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Podcast: Bretherton
Liebe Studenten, liebe Studentinnen,
in diesem Podcast möchte ich versuchen, den Artikel von Inge Bretherton zum Symbolspiel im
Vorschulalter Ihnen vorzustellen und theoretisch einzuordnen:
Unter Entwicklungspsychologen und Entwicklungspsychologinnen ist es ganz sicherlich unstrittig,
dass das kindliche Spiel insgesamt eine sehr wichtige Funktion für die kognitive, für die soziale, aber
auch für die emotionale Entwicklung des Kindes hat.
Die charakteristische Spielform des Kindergartenalters ist das so genannte „So-tun-als-ob-Spiel“,
bekannt auch als „Symbolspiel“, im Englischen „pretense“ oder „pretend play“ im Deutschen auch
weiter „Fantasiespiel“ oder „Rollenspiel“. Es gibt dabei auch zahlreiche theoretische Ansätze zur
Funktion und zur Bedeutung des Spiels für die kindliche Entwicklung. Ich möchte einige davon hier
einfach mal plakativ benennen:
Freud und Erikson bspw. haben die unmittelbare Wunscherfüllung im Spiel und den so genannten
Katharsis-Effekt des Spiels hervorgehoben. Jetzt zitiere ich mal Erikson aus dem Jahr 1978, Erikson
kennen Sie ja bereits aus diesem ;Modul, Erikson sagt dazu folgendes: „Das Spiel dient dazu,
Erlebnisse symbolisch zu wiederholen, die in der Vergangenheit nicht ausreichend bewältigt wurden
und das, was passiv erlebt wurde, aktiv meistern zu lernen“. Piaget hingegen stellt Spiel in den
Rahmen der gesamten geistigen oder kognitiven Entwicklung des Kindes. Im Spiel assimiliert das Kind
die Wirklichkeit an das Ich und befreit sich von der Notwendigkeit der Akkomodationsleistung.
Die Begriffe der Akkomodation und der Assimilation sind ihnen ja bereits bekannt und sie müssen
sich verdeutlichen, dass das Spiel und gerade das Symbolspiel sozusagen die Reinform der
Assimilationsleistung ist. Das Kind malt sich sprichwörtlich – wie Pippi Langstrumpf – die Welt wie es
ihm gefällt. Es macht aus einer Banane einen Telefonhörer, aus einem Stock ein Pferd usw. und so
fort; d.h. es wird maximal die Welt an die eigenen Vorstellungen angepasst und maximal wenig
werden die eigenen Vorstellungen oder in der Piagetschen Begrifflichkeit „Schemata“ an die Welt
angepasst. Nach Piaget festigt und etabliert das Kind im Spiel aber eben auch schon im Spiel
erworbene Schemata, kompensiert Anforderungen der Realität und auch Unbewältigtes. Hier ist so
eine gewisse Nähe zu Erikson und Freud zu erkennen, und konstruiert Vorstellungen und
Handlungsweisen dabei neu.
Auch Vygotski, den Sie ja auch bereits in dem Modul kennen gelernt haben, stellt die Realisierung
von Wünschen im kindlichen Spiel als entwicklungsdynamisches Element heraus. In seiner Theorie ist
allerdings ein weiterer Aspekt von entscheidender Bedeutung. Im Spiel wird gesellschaftliche Praxis,
werden soziale und kulturelle Normen und Umgangsregeln erworben, geübt und verinnerlicht. Die
besondere Funktion des Symbolspiels für die emotionale Entwicklung des Kindes allerdings, wird
insbesondere von Inge Bretherton maßgeblich untersucht und diskutiert, wie auch in dem Artikel,
den wir hier gemeinsam lesen wollen, aus dem Jahr 1989.
Inge Bretherton beschäftigt sich dabei insbesondere mit dem gemeinsamen – also zwischen
mehreren Kinder- dem gemeinsamen Symbolspiel von Kindern im Kindergartenalter. Sie sieht im
Symbolspiel, das sie auch „make believe play“ oder „pretend play“ nennt eine komplexe
repräsentationale Aktivität mit der herausragenden Funktion der Gefühlsbewältigung. Die affektive
Funktion ist ihrer Ansicht nach im Verhältnis zur Bedeutung des Spiels für die kognitive, soziale und
sprachliche Entwicklung noch sehr wenig empirisch erforscht, und das hat sich eigentlich auch jetzt
im Laufe der letzen Jahre nicht verändert. Der Artikel ist ja schon ein bisschen älter, 1989, aber
gerade die affektive, gefühlsmäßige, gefühlsregulative Funktion des gemeinsamen Symbolspiels ist
bislang wenig erforscht.
Allerdings deuten Beobachtungen in ganz alltäglichen Umgebungen von Kindern, wie bspw. in
Kindergärten oder Tagesstätten oder Vorschulgruppen nach Brethertons Meinung darauf hin, dass
sichere, sozial gut angepasste Kinder mehr von der Möglichkeit emotionaler Bewältigung im
Symbolspiel profitieren als unsichere oder schlecht angepasste Kinder. Daraus leitet sie die
Notwendigkeit ab, festzustellen, welche Denkfähigkeiten, Spiel- und Kommunikationsformen,
Ausdrucks- und Handlungstechniken Kinder entwickeln müssen bzw. durch das gemeinsame
Symbolspiel entwickeln.
Sie geht weiter zu grundlegenden theoretischen Fragen. Bretherton integriert auch in dem Artikel
Piagets Konzept vom Symbolspiel mit Skriptheorien zur Erklärung von Vorstellungsbildung und
Fragen emotionaler Funktion. Symbolische Gegenstücke zur Gedanken und Realität im Spiel ist ein
ebenso grundlegender Aspekt menschlicher Erfahrung wie der Aufbau eines angepassten Modells
der Alltagsrealität. So sehr symbolisches Denken und Spiele auch eine egozentrische Verzerrung und
Deformierung der Wirklichkeit und keine direkte Ereigniskopie darstellen, so sehr beinhalten sie
gleichzeitig die Fähigkeit sozialen Verstehens. Brethertons Anliegen ist es, die Bedeutung dieses
Denkens, also des „was-wenn“ oder „würde-sein Denkens“ beim Aufbau geistiger Funktionen
besonders heraus zu stellen. Zum einen ist es in realen Erfahrungen verwurzelt und reflektiert diese.
Zum anderen eröffnet es in seiner Ungerichtetheit und Divergenz neue gedankliche Wege. Damit
wird es zur Quelle von Neuschöpfung und erweiterten Handlungsmöglichkeiten.
Bretherton zeigt in ihrem Artikel die metakommunikativen Fähigkeiten von Kindern im
Kindergartenalter an 3 Aspekten der Symbolfunktion auf, die im Rahmen gemeinsamer Symbolspiele
beobachtbar sind und jetzt auch von mir näher dargestellt werden sollen:
1. die Rollen- oder Perspektivenübernahme
2. die Realitätstransformation durch symbolisches und verzerrendes Denken
3. das Spiel mit dem Spielrahmen
Zunächst zum 1. Punkt, der Rollen- und Perspektivübernahme:
Das Hin- und Herpendeln von Kindern zwischen ihrer realen Identität und der symbolisierten
Spielidentität, zwischen der Rolle des Regisseurs und der des Darstellers einer oder mehrerer Rollen,
zwischen planen, vorschlagen, entscheiden, organisieren, planen, ausagieren, verwerfen, umändern,
wieder ausagieren usw. kennzeichnet das gemeinsame Symbolspiel. Das Kind muss sich selbst und
den Mitspielern vermitteln, worum es in der Handlung geht, wann das Spielthema Veränderung und
Wendung erfährt und welche. Dazu entwickeln Kinder entsprechende Techniken, die in zahlreichen
Studien dargestellt wurden und augenscheinlich auch verallgemeinert werden können.
Z.B. das sogenannte „Prompting“: das ist so etwas wie soufflieren oder vorsagen, indem der Akteur
mit veränderter Stimme in die Regisseurrolle schlüpft und dem Mitspieler eine Anweisung gibt. Ein
zweites Bsp. wäre das so genannte „Storytelling“, also, das ist ein Geschichten erzählen als
Handlungssubstitut, das auch der Verdichtung von Handlungen dient, also Handlungen sozusagen
schneller nachvollziehbar zu machen und bestimmte Zeitstrecken nicht nachzuspielen sondern in
dem Sinne, nachzuerzählen. Ein anderes weiteres Bsp. für solche Techniken wäre auch das so
genannte „Underscoring“, also die Betonung, indem bestimmte Handlungsschritte, die ausagiert
werden, dann noch mal verbal kommentiert werden bspw. „Ich gieße Milch ein“, wenn man aus
einer leeren Kanne in eine leere Tasse irgend etwas hineingießt.
Techniken der indirekten Spielführung und indirekten Rollenübernahme sind in einem flüssigen Spiel
häufiger, öfter zu beobachten, als direkte Formen der Regieführung bzw. der gemeinsamen
Verhandlung, wie z.B. „lass uns so tun, als ob wir Monster wären“, die meistens nur zu Beginn eines
Spiels vorkommen, aber nicht mehr in der Mitte oder während eines Spiels. Diese Techniken der
indirekten Spielführung sollen von bereits entwickelten Fähigkeiten, eigene Vorstellungen und
Bedürfnisse in den sozialen Rahmen eines gemeinsamen Spiels einzubauen und zwar recht subtil und
unauffällig. Die Spieltechniken als solche zeigen gleichzeitig die dem Symbolspiel innewohnenden
Möglichkeiten auf, Rollenvariationen, Mehrdeutigkeiten und individuelle Anliegen zu integrieren. Die
Fähigkeit, Perspektiven in der Wahrnehmung der eigenen Person und anderer Personen zu wechseln,
scheint sich in enger Verbindung mit dem Symbolspiel, insbesondere dem gemeinsamen Symbolspiel
zu entwickeln und zwar früher und rascher, als das von Piaget beobachtet und konzipiert wurde.
Sozial gut angepasste Kinder spielen flüssiges, kreatives, variationsreiches Symbolspiel, sozial
unangepasste Kinder hingegen nicht.
Zum 2. Punkt, der Realitätstransformation:
Die Transformation von Wirklichkeit in Fiktion und Symbole ist von Piaget in ihrem Entwicklungsverlauf beschrieben worden. Bretherton bestätigt seine Beobachtungen, wonach einzelne Alltagsszenen zu komplexen Situationsabfolgen wachsen, und neben Handlungen auch zunehmend Gefühle
inszeniert werden. Die Orientierung an alltäglichen Erlebnissen aus dem Familienleben und nahen
Kontexten wie Stadtteil, Arzt, Beruf der Eltern, Urlaub ist aber auch im Spiel 3- und 4-jähriger Kinder
in ihrem gemeinsamen Symbolspiel noch gegeben. Den Grund sieht Bretherton darin, dass Kinder
sich über die ihnen gemeinsamen bekannten Bezugsthemen, die man auch Skripte nennt, im Spiel
besser abstimmen können, selbst wenn sie sich Themavariationen zugestehen.
Mit dieser Annahme bezieht sie sich auf so genannte Skripttheorien, die Ereignisschemata oder eben
Skripts als Basisbausteine der Repräsentation ansehen und damit ein Informationsgerüst darstellen
über Handlungen Handelnde, Empfänger der Handlung, Absichten, Ziele, Gefühle innerhalb eines
zeitlich-räumlich-kausalen Rahmens. Spielbeobachtungen bestätigen Brethertons Ansicht nach, dass
Kinder bereits ab 3 Jahren Handlungssequenzen spielen, die so wirklichkeitsbezogen sind, dass sie als
Reinszenierung gemeinsamer Skripts angesehen werden können. Trotzdem beinhalten die
Spielhandlungen immer auch verzerrende Elemente und verändern so das Skript eines realen
Ereignisses. Wenn z.B. mittels der Beschwörungstechnik, also man gibt vor, mit einem Auto zu fahren
und sagt dann dazu „fahr, fahr, fahr, fahr“ kann mittels dieser Technik Zeit und Raum verkürzt
werden. Diese Deformierungen, sowie Spielszenen, die ihre Wurzeln nicht in der Alltagsrealität
sondern in Geschichten, Märchen, Filmen oder eigen konstruierten Fantasien haben, können in der
tradierten Skripttheorie nicht hinreichend erklärt werden. Bretherton rekurriert in ihrem Artikel dann
auf eine neuere Version der Skriptheorie, die dafür geeigneter ist, die Details dazu sind aber im
Kontext unseres Moduls bzw. dieses Kurses irrelevant.
Ich komme zum 3. Punkt, nämlich dem Spiel mit dem Spielrahmen:
Das Spiel mit dem Spielrahmen als Hin- und Herpendeln oder Verwischen der Grenze zwischen Spiel
und Realität nennt Bretherton als 3. Charakteristikum von Symbolspiel. Sie zitiert etliche Studien, die
diesen Vorgang belegen und eine altersmäßige Entwicklung aufzeigen und damit viele von Piagets
Beobachtungen auch bestätigen. Zwischen 2-jährigen und älteren Kindergartenkindern klafft dabei
die Fähigkeit, zwischen Realität und „als ob“ zu unterschieden weit auseinander. Besonders wenn es
um emotional hoch beladene Themen geht, verwischt bei jüngeren Kindern die Grenze schnell und
gespielte Gefahr wird zu realer Angst. So beobachteten Scarlett und Wolf bspw. 2-jährige Kinder im
Symbolspiel:
Wenn der erwachsene Mitspieler einen kleinen Spielzeugalligator in furchterregender Weise
einsetzte, reagierten die Kinder mit echter Angst und verließen die Spielhandlung,. Sie konnte die
Angst nicht mit Hilfe des Symbolspiels bewältigen, wie ältere Kinder das tun, die z.B. den Alligator
durch einen Spielzeuglöwen vertreiben ließen, also im Spiel. Andere Kinder verweigern von vorne
herein eine Spielrolle, wenn sie erwarten, dadurch reale, unangenehme Gefühlszustände zu geraten.
Das Spiel älterer, 5 – 6-jähriger Kinder zeigt, dass sie diese Symbolfunktion besser ausgebildet haben
und erfahrener werden im gemeinsamen Symbolspiel, auch wenn sie darin mit unerwarteten,
unangenehmen Ereignissen konfrontiert werden. Trotzdem ist auch bei älteren Kindern die Gefahr
der Grenzverwischung gegeben; wenn es im Spiel z.B. um Fragen der eigenen Identität geht.
Bretherton führt ein Bsp. aus einer Studie von Fein an: ein Kind verfolgte im Spiel seinen „Vater“ mit
einem „Messer“, ein Mitspieler kommentierte: „das Kind wolle seinen Vater töten“. Sofort brach das
Kind seine Verfolgungsjagd ab und trat aus dem Spielrahmen heraus, mit der Erklärung „ Nein, das
habe ich nicht getan, ich habe nur so gespielt.“
Eine andere Form von Grenzverwischung im gemeinsamen Rollenspiel untersuchte Schwarzmann in
einer Tagesstätte. Danach übertrugen die Kinder den realen Status im sozialen Beziehungsgeflecht
der Gruppe auf den Spielrollenstatus. Hoch angesehene und beliebte Rollen wie Mutter, Vater oder
Doktor wurden von den beliebtesten Kindern der Gruppe gespielt, Rollen mit geringerem Status wie
Baby oder Haustier gingen an die weniger geachteten Kinder. Freiheiten bei der Ausgestaltung von
Rolle und Spielhandlung, bei den Möglichkeiten, mitzuspielen oder das Spiel selbst bestimmt zu
verlassen, waren ebenfalls bei den Kindern mit hohem Status in der Gruppenhierarchie wesentlich
größer, als bei den Kindern mit dem niedrigeren Status. Alle Kinder der Tagesstätte, die damals
untersucht worden ist, zitiert in Bretherton, kamen aus Arbeiterfamilien.
Ob dies eine Form bewusster Übernahme von Realität ins Spiel ist, müsste kritisch diskutiert werden.
Die Frage nach der Bewusstheit stellt sich ebenfalls, wenn Kinder ihr wahres Geschlecht im Spiel
nicht aufgeben wollen und besonders Jungen die Übernahme weiblicher Rollen ablehnen. Die Grenze
zwischen Realität und Spiel verwischen zu können, also mit dem Spielrahmen spielen zu können,
führt Bretherton als wichtige Symbolfunktion an, die sich im Laufe der Kindheit von sehr
rudimentären zur ausdifferenzierten und bewusst angewandten Form entwickelt.
Zu der oben genannten Form kommt eine weitere hinzu: Ein während des Spiels auftretendes reales
Ereignis wird ins Symbolspiel transformiert und so ein Konflikt symbolisierend vermieden oder gelöst.
Beispiele hierzu finden sich in den Studien von Schwarzmann, das ernstliche Hinfallen eines
Mitspielers, das eigentlich auch den Spielabbruch bedeuten könnte, wird durch symbolisierten
Transport im Krankenwagen, eine Arztbehandlung usw innerhalb des Spielrahmens angemessen
bewältigt.
Fiktive Ereignisse können echte Emotionen auslösen, sagt Bretherton auf S. 391. Was heißt das?
Während des Spiels kann symbolisiertes Gefühl in echtes Gefühl umschlagen und zwar so heftig, dass
dem Kind nur der Schritt aus dem Spielrahmen heraus in die Realität bleibt. Die Alternative ist vor
allem bei den im Symbolspiel geübten Kindern zu beobachten, ist also, das echte Gefühl
symbolisierend in den Spielrahmen zu integrieren, es durch „Bespielen“ selbst zu regulieren und auch
seinen Mitspielern auf diese Art zugänglich zu machen. Die fließende Grenze zwischen Realität und
Spiel kann umgekehrt den Effekt haben, so nimmt Bretherton an, dass das Kind aus einer
erfolgreichen Angstbewältigung im Spiel mit einer Angstsituation im Alltagsleben besser fertig wird.
Sie spricht von einer Art affektivem Rückhalt, den Symbolspiel Kindern bietet, bis sie zu
angepassterem, problemlosen Verhalten in der Lage sind. Sie integriert an diesem Punkt Erikson in
ihren Ansatz, der im Symbolspiel die Schaffung von Modellsituationen sieht, mit deren Hilfe die
Bedeutung entscheidender Erfahrungen gebildet wird. Die Funktion des Symbolspiels als Bewältigung
innerpsychischer und interpersonaler, emotionaler Konflikte, stellt auch Bretherton damit als sehr
zentral heraus.
Bretherton macht u.a. mit einer Studie von Rosenberg auf das Problem aufmerksam, dass die
Entwicklung der Fähigkeit zum symbolisierenden Denken und Spielen bei Kindern sehr
unterschiedlich verläuft:
39 vierjährige Kinder aus Risikofamilien der Unterschicht wurden dabei in Paarspielen per Video
beobachtet. Anhand vorhergehender Untersuchungen zur Mutter-Kind-Bindung waren die Kinder in
sicher-gebundene und in unsicher-vermeidende Kinder unterschieden worden. Als Aspekt der
Spielqualität wurde bewertet: Übereinstimmung im gemeinsamen Spielthema, Klarheit der
Rollendarstellung, Flexibilität bei Vorschlägen des Spielpartners, ohne den eigenen Standpunkt
aufzugeben, Grad der emotionalen Beteiligung und Ausdauer im Spiel. Die Spielthemen wurden in
positive und negative kategorisiert, also z. B. Umsorgen, Verpflegen, Zusammengehörigkeit vs.
Aggression, Gefahr, Konflikt. Ebenfalls kodiert wurde der affektive Ausdruck von Zorn, Furcht,
Traurigkeit, Gereiztheit, Glücklichsein. Der Anteil von Spielthemen, in denen die Kinder eine gutartige
Lösung durch Schützen oder Umsorgen fanden, wurde mit denen verglichen, deren Lösungsversuche
in Zerstörung oder Untätigkeit bestand. Die Ergebnisse der Rosenberg-Studie zeigten
variationsreichere Themen, mehr soziale Flexibilität und größere emotionale Beteiligung in der
Gruppe der sicher-gebundenen Kinder gegenüber den unsicher-vermeidenden Kindern.
Die meisten Spielinhalte der ersten Gruppe waren Familie- und Beziehungsepisoden, bzw. positive
Themen, die der der zweiten negative, eher aggressive Themen. Die sicheren Kinder konnten in ihren
Rollen positive und negative Affekte ausdrücken, sie spielten nicht etwa nur brav eine heile Welt,
fanden aber ein gutes Ende für angst- oder wutbeladene Spielszenen. Die Affekte der unsicheren
Kinder wurden als flach bewertet, außer beim Ausdruck von Ärger und Zorn. Sie tendierten dazu, ein
und dasselbe Thema ständig zu wiederholen, ohne eine Lösung zu finden oder zu akzeptieren.
Verlassen werden durch die Eltern, Weglaufen des Kindes, Unberechenbarkeit und Rigidität der
Mutter - als Beispiele. Auch Proteste oder Gegenvorschläge der Spielpartner konnten keine gute
Wendung im Spiel erwirken. Die Hypothese der Emotionsbewältigung im gemeinsamen Symbol- oder
Rollenspiel, beobachtbar durch gütliche Problemlösung oder Wendung zum guten Ausgang einer
Geschichte, muss auf dem Hintergrund dieser Studie differenziert werden. Emotionale Regulation ist
danach kein zwangsläufiges Ergebnis gemeinsamer Symbolspiele. Sichere und sozial kompetente
Kinder bringen dazu mehr Fähigkeiten mit als unsichere und sozial weniger kompetente Spielpartner.
Interessant sind bei der Rosenberg-Studie die Korrelationen zwischen früher Mutter-Kind-Bindung
sowie Lebensgeschichte auf der einen Seite, und späterer Symbolspielqualität und Inhalte auf der
anderen Seite. Ich zitiere Bretherton: „The opportunities for emotional mastery appear to be least
open to those most in need of it”. D.h., die Möglichkeiten von Emotionsregulation stehen gerade
denjenigen nicht zur Verfügung, die sie am meisten brauchen würden oder benötigen würden.
So bedeutend und umfangreich Piagets Arbeit zum Symbolspiel ist, sie nimmt die Fähigkeit zum
Symbolspiel als gegeben an und stellt nicht die Frage nach individuellen Unterschieden bei Kindern
sowie deren Ursachen; und somit auch nicht die Frage nach indirekten oder direkten
Unterstützungen, die Kinder in der Ausbildung dieser Fähigkeit benötigen. Bretherton betont die
Notwendigkeit, aus dem beobachteten Problem von Kindern im Spiel Konsequenzen zu ziehen und
dementsprechend therapeutische oder spielfördernde Programme zu entwickeln.