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Un t e r we g s s e i n-e i nMy t hosde rP opk ul t ur rock‘n‘popmuseum / Thomas Mania (Hg.) On the Road Unterwegssein – Ein Mythos der Popkultur Telos Verlag Dr. Roland Seim M.A. Verlag für Kulturwissenschaft Münster 2008 Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek: Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie, detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. 1. Auflage, August 2008 Katalogbuch zur gleichnamigen Ausstellung im rock‘n‘popmuseum vom 10.8.-25.01.2009, Udo-Lindenberg-Platz 1, D-48599 Gronau, www.rock-popmuseum.de Copyright © 2008 rock‘n‘popmuseum Gronau Telos Verlag Dr. Roland Seim M.A. • Im Sundern 7-9 • D-48157 Münster/Westf. www.telos-verlag.de • mail@telos-verlag.de • Tel/Fax 0251-326160 Alle Rechte vorbehalten Die Urheberrechte der Texte bzw. der Abbildungen liegen bei den Rechteinhabern. Die Reproduktionen verstehen sich als Bild- bzw. Großzitate im Sinne von § 51 des Urheberrechts. Herausgeber und Ausstellungskurator: Dr. Thomas Mania Layout: Frank Schürmann • pressebüro & medienservice schürmann • Hullerner Str. 9 • D-45721 Haltern am See • www.schuermann.ws Coverdesign: Frank Schürmann Text- und Bildredaktion: Thomas Mania / Frank Schürmann Druck und Verarbeitung: Möllers Druck und Medien GmbH • Markusstraße 6-10 • 48599 Gronau-Epe • www.moellers-druck.de Printed in Germany 2008 ISBN-13/EAN: 978-3-933060-24-2 Dankes- statt Vorworte! Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Leser! In den Händen halten Sie den Katalog zur Sonderausstellung On the Road des rock`n`popmuseums in Gronau. Erstmals haben wir mit zahlreichen Gastautoren einen so umfangreichen Begleitkatalog erstellt. Neben den 1.000 Quadratmetern Ausstellungsfläche wollen wir so der besonderen Bedeutung des Mythos On the Road in der Musikszene wie im Alltag Rechnung tragen. Dieses konnte uns nur dank der hervorragenden Unterstützung aller Beteiligten gelingen. In Kooperation mit dem Kreis Borken und der Aktion Münsterland ist hierbei an erster Stelle das Land Nordrhein-Westfalen zu nennen, welches mit Mitteln der Regionalen Kulturförderung diese Ausstellung und den Katalog unterstützt hat. Neben den Autoren möchten wir uns auch bei den Inserenten, Sponsoren und Kooperationspartnern Achim Thierse Albert Kolanus, MC Toros Iserlohn Andreas Wiggenhorn, MC Free Eagles Bernd Hauenhorst, Ride-Inn Bürse-Hanning & Hohensee OHG, Provinzial Carsten Kümmel Christian Stange, MC Satans Slaves Cisco Berndt, Truck Stop Frank und Michael Eichhorn Frank Schürmann Frank Strodtmann Friedrich von Borries Gunther Matejka Hans-Jürgen Topf, The Rock´n´Roll Laundry Henk Drenthe Harley-Davidson-Presseabteilung heddier electronic Jason Röllicke, MC Toros Iserlohn Jens-Uwe Fischer Dr. Josef Spiegel, Künstlerdorf Schöppingen Karl-Oskar Hentschel, Elvis Presley Initiative, Gelsenkirchen Klaus der Geiger Klaus Hüpper, MC Freeway Rider’s Klaus Lemke Loman Manfred Klee Maren Niemeyer Film media systems OHG Meik Strodtmann Dr. Michael Ahlsdorf, BIKERS NEWS Michael Kleff Möllers Druck & Medien GmbH Musik Produktiv Netside Online Service GmbH Nüssli AG Dr. Peter Bischoff Peter Ellenbruch, Scopium Peter J. Kraus Pro Arte GmbH RadioLukas Rainer Migenda Ralph Larmann Renault-Autohaus Wallmeier Rhea Marstaller Riesenbuhei Entertainment GmbH Sennheiser electronic GmbH & Co. KG Stadtmarketing Gronau Thomas Pieper Traveler Guitars Udo Dobrzanski Ulrich Wethmar Uwe Brügmann Volker Köster VW-Nutzfahrzeuge-Presseabteilung Winfried Bettmer, Filmwerkstatt Münster Woody Guthrie Archives bedanken! Wir freuen uns, dass wir gemeinsam dieses Projekt realisieren konnten! Thomas Albers Geschäftsführer der rock`n`popmuseum gGmbH Thomas Mania ON THE ROAD Unterwegssein– - ein Mythos der Popkultur Eine Ausstellung des rock’n’popmuseums vom 10. August 2008 bis zum 25. Januar 2009 Die Straße, das Band der Sehnsüchte und der Albträume. Unterwegssein - Abenteuer und Gefahr, kaum jemand kann sich der Faszination des Asphalts entziehen. So sind die Facetten der Leute, die „unterwegs” sind, vielfältig. Vom gefährlich dreinschauenden, Ganzkörper tätowierten Biker, über die Hippies in einem farbig bemalten Bulli und dem Tramper mit der umgehängten Gitarre, bis hin zum Trucker mit Cowboyhut, der sich auf dem „Highway” von Countrymusic berieseln lässt – alle sind sie getrieben vom Ruf der Freiheit und Individualität. So unterschiedlich ihr Outfit, so skurril sind ihre Fahrzeuge und Fortbewegungsmittel. 16 Die Qualmschwaden und das Knattern ihrer Auspuffanlagen durchbrechen die Bässe der Soundtracks ihres Unterwegsseins. Psychedelic, Country, Folk, Hard Rock und HipHop propagieren unterschiedliche Formen der Mobilität mit gesellschaftlich eminenter Auswirkung. Denn Mobilität ist heutzutage ein über die Gebühr strapazierter Begriff und impliziert weit mehr als die bloße Möglichkeit des Ortswechsels. Seine Definition verschwimmt in der Anpassung an die Erfordernisse der modernen, globalisierten Leistungsgesellschaft. Mobilität und Flexibilität werden zu Synonymen, die sowohl die physische als auch die soziale und mentale Bereitschaft zur Bewegung und damit zur Veränderung voraussetzen. Die Ausstellung verfolgt die Geburt des Mythos des Unterwegsseins im Land der unbegrenzten Möglichkeit und zeigt seine Auswirkungen auf die deutschen Jugendkulturen und die allgemeine Individualisierung unserer Gesellschaft. Motor der Freiheit Die technischen Grundlagen dazu schuf die Motorisierung, die zu Beginn des 20. Jahrhunderts die Lebens- und Arbeitswelt grundlegend revolutionieren sollte. Mit seiner Produktion des Modell T kreierte Henry Ford nicht nur den ersten „Volkswagen”, sondern setzte auch produktionstechnische Signale, die von nun an über Jahrzehnte die Arbeitswelt dominierten. Die Produktion des Modell T begann 1908, 1914 folgte die Automatisierung der Produktion im Fließbandverfahren und bis 1927 verließen 15 Millionen Einheiten die Fabrikhallen. Der Visionär Henry Ford wusste sehr wohl um die Rastlosigkeit der angebrochenen, mobilen Moderne: „Jedermann will irgendwo sein, wo er gerade nicht ist, sobald er dort ist, will er wieder zurück” (zitiert nach Geissberger 1985, S. 103). Der damalige Kaufpreis für Fords „Vehikel der Unrast” entsprach im Kaufkraftvergleich in etwa dem eines derzeit angebotenen Niedrigpreisautos. Bereits in den 1930er Jahren begab sich die Familie Joad im Nobelpreis gekrönten Roman von John Steinbeck Früchte des Zorns im Automobil auf den Treck in Richtung Westen. Dagegen konnte man noch Mitte der 1960er Jahre die Autos auf den Straßen bundesdeutscher Großstädte an den Fingern einer Hand abzählen. Weist die Statistik1960 in der Bundesrepublik Deutschland gerade einmal 4,5 Millionen PKW aus, hat sich der Bestand bis 1990 mehr als versechsfacht (30.685.000). Damit besitzt 1960 noch nicht einmal jeder zwölfte Bundesbürger einen PKW, die tatsächliche Zahl der ausschließlich privat genutzten PKW dürfte noch weit darunter liegen. Dagegen verzeichneten Krafträder als 17 preisgünstige Mobilitätsvariante mit geringerem Statuswert einen Rückgang um ca. 88 %, von 1,9 Millionen Fahrzeugen 1960 auf einen absoluten Tiefstand von 229.000 im Jahr 1970 (Weltalmanach-Redaktion 1999, S. 1307). Der große Französische Soziologe und Semiotiker Roland Barthes benennt in seinem Werk „Mythen des Alltags” den Fetisch Auto gar als eine der bedeutendsten Schöpfungen der Epoche, ein magisches Objekt, das sich das Volk zurüstet und aneignet – ganz ähnlich dem Äquivalent großer gotischer Kathedralen (zitiert nach Jehle 1985, S. 147). Die Vorstellung eines mobilisierten Lebens hat historisch betrachtet wenig an Faszinationskraft eingebüßt und zählt noch heute zu einem der gängigsten Klischees des „american way of life”. Der Begriff der Freiheit ist untrennbar geknüpft an die schlichte Möglichkeit der Bewegung. So gehen die manifeste Technik und der philosophische Begriff der Freiheit eine sonderbare Ehe ein. Fahr-Zeuge als schlichte Dinge der Fortbewegung erhalten auf diesem Weg ihren mythischen Charakter und ihr Image – als Statement von Freiheit, sozialem Status und Individualität. Geburt des Mythos Wer den Einwandererströmen in die USA folgte, hatte seine sozialen Bindungen und einen großen Teil seiner Habe bereits hinter sich gelassen, getrieben von einem unstillbaren Hunger auf Neues, Uentdecktes. So kennzeichnet bis heute das Phänomen der fehlenden Objektbeziehung die amerikanische Gesellschaft. Bis zu vierzehn Mal wechseln die Amerikaner im Durchschnitt ihr Domizil, 85 % der 9 Millionen Südkalifornier ziehen ein Mal jährlich um (Weihsmann 1991, S. 72). Der Verzicht auf eine enge Objektbindung ist die grundlegende Voraussetzung zur Bereitschaft des Unterwegsseins. Dem Ruf des Westens zu Abb. Ausstellungseinheit „Route 66” 18 19 erliegen hieß, sich seiner individuellen Leistungsfähigkeit auszuliefern, Altes hinter sich zu lassen. So erklärt sich unter dem weiten Himmel eines Landes der unbegrenzten Möglichkeiten die mythische Verehrung der Straße als Wegbereiter einer unaufhörlichen Suche nach sich selbst und neuen Situationen. In diesem Sinne meint „On the Road” im amerikanischen Sprachgebrauch in erster Linie den Vorgang des Unterwegsseins als eigene, Sinn bildende Qualität. Ankommen verliert fast seine Bedeutung. Immer unter Strom (Element of Crime) Wegzukommen ist uns heilig Anzukommen ist egal Immer unter Strom Immer unterwegs und überall zu spät Was sich nicht bewegt, ist nicht zu fassen Wo wir war’n, war immer alles fade Wo wir hinfahr’n, wird es wunderbar Und hoffen dürfen wir solange, wie sich der Motor dreht Mother Road Zahlreiche Artefakte der Popkultur bezeugen die Verehrung der Straße und den damit verknüpften Sinnbildern. Der berühmte Song 20 (Get your Kicks at) Route 66, von Robert William Troup geschrieben und von Nat King Cole erstmalig aufgenommen, existiert in einer fast unüberschaubaren Anzahl von Coverversionen. Die Namen der Interpreten reichen von Chuck Berry, über die Rolling Stones bis zu Depeche Mode, eine der stilbildenden Bands der schrägen 1980er Jahre. Seit John Steinbecks Werk Früchte des Zorns heißt die Route 66 „mother road”. Für den Beatnik Jack Kerouac war sie die Hauptschlagader auf seinem ziellosen Umherreisen durch die USA, das er im Bahn brechenden Werk On the Road dokumentierte. Kerouacs Roman steht stellvertretend für die „Flucht vor einer saturierten und in sich ruhenden Gesellschaft” und „drückt sich auch im Rausch des Fahrens, der Bewegung und Beschleunigung aus” (Weihsmann 1991, S. 72). Der 50 milliardenschwere „Interstate Highway Act” von 1956 degradierte die Route 66 schließlich zu einem besseren Feldweg (Schneider 2007, S. 125), der dennoch bis heute viele Touristen anlockt, die dem speziellen amerikanischen Flair des Unterwegsseins erlegen sind. Nicht umsonst ist auch eine Zigarettenmarke als Verkaufsargument nach jener Straße benannt, die so sehr wie keine zweite den Stereotyp eines Landes mit seinen Versprechen von Weite, Freiheit, Abenteuer und Individualität verkörpert. Die Heimatlosigkeit des Blues – Unterwegs auf dem Highway 61 Immer wieder taucht im Blues das Unterwegssein als Heimweh-Motiv auf. „I wanna go back home” steht für etwas Verlorenes, das wieder gefunden werden muss, die Liebe oder die Freiheit, die Heimat, ein Job oder eine Wohnung (Berendt 1960, S. 8). In diesem Leben der rastlosen Suche vieler Afroamerikaner in den 1940er Jahren spielt der Highway 61 eine bedeutende Rolle. Weitaus prosaischer - nicht annähernd so oft besungen, beschrieben oder filmisch festgehalten wie die Route 66 - ist die Bedeutung des Highway 61. Er erschließt die USA von Norden nach Süden, einen beträchtlichen Teil am Ufer des Mississippi entlang. Für den Blues, jene aus afrikanischen Wurzeln sprießende Musik, entbehrt die Route 61 im Gegensatz zur Route 66 jeglicher Romantik. Sie steht stellvertretend für die sozial und ökonomisch erzwungene Nordwanderung der Bluesmusik, heraus aus dem ländlichen Umfeld des akustischen Mississippi-Blues, hin zum elektrisch verstärkten urbanen ChicagoBlues. Die Mechanisierung der Landwirtschaft und die Subventionspolitik machten die Weißen in den agrarischen Südstaaten reich und trieben die afroamerikanische Bevölkerung von den Baumwollfeldern des Südens in die Industriestädte des Nordens. Der Anteil der schwarzen Bewohner Detroits zum Beispiel Abb. Ausstellungseinheit „Blues“ 21 wuchs von 150.000 im Jahr 1940 auf 350.000 im Jahr 1947 (Schneider 2007, S. 123). Lediglich die Kreuzung Route 61 mit der Route 49 erlangte als Crossroad mythische Bedeutung. Hier ergaunerte Robert Johnson, so sagt die Legende, im Geschäft mit dem Teufel sein „außerirdisches” Gitarrenspiel. Und dennoch ist die Route 61, als Blueshighway, einer der Schlüssel für die Bedeutung des Unterwegsseins in der Popmusik. Die afroamerikanische Musik der Entwurzelten und Unterdrückten feierte in den 1960er Jahren ihre Wiederentdeckung – „der Blues biss sich irgendwann in den frühen 1960er Jahren im Hinterteil der Populären Musik fest” (Russell 1998, S. 6). Auftritte von Big Bill Broonzy, Tourneen von Muddy Waters, 1958 durch England, und die American Folk Blues Festivals, von Horst Lippmann und Fritz Rau veranstaltet, brachten den Blues auch nach Europa. Hier inspirierte er insbesondere die Londoner Musikszene und erschloss Künstlern wie den Rolling Stones, The Who oder Eric Clapton einen bis dato kaum beachteten Musikkosmos. Die ureigene schwarze Bluesthematik des rastlosen Umherziehens, ungehemmte Sexualität und Promiskuität – das Sinnbild des „Rolling Stone” - fand nun endgültig ihren Eingang in den textlichen Kanon der Rockmusik. Das, was Elvis noch eher zurückhal- 22 tend seinem Publikum mit dem Hüftschwung versprach, fand nun seine offene Kontextualisierung. Die Mythen des „On the Road” und des „Rolling Stone” gehören in der Populären Musik seitdem untrennbar zueinander. Während sich die Bluesbarden noch aus puren kommerziellen Zwängen auf die Straße begaben, sah die amerikanische Folklegende Woody Guthrie darüber hinaus einen Akt der Solidarisierung mit den unteren sozialen Schichten. Gerade bei Woody Guthrie mischt sich dieses sozialpolitische Statement mit dem für die USA so typischen Entdeckergeist, der in den 1950er Jahren unter anderem auch den Beat-Literaten Jack Kerouac beseelte. Die Beatniks erlagen dem „Rausch des Fahrens (…), sie sind die jugendlichen Aussteiger auf der Zivilisationsflucht, eine Signatur des Abenteurertums und Wiederfinder der Identität, ähnlich wie die Romanfiguren Tom Sawyer und Huckleberry Finn Archetypen des ’homo americanus’ sind” (Weihsmann 1991, S. 72). Papa Was A Rolling Stone (Temptations) Hey, Papa was a rolling stone Wherever he laid his hat was his home Imagetransfer Spätestens mit dem Rock’n’Roll und dem „american way of life” eroberte sich die USA Ende der 1950er Jahre die Kulturhoheit über breitere Kreise der Jugendlichen in Europa. Die Popkultur wird zu einem der wichtigsten Medien des Imagetransfers. Jugendlichkeit, bis dahin eher noch ein unentschlossenes postpubertäres Durchgangsstadium, entdeckte sich selbst und reifte zum kulturellen Motor der gesellschaftlichen Entwicklung. Die Mechanismen dieses Selbstfindungsprozesses bedürfen der Provokation als Vehikel der Abgrenzung von der Welt der Eltern. Provokation braucht Öffentlichkeit, im Verborgenen verliert sie ihr Ziel. Sinngemäß war einer der ersten dieser Konventionsbrüche die Eroberung der Straße, die Besetzung öffentlicher Räume durch die Halbstarken Ende der 1950er Jahre. Die Entwicklung des kleinen Transistorradios schenkte ihnen die Mobilität ihrer Musik, den Rock’n’Roll. Damit hatten sich die zwei grundlegenden Komponenten der populären Kultur gefunden. Die neue Bohemien, Image tragender Künstler und die Jugendlichen, die nun ihre Sehnsüchte und Wünsche in dieses Image hineinprojizieren konnten. Der Mythos des „On the Road” – das Unterwegssein als ein wichtiges, Image definierendes Faktum sensibler, suchender Künstler war geboren. Ruhe und Sesshaftigkeit galten spätestens jetzt als „spießig” und konventionell, bar jeglichen Protestpotentials. Unterwegssein wird zum Ziel, die Nacht zum Tag, die Straße zur Heimat, die Absteige zum Wohnzimmer, die Straßen-Gang zur Familie und die Medien der Popkultur zum Regisseur dieses Films. Rambling Die Ausstellung zeigt sechs verschiedene Themenbereiche, die unterschiedliche Images des Unterwegsseins repräsentieren. Das Umherwandern, in der Ausstellung als „Rambling” tituliert, zieht sich seit dem Blues oder Woody Guthrie wie ein roter Faden durch die Geschichte der Popmusik. Die Transportmittel sind vielfältig, nur eines verbindet sie – sie kosten nichts. Seine Faszination bezieht das Rambling früh von der verklärenden HoboRomantik – Wanderarbeiter, die als blinde Passagiere auf Güterzügen reisten. Sie fand unter vielen anderen auch durch den weltberühmten Autor Jack London (Ruf der Wildnis, Der Seewolf), mit The Road - Abenteuer eines Tramps - zu Beginn des 20. Jahrhunderts Eingang in die populäre Literatur. War das Schicksal der wandernden Bluesbarden noch fremd gesteuert, bei Woody Guthrie 23 aus innerem Antrieb erfolgt, reduzierte es sich beim jungen Bob Dylan auf den reinen Imageaufbau in Anknüpfung an Woody Guthrie als amerikanische Folklegende „On the Road”. Gerade Bob Dylan aber inspirierte Anfang der 1960er Jahre ein weltweites Folk-Revival und besorgte mit seinen finger-pointingsongs die Politisierung des Genres, bevor er sich 1965 gerade davon wieder distanzierte und die LP mit dem aussagekräftigen Titel Another Side of Bob Dylan produzierte. Der Einfluss Bob Dylans als Singer und Songwriter war dennoch unbestritten weitreichend. Blowin’ in the Wind gehört seit den 1960er Jahren zum festen Repertoire der Lagerfeuerromantik der „Spät-Hobos”, Abiturienten und Studenten, die trampend oder mit dem Interrail-Ticket in den 1970er Jahren den Süden Europas bereisten. Abb. RadioLukas auf der Straße, 2008 (Foto Frank Schürmann) 24 Auch der Straßenmusikszene in der Bundesrepublik hauchte Bob Dylan neues Leben ein. So bezieht sich Klaus der Geiger, einer der bekanntesten deutschen Straßenmusiker und Kölner Original, auf den amerikanischen Folk, von dem er sein politisches Engagement bezog. Klaus der Geiger war als Mitglied der Kölner Straßenmusikkommune Tabernakel Anfang der 1970er Jahre einer der wenigen Liedermacher, die mit ihrer direkten und offenen Wortwahl an den Agitprop der 1920er Jahre erinnerten (Spill 1987, S. 23). Neben Klaus der Geiger zeigt die Ausstellung zwei weitere „Wandernde Musiker”, Radio Lukas und Rainer Migenda, die beide der Faszination eines selbst bestimmten Lebens „On the Road” erlegen sind und damit ein Stück des typisch amerikanischen Geistes in der Tradition Woody Guthries repräsentieren. Ramblin’ Man (Hank Williams) I can settle down and be doin’ just fine Til I hear an old train rollin’ down the line Then I hurry straight home and pack And if I didn’t go, I believe I’d blow my stack I love you baby, but you gotta understand When the lord made me He made a ramblin’ man. Lonesome Riding „I’m a poor lonesome cowboy and a long way from home” singt die Comic-Cowboy-Figur Lucky Luke am Ende seiner Abenteuer und reitet in den Sonnenuntergang hinein. Die Faszination des Cowboys hat in Deutschland eine lange Tradition, die in den 1950er und 1960er Jahren durch den Schlager, Kino und Fernsehen nach den 1930er Jahren wieder neue Fahrt aufnahm. Diese Imageprojektion in die Figur des einsamen Cowboys lebte von einer sehr eigenwilligen Gemengelage von Heimatverbundenheit und erwachendem Fernweh, die sehr typisch für die 1950er Jahre in der Bundesrepublik Deutschland war. Sinnbildend stehen die Erfolge des Heimatfilms gleichberechtigt neben denen der Italienreise. Auch Freddy Quinns besungene Sehfahrerromantik war Ausdruck dieser merkwürdigen Bipolarität einer sich selbst suchenden Kultur, für die das Sinnbild der Individualität, historisch betrachtet, das eigentlich Neue der amerikanischen Kulturdominanz darstellte. Die Repräsentanz des Cowboys im Schlager der ausgehenden 1950er und 1960er Jahren war gewaltig: Gitte möchte einen Cowboy als Mann. Der deutsche Hürdenläufer Martin Lauer verkauft von seinen Songs wie Wenn ich ein Cowboy wär’ (1963), Sein bestes Pferd oder Am Lagerfeuer (1964) unglaubliche 25 sechs Millionen Exemplare. Der Markt boomte, die Verfilmung der Winnetou-Trilogie war ein überwältigender Kinoerfolg, im Fernsehen begeisterten Serien wie Am Fuß der Blauen Berge (1959 – 1965) oder Bonanza (1962 – 1973) die Zuschauer. Ist der Erfolg des Cowboy-Klischees im direkten Einflussbereich amerikanischer Kulturhoheit durchaus nachvollziehbar, so verwundert um so mehr dessen Faszination im Lande des sozialistischen Gegenentwurfs der DDR. Zunächst unterdrückt, später aber zugelassen konnte sich auch der politisch korrekt erzogene Genosse kaum der Strahlkraft des einsam und frei umherschweifenden Reiters entziehen. Vorsichtig entwickelte sich in der DDR gegen Ende der 1970er Jahre eine staatlich geduldete CountrymusicSzene, die die Cowboy-Begeisterung zu kanalisieren wusste. In der Bundesrepublik etablierte sich in etwa zeitgleich eine Szene, repräsentiert von Truck Stop, Tom Astor oder Gunther Gabriel. Mit Abb. Filmplakat „Convoy”, 1978 26 dem Song Ich möcht’ so gern Dave Dudley hör’n von Truck Stop feierte die deutschsprachige Countrymusic 1977 ihre Geburtsstunde. Fast parallel fand die Übertragung der Cowboy-Romantik auf den Trucker statt. 1978 produzierte Sam Peckinpah den für Deutschland initiierenden Kinoerfolg Convoy mit Kris Kristoffersen in der Hauptrolle, in dem der Trucker zum Cowboy mutiert. Grundlage des Films war der gleichnamige Countrysong von C. W. McCall. Seit den 1980er Jahren traf sich die Szene auf speziellen Trucker-Events, die amerikanischen Volksvergnügen nacheiferten und damit dem amerikanischen Traum von Weite, Selbstverantwortung und Ungebundenheit huldigten. Im Truckermythos verschmelzen Männlichkeitsethos und Sehnsucht nach Selbstständigkeit (Florian 1994, S. 229), Eigenschaften für deren äußere Repräsentanz nichts so gut taugt wie das überfrachtete Klischee des Cowboys. Highway Helden (Tom Astor) Die nächste Stadt am Horizont Beim Truckstop ’rausgefahrn Den Diesel wieder aufgetankt Und hinterm Haus geparkt ’Ne heiße Suppe, viel Kaffee ’Ne schnelle Marlboro Und dann mit Lola aus der Küche Rasch noch mal ins Stroh Outlaw Riding 1947 ist das Jahr, in dem viele Motorrad-Clubs ihr initiierendes Ereignis sehen. In der kalifornischen Stadt Hollister fanden seit 1930 jährliche Motorrad-Rennen statt, die die American Motorcycle Association (AMA) veranstaltete. Erstmalig kam es nun in diesem Jahr zu Ausschreitungen, deren wahres Ausmaß historisch nicht ganz eindeutig zu klären ist. Ein angebliches Statement der AMA, lediglich ein Prozent der Teilnehmer hätten sich an den Ausschreitungen beteiligt, wächst sich zu einem wahren Mythos aus. Bereits ein Jahr vorher, 1946, hatten Veteranen des zweiten Weltkriegs den Boozefighters (Kampftrinker) MC gegründet. Nach den langen Entbehrungen und der starren Hierarchie des Militärs sollten jetzt die neuen alten Freiheiten jenseits der AMA zelebriert werden. Die AMA bezeichnete die Renn-Veranstaltungen dieses eher anarchistischen Haufens, für den Motorradfahren und Partyfeiern abseits des organisierten Rahmens der AMA im Vordergrund stand, als „Outlaw Biking” und meinte damit die aus ihrer Sicht unorganisierten „Fun Races” der Boozefighters (Ahlsdorf 2004, S. 74 ff.). Damit war nun ein Image kreiert, in dem sich viele Motorrad-Clubs bis heute einrichten können. Der stolz zur Schau getragene „One Percenter”-Patch ist der historische Rückbezug auf diese Ereignisse in und um Hollister des Jahres 1947, die in üblicher 27 28 Abb. Indian Scout, 1928 (Foto Frank Schürmann) 29 Abb. Weste des MCs Toros Iserlohn, 1970er Jahre (Foto Frank Schürmann) Hollywood-Manier im Film The Wild One mit Marlon Brando dramatisiert und verarbeitet wurden. Als erster Motorrad-Club entstand 1932 in Maryville, Louisiana der GYPSY MC (Motorcycle Club), 1935 folgte der Outlaw MC in der Nähe von Chicago an der Route 66 und 1948 formierten sich die Hells Angels, heute eine der bedeutendsten Gruppen weltweit. In der Bundesrepublik Deutschland waren es in den 1950er Jahren die sogenannten Halbstarken, die ihren körperlich expressiven Stil öffentlich zelebrierten. Ihre Vorbilder fand diese spezifische Nachkriegsjugendkultur im amerikanischen Rock’n’Roll und insbesondere in der Figur des Filmschauspielers James Dean. Aber auch im Umfeld der Aufführungen des Films Blackboard Jungle mit der Filmmusik von Bill Haley und dessen Konzerten kam es immer wieder zu publizistisch ausgeschlachteten Ausschreitungen Jugendlicher. Die Mobilität der Halbstarken blieb aus finanziellen Gründen beschränkt, nur wenige konnten sich 30 ein Moped leisten. Deshalb handelte es sich bei den frühen Rocker-Clubs zunächst um eine territorial gebundene Kultur, die in ihrem Ausdruck stark an die britische Rocker-Szene der 1960er Jahre angelehnt war. Diese etablierte sich ihrerseits als Gegenpol zur Motorroller-Szene der Mods in England. Auch beim Begriff „Rocker” handelte es sich um eine Übernahme aus dem britischen Kulturraum. So kam es zu einem eigenartigen angloamerikanischen Kulturgemisch deutscher Jugendbanden, die sich in Leder kleideten wie ihre britischen Pendants und so benannten wie ihre US-amerikanischen Stars, so zum Beispiel der James-Dean-Club aus Dortmund oder der Elvis-Club aus Gelsenkirchen. Clubs nach amerikanischem Vorbild entstanden in der Bundesrepublik zunächst im Umfeld des amerikanischen Militärs. Ende der 1960er Jahre gründete der GI Larry Coleman in Frankfurt die Bones. Der Film Easy Rider mit der Hymne von Steppenwolf Born to be Wild brachte 1969 den großen Umschwung und machte die Szene zu dem, wie sie sich im Wesentlichen auch heute noch präsentiert. Der Chopper und die Motorradmarke Harley-Davidson sind seitdem das non plus ultra der MCs, die durch den großen Einfluss amerikanischer Clubs heute einer starken Konzentration unterliegen. Im Zeichen amerikanischer Kulturhoheit legten die deutschen MCs Anfang der 1970er Jahre ihre Lederkleidung ab und wechselten zu „Jeans-Kutten”, die charakteristischen Westen nach Vorbild der Hells Angels. Inzwischen sind die deutschen MCs allerdings wieder zu Lederkutten zurückgekehrt. Trotz einer ausgeprägten Hierarchie und einer angeglichenen Ästhetik sehen die Mitglieder in den Clubs ihren Wunsch nach Freiheit und Individualität verwirklicht. Es gibt in der Populären Musik eine Vielzahl von Titeln, die den Hang zur wilden Rebellion auf zwei Rädern thematisieren, zumeist aus der Ecke des Harten und Heftigen, so zum Beispiel AC/DC mit dem Song Highway to Hell. Nicht zufällig gibt es ästhetische Parallelen der Rocker zu den Verehrern des Heavy Metal, die sich am deutlichsten in den Kutten und im Gebrauch todesverachtender Symbole niederschlagen. Besonderen inhaltlichen Bezug der Motorrad-Clubs gibt es aber auch zum Southern Rock, der sich in der Tradition der abtrünningen Südstaaten der USA sieht. Ihr Symbol, die Rebel Flag, steht für ungehemmte Freiheit, Selbstbewusstsein, Individualität und Outlaw-Dasein. Die Faszination des Rebel Flag schwenkenden Renegatentums findet sich auch bei den Truckern wieder und ist damit ein Beweis dafür, dass die verschiedenen Formen des Unterwegsseins Querverbindungen aufweisen. Hier zeigen sich die Facetten des ewig jungen Phänomens der Rebellion und der Selbstvergewisserung. 31 Born to be Wild (Steppenwolf) Get your motor runnin‘ Head out on the highway Lookin‘ for adventure And whatever comes our way Yeah Darlin‘ go make it happen Take the world in a love embrace Fire all of your guns at once And explode into space Abb. Modellauto `32er Ford Deuce Coupe, im Film „American Graffiti“ Millner‘s Hot Rod Car 32 Cruisen Cruisen entstand in den 1950er Jahren in den USA. Sehen und gesehen werden, Statusrepräsentation, sexuelles Balzgehabe sind die Motive des Cruisen. Der Regisseur des trendsetzenden Films mit autobiografischen Reminiszenzen American Graffiti, George Lucas, spricht von der amerikanischsten Form des Flirtens. Als entscheidende Blühsubstrate der Ausuferung der Teenagerkultur in den USA in den 1950er Jahren gelten das „Anwachsen der frei verfügbaren Zeit, der Wohlstand (…) der Nachkriegszeit und die Entstehung von Institutionen wie der Highschool, welche die Adoleszenz über Regionen und Gruppen hinweg vereinheitlicht” (Schneider 2007, S. 135). Das finanzielle Potential zur Entwicklung eigener kultureller Ausdrucksformen der Jugendlichen in den USA war in diesen Jahren des Rock’n’Roll erstaunlich hoch. Teenager gaben in den späten Jahren dieses Jahrzehnts cirka 50 Millionen US-Dollar für Schallplatten aus (ebenda). Deshalb konnten die Jugendlichen im Land der unbegrenzten Möglichkeiten auch das Auto zu ihrem absoluten Statussymbol küren, während der Rest des Planeten staunend diese Mobilität Postpubertierender zur Kenntnis nahm. Heckflossen-Autos und Drive-In bilden die faszinierende Melange von Nostalgie und Mo- dernität des Films American Graffiti (1973), der sich retrospektiv mit dem Erwachsenwerden amerikanischer Jugendlicher in den frühen 1960er Jahren beschäftigt. Das Low-BudgetProjekt entwickelte sich schnell zum Kassenschlager. Neben den Nostalgika, 1950er Jahre Autos und Rock-’n’-Roll-Musik, trug die hier gezeigte Autokultur zum Mythos Amerikas als Verkünder des modernen Lebens bei. Mel’s Drive-In, der Treffpunkt der Jugendlichen in American Graffiti, zeigte sehr deutlich, wie tiefgreifend die amerikanische Kultur an die Mobilität und das Automobil gebunden war. Sogar die Form der Ernährung ist dem flüchtigen und unsteten Augenblick des Rastens, einer nur kurzen Unterbrechung des Unterwegsseins unterworfen. American Graffiti trug damit auch zum Erfolg und der Imagebildung des jugendlichen Flairs der Fast-FoodErnährung in der Bundesrepublik Deutschland bei. Im Geiste von Jeans und Coca-Cola rebellierte die Jugend im Fahrwasser amerikanischen Kulturdiktates nun Anfang der 1970er Jahre gegen Papas Schnitzelkultur und Mamas Sonntagsbraten. Die erste McDonalds-Filiale eröffnete 1971 in Deutschland, blieb aber zunächst exklusiv der urbanen Kultur einiger weniger Großstädte vorbehalten. Das erste Drive-In-Lokal der McDonald’s-Kette eröffnete Anfang der1980er Jahre in Ludwigsburg seine separate Fahrspur mit Verkaufsschalter. 33 Abb. Buchumschlag, Robert Williams ist der initierenden Künstler der Lowbrow Art, die auf die Ästhetik des Hot Rodding zurückgeht. Im Jahr 2005 erwirtschaftete McDonald’s in der Bundesrepublik Deutschland nach eigenen Angaben einen beeindruckenden Jahresnettoumsatz von cirka 2,5 Milliarden €. 34 Überhaupt mutierte das Auto in American Graffiti nicht nur zum Statussymbol einer sich suchenden Jugend, sondern darüber hinaus zu einem Freiraum „a rolling steel home away from parental interference” (Daugherty 1982, S. 141). Das hier dargestellte territoriale Gehabe des ziellosen, aber unabhängigen Umherfahrens erinnerte zwar an die Kultur der Halbstarken, galt aber in dieser Form in den frühen 1970er Jahren in der Bundesrepublik als weitgehend unbekanntes Phänomen. Sogar heute noch bezeichnet die bundesdeutsche Straßenverkehrsordnung unnötiges Hin- und Herfahren (§ 30 Umweltschutz und Sonntagsfahrverbot) als Ordnungswidrigkeit, die mit Bußgeld geahndet wird. So zeigt American Graffiti einen tiefen Einblick in die von der hohen Mobilität geprägte US-amerikanische Jugendkultur und gilt damit als ein Stück „populärer Landeskunde” (Daugherty 1982, S. 141). „Technischer” Star des Films American Graffiti ist Milner’s Hot-Rod-Car, ein Ford Deuce ’32er Coupé. Hot Rodding entstand in den 1920er Jahren in Südkalifornien. Als eine Abb. Lowrider-Bike „Crocodile Hunter”, entworfen und gebaut von Frank und Michael Eichhorn (Foto Frank Schürmann) Folge der Roaring 20ths und der wirtschaftlichen Depression in den 1930er Jahren begannen weiße Jugendliche, preisgünstige Autos für Rennen optisch und technisch zu tunen. Bald entstanden lokale Klubs des Hot Rod (= heißes Pleuel), die sich Road Runners, Night Riders oder Bungholers nannten (Ganahl 2000, S. 13). Wie hinter vielen jugendkulturellen Phänomen stand auch hier der Wille zur Selbstvergewisserung, verquickt mit einem Hauch von Rebellion. „Hot Rods are just automobiles; they are an American popculture icon revered around the globe. Hot Rods have made legends, taking the spotlight 35 in all aspects of the beach culture, in movies, and in music. They represent youth, rebellion, and a drive to do things a little differently” (Drengi 2004, Umschlagtext). Hot Rodding nahm entscheidenden ästhetischen Einfluss auf die sogenannte Custom Art, Pinstripping und Airbrushing, das sich auch bei der Gestaltung von Motorrädern und Trucks enormer Beliebtheit erfreut, „just as it is emblatic of the renegade California Spirit” (Ganahl 2000, S.15). Auch der Einfluss auf den etablierten Kunstbetrieb wird inzwischen nicht mehr geleugnet (ebenda). In den 1950er Jahren gewann Hot Rod eine besondere Bedeutung. Das in diesen Jahren in den USA gewachsene Selbstvertrauen Jugendlicher spiegelt sich auch in Filmen mit James Dean und Marlon Brando oder eben retrospektiv auch in American Graffiti wider. Motorräder und Autos spielen hier als Manifestation der Counterculture (Donnelly 2000, S. 49) eine herausragende Rolle. Abb. Lowrider-Bike, Detailaufnahme (Foto Frank Schürmann) 36 So wie die Hot Rod Culture in den 1950er Jahren verstand sich „Lowriding” als Gegenpol zur Konformität der 1960er Jahre. Diese Form der Mobilität kreierten in Los Angeles die Chicanos, die spanisch sprechende Minderheit in den USA. Entsprechend ihrer Herkunft zeigte die Ikonografie des Lowriding neben zeitgenössischen Motiven wie Pinup-Girls und Gangstern auch solche, die der aztekischen Mythologie entstammen. Lowriding breitete sich in den 1970er Jahren in den hispanischen Communities schnell aus. Im Gegensatz zur weißen Rennkultur des Hot Rod entdeckte Lowriding die Langsamkeit für sich. Eine besonders spektakuläre Form des Tunings ist die Ausstattung der Autos mit spezieller Hydraulik, mit der man Autos nicht nur hüpfen, sondern im Extremfall auch tanzen lassen kann. (Donnelly 2000, S. 50). Für weniger finanzkräftige Jugendliche gab es spezielle tiefer gelegte Fahrräder. Auch eine Adaption des Lowriding durch die afroamerikanische HipHop-Kultur ließ nicht lange auf sich warten. Dem „Cruisen” und „Lowriding” huldigen zahlreiche Videoclips, die auch in Deutschland ihre Wirkung nicht verfehlen. Allgemein gilt auch für diese beiden Formen des Unterwegsseins „hot rodders and lowriders reveal feelings of alienation and belonging, rebellion and community, movement and individuality” (ebenda). Cruisen (Massive Töne) Wir sind die Coolsten, wenn wir cruisen, Wenn wir durch die City düsen, Wir sind die Coolsten, wenn die süßen Ladies uns mit Küsschen grüßen. Wir sind die Coolsten, wenn wir cruisen, Wenn wir durch die City düsen, Wir sind die Coolsten, nie am losen, weil wir rulen, wenn wir cruisen. Traveling Mit den Beatniks um Jack Kerouac, William S. Burroughs, Neal Cassady und Allen Ginsberg erlebte die biedere Nachkriegsgesellschaft der USA der1950er Jahre eine bedeutende Eruption. Ihr Lebensstil war gekennzeichnet von Drogenexzessen, provokativer Musik, Homosexualität, Kriminalität und häufig wechselnden Sexualkontakten. Ihre unaufhörliche Suche nach neuen Vision schlug sich auch in einer Ruhe-, Rast- und Heimatlosigkeit nieder, die ihren Ausdruck in zahllosen gemeinsamen Fahrten durch die USA fand. Aus dem Nährboden der Beatniks erwächst die Kultur der Hippies Mitte der 1960er Jahre mit dem Zentrum San Francisco in Kalifornien. Eine Gelenkstelle ist Allen Ginsberg, der auch mit Bob 37 Dylan und mit John Lennon von den Beatles befreundet war. Zu weiteren folgenreichen Begegnungen im Leben Ginsbergs zählten diejenigen mit dem LSD-Papst Timothy Leary und dem buddhistischen Meditationsmeister Chögyam Trungpa, der ihn fernöstliche Religion und Philosophie lehrte. Neben Ginsberg ist Neal Cassady von besonderem Interesse für den Zusammenhang des Unterwegsseins. Er saß am Steuer des Busses Furthur, mit dem die Merry Pranksters, eine Gruppe ausgeflippter Freaks, durch die USA zogen und damals noch legale Acid-Test, Versuche mit der halluzinogenen Droge Lysergsäurediethylamid (LSD), „diplomierten”. Beide Stränge der Suche nach Bewusstseinserweiterung und Selbsterfahrung durch Drogen oder fernöstliche Meditations- und Religionserfahrung, gepaart mit dem gruppenbezogenen Lebensstil der Kommune, führten zu einer gänzlich neuen Form des Unterwegsseins – das gemeinsame Reisen mit dem Bus. Farbenprächtige Vorbilder ihrer Vehikel setzten neben den Merry Pranksters mit ihrem umgebauten Schulbus die Beatles, die 1967 ihre psychedelische Leinwandreise im Reisebus voll skurrilem Humor präsentierten, die Magical Mystery Tour. Die Bezeichnung „auf den Trip gehen” erhielt im Zusammenhang mit psychedelischen Drogenerfahrungen seine ambivalente Bedeutung des Reisens in den realen und den inneren Kosmos der Selbsterfahrung. 38 Auch die Köpfe der progressiven Musik der 1960er Jahre begeisterten sich nun in der Tradition Hermann Hesses (Siddharta. Eine indische Dichtung, 1922) und der „Hipster” um Jack Kerouac (Gammler, Zen und hohe Berge, 1958) für fernöstliche Traditionen. Die Beatles experimentierten 1965 auf ihrer LP Rubber Soul in dem Song Norwegian Wood erstmalig mit dem traditionellen indischen Instrument, dem Sitar. Erste Ideen, den Sitar in die Popmusik zu integrieren, entwickelte allerdings Brian Auger mit seiner Band Yardbirds 1964 im Song Heart Full of Soul. Er wurde 1965 jedoch zunächst nur mit einem Sitar inspirierten Gitarrensound von Jeff Beck eingespielt. Spätestens mit dem Auftritt des indischen Sitarvirtuosen Ravi Shankar auf dem legendären Monterey-Pop-Festival, 1967, war die traditionelle indische Musik für den progressiven Rock kanonisiert. Das blieb nicht ohne Einfluss auf die Jugendkultur der späten 1960er Jahre. Auch sie begab sich nun im Bus auf den Hippie-Trail mit dem Ziel Indien, unter ihnen Deutschlands berühmtestes Model und Groupie dieser Jahre, Uschi Obermaier. Die Krautrock-Band Embryo hat ihre Reise unter dem Titel Embryo’s Reise filmisch und musikalisch dokumentiert. Abb. VW-Bus T1, Samba Luxus-Fensterbus, Baujahr 1963, von Manfred Klee ab 1976 durch Europa gefahren (Foto Frank Schürmann) Zum Kultfahrzeug des Traveling avancierte der VW-Kleinbus, liebevoll „Bulli” genannt. Das Mehrzweckfahrzeug bevölkerte nun auch zunehmend die Baleareninsel Ibiza, ein zweiter Fluchtpunkt des Unterwegsseins ausgeflippter Hippiescharen. Hier entstanden sogar HippieMärkte, auf denen Kunst- und Kleidungsimporte aus Indien feilgeboten wurden. Bis heute existiert im Ferienclub „Punta Arabi” ein wöchentlich stattfindender Hippie-Markt, der zu 39 den führenden touristischen Attraktionen der Insel zählt. Ein weiterer Anziehungspunkt auf der Insel sind seit 1991die Ibiza Bike Weeks, die von Klaus Wagner vom Motorrad-Club Freeway Riders aus Gelsenkirchen im Geiste Daytonas initiiert wurden. Hier lebte sie wieder auf die alte Allianz der Rebellion der Hippies und der Rocker aus den Spätsechzigern, die spätestens mit den entsetzlichen Ereignissen während des Rolling-Stones-Konzerts in Altamont seinerzeit ein Ende fand. Seit den 1980er Jahren ist das Traveling mit dem Bulli out. Disco, Punk und New Wave lösten die Hippiekultur ab. Inzwischen ermöglichen Billigflüge einen fernöstlichen Freak-Tourismus, der auch noch einmal mit hippieähnlichen Avancen in der Techno-Szene als „Goa-Trance” in den 1990er Jahren abgefeiert wurde - to be a hippie just for a few days. Magical Mystery Tour (The Beatles) Roll up we’ve got everything you need, roll up for the mystery tour. Roll up satisfaction guaranteed, roll up for the mystery tour. The magical mystery tour is hoping to take you away, Hoping to take you away. 40 Touring Im sechsten und abschließenden Ausstellungsbereich widmet sich das rock’n’popmuseum einem seiner Kernbereiche. Der Konzertbetrieb, die klassische Konnotation dessen, was oft unter „On the Road” verstanden wird. Die Faszination des Unterwegsseins kulminiert auch hier im Klischee des „Sex, Drugs and Rock’n’Roll”. Der Blick gilt diesmal allerdings nicht den farbig ausgeleuchteten Stars auf der Bühne und ihren postkonzertanten Soli mit den Groupies in den Hotelbetten, sondern den Frauen und Männern mit den Schwielen an den Händen. Es wird von denen berichtet, die die Cases schleppen, für das Merchandising zuständig sind, das Catering besorgen oder in großer Höhe angeseilt das Rigging erledigen. Hier zeigt sich ein ganz anderes Bild, eines mit viel weniger Pathos. Harte Arbeit, ungewöhnliche Arbeitszeiten und lange Abwesenheit bergen häufig Probleme für die Partnerschaft zuhause, die nur mit sehr viel Verständnis zu bewältigen ist. Und dennoch – kaum einen hält es, wenn die Straße wieder ruft mit ihren anonymen Städten, Hotels oder dem anstrengenden Leben auf engem Raum in den Nightliner-Bussen. Dann bekommen sie wieder glänzende Augen, wenn sie von einer Kameradschaft und einem einmaligen Teamgeist ganz fernab vom Klischee berichten. Für viele ist es mehr eine Berufung als ein Job, den man trotz allem ohne die Faszination und den Outlaw-Flair des Rock’n’Roll wohl kaum ausüben würde. In den Interviews spürt man, dass sie längst nicht alles preisgeben von dem, was sie erlebt haben – und was neben der harten Arbeit auch noch für sie hinter den prächtigen Kulissen des Tournee-Business als Krumen abfällt vom sündigen Leben des „Sex, Drugs and Rock’n’Roll”. Wie in den anderen Themenbereichen bedeutet das Leben auf der Straße auch für sie ein Stück der stillen Rebellion, der Individualität und der Freiheit – „moving is the closest thing to being free” (Willie Nelson, Country-Legende). Abb. Saubere Bühnen-Outfits für Stars - Waschmaschinen on the Road, Hans-Jürgen Topf mit seiner Rock ‘n‘ Roll Laundry (Foto Frank Schürmann) 41 Un t e r we g s s e i n-e i nMy t h osde rP op k u l t u r He r a us g e be rr oc k ‘ n‘ popmus e um / Thoma sMa ni a Di eVe r s pr e c hung e n de rS t r a ße s i nd v i e l f ä l t i g ,g l e i c hz e i t i g Cha nc eundGe f a hr .Unt e r we g s s e i nbe de ut e tde nGe g e ne nt wur fz urbür g e r l i c he n, i ns i c hs e l bs tr uhe nde nS e s s ha f t i g k e i t . We rs i c hont her oa dbe g i bt , de numwe htde rHa uc hde s Re be l l e n. Da sBe g l e i t buc hz urS onde r a us s t e l l ung be s c hä f t i g ts i c hmi t de nz a hl r e i c he nF a c e t t e n di e s e sk ompl e x e nThe me nbe r e i c he s , wi es i es i c hi mF i l m, de rL i t e r a t urundna t ür l i c ha uc h de rMus i kni e de r s c hl a g e n. Re nommi e r t eF a c ha ut or e ng e be nt i e f e n Ei nbl i c ki n di e Ge s c hi c ht eunddi eBe de ut ungv onKl i s c he e s ,I ma g e a uf ba u, Re a l i t ä t e nunda uc hS k ur r i l i t ä t e n. I hr eBe i t r ä g eha uc he nde r „ F a s z i na t i onS t r a ße ”L e be ne i n,i ni hr e nWor t e nwi r dde r My t hosl e be ndi g : „ mov i ng-i st hec l os e s tt hi ngt obe i ngf r e e ”( Wi l l i eNe l s on) Ge f ör de r tdu r c hde nMi n i s t e r p r ä s i de n t e nde sL a n de sNRW