Untreue im Lichte des Landowsky

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Untreue im Lichte des Landowsky
03
2012
P.b.b.
Verlagspostamt 1010 Wien · Erscheinungsort Wien · 02Z032542M ISSN 1605-2544
109 – 176
Strafrechtskommission 2011
118
„Nicht ohne meinen Anwalt!“ oder „Informed Waiver“
RA Univ.-Prof. Dr. Richard Soyer
122
Die Arbeit im Menschenrechtsbeirat und
Probleme polizeilicher Vernehmungen
o. Univ.-Prof. Dr. Klaus Schwaighofer
126
Bemerkenswertes aus der Judikatur des OGH in Strafsachen seit 2010
Präs. des OGH Hon.-Prof. Dr. Eckart Ratz
133
Die deutsche (Banken-)Untreue im Lichte des Landowsky-Beschlusses
des Bundesverfassungsgerichts
Privatdozent Dr. Edward Schramm
141
Untreue als Vermögensgefährdungsdelikt?
RA Univ.-Prof. DDr. Peter Lewisch
148
Arbeitsweise und Struktur staatsanwaltschaftlicher Behörden
in Wirtschaftsstrafverfahren
RA Dr. Wolfgang Moringer
www.rechtsanwaelte.at
ÖSTERREICHISCHER RECHTSANWALTSKAMMERTAG, TUCHLAUBEN 12, POSTFACH 96, A-1014 WIEN, TEL 01-535 12 75, FAX 01-535 12 75/13
Editorial
Evaluierung ist angesagt –
Ein Appell an den Gesetzgeber
s sollte zu denken geben, wenn ein „Jahrhundertwerk“
wie die mit 1. 1. 2008 in Kraft getretene StPO neu innerhalb von nur drei Jahren ihrer Geltung mehr als zehn Mal
adaptiert werden musste. Zwar ist die menschliche Erkenntnis, dass „gut Ding eben Weile brauche“ für dieses Gesetz sicherlich beachtet worden, doch bleibt die angemessene Berücksichtigung der von den in der Praxis primär betroffenen
Rechtsanwendern unterbreiteten Regelungsvorschläge zu
vermissen.
Richter, Staatsanwälte, Notare und wir Rechtsanwälte
sind neben grundrechtlichen Aspekten gerade bei der Erlassung verfahrensrechtlicher Normen zur Mitwirkung berufen. Was unseren Berufsstand betrifft, obliegt dem ÖRAK
gem § 36 RAO sogar explizit die Erstattung von Gesetzesvorschlägen und die Erstellung von Gutachten zu Gesetzesentwürfen. Stellungnahmen dieser Art werden vielfach aber
nur mit allzu kurzen Fristen ermöglicht und inhaltlich oft
gar nicht oder nur unzureichend wahrgenommen. Dies
wirkt sich gerade auf das Verfahrensrecht besonders nachteilig aus.
Dass sich der Gesetzgeber mit seinem Beratungsstab oftmals gegen die von den Rechtsanwendern geäußerten Bedenken durchgesetzt hat, die sich in der Folge nicht nur vereinzelt als zutreffend erwiesen und dementsprechend auch
„Gesetzesreparaturen“ zur Folge gehabt haben, wird vielfach
mit dem oft vordergründig gebrauchten Argument des
Zwangs zur Sparsamkeit auszuräumen versucht. Gesetzesänderungen wesentlich auch damit zu begründen, kommt zwar
bei gegebener Budgetknappheit gerade in der öffentlichen
Wahrnehmung besonders an, verkennt dabei aber die zweifelsfrei vorrangige Bedeutung rechtsstaatlicher Erfordernisse zur Sicherung der Bürgerrechte und nicht zuletzt auch
des Wirtschaftsstandortes Österreich.
So hat es den Zugang zum Recht keineswegs gefördert
und einen Einsparungs- oder Beschleunigungseffekt schon
gar nicht gebracht, als der Gesetzgeber mit vermeidbaren
Zwischenschritten die Zentrale Staatsanwaltschaft zur
Verfolgung von Wirtschaftsstrafsachen und Korruption
(WKStA) in seiner heutigen Form eingerichtet hat. Zur Gewährleistung eines bestmöglich funktionierenden Rechtsstaates mit gelebter Bürgernähe wäre es angebracht gewesen,
den in Strafprozessen agierenden Rechtsanwendern, nämlich den Richtern, Staatsanwälten und Rechtsanwälten von
vornherein mehr Beachtung ihrer Einwände und Bedenken
zu schenken. Dies hätte manche Novellierung erspart –
Nachwirkungen, die ihrerseits entbehrliche Kosten verursacht und damit gerade keinen Spareffekt gezeitigt haben.
Die Rechtsanwaltschaft verkennt selbstverständlich nicht,
dass kriminelle Entwicklungen auch qualifizierte Antworten
erfordern, wozu sich aber vorteilhaftere Wege zeigen, als sie
derzeit beschritten werden. Für ein geordnetes rechtsstaatliches Verfahren bleibt der Sachverständigenbeweis auch mit
E
Österreichisches Anwaltsblatt 2012/03
RA Dr. Josef
Weixelbaum
der WKStA unverzichtbar, die aufgrund ihrer aktuellen Ausstattung mit vielfach jungen, unerfahrenen, zu wenigen und
häufig wechselnden Staatsanwälten und unzureichender
Technik derzeit ohnehin keine weit überdurchschnittliche
Wirtschaftskompetenz beanspruchen kann. Die für eine derartige Sonderbehörde unabdingbar vorauszusetzenden Ressourcen wären vor ihrer gesetzlichen Implementierung sicherzustellen gewesen. Auch die geübte Praxis, bei grundsätzlicher Zuständigkeit der WKStA, die Anklagevertretung
einer Strafsache etwa mangels öffentlichen Interesses dann
ohnehin wieder den Staatsanwälten vor Ort zu überlassen,
zeigt die eingeschränkte Notwendigkeit einer solchen Sonderbehörde an einem zentralen, oft bürgerfernen Ort. Die
Anwaltschaft fordert zur Gewährleistung gelebter Bürgernähe schon seit langem Kompetenzzentren, die es auf dem
Gebiet der Wirtschaftsstrafsachen und Korruption durchaus
geben soll und auch muss, bei den einzelnen Gerichtshöfen
erster Instanz einzurichten.
Die Strafrechtskommission, die im Rahmen der ÖRAKArbeitsgruppe Strafrecht im Dezember 2011 nun bereits
zum 5. Mal zusammentrat, hat sich besonders mit der Evaluierung der Strafprozessordnung befasst. Sie finden eine
Reihe der anlässlich der Strafrechtskommission gehaltenen
Vorträge in dieser Ausgabe des Anwaltsblattes.
Im Sinn eines Einsparungs- oder Beschleunigungseffekts
war es auch nicht zweckentsprechend, als im Bereich des Zivilprozessrechtes die sog „verhandlungsfreie Zeit“ gegen den
nachhaltigen Protest der Rechtsanwender abgeschafft worden ist und zwar bei gleichzeitiger Beseitigung maßgeblicher
Fristhemmungen. Dass der Gesetzgeber ursprünglich eine
solche „verhandlungsfreie Zeit“ vorgesehen hat, geschah
mit Bedacht in der Erkenntnis, dass jeder Mensch Erholung
und Planungssicherheit benötigt. Ohne zu bedenken, dass
sich solche Phasen der „Verfahrensruhe“ auch zur Aufarbeitung von Rückständen anbietet, wurde mit der Abschaffung
der „verhandlungsfreien Zeit“ genau das Gegenteil des angeblich angestrebten Einsparungs- und Beschleunigungseffektes erzielt. Resultat war ein überbordender Vertagungsaufwand, der alles andere als Zeit und Kosten gespart hat.
Verunsicherungen und vermeidbare Belastungen sind die
Folge dieser Gesetzesänderung gewesen und zwar sowohl
für die Rechtsbetroffenen als auch die Rechtsanwender. Auch
die vielfach und lange kritisierten Kopierkosten in einer
enormen Höhe haben den Bürger mehr auf Distanz zum
Recht gehalten, als zur Zugangserleichterung beigetragen.
Diese Kritik wird nicht um ihrer selbst Willen angebracht,
sondern ausschließlich in der Hoffnung, dass verfahrensrechtliche Hürden für die rechtsuchende Bevölkerung und
ihre Vertreter beseitigt werden. Es würde dem Gesetzgeber
nur zur Ehre gereichen, erkannte Irrwege wiederum zu verlassen und zwar ausschließlich im Interesse der rechtsuchenden Bevölkerung.
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Inhalt
Autoren dieses Heftes:
RA Dr. Manfred Ainedter, Wien
Mag. Sarah Baier, ÖRAK Büro Brüssel
RA Dr. Johannes Barbist, Innsbruck
RA Mag. Gerold Beneder, Wien
Mag. Manuela Bruckner, ÖRAK
RA Mag. Franz Galla, Wien
RA Dr. Markus Heidinger, Wien
RAA Mag. Jakob E. Hütthaler, Wien
RA Dr. Ruth Hütthaler-Brandauer, Wien
RA Dr. Eduard Klingsbigl, Wien
RA Univ.-Prof. DDr. Peter Lewisch, Wien
RA Dr. Wolfgang Moringer, Linz
Hon.-Prof. Dr. Eckart Ratz, OGH, Wien
RA Dr. Ullrich Saurer, Graz
Privatdozent Dr. Edward Schramm, Tübingen
Univ.-Prof. Dr. Klaus Schwaighofer, Innsbruck
RA Univ.-Prof. Dr. Richard Soyer, Wien
Univ.-Lektor Dr. Franz Philipp Sutter, Wien
Mag. Silvia Tsorlinis, ÖRAK
RA Dr. Josef Weixelbaum, Linz
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Medieninhaber und Verleger: MANZ’sche Verlags- und Universitätsbuchhandlung GmbH. Unternehmensgegenstand: Verlag von Büchern und Zeitschriften. Sitz der Gesellschaft: A-1014 Wien, Kohlmarkt 16. FN 124 181 w,
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für das Standesrecht der Rechtsanwaltschaft, zugleich Organ des
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RA Univ.-Prof. Dr. Richard Soyer
„Nicht ohne meinen Anwalt!“ oder „Informed Waiver“
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Probleme polizeilicher Vernehmungen
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Präsident des OGH Hon.-Prof. Dr. Eckart Ratz
Bemerkenswertes aus der Judikatur des OGH in Strafsachen seit 2010
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Die deutsche (Banken-)Untreue im Lichte des Landowsky-Beschlusses
des Bundesverfassungsgerichts
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Untreue als Vermögensgefährdungsdelikt?
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Arbeitsweise und Struktur staatsanwaltschaftlicher Behörden
in Wirtschaftsstrafverfahren
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Europa aktuell
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Chronik
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Rechtsprechung
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Indexzahlen
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Österreichisches Anwaltsblatt 2012/03
Strafrechtskommission 2011
Die deutsche (Banken-)Untreue
im Lichte des Landowsky-Beschlusses
des Bundesverfassungsgerichts
Von Privatdozent Dr. Edward Schramm, Tübingen. Der Autor ist Privatdozent an der Universität Tübingen. Er hat bei
Theodor Lenckner über Einwilligungsprobleme beim deutschen Untreuetatbestand promoviert („Untreue und Konsens“, 2005). Seine Habilitation bei Kristian Kühl beschäftigt sich mit dem Thema „Ehe und Familie im Strafrecht“
(2011). Er ist Autor eines Lehrbuchs zum Internationalen Strafrecht (2011) und Verfasser des Artikels über die Untreue
im 2012 erscheinenden Handbuchs von Momsen/Grützner, Wirtschafts- und Steuerstrafrecht, ein Handbuch für die
Unternehmens- und Anwaltspraxis des Anwaltsstrafrechts. Schramm besitzt die Lehrbefugnis für Strafrecht, Strafprozessrecht, Wirtschaftsstrafrecht, Europäisches und Internationales Strafrecht.
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Die Bankenuntreue ist ein aktueller und (kriminal-)politisch besonders brisanter Anwendungsbereich derjenigen
Strafvorschrift, die im deutschen (dStGB) und österreichischen StGB (öStGB) die Bezeichnung „Untreue“ trägt.
Am Beginn dieses Beitrags steht zunächst (I.) ein kleiner Rechtsvergleich zwischen der deutschen Untreue in
§ 266 dStGB und ihres österreichischen Pendants in § 153 öStGB. Sodann wird (II.) auf die äußerst bedeutsame
und viel diskutierte, wenngleich noch relativ junge Grundsatzentscheidung des BVerfG zur Untreue, den sog
Landowsky-Beschluss,1) eingegangen. Die durch die Verfassungsbeschwerde angefochtenen Entscheidungen
und ihre verfassungsrechtliche Bewertung werden im Anschluss daran (III.) erläutert und gewürdigt. Mit einer
Zusammenfassung der wichtigsten Aussagen (IV.) endet der Beitrag.
I. Ein kleiner Rechtsvergleich
Da nicht davon ausgegangen werden kann, dass allen
Lesern die Struktur des deutschen Untreuetatbestands
geläufig ist, möchte ich mit einem kurzen Rechtsvergleich zwischen dem deutschen § 266 dStGB und
dem österreichischen § 153 dStGB öStGB beginnen.
§ 153 öStGB und § 266 dStGB stimmen insoweit
überein, als beide Strafvorschriften einen Missbrauchstatbestand enthalten. Allerdings weist § 266 dStGB
darüber hinaus einen Treubruchstatbestand auf. Der
maßgebliche Abs 1 des § 266 dStGB lautet: Wer die
ihm durch Gesetz, behördlichen Auftrag oder Rechtsgeschäft
eingeräumte Befugnis, über fremdes Vermögen zu verfügen
oder einen anderen zu verpflichten, missbraucht (1. Alt des
§ 266 Abs 1 dStGB; Missbrauchstatbestand) oder die
ihm kraft Gesetzes, behördlichen Auftrags, Rechtsgeschäfts
oder eines Treueverhältnisses obliegende Pflicht, fremde Vermögensinteressen wahrzunehmen, verletzt (2. Alt des
§ 266 Abs 1 dStGB; Treubruchstatbestand) und dadurch
dem, dessen Vermögensinteressen er zu betreuen hat, Nachteil zufügt (gemeinsames Merkmal beider Untreuetatbestände), wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder
mit Geldstrafe bestraft. Abs 2 des § 266 dStGB enthält
Regelungen zum Strafantragserfordernis bei der Hausund Familienuntreue sowie bei geringem Schaden und
erklärt die Regelungen zu den besonders schweren Fällen des Betrugs für entsprechend anwendbar auf die
Untreue.
Im deutschen StGB ist die 1. Alt des § 266 Abs 1
dStGB, der Missbrauchstatbestand, sehr eng umgrenzt
Österreichisches Anwaltsblatt 2012/03
und umfasst nur solche Handlungen, mit denen rechtswirksam über fremdes Vermögen verfügt oder jemand
rechtswirksam verpflichtet wird, der Täter aber dabei
gegen seine Bindungen im Innenverhältnis verstößt.2)
Der österreichische Untreuetatbestand sieht auf den
ersten Blick ganz ähnlich aus, wird aber – soweit ich
dies als nichtösterreichischer „Strafrechtler“ zu beurteilen vermag – offenbar „ein wenig“ extensiver interpretiert. Denn unter den Missbrauch der Vertretungsoder Verpflichtungsbefugnis lässt man in Österreich
nicht nur die einzelne rechtswirksame Verfügung oder
Verpflichtung, mithin nicht nur den einzelnen Geschäftsverwaltungsakt, sondern die ganze missbräuchliche Geschäftsführertätigkeit fallen, sofern sie mit einer
Rechtshandlung verbunden ist.3) So stellt es etwa einen
Missbrauch dar, wenn jemand Provisionen, Schmiergelder und andere Zuwendungen von einem Geschäftspartner des Auftraggebers erhält, ohne dass dieser da1) Der Vortragsstil des Beitrags wurde weitgehend beibehalten.
BVerfGE 126, 170 (NJW 2010, 3209 = NStZ 2010, 626) mit Anm
bzw Bspr Beckemper, ZJS 2011, 88; Becker, HRRS 2010, 383; Benthin, KritV 2010, 288; Böse, Jura 2011, 617; Corsten, StraFo 2011, 69;
Dietrich, NJ 2011, 81; S. Frisch, EWiR 2010, 657; Herzberg, ZIS 2011,
444; Kraatz, JR 2011, 434; Krüger, NStZ 2011, 369 und ZIS 2011,
692; Kuhlen, JR 2011, 246; Leplow, wistra 2010, 475; Michalke,
StV 2011, 245; Safferling, NStZ 2011, 376; Saliger, NJW 2010,
3195 und ZIS 2011, 902; Schlösser/Mosiek, HRRS 2010, 424;
Schünemann, StraFo 2010, 477; Radtke, GmbHR 2010, 1121;
Wessing, EWiR 2010, 797; Wittig, ZIS 2011, 660.
2) BGHSt 50, 341; Perron in Schönke/Schröder28 (2010) § 266 Rn 14 ff.
3) Liebscher in Wiener Kommentar zum StGB, WK-StGB1 § 153 StGB
Rn 2.
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von weiß oder damit einverstanden war. Bereits das Unterlassen der Pflicht, die erlangten Vorteile herauszugeben, fällt demnach unter den Missbrauchstatbestand.4)
Dies hängt zusammen mit der strengen Anbindung
des Missbrauchs an die Bestimmungen zum Bevollmächtigungsvertrag im Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuch Österreichs (§§ 1002 ff ABGB), wonach der
Gewalthaber verpflichtet ist, das versprochene Geschäft emsig und redlich zu besorgen und allen aus
dem Geschäft entspringenden Nutzen dem Machtgeber zu überlassen.5) In Deutschland dagegen fällt der
bloße Verstoß gegen die Pflicht des Geschäftsführers,
das aus der Geschäftsbesorgung Erlangte an den Geschäftsherrn herauszugeben, als Verletzung einer bloßen Schuldnerpflicht nicht unter den Treubruchstatbestand.6) Allerdings hat Österreich nach der Kritik an
der tatbestandsausdehnenden Rechtsprechung die Geschenkannahme durch einen sog Machthaber inzwischen in einem eigenen Straftatbestand, dem § 153 a
öStGB geregelt und damit gesetzlich aus dem § 153
öStGB ausgelagert.7)
Der deutsche (und schweizerische) Treubruchstatbestand erfasst allgemein die Verletzung der Verpflichtung zur Wahrnehmung fremder Vermögensinteressen.
Damit sind alle rechtlichen, aber auch tatsächlichen
Handlungen gemeint, die ein Täter mit einer besonderen Eigenschaft, nämlich einer Vermögensbetreuungspflicht, begeht, sei es durch aktives Tun, sei es durch
Unterlassen. Wenn also bspw ein leitender Angestellter
eines Unternehmens unter Verstoß gegen das Verbot
des Insichgeschäfts Firmengelder auf sein privates
Konto ins Ausland überweist, ist dies zwar keine wirksame Verfügung und damit keine Missbrauchsuntreue;
es fällt aber unter den Treubruchstatbestand. Allerdings
genügt hierfür nicht jede vertragliche Pflichtverletzung.
Die Untreue ist vielmehr ein Sonderdelikt, das täterschaftlich nur von einem Treupflichtigen begangen
werden kann. Diesen Status als sog Treunehmer nimmt
derjenige ein, für den der Schutz des fremden Vermögens die Hauptpflicht ist. Der Täter muss darüber hinaus Raum für eigenverantwortliche Entscheidungen
haben und in einem Rechtsverhältnis stehen, das in erster Linie fremdnützig sein, dh dem Nutzen des Treugebers dienen muss.8)
Die österreichische Untreue weist darüber hinaus im
subjektiven Tatbestand die Besonderheit auf, dass für
das zentrale Tatbestandsmerkmal des Missbrauchs der
Verpflichtungs- oder Verfügungsbefugnis die Vorsatzform der Wissentlichkeit verlangt wird – für die Schädigung genügt dolus eventualis –,9) während für die
deutsche Missbrauchs- wie Treubruchsuntreue bezüglich aller objektiven Unrechtsvoraussetzungen ein dolus
eventualis ausreicht.10) Und: In Österreich ist der Versuch der Untreue aufgrund der allgemeinen Vorgabe
in § 15 öStGB strafbar,11) im Unterschied zu Deutschland, wo die Untreue ein Vergehen iSd § 12 Abs 1
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dStGB ist, also mangels Verbrechenscharakter nicht
per se als Versuch strafbar ist, die Versuchsstrafbarkeit
also gem § 23 Abs 1 dStGB besonders angeordnet sein
müsste, wozu sich der Gesetzgeber bislang – und zu
Recht – nicht hat durchringen können.12)
In den Fallkonstellationen der Bankenuntreue geht
es freilich im Regelfall auch im Rahmen des § 266
dStGB um Fälle des Missbrauchs einer Vertretungsmacht und nicht um solche der Treubruchsuntreue. Insofern wären die Grundaussagen, die im deutschen
Strafrecht für die Fälle der Bankenuntreue getroffen
werden, prinzipiell auf die strafrechtliche Bewertung
auf der Grundlage des österreichischen Untreuetatbestands übertragbar.
II. Der Landowsky-Beschluss
des BVerfG
Der Straftatbestand der Untreue hat in dem sog
Landowsky-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
(BVerfG) vom 26. 6. 201013) eine restriktive, dh einengende Interpretation erfahren. Gegenstand dieser Entscheidung sind zum einen drei Verurteilungen wegen
Untreue, gegen die Verfassungsbeschwerde wegen Verstoßes gegen das Gesetzlichkeitsprinzip (Art 103 Abs 2
des Grundgesetzes) eingelegt wurden. Die E des
BVerfG ist zum anderen aber auch eine Grundsatzentscheidung, fürwahr ein „leading case“ und insb in zweierlei Hinsicht wegweisend: Zum einen trifft das
BVerfG allgemeine Aussagen zur Auslegung des § 266
dStGB. Zum anderen erhöht das BVerfG die verfassungsrechtliche Kontrolldichte bei strafgerichtlichen
Urteilen: Die Auslegung von Straftatbeständen durch
die Fachgerichte wird einer stärkeren, weit über eine
bloße Vertretbarkeitsprüfung hinausgehenden verfassungsrechtlichen Kontrolle unterworfen. Ich möchte
Ihnen zunächst die sechs allgemeinen Kernaussagen
des Urteils zu § 266 dStGB vermitteln14) und dann die
methodischen Aussagen des BVerfG skizzieren.
4) Vgl die Rechtsprechungsnachweise bei Bertel/Schweighofer, Österreichisches Strafrecht, BT-110 (2008) § 153 Rn 10.
5) Liebscher in WK-StGB § 153 Rn 16.
6) BGHSt 31, 307; BGHSt 46, 310; BGH NJW 1991, 1069; Saliger in
Satzger/Schmitt/Widmaier, StGB1 (2009) § 266 Rn 39.
7) Pfeifer in Triffterer, StGB-Kommentar, 14. Lfg (Nov 2006) § 153
Rn 1.
8) BVerfGE 126, 170 Rn 109; Lackner/Kühl, StGB27 (2010) § 266 Rn 11.
9) Bertel/Schweighofer, BT-1, § 153 Rn 14.
10) BGH NJW 1975, 1234; Dierlamm, Münchener Kommentar zum
StGB1 (2008) Rn 238 ff.
11) Pfeifer in Triffterer § 153 Rn 48.
12) Grundlegend zu dieser Problematik Matt/Saliger, Irrwege der Strafgesetzgebung (1999) 217 ff; ähnlich ablehnend Schramm, Untreue
und Konsens (2005) 25.
13) BVerfGE 126, 170 (NJW 2010, 3209; NStZ 2010, 626).
14) Becker spricht vom „allgemeinen Teil“ des Beschlusses; vgl Becker,
HRRS 2010, 388.
Die deutsche (Banken-)Untreue im Lichte des Landowsky-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts
Autor: Von Privatdozent Dr. Edward Schramm, Tübingen
Österreichisches Anwaltsblatt 2012/03
Strafrechtskommission 2011
1. Die Kernaussagen zu § 266 dStGB
In seinem Beschluss hat der 2. Senat des BVerfG zentrale Aussagen zur Verfassungskonformität und Auslegung des § 266 dStGB getroffen. Sie werden die rechtswissenschaftliche Diskussion und va die Rechtspraxis in
den nächsten Jahren maßgeblich beeinflussen.15) „Der
Beschluss stellt“, wie es Saliger auf den Punkt bringt,
„die verfassungsgerichtliche Kontrolle der Auslegung
von Strafgesetzen auf eine spektakuläre neue Grundlage und ist damit von höchster Relevanz für Theorie
und Praxis.“16) Die sechs Kernaussagen der E lauten:
a) Trotz der weit gefassten und verhältnismäßig unscharfen Strafvorschrift mit hoher Auslegungsfähigkeit
und -bedürftigkeit sei der Rsp in langjähriger Praxis
eine konkretisierende Auslegung der Norm gelungen. Diese Auslegung habe sich aufgrund ihrer tatbestandsbegrenzenden Funktion als tragfähig und vereinbar mit dem Gesetzlichkeitsprinzip erwiesen.17) Die
Norm sei daher „noch“ mit dem Bestimmtheitsgebot
vereinbar und deshalb verfassungsgemäß.
b) So lasse sich der Täterkreis der Norm – der Treupflichtige – anhand der von der Rsp entwickelten
Gesamtbetrachtung in geeigneter Weise begrenzen.18)
Das BVerfG bestätigt dabei die herrschende Auslegungspraxis, wonach es sich um ein fremdnützig typisiertes Rechtsverhältnis handeln muss, das dem Verpflichteten einen gewissen Entscheidungsspielraum
(„die Möglichkeit zur verantwortlichen Entscheidung
innerhalb eines gewissen Ermessensspielraums“) belässt.19)
c) Auch die Pflichtwidrigkeit des Täterverhaltens
sei von der Rsp anhand „fallgruppenspezifischer
Obersätze“20) hinreichend konkretisiert worden, etwa
in den Entscheidungen des BGH zum Sponsoring,
zur Kreditvergabe oder zu Anerkennungsprämien in
Aktiengesellschaften.
d) Zudem müsse die Pflichtverletzung gravierend
sein, wobei gravierend offenbar vom BVerfG als synonym zu „evident“ verstanden wird.21) „Die Anwendung
des Untreuetatbestands“ sei „auf Fälle klarer und deutlicher (evidenter) Fälle pflichtwidrigen Handelns zu beschränken.“22) „Gravierende Pflichtverletzungen“ würden sich „nur dann werden bejahen lassen, wenn die
Pflichtverletzung evident ist“.23)
e) In Übernahme der Untreuedogmatik von Saliger
hebt das BVerfG hervor, dass der Vermögensschaden
neben dem Pflichtwidrigkeitsmerkmal eine eigenständige Bedeutung besitze, weshalb er nicht mit dem
Pflichtwidrigkeitsmerkmal „verschliffen“ werden dürfe.
„Im Falle des Nachteilsmerkmals muss die Auslegung
den gesetzgeberischen Willen beachten, dieses Merkmal als selbständiges neben dem der Pflichtverletzung
zu statuieren; sie darf daher dieses Tatbestandsmerkmal
nicht mit dem Pflichtwidrigkeitsmerkmal verschleifen,
dh, es in diesem Merkmal aufgehen lassen.“24)
Österreichisches Anwaltsblatt 2012/03
f) Zudem müsse der Vermögensschaden auch bei
schadensgleichen Vermögensgefährdungen (notfalls
mit Hilfe von Sachverständigen) der Höhe nach beziffert werden, und dessen Feststellung im Urteil nachvollziehbar dargelegt werden. Sind in der wirtschaftlichen Praxis geeignete Methoden zur Bewertung von
Vermögenspositionen entwickelt worden, seien diese
bei der Schadensfeststellung zugrunde zu legen.25) Bei
Zweifelsfällen sei ein Mindestschaden im Wege der
Schätzung zu ermitteln.
2. Zur Methodik der Auslegung von Strafgesetzen
Bemerkenswert und insofern fast schon „revolutionär“
sind die Anforderungen, die das BVerfG an die Strafgerichte bei der Auslegung von Straftatbeständen im Allgemeinen, also nicht nur bezogen auf § 266 dStGB,
stellt.26) So wurde 1. ein allgemeines „Verschleifungsoder Entgrenzungsverbot“ betont, dh Tatbestandsmerkmale dürfen nicht so weit ausgelegt werden, dass
sie vollständig in anderen Tatbestandsmerkmalen aufgehen.27) Sodann stellt das BVerfG 2. ein Gebot restriktiver Auslegung auf, wenn ein Verhalten zwar
vom Wortlaut der Norm erfasst werden könnte, bei
methodengerechter Interpretation (etwa aufgrund
rechtsgutsbezogener Betrachtung) aber nicht strafbewehrt ist.28) 3. Bei weit gefassten Tatbeständen bestehe
auch ein allgemeines „Rechtsunsicherheitsminimierungsgebot“ (Saliger), dh bestehende Unsicherheiten
dürften nicht durch fernliegende oder konturenlose Interpretationen ausgedehnt werden, und schließlich 4.
ein allgemeines Präzisierungsgebot, wonach bei weiten und unscharfen Tatbeständen die Gerichte die
Norm zu präzisieren und zu konkretisieren hätten. Zusätzlich zu dieser größeren Prüfungsbreite tritt nun
auch eine größere Prüfungstiefe.29) Das BVerfG überprüft künftig auch, ob die in der Rsp bislang entwickelten Obersätze richtig angewandt und richtig fortentwickelt wurden.
Alles spricht dafür, dass das BVerfG mit diesem spektakulären und so nicht erwarteten Beschluss ein neues
Kapitel in der wechselhaften Geschichte der Untreue15)
16)
17)
18)
19)
20)
21)
22)
23)
24)
25)
26)
27)
28)
29)
Böse, Jura 2011, 617, 623.
Saliger, NJW 2010, 3195, 3198.
BVerfGE 126, 170 Rn 89, 91, 105.
BVerfGE 126, 170 Rn 106 – 109.
BVerfGE 126, 170 Rn 104.
BVerfGE 126, 170 Rn 112.
BVerfGE 126, 170 Rn 110 f.
BVerfGE 126, 170 Rn 111.
BVerfGE 126, 170 Rn 112.
BVerfGE 126, 170 Rn 113.
BVerfGE 126, 170 Rn 112 f.
Vgl nur Saliger, NJW 2010, 3195.
BVerfGE 126, 170 Rn 79.
BVerfGE 126, 170 Rn 79.
Saliger, NJW 2010, 3195, 3196.
Die deutsche (Banken-)Untreue im Lichte des Landowsky-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts
Autor: Von Privatdozent Dr. Edward Schramm, Tübingen
135
Strafrechtskommission 2011
vorschrift30) aufgeschlagen hat. Doch lässt das Urteil
auch manche Fragen offen, so etwa nach der Gefahr,
dass das BVerfG sich doch zu einer „Superrevisionsinstanz“ entwickeln könnte. Besonders dringlich ist die
Frage nach dem verfassungsrechtlichen Rückwirkungsverbot,31) wenn ein Strafgericht im Wege der Rechtsfortbildung von einem bisherigen Obersatz abweichen
und § 266 dStGB auf eine Fallkonstellation anwenden
möchte, bei der bislang § 266 dStGB verneint wurde.
Es müsste dann geklärt werden, ob dieser Rechtsprechungswandel vorab und „aufschiebend befristet“ in einem angemessen langen Zeitraum vorher angekündigt
werden muss, damit er überhaupt eine verhaltensdeterminierende und damit strafbarkeitslegitimierende Wirkung entfalten kann. Erst bei einer entsprechenden
„Vorlaufzeit“ müsste der angekündigte Wandel konsequenterweise in späteren Entscheidungen umgesetzt
werden können. Nur so könnte dem Handelnden
(und seinen Rechtsberatern) die Vorhersehbarkeit der
Strafbarkeit ermöglicht werden, die auch und gerade
mit dem Bestimmtheitsgrundsatz bezweckt wird.
Es wäre daher mE gewinnbringender gewesen, wenn
das BVerfG die Konkretisierung der strafbewehrten
Treuepflichten und der Formen ihrer Verletzung nicht
der Rsp überlassen hätte, sondern vielmehr einen Appell an den Gesetzgeber gerichtet hätte, den § 266
dStGB in einer umfassenden und gründlichen Reform
zu präzisieren und einzuschränken sowie gegebenenfalls Sondertatbestände der Untreue für bestimmte Berufsgruppen zu schaffen.
III. Die angegriffenen Urteile
Im zweiten Teil seines Beschlusses wendet nun das
BVerfG die von ihm entwickelten allgemeinen Grundsätze zur Auslegung von Straftatbeständen im Allgemeinen und zur Untreue im Besonderen auf die drei
Fälle an, die Gegenstand der Verfassungsbeschwerden
waren. Zwei der drei Verfassungsbeschwerden bleiben
erfolglos, nur die dritte Beschwerde wird vom BVerfG
als begründet angesehen. Der Beschluss wird häufig
auch mit dem Namen „Landowsky“-Beschluss oder
„Landowsky“-Entscheidung des BVerfG belegt, mithin
mit dem Namen desjenigen der drei Beschwerdeführer,
der als einziger vor dem BVerfG Erfolg hatte.
Werfen wir zunächst einen Blick auf die drei Fälle,
über die das BVerfG zu befinden hatte – ein Korruptionsfall, ein Fall der Gewährung überhöhter Provisionen und ein Fall hochriskanter Kreditvergabe (und damit der Bankenuntreue).
1. Fall: „Siemens/Enel“ (BGHSt 52, 323)
Der erste Fall ist ein Schmiergeldfall, der den deutschen
Konzern Siemens (S-AG) und das italienische Energieunternehmen Enelpower betraf.32) Im Bereich des Ener-
136
gieindustriezweigs Power Generation (PG) der Siemens-AG existierte über Jahrzehnte ein System der
Zahlung von Bestechungsgeldern. Die Bestechungsgelder waren auf diversen Konten im Ausland geparkt; sie
tauchten in der offiziellen Bilanz des Unternehmens
nicht auf. K war der Bereichsvorstand der PG und kaufmännischer Leiter des Gasturbinengeschäfts. K hatte –
neben weiteren, wenigen Personen der PG-Abteilung –
Zugriff auf diese Konten, die von seinem Vorgänger V
in den Jahren 1980 – 1995 angelegt und von K, als ihm
der Posten 1995 übertragen wurde, nur übernommen
wurden. Als in Italien von dem italienischen Energiekonzern Enelpower zwei große Gasturbinenprojekte
ausgeschrieben wurden, erhielt die S-AG nur deshalb
den Auftrag, weil sie an einen Manager der Enelpower
6 Mio Euro Schmiergelder gezahlt hatte, die dieser
von der S-AG als Gegenleistung für die Auftragserteilung gefordert hatte. K stimmte der Zahlung dieser
Summen zu. Aus beiden Aufträgen erwirtschaftete die
S-AG einen Gewinn von 104 Mio Euro. Eine Bestrafung des K wegen Bestechung nach § 334 dStGB scheiterte daran, dass der Manager der Enelpower nach dem
Gesetz über die internationale Bestechung nicht als
Amtsträger angesehen werden konnte.33) Daher konnte
in diesem Fall dem kriminalpolitischen Strafbedürfnis –
und dies ist meines Erachtens der springende Punkt dieser E – höchstens dadurch Rechnung getragen werden,
dass man auf die Untreue, quasi den wirtschaftsstrafrechtlichen Auffangtatbestand zurückgreift, wenn, flapsig formuliert, „nichts anderes mehr geht“. Denn ‚die
Untreue geht immer‘.
Die zwei wesentlichen Problempunkte dieses Urteils
waren die Pflichtwidrigkeit des Täterverhaltens sowie
die Frage des Vermögensschadens.
a) Zur Pflichtwidrigkeit
Der BGH erblickte in der Aufrechterhaltung der
Schwarzgeldkonten im Ausland eine Untreue in Gestalt
einer Treubruchsuntreue durch Unterlassen. K hätte
diese Konten gegenüber seinem Arbeitgeber offenbaren müssen. Hierzu führt der BGH aus, dass K es unterließ, die von ihm vorgefundenen, auf verdeckten,
nicht unter dem Namen der Treugeberin geführten
Konten verborgenen Geldmittel seiner Arbeitgeberin
zu offenbaren, indem er sie als Aktiva in die Buchführung einstellen ließ und so den Anforderungen der Bilanzwahrheit genügte. Eine wirksame Einwilligung in
Form eines tatbestandsausschließenden Einverständ30) Zur Geschichte des § 266 StGB vgl etwa Kindhäuser, NK-StGB3
(2010) Rn 4 ff und Schünemann in Leipziger Kommentar zum StGB11
(2005) Entstehungsgeschichte.
31) Diesen Gesichtspunkt hat Holger Matt in der anschließenden Diskussion an meinen Vortrag hervorgehoben.
32) BGHSt 52, 323.
33) BGHSt 52, 353 Rn 63.
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nisses lag nicht vor. Der Zentralvorstand hat vielmehr
durch die konzerninternen Compliance-Regelungen
solche Bestechungszahlungen ausdrücklich verboten.
Eine Billigung durch den Aufsichtsrat oder durch die
Hauptversammlung der S-AG lag gleichfalls nicht vor
bzw konnte nicht nachgewiesen werden.
b) Zum Vermögensschaden
Nach Ansicht des BGH hat K der Treugeberin S-AG
einen Vermögensschaden dergestalt zugefügt, dass er
die Vermögensteile seiner Arbeitgeberin endgültig entzogen habe. Sie habe darauf keinen Zugriff nehmen
können.
(1) Verfolgung der Interessen der S-AG: Keine entscheidende Bedeutung wies der BGH der Absicht zu,
die Gelder später im Interesse der Treugeberin einzusetzen. Dabei sei normativ insb zu berücksichtigen, dass
der anvisierte Vorteil nur durch einen seinerseits gesetzes- oder sittenwidrigen, möglicherweise auch strafbaren Einsatz der Mittel erzielt werden könne.
(2) Frage der Schadenskompensation: Kein Nachteil
liegt vor, wenn die Tathandlung selbst zugleich einen
den Verlust aufwiegenden Vermögenszuwachs begründet. Die Aussicht, mit den Geldern einen möglicherweise im Ergebnis wirtschaftlich vorteilhaften Vertrag
abschließen zu können, sei, so der BGH, kein zur Kompensation geeigneter gegenwärtiger Vermögensvorteil.
Darüber hinaus werde durch die schwarze Kasse die
Dispositionsfreiheit der S-AG erheblich beeinträchtigt.
(3) Vermögensgefährdung oder Vermögensverlust?
Zu klären ist, in welcher Art und Weise das Führen einer solchen „schwarzen“ oder „verdeckten Kasse“ einen Vermögensschaden darstellt.
In seiner Kanther-E (BGHSt 51, 100) hatte der
2. Strafsenat des BGH die Existenz einer schwarzen
Kasse tendenziell eher als bloße schadensgleiche Vermögensgefährdung eingestuft. Im Siemens-Urteil hatte
der gleiche 2. Strafsenat des BGH dagegen die dauerhafte Entziehung der Verfügungsmöglichkeit über die
veruntreuten Vermögensteile für den Treugeber nicht
bloß als eine („schadensgleiche“) Gefährdung des Bestands seines Vermögens, sondern als endgültigen Vermögensverlust eingestuft. Die Verwendung der entzogenen und auf verdeckten Konten geführten Geldmittel sei nur eine Schadensvertiefung; das Erlangen
von durch spätere Geschäfte letztlich erzielten Vermögensvorteilen durch den Treugeber sei dagegen nichts
anderes als eine Rückführung der entzogenen Mittel,
allenfalls eine Schadenswiedergutmachung. Soweit der
2. Strafsenat des BGH in BGHSt 51, 100, 113 f das
„bloße“ Führen einer verdeckten Kasse nur als schadensgleiche Vermögensgefährdung angesehen hat,
halte er hieran nicht fest.
Das BVerfG bezweifelte nicht die Verfassungskonformität der BGH-E. Der Täter habe sich endgültig
Österreichisches Anwaltsblatt 2012/03
und dauerhaft gegen die Offenlegung der schwarzen
Kassen entschieden. Zudem hätten die Konten, mit denen die schwarzen Kassen geführt wurden, nicht auf
den Namen der S-AG, sondern auf denjenigen anderer
Namen und Stiftungen gelautet, weshalb es Siemens
auch nicht möglich gewesen sei, seinen Anspruch auf
Auszahlung geltend zu machen, sondern höchstens
Schadensersatzansprüche gegen die am Schmiergeldkontosystem beteiligten Mitarbeiter hätte geltend machen können. Schadensersatzansprüche beseitigten jedoch keinen Schaden.34)
c) Kritik
Kritisch ist schon zur BGH-E anzumerken, dass es
kaum vorstellbar erscheint, dass solche Schwarzgeldkonten in derartigem Umfang im Ausland existieren
konnten, ohne dass mehr Personen im Konzern, womöglich auch die Führungsspitze oder ein Teil von
ihr, davon wussten. Schon das Tatgericht, aber auch
der BGH und das BVerfG hätten daher dringlicher
die Frage eines Einverständnisses durch etwaige Dispositionsbefugten stellen müssen bzw die strafrechtliche
Haftung der Konzernspitze problematisieren können.35) Stattdessen wurde letztlich mit dem Schwert
des Strafrechts nur in die „mittlere“ Managerebene
„gestochen“, nicht aber in die Konzernspitze.
In dogmatischer Hinsicht ist auch die Bejahung eines
Schadens fraglich: Zum einen ist es widersprüchlich, die
Vereitelung von Exspektanzen (hier: der Exspektanz,
das Geld aus den schwarzen Kassen wiederzuerlangen)
als Vermögensschaden einzustufen, andererseits aber
zu unterstellen, diese Vermögenswerte seien dauerhaft
und endgültig der S-AG entzogen worden.36) Auch findet die Qualifikation von schwarzen Kassen als Vermögensschaden keine Grundlage in der bisherigen Rsp
und gehört damit nicht zu einer gefestigten obergerichtlichen Rsp.37) Sodann erzielte die S-AG durch
beide Aufträge einen enormen Gewinn in dreistelliger
Millionenhöhe. Insofern hat sich für das Unternehmen
der Unterhalt dieses Kontos insoweit wirtschaftlich gerechnet. Es überrascht, dass dieser Verwendungszweck
bei der Schadensbetrachtung keinerlei Bedeutung erlangen soll.
Ungeklärt blieb auch das Verhältnis der Untreue zur
Bestechung: Man gewinnt hier eher den Eindruck, dass
in Ermangelung eines einschlägigen Korruptionsstraftatbestands auf den Untreuetatbestand zurückgegriffen
wurde, um so ein – wie immer geartetes – kriminalpo34) BVerfGE 126, 170 Rn 123 ff.
35) Deutlich skeptisch auch Saliger/Gaede, HRRS 2008, 67, die daher
angesichts dieser quantitativen Massivität und qualitativen
Teiltransparenz nicht von „schwarzen Kassen“, sondern lieber von
„Schattenkassen“ sprechen möchten.
36) Becker, HRRS 2010, 288.
37) Schünemann, StraFo 2010, 477.
Die deutsche (Banken-)Untreue im Lichte des Landowsky-Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts
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Strafrechtskommission 2011
litisches Strafbedürfnis befriedigen zu können. Mit der
Pönalisierung schwarzer Kassen dient § 266 dStGB darüber hinaus als Mittel der Korruptionsbekämpfung im
Vorbereitungsstadium der Bestechung selbst dann,
wenn die spätere Bestechung nicht unter die Straftatbestände der §§ 331 ff dStGB fallen sollte.38)
2. Fall: „Betriebskrankenkasse“
Die zweite E betraf einen Vorstand einer Betriebskrankenkasse, der zwei Mitarbeitern Prämien in Höhe von
insgesamt a 100.000,– bewilligte, was aber im klaren
Widerspruch zur internen Zuständigkeitsverteilung
stand. Für solche Entscheidungen war nur der Verwaltungsrat der Krankenkasse zuständig. Das BVerfG ließ
auch diese Verurteilung wegen Untreue verfassungsrechtlich unbeanstandet: Der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit, wie er in den entsprechenden sozialversicherungsrechtlichen Regelungen
(hier: § 4 Abs 4 SGB V) für die Krankenkassen vorgeschrieben sei, sei auch Bestandteil der Vermögensbetreuungspflicht, wie sie Krankenkassenvorständen auferlegt sei. Gegen dieses Gebot sei verstoßen worden.
Hier wird man dem BVerfG ohne weiteres darin beipflichten können, dass hier so evident und mit vermögensschädigendem Erfolg gegen die Pflichten im Innenverhältnis verstoßen wurde, dass die Verurteilung
wegen Untreue keinen durchgreifenden Bedenken
begegnet.
3. Fall: „Landowsky“
Die dritte E betrifft einen Ausschnitt aus dem Berliner
Bankenskandal, der 2001 zum Rücktritt des Berliner
Bürgermeisters Eberhard Diepgen und auch des damaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU, Klaus-Rüdiger
Landowsky, führte. Landowsky war Vorstandsvorsitzender der Berlin-Hannoverschen Hypothekenbank AG
(kurz: BerlinHyp). Die BerlinHyp vergab an eine Firmengruppe namens Aubis, die in Ostdeutschland alte
Plattenbauten kaufte, sanierte und in Eigentumswohnungen umwandelte, Kredite in Höhe von insgesamt
über 810 Mio DM. Wegen einer Kreditbewilligung
aus diesem ganzen Komplex von gewährten Darlehen
in Höhe von rund 20 Mio Euro wurden drei Vorstandsmitglieder der BerlinHyp, darunter Landowsky, vom
LG Berlin wegen Untreue zu Freiheitsstrafen verurteilt, die zur Bewährung ausgesetzt wurden. Das LG
warf ihnen vor, sie hätten die Bonität des Kreditnehmers nicht ausreichend geprüft (Verstoß gegen § 18
KWG),39) den für die Zustimmung an der Kreditgewährung mitwirkenden Kreditausschuss nicht hinreichend informiert,40) das sog Klumpenrisiko übersehen
(dh dass die Insolvenz einer Gesellschaft der AubisGruppe die Insolvenz der ganzen Gruppe hätte nach
sich ziehen können)41) und außerdem die Unbeherrsch-
138
barkeit des Kreditengagements unbeachtet gelassen.42)
Von den rund 20 Mio DM Kreditsumme seien rund
3 Mio DM ungesichert gewesen, in dieser Höhe habe
dementsprechend eine Vermögensgefährdung bestanden.43) Die dagegen gerichtete Revision hat der Bundesgerichtshof verworfen (BGH wistra 2009, 189) und die
Argumentation des LG Berlin im Wesentlichen bestätigt.
Das BVerfG hingegen hat zwar die Kriterien, mit denen die Pflichtwidrigkeit bejaht wurde, für verfassungskonform erklärt, und ist auch zu dem Ergebnis gelangt,
dass die Pflichtverletzung gravierend war. Auch hält es
das BVerfG für zulässig, weiterhin mit der Schadensfigur der schadensgleichen Vermögensgefährdung zu arbeiten, sofern die Gefahr eines Verlustes wirtschaftlich
gesehen schon einen gegenwärtigen Nachteil darstellt,
was zu bejahen ist, wenn „die konkrete Gefahr eines
künftigen Verlusts“ besteht.44) Mit der konkreten Gefahr des künftigen Verlusts greift das BVerfG eine Formel auf, die es der BGH-Rechtsprechung entnommen
hat.45)
Allerdings hat das Verfassungsgericht bemängelt,
dass der BGH die eigenständige Bedeutung des Vermögensnachteils nicht ausreichend berücksichtigt und
den Vermögensnachteil mit der Pflichtwidrigkeit
gleichgesetzt hat. Denn der Vermögensschaden sei damit begründet worden, dass die Beschwerdeführer bei
der Kreditgewährung ein allzu weitgehendes Risiko
eingegangen seien und kein ausreichender Sicherheitsspielraum bestanden habe.46) Dies sei aber, so das
BVerfG, in Wahrheit eine Frage der Pflichtwidrigkeit,
nicht aber des Vermögensschadens. Der Vermögensschaden sei dagegen in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise festzustellen. Denn der Vermögensbegriff
sei vorrangig wirtschaftlicher, nicht normativer Natur.
Dabei seien im Wirtschaftsleben anerkannte Bewertungsverfahren und Bewertungsmaßstäbe zu berücksichtigen und gegebenenfalls ein Sachverständigengutachten heranzuziehen. Prognose- und Beurteilungsspielräume seien durch eine vorsichtige Schätzung auszufüllen.47)
38) So die zutreffende Feststellung von Wittig, Wirtschaftsstrafrecht2
(2011) § 20 Rn 6.
39) BVerfG 126, 170 Rn 36. § 18 Abs 1 KWG lautet: Ein Kreditinstitut
darf einen Kredit, der insgesamt a 750.000,– oder 10 vom Hundert
des haftenden Eigenkapitals des Instituts, überschreitet, nur gewähren, wenn es sich von dem Kreditnehmer die wirtschaftlichen Verhältnisse, insb durch Vorlage der Jahresabschlüsse, offen legen lässt.
40) BVerfGE 126, 170 Rn 37.
41) BVerfGE 126, 170 Rn 38.
42) BVerfGE 126, 170 Rn 39.
43) BVerfGE 126, 170 Rn 40.
44) BVerfGE 126, 170 Rn 141.
45) Siehe die Verweise in BVerfGE 126, 170 Rn 137 auf BGHSt 48, 354,
357; BGHSt 51, 100, 113; BGHSt 52, 182.
46) BVerfGE 126, 170 Rn 157.
47) BVerfGE 126, 170 Rn 151.
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Strafrechtskommission 2011
Hierbei fordert das BVerfG, dass an die in der wirtschaftlichen Praxis entwickelten Methoden zur Bewertung von Vermögenspositionen zurückgegriffen werden müsse.48) Das bedeutet va, an die Bewertungsvorschriften des Bilanzrechts anzuknüpfen und dabei im
Rahmen eines Forderungsbewertungsverfahrens zu bestimmen, ob für das Kreditgeschäft irgendwelche Wertberichtigungen, Abschreibungen oder Rückstellungen
für das Kreditgeschäft zu bilden sind. Danach muss
für Kredite, bei denen mit einem teilweisen Ausfall
der Rückzahlung zu rechnen ist, eine Einzelwertberichtigung oder sogar eine Direktabschreibung vorgenommen werden.
Man muss sich – und damit komme ich schon zur Bewertung dieses Urteils – über die Konsequenz im Klaren sein, dass damit eine Schadensfeststellung im Fall
Landowsky sehr schwierig werden dürfte. Möglicherweise wird zudem in anderen sehr komplexen oder
lange zurückliegenden Fällen eine solche bilanzielle
Feststellung des Schadens praktisch nicht durchführbar
sein. Auch ist bei der Anknüpfung an bilanzrechtliche
Vorgaben immer zu bedenken, dass eine Bilanz auch
die Funktion hat, den Gewinn zu ermitteln sowie die
Gläubiger über die finanzielle Situation eines Unternehmens zu informieren und einen Gläubigerschutz
zu gewähren. Bei § 266 dStGB geht es aber nicht um
Gläubigerschutz, sondern um den Vermögensschutz
des Unternehmens. Es muss danach gefragt werden,
ob das Strafrecht im Rahmen des § 266 dStGB und
das Bilanzrecht wirklich dieselben Ziele verfolgen. Eine
bilanziell vorzunehmende Abwertung muss möglicherweise nicht zwangsläufig einer sozialschädlichen Vermögensschädigung entsprechen.49) Gerade bei Prognosen, die immer mit erheblichen Unsicherheiten verbunden sind, besteht eine Bilanz aus einer Mischung
von „Wahrheit und Dichtung“.50)
Doch schiebt man solche Zweifel an der Richtigkeit
und den Zielen der bilanziellen Methode zugunsten ihrer methodischen Vorteile und der mit ihnen verbundenen größeren Rechtssicherheit beiseite, gilt von nun an:
In komplexen Verfahren, namentlich in solchen, die Risikogeschäfte wie etwa Kreditvergaben betreffen, aber
auch in vergleichbaren Fällen der Vermögensgefährdung, wird künftig ein Gutachten bestellt werden müssen, das nach anerkannten betriebswirtschaftlichen
Berechnungsmethoden die Schadensfeststellung durch
das Gericht vorbereitet. Denn welcher Richter eines
Landgerichts ist schon imstande, zu bestimmen, ob
und wie konkret eine Wertberichtigung, Abschreibung
oder Rückstellung für das konkrete Kreditgeschäft, um
dessen Untreuerelevanz es geht, vorzunehmen ist?
Das bedeutet aber auch: Bei der Bestimmung des
Schadens auf der Grundlage handelsrechtlicher Bilanzgrundsätze muss der in dubio pro reo-Grundsatz zur Anwendung gelangen, so wie er etwa auch im Rahmen des
Bankrotts, § 283 dStGB, bei der Entscheidung zuÖsterreichisches Anwaltsblatt 2012/03
grunde zu legen ist, ob eine Überschuldung, Zahlungsunfähigkeit oder drohende Zahlungsunfähigkeit zu bejahen ist. Dh der Gutachtenauftrag ist dementsprechend so zu formulieren, dass dabei der sichere Mindestschaden berechnet wird und folgerichtig dieser
Minimalschaden bei der strafrechtlichen Entscheidung
zugrunde gelegt wird.
Allerdings ist die Ausstrahlungswirkung des
Landowsky-Beschlusses bislang im Rahmen der Untreue eher begrenzt geblieben, während er bei Entscheidungen zum Betrug nach § 263 dStGB durchaus
Gewicht erlangt hat. So hat der 2. Strafsenat des
BGH51) in einem Untreuefall, in dem der Geschäftsführer einer GmbH und die Vorstandsmitglieder einer
AG heimlich eine schwarze Kasse im Ausland gebildet
hatten, eine Bestimmung der Vermögensgefährdung
aufgrund einer normativen Gesamtbetrachtung vorgenommen, ohne den strengen Anforderungen, die das
BVerfG zur Bestimmung des Vermögensschadens aufgestellt hat, zu genügen.52) Dagegen hat der 3. Strafsenat in einer Entscheidung, bei der die Kompensation
des durch eine Betrugshandlung entstandenen Schadens durch einen Vergütungsanspruch im Vordergrund stand, gerade unter Berufung auf den Beschluss
des BVerfG ausgeführt, dass nach den Bewertungsgrundsätzen in der wirtschaftlichen Praxis auch die Erfüllung einer noch nicht fälligen Gegenforderung den
Schaden entfallen lassen könne.53) Ebenso hat wiederum der 3. Strafsenat in einem Fall, in dem der Getäuschte nur gutgläubig das Eigentum an den gekauften Sachen erworben hatte,54) die bisherige Begründung für die Bejahung eines solchen Schadens verworfen, dass nämlich bei den Käufern wegen des nicht
unerheblichen Risikos eines Prozesses eine schadensgleiche Vermögensgefährdung vorgelegen habe. Vielmehr müssten in solchen Fällen eigenständige Feststellungen zum Vorliegen eines Vermögensschadens
getroffen werden, „um so dieses Tatbestandsmerkmal
von den übrigen Tatbestandsmerkmalen des Betrugs
sowie den versuchten vom vollendeten Betrug abgrenzen zu können“.55) Es sei daher der Schaden der Höhe
nach zu beziffern und seine Ermittlung in wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise in den Urteilsgründen
darzulegen. Die gleiche Aussage hat der 2. Strafsenat
in einer Entscheidung wiederum zum Betrug getroffen.56) Der 1. Strafsenat hat in einer Entscheidung
zur Untreuerelevanz von Verstößen gegen das Partei48)
49)
50)
51)
52)
53)
54)
55)
56)
BVerfGE 126, 170 Rn 113.
Becker, HRRS 2010, 391.
Becker, HRRS 2010, 391.
BGHSt 55, 266.
Vgl Wessing, EWiR 2010, 797.
BGH NStZ-RR 2011, 312.
BGH wistra 2011, 387.
BGH wistra 2011, 387.
BGH NJW 2011, 2675.
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Strafrechtskommission 2011
engesetz bei der Schadensfeststellung ebenfalls auf das
BVerfG hingewiesen und die demnach gebotene „wirtschaftliche Betrachtungsweise“ hervorgehoben.57) Dabei wurde zudem das Verschleifungsverbot (Schaden
darf nicht in der Pflichtwidrigkeit aufgehen) betont.
IV. Zusammenfassung
1. Der deutsche Untreuetatbestand, § 266 dStGB, unterscheidet sich von der österreichischen Untreue,
§ 153 öStGB, insoweit, als er – über den gleichlautenden Missbrauchstatbestand hinausgehend – einen
Treubruchstatbestand enthält, der die vermögensbezogene Pflichtverletzung eines Treupflichtigen unter
Strafe stellt. Anders als bei § 153 öStGB genügt bei
§ 266 dStGB ein bedingter Vorsatz hinsichtlich des
missbräuchlichen Einsatzes der Verfügungs- oder Verpflichtungsbefugnis. Auch ist, im Unterschied zu
§ 153 öStGB, in § 266 dStGB der Versuch nicht unter
Strafe gestellt. Wegen der allerdings völligen Übereinstimmung von deutscher und österreichischer Missbrauchs-Untreue im objektiven Tatbestand ließen sich
aber die Grundaussagen zu den objektiven Merkmalen
des deutschen Missbrauchstatbestands prinzipiell auf
den objektiven Tatbestand der österreichischen Untreue übertragen.
2. Das BVerfG hat in seinem Landowsky-Beschluss
den sehr weit gefassten deutschen Untreuetatbestand
zwar für „noch“ verfassungskonform erklärt, aber die
verfassungsrechtliche Kontrolldichte entsprechender
Verurteilungen wegen Untreue deutlich erhöht und
eine restriktive Interpretation der Norm angemahnt.
Die drei wesentlichen Aussagen des Urteils lauten:
a) Der Tatbestand setzt eine „gravierende“, dh evidente Pflichtverletzung voraus.
b) Die Tatbestandsmerkmale einer Strafnorm dürfen
nicht verschliffen werden, dh das Merkmal des Vermögensnachteils muss gegenüber den Merkmalen, mit denen die Tathandlung gekennzeichnet (Missbrauch,
Treubruch) wird, eine eigenständige Bedeutung besitzen.
c) Bei schadensgleichen Vermögensgefährdungen
muss der Schaden beziffert werden. Hierbei sind die
in der wirtschaftlichen Praxis anerkannten Bewertungsmaßstäbe (va handelsbilanzrechtlicher Art) heranzuziehen (zB ob ein Abschreibungs- oder Wertberichtigungsbedarf besteht). Im Zweifel ist ein Mindestschaden zu schätzen und zugrunde zu legen.
3. Zu den faktischen und dogmatischen Problemen,
die mit dieser E geschaffen wurden, gehören – aus
der Sicht des Richters und Staatsanwalts – va die Erschwerung der Schadensfeststellung für die Strafverfolgungsorgane,58) aus prozessökonomischem Blickwinkel
die künftig verstärkte Hinzuziehung von (teuren) Sachverständigen oder zu deren Vermeidung eine absehbar
zunehmende Zahl von Deals (Abspracheverfahren),59)
unter dogmatischen Gesichtspunkten die Frage nach
der Vereinbarkeit von Zielen betriebswirtschaftlicher
Bilanzierung mit denen strafrechtlicher Schadensfeststellung und in verfassungsrechtlicher Hinsicht die ungeklärte Bedeutung des Rückwirkungsverbots im Falle
einer strafbarkeitsausdehnenden Rechtsprechungsänderung.
57) BGHSt 56, 203.
58) Fischer, StGB59 (2012) § 266 Rn 163.
59) Fischer, § 266 Rn 163 a.
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