Schreibmaschinenliteratur
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Schreibmaschinenliteratur
Schreibmaschinenliteratur Ausstellung literarischer Materialität Rundgang: I.) Maschinen und Technik II.) Diskursmaschinengewehr: Sounds III.) Handschlag: Typoskripte IV.) Löschen und Vervielfältigen Konzept und Durchführung, Proseminar „Schreibmaschinenliteratur“ TeilnehmerInnen: Patricia Adeyemi Fatima Aichi Kristina Boden Jaana Jaber Christopher Krys Kathrin Lohse Mareen Mangold Meike Michels Kira Subkowski Leitung: Dr. Peter Risthaus 1 Die Ausstellung „Schreibmaschinenliteratur“ ist das gemeinsame Ergebnis eines Blockseminars aus dem Sommersemester 2013. Das Seminar untersuchte den medialen Status von Schreibmaschinen für die Produktion, Distribution, und für die Ästhetik literarischer Texte, die sich u.a. in Typoskripten und ihren technischen Reproduktionen niederschlägt. Welch neue Inspiration diese Maschinen auf unterschiedlichste Autoren ausübte, konnte an einigen prominenten Beispielen studiert werden. Zudem standen Texte der Neuen Sachlichkeit auf der Agenda, deren Protagonisten der Sphäre des Büros entstammen und den neuen Typus des Angestellten auf die literarische Bühne bringen. Vor allem ging es jedoch darum, dieses gerade verschwindende Medium praktisch zu erproben und seine Materialität im buchstäblichen Sinne zu begreifen. In der Ausstellung werden entsprechende Materialitäten gezeigt: Von der „Continental“ Schreibmachine aus dem Jahr 1934 bis zur Elektrischen mit Datenspeicher, die schon an der Schwelle der digitalen Kultur steht. Darüber hinaus finden sich Typoskripte, ReinigungsKopier- und Löschutensilien, literarische Texte und Werbeplakate, aber auch die erste ernstzunehmende Medientheorie des Typewriters, die der damals noch Bochumer Literaturwissenschaftler Friedrich Kittler 1986 vorgelegt hat. 2 I.) Maschinen und Technik Wir zeigen: 1.) Erste Vitrine links: „Continental“ Schreibmaschine (Vermutlich 1934 in den Wanderer-Werke AG in Chemnitz produziert: http://typewriterschubert.magix.net/conti nental.10.html#Continental) 2.) Erste Vitrine rechts: „Alpina“ (ca. 1955, Büromaschinenwerk Bovensiepen: http://www.typewriters.ch/collection/ALPI NA.html) 3.) Zweite Vitrine links: „ABC“Reiseschreibmaschine (ca. 1960, Kochs Adlernähmaschinen Werke A.G., Bielefeld http://www.typewriters.ch/collection/abc_ portable_typewriter.html 4.) Zweite Vitrine rechts: „Olivetti Praxis 200“ (ca. 1989) Zu den grundsätzlichen Bestandteilen einer Schreibmaschine gehören die Tastatur, ein elektronisch oder mechanisch gesteuerter Übertragungsmechanismus, in dem auch Korrekturelemente enthalten sein können, und ein Ausgabegerät, das die Drucktypen auf das Papier schlägt. Hierbei lassen sich grundsätzlich folgende Typenträger unterscheiden: 3 1. Typenhebel 2. Typenstab 3. Stoßstangen 4. Typenrad 5. Typenzylinder 6. Typenwalze 7. Typenschiffchen 8. Typenplatte Am häufigsten wird das Papier über eine Schreibwalze zeilenweise weiterbefördert. Damit die Schreibrichtung von links nach rechts erfolgt, müssen sich Papier und Typen horizontal zueinander bewegen. Für diesen Prozess gibt es grundsätzlich zwei Möglichkeiten: 1. Nach jedem geschriebenen Buchstaben bewegt sich der Papierträgerwagen um einen Schritt nach links. Diese Technik ist bei Typenhebelmaschinen üblich. 2. Die Schreibwalze ist fest im Gehäuse verankert und das Schreibwerk (Typenrad, Kugelkopf) bewegt sich von links nach rechts. 4 Damit sich der Wagen zum Zeilenanfang zurück bewegt, wird bei handbetriebenen Schreibmaschinen mit einem Zeilenschalthebel (häufig links am Wagen) die Rückführung ausgelöst. Jahr: 1864 Erfinder: Peter Mitterhofer Maschine: Mitterhofer Schreimaschine Besonderheiten: Typenhebelkorb und mehrreihiges Tastenfeld Jahr: 1867 5 Erfinder: Pastor Malling Hansen Maschine: Schreibkugel Besonderheiten: Typenstäbe, die von einer Halbkugelschale gehalten werden und mit hoher Präzision arbeiten; statt einer Walze dient ein Halbzylinder als Papierträger Mit dieser Schreibmaschine arbeitete Friedrich Nietzsche Jahr: 1874 Erfinder: Christopher Latham Sholes und Carlos Glidden Maschine: Sholes and Glidden Typewriter Besonderheiten: schreibt nur Großbuchstaben, Tastenfeld nach Alphabet angeordnet, Typenheben schlagen von unten nach oben 6 Jahr: 1880 Erfinder: Hammond Maschine: Hammond Typenschiffchen-Schreibmaschine Besonderheiten: eigene Zeichenfolge und 30 Tasten in zwei halbkreisförmigen Tastenreihen; es gab zusätzliches mathematisches Modell mit 120 Schriftzeichen, ein Orientmodell mit Rechts- nach Links –Schreibung und ein Modell mit variablen Zwischenräumen Jahr: 1892 Erfinder: Frister & Rossmann Maschine: Frister & Rossmann Unteranschlagmaschine Besonderheiten: erstmals in Deutschland produzierte Unteranschlagmaschine, Nachahmung der Caligraph Maschine, bis 1910 prouziert 7 Jahr: 1948 Erfinder: Orbis Büromaschinenwerke GmbH Maschine: Olympia Orbis Besonderheiten: eine kleine Typenhebelschreibmaschine Jahr: 1983 Erfinder: Olympia Werke AG Maschine: Olympia Supertype 2 Besonderheiten: neue Dimension des Schreibens Display, Universalspeicher mit 16.000 Zeichen Kapazität, Anschlussmöglichkeiten an externe Disketteneinheit (unbegrenzter Speicher) Weiterführende Literatur: Burghagen, Otto: Die Schreibmaschine. Ein praktisches Handbuch enthaltend Illustrierte Beschreibung aller gangbaren Schreibmaschinen, Hamburg 1898. Scholz, Hermann: Die Schreibmaschine und das Maschinenschreiben, Leipzig 1923. 8 Dingwerth, Leonhard: Historische Schreibmaschinen. Geschichte, Technik und Faszination, Regenstauf 2008. http://www.sigi-gross.de/images/mitter.jpg (Maschine Mitterhofer) http://www.sigi-gross.de/images/malling.jpg (Malling Hansen Maschine) http://www.sigi-gross.de/images/sholes.jpg (Sholes/ Glidden Maschine) http://de.academic.ru/pictures/meyers/Wm18034y.jpg?w=400&h=367 &vid=1792991415 (Hammond Maschine) http://images.zeno.org/Meyers-1905/I/big/Wm18034u.jpg (Frister & Rossmann Maschine) http://www.stb-betzwieser.de/images/olynpiaprogress02.jpg (Olympia Orbis) http://www.totco.com.my/product_images/u/362/Olympia_Supertype _330__18696_zoom.jpg (Olympia Supertype 2). II.) Diskursmaschinengewehr: Sounds Wir bringen zu Gehör und zeigen: Wenn Sie den zweiten QR-Code scannen, können Sie die Geräusche der Continental-Schreibmaschine und ihrer elektrischen Schwester hören. Zudem haben wir zwei Links zu Youtube gelegt: 1.) Heiner Müller schreibt auch seiner Schreibmaschine und raucht: Rhythm is it! 2.) Der Komiker Jerry Lewis tippt die Luftschreibmaschine (Jerry Lewis Show: "The Typewriter", zur Melodie von Leroy Anderson). Dass die Zeit der Schreibmaschinen vorbei ist, haben die Studierenden selbst bewiesen. Ihnen leuchtete die Komik dieser Szene nicht unmittelbar ein, da Maschine für sie ganz fremd geworden ist. III.) Handschlag: Typoskripte Wir zeigen: 9 Plakat 1: Typoskript einer Seite aus Arno Schmidt: Zettels Traum (Faksimile) Plakat 2: Druck der Seite aus Arno Schmidt: Zettels Traum (Faksimile) Aufgeschlagenes Buch: Seite eines Typoskripts des Gedichts „Selbst III“ von Peter Rühmkorf Aufgeschlagenes Ringbuch: Friedrich Nietzsches auf der Malling Hansen geschriebener Text „SCHREIBKUGEL IST EIN DING VON EISEN“ Aufgeschlagenes Ringbuch 2: Alfred Kring: Die Graphologie der Schreibmaschine Typoskripte sind die Ergebnisse der Arbeit mit einer Schreibmaschine. Die Handschrift wird dabei ersetzt durch jene standardisierten Typen, die qua Hebeltechnik auf das Papier schlagen. Das hat Philosophen wie Martin Heidegger dazu veranlasst, zu behaupten, dass in der Maschinenschrift jetzt alle Menschen gleich aussähen und das Denken dem Menschen aus der Hand genommen sei. Auf der anderen Seite übernehmen jetzt Frauen das Regime über diese typographischen Zeichen und beherrschen eine Schaltstelle im neuen Medienverbund aus Teleund Grammophonen und anderen Übertragungs- und Speichertechniken (Friedrich Kittler). Die Graphologie wird Heideggers These konterkarieren, indem sie versucht selbst das typographische Schriftbild in Hinblick auf den (auch verbrecherischen) Charakter lesbar zu machen. Eine neue Literatur entsteht, deren technisch-mediale Infrastruktur, trotz medienwissenschaftlicher Interventionen, immer noch am Anfang ihrer Erforschung steht. Besonders der Streit um den neuerlichen Druck von Arno Schmidts „Zettels Traum“ lässt erkennen, was passiert, wenn aus Typoskripten (samt ihrer handschriftlichen Annotationen) Druckseiten gemacht werden: Spuren werden gelöscht. Literatur: Arno Schmidt: Zettels Traum. Studienausgabe in acht Hefte, Frankfurt a.M.: Fischer 1986 [Ausgabe des faksimilierten Typoskripts]. Plakat links 10 Arno Schmidt: Zettels Traum. Bargfelder Ausgabe. Werkgruppe IV: Das Spätwerk, Bd. 1., Frankfurt a.M., Suhrkamp 2010 [gesetzte Ausgabe]. Plakat rechts Friedrich Nietzsche: Schreibmaschinentexte. Vollständige Edition, Faksimiles und kritischer Kommentar. 3. korrig. Aufl., aus dem Nachlass hg. v. Stefan Günzel und Rüdiger Schmidt-Grépály, mit einem Nachwort von Friedrich Kittler. Weimar 2003. Peter Rühmkorf: Selbst III/88. Aus der Fassung. Frankfurt a.M. 2009. Friedrich Kittler: Grammophon, Film, Typewriter. Berlin 1968. Alfred Kring: Die Graphologie der Schreibmaschine. Handbuch für graphologische und kriminologische Untersuchungen. Zürich 1936. 11 III.) Löschen und Vervielfältigen Wir zeigen: Tipp-Ex-Streifen Tipp-Ex-Flüssigkeit Duschschlagpapier Nicht nur die haptischen Besonderheiten und die ganz eigene Klangkulisse einer Schreibmaschine sind speziell und unterscheiden sich enorm vom heutigen Arbeiten mit PCs, Smartphones und Tablet-PCs. Auch der Schreibprozeß und die damit verbundenen Arbeitstechniken waren durch die Schreibmaschine völlig anders bestimmt und möglich als heute. Heute, wo das Schreiben am PC für uns so normal und alltäglich geworden ist, ist es schwer vorstellbar, wie Textproduktion mit einer Schreibmaschine verlaufen ist. Besteht das Schreiben am PC zu großen Teilen aus Bearbeiten und Collagieren, war ein Arbeiten und Ändern an und von Texten nach dem Tippen auf der Maschine nicht oder nur umständlich möglich. Das nachträgliche Verschieben oder Löschen von ganzen Passagen ist nur möglich, wenn man einen Text noch mal gänzlich abtippt. Eine Hausarbeit musste somit fertig geschrieben und Fußnoten oder ähnliches ausgemessen und genau eingeplant sein, bevor die Arbeit abgetippt wurde. Wie also sah ein Entstehungsprozess auf der Schreibmaschine aus? Wie entstanden Texte ohne „copy and paste“ oder die Löschtaste? Löschen funktioniert auf einer Schreibmaschine nur eingeschränkt, zum Beispiel mit Tipp Ex. Tipp Ex wurde 1959 von Wolfgang Dabisch zum Verdecken und Korrigieren von Tippfehlern beim Schreiben mit der Schreibmaschine erfunden und kurz darauf von Otto Wilhelm Carl vertrieben. Dabei handelte es sich um kleine Blättchen, die auf der einen Seite mit weißer Farbe beschichtet waren. Die Marke hatte einen so großen Absatz und Bekanntheitsgrad im Inund Ausland, dass sich der Markenname schnell als Gattungsname etablierte (vergleichbar mit dem Markennamen Tempo für Papiertaschentücher). Ab 1965 gibt es Tipp Ex auch in flüssiger Form und wird so heute hauptsächlich zum Korrigieren in handschriftlichen Texten benutzt. Seit 1992 stellt Tipp Ex auch Korrekturbänder her, seit 1998 Korrekturstifte. Vertrieben wird Tipp Ex heute hauptsächlich von der BIC Group. 12 Auch der Prozess der Vervielfältigung war nicht so einfach, wie wir es gewohnt sind: Was heute in Sekundenschnelle mehrfach ausgedruckt oder kopiert ist, musste früher mit Durchschlagpapier verdoppelt werden. Durschlagpapier besteht aus Kohlepapier, das zwischen zwei leere Seiten gelegt wird und das Geschriebene auf der ersten Seite auf die zweite überträgt. Den englischen Ausdruck für einen solchen Durschlag, Carbon Copy, kennt man heute noch mit der Abkürzung CC, die für Emails verwendet wird, wenn eine Kopie weitergeschickt wird. Wer das Durschlagpapier entwickelt hat, ist nicht bekannt. Durschlagpapier wird derzeit noch von diversen Unternehmen hergestellt und vertrieben und heute zum Beispiel in Rechnungsblöcken benutzt. http://de.wikipedia.org/wiki/Tipp-Ex http://de.wikipedia.org/wiki/Durchschlagpapier http://www.bicworld.com/en/products/categories/13/correction https://register.dpma.de/DPMAregister/marke/register/1120175/D E http://www.ib.huberlin.de/~wumsta/infopub/textbook/umfeld/rehm7.html 13