
Online, 2006.
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/angst-einsiedler-im-kinderzimmer-a-430843.html (Stand:
19.02.2013)
6
Vgl. Horiguchi, Sachiko: „Coping with Hikikomori: Socially Withdrawn Youth and the Japanese
Family.” In: Ronald, Richard und Alexy, Allison (ed.): Home and Family in Japan: Continuity and
Transformation. New York: Routledge 2011, S. 217.
7
Zielenziger, Michael: Shutting Out the Sun: How Japan Created Its Own Lost Generation. New
York: Vintage Books 2006.
8
Dziesinski 2003, S. 3.
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zurückzieht. Aufgrund dieser Basis wird deutlich, dass die Problematik um das Phänomen
hikikomori einige Fragen aufwirft. Was beschreibt hikikomori genau? Ist es ein
gesellschaftliches Problem? Und falls es das ist, wodurch wird es hervorgerufen? Oder ist es
vielmehr eine medizinische Erkrankung, die einer Diagnose und Behandlung bedarf? Wie
geht die Gesellschaft und wie geht die Familie mit Betroffenen um? Um diese Fragen zu
klären wird im Folgenden zunächst ein statistischer Überblick über das Phänomen gegeben,
welcher erste Schwierigkeiten im Umgang mit der Thematik offen legt. Desweiteren wird
tiefgehender darauf eingegangen, ob den hikikomori eine medizinische oder eine soziale
Ursache zugrunde liegt, indem sowohl die medizinische Sichtweise mit psychiatrischem
Hintergrund, als auch die eine Rolle spielenden sozialen Faktoren nähergehend untersucht
und kritisch hinterfragt werden. Zudem wird der Umgang der Gesellschaft mit hikikomori
dargestellt, ebenso das Verhalten der Familien gegenüber dem betroffenen Angehörigen.
Anschließend wir das Phänomen der hikikomori als soziale Identität beleuchtet, bevor
abschließend die bereits erwähnten Fragen erneut aufgegriffen werden und ein kritischer
Ausblick auf die Situation der hikikomori geworfen wird.
2 Ein statistischer Überblick
Im internationalen Vergleich der Zahlen isoliert lebender Bürger belegt Japan den zweiten
Platz.9 So ging man als das Phänomen hikikomori erstmals beschrieben wurde davon aus, dass
vor allem junge Männer davon betroffen wären. Ihre Zahl wurde auf 500.000 bis 1 Million
geschätzt. 10
„What this means, is if over 1 million Japanese aged 14-20 indeed suffer from
hikikomori, then 20 percent of all adolescent males in Japan, and approximately 1
percent of the population, are abstaining from participation in Japanese social
institutions!” 11
Durch eine solch hohe Zahl von hikikomori-Fällen wäre ein Großteil der künftigen
Arbeitergeneration Japans schon jetzt außerhalb des gesellschaftlichen Rasters, was bei einer
stetig alternden Bevölkerung wie der japanischen ökonomisch fatal enden könnte. Jedoch
muss man sich vor Augen halten, dass fundierte Daten über hikikomori nur schwierig zu
9
Vgl. OECD, Paris: „Quality of Life in Europe: An Illustrative Report, European Foundation for the
Improvement of Living and Working Conditions.“ Dublin; World Value Surveys OECD, 2005.
http://www.oecd.org/std/37964677.pdf (Stand: 09.01.2013)
10
Vgl. Dziesinski 2003, S. 6.
11
Dziesinski 2003, S. 6f.
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realisieren sind, was schon an der Problematik selbst liegt. 12 Heute wird über etwa 6000 bis
hin zu 700.000 hikikomori spekuliert 13, wobei die tatsächliche Zahl der Fälle wahrscheinlich
irgendwo zwischen den Extremen zu vermuten ist. Die durch die Untersuchung des Japanese
Ministry of Health and Labor 6.151 festgestellten Betroffenen bedeuteten nicht nur eine der
wenigen fundierten Zahlen, sondern zeigten auch, dass das Phänomen nicht, wie bisher
angenommen, lediglich auf männliche Jugendliche zutrifft, sondern auf eine viel weitere
Gruppe der Bevölkerung. So waren 8,4 Prozent der Betroffenen zwischen 10 und 15 Jahre alt,
19,8 Prozent waren zwischen 16 und 20 Jahre alt, 20,8 Prozent waren zwischen 21 und 25
Jahren alt, 18,2 Prozent waren zwischen 26 und 30 Jahre alt, 10,2 Prozent waren zwischen 31
und 35 Jahre alt und nur noch 8,6 Prozent waren 36 Jahr alt oder älter. 14 Einerseits muss
hierbei jedoch die Frage gestellt werden, ob „repräsentative“ hikikomori erfasst wurden, da –
dem Phänomen entsprechend – der durchschnittliche Betroffene die Wohnung fast nie verlässt
beziehungsweise den Kontakt zu anderen Menschen vermeidet, also auch nur sehr
unwahrscheinlich an einer Umfrage in einem Gesundheitszentrum teilnimmt. Außerdem
bleibt bei der Gruppe der 10 bis 15 Jahre alten hikikomori fraglich, ob tatsächlich alle erfasst
wurden, da die Angehörigen dieser Altersgruppe stattdessen oftmals als Schulverweigerer
klassifiziert werden. Desweiteren kann aufgrund der Zahlen vermutet werden, dass ältere
Betroffene eher Hilfe suchen, was zu einer anscheinend höheren Zahl von Betroffenen in
diesem Alterssegment führen kann. Zudem zeigen die Daten ein erstes wichtiges Ergebnis im
Hinblick auf die Frage, was das Phänomen hikikomori überhaupt beschreibt. So scheint es
keine neuentstandene Problematik zu sein, da nicht nur, wie zuvor vermutet, Jugendliche
betroffen sind, sondern auch Erwachsene, welche zudem vermutlich schon über einen
längeren Zeitraum hikikomori sind. Ebendieser Faktor erklärt auch die doch hohe Zahl,
welche schon mit Bekanntwerden der Thematik offensichtlich wurde. So wurden hikikomori
vor dem Aufkommen des Begriffs nur nicht als solche erkannt. 15 Durch das Fehlen
weitgehend anerkannter und standfester Daten ist auch eine klare Definition, so wie sie in
dieser Arbeit gesucht wird, nur mit Einbußen möglich. Ein weiterer Faktor, welcher diesen
Versuch
beeinflusst,
sind
die
immer
wieder
aufwiegenden
Wellen
von
Sensationsjournalismus, welche die Sachlage zur Ausbeutung des Ganzen dramatisieren und
angebliche Zahlen in die Höhe treiben. Nichtsdestotrotz wurde auf Basis der 6.151 hikikomori
versuchsweise festgestellt, über welche Zeiträume die soziale Isolation anhält. So lebten 17,9
12
Vgl. Dziesinski 2003, S. 7.
Vgl. Horiguchi 2012, S. 127.
14
siehe Abbildung 1
15
Vgl. Dziesinski 2003, S. 9-11; Vgl. Koyama 2010, S. 72.
13
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Prozent für sechs bis zwölf Monate, 25,3 Prozent für ein bis drei Jahre, 14,7 Prozent für drei
bis fünf Jahre, 9,7 Prozent für fünf bis sieben Jahre, 5,9 Prozent für sieben bis zehn Jahre und
7,7 Prozent für zehn Jahre oder länger isoliert. 16 Auch diese Befunde beweisen erneut, dass
das Phänomen schon länger existiert, da Befragte zum Teil schon vor dem Aufkommen der
Bezeichnung „hikikomori“ als eben solche lebten. Zu überlegen bleibt, ob nicht auch die
Daten ehemaliger Betroffener erhoben werden sollten, damit Präventionsmaßnahmen
entwickelt werden könnten. Außerdem ist es fragwürdig, ob etwaige Betroffene nicht schon
ab einem Isolationszeitraum von drei statt sechs Monaten als hikikomori gewertet werden
sollten, da auch diese Dauer im einzelnen Leben, etwa in der Schullaufbahn, einen großen
Bruch darstellen kann. 17 Weitere Untersuchungen gewähren einen Überblick über hikikomori,
wenn auch aufgrund der beschriebenen Schwierigkeiten, teilweise Abweichungen
voneinander vorliegen. So nimmt man an, dass etwa 1,2 Prozent der Japaner vom hikikomoriDasein betroffen sind, unter den 20 bis 29-Jährigen sogar 2,0 Prozent, was zu einer Zahl von
etwa 232.000 Fällen führt. Das Durchschnittsalter zu Beginn der Isolation liegt zwischen 20,1
und 22,3 Jahre, wobei es eine Altersspanne von acht bis 34 Jahre gibt. Die Durchschnittsdauer
der Isolation beträgt in etwa ein Jahr, und in 50 Prozent der Fälle sogar weniger. 78 Prozent
der Betroffenen machen sich Sorgen über ihr Leben als hikikomori und 70 Prozent besuchten
vor der Abkapselung die Schule oder gingen einem Beruf nach.
3 Medizinische oder soziale Ursache?
Nachdem durch die statistische Betrachtung des Phänomens deutlich geworden ist, dass ein
Erfassen des tatsächlichen Bildes unter Anderem aufgrund der fehlenden, genauen Definition,
sehr schwierig ist, stellt sich die Frage, ob hikikomori nun eine medizinische oder soziale
Ursache hat. Zu dieser Fragestellung haben sich im Laufen der Zeit zwei Meinungsgruppen
gebildet. Die eine Gruppe bilden Mediziner und Psychologen, wie etwa Saitô, welche eine
medizinische Behandlung für hikikomori als dringend notwendig und nur durch eine solche
eine Genesung als realisierbar ansehen. 18 Die andere Gruppe vertritt eine soziologische
Auffassung, laut welcher hikikomori ein rational gewählter, sozialer Zustand ist. hikikomori
ist somit die Folge der kritischen Betrachtung der dem Individuum eigenen Gesellschaft und
dem spezifischen Faktor, dass nur ein Lebensweg als richtig vorgeschrieben wird und
16
siehe Abbildung 2
Vgl. Dziesinski 2003, S. 12-15.
18
Vgl. Dziesinski 2003, S. 33; Vgl. Horiguchi 2012, S. 126.
17
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Abweichungen nicht geduldet werden.
19
Um einen Überblick zu erhalten und eine
anschließende Evaluation ausführen zu können, werden im Folgenden beide Auffassungen
dargelegt.
3.1.1 Die medizinische Sichtweise
Die soziale Isolation, welche als Hauptkriterium des hikikomori-Phänomens gilt, ist weit mehr
als die Diagnose nur einer spezifischen mentalen Störung. So unterscheidet man prinzipiell
zwischen Primärer Isolation und Sekundärer Isolation. Bei Letzterer folgt die gesellschaftliche
Isolation als Symptom einer Vorerkrankung. Diese kann als Abulie, Anthrophobie, Formen
des Autismus, Depressionen, Ess- und Panikstörungen und Schizophrenie vorliegen. Bei der
Primären Isolation hingegen ist die Abkapselung selbst das im Mittelpunkt stehende Faktum;
in solchen Fällen kann die Abkapselung von der Gesellschaft rational gewählt worden sein.
Zudem suchen daher solche Betroffenen meist weder nach Kontakten noch nach Hilfe. Als
häufige Merkmale beider Gruppen gelten persönlicher Stress, das Gefühl der Sinnlosigkeit
(des eigenen Lebens), Trägheit und Selbstzweifel. Letztere zeigen, dass eine Unterscheidung
beider Gruppen oft schwierig erscheint, da Zweifel am eigenen Ich sowohl Auslöser für frei
gewählte Isolation (Primäre) als auch Folge von Depressionen sein können. In diesem Fall
befindet sich das depressive Individuum als unwürdig gegenüber Anderen, und stellt daher
jegliche Kontakte ein, was schließlich zur zwangsläufigen Isolation (Sekundäre) führen
kann. 20 Desweiteren sind hikikomori auch in der Hinsicht zu unterscheiden, ob sie mit ihrem
Zustand zufrieden sind oder nicht, und ob sie Hilfe suchen oder diese nicht annehmen. 21
3.1.2 Psychiatrischer Hintergrund
Ebendiese zwei Unterscheidungskriterien waren Objekt einer weiteren Studie. So wurden alle
hieran beteiligten hikikomori zunächst in drei Gruppen eingeteilt, welche wie folgt
differenziert wurden: Gruppe Eins bestand aus solchen, welche unter Depressionen,
Schizophrenie und ähnlichem litten. In der zweiten Gruppe befanden sich jene, die geistige
Defizite und Entwicklungsstörungen aufwiesen; und in das Raster der letzten Gruppe fielen
die, die Persönlichkeits- und Konformitätsstörungen an den Tag legten. Desweiteren wurden
19
Vgl. Dziesinski 2003, S. 32-36.
Vgl. Dziesinski 2003, S. 27.
21
Vgl. Hirashima 2001, S. 260-261.
20
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alle Beteiligten entweder als hilfesuchend oder als nicht-hilfesuchend eingestuft. 22 Betrachtet
man zunächst jene 183 hikikomori, welche Hilfe suchten, so wird Folgendes erkenntlich:
Nach dem Einsatz von Psychotherapie, Anleitung und Hilfe zur Lebensgestaltung und
Berufsfindung (und im Fall von Gruppe Eins auch nach dem Einsatz von Medikamenten
aufgrund der schwerwiegenderen Erkrankungen) wurden nach 19 Monaten in der zweiten
Gruppe die ersten Erfolge sichtbar. Nach 21,1 Monaten folgten in der ersten, nach 27,4
Monaten in der letzten Gruppe Erfolge. Hierbei war die Gruppe Drei mit 51 Mitgliedern (34,7
Prozent) die größte und Gruppe Zwei mit 47 solchen (32,0 Prozent) die kleinste. In Gruppe
Eins waren in der Studie 49 hikikomori (33,3 Prozent) vertreten; entgegen der Ergebnisse der
Untersuchung wird jedoch angenommen, dass diese Gruppe japanweit die meisten Vertreter
aufweist. Bei 36 Untersuchten war keine eindeutige Festlegung möglich, daher wurden sie
keiner Gruppe zugeordnet. Desweiteren wurden Todesfälle in der Familie, Missbrauch und
Mobbing als wichtige auslösende Faktoren für Gruppe Drei festgestellt. Betrachtet man nun
die nicht-hilfesuchenden 154 hikikomori, so sind Ergebnisse der Natur der Sache wegen
schwieriger zu erzielen. Eindeutig wurde jedoch, dass wohl jene der ersten Gruppe als am
schwierigsten zu behandeln gelten. Diese haben einerseits die schwersten Erkrankungen – 59
zeigten schwerwiegende Symptome und 16 mussten medizinisch versorgt werden – und
andererseits erwiesen sie sich der Beratung und Hilfe ihrer Familie als resistent. 23
3.1.3 Zusammenfassung: Medizinische Perspektive
Zusammenfassend kann also festgehalten werden, dass es zwar keine einheitliche
medizinische Definition von hikikomori gibt, aber eindeutige Faktoren bekannt sind, welche
eine solche ermöglichen könnten. So muss entschieden werden, ob nur Primäre Isolation als
hikikomori-Merkmal gilt, und ob Hilfegesuche einen Betroffenen definieren oder zu einer
anderen Diagnose führen. Egal, wie man in diesem Fall entscheidet, so wird doch deutlich,
dass die Therapie eines hikikomori mit bis zu zwei Jahren bis zum Einsetzen erster
Verbesserungen sehr zeit- und daher wahrscheinlich auch sehr kostenintensiv ist.
22
siehe Abbildung 3
Vgl. Kondo, Naoji; Sakai, Motohiro (et al.): „General Condition of Hikikomori (Prolonged Social
Withdrawal) in Japan: Psychiatric Diagnosis and Outcome in Mental Health Welfare Centres.” In:
International Journal of Social Psychiatry (Online Version), 2011, S. 2-8.
http://isp.sagepub.com/content/early/2011/11/16/0020764011423611.full.pdf+html
(Stand: 09.01.2013)
23
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3.2 Die soziologische Sichtweise
Betrachtet man das Phänomen hikikomori nun abseits der medizinischen Faktoren, so können
drei soziale Gründe festgemacht werden, welche eine Abkapselung von der Gesellschaft
primär hervorrufen. So muss das Individuum erstens den Gruppennormen folgen, was
bedeutet, den typischen Werdegang durch Schule und Beruf zu vollziehen: 24
„Foremost are the cultural expectations placed upon a young middleclass person to
conform to norms and succeed in life, only one acceptable mainstream 'route' in which
to accomplish this goal—a prestigious education—and the irreconcilable reality the
stagnation of the national Japanese economy has brought to the 'dream' of a
prestigious career.“ 25
Zweitens baut das japanische Schulsystem, welches keine zweiten Chancen kennt, immensen
Druck auf: 26
„The second factor is a social institution, education, which is the primary means by
which to accomplish a successful life in Japan. […] Many aspects surrounding the
process of education, from daily participation, the societal importance that is placed
upon its acquisition, as well as its ultimate purpose, tend to be the primary conflicts
that dominates [sic] the time and thoughts of many young peoples' lives in Japan and
can cause, in cases of extreme stress, the reaction of social withdraw.” 27
Und drittens spielt auch die Familie eine wichtige Rolle, was später noch ausführlicher
erläutert wird:
„The third social factor is the role the family plays, specifically the mother-son
relationship, as it relates to the other two social pressures and, after withdrawal, how
the family serves to promote the child's tendency to stay in the safe cocoon of his
room.” 28
Fällt das Individuum nun aus der Norm der eigenen Gruppe, etwa dem Freundeskreis in der
Schule, so folgen darauf meistens Mobbing und Ausgrenzung, welche eine Querverbindung
zur medizinischen Sichtweise ermöglichen. Durch dieses Verhalten der Bezugsgruppe erlangt
der Betroffene ein negatives Selbstbild, wodurch der Rückzug in das hikikomori-Dasein den
Betroffenen als einziger Ausweg und als Hilfeschrei erscheint. 29 Die Gruppe, welche selbst in
diesem von Konkurrenz geprägten System gefangen ist, kann aus eben diesem Konkurrenzverhalten den Zurückgezogenen nicht wieder integrieren. Somit fühlt sich der hikikomori
24
Vgl. Furlong, Andy: „The Japanese Hikikomori Phenomenon: Acute Social Withdrawal Among
Young People.” In: The Sociological Review, Vol. 56, No. 2 (2008), S. 312.
25
Dziesinski 2003, S. 16f.
26
Vgl. Peil, Corinna: Mobilkommunikation in Japan: Zur Kulturellen Infrastruktur der HandyAneignung. Bielefeld: transcript Verlag 2011, S. 181.
27
Dziesinski 2003, S. 17.
28
Dziesinski 2003, S. 17.
29
Vgl. Furlong 2008, 312.
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ohne Identität, da er keiner Gruppe angehört 30, und kann selbstständig auch nichtmehr in eine
solche finden. 31 Außerdem fragen sich Betroffene, aus welchem Grund sie in ein System
zurückkehren sollten, in welchem sie keine reelle Chance auf schulischen und beruflichen
Erfolg mehr haben: „The Japanese system is single track, rigidly organised and highly
pressured.“ 32 Es kann also festgehalten werden, dass Betroffene durch den immensen Druck
der Gesellschaft, Schule und Familie aus der Idealbahn gleiten und damit den Zorn der
Druckausübenden auf sich lenken. Dieser führt wiederum dazu, dass Isolation als letzte
Rettung und eine spätere Integration in dieses nicht-verzeihende System als unmöglich erscheint.
4 hikikomori als Stigma
Wie wird das Individuum, welches also gewissermaßen durch die Gesellschaft zu einem
hikikomori-Betroffenen geworden ist, von eben jener behandelt? Gemeinhin gelten
psychische Krankheiten und Behinderungen in der japanischen Gesellschaft als Stigma. 33 So
werden insbesondere hikikomori von der Öffentlichkeit meist mit Gewalt verbunden, was auf
reißerische Zeitungsartikel und Nachrichtenerstattungen zurückzuführen ist. 34 So werden
Betroffene mit schweren Gewalttaten wie den Morden an otaku 1988/89 und
Busentführungen und Geiselnahmen am 3. Mai 2000 in Verbindung gebracht 35, obwohl
Experten davon ausgehen, dass hikikomori gewaltlos leben oder etwaige Gewalt im Regelfall
gegen sich selbst richten. 36 Dennoch werden Betroffene auch in der Romanliteratur als
Gewaltverbrecher dargestellt. Die Romane „Parasit“(2000) und „Die letzte Familie“ (2001)
vom japanischen Autor Murakami Ryû (村上 龍, geb. 1952) gelten auf diesem Gebiet als
herausragend. Sie beschreiben die Auflösung der Einheit und den Protest Betroffener gegen
das japanische Schulsystem und die gruppenorientierte Gesellschaft in all ihren
Ausprägungen. hikikomori werden in diesen Fällen als geistig labil unter Wahnvorstellungen
30
Vgl. Dziesinski 2003, S. 17; Vgl. Benedict, Ruth: Chrysantheme und Schwert: Formen der
Japanischen Kultur. Frankfurt am Main: Suhrkamp Verlag 2006, S. 46-72.
31
Vgl. Dziesinski 2003, S. 20.
32
Furlong 2008, 314.
33
Vgl. Peil 2011, S. 181.
34
Vgl. Dziesinski 2003, S. 26; Vgl. Peil 2011, S. 183.
35
Vgl. Dziesinski 2003, S. 26; Vgl. Rees, Phil: „Hikikomori Violence.” In: BBC News World Edition
2002.
http://news.bbc.co.uk/2/hi/programmes/correspondent/2336883.stm (Stand: 19.02.2013)
36
Vgl. Watts, Jonathan. „Japan's Teen Hermits Spread Fear.” In: The Observer 2002.
http://www.guardian.co.uk/Print/0,3858,4548370,00.html (Stand: 19.02.2013)
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leidend oder als gewalttätig und ihre Familie terrorisierend dargestellt. 37 Selbst kommen
hikikomori in der Öffentlichkeit, abgesehen von Internetforen und Online-Blogs, allerdings
nur selten zu Wort 38, was jedoch auch an der Natur des Phänomens liegt.
5 Familie und hikikomori
Wie also reagiert die Familie auf ein betroffenes Mitglied, wenn dieses unter einem solchen
gesellschaftlichen „Label“ 39 leidet? Oftmals wird kritisiert, dass Eltern, und vor allem Mütter,
das Verhalten der hikikomori dulden und das falsche Benehmen durch Verhätscheln sogar
fördern. 40 Dieses Motiv wird sogar in Videospielen wie „Silent Hill 4“ aufgegriffen, in dem
die Wohnung als Uterus dargestellt und als sicherster Platz suggeriert wird. 41 Aus Scham und
Angst vor Verachtung, suchen Eltern außerdem selten Rat bei Spezialisten oder Institutionen.
Und selbst wenn sie Hilfe suchen, wissen auch Offizielle meist nicht weiter 42 und raten zu
„waiting it out.“ 43 Einige hikikomori werden ihren Familien gegenüber aggressiv, obwohl sich
die Kommunikation teils sogar nur auf Notizzettel beschränkt. In solchen Fällen weicht die
Familie meist zurück und lässt den Betroffenen gewähren. 44 So reagieren Angehörige oft
ängstlich und unsicher, und vermeiden einen Umgang mit dem Problem. Außerdem scheint es
einigen Elternteilen als etwas zu persönliches, als Eindringen in den privaten Raum des
hikikomori, weshalb sie auf eine Intervention verzichten. Andere hingegen können die Lage
des Betroffenen nicht nachvollziehen oder fühlen sich selbst zur Isolation hingezogen 45 und
greifen daher nicht ein. Aus diesen Gründen verbirgt die Familie den hikikomori viel eher und
verlangt von ihm, sich bedeckt zu halten, damit niemand etwas von dem „Problem der
Familie“ erfährt 46 und womöglich schlecht über die Familie geredet wird. So gestehen auch
nur 0,5 Prozent aller befragten Eltern ein, dass eines ihrer Kinder unter dem hikikomori-
37
Vgl. Gebhardt, Lisette: Nach Einbruch der Dunkelheit. Zeitgenössische Japanische Literatur im
Zeichen des Prekären. Berlin: EB Verlag, 2010, S. 86.
38
Vgl. Horiguchi 2012, S. 128.
39
für weitere Informationen zu „Labeling“ siehe: Dotter, Daniel L. & Roebuck, Julian B. „The
Labeling Approach Re‐Examined: Interactionism and the Components of Deviance.” In: Deviant
Behaviour, Vol. 9, No. 1 (1988), S. 19-32.
40
Vgl. Rees 2002.
41
Vgl. Hülsmann 2011, S. 52.
42
Vgl. Dziesinski 2003, S. 11 & 24.
43
Dziesinski 2003, S. 24
44
Vgl. Rees 2002.
45
Vgl. Hirashima 2001, S. 261.
46
Vgl. Dziesinski 2003, S. 27.
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Phänomen leidet oder litt. 47 Dieses Verhalten erscheint besonders dramatisch, wenn man den
Standpunkt einnimmt, dass die Eltern die Schlüsselrolle im Leben eines hikikomori
innehaben. 48 Sie können dem eigenen Kind eine Last von den Schultern nehmen, indem sie
Druck abbauen. So könnte durch gemeinsames Lernen, gutes Zusprechen und weitergehende
Unterstützung Leistungsdruck gemindert, und dadurch einer Isolation durch Verzweiflung
vorgebeugt werden.
6 Das Phänomen als soziale Identität
Trotz der Stigmatisierung und Verleugnung durch die Familie, bekennen sich immer mehr
Menschen zu einem hikikomori-Dasein. Diese neue Gruppe eigentlich Gruppenloser wird von
jenen gebildet, welche durch die Medien auf das Phänomen aufmerksam geworden sind und
als hikikomori ihre Einstellung ausdrücken zu vermögen. Fraglich bleibt, ob „echte“ Isolierte
überhaupt fähig sind, eine Gruppendynamik zu bilden und zu organisieren, da sozialer
Kontakt, wie bereits bekannt, weitgehend vermieden wird. Jedoch scheint dieses Leben als
hikikomori zum Ausdruck der Kritik einer geforderten gesellschaftlichen Revolution
gleichzukommen. 49 Diese sich oft machtlos fühlenden Individuen versuchen auf diese Weise
das starre einheimische System zu ändern 50 und ihren Protest gegenüber dem Bildungsapparat
und den damit verbundenen Zwängen zu äußern. 51
7 Zusammenfassung und Ausblick
Abschließend wird deutlich, dass hikikomori viel mehr als eine einfach zu diagnostizierende
Krankheit ist. Einerseits liegen nur vage, sehr unterschiedliche Definitionen des Phänomens
vor, was andererseits zu einem Labeling 52 anscheinender Betroffener führt. Dies ist auf den
Umstand zurückzuführen, dass sowohl medizinische als auch soziale Faktoren derzeit in
Definitionen ihren Platz einnehmen, beziehungsweise nicht differenziert werden. Vielmehr
wird hikikomori mit sozialer Isolation gleichgesetzt, obgleich diese viele Ursachen haben
kann und sich unterschiedlich manifestiert. Durch dieses unklare Bild des hikikomori47
Vgl. Koyama 2010, S. 72.
Vgl. Horiguchi 2012, S. 129f.
49
Vgl. Dziesinski 2003, S. 29f.
50
Vgl. Zielenziger 2006, S. 269.
51
Vgl. Gebhardt 2010, S. 84.
52
Vgl. Dotter & Roebuck 1988, S. 19-32.
48
Schmitz, Dominic (2013). Das Phänomen ‘hikikomori’ – Ursachen und Reaktionen der Gesellschaft. Cologne.
Unpublished.
Phänomens leiden wahrscheinlich sogar mehr Menschen unter der Kritik der Gesellschaft, da
auch schon sehr schüchterne Personen als hikikomori gebrandmarkt werden, was
schlussendlich zu einer tatsächlichen Isolation führen kann. Diese Problematik wird weitergehend durch den Sensationsjournalismus der Medien ergänzt, welcher sich lediglich auf
Extremfälle beschränkt, welche im Nachhinein hikikomori zugeschrieben werden. 53 Eine
Lösung für diese Stereotypbildung durch Gesellschaft und Medien wäre eine objektivere
Berichterstattung, welche sich nicht nur Ausnahmefällen bedient. Vielmehr sollten alle Seiten
des Phänomens in Augenschein genommen und so eine Öffentlichkeit aufgeklärt werden,
welche zum aktuellen Zeitpunkt nur Gewaltverbrechen mit hikikomori verbindet. Diese doch
sehr utopische und auch zeitaufwendige Idee könnte durch eine differenziertere Sichtweise
beschleunigt werden. So können Isolationsfälle in sechs Kategorien unterteilt werden, von
welchen womöglich nur zwei tatsächlich für das hikikomori-Label qualifiziert sind. Sieht man
von den Gruppen derer ab, welche ihr Zuhause nicht verlassen, da sie dort gerne Zeit
verbringen oder faul sind, oder unter Anthrophobie oder Mobbing leiden, so bleiben nur die
Fälle als hikikomori zu bezeichnen, welche sich durch schwere geistige Erkrankungen
und/oder Gewalttätigkeit auszeichnen. Eine solche speziellere Definition des Phänomens
könnte dazu führen, dass die nun nichtmehr als hikikomori bezeichneten anderen Isolierten
nicht nur das Label als solche, sondern auch den Reiz oder den Grund dazu verlieren, isoliert
zu bleiben. Nun, ohne eine „sichere“ Gruppe an ihrer Seite und anhand derer sie sich
identifizieren und rechtfertigen können, 54 könnten diese sich zur Resozialisation bewegt
fühlen. Zudem könnten tatsächliche hikikomori-Fälle effektiver behandelt werden, da nur
noch wirklich Erkrankte untersucht werden. Medikamente und Therapien, die vorher bei einer
zu allgemeinen Definition auch bei eigentlich körperlich und geistig Gesunden eingesetzt
wurden, würden nun nur noch jene erreichen, welche sie benötigten. 55 Im Verlaufe der
Auseinandersetzung mit der Thematik und Problematik des hikikomori-Phänomens wurden
einige Fragen erkenntlich, welche ohne weitere Untersuchungen und Forschungen nicht
geklärt werden können. So bleibt es fraglich, ob eine differenzierte Definition zustande
kommt, ohne eine vorherige Einigung oder einen Konsens der sich gegenüberstehenden zwei
Gruppen, welche von nur medizinischen oder sozialen Ursachen ausgehen. Zudem ist es
fraglich, ob Medien tatsächlich, nach Jahren der überhöhten Berichterstattung einen Schritt
zurückgehen und ein klareres Bild darstellen werden, zumal der Höhepunkt der hikikomori„Krise“ bereits einige Jahre zurückliegt. Eine weitere Maßnahme wäre – egal ob mit oder
53
Vgl. Peil 2011, S. 183.
Vgl. Dziesinski 2003, S. 29.
55
Vgl. Dziesinski 2003, S. 38-41.
54
Schmitz, Dominic (2013). Das Phänomen ‘hikikomori’ – Ursachen und Reaktionen der Gesellschaft. Cologne.
Unpublished.
ohne einer differenzierten Definition – die bessere Ausbildung von Medizinern und
Psychologen im Zusammenhang mit dem Phänomen der hikikomori. Selbst wenn die derzeitig
wage Definition weiterhin als Messlatte bestehen bliebe, so wäre das Wissen über
verschiedene Ursachen der sozialen Isolation ein weiterer Schritt hin zur besseren Behandlung.
Betroffene würden eher verstanden und eine passendere Therapie – egal wie diese im Endeffekt geartet ist – könnte angewandt werden. Abschließend bleibt der Punkt zu erwähnen,
dass sämtliche Studien zu hikikomori insofern unvollständig bleiben, als dass das
Unternehmen isolierte Individuen zu erfassen sich schon durch die Natur der Sache selbst als
schwierig erweist und somit sowohl Diskussionen als auch Definitionen zum Teil immer auf
Theorien basieren müssen.
Schmitz, Dominic (2013). Das Phänomen ‘hikikomori’ – Ursachen und Reaktionen der Gesellschaft. Cologne.
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8 Anhang
8.1 Abbildungen
Abbildung 1
Verteilung des Alters von hikikomori-Fällen
unbekannt
14,1%
36 Jahre und älter
8,6%
10-15 Jahre
8,4%
16-20 Jahre
19,8%
31-35 Jahre
10,2%
26-30 Jahre
18,2%
21-25 Jahre
20,8%
Prozentuale Verteilung des Alters von hikikomori-Fällen in der japanischen Bevölkerung. 56
Abbildung 2
Verteilung der Dauer des hikikomori-Daseins
10 und mehr Jahre
7,7%
7-10 Jahre
5,9%
bis 1 Jahr
17,9%
5-7 Jahre
9,7%
3-5 Jahre
14,4%
1-3 Jahre
25,3%
Prozentuale Verteilung der Dauer der sozialen Isolation durch das hikikomori-Phänomen. 57
56
57
Vgl. Dziesinski 2003, S. 8f.
Vgl. Dziesinski 2003, S. 13f.
Schmitz, Dominic (2013). Das Phänomen ‘hikikomori’ – Ursachen und Reaktionen der Gesellschaft. Cologne.
Unpublished.
Abbildung 3
Verteilung untersuchter hikikomori nach
Gruppen Hilfesuchend,
Gruppe I
49
Hilfesuchend,
Gruppe II
47
Nicht-Hilfesuchende
154
Nicht-Zuordbare
36
Hilfesuchend,
Gruppe III
51
Aufteilung der untersuchten hikikomori nach den Faktoren hilfesuchend/nicht hilfesuchend
und den verschiedenen Gruppen. 58
58
Vgl. Kondo 2011, S. 2-8.
Schmitz, Dominic (2013). Das Phänomen ‘hikikomori’ – Ursachen und Reaktionen der Gesellschaft. Cologne.
Unpublished.
8.2 Literaturverzeichnis
Benedict, Ruth: Chrysantheme und Schwert: Formen der Japanischen Kultur. Frankfurt am
Main: Suhrkamp Verlag 2006, S. 46-72.
Dotter, Daniel L. & Roebuck, Julian B. „The Labeling Approach Re‐Examined:
Interactionism and the Components of Deviance.” In: Deviant Behaviour, Vol. 9,
No. 1 (1988), S. 19-32.
Furlong, Andy: „The Japanese Hikikomori Phenomenon: Acute Social Withdrawal Among
Young People.” In: The Sociological Review, Vol. 56, No. 2 (2008), S. 309-325.
Gebhardt, Lisette: Nach Einbruch der Dunkelheit. Zeitgenössische Japanische Literatur im
Zeichen des Prekären. Berlin: EB Verlag, 2010, S. 75-88.
Hirashima, Natsuko: „Psychopathology of Social Withdrawal in Japan.” In: Journal of the
Japan Medical Association, Vol. 44, No. 6 (2001), S. 260-262.
Horiguchi, Sachiko: “Coping with Hikikomori: Socially Withdrawn Youth and the Japanese
Family.” In: Ronald, Richard und Alexy, Allison (ed.): Home and Family in Japan:
Continuity and Transformation. New York: Routledge 2011, S. 216-235.
Horiguchi, Sachiko: „Hikikomori: How Private Isolation Caught the Public Eye.” In:
Goodman, Roger; Imoto, Yuki; Toivonen, Tuukka (eds.): A Sociology of Japanese
Youth: From Returnees to NEETs. New York: Routledge 2012, S. 122-135.
Hülsmann, Katharina: „Der Raum als Mutterschoß: Silent Hill 4 und das HikikomoriPhänomen.“ In: Mae, Michiko u. Elisabeth Scherer (Hg.): Japan-Pop-Revolution:
Neue Trends der Japanischen Gesellschaft Reflektiert in der Popkultur. Düsseldorf:
Düsseldorf univ. press 2011, S. 43-60.
Koyama, Asuka (et al.): „Lifetime Prevalence, Psychiatric Comorbidity and Demographic
Correlates of ‘hikikomori’ in a Community Population in Japan.” In: Psychiatry
Research, Vol. 176 (2010), S. 69-74.
Peil, Corinna: Mobilkommunikation in Japan: Zur Kulturellen Infrastruktur der HandyAneignung. Bielefeld: transcript Verlag 2011, S. 179-183.
Schmitz, Dominic (2013). Das Phänomen ‘hikikomori’ – Ursachen und Reaktionen der Gesellschaft. Cologne.
Unpublished.
Zielenziger, Michael: Shutting Out the Sun: How Japan Created Its Own Lost Generation.
New York: Vintage Books 2006, S. 262-287.
8.3 Internetquellen
Dziesinski, Michael J.: „Hikikomori: Investigations Into the Phenomenon of Acute Social
Withdrawal in Contemporary Japan.“ Honolulu, Hawaii: University of Hawai’i
Manoa 2003, S. 1-48.
http://towakudai.blogs.com/Hikikomori.Research.Survey.pdf (Stand: 09.01.2013)
Kondo, Naoji; Sakai, Motohiro (et al.): „General Condition of Hikikomori (Prolonged Social
Withdrawal) in Japan: Psychiatric Diagnosis and Outcome in Mental Health Welfare
Centres.” In: International Journal of Social Psychiatry (Online Version), 2011.
http://isp.sagepub.com/content/early/2011/11/16/0020764011423611.full.pdf+html
(Stand: 09.01.2013)
Kunze, Anne: „Angst: Einsiedler im Kinderzimmer.“ Spiegel Online, 2006.
http://www.spiegel.de/wissenschaft/mensch/angst-einsiedler-im-kinderzimmer-a430843.html (Stand: 19.02.2013)
OECD, Paris: „Quality of Life in Europe: An Illustrative Report, European Foundation for the
Improvement of Living and Working Conditions.“ Dublin; World Value Surveys
OECD, 2005.
http://www.oecd.org/std/37964677.pdf (Stand: 09.01.2013)
Rees, Phil: „Hikikomori Violence.” In: BBC News World Edition 2002.
http://news.bbc.co.uk/2/hi/programmes/correspondent/2336883.stm
(Stand: 19.02.2013)
Watts, Jonathan. „Japan's Teen Hermits Spread Fear.” In: The Observer 2002.
http://www.guardian.co.uk/Print/0,3858,4548370,00.html (Stand: 19.02.2013)