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EINE GANZE STADT ALS SCHIEßSCHEIBE (Aggression Serbiens, bzw. der Jugoslawischen Volksarmee sowie der serbischen und montenegrinischen Verbände auf die Republik Kroatien und serbische Okkupation von Vukovar 1991) 1 Herausgeber Kroatisches Memorial- und Dokumentationszentrum für Heimatkrieg Herausgegeben und bearbeitet von Ante Nazor Redaktion Ante Nazor Autoren Anica Marić Ante Nazor Rezensenten Branko Borković Dr. phil. Davor Marijan Predrag Matić Stjepan Sučić Übersetzung ins Deutsche Danijela Marjanić Korrektur Akademiker Ante Stamać Druck Auflage Einband: Zentrum von Vukovar, November 1991; Folgen der serbischen Aggression (Titelbild) Kroatisches (Anti)Kriegsplakat, 1991 (Rückseite) CIP-Titelaufnahme der National-und Universitätsbibliothek in Zagreb in der Datenbank der Kataloge unter der Nummer … ISBN … (weicher Einband) 2 EINE GANZE STADT ALS SCHIEßSCHEIBE (Aggression Serbiens, bzw. der Jugoslawischen Volksarmee sowie der serbischen und montenegrinischen Verbände auf die Republik Kroatien und serbische Okkupation von Vukovar 1991) Zagreb, 2011 3 Wasserturm, Vukovar (Photo aus dem Archiv des Kroatischen Militärjournals) 4 Inhalt Siniša Glavašević, EINE LIEBESGESCHICHTE Branko Borković, VORWORT Ante Nazor, EINLEITUNG (der Weg zur Unabhängigkeit sowie die Okkupation und Befreiung der Republik Kroatien im Heimatkrieg) Ljerka Ivušić, SIE SIND UNSERE WAHRHEIT Ante Nazor, AGGRESSION SERBIENS, BZW. DER JNA UND DER SERBISCHEN PARAMILITÄRISCHEN VERBÄNDE AUF VUKOVAR IM JAHR 1991 Zusammenfassung Um Gottes willen, was für Menschen werden hier ermordet! (statt Schlußfolgerung) Erinnerungen der Beteiligten Ante Nazor, AUCH DAS KRANKENHAUS WAR EINE SCHIEßSCHEIBE (Krankenhaus während der Belagerungszeit) Bruchstücke der Chronologie der Ereignisse im Vukovarer Krankenhaus 1991 Getötete und vermißte Personal-Mitglieder des Vukovarer Krankenhauses Višnja Bilić, Ivan Grujić, OPFER AUS DEM VUKOVARER KRANKENHAUS Verzeichnis der identifizierten Personen, deren sterbliche Überreste aus dem Massengrab in Ovčara exhumiert wurden (193) Verzeichnis der Personen, deren sterbliche Überreste aus anderen Gräbern im Umland von Vukovar exhumiert wurden (16) Verzeichnis der Personen, deren sterbliche Überreste aus der Republik Serbien übernommen wurden (2) Verzeichnis der Personen, deren Schicksal unbekannt ist (55) Literaturnachweis Anica Marić, DAS ALTENHEIM Abkürzungen Namens- und Ortsindizes Siniša Glavašević, EINE STADTGESCHICHTE 5 6 Eine Liebesgeschichte* D ie Zeit, in der wir leben, ist eine so undankbare, daß der Mensch nur bedauern kann, überhaupt geboren zu sein, oder sich zumindest wünscht, sich zu einem anderen Zeitpunkt durchs Leben zu schlagen. Und warum? Weil in der jetzigen Zeit die Liebe einfach nicht für alle reicht. Umsonst besitzt man große Häuser und teuere Wagen, vergeblich verbringt man Winterferien auf dem Hohen Tatra-Gebirge oder in etlichen Winterresidenzen wie GarmischPartenkirchen, vergebens kauft man sich teuere Parfüme oder veranstaltet Briefings, all das ist nur der Nebelschleier eines wirklichen Lebens. Der Mensch entspannt sich in berauschenden Täuschungen, auf geschickt erdichteten geheimen Lebenswegen, und erst wenn es schon zu spät ist, als er mit geschloßenen Augen eigene Fehlgriffe ignorierend das reife Alter erreicht, begreift er plötzlich, daß ein neuer Anfang nicht mehr möglich ist. Das Ende wartet vielleicht hinter der nächsten Ecke. Wenn es keine Liebe gibt – kann man auch keine Jahre oder Glück stehlen. Jemandem könnte Sonne und Freude erscheinen, jemand könnte wiederum bei der Vorstellung ausharren, daß der Erfolg nur aus Auszeichnungen bestünde oder im Beisein der Schatten der Großen zu finden wäre, aber ich sah viele, die mit leeren Taschen und erhobenen Hauptes durch diese Stadt geschritten haben. Ihre Freude über ihr nicht vorhandenes Hab und Gut war viel größer. Weil sie die Stadt besaßen. Sie hatten Freunde. Sie hatten eine Seele. Sie hatten kein Geld um nach Zagreb, Wien oder Prag zu fahren. Ihr Geld blieb in vielen mit ihren Freunden leer ausgetrunkenen Gläsern und Bechern stecken, während sie alle zusammen auf Tagesanbrüche auf kroatischen Barrikaden warteten. Für einige von ihnen dauerte dieses Warten zu lange und wir haben sie verloren. Aber wir alle wissen, wo sie sind. Falls und das Leben Gelegenheit bietet, daß unsere Liebe über uns die Oberhand gewinnt, vielleicht könnten wir dann auch einem glücklichen Tod entgegensehen. * Der Autor war Journalist des Kroatischen Radiosenders Vukovar Siniša Glavašević, der nach dem Fall von Vukovar im Vukovarer Krankenhaus gefangengenommen und in Ovčara erschoßen wurde. Er verfaßte die Geschichte während der Belagerung und Verwüstung der Stadt. 7 Autor des Plakats: Boris Ljubičić 8 Vorwort N achdem man mich gebeten hatte, den ersten Teil dieses Buches zu lesen, welcher Zerfall Jugoslawiens und Kampf um Vukovar in den neunziger Jahren des vorigen Jhs. zusammenfassend thematisiert, sowie meine Überlegungen darüber aufzuschreiben, entschied ich mich meine noch vor etwa 10 Jahren notierten Beobachtungen und Erwägungen an dieser Stelle vorzustellen. Und obwohl ähnliche Gedanken dieses ganze Buch durchziehen, konnten sie durch einige neue Einzelheiten ergänzt und vervollständigt werden. Da dieses Werk einen Abriß der wichtigsten Ereignisse und Geschehnisse, die zur Auflösung Jugoslawiens beitrugen, bringt, und keine detaillierte Zergliederung in den Vordergrund setzt, habe ich keine Einwände und betrachte es als eine objektive und nützliche Leistung. Ich kann aber nicht umhin einige für das Verständnis des Staatsverfalls wichtige Vorgänge mit Nachdruck hervorzuheben, beispielsweise, daß dem Vorschlag der Errichtung einer Konföderation seitens Sloweniens und Kroatiens die Bildung eines unitaren Jugoslawiens entgegengesetzt wurde, oder daß es eine Tatsache war, daß die Teilrepubliken der SFRJ1 über ihre eigene Armee (Territorialverteidigung) im Rahmen der Streitkräfte der SFRJ sowie über die Jugoslawische Volksarmee (JNA) auf der Bundesebene verfügten, und daß die aufständischen Serben nur ein Faktor von vielen während der Vorbereitungen der militärischen Aggresssion Serbiens und Montenegros auf Kroatien waren. Nämlich, ein ähnliches Szenario bei einer Kriesenauslösung verwendete auch Hitler am Vorabend des Zweiten Weltkriegs (Wirkung und Tätigkeit der SA-Truppen). In den Jahren 1990 und 1991 hatte man bezüglich der Aktivitäten der JNA den Eindruck, als ob man von der NATO2 angegriffen würde, bzw. als ob das slowenische und kroatische Territorium besetzt wäre. Die Beschlagnahme der Bewaffnung der kroatischen Territorialverteidigung (was in Slowenien nicht geschah) war nicht nur eine verfassungswidrige Tat, sondern kam im weiteren Sinne des Wortes auch einer Besetzung des kroatischen Territoriums gleich. Ich nahm schon vor zehn Jahren Stellung zu den Behauptungen, daß man die nötige Distanz zu den Ereignissen im Heimatkrieg haben müsste, um sie überhaput objektiv besprechen zu können, besonders wenn es sich dabei um die Forderung nach einer “Bestätigung der Quelle durch die andere Seite” handelte. Deshalb beschäftige ich mich in diesem Vorwort auch mit einigen Äußerungen und Befehlen dieser “anderen Seite”, die für die Umstände, unter welchen die serbische Aggression gegen Kroatien vollzogen war, äußerst kennzeichnend sind. 1 kurz für Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien 2 kurz für North Atlantic Treaty Organisation – westliches Verteidigungsbündnis 9 Beispielsweise: Herr Nenad Čanak zieht in seinem Buch Godina raspleta (Das Jahr der Auflösung), im Kapitel unter dem Titel “Nacizam” (Nazismus), einen Vergleich zwischen den Kriegsvorbereitungen Deutschlands unter Hitler und Serbiens unter Milošević: Auf den Gebieten von Ländern, die eingenommen werden sollten, organisierte man Fünfte Kolonne … im Umfeld von deutschen Kulturinstitutionen. Der Nazismus in Serbien benutzte dazu serbische Kulturvereine “Sava”, “Prosvjeta”, wie auch verschiedene serbische und demokratische Parteien außerhalb Serbiens, welche einen sehr großen Wert auf die Erhaltung der Kulturidentität der Serben legten. Beograd beteiligte sich unmittelbar an deren Organisierung. Die offene Verfolgung von Juden begann nach dem Mord an einem deutschen Diplomaten in Paris durch einen “jüdischen Extremisten”, worauf die “Kristallnacht” erfolgte. Für Serbien übernahm diese Rolle der inszenierte Überfall auf ein Mitglied der Serbischen Demokratischen Partei (SDS) (M. Mlinar), der dabei an seinem Hals mit einem Rasiermesser geschnitten sein sollte, worauf die ersten Barrikaden um Knin errichtet und die ersten kroatischen Häuser auf dem Gebiet von Krajina in Brand gesetzt wurden. Nach den ersten freien und demokratischen Wahlen in Kroatien und dem Sieg der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft wurde die kroatische Territorialverteidigung durch die JNA entwaffnet. Die einzigen bewaffneten Formationen die noch unter der Kontrolle der neugewählten kroatischen Regierung standen, waren die Einheiten des Innenministeriums. Da aber viele seiner Mitarbeiter serbischer Nationalität angehörten und die demokratischen Veränderungen nicht anerkennen wollten, hatte die kroatische Regierung keine wirkliche Gewalt über sie. So ist als Beginn der Aufstellung der zukünftigen Streitkräfte der Republik Kroatien (RH) die erste Zusammenstellung der kroatischen Polizisten am 5. August 1990 zu verstehen. Das war die einzige gesetzmäßige Möglichkeit die Bewaffnung wieder zu beschaffen. Darauf folgte aber eine sehr beschwerliche Zeit eines fliegendes Staatspräsidiums als kein Frieden und kein Krieg herrschte und die vom “Verteidigungsminister” der SFRJ Veljko Kadijević in seinem Buch Moje viđenje raspada (Meine Sicht des Zerfalls, Beograd, 1993, S. 126-127), als “erste Phase” beschrieben wurde. Das Ziel der JNA bestand darin “das serbische Volk in Kroatien vor Angriffen der bewaffneten Formationen zu schützen, und ihm dadurch zu ermöglichen, eigene Verteidigung zu organisieren“. Die Aufgabe sollte “im Rahmen der Verhinderung der Konflikte unter verschiedenen Völkern gemäß der Formulierung des Staatspräsidiums der SFRJ” vollbracht werden. Dazu sollten “die Verbände der JNA in Kroatien und an seiner Grenze gestärkt und eine größere Anzahl der Panzer- und mechanisierten Einheiten von Kompanie bis Bataillon in die Nähe der möglichen Kriesenherde verlegt werden, damit man so schnell wie möglich eingreifen könnte. Auch eine entsprechende Anzahl der Panzer- und mechanisierten Brigaden (auch größere Formationen) sollte für größere Interventionen zur Verfügung gestellt werden.“ Die berüchtigten Vorfälle, die sich im Frühjahr und Sommer 1991 bei Pakrac, bei den Plitvicer Seen und in Borovo Selo ereigneten, bestätigen diese Behauptungen. 10 In Kroatien wurden neben der Spezialeinheiten des Innenministeriums seit April 1991 auch die Verbände der Nationalgarde (am Anfang auch im Rahmen des Innenministeriums) und des Zivilschutzes formiert. Nachdem der Krieg in Slowenien Ende Juni ausgebrochen war, begann man die Kasernen der JNA zu blockieren. In diesem Zeitraum sollte man auch den Tag, als der eigentliche Krieg in Kroatien begann, suchen. Diesbezüglich erzählte Veljko Kadijević in seinem Buch (S. 130), daß man neben der Hauptaufgabe, den Schutz des serbischen Volkes in Kroatien zu gewährleisten – auch den Befehl erhielt, zusätzlich Objekte, Verbände und Soldaten der JNA sowie ihre Familien zu schützen, was dann natürlich die Ausführung aller Ziele erschwerte. Die serbischen Quellen weisen klar und deutlich auf die Rolle der JNA hin und auf die von ihr unternommenen Maßnahmen einen Konflikt heraufzubeschwören, da ihr die Zeit davonlief. Demgegenüber war für Kroatien jede Vertagung jeglicher Zusammenstöße kostbar, da Kroatien einfach keine Waffen hatte. Veljko Kadijević schildert ausführlich die Versuche der JNA die Konflikte zu provozieren und damit auch gleich Kroatien als Schuldigen für die entstehenden kriegerischen Auseindersetzungen zu bestimmen. Auch die Vorfälle, die sich Ende August, bzw. zu Beginn der militärischen Stadtbelagerung am 25. August 1991 ereigneten, weisen darauf hin. Nämlich, nachdem man die Kaserne der Nationalgarde in Čakovci unter Raketenbeschuß genommen hatte, wurden am 24. August auch die Kaserne bei Opatovac sowie der Stützpunkt bei dem Silo Đergaj nahe Bršadin angegriffen. Die Truppen der Nationalgarde erwiderten das Feuer und der gefallene Luka Andrijanić brachte die ersten JNA-Kampfflugzeuge oberhalb von Borovo Naselje zum Absturz. Schon am folgenden Tag kam es zum nächsten Zwischenfall, als ein Militärfahrzeug der JNA während einer Barrikaden-Rundfahrt auf eine Mine fuhr. In einer Propagandaschrift des Militärblattes der JNA Narodna armija (31. August 1991, S. 10), stand darüber: “Die Ustascha-Kämpfer auf ihren Stellungen beim Silo Bršadin schoßen am vergangenen Samstag ein Kampfflugzeug der JNA ab. Ein Tag danach eröffneten sie dann das Feuer aus Minenwerfern auf ein Militär-Lkw, der die Lebensmittel von Vukovar für eine Truppe nach Borovo Selo transportierte.” Wie erwartet erfolgte dann ein koordinierter Angriff auf Borovo Naselje und Vukovar, welche gemäß der vorgegebenen Dynamik und unter der Zusammenwirkung aller verfügbaren Kräfte besetzt werden sollten. Der Feind aber stieß auf einen unerwartet hartnäckigen Widerstand und mußte sich zurückziehen. Während des Rückzugs nahm die JNA die Stellungen rund um die Stadt ein. Alle Zufahrtsstraßen wurden blockiert und der einzige freie Weg blieb nur noch der sog. Maisweg über Lužac. Im Zeitraum vom 24. August bis zum 14. September wagte das serbische Militär mehrmahls einen Durchbruch, aber ohne größere Erfolge. Es verlor einige Kampfflugzuege und einige Dutzend Panzer. Die serbischen Stützpunkte nördlich von der Stadt beschoßen immer wieder die Stadt mit Minenwerfern. Währenddessen war man aber mit einer umfassenden Reorganisation des Verteidigungssystems der Stadt und Truppenergänzung beschäftigt. Es gab auch einige Versuche die Kaserne zu deblockieren. Der wichtigste Zwischenfall ereignete sich aber am 2. September 1991 als Dorf Berak erobert wurde. Der Zynismus, mit welchem das Militärblatt der JNA über das Massaker der Zivilisten durch die serbischen 11 Kräfte berichtete, braucht keinen Kommentar: “Als Beispiel (wohl der friedlichen Rolle der JNA, Anm. des Autors) schildert man einen vor kurzer Zeit vorgefallenen Zusammenstoß, der sich zwischen den Nachbarn in Berak ereignete, als sich verfeindete und zerstrittene Kroaten und Serben den ganzen Sommertag lang im Dorf und auf Maisfeldern untereinander jagten und niedermetzelten. Wer weiß, was wäre passiert, wenn eine Truppe der JNA nicht geschickt wurde, um diesem Gemetzel ein Ende zu machen.” Zur selben Zeit sammelten sich rund um Vukovar die frischen Truppen des Feindes in Richtung Šid-Tovarnik-Lovas-Sotin und Šid-Tovarnik-Orolik-Negoslavci im Süden und über Bogojevo bis Trpinja und Borovo Selo im Norden. Da man über keine große Waffenmenge verfügte, hielt man die Dörfer von jeder Kampfhandlung aus Furcht vor Vergeltung ab. Alles aber sprach dafür, daß ein Angriff in Vorbereitung war. Und die erhaltenen Informationen waren in diesem Falle richtig. Der Feind ging am 14. September 1991 zum Angriff über. Veljko Kadijević (S. 134-135) weiß folgendes darüber zu berichten: Die Hauptziele, die als Basis für die Ausarbeitung der Einsatzpläne der JNA auf dem ganzen jugoslawischen Gebiet dienten, bestanden aus nächsten Aufgaben: - der kroatischen Armee sollte eine vernichtende Niederlage zugefügt werden, damit die vorgegebenen Ziele planmäßig ausgeführt werden; - die Einsätze sollten mit den Aktionen der aufständischen Serben in der Republik Serbische Krajina koordiniert werden; - den Rückzug der übriggebliebenen Truppen aus Slowenien sollte zu Ende geführt werden; - dem Umstand, daß das serbische Volk in Bosnien und Herzegowina eine sehr wichtige Rolle für die Zukunft des serbischen Volkes in seiner Gesamtheit haben wird, sollte Rechnung getragen werden. Dieser Situation war auch die Verteilung der JNA-Truppen angepasst. - Die Kampfziele sollten in zwei Phasen ausgeführt werden, in der ersten die taktischen Gegenstöße in der Erwartung einer heftigen Reaktion Kroatiens, - und in der zweiten eine einheitliche strategische Operation, wofür neben der in der ersten Phase eingesetzten Verbände, noch 15 bis 18 Panzer-, mechanisierte und Infanterie-Brigaden zusätzlich verwendet werden sollten. Die Anordnung und Zusammenstellung der JNA-Truppen und ihr Einsatz in der ersten Phase sollte auch in Übereinstimmung mit dem Plan des strategischen Angriffs der zweiten Phase gebracht werden. Da sich dieses Buch sowieso mit der Mänover-Idee auseinandersetzt, werde ich sie hier nicht wiederholt vorstellen. An diesem 14. September 1991 wurde Vukovar gegen Mittag von allen Seiten angegriffen. Zuerst warfen die JNA-Kampfflugzeuge in etwa zehn Einsätzen Kassetenbomben und Raketen ab und schoßen mit Maschinengewehren. Darauf folgte ein Panzer- und Infanterie-Angriff aus Norden entlang der Linie Trpinja – Trpinjska Straße – Vukovar und Borovo Selo – Haus der Technik (Borovo Naselje), sowie aus Süden in Richtung Negoslavci – Vukovar (Kasserne) und Petrovci – Vukovar (Vorrort Petrova Gora). Die Kämpfe dauerten ununterbrochen bis zum 20. September und 12 die Stadt wurde völlig eingeschlossen. Zu dieser Zeit entstand auch der berühmte Panzerfriedhof in der Trpinjska Straße. Von da an beteiligten sich an den Kämpfen auch die umliegenden Dörfer, besonders aber an den Überfällen auf die Kolonnen, die gegen Vukovar vorrückten. Ohne Rücksicht auf andauernde Gefechte konnte man das Verteidigungsamt aktivieren, das ein Verzeichnis aller Wehrpflichtigen anfertigte und die Mobilisation vorbereitete. Auch Militärpolizei, vier Bataillons und einige kleinere Truppengattungen (Fernmelde-, und Ingenieurtruppe, Luftabwehr u.ä.) wurden formiert. Auch die Frage der Logistik wurde sowohl für die Verteidiger als auch für die Zivilbevölkerung aufgearbeitet. Gleichzeitig plante man Vukovars Blockade zu brechen und die Grenze bei Tovarnik zu sperren. Nämlich, nach verfügbaren Informationen näherten sich die Truppen der zweiten feindlichen Staffelung, die nach dem Fall von Vukovar und Ostslawonien, ihren Vormarsch nach Osijek und Virovitica und dann zusammen mit Streitkräften aus Westslawonien weiter nach Zagreb und Varaždin fortsetzen sollten. Unsere Truppen in Tovarnik haben deswegen am 21. September in frühen Morgenstunden alle Zufahrtsstraßen zur Ortschaft versperrt und die herankommende Kolonne angegriffen. Der Feind geriet in Panik und ergriff die Flucht in Richtung Šid. Nach dem Militärblatt Narodna armija handelte sich dabei um die „tapferen“ Soldaten aus Valjevo. Einzelne Soldaten haben erst in Beograd halt gemacht. Nach diesen Ereignissen geriet die Mobilisation in Serbien ins Stocken und die JNA mußte ihre Angriffspläne modifizieren. Diesbezüglich ist im Buch von Veljko Kadijević (S. 136) zu lesen: Die erste Etappe der zweiten Phase (Ende Juni – Anfang September 1991) entwickelte sich gemäß unserer Erwartungen, obwohl sich die kroatische Armee mehr auf die Vorbereitung der Angriffe auf die Garnisone der JNA – bzw. auf Blockaden und einzelne Provokationen, als auf die konkrete Ausführung dieser Einsätze konzentrierte. Die zweite Etappe dieser zweiten Phase, bzw. die strategische Operation, mußte dann bestimmten Änderungen unterzogen werden. Der einzige Grund dafür lag in der Tatsache, daß die Mobilisation im Gegensatz zur Fahnenflucht keine großen Erfolge verbuchen konnte. Nicht nur, daß die Einberufung sehr schwach verlief, sondern konnte man auch diese kleinere Truppen nicht ganz unter Kontrolle bringen. Falls die Soldaten überhaupt bis an die Front schafften, verließen sie ihre Stellungen so schnell wie möglich. Diese Umstände führten dazu, daß sich alle strategischen und operativen Elemente, besonders in bestimmten Landesregionen, der zeitlichen Komponente und der Truppenstärke anpassen mußten. Die Aufgaben blieben dieselben, aber da der Mangel an Truppen nicht zu übersehen war, konnte der Einsatz nicht mit dem geplanten Schwung durchgeführt und der kroatischen Armee eine zerschmetternde Niederlage zugefügt werden, die auch sonst zahlenmäßig überlegen war (!?). Diese Operation mußte in mehreren Etappen und innerhalb eines längeren Zeitabschnitts vollbracht werden. Man konnte doch den Schwerpunkt der Verteidigung nicht nach Tovarnik verlegen. Der Grund dafür lag vor allem in Ermangelung der verfügbaren Truppen sowie des Verständnisses seitens der Behörden in Vinkovci. Schon nach einigen Tagen griff der Feind erneut an und dieses Mal die Verteidigungslinie Šid – Mirkovci sowie das linke Ufer des Flusses Bosut als Ausgangspunkt für einen neuen Eroberungsversuch von Vukovar. Dadurch könnte dann der 13 Vormarsch weiter in Richtung Osijek und Vinkovci fortgesetzt werden. Die Kämpfe um Ilača und Jankovci wurden heftiger. Man war der Situation bewußt und machte den Vorschlag, eine gemeinsame Verteidigungslinie Jankovci – Petrovci – Bogdanovci zu errichten, aber ohne Erfolg. In der Zwischenzeit wurde die Aufstellung der 204. Brigade von Vukovar befohlen und in Vukovar trafen mehr als 600 Freiwillige aus ganz Kroatien ein. Da einige Kasernen der JNA auf dem kroatischen Gebiet eingenommen wurden, konnten ihre Waffenbestände, hauptsächlich aus Varaždin und Đakovo, nach Vukovar transportiert werden. Die Operation Vukovar begann offiziel am 30. September und dauerte bis zum Ende der Belagerungszeit. Die serbischen Verbände waren in zwei Operationsgruppen Nord und Süd eingeteilt und die Abgrenzungslinie verlief entlang des Flusses Vuka. Die Operation wurde vom Generalstab in Beograd geplant und stand unter dem Kommando von General Života Panić, der zugleich auch der Befehlshaber des 1. Militärdistrikts (ehemalige 1. Armee) war. Ende September und Anfang Oktober nahmen die Truppen der 252. Panzerund mechanisierten Brigade der JNA aus Valjevo (Serbien) die Dörfer Svinjarevci, Petrovci, Marinci und Cerić ein. Das Dorf Bogdanovci konnte als Bestandteil der Vukovarer Verteidigung den Angriff zurückweisen. Ab 1. Oktober 1991 wurde die Stadt eingekesselt. Am 2. Oktober 1991 erfolgte der nächste heftige Angriff, aber er konnte gestoppt werden und der Feind erlitt schwere Verluste an Mannschaften und Ausrüstung. Die letzten Tage der Belagerung nicht inbegriffen, war dieser Tag der blutigste im Kampf um Vukovar. Mehr als 90 Zivilisten und Soldaten wurden verwundet. Danach aber wurde die Stadt systematisch und erbarmungslos aus der Distanz zerstört. Es gab keine großen Panzer-Überfälle mehr, sondern nur die kombinierten im Zusammenwirken mit der Infanterie. Die Gegenwehr war zu stark. Im Osten Kroatiens blieb nur noch Ilok mit umliegenden Dörfern frei, aber in Anwesenheit der Beobachter der Europäischen Gemeinschaft wurde ein „Referendum“ abgehalten, mit dessen Hilfe dann am 17. Oktober 1991 Ilok und seine Dörfer ethnisch gesäubert und die Kroaten in andere Regionen Kroatiens übersiedelt. Die Konvoi-Phase war ein beispieloses Kapitel in der Geschichte der Vukovarer Verteidigung. Der Konkurrenzkampf der französichen rivalisierenden humanitären Organisationen, welche die Jagd auf Prestige und Profit veranstalteten, erwies sich für die Stadt als verhängnisvoll. Der von der Europäischen Gemeinschaft auf Kroatien ausgeübte Druck bezüglich des Engagements dieser Organisationen, zwang auch die Stadt dazu, sich mit diesen nur Nachteile mitbringenden Aktionen abzufinden. Der Konvoi der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“ sollte am 19. Oktober 1991 keine humanitäre Hilfe liefern, sondern die Verwundeten aus dem Krankenhaus herausholen. Laut getroffener Abmachung sollte der Konvoi die folgende Route nehmen: Nuštar – Marinci – Bogdanovci – Vukovar, aber er wurde absichtlich abgebogen, da sich die serbischen Verbände im Raum zwischen Bogdanovci und Vukovar konzentrierten. Im Falle aber, daß dem Konvoi von dieser Seite der Durchgang gewährt werden sollte, wäre dann die Verteidigungslinie deblockiert ohne irgendeine Möglichkeit einer rechtzeitigen 14 Schließung, was dem Feind Gelegenheit gegeben hätte, mühelos in die Stadt einzumarschieren. Demnach ist der Konvoi dann doch über Lužac in die Stadt eingetroffen, da diese Richtung unter unserer Kontrolle stand. Die Führung des Konvois hat dem Befehlhaber der Vukovarer Verteidigung die Ergebung der Stadt und den Abgang der Einwohner ähnlich wie in Ilok angeboten, aber dieser Vorschlag wurde entschlossen abgewiesen. Außerhalb der Stadt wurde der Konvoi dann von Serben überfallen. Sie ärgerten sich darüber, daß ihr Plan von einem Durchbruch in die Stadt scheiterte. Bis zum Ende Oktober waren keine heftigere Infanterie-Angriffe vorgefallen, ausgenommen eines auf Mitnica und fortwährender Provokationen in Borovo Naselje und Sajmište. Die ganze Stadt aber stand unter ununterbrochenem Granaten- und Bombenbeschuß und die serbischen Kräfte bekamen immer wieder einen frischen Nachschub an Ersatztruppen durch die Mobilisation in Serbien. Zu einem besonders heftigen Angriff kam es am 2. November. Seine Schwerpunkte waren die Ortschaften Lužac und Sajmište, damit die Richtungen Borovo Naselje – Vukovar und Mitnica – Vukovar durchgeschnitten werden. Die Operation stand unter dem Kommando des Generalstabs der JNA. Das Gebiet um Lužac wurde der Schauplatz eines der heftigsten Gefechts, das den Serben große Verluste zufügte. Der Befehlshaber der Operationsgruppe Nord General Bratić, der zugleich auch der Befehlshaber des Korps Novi Sad war, kam ums Leben. Aber obwohl die Verteidigung die Gefechte gewann, verlor sie immer wieder neue Teile ihres Territoriums, da sie über keine frischen Mannschaften, Waffen und Munition verfügte. Die errungenen Siege hatten keine wirkliche Bedeutung, da man nur durch sie und ohne frische Versorgung diesen Krieg nicht gewinnen konnte. Dazu hatten auch Müdigkeit, Hunger, Verwundung und Tod ihre Spuren hinterlassen. Das Vukovarer Krankenhaus, das voll mit Verwundeten war, lag nur einige hundert Meter von der Front entfernt. Am 10. November 1991 besetzten die serbischen Verbände das letzte kroatische Dorf im Osten des Landes – Bogdanovci. Auf den Zufahrtsstraßen zum Dorf wurden etwa 50 Panzer und Panzertransporter der JNA zerstört und einige tausend Soldaten außer Gefecht gesetzt. Am denselben Tag rückten die Serben bis an die Straße Borovo Naselje – Vukovar vor. In Sajmište fiel Milovo brdo, wodurch auch das Stadtzentrum unter großem Druck geriet. Die darauf folgenden Tage waren eine pure Agonie. Obwohl die serbischen Truppen auf die Knie gezwungen wurden, hatte die Verteidigung keine Kraft mehr um die Gegenschläge auszuführen, sondern gerade ums Überleben zu kämpfen. Und darüber berichtet auch die Quelle der „gegnerischen“ Seite Veljko Kadijević (S. 137): Die Hauptgruppe des Heeres, hauptsächlich die Panzer- und mechanisierten Verbände, sollten in Ostslawonien zwei Aufgaben erfüllen: die serbischen Gebiete befreien und als Hauptkraft des Oberbefehls für einen weiteren Vormarsch in Richtung Zagreb und Varaždin zur Verfügung stehen. Die erste Aufgabe wurde gelöst, aber dadurch, daß sie viel zu viel Zeit beanspruchte, da es an den Infanterietruppen als Begleitung der Panzereinheiten wegen Probleme mit der Mobilisation fehlte, geriet 15 die geplante Vorrückung ins Stocken. Der Kampf um Vukovar war der Kampf mit der Hauptgruppe der Kroatischen Armee, die um jeden Preis Ostslawonien und die Baranja zu halten versuchte. Als die Kroatische Armee besiegt und Vukovar befreit wurde, sollte die JNA für einen weiteren Aufbruch nach Westen bereit sein, aber die Ergebnisse und Erfahrungen des Krieges in Kroatien wiesen darauf hin, daß die gescheiterte Mobilisation und andauernde Fahnenflucht dazu führten, daß die Einsatz- und Manöverpläne der Schlußoperationen in Kroatien geändert werden mußten. Dadurch konnte der Kroatischen Armee keine wirklich vernichtende Niederlage zugefügt werden. Der Mangel an Truppen und ihre langsame Aufstellung waren der einzige Grund dafür und dadurch wurden natürlich auch unsere Verluste an Mannschaften und Ausrüstung größer. Die Mobilisation der JNA bezüglich der Vojvodina kommentierte auch Nenad Čanak, der sich in Wort und Tat den großserbischen Plänen und Aggression widersetzte: „Zwangsmobilisation ist nichts neues in unseren neueren Geschichte. Man sollte sich nur an die schrecklichen Jahre 1991 und 1992 erinnern, als bis zum 1. März 1992 innerhalb nur weniger Monate 106.824 Soldaten an die slawonische Front geschickt wurden. Die Vojvodina mußte eben mehr als 72 Prozent ihrer Soldaten für Slawonien herausrücken.“ Infolge der serbischen Angriffe im Herbst 1991 wurde Vukovar zu einer verwüsteten Stadt. Über die Schuldigen schrieb sogar der Aggressor selbst, z.B. der Befehlshaber der Operationsgruppe Süd und Oberst der JNA Mile Mrkšić: „Wir rissen Vukovar nieder, das am besten befestigte Ustascha-Bollwerk, was man der Tapferkeit und Wissen der Gardeeinheiten der JNA aus Beograd, den Freiwilligen und der Territorialverteidigung, deren Angehörige größtenteils auch aus dieser Stadt stammten, verdanken sollte.“ Und im Militärblatt der JNA vom 20. November 1991 steht folgendes: „Bis vor kurzer Zeit, eine der schönsten Städte an Ufern von Vuka und der Donau, ist heute eine verwünschte Stadt. Diese `kosmische Schande` für die Menschheit, die infolge einer Invasion des Neonazismus enstand, wird aufgehoben. Die Wunden werden heilen. Aber als Gegenwehr gegenüber jeglichem Wahn sollte die Erinnerung daran grenzenlos sein.“ Am Krieg hätten naüturlich die Kroaten Schuld. In diesen Artikeln kamen keine Reue und kein Schamgefühl zum Ausdruck, geschweige denn, daß man die Verantwortung für die vollbrachten Taten übernahm. Es ist auch leider festzustellen, daß die serbischen Amtsträger dieser Stellungnahme in offiziellen Quellen noch heute die Treue halten, was natürlich jedes Zusammenleben von Kroaten und Serben und alle kroatisch-serbische Beziehungen auch weiter belastet. Prečno bei Ivanić Grad, 20. November 2008 Kommandant der Verteidigung der Stadt Vukovar Oktober – November 1991 Branko Borković – Junghabicht 16 Oben: Erinnerungsplakat an das Leiden von Vukovar mit dem Datum seiner Okkupation Unten: Millenium-Photo von Šime Strikoman „Legendäre 204. Vukovarer Brigade der Kroatischen Armee“, Vukovar, 25. September 2006 17 Plakat für das Referendum in Kroatien, 19. Mai 1991 18 Ante Nazor EINLEITUNG (der Weg zur Unabhängigkeit sowie die Okkupation und Befreiung der RH im Heimatkrieg – eine kurze Darstellung) D er Fall der Berliner Mauer im November 1989 kündigte den Anfang eines neuen Zeitabschnittes in der europäischen Geschichte an, als die Mehrheit der osteuropäischen Staaten das kommunistische Einparteisystem durch ein demokratisches Mehrparteiensystem ersetzte. Dieser Prozeß weiterte sich auch auf die Teilrepubliken der ehemaligen SFRJ aus, ausgenommen der Teilrepublik Serbien. Ihre Bürger wurden zur Geisel der serbischen Nationalisten, die Mitte der 1980er Jahren erneut das im 19. Jh. entstandene großserbische Projekt zum Leben erweckten, nach dem sich die westliche Grenze des serbischen Staates – des sog. Großserbiens – tief im kroatischen Hinterland entlang der Linie Virovitica-PakracKarlovac-Ogulin-Karlobag erstrecken sollte. Diese Linie entsprach etwa der Grenze, die durch die osmanischen Eroberungen auf dem kroatischen Gebiet im Zeitraum von 15. bis 17. Jh. entstand. Die Hetzkampagne der Medien, die die Vorbedingungen für die Durchführung des großserbischen Plans schaffen sollte, begann mit der Veröffentlichung des Memorandums der Serbischen Akademie der Wissenschaften und Künste in Belgrader Zeitung Večernje novosti vom 24. und 25. September 1986, in dem die angebliche Benachteiligung der serbischen Volksgruppe in Jugoslawien hervorgehoben wurde. Die serbischen Nationalisten strebten eigentlich nach einer noch stärkeren Zentralisierung des Staates, nach einer serbisch dominierten Föderation und die unter Einfluß von Belgrad stehenden sozialistischen autonomen Provinzen Vojvodina und Kosovo sowie Teilrepublik Montenegro. Das Ergebnis dieser nationalistischen bzw. großserbischen Landkarte mit Grenzen des sog. Großserbiens 19 Plakat des 14. Kongresses des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens; Dadurch, daß die serbischen und montenegrinischen Delegierten ihren Willen den kroatischen und slowenischen Kollegen aufzudrängen versuchten und alle ihre Vorschläge beharrlich ignorierten, verließ als erste die slowenische und dann auch die kroatische Parteidelegation den Kongreß am 22. Januar 1990, was das Ende einer einheitlichen und zentralisierten Parteiorganisation und den Anfang des Zerfalls der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien bedeutete. Politik eines Teils der sebischen Politiker war die Ablösung der politischen Führung in den erwähnten konstitutiven Teilen der SFRJ Ende 1988 und Anfang 1989, sowie eine Änderung der Verfassung der SR Serbien3, durch welche in Wirklichkeit die Autonomie der Provinzen abgeschafft wurde. Durch die Instalierung ihrer proserbisch orientierten Gefolgsleute als Vertreter der Vojvodina, des Kosovo und Montenegros in das Staatspräsidium des damaligen Staates, das aus acht Mitgliedern bestand (aus sechs Vertretern der Teilrepubliken und zwei Vertretern der Provinzen), gelang es der serbischen Führung, sich die politische Dominanz über andere Jugoslawische Teilrepubliken zu sichern. Deswegen veruschte die serbische Macht-Elite die Demokratisierungsbestrebungen in Jugoslawien zu unterbinden. In Einklang mit einer solchen großserbischen Politik, die von Belgrad ausging, fanden schon Anfang 1990 in der SR Kroatien4 organisierte Veranstaltungen – die sog. Volkversammlungen – der Serben aus Kroatien, Bosnien und Herzegowina und Serbien statt, wodurch sich die serbisch-kroatischen politischen Beziehungen verschärften. Die Versammlungen wurden von Bildern des neuen “allserbischen” Führers Slobodan Milošević, von Flaggen 3 kurz für Sozialistische Republik Serbien 4 kurz für Sozialistische Republik Kroatien 20 Serbiens, Jugoslawiens und des Bundes der Kommunisten sowie von proserbischen und antikroatischen Parolen dominiert. Aber auch diese aggressive serbische Politik konnte den Demokratisierungsprozeß in Slowenien und Kroatien nicht aufhalten. Im April und Anfang Mai 1990 wurden die ersten freien Wahlen in Kroatien abgehalten, aus denen als Wahlsieger die Kroatische Demokratische Gemeinschaft unter Vorsitz von Dr. Franjo Tuđman hervorging. Auf die Wahlergebnisse in Kroatien reagierte die Militärführung der SFRJ in Einvernehmen, bzw. auf Befehl von serbischen Politikern (des Präsidenten Serbiens Slobodan Milošević, der Vertreter Serbiens im Staatspräsidium der SFRJ und seines Präsidenten Borisav Jović), mit der Entwaffnung Kroatiens. Sie wurde seit geraumer Zeit geplant und noch vor der in Einklang mit Wahlergebnissen umgesetzten Machtübergabe in Kroatien rasch durchgeführt. Die Entwaffnung wurde am 23. Mai 1990 aufgrund eines streng geheimen Befehls, den am 14. Mai 1990 der Generalstabsschef der Streitkräfte der SFRJ Generaloberst Blagoje Adžić gesetzwidrig (ohne Wissen und ohne Zustimmung des Staatspräsidiums der SFRJ) unterzeichnete, durchgeführt. In seinem Tagebuch Posljednji dani SFRJ: Izvodi iz Dnevnika (Beograd, 1995, S. 146), vermerkte Borisav Jović am 17. Mai 1990: “Wir haben sie praktisch entwaffnet. Formell geschah dies auf Befehl des Generalstabsschefs, aber faktisch in unserem Auftrag. Slowenen und Kroaten reagierten heftig, aber für sie gab es keinen Ausweg mehr.” Die beschlagnahmte Bewaffnung der kroatischen Territorialverteidigung (es handelte sich dabei schätzungsweise um 80.000 bis 200.000 “Gewehrläufe”) wurde in die Munitionslager der JNA gebracht. Kardinal Franjo Kuharić und Dr. Franjo Tuđman in der konstituierenden Sitzung des demokratischen Parlaments der Sozialistischen Republik Kroatien, 30. Mai 1990 21 Zagreb, Markus Platz, 25. Juli 1990 (Autor: Renato Branđolica) 22 Das Parlament der RH wählte in seiner konstituierenden Sitzung am 30. Mai 1990 Dr. Franjo Tuđman zum Präsidiumspräsidenten der SR Kroatien, und am 25. Juli wurden auch die Abänderungsanträge bezüglich der Verfassung der SR Kroatien angenommen, aufgrund welcher aus dem Namen des Staates das Adjektiv “sozialistisch” entfernt, das neue (“historische”) Wappen und die neue Staatsflagge festgesetzt, sowie angemessenere Amtsbezeichnungen wie Präsident, Regierung der RH, Minister und andere (Narodne novine5 31 vom 28. Juli 1990) festgelegt wurden. Am selben Tag, in einer Versammlung der Serben in Ortschaft Srb verabschiedete man die Deklaration über Souveränität und Autonomie der Serben in Kroatien. Auch ein “Referendum über serbische Autonomie” wurde für die Zeit zwischen 19. August und 2. September angekündigt, das aber in keinen Vorschriften auf Bundes- oder Republikebene seine Begründung finden konnte.6 Nachdem die bewaffneten serbischen Zivilisten (“Wachposten”) in Erscheinung getreten hatten und Drohungen laut geworden waren, daß die Abhaltung dieses “Referendums” von ihnen abgesichert wird, erteilte das Innenministerium der RH den Befehl, die für die Polizeireserve des erwähnten Ministeriums bestimmte Bewaffnung in den Polizeistationen auf den durch die bewaffnete Rebellion gefährdeten Gebieten unter Kontrolle zu bringen. In der Nacht von 16. auf 17. August 1990 brachten die Spezialeinheiten des Innenministerums der RH einen Teil der Bewaffnung unter ihre Aufsicht, worauf sich die Einwohner serbischer Nationalität vor Polizeistationen in Knin, Benkovac, Obrovac, Gračac, Titova Korenica, Dvor na Uni und Donji Lapac, zu versammeln begannen. Alle Verkehrsverbindungen auf diesem Gebiet wurden in Anwesenheit bewaffneter Personen mit Baumstämmen und Steinen blockiert. Der Versuch der kroatischen Polizei die Bewaffnung der Polizeireserve in der Nacht von 16. auf 17. August 1990 aus bestimmten Polizeistationen in der Lika und in Dalmatien zu verlagern und die Abhaltung des Referendums zu verhindern, benützte die politische Führung der aufständischen Serben als unmittelbaren Anlaß zur Ausrufung des “Kriegszustandes” im Radiosender von Knin am 17. August und zur Blockierung aller Straßen durch bewaffnete Aufständische in der Region.7 Der Versuch der kroatischen Polizei auf diesem Gebiet wieder Ordnung zu schaffen, wurde Borovo Selo, 2. Mai 1991 (Autor: Goran Pichler) durch die Bundesarmee – die JNA vereitelt. 5 Volksblatt 6 O. Žunec, Rat u Hrvatskoj, Polemos 1, Zagreb, 1998, S. 66; M. Špegelj, Sjećanja vojnika, Zagreb, 2001, S. 287, Tabelle III. 7 Archiv des Verfassungsgerichtshofes der RH/Rechtliche Unterlagen betreffend die Aktennummer: U-VI-295/1991 vom 2. Oktober 1992 (weiter Arhiv Us RH). 23 Pakrac, 2. März 1991 Plitvice, 31. März 1991 24 Die sog. Baumstammrevolution war die Antwort eines Teils der in Kroatien lebenden Serben auf die kroatischen Demokratisierungsbestrebungen und als Anfang eines bewaffneten Aufstands gegen die demokratisch gewählte kroatische Führung zu verstehen. Das wirkliche Ziel dieser Protestbewegung war die Anschließung eines Teils des Territoriums der RH an einen einheitlichen serbischen Staat, der einen Großteil ehemaligen Jugoslawiens umfassen sollte. Allerdings schränkten sich noch zu dieser Zeit diese bewaffneten Übergriffe der Serben auf Überfälle aus dem Hinterhalt und die Terroraktionen einzelner Gruppen ein, obwohl unter denen auch schon aus Serbien eingetroffenen Verfassung der Republik Kroatien Freischärlern wirkten. Zu besonders heftigen Zusammenstößen kam es zwischen diesen Gruppen und der kroatischen Polizei am 2. März 1991 bei Pakrac, dann am 31. März zu Ostern im Naturschutzgebiet um Plitvicer Seen, wo als erster kroatischer Verteidiger der kroatische Polizist Josip Jović ums Leben kam. In der Auseinandersetzung bei Borovo Selo am 2. Mai 1991 hat man zwölf kroatische Polizisten in einen Hinterhalt gelockt und ermordet. In Polača bei Zadar wurde auch ein Polizist getötet. Parlament der Republik Kroatien, 25. Juni 1991 (Autor Stanko Szabo) 25 Wegen dieser unakzeptablen Situation und hinsichtlich des von der serbischen Führung ausgegangenen politischen Drucks, der dann besonders in einseitigen und verfassungswidrigen Beschließungen des Präsidiums und der Versammlung der SR Serbien, bzw. in ihren Bestrebungen nach Zentralisierung und Stärkung politischer und wirtschaftlicher Stellung Serbiens auf Kosten anderer Teilrepubliken der Föderation, zum Ausdruck kam, forderten slowenische und kroatische Führung den Umbau Jugoslawiens zu einer Konföderation. Als die serbischen Politiker jedes Gespräch darüber ablehnten, schlugen Slowenien und Kroatien den Weg zur Unabhängigkeit ein. Nachdem das kroatische Parlament am 22. Dezember 1990 eine neue – “Weihnachts” – Verfassung der RH (Narodne novine 56 vom 22. Dezember 1990) verbaschiedet hatte, beschloss man aufgrund der Ergebnisse des am 19. Mai 1991 stattgefundenen Referendums die Deklaration über die Gründung der souveränen und unabhängigen RH, sowie die Urkunde über die Rechte der Serben und anderer Nationalitäten in der RH (Narodne novine 31 vom 25. Juli 1991). Das Inkrafttreten der Deklaration wurde für drei Monate ausgesetzt, damit die Friedensverhandlungen über die politische Lösung fortgesetzt werden konnten. Aber gerade dann und gemäß der Vereinbarung zwischen der serbischen politischen Führung und Führung der JNA, verschärften sich terroristische Aktionen serbischer Extremisten zur offenen und unbarmherzigen Aggression der JNA und der serbischen paramilitärischen Formationen gegen die RH. Der serbische Vetreter im Staatspräsidium der SFRJ und damaliger Präsident des Präsidiums in Vertretung Borisav Jović führte in seinem Buch Posljednji dani SFRJ: Izvodi iz dnevnika (Beograd, 1995, S. 349) an, daß der serbiche Präsident Slobodan Milošević und er dem Bundessekretär für Volksverteidigung der SFRJ (“Verteidigungsminister”) Veljko Kadijević “eine Reihe von Forderungen bezüglich der Rolle der JNA in Auftrag gegeben haben, die er auch ohne Widerspruch angenommen hat”: Slobodan (Milošević) und ich (Borisav Jović) haben mit Veljko Kadijević ein, wie es sich später herausstellte, entscheidendes Gespräch geführt … Von ihm haben wir folgendes verlangt: …Der Hauptteil der Streitkräfte sollte entlang der folgenden Linie seine Stellungen beziehen: im Westen Karlovac-Plitvice; im Osten die Baranja, Osijek, Vinkovci – Sava und im Süden Neretva. Auf diese Weise hätte man das gesamte von Serben bewohnte Gebiet in Kroatien bis zur endgültigen Lösung unter Kontrolle gestellt … Kroaten und Slowenen sollten aus den Reihen der Armee völlig eliminiert werden … Die Unterlagen der JNA weisen darauf hin, daß die Pläne ihrer Strategen doch ein etwas weiteres Gebiet als nur “serbisch dominiertes Territorium” umfassten. So sollten nach dem Befehl des Kommandos des 1. Militärdistrikts die Truppen der JNA nach der Besetzung Ostund Westslawoniens auch weiter ab 19. September 1991 in Kampfbereitschaft für etliche Operationen in Richtung Varaždin und Koprivnica sein. Der Angriff sollte am 21. September fortgesetzt und in zwei Etappen, je zwei bis drei und je vier bis fünf Tage, durchgeführt werden. Gemäß dem erwähnten Plan, hat sich der “Verteidigungsminister” General Veljko Kadijević darüber öffentlich geäußert, daß die JNA entscheidende Maßnahmen unternehmen werde, um den “Ausbruch eines Bürgerkrieges zu verhindern”. Es war klar, daß die Militärführung der SFRJ weder den Präsidenten des Staatspräsidiums der SFRJ noch die Führung der RH 26 anerkennt, was verfassungswidrig war und eigentlich einer Kriegserklärung gleichkam. Die Friedensverhandlungen, bzw. der Versuch der Regierung der RH und der internationalen Staatengemeinschaft, eine friedliche Lösung der Krise zu finden, wurden ignoriert. Die JNA und die serbischen Paramilitärs gingen entlang der ganzen Frontlinie zu Kroatien zum allgemeinen Angriff über, mit dem Ziel die Gegenwehr der RH innerhalb der zwanzig Tage zu brechen. In Folge des Befehls des Generalstabsschefs der JNA Generaloberst Blagoje Adžić vom 12. Oktober 1991, sollten “alle bewaffneten Formationen, ganz egal ob es sich dabei um die JNA, Territorialverteidigung oder serbische Freiwillige handelt, einem einheitlichen Kommando der JNA unterstellt werden”. In Wirklichkeit haben aber von Anfang an alle Einheiten der JNA, lokale serbische Territorialverteidigung, serbische aufständische Miliz (“Miliz von Milan Martić”), sowie die aus Serbien angekommene Freiwilligenverbände diesem Kommando unterstanden. Über die Intensität der Aggression auf die RH, die durch die Luftstreitkräfte der JNA unter dem Kommando des Generals Zvonko Jurjević unterstützt wurde, spricht auch die Einschätzung ausländischer Militärexperten, daß die kroatischen Verteidiger ihre Stellungen nicht länger als zwei Wochen halten könnten. In seinem Buch Moje viđenje raspada (Beograd, 1993, S. 135), legt General Veljko Kadijević den Angriffsplan der JNA auf die RH im Herbst 1991 vor: Der Angriff splanoperacije der JNA Kroatien, Zamisao napadne JNAgegen protivdie RH,Republik rujan-listopad September-Oktober (Quelle: Davor brigade Marijan, Smrt ok1991. (prema: Davor 1991 Marijan, Smrt oklopne – prilozi za istra`ivanje rata –za prilozi Hrvatsku i Hercegovinu, – lopne brigade zai Bosnu istraživanje rata za1990. Hrvatsku i 1992., Zagreb, 2002.) Bosnu Zoro, i Hercegovinu, 1990. – 1992., Zoro, Zagreb, 2002) 27 Vinkovci – Bibliothek nach dem Angriff der JNA (oben) Regierungsgebäude Banski dvori in Zagreb; Folgen des Angriffs der JNA-Kampfflugzeuge am 7. Oktober 1991 (unten) 28 - - Eine völlige Blockade der RH in der Luft und an der Adriaküste; Die Angriffsrichtungen des Hauptteils der Streitkräfte der JNA sollten mit der Befreiungsaktion der serbisch dominierten Gebiete und Garnisonen der JNA im kroatischen Hinterland koordiniert werden. Man sollte Kroatien in folgenden Richtungen abschneiden: Gradiška-Virovitica, Bihać-Karlovac-Zagreb, KninZadar, Mostar-Split. Mit der stärksten Gruppierung von Panzereinheiten sollte man Ostslawonien befreien, dann den Vorstoß rasch nach Westen fortssetzen, sich dann mit Truppen in Westslawonien vereinigen und die Offensive in Richtung Zagreb und Varaždin, bzw. slowenischer Grenze ansetzen. Gleichzeitig wird mit starken Kräften vom Bezirk Herceg Novi – Trebinje aus das Hinterland von Dubrovnik besetzt und der Vorstoß in das Tal von Neretva durchgeführt werden. Danach sollte das Vorrücken mit der sich in Richtung Mostar-Split bewegenden Verbänden fortgesetzt werden; Nach der Besetzung bestimmter Einrichtungen, sollte die Grenze der Serbischen Krajina in Kroatien gesichert und die restlichen Verbände der JNA aus Slowenien abgezogen und nach Kroatien verlegt werden; Für Mobilisierung und Vorbereitung von mobilisierten oder demobilisierten Truppen sowie für ihre Verlegung auf bestimmte Einsatzpunkte werden zwischen 10–15 Tage benötigt, abhängig von der Stufe der “Kampfbereitschaft” der Einheit und ihrer Entfernung von den erwähnten Punkten der Verwendung. Der Angriff der JNA-Kampfflugzeuge auf das Regierungsgebäude der RH Banski dvori im Zentrum von Zagreb am 7. Oktober zeigte, daß der Feind vor keinen Mitteln zurückschrekte um sein Ziel zu erreichen. Durch diesen Raketenangriff versuchte die Jugoslawische, bzw. proserbische Führung der SFRJ, den Präsidenten der RH Franjo Tuđman, Präsidenten des Staatspräsidiums der SFRJ Stjepan Mesić sowie Präsidenten des Bundesexekutivsrats der SFRJ Ante Marković, während eines Zusammentreffens zu töten. Der Versuch der Verübung eines solchen Attentats bewies, daß die großserbischen Strategen schon seit langem eine friedliche Lösung der Jugoslawienkriese aufgegeben haben. Die Nachrichtendienste der JNA, die dem “Bundessekretariat für Volksverteidigung” sowie dem “Kommando der Luftstreitkräfte und Luftabwehr” unterstanden, negierten immer wieder die Rolle der JNA in diesem Vorfall, und bemerkten sogar zynisch dazu, den Angriff könnte auch die “kroatische Führung inszeniert haben”. Unter dem Eindruck dieses Vorfalls sowie einer weiteren Reihe von Bildern der Zerstörung und Nachrichten über eine immer größer werdende Opferzahl aus anderen durch die JNA überfallenen Städten und Orten, erklärte das Parlament der RH am folgenden Tag, den 8. Oktober 1991, die Unabhängigkeit der RH. Nämlich, nachdem festgestellt worden war, daß die Frist von drei Monaten Aussetzung des verfassungsgemäßen Beschlusses vom 25. Juli 1991 verstrichen war, haben die Abgeordneten den Entschluß über die Loslösung der RH aus der SFRJ und ihrer Unabhängigkeit gefaßt. Die RH brach alle staatsrechtlichen Beziehungen zu den anderen Teilrepubliken und Provinzen der damaligen SFRJ ab. Wegen der Gefahr von neuen Luftangriffen der JNA, fand die Parlamentssitzung im Keller des 29 Parlamentssitzung der Republik Kroatien, 8. Oktober 1991 (Autor: Josip Božičević) INA8 - Gebäudes in der Šubićeva Straße in Zagreb statt (Narodne novine 53 vom 8. Oktober 1991). Unter anderem hebte man in den Beschlüssen, die vom Parlament an diesem Tag auf einer gemeinsamen Sitzung aller Räte verabschiedet wurden, folgendes hervor: 1. Die RH wurde durch die Republik Serbien und die sog. JNA angegriffen. Die RH wurde gezwungen, sich gegen dieser Aggression mit allen verfügbaren Mitteln zur Gegenwehr zu setzen. 2. Die sog. JNA gilt als Aggressions- und Besetzungsmacht und muß das vorläufig eroberte Staatsgebiet der RH ohne Verzögerung verlassen. 3. Das Parlament der RH fordert die JNA auf, allen kroatischen Bürgern, die bei der JNA ihren Wehrdienst leisten, einen freien Abgang ohne Verzögerung zu gewährleisten. 4. Die Teilrepubliken Bosnien und Herzegowina sowie Montenegro werden aufgefordert, ihr staatliches Gebiet nicht als Basis für die Kriegsführung gegen die RH zur Verfügung zu stellen. Als Reaktion auf die Beschlüsse des kroatischen Parlaments hat die Europäische Gemeinschaft in der Konferenz über Jugoslawien in Haag am 18. Oktober 1991 den Vertretern der ehemaligen Jugoslawischen Teilrepubliken einen Entwurf über den Umbau Jugoslawiens zu einer Gemeinschaft von souveränen Staaten vorgelegt. Das “Abkommen über die endgültige Lösung der Jugoslawienkriese” bekannt auch als “Carrington-Plan”, sah die “Gründung eines freien und auf allumfassenden und über die Kontrollmechanismen verfügbaren 8 Kroatische Erdölindustrie 30 Vereinbarungen bezüglich des Schutzes der Menschenrechte beruhenden Verbandes von souveränen und unabhängigen Staaten vor, im dessen Rahmen auch ein spezieller Status für bestimmte Volksgruppen sowie die Anerkennung der darauf bestehenden Republiken innerhalb der existierenden Grenzen gewährleistet werden”. Dem vorgeschlagenen Plan stimmten alle Republiken außer Serbien zu. Dann machte auch Montenegro unter Druck von Serbien seine Zustimmung rückgängig, obwohl sein Präsident Momir Bulatović zuerst den Plan angenommen hatte. Der Anklagevertreter bei dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in den Haag Geoffrey Nice, behauptete, daß durch die serbische Ablehnung des erwähnten Entwurfes am 18. Oktober 1991 keine Umorientierung Jugoslawiens hin zu einer Konföderation mit besonderen Rechte für in Kroatien lebende serbische Volkgruppe stattfinden könnte, was andererseits im Falle der serbischen Zustimmung (schon damals, Anm. des Autors) ein schnelles Ende des Krieges und die Rettung von Tausenden von Leben bedeuten würde.9 So besiegelte die Sturheit der serbischen politischen und der JNAFührung das Schicksal Jugoslawiens, und sein blutiger Zerfall konnte nicht mehr aufgehalten werden. Die RH setze dann auf ein schnelleres Verfahren in Richtung der internationalen Anerkennung auf. Ihre Forderungen begründete sie, unter anderem, mit den Bestimmungen der bis dahin gültigen Jugoslawischen Verfassung – Verfassung der SFRJ von 1974, die durch die Affirmation der Staatlichkeit der Teilrepubliken die Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker erlaubte. Dazu beinhalteten die Bestimmungen der Verfassung der SR Kroatien von 1974 folgendes: “das kroatische Volk gründete seinen Staat SR Kroatien unter der Berufung auf Selbstbestimmungsrecht, einschließlich des Rechts auf Loslösung”.10 Bis zum Ende des Jahres 1991 eroberte die JNA, unter deren Kommando auch die bewaffneten Formationen der in Kroatien lebenden aufständischen Serben sowie die serbischen Freischärler aus Serbien und Bosnien und Herzegowina standen, fast ein Drittel des kroatischen Staatsgebiets. Dabei begangen die serbischen Extremisten zahlreiche Morde und Verbrechen an Kroaten und anderen Nicht-Serben, aber auch an serbischer Bevölkerung, die die großserbische Politik ablehnte. Auf dem eroberten Gebiet riefen die aufständischen Serben am 19. Dezember 1991 die “Republik Serbische Krajina”11 mit der Hauptstadt Knin aus. Aus diesem unter Aufsicht der Aufständischen stehenden Gebiet wurde die nicht-serbische Bevölkerung fast ganz vertrieben und ihr Eigentum zerstört oder geplündert. In der folgenden Zeit, nachdem die RH am 15. Januar 1992 international anerkannt und in die Organisation der Vereinten Nationen (kurz OUN) aufgenommen worden war, versuchte die Regierung der RH mit Hilfe von europäischer und Weltdiplomatie auf friedlichem Wege die besetzten Teile ihres Territoriums zu reintegrieren. Die Führung der Krajina-Serben aber, unterstützt durch Serbien und die SR Jugoslawien12, lehnte jeden Friedensvertrag, der eine 9 O. Žunec 10 Ustav SFR Jugoslavije – Ustav SR Hrvatske, Exposé von Jakov Blažević, Zagreb, 1974, 224. 11 kurz RSK 12 kurz für die Bundesrepublik Jugoslawien 31 Rückgabe des besetzten Staatsgebiets in die staatsrechtliche Gewalt Kroatiens vorsah, immer wieder ab, obwohl alle Resolutionen der OUN ausdrücklich davon ausgingen, daß diese Gebiete als “vorläufig besetzte Teile des kroatischen Hoheitsgebiets” gelten.13 Für Krajina-Serben gab es keine andere politische Option, als die Errichtung eines neuen serbischen Staates und sein Anschluß an Serbien. Besonders ein Zusammenleben mit Kroaten in demselben Staat kam nicht in Frage. Um die besetzten Teile seines Territoriums zu befreien, mußte Kroatien dann doch beschränkte Militäroperationen unternehmen. Im April 1992 stoppte die Kroatische Armee einen Vorstoß der serbischen Verbände aus Bosnien und Herzegowina in Richtung der Adriaküste, dessen Ziel die völlige Besetzung der südlichsten Spitze Kroatiens war. Die kroatischen Soldaten durchbrachen dann die Blockaden um Dubrovnik. Die mit der UNESCO14-Urkunde verliehene Altstadt von Dubrovnik wurde durch die Artillerie der JNA von ihren Stellungen auf den umliegenden Bergen aus beschossen. Bis Ende Oktober 1992 konnte die Kroatische Armee das besetzte Territorium im Süden zurückerobern. Im Januar befreite sie gemeinsam mit den Einheiten des Ministeriums des Inneren der RH das Hinterland von Zadar und stellte durch die Aufstellung einer Pontonbrücke über Maslenica-Schlucht die Verkhersverbindungen zwischen Norden und Süden Kroatiens her. Die Übernahme des Wasserkraftswerks “Peruča” in der Nähe der Stadt Sinj ermöglichte eine regelmäßige Stromversorgung für Dalmatien. Im September 1993 befreiten kroatische Soldaten und Polizisten die Hochburg Medak, bzw. die sog. Medak-Tasche nahe der Stadt Gospić, von welcher aus die Krajina-Serben Gospić immer wieder angegriffen und verwüstet hatten. Trotz militärischen Niederlagen, lehnte die Führung der Krajina-Serben Anfang 1995 den Vorschlag der Vertreter der USA15, Russlands, Deutschlands und Großbritanniens (“Plan Z-4”) über eine politische Lösung der Krise in Kroatien ab. Der Vorschlag sah eine ausnahmslos breite Autonomie für die serbische Bevölkerung in Teilen Kroatiens, wo sie eine Mehrheit bildete, vor (der sog. UNPA-Sektor Nord und Süd, Umgebung von Glina und Knin).16 Diese Ablehnung zwang die kroatische Führung eine neue Militär- und Polizeioperation zu unternehmen. Die kroatischen Kräfte befreiten im Zeitraum zwischen 1. und 4. Mai 1995 im Verlaufe der Operation “Bljesak” (Blitz) die besetzten Teile Westslawoniens. Als Vergeltung feuerten dann die Krajina-Serben am 2. und 3. Mai die Raketen auf die Innenstadt von Zagreb 13 Z.B. die Resolutionen 820., 847, 871 vom 17. April, 30. Juni und 4. Oktober 1993, die Resolutionen 908, 947, 958 vom 31. März, 30. September und 19. November 1994, sowie die Resolutionen 981 und 994 vom 31. März und 17. Mai 1995; siehe auch: Specijalna policija MUP-a RH u oslobodilačkoj operaciji „Oluja“ 1995. (Beilage), Zagreb, August 2008, S. 78-96; http://www. un.org/documents/. 14 United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization/Organisation der Vereinten Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur 15 United States of America/Vereinigte Staaten von Amerika 16 D. Marijan, Oluja, Zagreb, September 2007, S. 379-399. 32 und andere kroatische Städte ab. Durch diese feigen und terroristischen Anschläge wurden in Zagreb sieben Menschen getötet und mehr als hundert verletzt. Mit Raketen wurden das Kinderkrankenhaus, das Gymnasium in der Križanićeva Straße und andere kulturelle Einrichtungen und Gebäude getroffen.17 Die Führung der Krajina-Serben setzte wie immer ihre kompromisslose Politik fort, mit der Absicht den Rest des besetzten Territoriums der RH abzuspalten und zusammen mit unter serbischer Kontrolle sich befindlichen Gebieten von Bosnien und Herzegowina an den geplanten einheitlichen serbischen Staat anzuschließen. Als dieser Prozeß durch die Vorbereitung des Entwurfes der “Verfassung der Vereinten Serbischen Republik” im Juli 1995 seinen Höhepunkt erreichte, war man sich im klaren, daß das Problem der Besetzung nur mit einem neuen Militäreinsatz zu lösen wäre. Die letzte Militär- und Polizeioperation, genannt “Oluja” (Sturm), wurde im Zeitraum von 4. bis 8. August 1995 unternommen. Norddalmatien, die Lika, die Banovina und Kordun (insgesamt etwa 10.500 km2) wurden befreit. Die kroatischen Verbände stießen bis an die Staatsgrenze vor und ermöglichten dadurch der Armee von Bosnien und Herzegowina die Durchbrechung der serbischen Belagerung von Bihać. Auf diese Weise wurde eine ähnliche humanitäre Katastrophe und ein ähnliches Massaker wie in Srebrenica, als im Juli 1995 die serbischen Truppen mehr als 8000 Bosniaken – bosnische Muslime - getötet haben, verhindert. Unter serbischer Besetzung blieb nur noch der sog. UN-Sektor Ost, der die Baranja und einen Teil Westslawoniens und Westsyrmiens (etwa 4,5 % des Gesamtterritoriums der RH) umfasste. Neben der Befreiung seines eigenen Staatsgebietes trug Kroatien bedeutend auch der Befreiung des okkupierten Territoriums von Bosnien und Herzegovina bei. So befreiten die kroatischen Streitkräfte (Kroatische Armee und Kroatischer Verteidigungsrat) z.B. aufgrund des Abkommens zwischen den Präsidenten der RH und Bosnien und Herzegowinas (Deklaration von Split vom 22. Juli 1995) und aufgrund der Koordination mit der Armee von Bosnien und Herzegowina, etwa 1600 km² Ende Juli 1995 (Operation “Ljeto ‘95”/Sommer ‘95), etwa 2500 km² im September (Operation “Maestral”/Mistral), und etwa 800 km² (Operation “Južni potez”/Südlicher Einsatz) des Südwestens und Westens des Nachbarstaates im Oktober 1995. Bei allen diesen Operationen handelte es sich um die Befreiung der unter serbischen Kontrolle stehenden Gebietsteile Kroatiens und Bosniens. Diese Aktionen erzwangen auch die Unterzeichnung des Abkommens von Dayton im November 1995 und damit auch das Ende des Krieges in den beiden Staaten, der mit der Aggression der JNA und der serbischen paramilitärischen Verbände auf die RH angefangen hatte. Nämlich, erst als die Führung der Krajina-Serben auf dem unter ihrer Kontrolle übriggebliebenen Territorium der RH nach der Militäroperation “Oluja” und der Niederlagen der Armee der Serbischen Republik in Bosnien und Herzegowina, die Schädlichkeit ihrer eigenen Politik und die Entschlossenheit der Kroaten ihr Staatsgebiet zu befreien, begriffen 17 Damir Luka Saftić, „Kod Šoštarićeve prvi trg civilnim žrtvama“, Večernji list, 8. 3. 2007, 26. 33 hatte, stimmte sie den vorgelegten Vorschlägen und einer friedlichen Lösung des Konflikts zu. So unterschrieben die Vertreter der aufständischen Serben aus Ostslawonien, der Baranja und aus Westsyrmien in Erdut am 12. November 1995 das “Grundlegende Abkommen über die friedliche Reintegration dieses Gebiets in das staatsrechtliche Staatsgebiet der RH”. Am selben Tag unterzeichnete der Vertreter der Regierung der RH Hrvoje Šarinić das Abkommen in der Präsidentschaftsresidenz in Zagreb.18 Das erwähnte Abkommen (“Erdutski”/Abkommen von Erdut), das durch zahlreiche Zugeständnisse an die Krajina-Serben die Unzufriedenheit der aus diesem Gebiet vertriebenen Kroaten hervorgerufen hatte, bewies die Konsequenz der kroatischen Politik in ihrem Bestreben, die Probleme mit aufständischen Serben durch Verhandlungen und auf friedlichem Wege zu lösen, auch wenn man schmerzvolle Kompromisse eingehen mußte. Das Abkommen über die friedliche Reintegration Ostslawoniens, der Baranja und Westsyrmiens in das Staatsgebiet der RH, wurde auch durch den UN-Sicherheitsrat am 23. November 1995 angenommen (Resolution 1023). Für die Dauer der erwähnten Friedenssicherungsmission bis 15. Januar 1998, als kroatisches Donaugebiet (bzw. Ostslawonien, die Baranja und Westsyrmien) endlich wieder unter die Kontrolle Kroatiens gestellt wurde, richtete der OUN-Sicherheitsrat (Resolution 1037 vom 15. Januar 1996) eine “Übergangsverwaltung der OUN in Ostslawonien” ein. Damit übernahm Kroatien, einige Grenzkonflikte mit Nachbarstaaten ausgenommen, die völlige Gewalt über seine international anerkannten Grenzen. 18 Hrvoje Šarinić, Svi moji tajni pregovori sa Slobodanom Miloševićem 1993-95 (98), Zagreb, 1999, S. 311. 34 35 36 Sie sind unsere Wahrheit K arlo hatte erst seit kurzer Zeit seinen Mittelschulabschluß, den er in seinem Borovo kriegte. In diesem Herbst riet er immer wieder seiner Mutter nach Zagreb zu seiner Schwester zu fahren. Sie studierte, um einmal ihrer Stadt helfen zu können. Über Nacht wurde Karlo zu einem Mann. Mit seinen Altersgenossen und seinem Vater Josip blieb er, um sein Elternheim zu schützen. Es war alles was sie hatten, alles was sie sich mit viel Mühe erarbeiteten. Die feindliche Schnellfeuer traf ihn etwa hundert Meter weiter, in der Trpinjska Straße, in der Straße der Helden. Der kleine Held oder das was von ihm übrig blieb, wurde in eine karierte Decke eingebetet und auf dem Gelände des Stadions begraben. Wer hörte den heiseren Wehgeschrei des Vaters angesichts des Granatendonners? Wer sah die Tränen angesichts des Rauchs der Brandstätte? Der Körper des Vaters sank in sich an der Schwelle des Familienhauses. Er wurde auf dem Gelände einer naheliegenden Gärtnerei begraben. Vater und Sohn wurden aus dem Friedhof Novo groblje (Neuer Friedhof) in Vukovar im Juni 1998 exhumiert. Die karierte Decke war das einzige Erkennungszeichen von kleinem Karlo. Die Uhr, die noch tickte – das Erkennungszeichen seines Vaters Josip. Marica stand stumm am 13. Juni oberhalb der sterblichen Überresten ihres Sohnes Karlo und ihres Ehemanns Josip, als man von ihnen letzten Abschied genommen hatte. Sie begrub ihre Vergangenheit und ihre Zukunft. Am diesen Tag feierte man in Vukovar eine Hochzeit. Karlos Altersgenossen hupten mit einer Hand und die andere, die sich erst neulich des Gewehrs entledigte, hielten sie mit drei ausgestreckten Fingern in der Luft. An der Spitze der Kolonne flatterte die serbische Flagge. Marica begegnete der Zukunft, am 13. Juni des Jahres 1998 in Kroatischem Vukovar. Vukovar hat uns allen nicht gleich tiefe Wunden geschlagen, das braucht es nicht und muß es nicht! Aber wer darf die Wahrheit verleugnen? Ljerka Ivušić 37 38 Ante Nazor AGGRESSION SERBIENS, BZW. DER JNA UND DER SERBISCHEN PARAMILITÄRISCHEN VERBÄNDE AUF VUKOVAR IM JAHR 1991 39 Eintreffen der Flüchtlinge aus Dalj, Erdut und Aljmaš in Nemetin, 1. August 1991 40 D ie Unabhängigkeitserklärung der RH am 8. Oktober 1991 löste eine Welle der Begeisterung unter den Verteidigern und allen Bürgern, die Kroatien als ihre Heimat empfunden haben. Mit großer Freude empfang man diese Nachricht auch in Vukovar, besonders weil das kroatische Parlament am selben Tage alle staatlichen und militärischen Einrichtungen beauftragte, alle verfügbare Mittel als Hilfe für Vukovar zu bestimmen. Die Stadt, die zu diesem Zeitpunkt schon als Verteidigungssymbol Kroatiens galt, wurde gerade neuen und noch heftigeren Angriffen seitens der serbischen Kräfte ausgesetzt. Gewiß ist dieser Aggression ein langwieriger Überzeugungsprozeß der lokalen serbischen Bevölkerung über die Ünmöglichkeit eines Zusammenlebens mit Kroaten vorausgegangen. Diese Propaganda begann nach der Veröffentlichung des SANU19Memorandums als ein Teil eines von großserbischen Ideologen ausgedachten Plans, der für die Ausweitung auf die Gebiete der serbisch dominierten Gemeinden in Kroatien (in welchen die Serben eine absolute oder wenigstens eine relative Mehrheit der Bevölkerung bildeten) vorbereitet war. Dieser Prozeß gewann an Intensität als in Kroatien das Mehrparteinsystem eingeführt wurde. Seine weitere Dynamik wurde von wichtigen politischen Ereignissen beeinflußt: von ersten freien Wahlen für alle drei Häuser des Parlaments der RH im April und Mai 1990, von der Konstituierung des neuen Parlaments der RH am 30. Mai 1990, und nicht zuletzt von der Verabschiedung einer neuer Verfassung der RH am 22. Dezember 1990, die von der Mehrheit der Serben-Vertreter in Kroatien abgelehnt wurde, obwohl in der Verfassung alle nationalen und anderen Grundrechte und Freiheiten eines jeden Menschen und Bürgers gewährleistet wurden. Nach der Volkszählung von 1991 hatte die Gemeinde Vukovar 84.189 Einwohner: davon waren 36.910 Kroaten (43,8%), 31.445 Serben (37,4%), 1375 Ungarn (1,6%), 6124 (7,3%) deklarierten sich als Jugoslawen und 8335 (9,9%) als andere oder unentschiedene. In der Stadt Vukovar lebten 1991 insegesamt 44.369 Einwohner: darunter 21.065 Kroaten (47,2%), 14.425 Serben (32,3%), 919 Russinen (2,1%), 694 Ungarn (1,5%), 147 Slowaken (0,3%), 94 Deutschen (0,2%), 4355 deklarierten sich als Jugoslawen (9,8%) und 2940 (6,6%) als andere oder unentschiedene. 19 kurz für Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste 41 Bei den ersten freien Wahlen im Jahr 1990 wurden in den Rat der Gemeindeversammlung der damaligen Gemeinde Vukovar 114 Räte gewählt („Komiteemitglieder“): 46 Kroaten, 42 Serben, 17 Jugoslawen, 4 Montenegriner, 1 Muslim, 1 Ungar, 1 Russine, 1 Ukrainer und 1 Bulgare. Nach der Parteienangehörigkeit kamen 59 Räte aus den Reihen des Bundes der Kommunisten Kroatiens – bzw. der Partei der demokratischen Änderungen (kurz SKH-SDP), 26 aus der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (kurz HDZ), 18 waren unabhängig, 7 gehörten zum Sozialistischen Bund, und je einer gehörte zu SSOH,20 zu Gewerkschaften, Unternehmen und Bürgergruppen. Die politische Situation in Vukovar verschärfte sich nach der Rede, die in der Gründungsversammlung der Serbischen Demokratischen Partei (kurz SDS) am 10. Juni 1990, ihr Vorsitzender Jovan Rašković in Adica, einem Ausflugsort von Vukovar, hielt. Der Druck der großserbischen Politik in Ostslawonien und in der Gemeinde von Vukovar verstärkte sich insbesondere durch eine „Serie“ von Volksversammlungen im Februar und März 1991. In diesen Versammlungen lehnten die anwesenden Serben immer wieder die Verfassung der RH ab und bedrohten Kroaten und kroatische Führung. Wie auch anderswo in Kroatien, wurden die Spannungen immer stärker, besonders nach einem bewaffneten Zusammenstoß zwischen der kroatischen Polizei und den serbischen Extremisten bei den Plitvicer Seen am 31. März 1991. Die Extremisten stellten gleich die Barrikaden in Borovo Selo und in anderen serbisch dominierten Dörfern der Vukovarer Gemeinde auf – in Pačetin, Bobota, Bršadin, Negoslavci und Trpinja. Bei der Barrikade in Bršadin beschossen sie am 2. April einen privaten Pkw, wobei die Beifahrerin schwer verletzt wurde. Danach hielten in Volksversammlungen der Serben im April in Borovo Selo und in Jagodnjak in der Baranja staatliche und politische Amtsträger aus Serbien – der serbische Minister Stanko Cvijan und der Delegierte des serbischen Parlaments Milan Paroški sowie der Tschetnikführer und Vorsitzende der Radikalen Partei in Serbien Vojislav Šešelj, ihre Reden über Gründungspläne eines einheitlichen und einen Großteil des kroatischen Staatsgebietes umfassenden großserbischen Staates. Sie bedrohten öffentlich Kroaten auf kroatischem Staatsgebiet. Auch die Rede von Milan Paroški in Jagodnjak, in der man sich auf das “Recht auf Mord” berief, war eigentlich ein Aufruf zur Rebellion gegen die kroatische Führung und zur Abrechnung mit Kroaten: Das hier ist das serbische Territorium und es soll ihnen (Kroaten) klar gemacht werden, daß sie die Neuankömmlinge sind. Demnach, wer auch immer kommt und sagt, dies sei sein Land, der ist ein Aufständischer, und da er kam, um zu töten, den kann man auch wie einen Hund töten! (Auszug aus der Rede von Milan Paroški, Delegierten des serbischen Parlaments am 21. April 1991 in Dorf Jagodnjak in der Baranja in der Republik Kroatien). 20 kurz für Bund der sozialistischen Jugend Kroatiens 42 Durch die Entsendung des Ministers des Inneren Josip Boljkovac und seines Stellvertreters Slavko Degoricija nach Vukovar am 15. April 1991, versuchte die kroatische Führung durch neue Verhandlungen mit den Vertretern der politischen Parteien und serbisch dominierten Dörfer, die bewaffneten Konflikte, die das Vukovarer Umland bedrohten, zu verhindern. Leider führte diese aggressive und hetzerische Rhetorik der serbischen Politiker am 2. Mai 1992 zu einem Scharmützel in Borovo Selo bei Vukovar, als lokale und aus Serbien eingetroffene serbische Freischärler aus einem Hinterhalt 12 kroatische Polizisten töteten und mehr als 20 verwundeten. Die Namen der getöteten Polizisten lauten: Ivica Vučić aus Vinkovci, Luka Crnković und Zoran Grašić aus Otok, Marinko Petrušić aus Tovarnik, Antun Grbavac aus Nijemci, Mladen Šarić aus Novi Jankovci, Stipan Bošnjak und Zdenko Perica aus Nuštar, Željko Hrala und Janko Čović aus Ivankovo, Josip Culej aus Jarmina und Mladen Čatić aus Županja. Auch auf serbischer Seite wurden Menschen getötet und verwundet. Am selben Tag, bei Polača nahe Zadar, kam der kroatische Polizist Franko Lisica ums Leben. Nach diesen blutigen Ereignissen, begann man nicht nur im Umland von Vukovar, sondern in ganz Kroatien mit intensiven Kriegsvorbereitungen. Um die Situation zu beruhigen, trafen am 9. Mai in Vukovar die Delegationen des Exekutivrates des (Jugoslawischen) Bundes und der Regierung der RH ein. Auch die Verbände der JNA wurden “wegen der Aufrechterhaltung der Trennung zwischen kämpferischen Seiten” entsprechend eingeteilt. Es stellte sich aber Borovo Selo, 2. Mai 1991 43 heraus, daß ihre Aufgabe eigentlich darin bestand, die kroatische Polizei beim Versuch der Herstellung der öffentlichen Ordnung und Sichherheit zu verhindern, sowie die Stellungen für die schon geplanten Angriffe zu beziehen. Obwohl die Spannungen durch die Verhandlungen vorläufig beruhigt werden konnten, wurden die Erwartungen bezüglich der Lösung der Probleme zwischen der serbischen Extremisten und der kroatischen Führung in Ostslawonien durch die Bewaffnug der serbischen Bevölkerung in Dörfern Mirkovci, Markušica, Tenja, Bijelo Brdo, Borovo Selo, Bršadin, Pačetin, Trpinja, Bobota, Vera, Negoslavci sowie durch das Eintreffen verschiedener Freischärler-Gruppen in die erwähnten Dörfer, schwer erschüttert. Bis Ende Juni 1991 wurden diese Dörfer zu den terroristischen Hochburgen und Basen für Angriffe auf Osijek, Vinkovci und Vukovar. Die kroatische Führung rüstete sich auch für den Krieg aus, indem man seine Streitkräfte aufgrund der gültigen Vorschriften auf der Bundes- und Republikebene im Rahmen des Innenministeriums aufzustellen begann. So trafen in Vukovar im Mai die Einheiten der Spezialpolizei aus Slavonski Brod und im Juni die Polizisten der Polizeiverwaltungen Varaždin und Čakovec (Gespanschaften Varaždin und Međimurje) ein. In ihrem Verteidigungsdienst wechselten sie sich in Schichten mit den Polizeieinheiten der Polizeiverwaltungen Osijek, Vinkovci, Županja und Zabok, aus. Die Polizeikräfte wurden ständig ersetzt bis zur völligen Einschließung von Vukovar. Im Juni wurden bei Opatovac das Bataillon “Zrinski” und bei Principovac nahe Ilok die 1. Brigade der Nationalgarde (“Volksgarde”) der RH sowie das 4. Bataillon der 3. Brigade der Nationalgarde aufgestellt. Um Vorbedingungen für die Organisierung einer ungehinderten Logistikkette um Vukovar zu schaffen, fing man schon im April mit dem Aufbau von Verbindungslinien zwischen den Dörfern Bogdanovci und Marinci an. Diese Kommunikationskette wird nach ihrer Beendigung Ende Juli eine sehr große Bedeutung für die Verteidigung von Vukovar haben. Die Situtation im Vukovarer Umland verschärfte sich erneut am 27. Juni, als die JNA Slowenien angriff. Am diesen Tag umzingelte die JNA mit 20 Panzer und Panzerwagen den Silo Đergaj bei Bršadin um, und forderte, daß sich die Soldaten der Nationalgarde, die den Silo mit dem Getreide der Kroatischen Warenreserve schützten, zurückziehen. In die Dörfer Trpinja und Bršadin wurde man erst nach der Kontrolle der JNA und der bewaffneten serbischen Zivilisten durchgelassen. In Borovo Selo trafen dazu sechs Busse mit „Freiwilligen“ aus Serbien an. Durch die serbisch dominierten Dörfern fuhren ständig die Militärfahrzeuge der JNA und bei Šid, an der Grenze zwischen Kroatien und Serbien, nahmen Artillerie und starke Panzereinheiten der JNA ihre Stellungen ein. Zu den Provokationen des Militärs gesellte sich auch die serbische Miliz. Am folgenden Tag, den 28. Juni 1991, verübte eine Gruppe von etwa dreißig serbischen Terroristen einen Anschlag auf einen kroatischen Kontrollpunkt in Borovo 44 Naselje. Der Angriff wurde abgewehrt, aber die Angriffe der aufständischen Serben auf Borovo Naselje wurden mit Hilfe von „Freiwilligen“ aus Serbien und der JNA fortgesetzt. Ihr Ziel war es, die Stellungen für den offenen Überfall auf Vukovar zu beziehen. Einen erneuten Angriff wehrten die kroatischen Gardisten und Polizisten am 4. Juli ab. Durch die Angriffe der serbischen Verbände Anfang Juli auf Borovo Naselje, Tenja bei Osijek und Dorf Ćelije, das rasch verlassen Marin Vidić „Bili“ und verbrannt wurde, sowie auf Stellungen der Nationalgarde in Čakovci, Erdut, Opatovac, Sotin und Principovac, begann sich der Krieg unaufhaltsam auf ganz Ostslawonien auszuweiten. Die Räumung der serbischen Familien aus Vukovar im Juli war ein Zeichen für einen bevorstehenden heftigen Angriff der JNA auf die Stadt. Schon damals wurde Vukovar einige Male durch die Artillerie der JNA von Trpinja, Orlovača und Borovo Selo aus beschossen. Unter diesen Umständen besuchte der Präsident der RH Franjo Tuđman die Stadt am 21. Juli 1991. Er war in Begleitung des Koordinators des Krisenstabs für Slawonien und die Baranja Vladimir Šeks, des Ministers für die Emigration und des Stellvertreters des Verteidigungsministers Gojko Šušak sowie des Stellvertreters des Ministers des Inneren Slavko Degoricija. Zum Beauftragten der Regierung für Vukovar wurde Marin Vidić-Bili ernannt. Als der höchste zivile Amtsträger in der Stadt, teilte er mit seinen Bürgern ihr kriegerisches Schicksal bis zum Ende der Stadtbelagerung und auch weiter während der Gefangenschaft in Sremska Mitrovica. “… Während der letzten Tage dachte man immer wieder darüber nach, die Stadt dem Aggressor doch zu übergeben und wegzugehen. Eigentlich sollte man über eine geistigphysische und zivilisierte Übergabe von Menschen sprechen müssen, da eine Stadt eigentlich die Menschen ausmachen. Die Übergabe vereinbarte man im Rahmen der Möglichkeiten. In fast allen Unterkünften und im Krankenhaus wurden die Namen der Menschen verzeichnet, damit man später bestätigen kann, daß sie am Leben waren, daß sie sich in einer bestimmten Unterkunft aufhielten, und daß sie auch in einem bestimmten Bus ihren Platz nahmen. Wir taten all das, um zu verhindern, was sich nach der Okkupation doch ereignete. (…) Das einzige offizielle Gespräch über die Art und Weise sowie Zeitfolge der Übergabe führte man im Vukovarer Krankenhaus mit Veselin Šljivančanin. Bei diesem Treffen waren Vertreter der Internationalen Gemeinschaft, ein Übersetzer, Šljivančanin, Vesna Bosanac und ich anwesend. Wir wollten die Dokumentation und Namenverzeichnisse Šljivančanin überreichen, aber er lehnte es ab, warum er das tat, wurde uns später klar. …” (Auszug aus dem Interview mit Marin Vidić–Bili, “Vukovar, 18. studenoga 1991”, Vjesnik, 18. November 2005, S. 40) Am nächsten Tag, den 22. Juli, beschossen die JNA-Kampfflugzeuge zwei Stützpunkte der 1. Brigade der Nationalgarde in Ostslawonien bei Pustara in Novi Čakovci (2 45 Tote, 2 schwer und einige leicht verwundeten Gardisten) und bei Opatovac bei Ilok (einige leicht verwundete Gardisten) mit Raketen. Der Luftangriff der JNA wurde erneut am 27. Juli 1991 durchgeführt. Während des Raketenbeschusses von Opatovac und Principovac nahe Ilok wurden 4 Gardisten verletzt. Ein neues Verbrechen im Umland von Vukovar wurde am 1. August durch serbische Extremisten verübt, als sie durch die Unterstützung der JNA, während eines Angriffs auf Dalj, Erdut und Aljmaš 39 kroatische Verteidiger töteten: 20 Polizisten, 15 Gardisten und 4 Mitglieder des Zivilschutzes. Einige von ihnen wurden in der Gefangenschaft massakriert. Kroatische Polizisten und Gardisten stellten danach am 3. August den Statdteil Lužac unter Kontrolle, und somit konnten sie auch den sog. „Maisweg“ halten, der während der Belagerung Vukovar mit Vinkovci über Bogdanovci und Marinci verbindete. Um Ermutigung zu spenden, besuchte am 8. August der neuernannte kroatische Regierungschef Franjo Gregurić in Begleitung von Vladimir Šeks die Stadt. Die Bedeutung der Stadt für die Verteidigung der RH betonte am 11. August auch der neuernannte Verteidigungsminister der RH Luka Bebić, der am 23. August in Vukovar eintraf. Bewaffnete Angriffe und Provokationen der serbischen Paramilitärs und der JNA wurden im August zum Alltag. Die Zahl der Übeflüge der JNA-Kampfflugzeuge, die die Stützpunkte der Nationalgarde und kroatischen Polizei raketierten, wurde immer größer. Aber am Samstag, den 24. August, schoß der kroatische Verteidiger Luka Andrijanić züruck und traf zwei JNA-Kampfflugzeuge, die gerade den Silo Đergaj bei Bršadin angegriffen haben. Die Jugo-Armee bestätigte, das sie ein ihrer Flugzeuge verloren hatte. Das war das erste abgeschossene Flugzeug der JNA im Heimatkrieg. Zu dieser Zeit wurde Vukovar auch seitens der Nationalgarde aufgrund des Fahrverbotes von Militärfahrzeugen, die sich nur nach einer Durchsuchung und in Begleitung bewegen durften, blockiert. Der einzige noch irgendwie sichere Ausgang aus der Stadt war die Straße Vukovar-Bogdanovci-Marinci-Nuštar-Vinkovci. Erinnerung an Luka Andrijanić Luka Andrijanić 46 Nach Vukovarer Verteidiger Josip Jakobović, befiehl am 24. August 1991 um etwa 12 oder 13 Uhr Kommandant der Nationalgarde (4. Bataillon der 3. Brigade) Ivica Arbanas, den strategischen Stützpunkt Silo Đergaj zu verteidigen: Wir wußten, daß sie kommen, um den Silo Đergaj und davor Osijek anzugreifen, weil wir ihre Rundfunkmeldungen abgehört haben. Der Silo und 20 Leute dort mußten geschützt werden. Die Mannschaft der Flugabwehrkanone 20/3 oder einfach PAT, in Zusammensetzung Kommandant Luka Andrijanić, dann Stützpunkt an der Bosanska Straße mit Aussicht auf Silo Đergaj, wo am 24. August 1991 die Flugabwehrkanone, mit welcher Luka Andrijanić die JNA-Kampfflugzeuge traf, aufgestellt wurde (das Photo ist eine Schenkung von Josip Jakobović) Antun Bekčević und Zvonimir Hincak, brauchte einen Fahrer und einen Topographen, und unser tüchtiger “Herr Doktor” (Ivan Anđelić) sagte: „Wir haben den Mann dafür. Komm Josip! Du führst die Mannschaft an, du kennst das Terrain.“ Bis dahin sah ich die erwähnte Flugabwehrkannone nur im Film und auf dem Bild. Aber bei einem Meister wie unser Luka, lernt man alles sehr schnell. In Übereinstimmung mit dem Befehl von Ivica Arbanas, meldete man sich vor der Einnahme der Stellung in Bosanska Straße in Borovo Naselje bei dem Kommandanten Blago Zadro, da dieses Gelände zu seinem Zuständigkeitsbereich gehörte. Um 14 Uhr griffen die JNA-Kampfflugzeuge Osijek auf, und dan flogen vier “Super Galeb” (Super Möwe) in Richtung Vukovar. Als sie das Feuer eröffneten, Luka Andrijević erwiderte es: Luka begann zu schießen, und ich sah nur zu. Ich verstand nicht warum ein Flugzeug G-4 gegen Marinci an Höhe zu verlieren anfing, und ein anderes qualmte, blieb für eine Sekunde stehen und dann in einem Tiefflug nach Serbien verschwand. Wir sahen zu, als sich zwischen Bršadin und Marinci der schwarze Rauchpilz erhebte, und Luka bemerkte darauf: „Dieses ist abgestürzt“. Aber die beiden waren abgestürzt. Einige Minuten später sah man die Mig-Kampfflugzeuge der JNA, aber dieses Mal in einem hohen Flug, da sie wußten was sie erwartete. Den Hubschrauber mit dem Erkennungszeichen des Roten Kreuzes, der den verwundeten Pilote abzuholen kam, ließen wir durch, weil wir doch Gardisten waren. Nach zwei Tagen, am 26. August 1991, während eines allgemeinen Angriffs auf Vukovar, stellten wir wieder einsatzbereit unser 47 PAT 20/3 beim Wasserturm auf. Am rechten Donauufer warteten wir auf “Mücken”. So nannten wir die Kampfflugzeuge der JNA. Und was macht man mit Mücken? Sie werden natürlich bestäubt. Dann brachte man wieder ein Kampfflugzeug des Typs „Mig 21“ und ein des Typus „G-4“ zum Absturz. Am selben Tag gingen wir zur Trpinjska und Hercegovačka Straße, um zu helfen. Als Verstärkung kam auch Marin Balić zur Mannschaft, aber sie verlor Zvonimir Hincak. Wir beteiligten uns an der Verteidigung der gerade erwähnten Straßen ... Jeden Tag lernten wir uns ein bißchen besser kennen, unsere Tugenden und unsere Fehler. Unser Luka teilte uns mit, daß er bald Geburtstag hat. Wir versuchten nur Ruhe zu bewahren. Jeden Tag wurde geschossen. Raketen und Granaten schlugen ständig ein. Ich denke, damit ist alles gesagt. Wir sollten das Gelände vor uns mit Minen belegen, aber da waren keine Soldaten des Sprengkommandos in Sicht. Eines Tages werden sie kommen und die Minen da lassen. Sie werden versprechen, bald zurückzukommen, wenn sie Zeit haben werden. Unser Luka fand keine Ruhe, er entschloss sich, die Minen selbst zu legen. Er erzählte, er erinnere sich wie das bei der JNA gemacht wurde, aber in diesem Moment begannen Granaten und Raketen von Mehrfachraketenwerfern (kurz VBR) einzuschlagen. Vielleicht war er überrascht. Er kam am 20. September 1991 ums Leben, drei Tage vor seinem zwanzigsten Geburtstag. Was könnte man über einem Menschen sagen, der gerade seinen Wehrdienst bei der JNA in Batajnica leistete und sich mit PAT 20/3 auskannte? Was ist über einem Mann mit einem sanften Lächeln und großem Herz zu sagen, der am 23. September 1971 in Bosanski Brod geboren wurde, in Velika Brusnica lebte, aber dann gerade nach Vukovar kam, um Kroatien zu verteidigen. Wir, die älteren, wir dachten, er würde von uns lernen, aber es war umgekehrt, er war der Lehrer, obwohl wir uns dessen damals nicht bewußt waren. (Gekürzte Fassung des Textes „Sjećanje na Luku Andrijanića“ [Erinnerungen an Luka Andrijanić], der von Josip Jakobović, Vukovarer Verteidiger und Lukas Mitkämpfer, verfaßt wurde.) Aber alle diese Geschehenisse waren nur ein Vorspiel, wenn man sie mit am 25. August angefangenen Angriffen vergleicht. Am 25. August schwankte ein in einer Kolonne von Vukovar nach Borovo Selo fahrendes Militärfahrzeug der JNA von Borovska Straße ab und fuhr auf eine Panzerabwehrmine, wobei einige der JNA Soldaten verunglückten. Dieses Unglück war der Anlaß für den nächsten heftigen Anschlag auf die Stadt. Eine Kolonne von Panzerwagen der JNA wurde in den Morgenstunden in Bogdanovačka Straße gestoppt, als unter einer Unterführung ein Panzer der JNA beschädigt wurde; an diesem Tag aber zerstörten die Verteidiger einen Panzer und setzten drei außer Gefecht. Zwei Lkws steckten sie in Brand. Die JNA-Kampfflugzeuge beschossen mit 30 Luft-Boden Raketen die kroatischen Stützpunkte bei Vukovar und Opatovac sowie den Silo Đergaj. Die Jugo-Armee wurde durch die aufständischen Serben von Borovo Selo, Trpinja und Bršadin sowie vom Vukovarer Vorort Petrova Gora, unterstützt. 48 Zentrum von Vukovar, 7. September 1991 (Autor: Mario Filipi) 49 Durch diesen Panzer-, Artillerie-, und Luftangriff begann die offene serbische Aggression auf Vukovar und eine ununterborochene dreimonatige Bombardierung der Stadt mit allen verfügbaren Waffen, wobei auch die verbotenen Kassetten- und Phosphorbomben abgeworfen sowie Giftgase eingesetzt wurden. Man griff die Stadt vom Boden, Wasser (die Kriegsschiffe der JNA auf der Donau) und aus der Luft Tomislav Merčep an, bzw. aus der Richtung von Borovo Selo, Trpinja, Bršadin, Negoslavci, Lipovača, Sotin, Dalj, sowie aus der Kasarne der JNA in Vukovar, vom Vorort Petrova Gora, aus der Vojvodina und aus Serbien. Bei Šid trafen ständig die neuen Kolonnen der JNA-Militärfahrzeuge aus Serbien ein. Die JNA und die serbischen Paramilitärs koordinierten nach den Plänen des Generalstabs der Streitkräfte der SFRJ in Belgrad ihre Wirkung, bzw. sie standen gemeinsam unter dem Kommando der “Offizieren” der JNA. Der Kommandant des 1. Militärdistrikts, vom September 1991 der Oberbefehlshaber aller Landestreitkräfte der SFRJ, die in Slawonien, in der Baranja und Westsyrmien eingesetzt wurden, Generaloberstleutnant Života Panić erzählte in der BBC-Sendung Smrt Jugoslavije, daß “Arkans Tiger und Tschetniks von Šešelj unter seinem Kommando standen”. Bezüglich der geleisteten Ergebnisse der JNA im Krieg gegen Kroatien 1991, führte der damalige Bundessekretär für Volksverteidigung der SFRJ General Veljko Kadijević in seinem Buch Moje viđenje raspada (S. 137) an, daß die „Hauptgruppe des Heeres der JNA, die hauptsächlich aus Panzerverbänden in Ostslawonien bestand, zwei Aufgaben hatte: Befreiung aller serbisch dominierten Gebiete in Ostslawonien sowie als wichtigste Manöverkraft des Oberbefehls für den Durchbruch in Richtung Zagreb und Varaždin in Bereitschaft zu stehen“. Neben der Militärführung der JNA waren für die aus Serbien unternommenen Angriffe gegen Kroatien allerdings auch die damalige politische Führung Serbiens und die Führung der selbstproklamierten “Krajina” mit dem Präsidenten Goran Hadžić verantwortlich. Die serbische Regierung stimmte stillschweigend der Aufstellung der paramilitärischen Verbände in Serbien zu, die später in Kroatien eingesetzt wurden, unterstützte sie sogar. Durch ihre Brutalität zeichneten sich besonders die Einheiten von Vojislav Šešelj, Željko Ražnatović Arkan, Mirko Jović sowie andere Paramilitärs aus. Bis Mitte August, als Tomislav Merčep das Amt des Mitarbeiters des Ministers des Inneren übernahm, hatte er als Sekretär des Sekretariats für Volksverteidigung der Stadt Vukovar eine führende Rolle in der Verteidigung von Vukovar. Sein Amt in Sekretariat erbte Danijel Rehak und gemäß einer internen Vereinbarung unter den Kommandanten von Vukovar das Kommando über die Stadtverteidigung und der Reserve der Nationalgarde übernahm vorläufig Ivica Arbanas, der Mile Dedaković “Habicht“ Kommandant des 4. Bataillons der 3. Brigade der Nationalgarde. 50 Aber um die Verteidigung zu verstärken und die Leistung der Verteidiger zu vergrößern, ernannte der Generalstab der Kroatischen Armee Ende August 1991 einen Berufsoldaten zum Kommandanten der Stadtverteidigung – den ehemaligen Oberstleutnant der JNA Mile Dedaković – “Jastreb” (Habicht). Er traf zusammen mit dem ehemaligen Hauptmann der JNA Branko Borković – “Mladi Jastreb” (Junghabicht) in Vukovar ein. Das Verteidigungsamt in Vukovar fertigte dann ein Verzeichnis aller Wehrpflichtigen an und traf alle notwendigen Maßnahmen um die Durchführung der Mobilisation vorzubereiten. Die Frage Branko Borković “Junghabicht“ der logistischen Organisation wurde sowohl in Bezug auf Soldaten als auch auf Zivilisten gelöst. Die Verteidigung selbst wurde aus vier “Bataillons” und einigen kleineren Truppengattungen (Fernmeld-, Ingenieurtruppe, Luftabwehr u. ä.) organisiert. Auch die Militärpolizei wurde aufgestellt, die erste in der RH. Als Mile Dedaković Vukovar verließ, um Hilfe zu holen, wurde er zum Kommandanten der am 16. Oktober 1991 gegründeten Operationsgruppe Vukovar, Vinkovci und Županja ernannt und der neue Befehlshaber der Stadtverteidigung wurde Branko Borković. ... Wahrend der Dauer der Belagerung funktionierte die Stadt fast normal, was wirklich ein Phänomen war. In Unterkünften bekamen alle Bürger die gleichen Lebensmittelrationen und andere Utensilien zugewiesen. Nie wurde jemandem etwas verweigert, nur weil dieser vielleicht Serbe war oder aus irgendeinem anderen Grund. Ich erlaubte mir nicht, von Haß erfüllt zu sein, und ich tolerierte das auch bei meinen Untergeordneten nicht. Der Haß ist Siniša Glavašević eine gefährliche Krankheit, die immer neues Übel verursacht. Ich bin stolz auf die Tatsache, daß sich an der Verteidigung der Stadt auch die Serben beteiligten, und das trotz der Beschuldigungen des Nationalverrats seitens der großserbischen Ideologen. Insofern war die Erkenntnis schmerzvoller, daß einige serbische Zivilisten nach 18. November aus eigenem Antrieb ihre Mitbürger bei der JNA und den Tschetniks als “Ustascha” angezeigt hatten, was eigentlich dem Todesurteil gleichkam. Eine besondere Geschichte ist auch die physische Verfassung der Menschen, die diese dreimonatige Belagerung überstanden. Nach militärischen Maßstäben entsprach ein durchschnittlicher Kriegstag in Vukovar einem Monat auf anderen Schlachtfeldern. Die Psychologen Branimir Polovina 51 Vukovarer Verteidiger, Lužac, 7. September 1991 (Autor: Mario Filipi) 52 Kalte und finstere Schutzkeller gehörten zum Alltag von Kindern in Vukovar, 7. September 1991 (Autor: Mario Filipi) werden sich eines Tages sicher mit dem Phänomen auseinandersetzen müssen, daß sich keiner von Verteidigern trotz der Kälte und des Aufenthalts in Schützengraben und Kellern, nie krank fühlte. Dazu war die persönliche Hygiene aufgrund einer systematischen Zerstörung der kommunalen Infrastruktur ein besonderes Problem, weil auch ich als Kommandant nur ein Glas Wasser täglich zur Verfügung bekam, um meine Zähne zu putzen, mich zu rasieren und zu waschen. Dazu nahm der Nachholbedarf am Schlaf katastrophale Formen an. Mein persönlicher Rekord betrug sechs Tage und Nächte. Ich schloß praktisch meine Augen nicht. (Auszug aus dem Interview mit Mile Dedaković „Jastreb“, “Vukovar, 18. studenoga 1991.”, Vjesnik, 18. November 2005, S. 33-34) …Es ist die Tatsache aber, daß viele Umstände des Krieges in und um Vukovar noch zu klären sind. Es ist die Tatsache, daß seine Verteidiger, also die 204. Vukovarer Brigade und die ganze Stadtverteidigung etwas großartiges geleistet haben, was sich mit Ergebnissen der ganzen Kroatischen Armee im Heimatkrieg vergleichen läßt, die glänzende Militäroperation „Sturm“ inbegriffen. In Vukovar führte eine kleine, aber hervorragend organisierte Einheit einen Kampf, der auch nach Weltmaßstäben zweifellos beeindruckend war. Einige Völker, die USA-Amerikaner, Juden … haben ihre mythischen Stätte. Für das kroatische Volk ist das ohne jeden Zweifel Vukovar! … (Auszug aus dem Interview mit Branko Borković – “Mladi Jastreb”, Vjesnik (7 dana), 53 Polizeieinheiten der RH auf dem Stützpunkt bei dem Haus der Technik in Borovo Naselje 18. und 19. November 2006, S. 33) In Einklang mit der Entscheidung des Innenministeriums der RH, beschloss der Krisenstab von Vukovar am 10. September eine Polizeistunde zwischen 23 und 5 Uhr festzulegen. Das Leben der Einwohner mußte sich völlig den Kriegsbedingungen anpassen. Von Leid und Qual wurden alle Bürger gleich – egal ob Kroaten oder Serben oder andere Nationalitäten, betroffen. Die Granaten der serbischen Streitkräfte wählten die Nationalitäten nicht. Der Kroatische Radiosender Vukovar warnte ihre Hörer vor dem Verlassen ihrer Unterkünfte, sogar dann nachdem man einen Waffenstillstand unterzeichnet hatte, weil man wußte, daß er seitens der serbischen paramilitärischen Verbände früher oder später doch gebrochen wird … 54 In Folge einer allgemeinen Offensive, verließ am 14. September 1991 ein Panzer des Typs T 84 die Trpinjska Straße und fuhr in die Hercegovačka Straße ein und unser Marinko Balić rannte aus voller Kraft in seiner Richtung, weil er keine Zeit hatte, die Minen zu legen, die wir einen Tag davor vorbereitet hatten. Wir konnten unseren eigenen Augen nicht trauen. Wir sahen nur zu und konnten nur hilflos raten, ob er das meistern wird oder nicht. Wir brüllten ihn an, Luka Andrijanić und ich. Aber unser Marinko erledigte seinen Job. Der Panzer fuhr auf Minen und seine Raupenkette wurde zerstört. Und was sollten wir jetzt tun? Wir wußten nichts über Panzer, und diejenige, die etwas wußten, schwiegen. Uns blieb nichts anderes übrig, als in den Panzer noch ein bißchen Sprengstoff reinzuwerfen. Und unser Marinko sprengte ihn dann in die Luft. Sein Panzerturm flog durch die Luft, der Lauf bohrte sich in den Boden hinein, und der Panzeturm blieb in der Form eines Lutschers emporragen. Darauf bemerkte Marinko, er würde nach dem Krieg eine Konditorei eröffnen und solche Lutscher herstellen. (Gekürzte Fassung des Textes „Sjećanje na Luku Andrijanića“, der von Josip Jakobović, Vukovarer Verteidiger und Lukas Mitkämpfer, verfaßt wurde.) Die Mitarbeiter des Radiosenders, die ihre Arbeit bis zur Okkupation der Stadt hin gewissenhaft verrichteten (Siniša Glavašević, Zvjezdana und Branimir Polovina, Alenka Mirković, Vesna Vuković, Josip Estereicher, Zdravko Šeremet), stellten eine große moralische Unterstützung für die Verteidiger dar. Ihre ausführlichen, mitreißenden, innigen und ermutigenden Berichterstattungen wurden mit Ungeduldigkeit und Besorgnis von allen anderen kroatischen Bürgern erwartet. Nach dem Fall von Vukovar wurden Journalist des Kroatischen Radiosenders Vukovar Siniša Glavašević und Techniker Branimir Polovina in Ovčara getötet. 55 Zerstörte Panzer auf der Trpinjska Straße, Mitte September 1991 (Autor: Andrija Marić; das Photo ist eine Schenkung von Marko Babić und Eigentum von Vinko Mažar und Ivan Leutar) 56 Ortsgemeinschaft Alojzije Stepinac, Trpinjska cesta, zweite Hälfte des Septembers 1991 Trpinjska Straße, zweite Hälfte des Septembers 1991: untere Reihe: Gardist Ivan Mudrovčić-Šola, Ivan Bošnjak-Bole; stehen: Miljenko Voloder-Beli, Ivan Leutar-Iva und Andrija Marić, seitwärts Milan BertonFil (das Photo ist eine Schenkung von Marko Babić und Eigentum von Vinko Mažar und Ivan Leutar) 57 Oktober 1991 (Autor: Damir Radnić) Einer der heftigsten Angriffe der JNA auf die Stadt begann am 14. September 1991 gegen Mittag. Die Kämpfe setzten im Norden an – und weiteten sich auf die Trpinjska Straße sowie von Borovo Selo aus in Richtung des Hauses der Technik in Borovo Naselje. Im Süden bewegte man sich auf Negoslavci und die Kaserne der JNA in Vukovar hin. Von Petrovac aus kämpfte man in Richtung des serbisch dominierten Vukovarer Vorortes Petrova Gora. Während dieser Kämpfe, die bis zum 20. September andauerten, entstand der berühmte Panzerfriedhof in der Trpinjska Straße. Der Feind konnte aber trotz großer Verluste, eine Verbindung zwischen der Kaserne und dem Vorort Petrova Gora herstellen und den Silo Đergaj unter seine Kontrolle bringen. Während der „Säuberung“ des besetzten Gebietes am 15. und 16. September wurden 89 Verteidiger und Zivilisten getötet. Gleich danach errichteten die serbischen Kräfte ein Konzentrationslager für Kroaten und Nicht-Serben in den Magazinräumen von Velepromet (Sajmište), das sogar bis zum März 1992 in der Funktion war. Besonders schwere Verluste erlitt die mechanisierte Brigade der JNA aus Valjevo in Serbien. Nachdem sie von den kroatischen Verteidigern bei Tovarnik an 21. September aufgehalten worden war, griffen sie eigene Kampfflugzeuge an, so daß sie in Verwirrung und Panik geriet und sich aus Kroatien zurückzog. Einer der verbitterten Soldaten fuhr aus Protest mit dem Panzerwagen der Infanterie bis zum Gebäude der Volksversammlung der SFRJ in Belgrad vor. 58 Vor demoralisierten Angehörigen der erwähnten Brigade in Valjevo hielt der serbische Minister für Religionsfragen Dragan Dragojlović eine Rede, in der er unmittelbar bestätigte, daß sich Serbien am Angriff auf Vukovar und Kroatien beteiligt hat. Somit wies er auf die Verantwortlichkeit der serbischen Republikführung für den Krieg in Kroatien hin: Wir sagen immer wieder, daß Serbien nicht im Kriegszustand mit Kroatien steht, aber es handelt sich hier um das serbische Volk. Wir dürfen das wegen der Weltöffentlichkeit nicht offen bestätigen, weil dann Serbien als Aggressor da stehen würde. Wenn sich ein Soldat der JNA auf kroatischem Gebiet aufhält, kann man doch nicht sagen, das wäre Serbien. Deswegen darf Serbien die JNA nicht als seine Armee bezeichnen. (Dragan Todorović, „Da se general izvini“ [Borba vom 26. 9. 1991, 3]) Gemäß der allmählichen Aufstellung und Entwicklung der kroatischen Armee wurde am 25. September auch die Aufstellung der Brigade von Vukovar befohlen, deren Kern die Verteidigungskräfte von Vukovar – neben den Soldaten der 3. “A” Brigade der Nationalgarde und Innenministeriums, bildeten. Als Mobilisationsbasis der Brigade wurde Vukovar und als verantwortliche Person Oberstleutnant Mile Dedaković in Zusammenarbeit mit dem Krisenstab der Gemeinde Vukovar bestimmt. Als Frist wurde 1. Oktober 1991 festgelegt. Der Befehl über die Aufstellung der 204. Brigade der Kroatischen Armee “R” unterzeichnete der Befehlshaber der 1. Operationszone der Kroatischen Armee Osijek Oberst Karlo Gorinšek. Am folgenden Tag, den 26. September, unterschrieb aber der Verteidigungsminister der RH auch einen Befehl über die Aufstellung der 124. Brigade der Kroatischen Armee, und obwohl dieser Befehl nie Vukovar erreichte, verursachte er einige Probleme bezüglich der endgültigen Bennenung der Brigade. Die Vukovarer Verteidiger entschlossen sich für die 204. Brigade. Ende September traf auch eine größere Menge an Bewaffnung und Ausrüstung ein, die aus Beständen der Kasernen der JNA, die die Kroatische Armee erobert hatte, stammte. Indem die JNA um zusätzliche Truppen aufgestockt worden war, begann sie am 30. September offiziell mit der Durchführung der “Operation Vukovar”. Ihre Streitkräfte wurden in zwei Operationsgruppen – Nord und Süd, eingeteilt. Die Abgrenzungslinie lief entlang des Flusses Vuka. Die Operation wurde vom Generalstab der Streitkräfte der SFRJ in Belgrad geplant, dessen Chef Generaloberst Blagoje Adžić war. Der Kommandant der Operation wurde Generaloberstleutnant Života Panić, der Befehlshaber der 1. Armee (des 1. Militärdistriktes). Im Rahmen eines heftigen Überfalls konnte die JNA am 1. Oktober Marinci besetzen und Bogdanovci umziegeln sowie den sog. “Maisweg” in Richtung Vukovar blockieren. So wurde der Versorgungweg für die Verteidigung abgebrochen und Vukovar dadurch völlig eingeschlossen. Am folgenden Tag, den 2. Oktober, besetzte die JNA auch das Dorf, und die kroatischen Verteidiger hatten große Mühe einen erneuten Angriff auf die Stadt abzuwehren. Die Tage zwischen den 2. und 4. Oktober waren die blutigsten im Kampf um Vukovar. Danach, am 5. Oktober, wehrte man nur durch die Anspannung aller Kräfte einen erneuten Angriff der JNA auf das Dorf Nuštar, das zum ausschlaggebenden Stützpunkt 59 Der zerstörte Panzer im Zentrum von Nuštar, Oktober 1991 (Autor: Mario Filipi) Bogdanovci, Oktober 1991; zerstörter Panzer (ein Treffer von Ivan Jelić „Lepi“ (der Schöne) am 2. Oktober aus Ivankovo) 60 Kroatische Verteidiger in Sajmište, Oktober 1991 (Autor: Damir Radnić) Kämpfer der Kroatischen Verteidigungskräfte (HOS), Sajmište, September/Oktober 1991; von rechts Zvonko Ćurković „Zvone“, Jean-Michael Nicollier, Viktorin Jurić „Paša“ (Pascha) und Žarko Manjkas „Crvenkapa“ (Rotkäppchen) (Autor: Damir Radnić) 61 für die Verteidigung von Vinkovci aber auch für den erwarteten Durchbruch nach Vukovar wurde. Der erste größere Versuch der Kroatischen Armee und der Polizei (Antiterroreinheit Lučko und Spezialeinheiten des Inennministeriums der RH aus Slavonski Brod und Vinkovci) am 13. Oktober das Dorf Marinci und die Straße nach Vukovar zu befreien, schlug fehl. Die JNA und die Paramilitärs unter dem Kommando von Željko Ražnatović – Arkan, durchbrachen am 16. Oktober von Wald Đergaj aus die Verteidigungslinie bei Lužac und Borovo Naselje. Dabei kamen Blago Zadro – Kommandant des 3. Bataillons und Alfred Hill – Kommandant der Militärpolizei in Vukovar, ums Leben. Doch die Verteidiger konnten im Kampf Brust an Brust verhindern, daß die lebenswichtige Komunikation Vukovar - Borovo Naselje abgeschnitten wurde, und am nächsten Tag in Folge eines kräftigen Gegenschlags „säuberten“ sie das Vorort, zerstörten eine feindliche Pontonbrücke bei Vuka, und stießen in den Wald Đergaj vor, wobei sie eine größere Menge an Munition und Bewaffnung eroberten, 3 Panzer inbegriffen, von denen sie 2 daraus später in Verteidigung benutzten. Die Einkreisung um Vukovar zog immer mehr zusammen und die Hilfe konnte nur aus Vinkovci kommen, da alle Dörfer in Richtung Ilok bis Mitte Oktober durch die JNA besetzt wurden. Auch Ilok befand sich in einer schweren Situation, da die JNA die Stadt mit einem Angriff bedrohte. Die Zivilbehörden von Ilok wurden am 14. Oktober gezwungen, mit den Vertretern der JNA ein Abkommen über den Auszug der Bevölkerung aus der Stadt zu unterzeichnen. Ilok wurde am 17. Oktober besetzt, als in Anwesenheit der Beobachter der Europäischen Gemeinschaft mehr als 5000 Kroaten und andere Nicht-Serben seitens der JNA aus der Stadt vertrieben wurden. Aufgrund einer undurchlässigen Blockade fehlte den Verteidigern bald die Munition. Man mußte auch gegen eine immer größer werdende Müdigkeit ankämpfen. Es mangelte vor allem an frischen Ersatztruppen. Die Zahl von Gefallenen und Verwundeten wurde andererseits jeden Tag immer größer. Den Hilfskonvoi “Ärzte ohne Grenzen”, der am 19. Oktober in Vukovar eingetroffen war, versuchte die JNA zu benutzen, die Stützpunkte der Verteidiger von Vukovar unter noch stärkerem Druck zu setzen. Die Mitarbeiter des Konvois konnten aber 113 Verwundete aus der Stadt herausholen. Für eine kurze Zeit verbesserten sich auch die Arbeitsbedingungen im Krankenhaus. Die JNA hatte im Gegenteil keine Probleme mit Nachschub und Versorgung. Einer der Haupterfolge der JNA geschah am 2. November, ali sie den Durchbruch bei Lužac, einem Ort zwischen Vukovar und Borovo Naselje, schaffte, wodurch Verbindung und Versorgung zwischen diesen Orten gefährdet wurde. Am selben Tag versuchte die Kroatische Armee die Dörfer Marinci und Cerić zu befreien und die Belagerung von Vukovar aufzuheben. Ohne Erfolg. Die Verteidiger von Bogdanovci konnten aber einen neuen Angriff von Panzer- und Infanterietruppen der JNA 62 Einfahrt zu Bogdanovci aus Richtung Marinci, nach 2. Oktober 1991 (Autor: Damir Radnić) Kämpfer der Kroatischen Verteidigungskräfte (HOS) vor der Kirche in Bogdanovci und auf Stellungen in Richtung Marinci, Oktober 1991 (Autor: Damir Radnić) 63 Vukovar, 16. November um 20 Uhr, unmittelbar vor dem Durchbruch: Sanja Arbanas (ganz rechts hinter ihr vermutet man Ivica Arbanas), Ivan Anđelić „doktor“ (Doktor) (mit der Augenbinde), Velimir Kvesić (Angehöriger der Kroatischen Verteidigungskräfte (HOS) mit schwarzer Müze), Zdravko Radić (mit dem Patronengurt um den Hals), Viktorin Jurić „Paša“ (Pascha) (rechts, in einer Ziviljacke), Zvonko Mažar (mit dem Helm), Zvonko Ćurković (steht mit geschlossenen Augen), Josip Jakobović (hockt in der Mitte); (das Photo ist eine Schenkung von Ivica Arbanas) zurückweisen. Bei der Beaufsichtigung des Angriffs des 51. mechanisierten Brigade der JNA auf Lužac von Wald Đergaj aus, kam am 3. November Generalmajor der JNA Mladen Bratić, Kommandant der Operationsgruppe Nord, bzw. Kommandant des Armeekorps Novi Sad der JNA, ums Leben. Die Kämpfe um Lužac setzte man fort. Am 9. November teilte das Kommando der Operationsgruppe Vinkovci, Vukovar und Županja mit, daß die Verteidiger in Lužac und Budžak gezwungen waren, sich auf Reservestellungen zurückzuziehen. Die Verteidigung von Vukovar war in eine kritische Lage geraten. Das galt auch für die Situation bei Lipovac an der Grenze zu Serbien sowie die Grenze zu Bosnien und Herzegowina, wo sich die neuen Verbände der JNA versammelten. Allein bis zum 10. November führte man erbitterte Kämpfe um Dorf Bogdanovci, den einzigen vorgeschobenen Posten der Vukovarer Verteidigung. Als die JNA und die serbischen Paramilitärs das Dorf besetzten, massakrierten sie die Bewohner. Die Verteidiger von Bogdanovci zerstörten während dieser Kämpfe sehr wirksam viele Panzer und Panzertransporter und setzten auch eine große Anzahl von feindlichen Soldaten 64 außer Gefecht. Am selben Tag attackierten die serbischen Einheiten die Priljevska Straße aus Richtung Lužac mit dem Ziel, die zum Zentrum von Vukovar führende Überführung zu erobern sowie die Verbindung mit Verbänden, die in der Trpinjska Straße wirkten, aufzunehmen. Diese feindlichen Truppen besetzten darauf einen der wichtigsten Stützpunkte Milovo Brdo, wodurch die Verteidigung an zwei Stellen durchbrochen wurde und die Verteidiger in drei getrennte „Taschen“ zusammengepresst wurden. Der Generalstabsschef der Kroatischen Armee Antun Tus sagte am 12. November, daß die Jugo-Armee am Wochenende in zwei Stadtteile von Vukovar vorgerrückt hat, aber noch nicht in das Stadtzentrum. In Folge heftiger Angriffe besetzte die JNA am 13. November den Silo von Vukovar, November 1991; nach der Okkupation der Stadt VUPIK (Vukovarer Industrie- und sangen die serbischen Paramilitärs, die unter dem Kommando der JNA kämpften, sie würden Kroaten schlachten Landwirtschaftskombinat) in Priljevo. Damit wurde auch endgültig der Weg zwischen Borovo Naselje und Vukovar abgeschnitten. Am selben Tag versuchten die kroatischen Verbände erneut von Nuštar aus das Dorf Marinci zu befreien und die Belagerung von Vukovar zu durchbrechen, aber auch diesen Angriff wies die JNA zurück. Das war der letzte Versuch der kroatischen Armee den Weg nach Vukovar frei zu bekommen und die Stadt vor dem Fall zu retten, obwohl dieser aufgrund der großen Disproportion in Kraft- und Bewaffnungsverhältnissen zwischen dem Verteidiger und dem Aggressor unvermeidlich schien. Die zahlenmäßig stärkere und überlegene Jugo-Armee, unter deren Während des Durchbruchs, zwischen Cerić und Marinci: Sanja Arbanas verbindet den verwundeten Mato Prca; Photo machte Viktorin Jurić „Paša“ (Pascha), das Photo ist eine Schenkung von Ivica Arbanas 65 Kommando auch aufständische Serben aus Kroatien, Tschetniks und andere serbische paramilitärische Verbände kämpften, brach den heldenhaften Widerstand einer kleiner Anzahl der Verteidiger. Am Montag, den 18. November 1991, besetzte die JNA den Großteil der Stadt. Am folgenden Tag, den 19. Novembar, fiel auch Borovo Naselje. Einige kroatische Verteidiger leisteten dem Feind Widerstand bis zu den ersten Morgenstunden des 20. Novembers, einige zogen sich aus Borovo Naselje erst am 23. Novembar zurück. Im Verlaufe der Tage, eigentlich der Nächte, die dem Fall von Vukovar unmittelbar vorgegangen waren, konnten sich einige der Vukovarer Verteidiger und ihre Kommandanten sowie der Oberbefehlshaber der Stadtverteidigung auf das freie kroatische Territorium retten. Die Mehrheit ging aus eigenem Antriebe fort, weil sie jede Hoffnung auf Hilfe verlor, und weil sie ihre Liebsten davor bewahren wollten, sich ihre Folterung und Tötung anzuschauen oder sogar dasselbe Schicksal zu erleben müssen. Mit ihr ging auch eine kleinere Anzahl von Zivilisten weg. Ein Teil von ihnen erreichte nie das Ziel. Einige Verteidiger versuchten die Hilfe zu holen und nach Vukovar zurückzukehren, aber ihre Bemühungen blieben erfolglos. Die Ausbrüche dieser einigen hundert Verteidiger und Zivilisten aus Vukovar nach Nuštar sind ein besonderer Akt der Vukovarer Tragödie. Viele Verteidiger zweifelten daran, ob sie gehen oder bleiben und dabei eine Kreigsgefangenschaft riskieren sollten. Die beiden Möglichkeiten waren gefährlich. Die Verteidiger, die sich aus Sorge für Verwandte und Verwundete, für einen Abzug nicht etscheiden konnten, blieben am 18. Novembar dem Feind auf Gnade und Ungnade ergeben. Ohne Munition und ein Befehlssystem, konnten sie weiter keinen ernsthaften Widerstand leisten. Weitere Kämpfe konnten dann auch das Leben von Zivilisten und Verwundeten in Unterkünften noch mehr gefährden. So begann man mit den Offizieren der JNA zu verhandeln und die Übergabe der einzelnen Stadtteile (Mitnica – am 18. November, danach Borovo Naselje) zu vereinbaren. Das momentane “Strecken der Waffen” war an Bedingung geknüpft, daß die JNA freies Geleit für die Zivilisten sowie eine Betreuung von Verwundeten gewährleisten wird. Nach dem Fall der Stadt wurden Massenhinrichtungen von kroatischen Verteidigern und Zivilisten vollgezogen, sowie Raub und Vertreibung der Zivilbevölkerung durchgeführt. Man trennte die Kroaten von anderen Volksgruppen sowie Männer von Frauen ab. Die einheimischen Serben denunzierten ihre Nachbarn und zeigten mit Fingern auf sie in Hallen von “Borovo-Commerce”, “Velepromet” und in anderen Orten, wo sie auch gleich getötet wurden. Die zügellosen serbischen Soldaten führten die Verse des Liedes “es wird Fleisch geben, wir werden Kroaten schlachten” – wörtlich aus. Dieses Lied wurde gesungen, während man durch verwüstete Straßen von Vukovar marschierte. Vukovar blieb unter serbischer Besetzung bis zum 15. Januar 1998. An diesem Tage kehrte die Stadt im Rahmen des sog. UN-Sektors Ost (zusammen mit der Baranja, 66 Ostslawonien und Westsyrmien) und zum Abschluß des Prozesses der sog. friedlichen Reintergration endlich in die Hoheitsgewalt der RH zurück. Vukovar, 8. Juni 1997; mit dem Zug des Friedens und der Wiederkehr kehrte Kroatien symbolisch nach Vukovar zurück. TUĐMAN – in Vukovar gehaltene Rede Ein Sieger, der nicht imstande ist, zu verzeihen, säet Keime neuer Flammen der Zwietracht und eines künftigen Unheils. Und kroatisches Volk will das nicht. Es wollte auch nicht all das durchmachen, was es in Vukovar und ganz Kroatien erleben mußte. Und alles was wir tun, dient nicht nur irgendwelchen engen Interessen, sondern es geschieht im Gemeininteresse Kroatiens und Europas, im Interesse des Friedens und der Zukunft dieser Gegend und aller europäischen Länder. Es lebe das Zusammenleben des kroatischen Volkes mit dem serbischen Volk und mit anderen ethnischen Gemeinschaften! Es lebe unser einziges und ewiges Kroatien! (aus der Rede des Präsidenten der Republik Kroatien Franjo Tuđman am 8. Juni 1997) 67 68 Zusammenfassung O bwohl die Kroaten in der Gemeinde und in der Stadt eine Mehrheit bildeten, erwarteten die großserbischen Strategen aufgrund des großen Prozentanteils der Serben an der Gesamtzahl der Bevölkerung und durch die Aufweisung erheblicher Disproportionen in Bewaffungs- und Ausrüstungsverhältnissen zugunsten der JNA, einen einfachen und schnellen Sieg. Sie haben in ihre Pläne auch das serbisch dominierte Vorort Petrova Gora miteinbezogen, das ein bedeutendes, vielleicht auch ausschlaggebendes Problem für die Verteidigung von Vukovar darstellte, besonders wegen der Tatsache, daß die Angreifer Mitte September eine Verbindung mit der Kaserne der JNA herstellen konnten. Welche schwere Aufgabe die Stadtverteidigung hatte, wird vor allem klar, wenn man sich an die Unterstützung des Feindes durch die einheimische serbische Bevölkerung und durch die in der Stadt stationierten JNA-Truppen erinnert. Zudem wurde die Stadt von serbisch dominierten Dörfern umfaßt, von welchen aus die Angriffe der überlegenen Kräfte der JNA starteten. Ein Teil der Stadt grenzte auch an Serbien, von welchem sie nur die Donau trennte. Oktober 1991 (Autor: Mario Filipi) 69 Andrija Marić, Blago Zadro, Marko Babić, Zoran Janković (steht seitwärts); Trpinjska Straße, Mitte September 1991 (das Photo ist eine Schenkung von Marko Babić) Ivica Arbanas (mit Hut), Velimir Derek (rechts, mit dem schwarzen Band um den Kopf, als Befehlshaber einer Kompanie, nachdem Petar Kačić – „Bojler“ (Boiler) gefallen war), Delić Željko – „Švico“ (Angehöriger der Kroatischen Verteidigungskräfte (HOS)); im Hintergrund die Kämpfer der Kroatischen Verteidigungskräfte (HOS): rechts Tihomir Tomašić, links Duško Smek „Bosanac“ (Bosnier) (photographierte: Viktorin Jurić „Paša“ (Pascha); das Photo ist eine Schenkung von Ivica Arbanas) 70 Die Verteidiger von Vukovar wurden nach Ortsgemeinschaften organisiert. Die Verteidigung bestand aus Verteidigungsstellungen “Stützpunkten” – die entlang der Verteidigungs- bzw. Berührungslinie mit dem Feind, errichtet wurden. Im Herbst 1991 wurden viele Straßen in Vukovar, seine Vororte sowie umliegende Orte zu den leuchtendsten Vorbildern in der kroatischen Militärgeschichte: die Straßen Trpinjska, Slavonska, Hercegovačka, Bosanska, Lička, und Pejton, dann die Straßen von Borovo Naselje, wie auch Budžak, Lužac, Mitnica, Sajmište und andere Ortsgemeinschaften, sowie verschiedene “Stützpunkte” und kleinere Verteidigungstruppen – Dom tehnike (Haus der Technik), “Kod slona” (Beim Elefanten), “Kivi” (Kiwi), “Trokatnica” (Dreistockhaus), Vatrogasni dom (Feuerwehrhaus), “Osa” (Vespe), “Žuti mravi” (Gelbe Amaisen), “Pustinjski štakori” (Wüstenratten), “Turbo” (Turbo), “lovci na tenkove” (Panzerjäger), “hosovci” (HOS-Angehörige, bzw. Angehörige der Kroatischen Verteidigungkräfte), “Šumari” (Förster), “Bojleri” (Boiler), “Plavi” (die Blauen), “Žuti” (die Gelben), “Crni” (die Schwarzen), usw. Dazu gehörten auch Sajmište als Haputstützpunkt der Verteidigung sowie das Dorf Bogdanovci als die “vorgeschobenste Festung“ von Vukovar. Unter den Verteidigern dieser Stützpunkte waren auch die Soldaten der Kroatischen Verteidigungskräfte, die aus ganz Kroatien angekommen waren. Sie waren unglaublich mutig. Sie zogen sich auch um den Preis ihres Lebens nicht züruck. Es genügt zu erwähnen, daß während der Kämpfe um Sajmište und Bogdanovci etwa 50% von ihnen ums Leben kamen, daß fast jeder Überlebende verwundet war, einige auch mehrere Male. Die Mehrzahl der Verteidiger und ihrer Kommandanten hatte keine militärische Ausbildung oder Kriegserfahrung. Die Verteidigung der Stadt hängte von ihrem Einfallsreichtum und Mut ab. Einige von ihnen, so z.B. der Befehlshaber der Verteidigung von Borovo Naselje Blago Zadro, der am 16. Oktobor gefallen war, wurden zu Legenden. Daß neben den Soldaten immer wieder auch ihre Kommandanten fielen: Velimir Đerek – „Sokol“ (Falke) aus Imotski, Tihomir Gredelj und Ivan Poljak – „Sokol“ (Falke) aus Sinj sowie Petar Kačić – „Bojler“ (Boiler) – Kommandant von Sajmište, Ivan Šoljić – „veliki Joe“ (Großer Joe) Kommandant von Mitnica, Alfred Hill – Kommandant der Militärpolizei, Nenad Sinković – „Legija“ (Legion) – Kommandant der Ingenieurrtruppe und viele andere, sagt alles über die Heftigkeit der Kämpfe und den Mut der Menschen, die die Verteidigung von Vukovar angeführt haben. Die Angriffe auf Vukovar begannen gewöhnlich in den frühen Morgenstunden, aber eigentlich gab es keine Regeln. Es passierte immer wieder, daß die Granaten am Nachmittag oder am Abend abgefeuert wurden. Die Angriffe waren manchmal so heftig, daß jede Minute wenigstens ein Geschoß oder auch mehrere in die Stadt eingeschlagen haben, so etwas geschah z.B. am 5. September und zwischen 4. und 6. Oktober als Vukovar mehr als 11.000 Geschosse getroffen haben. Das zerstörerische und unerbittliche Artilleriefeuer der JNA, während welches tausende von Geschossen abgefeuert wurden, war immer öfter eröffnet worden. Daß die Stadt unter ständigem 71 Beschuß stand, verursachte Probleme in der Strom- und Wasserversorgung. Die Telefonleitungen wurden auch oft unterbrochen. Ab zweiter Hälfte des September bis zur Besetzung der Stadt, gab es im Großen und Ganzen keinen Strom und kein Wasser. Aber dank dem Wissen, der Findigkeit und dem Mut der Mitarbeiter der kroatischen kommunalen Unternehmen (für Stromerzeugung, Wasserleitung, Post und andere Dienste), und durch die Vernetzung der vorhandenen Aggregate, konnte man in einem gewißen Maße eine regelmäßige Stromversorgung für die wichtigsten Stadteinrichtungen gewährleisten: für Krankenhäuser, größere Unterkünfte und ihre Küchen, Verteidigungskommando, Postämter, Bäckereien sowie Werkstätte für die Waffenherstellung. Der Strom war besonders wichtig nicht wegen der Beleuchtung, sonder wegen der Lüftung in Unterkünften und des Antriebs von Geräten in Krankenhäusern. Nach einigen Angaben, die die gesamte Logistik sowie Ärzte und medizinisches Personal des Krankenhauses von Vukovar umfassen sollten, etwa 4020 verteidigten die Stadt (einschließlich Dorf Bogdanovci) während der serbischen Belagerung. Die Anzahl der Verteidiger in der Stadt selbst betrug nie mehr als 1800 bis 2000 Soldaten der Nationalgarde, der Kroatischen Verteidigungskräfte sowie der aus verschiedenen Teilen Kroatiens angekommenen Freiwilligen. Diese Truppen wurden als 204. Brigade der Kroatischen Armee formiert. Sie alle kämpften entlang einer mehr als 10 km langen Frontlinie. Neben Kroaten verteidigten die Stadt auch die Bürger anderer Volksgruppen – Serben, Ungarn, Russinen, Slowaken, Deutsche und andere. Natürlich, daß sich an der Verteidigung auch die Zivilbehörden der Stadt beteiligt haben: Medizinisches Zentrum Vukovar, Wasserversorgung der Stadt Vukovar, Kombinat Borovo, Freiwillige Feuerwehr, Kommunalunternehmen, Kroatische Stromversorgung, Post. Alle erwähnten Einrichtungen wurden vom Krisenstab unter Leitung vom Regierungsbeauftragten für Vukovar Marin Vidić – Bili koordiniert. Sie haben die ganze Zeit über mit dem Kommando der Stadtverteidigung und ihrer Kommandanten Mile Dedaković, später Branko Borković, sowie mit der städtischen Polizeiverwaltung und ihrem Kommandant Stipe Pole, zusammengearbeitet. Gleichzeitig planten der Generalstab der Kroatischen Armee und die Operationszone der Kroatischen Armee Osijek neue Befreiungsaktionen. Man engagierte auch die Streitkräfte im Umland von Vukovar, besonders die Artillerie. Mit diesem Vorsatz wurde auch am 16. Oktober die Operationsgruppe der Kroatischen Armee Vinkovci, Vukovar und Županja errichtet, die während der letzten Kämpfe um Vukovar, nach Einschätzung ihres Befehlshabers Mile Dedaković, aus 6800 Soldaten, 15 Panzern, 11 Panzertransportern, 52 Geschützen Kalibers von 20-100 mm, 32 Geschützen Kalibers größer von 100 mm, 1 Mehrfachraketenwerfer und 68 Minenwerfern bestand. Aber auch diese Kräfte genügten nicht. Der Aggressor war zahlen- und rüstungsmäßig mehrfach stärker. Nach einigen unvollständigen Angaben sollte der Feind über mehr als 1000 Panzerwagen, Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe, mehrere hundert verschiedenartigsten Artillerie72 und Raketenwaffen verfügen. Er benützte sie systematisch und ohne Zielsetzung und feuerte einige tausend Projektile auf die Stadt ab (nach einigen Einschätzungen waren es mehr als eine Million oder sogar mehr als anderthalb Millionen Projektile). Die Stadt wurde anfangs von mehr als 27.000 Soldaten angegriffen, danach sollte diese Zahl auf mehr als 60.000, sogar auf 80.000 Soldaten steigen. Man geht davon aus, daß die Vukovarer Verteidiger etwa 300 bis 400 Panzerwagen zerstört haben, nach einigen Quellen sogar 500 – darunter etwa 200 Panzer. Sie sollten auch mehr als 20 Kampfflugzeuge abgeschossen haben (nach einigen Quellen waren es 25). Da die angeführten Zahlen als übertrieben erscheinen, sollte man sie mit Vorsicht behandeln bis zum Abschluß einer wissenschaftlichen Analyse, die durch die Quellen beider Seiten belegt wird. Der Aggressor verfügte über eine mehr als zehnfache Menge an Artillerie und eine mehr als hundertfache Menge an Granaten, Minen und anderer Munition. Die Verteidiger hatten zudem keine Kampfflugzeuge. Deswegen ist es einfach faszinierend, daß sie ihre Stellungen drei Monate halten konnten. Ein solches Mißverhältnis in der Qualität, Technik, Ausbildung und Zahl der Soldaten, gemessen an der kämpferischen Leistung beider Seiten, beweist nur, daß die Kategorie des Patriotismus, bzw. der Motivation der Soldaten, keine militärische Lehre zu vernachlässigen dürfte. In gefährlichsten Augenblicken wurde die logistische Hilfe, meistens Medikamente und Sanitätsmateral für Krankenhaus, einige Male eingeflogen, und das mit kleineren Flugzeugen des Typs Cessna-172 und UTVA-75 sowie mit größeren sonst in der Landwirtschaft einsetzbaren Zweiflüglern des Typs An-2. Sie wurden von mutigen kroatischen Piloten des Selbständigen Luftfahrtzuges gesteuert, der Anfang Oktober bei der Operationszone Osijek formiert wurde. Gewiß war dies nur ein Tropfen im Meer, wenn man der Bedürfnisse der Verteidiger und des medizinischen Personals im Krankenhaus bedachte, aber diese Nachtflüge der vierköpfigen Besatzung waren für die Verteidiger eine sehr große moralische Unterstützung. Ihr Mut, ihre Improvisationsfähigkeit und Flugfertigkeit sowie ihre Entschlossenheit den Vukovarer Verteidigern zu helfen, und das ohne Rücksicht auf das heftige Feuer der feindlichen Luftabwehr und ohne Rücksicht auf Alter, Trägheit und Unangemessenheit ihrer Flugzeuge, verdienen gleiche Bewunderung wie auch übermenschliche Anstrengungen der Verteidiger, des medizinischen Personals, der Feuerwehrmänner und anderer Dienste, die dafür sorgten, daß die minimalen Lebensbedingungen in der umziegelten und verwüsteten Stadt doch gesichert wurden. Nach Angaben des Ministeriums für Gesundheitswesen hielten sich am 19. November 1991 im Umland von Vukovar etwa 14.100 Zivilisten auf 10.000 in Vukovar, 4000 in Borovo Naselje und 100 in Lužac, und etwa 900 kroatische Verteidiger 450 in Vukovar und 450 in Borovo Naselje. Im Vukovarer Krankenhaus waren am Tag der Okkupation 420 Verwundete und Kranke, und in der Unterkunft – im Krankentrakt von “Borovo Commerce”, befanden sich 250 Verwundete. 73 Nach Angaben der Behörde für Gefangene und Vermißte des Ministeriums für Familie, Verteidiger und Generationensolidarität vom November 2007 kamen während der serbischen Aggression in Vukovar mindestens 1739 Personen, darunter 86 Kinder, ums Leben, und etwa 22.000 Einwohner, hauptsächlich Nicht-Serben, aber auch Serben, die nicht unter der Okkupationsgewalt bleiben wollten, wurden vetrieben. In der Gespanschaft Vukovar-Syrmien wurden 52 Massengräber und mehrere hundert Einzelgräber gefunden. Aus ihnen wurden bis 22. November 2007 die sterblichen Überreste von 1982 Opfern der serbischen Verbrechen exhumiert. Von der Gesamtzahl der Exhumierten wurden 1717 identifiziert. Die Behörde für Gefangene und Vermißte leitete noch im November 2007 ein Suchverfahren für 486 aus dem Gebiet der Gespanschaft VukovarSyrmien gewaltsam abgeführten Personen ein; davon entfallen auf die Gemeinde Vukovar (Lipovača, Sotin und Grabovo inbegriffen) 315 Personen. In serbischen Internierungslagern und Gefängnissen in Serbien und Jugoslawien wurden unter der Aufsicht der JNA mindestens 2796 Personen mißhandelt und entsetzlichen Folterungen ausgesetzt, die 1991 in Vukovar gefangengenommen wurden. Mehr als 4000 Personen waren aus dem Kroatischen Donaugebiet in die Bundesrepublik Jugoslawien, bzw. nach Serbien gewaltsam weggeführt worden, von wo aus sie dann nach Kroatien deportiert wurden. Der jüngste Internierte war erst knapp 15 Jahre, und der älteste 81 Jahre alt. Vukovar nach der serbischen Okkupation; aufgenommen während der Belagerungszeit (Autor: Dionizije Šebetovsky) 74 Memorial-Friedhof der im Heimatkrieg gefallenen Opfer, Vukovar; 938 weiße Kreuze, je ein Kreuz für jedes exhumierte Opfer aus Massengräbern im Umland von Vukovar 75 Nach Angaben der Vukovarer Verteidiger aus dem Jahr 1996 verlor die 204. Brigade der Kroatischen Armee im Kampf um Vukovar 879 Soldaten (Gefallene und Vermißte) und die Zahl der verwundeten Soldaten stieg auf 777. Die Einschätzungen über die feindlichen Verluste auf dem Schlachtfeld von Vukovar bewegen sich zwischen 5000 bis 6500 aber auch bis zu 15.000 gefallenen Soldaten. Im Gegensatz dazu wird in der serbischen Literatur behauptet, “daß in den Kämpfen um Vukovar aus den Reihen der Einheiten der JNA und der Freiwilligen etwa 1200 Soldaten und Befehlshaber ums Leben kamen”. Da diese Angaben erhebliche Disproportionen aufweisen, sollten sie einer die Quellen beider Seiten berücksichtigenden wissenschaftlichen Analyse unterzogen werden. Im Verlaufe des Angriffs auf die Stadt zerstörten oder beschädigten die JNA-Truppen und die serbischen paramilitärischen Verbände fast alle Gebäude in Vukovar, wobei keine Krankenhäuser, keine religiösen, kulturellen und historischen Denkmäler, keine Wirtschaftsoder Wohngebäude verschont wurden. Genau dieses Beispiel einer vorsätzlichen Verwüstung, und besonders des Vukovarer Krankenhauses, zeigt die Gefühllosigkeit des Aggressors und des Oberbefehls der JNA, die durch diese irrationale und zerstörerische Taktik das Ziel der großserbischen Ideologen zu verwirklichen versuchte einen ethnisch sauberen großserbischen Staat zu gründen. Aufgrund eines unerwartet heftigen Widerstands der Verteidiger von Vukovar sowie einer Verwüstung, welche seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs Europa nicht erlebte, wurde Vukovar im Laufe der Sommer- und Herbstmonate, vom August bis November 1991, zum Symbol des kroatischen Widerstands und seine Einwohner, besonders die Verteidiger, zum Vorbild wegen ihrer unglaublichen Opferbereitschaft, Gewandheit und ihres Mutes. Neben berühmter Täubin von Vučedol, Haus des Nobelpreisträgers Lavoslav Ružička, altem Wasserturm, Kreuz des Bruders Lustig, Kirche von Sankt Philipp und Jakob, Schloß Eltz Vukovar; aufgenommen während der Belagerungszeit (Autor: Dionizije Šebetovsky) 76 Innenraum der Kirche von Sankt Philipp und Jakob; aufgenommen während der Belagerungszeit (Autor: Dionizije Šebetovsky) Gebäude der Eisenbahnstation; aufgenommen während der Belagerungszeit (Autor: Dionizije Šebetovsky) 77 Reste der Kirche und des Franziskanerkloster von Sankt Philipp und Jakob sowie des Gymnasiums und des Wasserturms in Vukovar, Folgen der serbischen Aggression 1991 Zerstörtes Schloß Eltz, Folgen der serbischen Aggression 1991 und anderen Gebäuden, zu den ewigen Symbolen der Stadt wurden auch ein großer und durch Granaten durchlöcherter Wasserturm mit kroatischer Staatsflagge und ein zerstörtes Krankenhaus. Auch die Massenrichtstätte Ovčara wurde zum Symbol für Qualen und Opfer, die die Einwohner und die Verteidiger für Freiheit und Unabhängigkeit der RH ertragen mußten. Ovčara ist ein ehemaliger landwirtschaftlicher Betrieb, welcher sich etwa fünf Kilometer südöstlich von Vukovar befindet. Seine Lagerhallen verwandelten die JNA und die serbischen Paramilitärs in ein Internierungslager für die Vukovarer Verteidiger, Zivilisten, Verwundete 78 und für das aus dem Krankenhaus von Vukovar abgeführte medizinische Personal. Im Lager schlugen die zügellosen, betrunkenen und uniformierten Soldaten der JNA sowie Paramilitärs, aber auch der serbische Bürgermeister von Vukovar S. Dokmanović persönlich, die Internierten mit Baseballschlägen, Stangen, Ketten, Kolben und anderen Gegenständen. Der Folterung erlagen gleich vier Gefangene und die anderen wurden in 10er- und 20er Gruppen verteilt und zu einer Schlucht gebracht, die etwa 900 Meter vom Weg Ovčara – Grabovo lag. Diese Menschen wurden dann am 20. November 1991 getötet und in einen Massengrab geworfen. Im September und Oktober 1996 wurden 200 Leichen exhumiert und bis zum Juli 2006 konnte man 192 Personen im Alter von 16 bis 72 Jahren identifizieren. Das Verbrechen von Ovčara war nur eines von vielen, das durch den serbischen Aggressor im Verlaufe des Angriffs auf Vukovar verübt wurde. Im Laufe der Zeit wurde Ovčara zu einer Gedenkstätte für alle anderen Richtstätten und Massengräber, die die JNA und die serbischen Paramilitärs im weiten Umland von Vukovar hinterließen: Antin, Berak, Bogdanovci, Borovo Selo, Bršadin, Ćelije, Čakovci, Dalj, Daljski Atar Globovac, Ilok, Lovas, Marinci, Mikluševci, Mohovo, Negoslavci, Novi Jankovci, Petrovci, Slakovci, Stari Jankovci, Svinjarevci, Sotin, Tordinci, Tovarnik, Vukovar Novo groblje (Neuer Friedhof), Nova ulica, das Lager von der Firma Velepromet und zahlreiche andere Orte der Massen- oder Einzelverbrechen. Gedenkstätte für die in Ovčara ermordeten Opfer 79 Um Gottes willen, was für Menschen werden hier ermordet! V ukovar stand unter Belagerung, aber aufgrund ihres beharrlichen und zähen Widerstands unterbindeten seine Verteidiger den anfänglichen Schwung des Feindes. Die erwartete Dynamik der feindlichen Offensive wurde verlangsamt. Indem sie ihre eigenen Leben opferten, schafften die Verteidiger die notwendige Zeit um in anderen Teilen Kroatiens die Mobilisation durchzuführen, neue Streitkräfte aufzustellen und Bewaffnung und Ausrüstung zu erwerben. Sie ermöglichten der kroatischen Führung ihre diplomatische Tätigkeit zu intensivieren um die internationale Anerkennung so schnell wie möglich zu erreichen. Nicht nur, daß sie den Großteil der feindlichen Streitkäfte im Kampf um Vukovar festgebunden haben, sie haben den Feind dann auch teilweise so zerschlagen und demoralisiert, daß er nicht mehr in der Lage war, größere Vorstöße zu wagen. Die Verteidiger haben den Versuch des Feindes eine Verbindung zwischen der JNA-Truppen in Ost- und Westslawonien, die eine strategische Bedeutung in den Operationsplänen der JNA-Führung bei der Eroberung Slawoniens spielen sollte, herzustellen, vereitelt. Sie zeigten auch, daß ein Kampf gegen einen übermäßig überlegenen Feind überaus möglich war. Die begangenen Verbrechen an Zivilisten und auch der Ausmaß der Zerstörung enthüllten der Welt das richtige Bild von der serbischen Aggression, was zum Verständnis der Geschehenisse in Kroatien und zur Beschleunigung der internationalen Anerkennung Kroatiens beitrug. Durch ihre Ausnahmerolle in der Verhinderung des Feindes ganz Slawonien zu besetzen und damit die entsprechende Operationstiefe, bzw. günstige Bedingungen für eine weitere Vorrückung in Richtung Zagreb und Schaffung des sog. Großserbiens zu verwirklichen, hat die Vukovarer Verteidigung eine strategische Bedeutung für die Verteidigung von ganz Kroatien angenommen. In Arbeiten, die den Kampf um Vukovar thematisieren, wird behauptet, daß aufgrund „einer großen Menge an vernichteten Ausrüstung und einer großer Zahl der außer Gefecht gesetzten Soldaten, wodurch die militärische, politische und psychische Leistung der JNA geschwächt wurde, diese Verteidigung eigentlich Türen zur Gründung eines freien und unabhängigen Kroatiens und seinem Sieg im Heimatkrieg” geöffnet haben sollte. Der Kampf um Vukovar ist deswegen als ein “strategisches Sinnbild des Wertsystems des modernen kroatischen Staates” zu verstehen. Mit ihrem Patriotismus und Mut verdienten sich die Vukovarer Verteidiger einen Ehrenplatz in der kroatsichen Geschichte. Zahlreiche Autoren haben ihre Werke den Helden des Heimatkrieges gewidmet, und ihre Bewunderung für ihre Opfer und Größe zum Ausdruck gebracht. Über sie spricht man mit 80 großer Anerkennung. Unter diesen Werken hebt sich durch seine Wärme, Aufrichtigkeit und Originalität das Buch „91,6 MHZ – glasom protiv topova (“91,6 MHZ – Mit Stimme gegen die Kanonen), von Alenka Mirković – Journalistin des Kroatischen Rundfunks Vukovar, hervor. Im Kapitel, in welchem sie ihr Ausbruch aus der Stadt beschreibt, erzählt sie in einem Abschnitt auf Seite 283 von einer Begegnung mit zwei Polizisten aus Varaždin. Ihr Kollege und sie wurden von diesen Polizisten angehalten, in der Hoffnung, daß sie als “Einheimische” das Terrain kennen. Der Satz am Ende dieses Abschnittes drängt sich als eine Schlußfolgerung einer aufrichtigen Geschichte über Vukovar und Kroatien im Jahr 1991 und als eine einfache Zusammenfassung von Tugenden der Menschen, die Vukovar verteidigten und Kroatien verteidigt haben, auf: Den Teufel kennen wir das Terrain, dachte ich, indem ich wegen der Kälte hüpfte und mir in die Hände pustete. Der Polizist sah mich an, und dann zog er etwas aus seiner Tasche heraus und hielt es in meiner Richtung: „Sie werden diese mehr als ich brauchen.“ Aus seinen Händen nahm ich ein Paar dicke und warme Wollhandschuhe. Ich fühlte Wärme, grenzlose Dankbarkeit und Traurigkeit. Um Gottes willen, was für Menschen werden hier ermordet! Gedenkstätte für ein freies Kroatien an der Mündung des Flusses Vuka in die Donau; glagolitische Schrift: Ewig wird der leben, der ehrenwert fällt! 81 82 Erinnerungen der Beteiligten Mirko Brekalo, Oberst der Kroatischen Armee: Während der ganzen Belagerungszeit war die Stellung am Verbindungspunkt zwischen Borovo Naselje und der Trpinjska Straße von entscheidender Bedeutung. Man sollte aber etwas über die Männer und Frauen sagen, die durch ihre Heldentaten die unzerstörbare Kraft des Geistes und des Daseins des kroatischen Volkes auf diesen ostslawonischen Gebieten bewiesen haben. Viele kroatische Soldaten gaben ihr Leben für ihr Vaterland. Wir fragen uns, wer waren diese Menschen, die als ersten zu den Waffen griffen um ihre Häuser zu verteidigen – sie waren wahrhaftige kroatische Kämpfer, die für ihr Vaterland den höchsten Preis bezahlten – sie verloren ihr vom Gott geschenktes Leben. Sie kamen aus ganz Kroatien: Vukovar, Vinkovci, Đakovo, Slavonski Brod, Našice, Varaždin, Čakovec, Zagreb, Kraljevica, aus Dalmatien, aus der Lika, Zagorje, Bosnien und Herzegowina und aus dem Ausland. Sie alle waren wundervolle Menschen und furchtlos als Soldaten und nannten sich immer nur bei Spitznamen: Turbo, Šljoka, Krešo, Plavi, Kivi, Zolja, Drava, Grubi, Bik u.a. Die Taten dieser Menschen sprechen für sich selbst, sie ließen zerschlagene feindliche Kräfte hinter sich, ein Panzerfriedhof in der Trpinjska und Borovska, in der Hercegovačka, Vinogradska, Bosanska und Vinkovačka Straße, in Budžak und beim Haus der Technik. Der Feind behauptete, daß diese Soldaten einen Völkermord verübt haben, aber sie kämpften Seite an Seite auch mit Serben, Ungarn, Russinen, Ukrainern, Albanern und anderen. Einen Tag nach dem anderen hielten sie ihre Stellungen, bis zu dem Zeitpunkt, als sie ohne Panzerabwehrwaffen geblieben sind. Der Feind hätte diese Linie sonst nie durchbrechen können. Der schwierigste Augenblick kam, als man diesen Menschen mitteilen mußte, daß “keine Waffen mehr da sind”. Noch heute erinnere ich mich lebendig mit großer Trauer an diese Leute. Ihre Augen verrieten ihre Qual als sie zum Himmel aufschauten: “Lieber Gott, was sollten wir jetzt tun?” Viele von ihnen wurden ins Ungewisse abgeführt: Gardisten, Polizisten, Zivilisten, Verwundete, und das nur weil sie ihr Heim verteidigten. Die ganzen Familien und einzelne Personen, deren Vorbild der kroatische Ritter Blago Zadro war, wurden vermißt. Wir merken uns die Namen, die für immer in unserer Erinnerung bleiben werden: Robo, Vjeko, Joja, Ćićo, Neđo, Veso, Sućo, Šimun, Milan, Vinko, Ante, Škutur, Božo, Tomislav, Dragec, Ružica, Sabina, Mara, Vesna, Jelena und andere. (Auszug aus dem Buch Gdje su naši najmiliji?, Zagreb, 1996, S. 19) 83 Zvone Ćurković, Befehlshaber der Kroatischen Verteidigungskräfte (kurz HOS): Sajmište wurde außer von “Einheimischen” auch von Soldaten, die aus ganz Kroatien gekommen waren, verteidigt. Der Truppe, die unter meinem Befehl stand, gehörten auch einige Serben, Montenegriner und Muslime an. Wir hielten unsere Stellungen bis etwa Mitte November. Von da an hatten wir eine Straße nach der anderen verloren, und fingen an, sich in Richtung des Stadtzentrums zurückzuziehen. Es ist sehr schwer auf einmal alle Ereignisse zu erzählen und alle tapfere Verteidiger von Sajmište aufzuzählen, sagt Zvone Ćurković, und weist auf ein größeres Kapitel über Sajmište und seine Verteidiger im Buch Bitka za Vukovar – der Autoren Mile Dedaković Jastreb, Alenka MirkovćNađ und Davor Runtić, hin, und bestätigt, daß “Sajmište nach Überzeugung vieler, als einer der am härtesten umkämpften Stützpunkte der Vukovarer Verteidigung galt”. Er stimmt den im Buch angeführten Behauptungen zu: Die kriegerischen Ereignisse in Sajmište zeichneten sich durch die unterbrochenen Straßenkämpfe für jedes Stadtviertel, jede Straße, jedes Haus, für jeden Keller oder Garten aus. Die sog. “Säuberungsaktionen” der feindlichen Infanterie nach ihrem Vorstoß in einzelne Stadtteile waren die härtesten Formen dieses Kampfes. Diese Aktionen wurden von kleineren Gruppen durchgeführt, denen die Einheimischen als Führer dienten. Es gab keine klassische Frontlinie, man kämpfte Brust an Brust, die Entfernung vom Feind betrug weniger als 15 m. Manchmal standen sich Verteidiger und Freischärler direkt gegenüber “Auge in Auge” und sie sahen sich für ein Moment an. Die schnellen und die erfinderischen haben überlebt. Die Kommanduere gingen immer vor, sie waren die Spitze. So fiel auch Ivan Brdar, der Befehlshaber einer Truppe der Kroatischen Verteidigungskräften, deren Soldaten sehr geschätzt waren. Sie kamen immer dort zum Einsatz, wo die Lage besonders gefährlich war. Von 58 Soldaten der HOS-Einheiten, welche Sajmište und Bogdanovci verteidigten, sind 25 gefallen und nur sieben waren nie verwundet. Die leicht verwundeten blieben in ihren Stellungen. Beispielsweise, mich “fanden” zuerst die Splitter einer Handbombe, dann die Kugel eines “Skorpions“. Das dritte Mal traf mich ein „Dumdumgeschoß“. Einige von uns waren sogar viermal verwundet. Die Überlebenden und die, die sich noch auf Beinen halten konnten, zogen sich im Verlaufe des Durchbruchs in Richtung Nuštar gemeinsam mit der Militärpolizei zurück. Es ist schwer unter diesen Menschen nur einige zu erwähnen, aber wenn ich jemanden schon hervorheben muß, mögen es dann die Befehlshaber von Sajmište sein: Petar Kačić – Srednji bojler (Mittlerer Boiler), Stjepan Sučić – Crni (der Schwarze), Velimir Đerek – Sokol (Falke), Josip Tomašić – Osa (Wespe), Siniša Mataija – Rambo, Ivan Poljak – Sokol, Nikica Burić – Samoborac, der eine “selbständige” Truppe war, und andere Helden. Ich muß auch der Befehlshaber der HOS bei Sajmište gedenken: Stjepan Antolić und Josip Abel. Und am Schluß, muß ich die erhabenen Ziele unseres Kampfes betonen. Trotz der Greultaten unseres Feindes, wir ließen nicht zu, daß jemand von uns jemals die Zivilisten bedroht. Wir gingen zum Krankenhaus um Arzneimittel sowohl für Kroaten als auch für Serben zu holen, die sich in den Kellern auf unserem Gebiet aufhielten. Es ist an der Zeit und es ist unsere Verpflichtung zu zeigen, wieviel Mut, Charakter und Moral in die Verteidigung von Vukovar gesteckt wurde – in diesen Grundstein der kroatischen Staatlichkeit und Freiheit. Besonders aber heute, wenn die sog. Tatsachen der Wahrheit nicht so ganz entsprechen, wenn der Öffentlichkeit ein falsches Bild über die Verteidiger gezeigt wird, und sie als eine Gruppe primitiver Menschen ohne Ehre und Ideale, nur als Abenteuerer dargestellt werden, sollte man etwas unternehmen. Natürlich gab es auch solche Menschen unter Verteidigern, aber sie waren eher eine Ausnahme. Die meisten Soldaten waren und blieben die Menschen mit einem starkem Charakter, festen moralischen Prinzipien und einem sehr großen Herz. 84 Pilip Karaula, Oberst der Kroatischen Armee: Die Einkreisung Vukovars zog immer mehr zusammen. In Sajmište verlor man eine Straße nach der anderen, und dann fiel auch Lužac. Borovo war von Vukovar abgeschnitten. Aufgrund heftiger Angriffe rückten die Freischärler bis zum alten katholischen Friedhof und bis zur Grundschule “Stjepan Supanc” vor. Auch Mitnica wurde vom Stadtzentrum abgeschnitten und die Stadt bestand aus drei kleineren Teilen, bzw. drei abgetrennten Hochburgen. In Borovo kämpften die Männer um jedes Haus. Aber der Feind rückte immer weiter vor. Die Verteidiger mußten sich aus dem Zentrum zurückziehen und einen Ausbruch wagen. Mitnica hielt noch die Stellungen und es wurde noch eine neue Front bei „Najpaorova bašća“ nahe Wasserturm eröffnet. Auch hier waren die serbischen Freischärler auf dem Vormasch. Wir waren völlig umzingelt, hatten keinen freien Weg zum Krankenhaus, und tausende von Granaten trafen immer mehr Zivilisten in ihren jetzt auch schon zerstörtern Kellern. Wir hatten fast keine Panzerabwehrwaffen, die Munition für die Infanterie wurde einzeln gezählt. Man sammelte sie auf einem Stützpunkt, um sie dann zum nächsten weiterzureichen, wo es gerade am nötigsten war. In jedem Augenblick konnten die Frontlinien gebrochen werden, und ich durfte nicht daran denken, was dann mit Zivilisten von Mitnica passiert. In späten Abendstunden am 17. November 1991 rief ich die Kommandanten von Mitnica zusammmen, und nachdem man alle Tatsachen besprochen hatte, beschlossen wir schweren Herzens, die Soldaten im Austausch für die Zivilisten anzubieten. Ich trat in Verbindung mit der Jugo-Armee und schlug die Verhandlungen vor. Danach wurde ein Treffen bei Goldschmitov salaš (Maierhof Goldschmit) am 18. November 1991 vereinbart. Zdravko Komšić und Matija Mandić ließen mich nicht alleine gehen und so gingen wir drei am 18. November 1991 etwa um Mittag zum “Stab”, bzw. dislozierten Kommando der Jugo-Armee. Dort erwarteten uns die Vertreter der JNA, ein Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes namens Nikolas Borsinger und zahlreiche Kameras und Journalisten. Die Serben forderten eine bedingungslose Übergabe der Bewaffnung. Wir verlangten freies Geleit für die Zivilisten nach Kroatien. Erst dann waren wir bereit die Waffen zu übergeben. Man entschied dann, daß die Zivilisten und die Soldaten zu Novo groblje (Neuer Friedhof) kommen, wo die Soldaten dann ihre Waffen übergeben werden. Die Zivilisten sollten mit Bussen und Lkws nach Kroatien gefahren werden. Das Internationale Rote Kreuze garantierte die Erfüllung aller Bestimmung dieser Vereinbarung, aber die serbische Seite verletzte dann doch einige von ihnen. Die Soldaten (182 an der Zahl) übernachteten in Ovčara und dann wurden sie in das Internierungslager in Sremska Mitrovica gebracht. Auch alle Zivilisten wurden nach Serbien abgeführt. Die Männer wurden zusammen mit Soldaten interniert. Frauen und Kinder durften dann doch nach Kroatien fahren. Die Soldaten wurden ausgetauscht und der größte Austausch fand am 14. August 1992 statt. Ich erinnere mich noch daran, daß ein Soldat in Sremska Mitrovica getötet wurde, daß man einen Zivilisten noch bei Novo groblje (Neuer Friedhof) vermißte, und einer nahe der Stadt Šid verschwand. Alle anderen Zivilisten und Soldaten kehrten nach Kroatien zurück. Es muß aber bedacht werden, daß sich eine größere Zahl von Soldaten von Mitnica im Krankenhaus befand. Auch die Einwohner dieses Stadtteils waren in ganz Vukovar verstreut und man verlor ihre Spuren. Die Zahl der vermißten Soldaten und Zivilisten ist deswegen sicher höher als diese drei Opfer, die ich erwähnte. Die Tatsache ist, daß diese Menschen erst nach den Verhandlungen, die ihre Rettung bedeuten sollten, verunglückten. (Auszug aus dem Buch Gdje su naši najmiliji?, Zagreb, 1996, S. 20) 85 86 Ante Nazor AUCH DAS KRANKENHAUS WAR EINE SCHIEßSCHEIBE 87 Während der Angriffe auf die Stadt Vukovar und Vukovarer Krankenhaus sowie nach der serbischen Besetzung der Stadt verloren ihr Leben 32 Beschäftigte des Kriegskrankenhauses von Vukovar, wovon 20 in Ovčara getötet und 4 als vermißt nach ihrer Gefangennahme gemeldet wurden. Infolge der Angriffe auf die Stadt wurden bei Verrichtung ihres Dienstes in dem Medizinischen Zentrum Vukovar vier Ärzte, sechs Krankenschwester, zwei Mitarbeiter des medizinischen Teams, ein Hilfsarbeiter und zwei Fahrer verwundet. Nach der Okkupation der kroatischen Stadt Vukovar beschlagnahmte die Jugoslawische (eigentlich serbische) Armee die gesamte medizinische Dokumentation des Medizinischen Zentrums Vukovar. Aus diesem Grund sind die angeführten Angaben über die Arbeit des Krankenhauses unddie Behandlung von Verwundeten unvollständig. 88 Logo des Museums – „Gedenkstätte“ im Vukovarer Krankenhaus; Autoren Ivica Propadalo und Željko Kovačić ... Nach allen Schwierigkeiten, die dem Krankenhaus in seiner Geschichte widerfahren hatten, erlebte es seine Schwersten aber zugleich ruhmvollsten Tage im Heimatkrieg während der serbischen Belagerung. Ein mehrfach stärkerer Gegner griff drei Monate lang die Stadt an, deren Herz das Krankenhaus darstellte. Sein tapferes und professionelles Personal leistete das Unmögliche. In völliger Einkreisung und in einem zerstörten Krankenhaus verstanden diese eifrigen Ärzte, Krankenschwestern und ihre Mitarbeiter die Bedingungen zu schaffen, unter welchen in der Dunkelheit des Alltags viele Verwundete und Kranke gerettet und geheilt werden konnten, sowie die Neugeborenen das Licht der Welt erblickten. Die Hilferufe des Personals stießen aber auf kein Gehör. Die Welt sah ruhig der Verwüstung der Stadt und Vernichtung des Krankenhauses zu. Diese Zerstörung stellte ein vom Aggressor sehr vorsichtig ausgewähltes strategisches Ziel bei der Ausführung seines Vorhabens, die Verteidigung Kroatiens zu brechen, dar. Durch ihr Schweigen unterstützte auch die Internationale Staatengemeinschaft diese Absicht. Ihre Vertreter ließen nicht zu, daß als Verwundete mit einem Hilfskonvoi evakueirt werden sollten (am 19. Oktober 1991, Anm. A.N.), dem Krankenhaus die Medikamente zugestellt oder das erschöpfte medizinische Personal durch neue Mitarbeiter ersetzt wurde. Sie verurteilten nicht die Nichteinhaltung des Abkommens, das ich im Auftrag der Regierung der RH mit den Vertretern der JNA unterzeichnet hatte. Nach diesem Abkommen sollte die Internationale Organisation des Roten Kreuzes in der Nacht der blutigen Feier des Aggressors am 19. November 1991 die Kontrolle über das Krankenhaus übernehmen. Die internationalen Beobachter teilten auch der Welt nicht mit, daß die Soldaten der JNA ins Krankenhaus gewaltsam eingedrungen und allen Mitarbeitern des Roten Kreuzes den Eintritt verboten haben. Die JNA und mit ihren Waffen ausgerüstete Zivilisten brachten eine Anzahl der Patienten und der Belegschaft fort. Diese Menschen wurden dann gefoltert und ermordet, was verschwiegen wurde. Letztendlich wurden diese Henker, die Vukovar folgerichtig zerstörten und seine Einwohner ermordeten, nie vor Gericht gebracht und angeklagt. Unter diesen Umständen spelte das Krankenhaus von Vukovar seine heroische und humanitäre Rolle ... (Auszug aus der Vorrede von Prof. Dr. Andrija Hebrang zur Monographie Vukovarska bolnica 1991., Vukovar, 2007) 89 Bereits nachdem die ersten Barikkaden in Knin am 17. August 1990 errichtet worden waren, wodurch der Aufstand der Serben in Kroatien begonnen hatte, entschloss sich der damalige Minister für Gesundheitswesen, Prof. Dr. Andrija Hebrang, aufgrund der eingetroffenen Berichte sowie einer fachlichen Einschätzung möglicher Folgen, heimlich mit einer Gruppe von Mitarbeitern die notwendigen Vorkehrungen im Bereich des Gesundheitswesens für den Fall eines Kreigsausbruchs zu treffen. Im September 1990 wurde eine Bestandsaufnahme in allen zugänglichen Lagern mit Sanitätsausrüstung und Sanitätsmaterial vorgenommen. Mit Rücksicht auf Gewalteskalation und Tatsache, daß die Bundesarmee wiederholt eine Hilfeleistung bei der Wahrnehmung des Gesundheitsschutzes unterließ, sogar wenn es sich dabei um Erste Hilfe für die gefährdete Bevölkerung handelte, sowie aufgrund der gegen der RH ausgesprochenen Drohungen, gründete der Minister am 19. Dezember 1990 den Stab des Gesundheitsdienstes der RH, dessen Aufgabe darin bestand, den Gesundheitsdienst den unvorhergesehenen Umständen entsprechend zu organisieren. Auf Vorschlag des Stabs, faßte der Innenminister der RH Josip Boljkovac am 4. Februar 1991 den Entschluß über die Aufstellung der Mobilen chirurgischen Teams, welche die Spezialeinheiten der Polizei unterstützen sollten, wodurch der Stab des Gesundheitsdienstes der RH zum Sanitätsstab der RH wurde. Den ersten Einsatz hatte eines dieser Teams in Pakrac am 2. März 1991 im Rahmen einer Aktion der Antiterroristischen Einheit Lučko und die erste Intervention bei den Plitvicer Seen am 31. März. Parallel mit der Entwicklung der kroatischen Streitkräfte ging der Sanitätsstab der RH im April 1991 in den Hauptstab für Sanitätsdienst der RH über, indem er die grundlegende und fundamentale Rolle in der Organisierung eines dreifachen Schutzsystems übernahm, das aus Zivilschutz für Bevölkerung, aus Sanitätsdienst zur Unterstützung der Polizei und ihrer Spezialeinheiten im Rahmen des Innenministeriums sowie aus den Einheiten der Nationalgarde und anderen neuerrichteten Verbänden des Verteidigungsministeriums bestehen sollte. Durch eine Neuordnung vom 3. September 1991 wurde dann der Generalstab für Sanitätsdienst der RH gegründet, dessen Befehlshaber Primarius Dr. Ivo Prodan wurde. Der Generalstab bestand aus Abteilungen und Dienststellen, und übereinstimmend mit Verfügungen des Ministers für Gesundheitswesen führte man zum ersten Mal in Kroatien ein neues Verfahren in der Versorgung von Verwundeten als Staffelstellung ein: - Erste Staffelstellung – Evakuierung der Verwundeten aus dem Gebiet entlang der ersten Frontlinie in chirurgische Aufnahmeeinrichtungen sowie Erste-Hilfe-Leistung; - Zweite Staffelstellung – chirurgische Aufnahmeeinrichtungen als erste Station für chirurgische Hilfeleistung; - Dritte Staffelstellung – provisorische Sanitätseinrichtungen als Reserve-Lokalitätan (Feldspitäler) oder mit Teams für eine vollständige ärztliche Behandlung von Verwundeten und Verunglückten ausgestattete Sanitätseinrichtungen nahe der Frontlinie; 90 Medizinisches Zentrum Vukovar, Herbst 1991; Folgen der serbischen Aggression (Photo: Damir Radnić) Vierte Staffelstellung – Sanitäts- und Rehabilitationseinrichtungen (Tertiäreinrichtungen) für Schlußbetreuung und Versorgung von Verwundeten und Verunglückten. Auf diese Weise wurde in Kroatien innerhalb einer kurzen Zeit ein zweckmäßiges und angemessenes Qualitätssystem im Bereich des Gesundheits- und Sanitätsdienstes aufgebaut, das auf alle Herausforderungen erwidern konnte. Die Ergebnisse dieses Dienstes im Heimatkrieg waren unter den optimalsten im Vergleich mit Weltkriegen. Gewiß spielte der Generalstab für Sanitätsdienst der RH eine Hauptrolle in der Organisation des Nachschubs von Arzneimitteln und Sanitätsmaterial für das Vukovarer Krankenhaus, sowie beim Ersetzen vom chirurgischen und anderen medizinischen Personal, besonders als über die Stadt eine völlige Blockade verhängt wurde. Der Generalstab organisierte auch die Hilfskonvois für die Evakuierung von Verwundeten. Dazu stand Minister für Gesundheitswesen Prof. Dr. Andrija Hebrang mit der Direktorin des Krankenhauses Dr. Vesna Bosanac fast täglich in Verbindung. Während der Aggression auf Kroatien im Herbst 1991 riessen Geschütze, Panzer, Mehrfachraketenwerfer und Kampfflugzeuge der JNA etwa dreißig kroatische medizinische Einrichtungen ab. Einige wurden sogar von mehreren tausend - 91 verschiedenen Artielleriegeschossen getroffen! Darunter hebt sich besonders nach der Zahl der Treffer und den unmöglichen Arbeitsbedingungen das Vukovarer Kriegskrankenhaus hervor. Am Vorabend der serbischen Aggression 1991 verfügte das Medizinische Zentrum Vukovar über 420 Krankenbetten und 933 Beschäftigte: darunter 104 Ärzte und 337 Krankenschwestern. Bis zum Ende der Belagerung blieben im Krankenhaus etwa 350 Beschäftigte. Gleich nach der Besetzung der Stadt wurden 250 von ihnen vertrieben. Die ersten Opfer der serbischen Terroristen wurden in das Medizinische Zentrum Vukovar schon Anfang April 1991 eingeliefert. Nach dem am 2. Mai 1991 an kroatischen Polizisten verübten Massaker in Borovo Selo, als die Polizisten aus einem Hinterhalt angegriffen Vukovarer Krankenhaus; Folgen der serbischen Aggres- worden waren, führte man doppelte sion (Photo: Damir Radnić) Schichten und Bereitschaften für die Mitarbeiter der chirurgischen Poliklinik und Chirurgie des Vukovarer Krankenhauses ein. Von da an fingen die serbischstämmigen Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze zu verlassen. Trotz der Arbeitspflicht stellten sich viele von ihnen auf die Seite des Aggressors. Um die Arbeit des Personals und die Benutzung der räumlichen Kapazitäten des Krankenhauses unter Kreigsbedingungen besser zu organisieren, wurde im Juli 1991 ein “Krisenstab” gegründet. In den Atomschutzkeller verlegte man Intensivstation, Pädiatrieabteilung mit Brutkasten sowie 120 Montagebetten für Verwundete und Personal. Der Schutzkeller verfügte über eine Sanitäranlage, eine Hilfsküche sowie Lagerräume für den Arzneimittel-, Nahrungsmittel-, Bettwäsche-, und Wasservorrat. Die Fenster und Tür des Souterrains und der Kellerräume waren mit Sandsäcken und Holzbalken geschützt. Solange es die Umstände ermöglichten, schickte der Generalstab für Sanitätsdienst der RH in Zagreb alle 14 Tage neue medizinische 92 Teams (einen Chirurg und einen Assistenzarzt oder zwei Chirurgen, dann wiederum einen Anästhesiologen, manchmal auch einen Orthopäden sowie Medizintechniker – Anästhesisten und instrumentierende Pflegekräfte) nach Vukovar. Obwohl das Erkennungszeichen des Roten Kreuzes auf dem Dach und im Hof des Krankenhauses klar und deutlich zu sehen war, fielen auf das Krankenhaus und seine nähere Umgebung durchschnittlich etwa zwischen 70 und 80 Granaten täglich; zuweilen sogar mehr als 700 Projektile. Infolge des fortwährenden Artilleriefeuers der JNA und serbischen Paramilitärs, konnten die Patienten vom 25. August 1991 in den Krankenhausabteilungen nicht mehr untergebracht werden. Leben und Arbeit im Krankenhaus mußten in Kellerräume verlegt werden: ins Souterrain, in einen das alte und das neue Gebäude des Krankenhauses verbindenden Korridor sowie in den Atomschutzkeller. Gips- und Röntgenraum im Souterrain wurden zu Operationssälen Die Abdominaloperationen wurden auf dem Untersuchungstisch im Behandlungsraum mit dem Röntgenappart, und alle anderen auf dem Gipstisch und manchmal sogar auf Krankenfahrstuhlen und Krankenbahren, durchgeführt. In solchen für ernstere chirurgische Eingriffe nicht vorgesehenen Räumen verrichtete die Chirurgie des Vukovarer Krankenhauses ihre Arbeit. So standen 24 Stunden Ruinen von „Borovo-Commerce“ in Borovo Naselje, das Gebäude wurde während des Schlußangriffs der JNA am 18. und 19. November 1991 zerstört; aufgenommen nach der serbischen Okkupation (Autor Mag. Božo Biškupić). 93 täglich drei chirurgische Teams für die Operationen zur Verfügung. Die operierten Patienten wurden gleich in den Schutzkeller versetzt, wo sich neben der Intensivund Pflegestation auch die Postoperative Pflege sowie die Pädiatrie (Abteilung für die Neugeborenen und ihre Mütter) befanden. Im Soutterain des alten Krankenhauses improvisierte man auch die Räume für Neurologie und Psychiatrie. Bis zum Zeitpunkt als man noch Vukovar verlassen konnte, wurden die Schwerverwundeten im Krankenhaus behandelt, und dann nach Vinkovci und Đakovo und weiter nach Osijek oder Zagreb transportiert. Die fünf Hilfkonvois, die unter der Leitung des Teams von Dr. Josip Husar seit Ende August bis Anfang Oktober 1991 organisiert wurden, evakuierten mehr als 600 (632) Verwundete. Sobald es die Umständen erlaubten, wurden die Leichtverwundeten in den Schutzkeller im Gebäude des Kombinats “Borovo-Commerce” verlegt, wo auch ein Reservespital eingerichtet wurde. In dieser in Vukovar am besten ausgestatteten Unterkunft, die mit Aggregaten und einer ständigen Wasser- und Stromversorgung versehen war, verweilten etwa 250 Verwundete und 600 Zivilisten. Der Schutzkeller wurde durch Vorhänge aus Bettüchern „verteilt“, um die für den Aufenthalt von Familien bestimmten Zimmer von dem für die Unterbringung der Patienten geplanten Raum abzutrennen. Dadurch, daß die Leichtverwundeten weiter transpotiert wurden, machte man Platz für neue Verwundete und Patienten frei. Der letzte Umzug von etwa 30 Verwundeten vom Krankenhaus zum Firmengebäude von „Borovo-Commerce“ beendete man in der Nacht am 8. November 1991. Während solcher Unternehmungen riskierten Fahrer und Verwundete immer wieder ihr Leben. Außerdem errichtete man eine zusätzliche Klinik in Ilok mit einigen Teams im Bereich des primären Gesundheitschutzes, sowie einen Krankentrakt in Bogdanovci, der seinen Dienst erfolgreich bis zur Okkupation leistete. Im Keller des Schlosses Eltz, daß aber sehr bald zerstört wurde, hat man die Operationssäle ausgestattet. Der Rettungsdienst, der auf allen Ebenen der freien Stadtteile wirkte, hatte seine Basis im Vukovarer Krankenhaus. Nach ihrer Gründung im September 1991 wurde dem Krankenhaus auch die militärische Sanitätseinheit des städtischen Verteidigungstabs angeschlossen. Den primären Gesundheitsschutz, bestehend aus Ärzte- und Krankenschwesterteams, organisierte man bei den städtischen Zivilunterkünften, was eigentlich auch unbeaufsichtigtes Hinausgehen und eine größere Anzahl von Verunglückten verhinderte. Der Gesundheitsschutz wurde im Kombinat “Borovo-Commerce”, in den Schutzkellern von “Obućara” und Arbeiterverein in Borovo Naselje, in Wohnblöcken “Banane” (Borovo Naselje) und “Centar” (Stadt Vukovar), in Olajnica und in den Grundschulen “Ivo Lola Ribar” und “Vladimir Nazor”, im Keller des Handelsgeschäfts “Alpina” sowie in den Weinkellern in Ribarska und im Schloß Eltz errichtet. Die erwähnten Schutzkeller standen mit dem Krankenhaus ständig in Verbindung und jeden Tag bekamen sie die erforderliche Menge an Arznei- und Sanitätsmaterial geliefert. Ihnen wurden auch Ärzte und Krankenschwestern regelmäßig zugeteilt. 94 Von links nach rechts: Dr. Stanko Kušt, Krankenschwester Zorica Ganić und Vesna Belinić, Medizintechniker Ante Arić, Dr. Boris Kratofil, Dr. Edin Zujović im Erholungsraum für das medizinische Personal im Röntgenraum im Keller des Krankenhauses, Oktober/November 1991 (das Photo ist eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil) Seit Ende August verließ der Großteil des Personals das Krankenhaus äußerst selten. Die fortlaufende Aufnahme, Behandlung und Versorgung der Verwundeten verlangte von Ärzten, Krankenschwestern und anderem medizinischen Personal übermenschliche Anstrengungen. Am Anfang war jeder Verwundete gleich nach der Aufnahme einer diagnostischen Behandlung untergezogen, aber während der letzten zwei Monate, nachdem Labor und Röntgenraum zerstört worden waren, konnte man nur den elementaren Laborstatus bestimmen und die radiologische Untersuchung durchführen. Über jede verwundete Person wurde eine genaue und vollständige Evidenz gehalten. Die Soldaten der JNA beschlagnahmten nach dem Einzug ins Krankenhaus die ganze medizinische Dokumentation, bzw. die Krankenakten. Das ist auch der Grund, warum eine präzise Anzahl von aufgenommenen und behandelten Verwundeten und anderen Patienten so schwer festzustellen ist. Aber aufgrund der zugänglichen Angaben kann man mit großer Wahrscheinlichkeit doch behaupten, daß im Medizinischen Zentrum Vukovar während des Krieges mindestens 2500 Verwundete ärztlich versorgt wurden. Es wurden mehr als 1000 schwere chirurgische Eingriffe vorgenommen. Der jüngste Verwundete war 6 Monate und der älteste 88 Jahre Jahre alt. Im Durchschnitt wurden also etwa 30 Verwundete täglich eingeliefert, aber es gab die Zeiten, als es sogar 92 waren und die Mehrheit von ihnen eine dringende Operation benötigte, was 95 wiederum bedeutete, daß zwei Anästhesiologen an einem Tag sogar 78 mal Anästhesie verabreichen mußten. Nach einer Einschätzung machten die Zivilisten 70% der Gesamtzahl der Verwundeten aus, ihnen folgten die Gardisten mit 25% und Polizisten mit 5%. Mehr als 80% der Wunden entstanden als Folge einer Explosion, weniger als 10% wurden durch ein Geschoß verursacht und etwa 5% der Verletzungen stellten durch Napalmbomben zugezogene Verbrennungen dar. Die restlichen Verletzungen entstanden durch eingestürzte Gebäude und Luftangriffe. Die Sterblichkeit, die Ende September zwischen 1,5 – 1,7% betrug, stieg aufgrund der außerordentlich schweren Arbeitsbedingungen unmittelbar vor der Okkupation auf 3%. Während der heftigsten Angriffe auf die Stadt wurden 16 Kinder im Krankenhaus geboren, fünf davon waren Frühgeburten. Vier überlebten (I. B., K. V., E. Đ., I. B.), aber eine, die nur 700 Gramm wog, starb am dritten Tag nach ihrer Geburt. Alle Verwundeten erfuhren die gleiche Behandlung, ohne Rücksicht auf ihre religiöse oder ethnische Angehörigkeit. Im Krankenhaus wurden auch die Soldaten der JNA sowie die berüchtigten Mitglieder der serbischen paramilitärischen Verbände, versorgt. Einige dieser Soldaten unterstützten sogar auf ihre eigene Forderung und durch ihre Unterschriften den Aufruf, den die Direktorin des Krankenhauses Dr. Vesna Bosanac zur Einstellung jeglicher Angriffe auf das Krankenhaus erließ. Einer der Soldaten, der an Folgen vom Gasbrand gestorben war, bekam 6 Bluteinheiten verabreicht, obwohl sie Mangelware darstellten. Es war eine Ironie des Schicksals, daß der Feind das Krankenhaus beschoß, als drinnen seine verwundeten Soldaten behandelt wurden. So kam ein Kanonengeschoß durch das Kellerfenster des Zimmers hineingeflogen, in welchem die Soldaten der JNA untergebracht Von links nach rechts: Dr. Željko Jelinčić, Dr. Ivica worden waren, und als es über Matoš, Dr. Boris Kratofil, Dr. Tomislav Vlahović, Dr. Vesna Bosanac, Dr. Juraj Njavro und Dr. Stanko ihre Köpfe vorüberflog und durch Kušt (sitzt am Boden) im Aufnahmeraum (im die Wand des Nachbarzimmers, Krieg diente er als Arbeitszimmer von Dr. Vesna das als Erholungszimmer für das Bosanac), Oktober/November 1991 (das Photo ist medizinische Personal fungierte, eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil) schlug, bohrte es sich in den Fußoden hinein, aber es explodierte nicht. 96 Von links nach rechts: Krankenschwester Vesna Belinić (hält eine Kompresse in der Hand), Dr. Boris Kratofil, Krankenschwester Mihaela Brajković in dem improvisierten Operationssaal, im Keller des Krankenhauses (zu Friedenszeiten die Ambulanz für kleinere chirurgische Eingriffe), Oktober/November 1991 (das Photo ist eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil) Von links nach rechts: Dr. Boris Spajić (mit gekehrten Rücken) im Gespräch mit der Oberkrankenschwester Binazija Kolesar; Medizintechniker-Anästhetiker Zlatko Bukor (mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt) im Flur vor der Chirurgieambulanz, Oktober/November 1991 (das Photo ist eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil) 97 Über die katastrophalen Formen, welche die Zerstörung des Vukovarer Krankenhauses sowie die Arbeitsbedingungen, mit denen sich Verwundete, Ärzte, Krankenschwester und Medizintechniker konfrontiert sahen, annahmen, war die inländische und ausländische Öffentlichkeit rechtzeitig informiert. Dr. Vesna Bosanac erließ fast alltäglich Aufrufe zur Hilfe und Rettung von Verwundeten sowie Proteste gegen alltägliche Beshießung und Zerstörung des Krankenhauses. Sie wendete sich mehrmals an die Regierungsmitglieder der RH, die Befehlshaber der Kroatischen Armee und an die im Hotel „I“ in Zagreb untergebrachten Beobachter der Europäischen Gemeinschaft, an Papst Johannes Paul II. und andere Staatsmänner und Amtsträger (den Vorsitzenden des Ministerrates der Europäischen Gemeinschaft Hans Van Den Broek, französichen Präsidenten Fransois Mitterand, italienischen Präsidenten Francesco Cossiga, deutschen Bundeskanzler Helmut Kohl, britischen Premierminister John Major, Präsidenten der Vereinigten Staaten George W. Bush, australischen Ministerpräsidenten Robert James Lee Hawk). Die Direktorin des Vukovarer Kriegskrankenhauses Dr. Vesna Bosanac und der Kommandant des Sanitätsdienstes der Gemeinde Vukovar Dr. Juraj Njavro, wurden mit anderen Ärzten und Krankenschwestern zum Symbol der Humanität. Infolge dieser fast drei Monate andauernden Belagerung leisteten sie Tag und Nacht ihre Arbeit. Sie gönnten sich keine Ruhe und Erholung und arbeiteten bis an die Grenze der Erschöpfung. Die Operationen wurden auch während der Beschießung der Stadt und des Krankenhauses ausgeführt. Das ganze Personal kümmerte sich um die Verwundeten, als ob es sich um ihre eigenen Familienmitglieder handelte. Leid und Qual der Patienten berührten das Personal tief. Alle bewahrten in ihrem Gedächtnis einen sehr attraktiven jungen Mann, der die ganze Nacht weinte, weil er ein Bein verloren hatte. Aber alle erinnerten sich auch an den außerordentlichen Kampfgeist der Verwundeten trozt ihrer Not und ihres schweren Zustands, die oft Lieder über Kroatien sangen. Bis Mitte September wurden Arznei- und Lebensmittel regelmäßig zugestellt. Medikamente und Sanitätsmaterial wurden von dem Generalstab für Sanitätsdienst des Ministeriums für Gesundheitswesen, der Caritas und vielen nichtstaatslichen Vereinigungen und Einzelnen geliefert. Aber nachdem die Stadt völlig blockiert worden war, wurden die Arbeits- und Lebensbedingugen immer härter, Wasser- und Stromversorgung sowie Heizung abgebrochen, und die Anzahl der Verwundeten wurde Tag für Tag immer größer. Seit Mitte Oktober wurden Soutterain und Schutzkeller so überfüllt, daß die Verwundeten in Fluren, Warte- und Röntgenraum sowie Ambulanzen untergebracht wurden. Zuweilen teilten sich zwei Patienten ein Bett. Sie lagen auf Matratzen am Fußboden oder sogar auf Bänken und Behandlungsstuhlen, so das sie vom medizinischen Personal kaum erreichbar waren. Hygiensiche Bedingungen erfüllten kein Mindestmaß. In Ermangelung der Arzneimittel, versuchte man die ganze Situation zu mildern, indem man Vorräte aus Apotheken in Mitnica, Borovo und Stadtzentrum holte und sie dann rationell und 98 zweckmäßig verbrauchte. Wegen einer immer größerer Anzahl der Verwundeten, gingen die tapferen Logistik-Mitarbeiter immer wieder in die Stadt auf die Suche nach Medikamenten, Sanitätsmaterial und Bettwäsche, wobei sie immer wieder ihr Leben riskierten. Es mangelte an Antibiotika, Analgetika und Verbänden. Auch die Anästhesie mußte wegen einer eher geringen Hof des Hafenamtes unmittelbar vor dem Ende der BeVorratsmenge sehr ökonomisch lagerung von Vukovar (Autor: Ante Arić) und vorsichtig verabreicht werden. Die kleineren chirurgischen Eingriffe konnten durch die Anwendung der Lokalanästhesie ausgeführt werden, aber man benutzte immer öfters eine Spinalanästhesie. Durch diese rückenmarknahe Form der Anästhesie wurden durch die Injektion eines Anästhetikums in die Wirbelsäule die Signalübermittlung in den vom Rückenmark ausgehenden Nerven gehemmt, was zu Empfindungslosigkeit und Schmerzfreiheit in der unteren Körperhälfte führte. Die Verwundeten waren bei vollem Bewußtsein, aber sie fühlten keine Schmerzen. Auch mit Plasma mußte man eher sparsam umgehen. Den Mangel an Blutderivaten gliechen Stadtbewohner, Vertediger und medizinisches Personal durch freiwillige Blutspenden aus. Trotz Kriegsbedingungen wurden alle Blutspender vor der Abgabe untersucht, sowie auch jede Blutspende vor ihrer Verwendung. Während der dreimonatigen Kämpfe spendete man insgesamt 1700 Bluteinheiten. Da die Granaten neben dem Labor und Röntgenraum auch die Anlage der Sterilisationsabteilung zerstörten, wurden die für die Operationen benötigten Materialien (Operationsbekleidung, Instrumenten, Handschuhe) seit Mitte Oktober in drei Heißluftsterilisatoren von lebenden Mikroorganismen befreit, und die einzige Kotrolle bei der Sterilisation stellten Kontrollbänder dar. Alle drei Heißluftsterilisatoren wurden wegen der Beschädigung des Gebäudes oft umgestellt. Bei der Errichtung des Sterilisationsraums improvisierte man im Atomschutzkeller. Drei Krankenschwestern brachten bei einer pausenlosen Arbeit auch fertig, genug Sterilmaterialien, Instrumenten und Bekleidung für die Chirurgie zu sichern. Die Toten wurden am Anfang auf städtischen Friedhöfen begraben: auf dem Gelände von Novo und Bugarsko groblje (Neuer und Bulgarischer Friedhof), dann aber in gemeinsamen Massengräbern und später auf dem alten Friedhof nahe des Stadions des Fußballklubs „Sloga“, vor dessen Mauer ein großer Grab ausgegraben worden war. Zum Schluß wurde die “Bestattungsabteilung” in das alte Verwaltungsgebäude des Hafenamts gegenüber des Krankenhauses untergebracht. Die im Krankenhaus 99 gerstorbenen Patienten sowie die Leichen von Gefallenen, die aus verschiedenen Stadtteilen eingeliefert worden waren, wurden in den Hof des Hafenamtes gelegt, damit man die Beisetzung vorbereiten konnte. Als man keine Särge mehr hatte, wurden die Leichen in mit Nummern versehenen Plastiksäcke eingewickelt. Eine Anzahl von Leichen wurde dort auch begruben. Etwa 110 nicht beigelegten Leichen, die man im Hof des Hafenamts angetroffen hatte, wurden von serbischen Soldaten und Journalisten verfälscht als Opfer kroatischer Soldaten dargestellt. Man begrub die Leichen auch einzeln, in geschirmten Räumen (Garagen, Gärten u.ä.), aber infolge von pausenlosen Kämpfen konnte man während der letzten zehn Tage der Belagerung nicht alle gefallenen und gestorbenen Menschen begraben, und so bedrohte die Stadt und das Krankenhaus eine Epidemie, die katastrophale Formen annehmen konnte. Sie brach aber trotz der entsetzlichen Lebensbedingungen nicht aus. Das städtische Wasserwerk wurde schon Mitte September völlig vernichtet, infolgedessen der Wassermangel deutlich zu spüren war. Der Atomschutzkeller verfügte über eigene Wasserspeicher mit einem Fassungsvermögen von 12.000 l und einen Wasserspeicher in der Wäscherei mit Kapazität von 2000 l. Der tägliche Vebrauch betrug zwischen 2000 und 3000 l. Das Wasser wurde unter ununterbrochenem Artilleriefeuer mit Zisternen von Borovo eingeliefert, bis zum Zeitpunkt als sie auch getroffen und zerstört wurden. Drei Feuerwehrmänner verloren dabei ihr Leben. Während der letzten zwei Wochen der Belagerung holte man Wasser von naheliegenden Brunnen, die mehr als 30 Jahre nicht in Funktion waren, so daß man nur 150 l alle zwei Stunden schöpfen konnte (etwa 500-600 l täglich und aus Sicherheitsgründen gewöhnlich nachts). Das Wasser wurde gleich mit einer 10 mal größerer Dosis von Izosan-G behandelt. Man destillierte es in einem naheliegenden Haus in einem Brantweinkessel. Die tägliche Wassermenge für Trinken und Hygiene wurde auf einen halben Liter reduziert. Als technologisches Wasser verbrauchte man das Wasser aus Rohren der zerstörten Zentralheizung. Das Krankenhauspersonal wartete auf Regenwasser, um sich zu waschen. Nachdem es auch mit Chlor behandelt worden war, wurde das Regenwasser zusätzlich als Trinkwasser verwendet. Infolge der begrenzten Wasser- und Strommenge arbeitete die Wäscherei nur noch nachts, da die Chirurgie Vorrang hatte. Die Maschinen schaltete man auf Handbetrieb um, denn man versuchte das Wasser rationell zu verwenden. Die zweite und dritte Ausspülung benutzte man als erstes Auswaschen. Diese Situation dauerte bis Anfang November an, als die Wäscherei in einem Artillerieangriff teilweise niedergerissen wurde. Das Personal der Wäscherei und die Putzkraft haben von da an die schmutzige Operationsbekleidung in beschränkten Mengen im Kaltwasser gewaschen und in Gängen getrocknet. Trotzdem fehlte der Chirurgie nie saubere Wäsche. Gewiß erschwerte der Wassermangel die Sauberhaltung der Räume des Krankenhauses, da nur 24 Putzfrauen übriggeblieben waren. Aufgrund dieses Wassermangels konnte man auch keine Filme der Radiologieabteilung ausspülen, und so mußten die 100 Aufnahmen gleich bei der Entwicklung, als sie noch feucht waren, studiert werden, weil sie sich durch das Trocknen trübten. Als Mitte September die Stromversorgung des Krankenhauses abbrach, welche die tapferen Mitarbeiter der Kroatischen Stromwerks Vukovar alltäglich aufrechtzuerhalten versuchten, wurde der elektrische Generator (Aggregat) des Krankenhauses, der eine Leistung von 186 kW hatte, in Betrieb gesetzt. Ohne größere Schwierigkeiten arbeitete er bis Mitte Oktober, als er durch die Granaten der JNA zerstört wurde. Danach installierte man ein Aggregat der Fabrik Borovo, mit einer Leistung von 168 kW. Während seiner Montage arbeitete das mobile Aggregat mit einer Leistung von 40 kW für den Bedarf der Chirurgie. Das Erdöl dafür wurde aus Privatdepots in Blechtonnen herbeigeschafft. Nachdem aber auch dieses mobile Aggregat Granaten gesprengt hatten, schalteten die Mitarbeiter des Kroatischen Stromwerks und der Fabrik „Borovo“ in der Trafostation Priljevo das Krankenhaus direkt auf das Aggregat der Fabrik um. Es hatte aber weniger Leistung und seine Spannung oszillierte immer wieder. Diese direkte Verbindung benutzte man nur für die Wäscherei während der Nacht, wenn es wenige Operationen gab. Durch die Eroberung von Lužac Anfang November kam es zu einem Zusammenbruch in der Stromversorgung. Man wurde dazu gezwungen, im Operationssaal ein Aggregat der Leistung von 28 kW aus der zerstörten Polizeistation zu benutzen. Da aber seine Kraft nicht einmal für den Röntgenapparat reichte, stellte man einen zusätzlichen Hilfsaggregat am Eingang des Krankenhauses mit einer Leistung von 10 kW auf. All das aber deckte die Bedürfnisse des Krankenhauses nicht, und so mußten die chirurgischen Eingriffe im Licht der Batterien, Wachskerzen und improvisierten Öllampen („uljanica“), die das Personal selbst bastelte, ausgeführt werden. Die Kerzen holte man aus Depots des Zagreber Kaufhauses „Na-Ma” und dem Laden von VUPIK in der Gundulićeva Straße in der unmittelbaren Nachbarschaft des Krankenhauses. Im September wurde auch die Heizungsanlage kapputgemacht, und im Gebäude war es sehr kalt. Alles was das Personal allmählich reparieren konnte (Sterilisator, Wasserleitungen, Aggregate, Küche), wurde aber bald wieder vernichtet. Und so blieb die Frage offen, ob das aufgrund der außerordentlichen Intensität des Artilleriefeuers, das alles systematisch zu zerstören versuchte, geschah, oder weil der Feind von jemandem aus dem Krankenhaus die genauen Informationen über die Reparaturen bekam, was ihm dann ermöglichte die Infrastruktur des Krankenhauses durch seine Projektile gezielt und wiederholt stark zu beschädigen. Die zerstörte Küche wurde ins Erdgeschoß des alten Gebäudes verlegt, in die Ambulanz für Ophthalmologie. Beim Kreigsausbruch wurden etwa 450 Speisen zubereitet, drei Portionen täglich, und am Ende der Belagerung mehr als 700. Trotz der Tatsache, daß auch diese improvisierte Küche immer wieder beschossen wurde, bereiteten 4 qualifizierte und 5 Aushilfsköchinen auf drei mit Holz geheizten Küchenherden alltäglich 3 Mahlzeiten für Patienten, Verwundete und Personal, vor. 101 Auch die Anschaffung des Brotes war lebensgefährlich, da die Bäckerei in Priljevo (im Umkreis des Silos von VUPIK), zwischen Borovo Naselje und Vukovar, auch öfters getroffen wurde. Die erneuten Versuche eine Bäckerei zu errichten um die Versorgung mit Brot zu verbessern, scheiterten immer wieder. Während eines Angriffs verloren in einer Bäckerei fünf Menschen ihr Leben. Deswegen wurde im Reservespital im Gebäude von „Borovo-Commerce” Fladen ohne Hefe gebacken, die dann man in der Nacht distribuierte. Die Menge war so klein, daß man Probleme hatte, es irgendwie zu verteilen. Natürlich hatten die Verwundeten den Vorrang. Als die Verbindung zu Borovo während der letzten zwei Wochen abgebrochen wurde, buk man das Brot in zwei Privathäusern in der Nähe des Krankenhauses, am häufigsten ohne Hefe, was widerum dazu führte, daß die Brotwecken sehr hart waren und den Namen „Panzer-Fladen“ erhielten. Jeder Patient bekam eine ganze Schnitte und die Mitglieder des Personals eine halbe. Bis zum bitteren Ende und wenn das die Umstände ermöglichten, wurden die Extramahlzeiten für Diabetiker und Patienten mit Verdauungsstörung zubereitet. Das Problem der Fleischversorgung löste man durch das Schlachten des Viehs an Ort und Stelle am Stadtrand (in Mitnica), gleich an der Front. Neben der regelmäßigen Versorgung, die die Mitararbeiter der Logistik des Krankenhauses verrichteten, wurde das Krankenhaus auch von der Caritas und den tapferen Einzelpersonen mit Lebenssmitteln beliefert. Diese Menschen riskierten immer wieder ihr Leben, um mit Kombiwagen die Nahrung bis zum Krankenhaus zu fahren, was besonders für die Fahrer aus Đakovo und umliegenden Dörfern galt, beispielsweise aus Petrovci, die frische Milch und frisches Gemüse zustellten. Aufgrund des vorhandenen Lebensmittelvorrats war es eher schwierig gutes Essen für alle Menschen im Krankenhaus vorzubereiten. Es kam vor, daß an einem Tag für ein Fleischgericht, das 600 Leute sättigen sollte, nur ein Schwein reichen mußte. Dewegen bekam das medizinische Personal kleinere Portionen, und zum Abendessen öfters nur Milchreis. Der Mangel an Lebensmitteln sowie die übermenschliche Anstrengungen trugen dazu bei, daß die Mitglieder des Personals bis zu 10 kg an Gewicht verloren. Im Oktober wurden die Fleischportionen noch kleiner, bis dann das Fleisch ganz von der Speisekarte verschwand. Ab und zu schickte die Nationalgarde die sog. „Lebensmittelpakete“, die man dann unter Patienten verteilte. Nach der Eroberung der Stadt schleppten die Soldaten der JNA am 20. November 1991 etwa 400 Verwundete und Krankenhausbeschäftigte sowie ihre Familienmitglieder und andere Zivilisten aus dem Krankenhaus fort. Davon wurden mindestens 267 Personen ermordert oder vermißt. Nur in Ovčara tötete man 200 Menschen, unter ihnen auch 20 Mitglieder des medizinischen Personals. Während die Soldaten der JNA diese Menschen aus dem Krankenhaus fortzerrten, hielt ihr Befehlshaber und “Offizier” der JNA Veselin Šljivančanin eine “Siegesrede” vor den übrigen Personal-Mitgliedern, in der er hervorhebte, daß die JNA und andere serbische Verbände um ein gemeinsames Ziel zusammen kämpften. 102 Bruchstücke der Chronologie der Ereignisse im Vukovarer Krankenhaus 1991 2. April (Dienstag): Ins Krankenhaus wurde schwer verwundete Lj. N. eingeliefert, auf die, während ihrer Fahrt nach Bršadin, die serbischen Terroristen schossen, wodurch sie eine schwere Verletzung der Kniebeuge erlitt. Nach ihrer Verwundung organisierte Dr. J. Njavro im Ruderverein Vukovar einen Erste-Hilfe-Kurs für die Frauen. Im April wurden ins Krankenhaus mindestens 4 Verwundete eingeliefert. 2. Mai (Donnerstag): Nachdem die serbischen Terroristen in Borovo Selo bei Vukovar aus dem Hinterhalt 12 kroatische Polizisten getötet und 21 verwundet hatten, brachte man ins Krankenhaus 21 Verwundete: 15 kroatische Polizisten und 6 serbische Terroristen. Alle wurden nach bestem Wissen und Gewissen versorgt. Im Mai wurden ins Krankenhaus mindestens 39 Verwundete eingeliefert. Juni: Die Freiwilligen, die die Verteidigung von Vukovar organisierten, wurden gegen Tetanus geimpft. Auch ihre Blutgruppe wurde bestimmt. Man begann die Hilfsambulanzen in verschiedenen Stadtteilen auszustatten (Schloß Eltz, Mitnica usw.): einige Krankenbetten, ein kleiner Operationssaal mit einem älteren Anästhesiezubehör, ärztlichem Instrumentarium, Arzneimitteln und Sanitätsmaterial. All das verschaffte der Generalstab für Sanitätsdienst der RH mit Hilfe verschiedener Privatorganisationen. 3. Juni (Montag): Nach einem Zwischenfall, als man aus einem PKW die Menschen nach einem Fußballspiel beschoß, wobei zwei Kroaten verwundet und ins Krankenhaus eingeliefert worden waren, trafen in Sremski Čakovci 17 Panzer, 4 Panzer- und 2 Sanitätswagen der JNA ein. 103 17. Juni (Montag): Die JNA baute in Bobota ein Feldlazarett auf, zu dessen Personal auch die serbischstämmigen Ärzte des Vukovarer Krankenhauses Dr. R. D. und Dr. Lj. C. von da an zählten. Im Juni wurden ins Krankenhaus mindestens 7 Verwundete eingeliefert. Juli: Man beschloß den Atomschutzkeller, der neben dem neuen Krankenhausgebäude gebaut und durch einen Korridor mit dem Krankenhaus verbunden wurde, aufzuräumen und auszustatten. Man organisierte auch ein Lkw mit NATOLebensmittelpaketen (Konserven, Tabletten für die Wasserdesinfektion, Päckchen für Kaffeevorbereitung, Schokoladentafeln u.a.). Auch die Sandsäcke für den Schutz der Öffnungen im Erdgeschoß wurden vorbereitet. Das Krankenhaus hatte Vorräte an Arzenimitteln, Kleidung und allen anderen Materialien, die man als notwendig für das Überleben unter Kriegsbedingungen hielt. Aber keiner ahnte, daß der Krieg so brutal werde. Im Keller des Schlosses Eltz bereiteten die Freiwilligen des 1. Sanitätszuges der 124. (204.) Brigade der Nationalgarde einen Lager für Sanitätsmaterial vor. 4. Juli (Donnerstag): Nach einem mehrstündigen Kampf wiesen die kroatischen Gardisten und Polizisten ein kombiniertes Artillerie- und Infanterieangriff der aufständischen Serben von Borovo Selo aus auf Borovo Naselje zurück. 25. Juli (Donnerstag): Zur stellvertretenden Direktorin des Medizinischen Zentrums Vukovar wurde Dr. Vesna Bosanac ernannt. Der Krisenstab des Medizinischen Zentrums Vukovar wurde gegründet. Im Juli wurden ins Krankenhaus mindestens 56 Verwundete eingeliefert. 1. August (Donnerstag): Durch ein Luft- und Artillerieangriff der JNA auf Vukovar und Borovo Naselje wurde der Operationssaal ins Souterrain und in den Atomschutzkeller des Krankenhauses verlegt. Auch andere Räume für Behandlung und Aufnahme von Patienten aller Krankenhausabteilungen waren errichtet worden. 3. August (Samstag): Die kroatischen Verteidiger kontrollieren Lužac. 104 5./6. August (Montag/Dienstag): Die Granaten fielen auf das Verwaltungsgebäude des Krankenhauses. Die Verwundeten und Kranken wurden in den Schutzkeller und ins Souterrain versetzt. 11. August (Sonntag): Die Verwundeten und Kranken wurden in die Abteilungen des Krankenhauses zurückgebracht. 13. August (Dienstag): Ein heftiger Angriff auf Borovo Naselje und Vukovar (Krankenhaus und seine Umgebung) von Borovo Selo sowie von Kriegsschiffen der JNA auf der Donau aus (in dreieinhalb Stunden trafen die Stadt etwa 120 Projektile). 20. August (Dienstag): Die Kinder aus Vukovar hatte man in „Sommerferien“ evakuiert. Sie kehrten in die Stadt wegen der Vorbereitungen für das neue Schuljahr zurück. Seit 1. bis 24. August: Wurden ins Krankenhaus mindestens 31 Verwundete eingeliefert. 24. August (Samstag): Die Kapmfflugzeuge der JNA feuerten die Raketen auf die verlassene Stellung der Nationalgarde in Opatovac ab und eröffneten Maschinengewehrfeuer auf den Silo Đergaj bei Bršadin. Dem kroatischen Gardist Luka Andrijanić gelang es zwei feindliche Kampfflugzeuge zu treffen. 25. August (Sonntag): Ein in einer Kolonne von Vukovar nach Borovo Selo fahrendes Militärfahrzeug der JNA schwankte von der Borovska Straße ab und fuhr auf eine Panzerabwehrmine: 4 verletzte Soldaten, davon 2 schwer wurden ins Krankenhaus eingeliefert. Auf Verlangen der JNA wurden sie in die Militär- und Medizinische Akademie nach Beograd transportiert. Mit einem heftigen Artillerie- und Luftangriff auf Vukovar und Borovo Naselje fing eine fast drei Monate andauernde Belagerung der Stadt. An diesem Tag ladeten die Kampfflugzeuge der JNA mehr als 15 Bomben auf das Krankenhaus ab, wobei der Arzt V. H. (28 Jahre alt) verwundet wurde. Die Geschosse zerstörten zwei Operationssäle im zweiten Stockwerk, weswegen alle Patienten und das Personal ins Souterrain und 105 in den Atomschutzkeller evakuiert wurden. Im Krankenhaus befanden sich 32 Patienten (größtenteils Verwundete). 26. August (Montag): Ein neuer heftiger Angriff der JNA begann um 9 Uhr mit dem Überflug der Kampfflugzeuge des Typs “galeb” (“Möwe”): etwa 1200 Granaten trafen Borovo Naselje und Zentrum Vukovars. Das Krankenhaus trafen zwei Boden-Boden Raketen und es wurde auch von Scharfschützen unter Beschuß genommen. Ins Krankenhaus wurden mindestens 42 Verwundete eingeliefert, darunter Bruder (D. B., 11 Jahre alt) und Schwester (J. B., 16 Jahre alt). Die Ruinen des Schlosses Eltz verschütteten einige Angestellte der Verwaltungsdienstes. Während einer Intervention wurde auch der mit einem großen Erkennungszeichen des Roten Kreuzes gekennzeichnete Wagen des Rettungsdienstes von einem Geschoß aus der Vojvodina getroffen. Der Arzt S. T. (29 Jahre alt) war schwer verletzt – Mittelohr und Gleichgewichtsorgan, Medizintechniker A. K. (28 Jahre alt) und Fahrer M. Z. (36 Jahre alt) erlitten leichtere Verletzungen. 27. August (Dienstag): Die Scharfschützen schossen öfters auf das Krankenhaus. In der Stadt wurden 8 Menschen getötet und ins Krankenhaus mindestens 15 Verwundete eingeliefert. 28. August (Mittwoch): Ins Krankenhaus wurden mindestens 13 Verwundete eingeliefert. Insgesamt waren es mehr als 70. 29. August (Donnerstag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 6 Verwundete eingeliefert. 30. August (Freitag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 15 Verwundete eingeliefert. 31. August (Samstag): In Mitnica und Borovo Naselje wurden 26 Zivilisten verwundet, darunter auch neun Kinder. Ins Krankenhaus wurden mindestens 28 Verwundete eingeliefert. 106 1. September (Sonntag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 3 Verwundete eingeliefert. 2. September (Montag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 8 Verwundete eingeliefert. 3. September (Dienstag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 13 Verwundete eingeliefert. 4. September (Mittwoch): Ins Krankenhaus wurden mindestens 11 Verwundete eingeliefert. Die serbische Artillerie und das Maschinengewehrfeuer griffen den medizinischen Hilfskonvoi mit Patienten mit Kopf- und Gehirnverletzungen auf dem Weg nach Zagreb an. Der Konvoi, der sich in einen Kanal entlang der Straße rettete, brauchte 6 Stunden um Vinkovci zu erreichen. 5. September (Donnerstag): Kurz vor 6 Stunden begann bis dann der heftigste Artillerie- und Luftangriff: jede Minute fiel auf die Stadt eine Granate oder Rakete. Auch das Altenheim wurde getroffen; 4 ältere Personen wurden getötet und 6 verwundet. Ins Krankenhaus wurden mindestens 17 Verwundete eingeliefert. Dr. Vesna Bosanac macht die Angabe über 36 Gefallene und 210 Verwundete publik; im Krankenhaus arbeiten im Augenblick nur 250 Personen. 6. September (Freitag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 5 Verwundete eingeliefert. 7. September (Samstag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 8 Verwundete als Folge des Artillerieangriffs der JNA nur einige Stunden nach der Unterzeichnung eines Waffenstillstands eingeliefert. 8. September (Sonntag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 7 Verwundete eingeliefert. 107 9. September (Montag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 9 Verwundete eingeliefert. 10. September (Dienstag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 6 Verwundete eingeliefert. Das Maschinengewehrfeuer tötete die Mitarbeiterin des Röntgenabteilung Lj. O. (39 Jahre alt) auf dem Weg von der Arbeit nach Hause. 11. September (Mittwoch): Obwohl ein Waffenstillstand unterzeichnet worden war, wurde Vukovar von Petrova Gora aus unter Beschuß genommen, aber es gab keine Opfer. 12. September (Donnerstag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 7 Verwundete eingeliefert. 13. September (Freitag): Während der Beschießung der Fabrik “Borovo” tötete die Jugo-Armee 10 (darunter auch ein Kind) und verwundete 6 Personen. Die Eltern brachten ein 6-jähriges Mädchen (D. J.) aus Borovo Naselje ins Krankenhaus. Sie hatte mehrfache schwere Körperverletzungen (Bauch, Brustkorb, Leber und rechte Niere). Das Mädchen wurde durch einen Granatsplitter getroffen, als sie einem Ball nachlief. Obwohl die Situation als aussichtlos eingeschätzt wurde, überlebte das Mädchen und lebt heute in Vukovar. Ins Krankenhaus wurden mindestens 6 Verwundete eingeliefert; darunter 3 aus Mitnica. Die Vertreter des Roten Kreuzes verhandelten in Vukovarer Kaserne über die Freilassung der Geiseln aus Berak. Danach besuchten sie das Krankenhaus. Der kroatischen Seite schlugen sie einen Austausch nach dem Prinzip “alle für alle” vor, was bedeuten würde, daß auch serbische Terroristen befreit werden sollten. 14. September (Samstag): Bei einem Luftangriff wurde “Slavija” zerstört, die letzte geöffnete Apotheke in Vukovar; pharmazeutisch-technische Assistentin R. J. brachte übriggebliebene Medikamente ins Krankenhaus. In einem besetzten Stadtteil wurde Krankenschwester Z. M. (geb. 1961) getötet. Ins Krankenhaus wurden mindestens 36 Verwundete eingeliefert. 108 15. rujna (Sonntag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 40 Verwundete eingeliefert. Nach einer durchwachten Nacht und nachdem der Versuch sich ein bißchen auszuruhen kläglich gescheitert hat, stehe ich am Eingang des Krankenhauses. Man hört schwere Detonationen von allen Seiten, in Sajmište, Mitnica und Borovo Naselje. Allem Anscheine nach wird der heutige Tag ähnlich dem gestrigen verlaufen. Ich fürchte, daß viele Menschen verwundet und die Stadt noch stärker zerstört wird. Die Granaten fallen in den Hof. Ich bringe mich in Sicherheit und suche den Schutz im Keller. Der Hof ist durch die Granaten so zerwühlt, daß sein Betreten auch tagsüber gefährlich ist, geschweige denn nachts, weil wenn einen auch keine Granate trifft, es könnte passieren, daß man bei diesen Löchern mehrere Brüche erleidet. Als ich mich dann in den Keller begeben habe, sehe ich die ersten Vewundeten kommen. Die ersten drei kommen aus Mitnica, drei Verteidiger, die an der ersten Kampflinie einen Transporter aufzuhalten versuchten. Sie waren dabei erfolgreich, aber eine Panzergranate zerstörte das Haus, das ihnen als Versteck diente und die Granatenscherben verletzten sie. Die Wunden werden schnell gereinigt und die Kämpfer gegen Tetanus geimpft. Sie bekommen auch Analgetika verabreicht. Danach wird noch das Immobilisieren vollgezogen. Das Team ist schon eingeübt, was kein Wunder ist, da man 24 Stunden täglich fast immer dieselben Fälle behandelt. In sich gekehrt und schweigend, bete ich zu Gott, daß diese Verwundeten die letzten für heute sind. Gestern waren es sogar 35. Ständig hört man Granatenexplosionen, welche einen schweren Tag ankündigen. Auch das Krankenhaus wird wieder angegriffen. Die Granaten fallen auf das Dach. Starke Explosionen erschallen in unseren Ohren. Wir versammeln uns im Keller und denken dankbar an die Menschen, die diesen Keller gebaut haben. Obwohl er nicht ganz in die Erde eingegraben ist, seine Fenster “hinausschielen” und Granatsplitter durchschlagen lassen, bietet er einigermaßen Schutz. Im Kellergang versammeln sich allmählich auch die Leichtverwundeten, die zur Kontrolle kommen, wenn das die Umstände zulassen. Das Gedränge wird immer größer. Man würde nicht weit kommen, wenn uns die Menschen stillschweigend nicht den Durchgang gewähren würden, indem sie auseinanderrücken und uns bei unserer Arbeit nicht hindern. Seit die Explosionen die Fenster zerbrachen, zieht es und die Lüftung des Ganges ist durchaus zufriedenstellend. Wir müssen keine Angst haben, daß uns Rauch oder Staub ersticken werden. Die Verwundeten teilen uns mit, daß überall heftige Kämpfe geführt werden. Der Feind ist heute morgen mit allen verfügbaren Kräften zum Angriff übergegangen, um die Verteidigung zu brechen und in die Stadt einzudringen. Panzer, Trasporter und Mehrfachraketenwerfer bechießen die Stadt. Zur selben Zeit als wir die Verwundeten behandeln, beginnt unsere zusätzliche “Plage”. So nannten wir die Angriffe der Mehrfachraketenwerfer aus der Batschka, die innerhalb einer kurzen Zeit eine große Zahl der Raketen auf das Krankenhaus abfeuerten. Die Raketen fielen auf das Dach, 109 vor und hinter dem Krankenhaus, und natürlich trafen sie das Gebäude selbst. Wir waren sehr glücklich darüber, daß das Gebäude ein sehr stabiles Bauwerk war. Man konnte es schwer ganz zerstören. Nur wenn eine Granate oder Rakete durch das Fenster hineiengeflogen kam und im Zimmer explodierte, entstanden größere Schaden. Solche Treffer durchschlugen immer die dünneren Wände und vernichteten die Zimmereinrichtung. (Auszug aus dem Buch von Dr. Juraj Njavro, Glava dolje – ruke na leđa, Zagreb, 1992) 16. September (Montag): Nachdem ein Teil von Sajmište zwischen der Kaserne und Petrova Gora besetzt worden war, ermordeten die Mitglieder der serbischen Einheiten einige Dutzend Personen. Ins Krankenhaus wurden mindestens 25 Verwundete eingeliefert. 17. September (Dienstag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 43 Verwundete eingeliefert. 18. September (Mittwoch): Ins Krankenhaus wurden mindestens 18 Verwundete eingeliefert. 19. September (Donnerstag): Durch die Granatsplitter wurde der Fahrer des Rettungsdienstes I. Š. (geb. 1951) am Brustkorb verwundet. Ins Krankenhaus wurden mindestens 26 Verwundete eingeliefert. 20. Septemer (Freitag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 16 Verwundete eingeliefert. 21. September (Samstag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 14 Verwundete eingeliefert. 22. September (Sonntag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 10 Verwundete eingeliefert. 23. September (Montag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 17 Verwundete eingeliefert. 110 24. September (Dienstag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 15 Verwundete eingeliefert. 25. September (Mittwoch): Ins Krankenhaus wurden mindestens 16 Verwundete eingeliefert. 26. September (Donnerstag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 14 Verwundete eingeliefert. 27. September (Freitag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 25 Verwundete eingeliefert. 28. September (Samstag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 24 Verwundete eingeliefert. Der Hilfskonvoi des Generalstabs für Sanitätsdienst der RH unter der Leitung von Dr. Josip Husar evakuierte 36 Verwundete vom Vukovarer Krankenhaus ins Feldlazarett in Mikanovci und andere medizinische Einrichtungen; der Hilfskonvoi wurde überfallen, aber es gab keine Opfer. Im Radiosender bat Dr. Vesna Bosanac die Einwohner ihre Schutzkeller nicht zu verlassen. Die Beobachter der Europäischen Gemeinschaft wählten Ilok als ihren Sitz um die Situation in Vinkovci und Vukovar zu überwachen. In Ilok wurden die Verhandlugen zwischen den Vertretern der RH und Vukovarer Gemeinde einerseits und dem Kommando des JNA-Korps Novi Sad andererseits in Anwesenheit der Beobachter geführt. Dem Vorschlag der Beobachter über einen Waffenstillstand stimmte die kroatische Seite zu, aber die JNA wies ihn zurück. 29. September (Sonntag): Die kroatischen Verbände verließen Tovarnik. Ins Krankenhaus wurden mindestens 32 Verwundete eingeliefert, darunter auch der ausländische Journalist Loren van den Stock. 30. September (Montag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 27 Verwundete eingeliefert. 111 1. Oktober (Dienstag): Die JNA okkupierte Marinci, Petrovci und Đeletovci. Ins Krankenhaus wurden mindestens 55 Verwundete eingeliefert. Die Krankenschwester J. P. (30 Jahre alt) wurde verletzt. 2. Oktober (Mittwoch): Die JNA besetzte das Dorf Cerić. Der Feind feuerte mehr als 3000 Geschosse auf die Stadt ab. Auf das Krankenhaus fielen 37 Granaten. Ins Krankenhaus wurden mindestens 74 Verwundete eingeliefert. 3. Oktober (Donnerstag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 45 Verwundete eingeliefert. 4. Oktober (Freitag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 37 Verwundete eingeliefert. Auch die Leichen der drei am 1. Oktober in Bogdanovci gefallenen Polizeibeamten aus Županja wurden gebracht, sowie neun Verwundete aus demselben Dorf. 5. Oktober (Samstag): Um etwa 17 Uhr wurden aus einem Flugzeug der Jugo-Armee zwei 250 kg schwere Bomben – die sog. Sau/Säue (krmača/krmače) abgeworfen. Das Gebäude schaukelte und Fenster- und Türrahmen wurden ausgeschlagen. Die Patienten im Erdgeschoß riessen Infusion und Katheter heraus und sprangen aus ihren Betten. Die Bettlägerigen versuchten panisch sich kriechend irgendwohin zu retten. Die erste “Sau” sprengte die Front des Gebäudes und das zweite Stockwerk, und die zweite schlug in das Dach hinein und vernichtete alle Betonplatten des neuen Gebäudes (5 Platten!). Die Bombe fiel auf das Bett im Flur neben dem Eingang in den Atomschutzkeller, genau zwischen den Beinen eines Patienten serbischer Nationalität (P. V., 45 Jahre alt). Im ersten Augenblick konnte man wegen des entstandenen Staubs und Rauchs nichts erkennen, und so eilte eine Krankenschwester zu Hilfe herbei. Sie dachte, eine Sauerstoffflasche sei umgefallen. Vom Bett ist natürlich nichts übriggeblieben, aber der Patient überlebte unverletzt. Im Zünder waren keine Detonatoren und die Bombe explodierte nicht. Durch das Loch konnte man den Himmel sehen. Im Dienst wurden Krankenschwestern T. K. und Arzt V. T. verwundet. Ins Krankenhaus wurden mindestens 31 Verwundete eingeliefert. Marin Vidić – Bili forderte Stjepan Mesić, Franjo Gregurić, Franjo Tuđman, das 112 Verteidigungsministerium der RH, den Generalstab der Kroatischen Streitkräfte, Žarko Domljan und andere auf, die Ernsthaftigkeit der Lage in Vukovar und im Krankenhaus zu begreifen. 6. Oktober (Sonntag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 43 Verwundete eingeliefert. 7. Oktober (Montag): Medizintechniker I. K. (49 Jahre alt) wurde durch ein Granatsplitter verwundet, als auch Krankenschwester (zuständig für ärztliches Instrumentarium) M. B. (39 Jahre alt), die sich nach der serbischen Besetzung von Vukovar im Krankenhaus zu bleiben entschloß. Ins Krankenhaus wurden mindestens 30 Verwundete eingeliefert. In 45 Tagen starben 158 Menschen und 654 wurden verwundet. Die Direktorin des Krankenhauses Dr. V. Bosanac verlangte, daß 160 Schwerverwundete evakuiert werden. 8. Oktober (Dienstag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 12 Verwundete eingeliefert. In der Sitzung des Kroatischen Parlaments im INA-Gebäude (Kroatische Erdölindustrie) in der Šubićeva Straße rief man die Staatsunabhängigkeit der RH aus. Das Kroatische Parlament (Hrvatski sabor) verpflichtete alle staatlichen und militärischen Behörden Vukovar zu helfen. Zum ersten Mal nach 46 Tagen herrscht Ruhe in der Stadt. Dr. M. I. (50 Jahre alt), ein Serbe, wurde leicht durch das Gewehrfeuer einer serbischen Stellung beim Versuch aus dem Krankenhaus Flucht zu ergreifen und sich der serbischen Seite anzuschließen, verwundet. Nach der Besetzung der Stadt blieb er im Krankenhaus und legte sein Zeugnis über die Ereignisse ab, die er aber ganz anders interpretierte als seine bisherigen Kollegen. 9. Oktober (Mittwoch): Ins Krankenhaus wurden mindestens 28 Verwundete eingeliefert. 10. Oktober (Donnerstag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 55 Verwundete eingeliefert. Im Zagreber Hotel “I” wurde vereinbart, daß der humanitäre Konvoi nach Vukovar von Đakovo aus fährt. 113 11. Oktober (Freitag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 25 Verwundete eingeliefert. Aufgrund des Widerstands der JNA konnte der Konvoi Vukovar nicht erreichen; er wurde in Marinci aufgehalten unter dem Vorwand, daß in einem Krankenwagen eine Handbombe gefunden wurde. Der Hilfskonvoi mußte nach Vinkovci zurückkehren. 12. Okotber (Samstag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 30 Verwundete eingeliefert. Der Hilfskonvoi wurde wieder aufgehalten. Sein Eintreffen in Vukovar knüpfte die JNA an Bedingung an, daß die Kaserne der JNA in Borongaj in Zagreb deblockiert wurde. 13. Oktober (Sonntag): Kroatische Armee und Polizei versuchten den Belagerungsring um Vukovar zu brechen, aber der Gegenangriff auf Marinci scheiterte. Ins Krankenhaus wurden mindestens 31 Verwundete eingeliefert. Der Hilfskonvoi (67 Fahrzeuge) traf in einen Vorort Vukovars ein, aber er mußte über Petrovci und nicht wie vereinbart über Marinci und Bogdanovci fahren. Nach einem längeren Warten, statt ins Krankenhaus, lenkte die JNA den Konvoi in ihre Kaserne ab. Er wurde geplündert und wieder nach Vinkovci zurückgeschickt. Durch diese vorsätzliche Ablenkung vom abgemachten Weg, beabsichtigten die Befehlshaber der Jugo-Armee die außerordentlich starke kroatische Verteidigung in Sajmište zu brechen. Der Hilfskonvoi sollte aus Kaserne seine Fahrt in Richtung Krankenhaus fortsetzen. 14. Oktober (Montag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 23 Verwundete eingeliefert. 15. Oktober (Dienstag): Mehr als zehn Geschosse trafen das Krankenhaus; der Feuerwehrmann Đ. R. starb und der Kesselraum wurde zerstört. In der Stadt verloren mindestens 6 Personen ihr Leben, und ins Krankenhaus wurden mindestens 42 Verwundete eingeliefert. Die Leiterin des Hilfskonvois Frau Vera Stanić (mit Mädchennamen Pivčević) hielt eine Pressekonferenz ab. 16. Oktober (Mittwoch): In der Stadt wurden mindestens 7 Personen getötet und ins Krankenhaus mindestens 51 Verwundete eingeliefert. 114 17. Oktober (Donnerstag): Die Kroaten wurden aus Ilok vertrieben. Ins Krankenhaus wurden mindestens 47 Verwundete eingeliefert. 18. Oktober (Freitag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 28 Verwundete eingeliefert. 19. Oktober (Samstag): Ins Krankenhaus brachte man ein in einem Vorhang eingewickeltes sechs Monate altes Baby aus Mitnica. Es handelte sich dabei um einen kleinen Jungen (I. K., geb. am 1. April 1991), den eine Granate der JNA tötete. Sein Vater (P. K.) und seine Großmutter waren verwundet. Die Großmutter mußte einer Operation (Amputation des rechten Armes), die sie fast nicht überlebte, unterzogen werden. Ins Krankenhaus wurden mindestens 18 Verwundete eingeliefert. Skizze der Durchfahrt des humanitären Konvois „Ärzte ohne Grenzen“ von N. Mikanovci aus bis Vinkovci (die Skizze ist eine Schenkung von Zlatko Ivković) 115 In Begleitung der Vukovarer Verteidiger, die dem Hilfskonvoi in einem Pkw Zastava-101 vorgefahren haben, erreichte der Hilfskonvoi “Ärzte ohne Grenzen” um 10 Uhr das Krankenhaus. Der Konvoi fuhr über den sog. “Maisweg” von Bogdanovci aus und stand unter Leitung von Dr. Alain Destexe und Herrn Martin Jean Michel, einem Beobachter der Europäischen Gemeinschaft. Dazu gehörte auch ein “Verbindungsoffizier” der JNA. Der Konvoi übernahm bis 12,30 Uhr 113 Schwerverwundete und Patienten; ein Mann (L. V., 72 Jahre alt) starb während der Fahrt (an Verbrennungen). Ein verwundeter Soldat der JNA, den man im Vukovarer Krankenhaus behandelte, verließ den Konvoi in Petrovci und wurde nach Beograd transportiert. Der Konvoi setzte seine Fahrt um 13 Uhr fort, mit der Absicht später von Nuštar wieder zurückzukehren und die übriggebliebenen Verwundeten abzuholen, aber während der Fahrt über das unter der Kontrolle der JNA stehende Gebiete, verletzte eine unter einem Fahrzeug untergeschobene Mine zwei Krankenschwester – Fabienne Schmit und Ghislaine Jacquier, schwer. Sie wurden nach Beograd in ein Miliärkrankenhaus transportiert. Die Minen legten unter das Fahrzeug die Diversanten der JNA während sich der Hilfskonvoi entlang der Maisfelder bewegte. Die Diversanten waren die Soldaten des Aufklärungs- und Diversionszentrum in Pančevo, die auf dieses Gebiet versetzt worden waren, als der erste Hilfskonvoi am 11. Oktober organisiert wurde. Da die Jugo-Armee immer wieder den Hilfskonvoi stoppte, dauerte die Evakuierung von durchgefrorenen und dehydrierten Verwundeten auf das freie Gebiet der RH bei Regen und Kälte anstatt 2 mehr als 11 Stunden. Die JNA machte dadurch die Fortsetzung der Durchfahrt über Bogdanovaci und Marinci, die zwischen den Vertreter der kroatischen Behörden und der JNA vereinbart wurde, unmöglich. Der Konvoi mußte vor Bogdanovci umkehren und den folgenden Weg nehmen: Vukovar – Petrovci – Oriolik - Sremske Laze – Ilača – Tovarnik – Šid – Vašica – Batrovci – Lipovac – Bošnjaci – Županja, wo man in der Nacht, um 1,30 Uhr eintraf. Von dort wurden dann die Verwundeten weiter über Cerna und Vođinci nach Stari Mikanovci, Đakovo und Zagreb transportiert. 20. Oktober (Sonntag): Im Krankenhaus blieben 170 Verwundete und 70 Kranken, Schwangere und Neugeborene. Die Vorräte an Arzneimitteln, Infusionslösung, Blutderivaten und Sanitätsmaterial wurden immer kleiner. Man hatte nur noch einige Sauerstoffund Stickstoffoxydflaschen. Ins Krankenhaus brachte man 8 Verwundete und 3 identifizierte Leichen. 21. Oktober (Montag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 24 Verwundete eingeliefert. Im Zeitraum von 25. August bis 21. Oktober verzeichnete das Krankenhaus 267 116 getötete Menschen, davon 165 erwachsene Zivilisten, 4 Kinder, 11 Polizisten und 87 kroatische Soldaten. 22. Oktober (Dienstag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 8 Verwundete eingeliefert. Die Medikamente wurden fast alle verbraucht. Wegen der gefährlichen Straßenfahrt nach Vukovar, schlug man vor, daß die Arzneien mit einem Hubschrauber in die unmittelbare Nähe des Krankenhauses, bzw. in den städtischen Fußballstadion abgeworfen werden. 23. Oktober (Mittwoch): Als Folge des Angriffs, der von 12 bis 17 sati andauerte, als 30 großkalibrige Granaten das Krankenhaus trafen, brach ein Feuer aus. Der Brand gefährdete die Verwundeten und zerstörte Neben- und Lagerräume. Eine der Granaten schlug in den Eingang des Schutzkellers ein. Die Krankenschwester (M. B., 50 Jahre alt) war schwer verletzt: sie wurde ein Invalid. Ins Krankenhaus, in welchem einige Fälle vom Gasbrand ausgebrochen waren, wurden mindestens 26 Verwundete eingeliefert. Im Krankenhaus befanden sich zur Zeit mehr als 200 Verwundete und 70 Kranke. 24. Oktober (Donnerstag): Der Schutzkeller wurde beschossen; alle 15 Minuten fiel auf die Stadt eine Granate. Dr. V. Bosanac erließ im Kroatischen Fernsehen einen Aufruf, in dem sie wieder um Hilfe bat. Ins Krankenhaus wurden mindestens 5 Verwundete eingeliefert. 25. Oktober – Internationaler Tag der Blutspende (Freitag): Die JNA besetzte Tordinci. S. I. (geb. 1970) wurde durch eine Phosphorbombe verletzt. Ins Krankenhaus wurden mindestens 19 Verwundete eingeliefert. Im Krankenhaus befanden sich zur Zeit 210 Verwundete und 30 andere Patienten. Dr. Edin Zujović, ein Freiwilliger aus Zagreb, und Željka Zgonjanin, Leiterin des kroatischen Roten Kreuzes in Vukovar, organisierten zusammen mit anderen Krankenhausangestellten eine Blutspendenaktion im Schutzkeller in Borovo Naselje. Es kamen 70 freiwillige Blutspender. In der Stadt gab es zur Zeit etwa 15.000 Menschen (Kroaten, Serben, Ungarn, Russinen und andere Nationalitäten), darunter mehr als 2000 Kinder. Seit zwei Monaten sahen sie alle kein Tageslicht. Den Menschen drohten Hunger und Seuchen. 117 26. Oktober (Samstag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 17 Verwundete eingeliefert; in einigen Berichten aber wurden 21 Verwundete und 2 Leichen verzeichnet. 27. Oktober (Sonntag): Bis 12 Uhr wurden 9 Verwundete eingeliefert, bis zum Abend waren es insgesamt 43. Zu dieser Zeit befanden sich im Krankenhaus 209 Verwundete, davon 60 - 70 % Zivilisten. An diesem Tag starben mindestens 5 Personen. 28. Oktober (Montag): In der Nacht trafen Vukovar mehr als 500 Geschosse. Der Morgen war ein bißchen ruhiger. Ins Krankenhaus wurden mindestens 7 neue Verwundete eingeliefert. Das Krankenhaus war völlig zerstört. In seinem Atomschutzkeller und Souterrain befanden sich 220 Verwundete. 29. Oktober (Dienstag): In Olajnica tötete eine Granate zwei Jungen, 13 und 14 Jahre alt, und verletzte weitere 6 Zivilisten. Ins Krankenhaus wurden mindestens 29 Verwundete eingeliefert. 30. Oktober (Mittwoch): In der Stadt wurden mindestens 2 Personen ermordet. Das Krankenhaus nahm mindestens 9 Verwundete auf. 31. Oktober (Donnerstag): ... Seit 6 Uhr früh fallen die Geschosse in einer immer größeren Zahl überall auf die Stadt, von Petrova Gora und Negoslavci aus feuert man Minen und Granaten ab, und in der Batschka kommen Mehrfachraketenwerfer zum Einsatz. Den ganzen Tag lang zerstörten mehr als 5000 Geschosse immer wieder noch übriggebliebene Trümmer und alle Objekte, für welche man in Heerlagern vermutete, daß sie Menschen verbergen könnten. Natürlich auch das Krankenhaus wurde wiederholt als Schießscheibe aufgefaßt. (...) Nach fünf Anflügen, fiel eine aus sechs MIG 21 bestehende Formation über die Stadt her, und bombardierte alles was sie noch konnte. Auf das Krankenhaus feuerte sie sogar Raketen ab (Auszug aus dem Bericht von Siniša Glavašević, Kroatischer Radiosender Vukovar). Die Treffer der Schwerartillerie der JNA aus der Vojvodina und aus Richtung ŠidNegoslavci, beschädigten das Krankenhaus schwer. Ein Teil des Gebäudes stürzte 118 und die Scherben fielen auf die Patienten. Um 13 Uhr forderte die Direktorin des Vukovarer Kriegskrankenhauses eine dringende Feuereinstellung auf. Um 13,45 Uhr warfen die Kampfflugzeuge der JNA zwei Bomben auf das Krankenhaus ab. Eine Bombe explodierte in der Erde oberhalb des Schutzkellers und verschüttete seinen Eingang, wobei Beton und Trümmer auf Patienten P. T. (34 Jahre alt) stürzten. Der Mann wurde schwer verletzt, aber er überlebte. Die zweite Bombe explodierte vor dem Eingang und schlug einen 3-4 tiefen Trichter in den Hof ein. Die Giftgase stopften den ganzen Schutzkeller voll. Am Nachmittag verursachten die Granaten zwei Brände, die fast auf das Krankenhausgebäude übergriffen. Während der Nacht fiel eine Granate vor dem Rettungsdienst. Das Feuer fing drei Rettungswagen und dem Krankenhaus blieb nur ein einigermaßen gut erhaltener Sanitätswagen übrig. Ins Krankenhaus wurden 8 Leichen und mindestens 25 Verwundete eingeliefert. 1. November (Freitag – Allerheiligentag): Am Vormittag wurden ins Krankenhaus 5 Verwundete, bis zum Ende des Tages mindestens 31 eingeliefert. 1./2. November: In der Nacht während ihres ersten Einsatzes warf die Besatzung des Selbständigen Luftfahrtzuges, der bei der Operationszone Osijek aufgestellt wurde, aus einem sonst in der Landwirtschaft einsetzbaren Zweiflügler des Typs AN-2 fünf Kisten und zwei Sauerstoffflaschen ab. 2. November (Samstag): Durch den Durchbruch bei Lužac verkeilte sich der Feind zwischen Vukovar und Borovo Naselje und zerlegte dadurch die Stadtverteidigung in zwei Teile. Der Versuch der Kroatischen Streitkräfte Marinci zu befreien und die Straße zu deblockieren scheiterte. Der Präsident der RH Dr. F. Tuđman lobte das Vukovarer Krankenhaus „für seine Opferbereitschaft und erfolgreiche Arbeit bei der Versorgung von verwundeten Soldaten und Zivilisten unter unmöglichen Arbietsbedingungen“ während der Angriffe „der serbischen Terroristen und Jugoslawischen Armee“. In den Nachmittagsstuden wurde der Kesselraum getroffen und ein Granatsplitter tötete Arbeiter I. R. – Vater vierer Kinder. Auch Wäscherei und Küche waren nicht mehr zu retten. Der Transport von Verwundeten war außerordentlich schwer und gefährlich, da die Granaten immer wieder den Krankenhauseingag trafen. Ins Krankenhaus wurden mindestens 32 Verwundete eingeliefert, einigen Berichten nach sogar 87. Unter ihnen, in einem schwerden Zustand, wurde auch der Reservist der JNA A. M. aus Svetozarevo, aufgenommen und operiert. Nach einer Verwundung 119 wurde er am 25. Oktober aus dem Militärkrankenhaus der JNA entlassen und an die Front zurückgeschickt; infolge der erlittenen schweren Verletzungen starb er während der Nacht. 3. November (Sonntag): Am Vormittag wurden 18 Verwundete, bis zum Ende des Tages mindestens 52 eingeliefert. Im Krankenhaus befanden sich zur Zeit etwa 350 Verwundete, hauptsächlich Frauen und Kinder. Die Lage war äußerst kritisch; Vorrat an Arzneimitteln wurde immer kleiner und Wasser- und Lebensmittelversorgung war sehr unregelmäßig. Bis 18 Uhr, einschließlich den 2. und 3. November, starben in der Stadt mindestens 24 Personen. 4. November (Montag): In einem Schreiben an die Beobachter der Europäischen Gemeinschaft und andere Staatsmänner, teilte die Direktorin des Krankenhauses mit, daß im Krankenhaus 370 Verwundete untergebracht wären, daß das Feuer nicht aufhöre und nur an diesem einen Tag das Krankenhaus mehr als 90 Treffer erleben würde. Ins Krankenhaus wurden mindestens 80 Verwundete eingeliefert. 5. November (Dienstag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 55 Verwundete eingeliefert, darunter auch ein Soldat der JNA (B. G., geb. 1972). Gestern und heute sind in Kämpfen mindestens 11 Verteidiger gefallen. 6. November (Mittwoch): Ins Krankenhaus wurden mindestens 55 Verwundete eingeliefert. Unter diesen schweren Umständen befinden sich im Krankenhaus mehr als 350 Verwundete. Mindestens 5 kroatische Verteidiger sind gefallen. Möge uns Gott helfen Helden! Brüder Serben, heldenhafte serbische Tschetniks, heute werdet ihr in den Krieg ziehen. Ihr werdet serbisches Vukovar befreien und serbisches Slawonien abwehren. Ihr werdet sich anderen hunderten und tausenden unseren Freiwilligen anschließen. Ihr kommt aus allen Teilen des heutigen Kleinserbiens um den Ruhm für serbische Waffen zu ernten. Ihr werdet mit Verbänden der JNA kooperieren, weil sie unsere Armee ist. Sie ist vor allem eine serbische Armee, was die Struktur ihrer Führungskräfte und besonders ihr Kampf für die Rettung der serbischen Länder und Territorien beweisen. (Auszug aus der Rede des Vorsitzenden der serbischen Radikalen Partei und Tschetnikführers Vojislav Šešelj, die er am 6. November 1991 120 für die Freischärler in Serbien vor ihrem Abmarsch in Richtung Kroatien hielt; Quelle: NTV Studio B) 7. November (Donnerstag): Die Geschosse trafen das Krankenhaus wieder. Ein Teil des Gebäudes stürzte auf Patienten, hauptsächlich Zivilisten. Die Behauptungen von Dr. Vesna Bosanac über die Angriffe der JNA und serbischen Paramilitärs auf das Krankenhaus bestätigten durch ihre Unterschriften auch die verwundeten Soldaten der JNA, die im Krankenhaus behandelt wurden: S. J. – Zugführer aus Beograd, P. T. – Reservist der JNA aus Sombor, S. M. – Soldat aus Niš. Ins Krankenhaus wurden mindestens 6 Verwundete eingeliefert. 8. November (Freitag): Ins Krankenhaus wurden 75 Verwundete eingeliefert und unter dramatischen Umständen 35 komplizierte Operationen ausgeführt. In der Nacht transportierte man die Verwundeten zum letzten Mal vom Krankenhaus in die Fabrik “BorovoCommerce”; 30 Verwundete und ihre Fahrer riskierten dabei ihr Leben. Nachts warf wieder Selbstänidger Luftfahrtzug mit dem Flugzeug AN-2 sechs Kisten mit Sanitätsmaterial ab. Jede wog 120 kg: aber es schien, daß nur zwei davon in die Hände des Personals gelangen: u.a., in einer waren 24, in anderer 20 Blutdosen. 9. November (Samstag): Für Kroatischen Radiosender berichtet Siniša Glavašević: Der Befehlshaber der kroatischen Verteidigung in Vukovar Jastreb (Habicht), hob das Verbot bezüglich der informativen Berichterstattung auf, aber die Verteidigung von Vukovar steht vor einem Zusammenbruch. ... In diesem Augenblick in den Trümmern des Vukovarer Krankenhauses, die seit langem eine Schießscheibe für Granaten und Minen darstellte, verstecken sich 450 Verwundete. Die medizinischen Teams machen alles was sie können, um die Ausbreitung einer Infektion zu verhindern. Infolge der Ausführung der schweren chirurgischen Eingriffe macht sich schon seit geraumer Zeit ein Mangel an erforderlichen Arzneimitteln und entsprechendem Sanitätsmaterial bemerkbar. Darüber wird heute Abend im Kroatischen Fernsehen der zuständige Facharzt für Transfusion Dr. Edin Zujović sprechen. ... (aus dem Bericht von Siniša Glavašević für Kroatischen Radiosender) Für die Tageschronik berichtet Siniša Glavašević: ... In der letzten drei Tagen trafen das Krankenhaus mehr als 300 Geschosse, der ganze Fuhrpark wurde vernichtet, was den Transport der Verwundeten von der Front bis zum Krankenhaus gefährdet. Auch einige Operationssäle sind außer Betrieb, usw. Die Blutgruppe “0” fehlt und Kroatien versprach Vukovar wieder Hilfe. Doch die Lage entlang der ersten Kampflinie ist aussichtslos. ... 121 (aus dem Bericht von Siniša Glavašević für die Tageschronik) Im Krankenhaus wurde nach nur 25 Wochen Schwangerschaft ein Kind vorzeitig geboren. Es war 800 g schwer und mußte in den Brutkasten im Atomschutzkeller gebracht werden. Am Nachmittag brachen im Kreis des Krankenhauses zwei Brände aus, die mit viel Mühe gelöscht werden konnten. Die Direktorin des Krankenhauses Dr. V. Bosanac verlangte eine eilige Evakuierung von 450 Verwundeten, Kindern, Schwangeren und Babys. Ins Krankenhaus wurden mindestens 8 Verwundete eingeliefert. In der Stadt kamen 5 Personen ums Leben, zwei davon aufgrund der erlittenen Wunden. 10. November (Sonntag): Die JNA griff die Priljevska Straße von Lužac aus an, mit dem Vorhaben die Überführung in Richtung Stadtzentrum zu besetzen, und um eine Verbindung mit ihren Verbänden in der Trpinjska Straße herzustellen. Die JNA konnte das Gebiet um Milovo Brdo und Slavija besetzen, und dadurch Mitnica vom Stadtzentrum trennen. Die Verteidigung wurde jetzt an zwei Stellen durchbrochen und die Verteidiger in drei abgeschnittene Stützpunkte zusammengepreßt. Die JNA und die serbischen Paramilitärs besetzten Bogdanovci und massakrierten die nicht-serbische Bevölkerung. Ins Krankenhaus wurden mindestens 31 Verwundete eingeliefert. Wegen der Blockade der Straßen legten 15 kroatische Gardisten einen etwa 5 km langen Weg zu Fuß zurück – um 5 schwer verwundete Mitkämpfer ins Krankenhaus zu bringen (aus Borovo). Drei Verteidiger erlitten kranio-cerebrale Verletzungen. 11. November (Montag): Bis zum Mittag wurden 12 und bis zum Abend mindestens 25 Verwundete eingeliefert. Aufgrund der anhaltenden Bombardements und Straßenblockaden konnten die Leichtverwundeten nicht aus dem Krankenhaus entlassen, nach Hause geschickt oder in andere Unterkünfte transportiert werden. In einem an die Europäische Gemeinschaft erlassenen Aufruf der Direktorin Dr. V. Bosanac wurde angegeben, daß sich im Krankenhaus 680 Menschen befinden, darunter 480 Verwundete und Patienten. 12. November (Dienstag): Ins Krankenhaus wurden 9 Verwundete eingeliefert, darunter 6 Zivilisten. Während der Nacht stellte ein Flugzeug ein letzes Mal Hilfe für die Verteidiger und das Vukovarer Krankenhaus zu: man warf 6 Kisten je 150 kg mit Panzerabwehrraketen, Munition für Infanterie und Sanitätsmaterial ab. Gewiß wurden gleich unter dem Deckel einige Stangen Zigaretten gelegt. 122 Vukovar, November 1991 (Autor: Christopher Morris) 13. November (Mittwoch): Der Versuch der Kroatischen Armee das Dorf Marinci und die Straße nach Vukovar zu befreien, scheiterte. Von 9 bis 16 Uhr wurde das Krankenhaus mehr als 60 mal getroffen. Und der Angriff ging weiter. Die Küche war vollkommen verschüttet, wie auch das Souterrain der Neurologie, wobei zwei Patienten, die auf dem Fußboden lagen, durch die Granatsplitter verwundet wurden. Um 16,20 Uhr veröffentlichte Dr. V. Bosanac einen neuen Bericht über die Lage des Krankenhauses. Der Gasbrand nahm schon das Leben zweier Patienten, und drei weitere erkrankten. Auch neue Infektionen breiteten sich aus, weil es kein Wasser gab, und Arznei- und Lebensmittel verschwanden allmählich. Ins Krankenhaus wurden mindestens 7 Verwundete eingeliefert, nach einigen Berichten aber sollte ihre Anzahl größer sein (am frühen Morgen sollten es schon 14 neue Verwundete aufgenommen worden sein). Da kommt Šešelj (Vojislav, Vorsitzender der serbischen Radikalen Partei, Anm. des Autors) mit seinem Gefolge, um die Soldaten an der Front zu besuchen. Eigentlich gibt es hier keine Front. In dem Teil Vukovars, in dem wir uns befinden, leben hauptsächlich Serben und die Zerstörung ist eher gering. Die heimische Bevölkerung eigentlich die Kämpfer der Territorialverteidigung, kennen die Straßen mit welchen sich man dem Zentrum nähern kann. Aber auch dieses Vorhaben verbirgt in sich einige Gefahren. 123 Die Scharfschützen sind ständig im Einsatz. Šešelj verabredet ein Zusammentreffen mit Befehlshabern der JNA, der Territorialverteidigung und der Freischärler. In einem Haus in der Straße Nova steht der Tschetnikführer in seiner Militäruniform und mit einem um den Hals eingewickelten Maschinengewehr. Seine Leibwächter mit versteinertem Gesichtsausdruck versuchen versteckte Gefahr zu entdecken. Eigentlich ist das alles lächerlich. Auch Šešelj und seine Offiziere und andere Kommandanten mit ihren Bärten, Kokarden und Dolchen. Alle stehen still und begrüßen ihren Führer. “Wir sind alle eine Armee”, sagt Šešelj. “Aber wessen Armee” – fragt Hauptmann Saša Bojkovski (Kommandant der 1. motorisierten Abteilung des 1. motorisierten Bataillons unter dem Kommando des Majors Borivoj Tešić – später des Kommandanten der 1. Sturmeinheit der motorisierten Gardebrigade der JNA unter dem Kommando des Obersten Mile Mrkšić – des Kommandanten der Operationsgruppe Süd, Anm. des Autors). Der Führer überhört die Frage und setzt fort: „Hier gibt es keine Plünderer, keine Alkoholiker, keine Exzesse...“ Ich sehe, daß er seinen Freiwilligen, die ihm diese Lügen auftrugen, Glauben schenkt. Hier ist es sehr gefährlich, sobald es dunkel wird, sich auf die Straße zu begeben – alle sind betrunken und alle schießen. Eine Nacht hielten seine Freischärler ein wüstes Gelage und durch ein Fenster warfen sie eine Kiste voll mit Bomben in den Garten hinaus. „Ihre Kämpfer sind ausgezeichnet“ behauptet unterwürfig ein Obersleutnant. „Sie sind nicht meine Kämpfer, wir sind eine Armee“, antwortet Šešelj und setzt fort: „Dieser Krieg stellt eine Versuchung für die Serben dar. Wer hier durchkommt, wird einen Sieg davontragen. Aber der Verrat wird öfters begangen und ihr dürft nicht zulassen, daß die Leute unbestraft desertieren. Über die Armee werden viele Lügen verbreitet, die verräterischen Parteien hetzen auf, eben erst wurde jener Čanak, der unter den Ungarn in der Vojvodina Unruhen zu stiften versucht hatte, aufgelesen ....“ Alle hören aufmerksam zu, auch Major Veselin Šljivančanin (Vorsteher der „Sicherheitskräfte“ der motorisierten Gardebrigade, Anm. des Autors) und Hauptmann Miroslav Radić (Kommandant der 3. motorisierten Abteilung des 1. motorisierten Bataillons der 1. motorisierten Gardebrigade der JNA, Anm. des Autors), sowie einige anderen Offiziere. Im allgemein stützt sich der Tschetnikführer auf Halbwahrheiten und erklärt: „Wir haben das Konzept einer Jugoslawischen Armee und nicht einer serbischen entwickelt. Jetzt gibt es keine rechtliche Lage für eine Einmischung ausländischer Mächte, weil, wie sie sehen, hier eine Bundesarmee gegen die aufständischen Kroaten kämpft...“ Zum Schluß läßt er noch eine Botschaft zurück: „Keiner Ustascha darf Vukovar lebend verlassen“. Für die Mehrheit der Paramilitärs ist jeder Kroate ein Ustascha. Ich fürchte, niemand wird imstande sein, diesen Haufen im Zaum zu halten. Abends um 18.35 Uhr höre ich vom Hauptmann Bojkovski, daß etwa zwanzig unserer Kämpfer eine besetzte Straße verlassen haben, und daß man jetzt wieder um sie kämpfen sollte. Auch der Kommandant einer Abteilung der Territorialverteidigung Stanko Vujanović beklagt sich und behauptet: „Wir als Aufklärung nehmen das Gebiet ein, und dann sollten 124 die sog. Kehrer jeden Keller, Dachboden und Raum nach Ustascha durchsuchen. Aber sie plündern nur. Sie sind eigentlich nur eine Horde ...“ „Klar, sie sind wirklich gut beim Saubermachen“, mischt sich Bojkovski ein, „sie haben jede Schublade und jeden Schrank genau gesäubert“. (Authentische Aufzeichnungen des serbischen Journalisten Jovan Dulović, aufgeschrieben am 13. November 1991 um 17.30 Uhr; veröffentlicht unter dem Titel „Krvava priča“ in: Vreme, am 20. November 1995, S. 18-19.) 14. November (Donnerstag): Ins Krankenhaus wurden mindestens 8 Verwundete eingeliefert, nach einigen Berichten aber sollte ihre Anzahl größer sein (am frühen Morgen waren schon 12 neue Verwundete aufgenommen worden). Dr. Bosanac erlässt beharrlich ihre Aufrufe an die Weltöffentlichkeit. Im Schutzkeller waren 44 Kinder untergebracht und man versuchte für sie eine Evakuierung zu organisieren, wie auch für alle anderen Kinder, die krank, bedürftig und erschrekt in anderen Unterkünften und Schutzkellern der Stadt den Schutz suchten. Ein Mitarbeiter schlug ab, das Wasser vom Brunnen zu holen, da das Artilleriefeuer sehr heftig war. Statt seiner, holte das Wasser Dr. V. Bosanac. Heute Nacht fielen aus heiterem Himmel zwei Bomben etwa hundert Meter weiter vom Haus, in welchem wir uns aufhielten. Die Morgendämmerung fand uns im Keller. Bescheinigung des Kommandos eines Gefangenenlagers der JNA in Serbien von einem Einwohner von Vukovar, 2. Dezember 1991 125 Abkommen zwischen der Regierung der Republik Kroatien und der JNA über die Evakuierung von Verwundeten und Kranken aus dem Vukovarer Krankenhaus, 18. November 1993 (das Photo ist eine Schenkung von Dr. Juraj Njavro) 126 Šljivančanin sagte, die kroatischen Landwirtschaftsflugzeuge sollten zwei mit dem Sprengstoff gefüllten Boiler abgeworfen haben, was aber nicht sehr überzeugend klang, da ich die ganze Zeit über wach war, und außer des Schnarchens von Tomo Peternek hörte ich nichts. Später erklärte uns ein Mitglied der Besatzung des Raketenwerfers, daß man ungeschickt Vukovar mit Boden-Boden Raketen zu treffen versuchte. Die Zusammensetzung einiger Einheiten ist mir völlig unklar, ich weiß nicht wer ihre Kommandanten sind, wer wem gehorchen muß, und wer welche Aufgaben hat ... Es scheint, als ob alles nur eine Sache der Abmachung wäre. Innerhalb einer Abteilung, beispielsweise, gibt es fast keine Soldaten der JNA. Sie besteht aus Freiwilligen, Angehörigen der Territorialverteidigung, Freischärlern (Šešelj-Truppen) und anderem Gesindel. Und wer könnte einen Befehl einer Gruppe betrunkener Freiwilligen mit blutigen Augen und einer Kugel im Gewehrlauf eines Maschinengewehrs erteilen? Ich war vor einigen Tagen Zeuge eines Zwischenfalls, als einige Freischärler zwei Offiziere der JNA mißhandelten. Sie waren nicht weit davon entfernt, diese Offiziere ohne irgendeinen Grund zu erschiessen. Für einen Mord wird hier keiner zur Rechenschaft gezogen. Man greift auch dann erst an, wenn alle damit einverstanden werden. Und immer in Begleitung einer Schnapsflasche. Es ist mehr als deutlich, daß wenigstens wenn es sich um die Einheiten in dieser Straße (Nova) handelt, der einzige und elementare Beweggrund dieser sog. Kriegsführung nur ein gewöhnlicher Raub ist. Mir sind auch einige Fälle bekannt, in welchen sich man bei der Beuteverteilung gegenseitig umbrachte. (Authentische Aufzeichnungen des serbischen Journalisten Jovan Dulović, aufgeschrieben am 14. November 1991 um 4.30 Uhr; veröffentlicht unter dem Titel “Krvava priča” in: Vreme, am 20. November 1995, S. 19.) 15. November (Freitag): Seit 6 Uhr war die Stadt unter heftigem Beschuß. Die Granaten trafen auch das Krankenhaus. Einige Geschosse der Haubitzen landeten auf dem Dach des Schutzkellers. Am Nachmittag wurde auch die Unterkunft im Keller des zerstörten Schlosses Eltz getroffen. Auf der Stelle starben 9 Zivilisten, die mit noch 20 Mitbürgern schon seit Monaten dort lebten. Während des Angriffs starben eine Physiotherapeutin, ihr Mann Informatiker und ihr dreijähriger Sohn. Eine Mutter und ihre zwei Töchter (5 Jahre und 6,5 Monate alt) wurden verwundet. Ins Krankenhaus wurden mindestens 8 Verwundete eingeliefert, wo sich schon etwa 480 Verwundete befanden. Wegen der schlechten Arbeitsbedingungen infizierten sich mit Gasbrand 8 Patienten, und in den letzten drei Tagen starben drei von ihnen. Die Schrecken des Krieges in Vukovar nehmen kein Ende. Die am heutigen Tag einige tausend abgefeuerten Granaten legen die noch übriggebliebenen Ruinen und Trümmer in Schutt und Asche. Und bald werden sie auch ganz verwischt werden. Und das sogar sehr bald, weil die durchschlagenden Kanonen- und Panzergeschosse schon 127 die letzen Schutzkeller der noch lebenden Stadteinwohner verschütten. Heute hat ein Panzergeschoß einen baufälligen Schutzkeller getroffen und dabei 7 Menschen getötet und mehrere verwundet. Als ob die Verbrechen der JNA niemals aufhören werden. Die Stadt wird schon seit drei Monaten belagert, und die Greuel des Krieges werden immer schrecklicher. Kälte, Erschöpfung, Seuche und Unterernährung nagen jeden Tag immer mehr an diesen halbtoten Menschen. Sollen diese Menschen die Quallen eines Hungerund Dursttodes erleben? Die Kämpfe werden immer heftiger. Borovo Naselje sowie das Gebiet um Priljevo, Lužac und Sajmište sind auch heute ein Krisenherd, wo die Vukovarer Verteidiger für ihre Familien, für Ihre Stadt, für sich selbst und schließlich auch für Kroatien weiter kämpfen. Den Artillerie- und Infanterieverbänden des Feindes leisten müde und erschöpfte kroatische Soldaten auch heute einen starken Widerstand. Und ein solcher Widerstand übetraf alle unseren Erwartungen, alles was wir über die kriegerische Geschichte Kroatiens wußten. Wie lange werden noch die Geschichten über den Krieg in Vukovar erzählt und wieviel Leid muß noch erduldet werden, um die Tatsache zu akzeptieren – daß es kein kroatisches Vukovar mehr gibt? (Josip Esterajher aus Vukovar, für die Tageschronik des Kroatischen Radiosenders, am 15. November um 17 Uhr) 16. November (Samstag): Die heftigen Angriffe fingen schon am frühen Morgen an. Der Feind startete seine letzte Offensive. In Angst vor Tschetniks, die in die Stadt einzudringen und die Menschen in den Schutzkellern zu töten begannen, verließen immer mehr Zivilisten ihre Keller und Unterküfte in umliegenden Gebäuden. Sie trafen ins Krankenhaus ein, in der Hoffnung, hier würden sie besser geschützt. Ins Krankenhaus wurden mindestens 9 Verwundete eingeliefert. 17. November (Sonntag): Dr. Njavro und Dr. Vlahović operierten ein sechseinhalb Monate altes Mädchen S. V., dem ein Granatsplitter den Bauchfell durchbrach und den Darm zerriß. Die Luft im kalten „Operationssaal“ versuchte Dr. Kušt mit einem Fön zu erwärmen. Während des Eingriffs, erhielt das Mädchen die Bluttransfusion direkt von Blutspendern, bzw. vom medizinischen Personal. Nach dem Fall Vukovars, wurde sie in die Militär-Medizinische Akademie nach Beograd transportiert, wo sie den Fernsehkameras als ein „Opfer von Ustascha“ vorgeführt wurde. Die Verbannung verbrachte das Mädchen in Zagreb, wo sie wieder einer Operation in der Klinik für Kinderkrankheiten unterzogen werden mußte, und heute lebt sie in Vukovar. Für die Evakuierung der Verwundeten und Kranken, welche nach dem unterzeichneten Abkommen das Internationale Rote Kreuz mit Militärfahrzeugen der JNA durchführen sollte, wurde ein Verzeichnis mit allen gestellten Diagnosen verfaßt. Ins Krankenhaus wurden mindestens 13 Verwundete eingeliefert. 128 Diplomatische Initiativen der Kroatischen Regierung und der internationalen Staatengemeinschaft für die Rettung von Verwundeten, Frauen und Kindern aus Vukovar. Dr. Jan Van Houten, der Leiter der Beobachter, schickte ein eiliges Schreiben an General Rašeta, in dem er verlangte, daß den Beobachtern ein Zugang zu Vukovar ermöglicht würde, sowie daß die JNA für Frauen und Kinder Sicherheit gewährleiste. In der außerordentlichen Sitzung forderte die Kroatische Regierung den Generalstab der JNA auf, eine Pufferzone gegen Tschetniks zu bilden, um die zivile Bevölkerung zu retten und die Durchfürung der humanitären Aktionen zu ermöglichen. Die Regierung bestand auf einer dringenden Evakuierung der Bevölkerung über die Strecke Vukovar – Bogdanovci – Nuštar – Vinkovci in Begleitung der Beobachter und der Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes. 18. November (Montag): Für die Tageschronik berichtet Siniša Glavašević: … Wir werden Vukovar um 22 Uhr am 87. Belagerungstag nie aus der Erinnerung löschen können. Die gespenstischen Erscheinungen folgen endlos aufeinander, und man riecht den Geruch des Brandes. Wir laufen an Leichen vorbei, Trümmer und Glassplitter liegen überall herum und eine grausame Stille herrscht. Gleichzeitig ringen die Ärzte im Vukovarer Krankenhaus mit zahlreichen Problemen: mit 300 schwer und etwa 400 leicht verletzten Personen und auch mit Zivilisten, die im Krankenhaus eine Zuflucht suchen. Sie kämpfen auch um das Leben eines schwer verletzten fünfeinhalb Monate alten Babys, das Dr. Tomislav Vlahović heute Nachmittag operierte. Die Granatsplitter verletzten das Kind am Oberschenkel. Einem viereinhalb Jahre altem Mädchen wurde die Schulter zerschmettert. Vor kurzem hörte man auch über das schwere Leiden einer zukünftigen Mutter und ihres ungeborenen Kindes. Die Bürde solcher Vorfälle kann die heutige Zivilisation nicht ertragen. Der Gasbrand sollte nie mehr die Medizin beherrschen, das hoffen hier alle. In diesem Augenblick kommen die ersten Informationen über die beschlossenen Verhandlungen an. Der Hilfskonvoi soll morgen um 10,00 Uhr mit 600 Patienten wegfahren und die folgende Strecke nehmen: Vukovarer Krankenhaus, Priljevo, Lužac, Bogdanovci, Marinci, Zidine, Nuštar. Mit zivilen Unterkünften in Borovo wird morgen auch die Verbindung hergestellt werden, da dort noch etwa 200 Verwundete untergebracht sind. Sie werden auch in den nächsten Tagen an der Evakuierung der Bevölkerung teilnehmen. Wir hoffen, daß das Leiden in Vukovar nun beendet ist (Auszug aus dem Bericht von Siniša Glavašević für die Tageschronik; zwei Tage später ermordeten die serbischen Freischärler Siniša Glavašević in Ovčara). Die Streitkräfte der JNA und die serbischen Paramilitärs besetzten den größten Teil Vukovars. In Einklang mit dem Artikel 15 der Genfer Konvention, nach welchem das Krankenhaus im Zentrum der kriegerischen Auseinandersetzungen unter die 129 Kontrolle der Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes gestellt werden sollte, erreichten die Vertreter der RH, der JNA, des Internationalen Kommitees des Roten Kreuzes, der Ärzte ohne Grenzen und des Malteser Kreuzes, ein Abkommen über die Neutralität des Vukovarer Krankenhauses und die Evakuierung der Verwundeten und Patienten. Das Abkommen verpflichtete die RH und die JNA zur „Feuereinstellung auf dem Gebiet um Vukovarer Krankenhauses und entlang der Strecke der Evakuierung“, zur Anschaffung der „angemessenen Fahrzeuge mit entsprechendem Personal für etwa 40 Schwerkranke und 360 Verwundete, unter denen etwa ein Drittel eine Krankenbahre benötigte“, sowie zur Anerkennung der „Neutralität des Krankenhauses während der Evakuierung“. Die RH und die JNA waren damit einverstanden, daß die „Beobachtungsmission der Europäischen Gemeinschaft die ganze Aktion beaufsichtigt und alle Verfahrensebenen unbeschränkt überwacht“, welche „alle Verwundeten und Kranken, die im Vukovarer Krankenhaus behandelt werden, umfassen sollen und für welche die zuständigen Personen im Krankenhaus bestimmen werden, ob sie die Fahrt mitmachen könnten.“ Nach dem dritten Punkt des Abkommens sollte der Konvoi den nächsten Weg nehmen: Vukovar – Priljevo – Lužac – Bogdanovci – Marinci – Zidine. An dieser Straßenkreuzung sollte dann die Verantwortung für den Hilfskonvoi die kroatische Seite übernehmen. Die Vereinbarung unterzeichneten der Vertreter der Europäischen Beobachtungsmission J. M. Chenu, Vertreter der Kroatischen Regierung (Minister für Gesundheitswesen) Prof. A. Hebrang und Vertreter der JNA General A. Rašeta. Dr. V. Bosanac informierte um 10,10 Uhr die Europäische Mission, daß auf das Krankenhaus wieder das Artilleriefeuer eröffnet wurde. Die Beobachtungsgruppe der Europäischen Gemeinschaft für Vukovar meldete um 12,15 Uhr von Negoslavci, daß sich ihr Vertreter auf dem Weg zum Krankenhaus machen würde, falls ihm ein freier Zugang „zugelassen werden sollte“. Dr. V. Bosanac protestierte um 12,35 Uhr gegen die Europäische Mission, weil sie ihr Versprechen über die Kontaktaufnahme und den Beginn der Evakuierung der Verwundeten nicht eingehalten hat. Sie protestierte erneut um 15,40 Uhr, weil keine Vertreter der Internationalen Gemeinschaft oder des Roten Kreuzes am Eingang des „Krankenhauses mit mehr als 500 Patienten“ erschienen. Um 16,55 Uhr bekundete Dr. V. Bosanac wiederholt ihr Mißfallen in einem Anruf an die Europäische Mission, da keine versprochene Hilfe gekommen war. Ins Krankenhaus wurden mindestens 15 Verwundete eingeliefert. An diesem 18. November 1991 ist auch die letzte Bastion, der letzte Stützpunkt der Ustascha-Macht in Vukovar gefallen – Vukovarer Krankenhaus. Die Stadt wurde befreit, einst eine wunderschöne Stadt. Die menschliche Einbildungskraft ist sich nicht imstande diese Stadt zu diesem Zeitpunkt vorzustellen. Das war eine Stadt, die es nicht mehr gab, eine Stadt, in der die reine Hölle herrschte, voll Rauch, Brand, Leichen, Gestank und Trümmer. 130 Ehemals eines der schönsten Gebäude in der Stadt, vor 15 Jahren gebaut, galt dieses Krankenhaus als eines der am besten ausgerüsteten Krankenhäuser im ehemaligen Jugoslawien. Jetzt ist es praktisch verschwunden. Nach den Umrissen in Trümmern ist es sehr schwer zu erkennen, daß wir neben seinem Unterbau stehen. Früher verfügte dieses Krankenhaus über 450 Krankenbetten und alle erforderlichen Abteilungen mit entsprechenden subspezialistischen und Begleitdienstellen. Davon ist aber nichts übriggeblieben. Etwa 75 Prozent des Objekts wurde zerstört. (Vojska Krajine – das Blatt der Serbischen Armee Krajina, Nr. 7-8, Oktober-November 1993, S. 43; Auszug aus dem Text von Primarius Dr. Vojislav Stanimirović, Minister ohne Geschäftsbereich in der Regierung der Republik Serbische Krajina 1995, später Vorsitzender der Ünabhängigen Demokratischen Serbischen Partei und nach der Befreiung und der friedlichen Reintegration der okkupierten Teile der RH Abgeordneter im Kroatischen Parlament 2003 – 2008.) 19. November (Dienstag): Borovo Naslje wurde besetzt, aber ein Teil kroatischer Verteidiger setzte den Widerstand bis zu den frühen Morgenstunden des nächsten Tages fort. Einige von ihnen verließen Borovo Naselje erst am 23. November zurück. Um 9,01 Uhr warnte Dr. V. Bosanac in einem Anruf, daß sich bei ihr bezüglich der vereinbarten Evakuierung noch niemand gemeldet hatte. Im Kriegstagebuch der motorisierten Gardebrigade der JNA wurde angeführt, daß bei dem Kommando der Operationsgruppe Süd um 10 Uhr eine UN-Delegation unter der Anführung des Sonderbeauftragten des UN-Sekretärs Cyrus Vance eingetroffen war. Er war mit der Lage in Vukovar vertraut, aber aufgrund einer Videoaufnahme ist es festzustellen, daß ihm Major Veselin Šljivančanin einen Zutritt ins Krankenhaus verweigerte. Nach einem regelmäßigen Kampfbericht des Befehlshabers der Operationsgruppe Süd des Obersten Mile Mrkšić sollten die Soldaten der JNA bis 11 Uhr „Krankenhaus und Innenministerium“ besetzt haben. Sie stießen auf keinen bewaffneten Widerstand. Die JNA brachte gleich ihre 6 Soldaten weg, die mit anderen Patienten ärztlich versorgt wurden, darunter auch einen Verwundeten, den ein kroatischer Gardist auf seinen Armen bis zum Krankenhaus getragen und dabei sein eigenes Leben riskiert hatte. Im Kampfbericht der Jugo-Armee (1. Militärdistrikt) wurde angegeben, daß die motorisierte Gardebrigade zwei ihre am 2. Oktober 1991 verschwundenen Männer am 19. November aus dem Krankenhaus geholt hatte. Um 14 Uhr verlangte Dr. V. Bosanac in feindlichem Stützpunkt Negoslavci vom Obersten der JNA M. Mrkšić, dem Befehlshaber der motorisierten Gardebrigade und der Operationsgruppe „Süd“, daß das internationale Abkommen über die Evakuierung der Verwundeten durchgeführt wird. 131 Um etwa 17 Uhr marschierten ins Krankenhaus die Kämpfer der berüchtigten serbischen paramilitärschen Einheiten ein. Einige der Mitarbeiter wurden gleich mitgenommen: Zlatko Jurčević war in serbischen Internierungslagern bis zum 12. Dezember 1991 gefangengehalten und Marko Mandić verschwand. Der Beauftragte der Regierung der RH für Vukovar Marin Vidić – Bili und die Direktorin des Medizinischen Zentrums Vukovar Dr. Vesna Bosanac wurden gefangengenommen und nach Negoslavci abgeführt; man brachte sie um 6 Uhr früh zurück. Ins Krankenhaus wuruen mindestens 3 Verwundete eingeliefert. In einem Dokument vom 19. November wurde erwähnt, daß an diesem Tag in den frühen Morgenstunden in Zagreb ein Zusammentreffen statttfand, bei dem „Seine Exzellenz der Botschafter der Beobachtungsmission der Europäischen Gemeinschaft Chenu, Dr. Andrija Hebrang, Minister für Gesundheitswesen und General Rašeta als Stellvertreter des Befehlshabers des 5. Militärdistrikts“ anwesend waren. Aus diesem Dokument geht hervor, daß eigentlich zwei Treffen stattfanden (der erste am 18. und der zweite am 19. November). Aber Dr. Andrija Hebrang behauptet, daß nur das erste Zusammentreffen abgehalten und der zweite absichtlich falsch angegeben würde, damit man jede Verantwortung für die am 18. November, den 1. Tag der Okkupation, begangenen Verbrechen vermeiden konnte. Ansonsten wurde darin auch die „Errichtung einer neutralen Zone auf dem Gebiet um das Vukovarer Krankenhaus unter dem Schutz des Internationalen Komitees des Roten Kreeuzes (IKRK), in Übereinstimmung mit dem Artikel 15 der Vierten Genfer Konvention“ vereinbart. Der Zugang zu dieser neutralen Zone sollte auf „kranke und verwundete Zivilisten, die nicht in die kriegerischen Auseinandersetzungen verwickelt waren, sowie auf das medizinische und administrative Personal des Krankenhauses und Delegate des IKRK“ beschränkt werden. Den „Zutritt anderer Personen sollte das IKRK bewilligen“. Die Regierung der RH und die JNA verpflichteten sich „zu einer weitreichenden Zusammenarbeit mit dem IKRK, um die Durchführung des Abkommens zu sichern, das am 19. November um 20 Uhr örtlicher Zeit in Kraft treten und solange gelten sollte, bis es eine Seite in schriftlicher Form wenigstens 12 Stunden im voraus nicht kündigt“. Im Punkt 10 der Abmachung stand es, daß man beschlossen hatte, „die mündlich abgeschlossene Vereinbarung, die gestern am 19. November 1991 zustandegebracht wurde, anstatt einer Unterschrift für gültig zu erklären“. Das erwähnte Abkommen führte die JNA nie aus. Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes veröffentlichte am demselben Tag eine „Pressemitteilung über die Evakuierung des Vukovarer Krankenhauses“, in der erklärt wurde, daß „eine Abmachung über die Evakuierung am 20. November errreicht worden war, daß beide Seiten die Sicherheit des Konvois gewährleisten, daß die Evakuierung um 8 Uhr beginnt, daß die JNA alle evakuierten Personen den kroatischen Behörden um 11 Uhr bei Zidine übergeben wird, daß der Konvoi die Strecke Vukovar – Priljevo – Lužac – Bogdanovci – Marinci – Zidine nimmt, und 132 daß der ganze Vorgang in Einklang mit Völkerrecht durchgeführt wird, einschließlich der Bestimmungen der Genfer Konvention über das Recht der Kriegsgefangenen in einem Krankenhaus unter der Bewachung des Roten Kreuzes eine andere Lokalität zur Erholung zu wählen, sowie daß das Vukovarer Krankenhaus zu einer neutralen Zone proklamiert und daß die Evakuierung von der Erfüllung der Sicherheitsvorrichtungen abhängen wird”. Der Bundessekretär für Volksverteidigung und Generalstabschef des Oberbefehls General Veljko Kadijević lobte den Einsatz der JNA-Befehlshaber und ihrer Truppen in Slawonien: den Kommandanten des 1. Militärdistrikts General-Oberstleutnant Života Panić, Kommandanten der Operationsgruppe Nord Generalmajor Andrija Biorčević, Kommandanten der Operationsgruppe Süd Obersten Mile Mrkšić, Befehlshaber des “1. Luftfahrtskorps” Obersten Branislav Petrović und Befehlshaber der Luftabwehr Obersten Branislav Petrović. Einige von ihnen erreichten gleich oder sehr bald darauf einen höheren Rang, bzw. eine Beförderung: Života Panić wurde Generaloberst, Mile Mrkšić Generalmajor, Veselin Šljivančanin und Borivoje Tešić Oberstleutnant und Miroslav Radić Hauptmann. Die Soldaten der JNA bewachten während der Nacht das Krankenhaus. Kein Mitarbeiter des Personal durfte das Krankenhaus verlassen. Einige versammelten Vukovar, 1991/1992, Folgen der serbischen Aggression 133 sich in der Küche und sangen ein Volkslied über Vukovar – Moj lijepi Vukovar (Mein schönes Vukovar). Im Krankenhaus waren etwa 700 Mitarbeiter und Patienten untergebracht: davon 420 Kranke und Verwundete (mehr als 200 Schwerverletzte) sowie 45 Familienmitglieder des medizinischen Personals und etwa 3000 Zivilisten, die aus den Kellern und Ünterkünften in der näheren Umgebung eingetroffen waren. 20. November (Mittwoch): Ganz anders als es nach dem “Protokoll des Abkommens über die Neutralität und Evakuierung des Vukovarer Krankenhauses” vorgesehen wurde, marschierten die Soldaten der JNA unter dem Kommando des Majors Veselin Šljivančanin ein. „Ihr seid die Zeugen, daß die Internationale Kommission bei der Erledigung ihrer Aufgabe immer wieder verhindert wird. Sie kann nicht für die sich hier ereigneten Vorfälle zur Verantwortung gezogen werden. Mir wurde der Zutritt zum Krankenhaus verweigert.“ (Aussage von Nicolas Borsinger, Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes). Um 7,30 Uhr teilte der Offizier der JNA Major V. Šljivančanin dem in der Vorhalle beim Krankenhausausgang versammelten medizinischen Personal mit, daß von nun an die militärischen Gesetze gelten würden, sowie daß Dr. V. Bosanac ihres Amtes enthoben sei. Seine Rede dauerte länger als eine Stunde. Das Personal und die Patienten sollten sich entscheiden ob sie im Krankenhaus unter der Aufsicht der JNA bleiben oder nach Zagreb, Novi Sad oder ins Aufnahmezentrum nach Šid fahren. Währenddessen beschlagnahmte die JNA alle Krankenakten, und ihre Soldaten führten durch einen Nebenausgang etwa 400 Männer ab: Verwundete, Mitarbeiter des Personals und ihre Familienmitglieder sowie andere Zivilisten; viele von ihnen kehrten nie wieder zurück; mindestens 267 Personen wurden hingerichtet, die größte Anzahl in Ovčara, wo 200 Personen erschossen wurden, darunter 20 Mitarbeiter des medizinischen Personals. Am Vormittag wurden alle Schwerverwundeten und Schwerkranken zu den Sanitätswagen und alle Leichtverwundeten und –kranken sowie das Personal und Zivilisten zu den Bussen gebracht. Die bettlägerigen Patienten erhielten die Plastiktüten mit ihrer Dokumentation und andere trugen ihre Dokumente bei sich. Der Konvoi fuhr um 16 Uhr weg bis zur Kaserne der JNA. Nach einem langen Warten konnte er dann seine Fahrt nach Negoslavci statt wie vereinbart nach Nuštar fortsetzen. An der Spitze des Hilfskonvois fuhr ein Wagen der JNA vor, dem ein Wagen mit den Vertretern des Internationalen Roten Kreuzes und ein Panzertransporter der JNA, Sanitätsund Rettungswagen und am Ende der Kolonne die Busse folgten. In Negoslavci, wo der Hilfskonvoi aufgehalten wurde, bedrohten die heimische Bevölkerung und die Tschetniks die Verwundeten und das Personal. Nach großen Problemen und Mißhandlungen erreichte der Konvoi um 21 Uhr die Kaserne der JNA in Sremska Mitrovica. Etwa 120 Schwerverwundete übernachteten im Krankentrakt der Kaserne 134 und das Personal in Bussen im Kasernenhof. Während der Fahrt starb G. S. (32 Jahre alt), die im fünften Monat schwanger war. Im Krankentrakt der Kaserne am nächsten Morgen starb K. O. (85 Jahre alt). Im Vukovarer Krankenhaus blieben 54 Verwundete, die auf das freie Gebiet Kroatiens transportiert werden wollten, darunter Priester Smiljan Berišić, Oberkrankenschwestern und Ordensschwestern Ana Zdravčević und Jela Tomašević sowie Krankenschwestern aus Zagreb, die als Aushilfe nach Vukovar gekommen waren,Vesna Belinić (ärztliches Instrumentarium) und Zorica Ganić (Anänsthetikerin). Einige Verwundete und die Mitarbeiter des Personal äußerten den Wunsch zu bleiben. Darunter waren es manche, die demnächst ihre bisherigen Kollegen als Ustascha bezeichneten und bald darauf in Uniformen der JNA zu sehen waren. Am 20. November wurden aus dem Krankenhaus der Medizintechniker Ante Arić (bis 12. Dezember in serbischen Internierungslagern gefangengehalten) und der Mitarbeiter der Logistik Zvonko Vulić (gilt als vermißt) fortgeschleppt. Die JNA hat in Sremska Mitrovica Dr. Vesna Bosanac, Dr. Juraj Njavro und Dr. Sadika Biluš, und in Lagern Stajičevo und Niš Dr. Ivan Dasović, Dr. Tomislav Đuranc, Dr. Vladimir Emedij, Dr. Hischam Mallu, Dr. Vladislav Nadaš, Dr. Dražen Karnaš und Dr. Robert Mataušek (sein Bruder Dr. Rene Mataušek wurde am 19. November abgeführt und ermordet) gefangengenommen. Diese Menschen verbrachten einige Wochen in Gefängnissen. So ein Entsetzen! Hunderte von Männern, Frauen, Kindern, Kranken, Verwundeten und Mitarbeitern verlassen das Krankenhaus. Man riecht den Geruch des Todes, eigentlich der Verwesung. Man riecht den Gasbrand und vernachlässigte Wunden. Gegenüber des Krankenhauses die Leichen deren, die im Krankenhaus an ihren Verletzungen starben. In der Nacht wurden sie herausgeholt und liegengelassen. Die Journalisten bestürmen etwa zehn Ordensschwestern, die erst geborene Babys auf ihren Armen tragen. Ruhig und lächelnd verweigern sie jede Aussage. Major Šljivančanin benutzt wieder jede Gelegenheit und spielt einen großen Krieger vor. Vorgestern führte er uns in den Stadtteil, wo hunderte von seinen Einwohnern zum ersten Mal nach drei Monaten ihre Keller verlassen haben. In Angesicht der ausländischen Journalisten forderte er durch eine handbetriebene Radiostation den Kommandanten von Vukovar Mile Dedaković Jastreb zu einem heroischen Zweikampf heraus. Zuerst sollten sie beide einen Kaffee trinken, erklärt Šljivo, und dann ihre Waffen ergreifen. Dieses Mal hält er seine Rede vor dem Krankenhaus und vor Journalisten: „Herrschaften, wir bemühen uns unserem Volk zu helfen und das Töten zu verhindern.“ Aber den Ärzten des Internationalen Roten Kreuzes wird der Zutritt ins Krankenhaus verweigert, obwohl sie alle notwendigen Befugnisse nachweisen können. „Im Krankenhaus befinden sich noch etwa hundert Leute, die bewaffnet sind“, erklärt Šljivančanin die Situtation. Er wollte verhindern, daß sie sich dieser Gefahr aussetzen. Obwohl sie darauf bestanden, der Major erlaubte 135 es nicht. „Das hier ist eine Zone der kriegerischen Auseinandersetzungen und jeder der sich an die Regeln nicht hält, kann seinen Kopf verlieren. Wir wollen allen helfen“, schreit Šljivančanin, aber niemand hört zu. (Authentische Aufzeichnungen des serbischen Journalisten Jovan Dulović, aufgeschrieben am 20. November 1991 um 11.30 Uhr; veröffentlicht unter dem Titel “Krvava priča” in: Vreme, am 20. November 1995, S. 19.) Goran Hadžić, Präsident der Regierung der Serbischen Autonomen Region Slawonien, der Baranja und Westsyrmien, behauptete, daß Vukovar nach dreimonatigen Kämpfen gestern endlich befreit wurde. Die Säuberung des Terrains ist im Laufe, und danach steht uns, sagt Hadžić, eine große Arbeit vor, nämlich der Aufbau einer neuen Stadt. Ihr habt auch selbst gesehen, fügt Hadžić zu, daß in der Stadt kein Gebäude unversehrt blieb. Das Leben ist hier im Augenblick unmöglich. Aber es ist wichtiger, daß die Stadt jetzt in unseren Händen ist, und jetzt werden wir gemeinsam eine neue schöne Stadt erbauen. Unsere erste Aufgabe ist die Schaffung von normalen Lebensbedingungen, was keine schnelle Sache ist. Alle Einwohner, die vom heimischen Herd vertrieben wurden, könnten jetzt allmählich zurückkheren – sagt Hadžić. Rade Leskovac, Stellvertreter des Ministers für Information der Serbischen Autonomen Region Slawonien, der Baranja und Westsyrmien, behauptete, daß Vukovar jetzt aus der Asche aufstehen werde. – Für Kroaten ist Vukovar gefallen, und für uns wurde es befreit. Die Kämpfe dauerten mehr als drei Monate. Mehr als 1000 Ustascha sind gefallen. Ich muß sagen, daß Vukovar eine geopferte Stadt ist, sie liegt ganz in Trümmern. Nach meiner Einschätzung dauerten die Kämpfe so lange, weil man den kroatischen Streitkräften genug Raum ließ, Verstärkungen nach Vukovar zu holen. Dieser Krieg wurde aber nicht in Kroatien geführt, sondern auf Gebieten, die seit Jahrhunderten serbisch sind. Nach dem Fall Vukovars werden wir jezt schneller vorrücken. Die großen Kombinate “Borovo” in Borovo und “Vuteks” in Vukovar befinden sich schon in unseren Händen, bald aber auch “Saponija” in Osijek. Osijek ist auch serbisch. Das lehrt uns die Geschichte. Wir werden keine Mühe scheuen um die Produktion wieder aufzunehmen und voranzutreiben. Wir werden auch der Volksversammlung Serbiens vorschlagen, ein Gesetz über die Hilfe für diese serbischen Gebiete in der Form eines Prozentsatzes zu entwerfen. Die Behauptungen der gegnerischen Seite, dies sei eine Besetzung, ist nicht annehmbar – erklärte gestern Leskovac. – Dieses Territorium wurde von Ustascha befreit, weil dieses Territorium ein serbisches Territorium ist. Die Serben leben hier seit Jahrhunderten und wir laden alle Serben ein, deren Häuser abgebrannt und zerstört wurden, auf dieses freies Gebiet zurückzukheren. Nur in der Baranja gibt es 17 Dörfer, die wieder besiedelt werden sollten.” (Dnevnik, Mittwoch, 20. November 1991, S. 4; Auszug aus dem Interview von Goran Hadžić, dem Angeklagten für Kriegsverbrechen vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in den Haag, und von Rade Leskovac, heute Präsidenten der Partei der Donau-Serben in der RH.) 136 21. November (Donnerstag): Der Hilfskonvoi war von Mitrovica nach Dorf Dvorovi, 6 km nördlich von Bijeljina in Bosnien und Herzegowina, geschickt worden, wo die Verwundeten um 13,30 Uhr in die Wagen, die der Generalstab für Sanitätsdienst des Ministeriums für Gesundheitswesen sicherte, verlegt wurden. Die Mitglieder des Innenministeriums des Sozialistischen Republik Bosnien und Herzegowina, Reservisten und Soldaten der JNA (unter ihnen auch ein Offizier mit einem Ärzteabzeichen) sowie heimische Serben (insgesamt etwa 200 Personen) überfielen den Konvoi. Dabei wurden Skizze der Aufnahmestation von Verwundeten und Flüchtlingen aus Vukovar (das Photo ist eine Schenkung von Prim. Dr. Ivo Kujundžić, Mag.) 137 6 Personen zusammengeschlagen und 6 Fahrzeuge und ein Ambulanzwagen beschädigt. Erst danach fuhren die Wagen mit Verwundeten doch weiter und über eine Sava-Brücke erreichten sie endlich Kroatien. Die Verwundeten, die über die Nacht im Vukovarer Kranknehaus geblieben waren, wurden in Brčko um 19,30 Uhr übergeben. In der Zwischenzeit starben zwei Menschen, so daß an diesem Tag insgesamt 174 Verwundete vom Krankenhaus in Begleitung von medizinischen Personal nach Kroatien transportiert wurden. In einem Kampfbericht der Operationsgruppe Süd wird angegeben, daß der “Transport mit Zivilisten am 20/21. November 1991 nach Šid und Sremska Mitrovica geschickt wurde”, und dann laut Vereinbarung “weiter nach Bosanska Rača”. In einem Bericht des 1. Militärdistrikts wird auch angeführt, daß die “Beobachtungsmission der Europäischen Gemeinschaft für das Gebiet Slawoniens, der Baranja und Westsyrmiens alle Aktivitäten in Verbindung mit der Evakuierung der Verwundeten und Flüchtlinge aus Vukovar sowie ihrer Übergabe an kroatische Seite überwachte” sowie die “Aktivitäten der Garnisonsambulanz Sremska Mitrovica, in welcher die Verwundeten aus dem Krankenhaus untegebracht wurden“. Auch eine Sporthalle in Sremska Mitrovica mit Flüchtlingen aus Vukovar und das Vukovarer Krankenhaus wurden ständig überwacht.” Etwas voll Heftiges passierte letzte Nacht. Fast alle sprechen über die Massenerschießungen der gefangenen Kroaten und Verwundeten aus dem Vukovarer Krankenhaus. „In dieser Nacht haben wir sie seit 7 Uhr abends bis 1 Uhr morgens in Ovčara und Petrova Gora hingerichtet“, erzählt ein stämmiger Bärtiger aus Smederevo während er seienen Morgenkaffee genießt und eine lange Zigarrenspitze raucht. „Und das genau heute zum Ruhm vom heiligen Erzengel. Du solltest hören wie sie gejammert, gewinselt und geweint haben, sie hätten auf niemanden geschossen und niemanden getötet.“ Viel mehr gesprächiger war eine Dragica-Daca aus Novi Sad. Aber sie vertraute mir, sie sei darüber sehr besorgt, daß man mit diesen Erschießungen so prahlt. Die Leichen der ermordeten Menschen sollte ein Bulldozer vergraben haben. Die Opfer wurden geraubt: ihre Ringe, Trauringe, Halsketten, Handuhren. Alle behaupten, daß auch Šljivančanin einige Gefangenen ermordet haben sollte, um zu überprüfen wie sein neues gekürztes automatisches Gewehr AK-74 funktioniert. Hauptmann Radić und andere Kommandanten waren sich darüber einig, daß ein großer Fehler begangen wurde, und daß diese Erschießungen diskreter sein sollten. „Ich hatte keine eigenen Männer zur Verfügung und so mußte ich diese betrunkenen Freiwilligen engagieren. Jetzt werden alle aufgrund ihrer Schwatzhaftigkeit erfahren, was wir gemacht haben, und weißt du, das wird nicht gut enden“, erklärt einer der Kommandanten der Territorialverteidigung. Es ist sehr interessant, daß niemand vor einer Gerichtsverhandlung Angst hat, sonder nur vor einer eventuellen Vergeltung der Kroaten. Viele sagten eigentlich, sie seien nicht sicher, daß die Kroaten nie zurückkehren würden. (Authentische Aufzeichnungen des serbischen Journalisten Jovan Dulović, aufgeschrieben am 21. November 1991 um 8 138 Uhr; veröffentlicht unter dem Titel “Krvava priča” in: Vreme, am 20. November 1995, S. 19.) 22. November (Freitag): Nach einem Kampfbericht der Operationsgruppe Süd und des 1. Militärdistrikts wurde der „Transport der Zivilisten und Verwundeten aus Vukovar und Borovo“ auch am 22. November 1991 fortgesetzt und „volkommen realisert“. 139 Getötete und Vermißte Mitarbeiter des Kriegskrankenhauses Vukovar Während der Angriffe und nach der Eroberung der Stadt wurden 32 PersonalMitglieder des Krankenhauses ermordet, davon 20 in Ovčara. Vier Mitarbeiter wurden nach ihrer Gefangnahme vermißt. Verzeichnis der in Ovčara ermordeten Mitarbeiter des Krankenhauses: Jozo Adžaga (1949) – Logistik (Koch) Ilija Asadžanin (1952) – Rettungsdienst (Fahrer) Ivan Bainrauch (1956) – Logistik (Leiter des technischen Dienstes) Tomislav Bosanac (1941) – Logistik (Wasserdestillation) Ivan Buovac (1966) – Rettungsdienst (Fahrer) Dragan Gavrić (1956) – Logistik (Wagenwartung) Zlatko Jarabek (1956) – Logistik (Wagenwartung) Đuro Knežić (1937) – Logistik (technischer Dienst, Barbier im Krankenhaus) Zlatko Krajinović (1969) – Rettungsdienst (Fahrer) Tomislav Mihović (1952) – Röntgenabteilung (Photolaborant) Tomislav Papp (1963) – Logistik (Versorgung, Energenten und Lageräume) Tomo Pravdić (1934) – Logistik (technischer Dienst) Stjepan Šarik (1955) – Logistik (Kesselraum und Aggregate) Đuro Šrenk (1943) – Logistik (technischer Dienst, Rohrleger) Zvonko Varenica (1957) – Logistik (technischer Dienst, Schlosser) Goran Vidoš (1960) – Logistik (Elektriker) Mate Vlaho (1959) – Rettungsdienst (Fahrer) Miroslav Vlaho (1967) – Rettungsdienst (Fahrer) Josip Zeljko (1953) – Sicherheitsdienst Mihajlo Zera (1955) – Rettungsdienst (Fahrer) Während der Angriffe und nach der Eroberung der Stadt ermordete Mitarbeiter des Krankenhauses: Vlasta Aleksandar (1965)– Abteilung für phisikalische Medizin (Physiotherapeutin) Dušica Jeremić (1954) – Rechnungswesen (Bürokauffrau) 140 Ljubica Kojić (1954) – Schutzkeller „Borovo-Commerce“ (Putzfrau) Nevenka Matić (1948) – Bürokraft (Angestellte) Zdenka Miličević (1961) – Chirurgie (Krankenschwester) Ljubica Obradović (1952) – Röntgenabteilung (Administrator) Ivan Raguž (1938) – Logistik (Arbeiter im Kesselraum) Rudolf Terek (1943) – Stomatologe im höheren Dienst Marica Stanek (1952) – Ambulanz für Schulkinder (Krankenschwester) Blanka Stefanjuk (1961) – Chirurgie (Krankenschwester) Goran Krznarić (1965) – Logistik (Pforte) Karlo Crk (1942) – Logistik (Fleischerei) Die Mitarbeiter des Krankenhauses, die nach der Gefangennahme als vermißt gelten: Ivan Baranjek (1939) – postoperative Pflege, Krankentrakt „Borovo-Commerce“ (Krankenpfleger); am 19. XI. 1991 aus dem Krankenhaus abgeführt Marko Mandić (1953) – Chirurgie (Medizintechniker, Notaufnahme); am 19. XI. 1991 aus dem Krankenhaus abgeführt Ivan Božak (1958) – Pforte; am 20. XI. 1991 aus dem Krankenhaus abgeführt Zvonko Vulić (1971) – Logistik (Versorgung, Energenten und Lager); am 20. XI. 1991 aus dem Krankenhaus abgeführt 141 Ivan Grujić, Višnja Bilić Ministerium für Familie, Verteidiger und Generationssolidarität Behörde für Gefangene und Vermißte Die Opfer aus dem Vukovarer Krankenhaus Die Opfer wurden in 14 bis jetzt exhumierten Massen- und 150 Einzelngräbern im Kroatischen Donau-Gebiet entdeckt. Die Mehrheit der Gräber entstand nach der Okkupation von Vukovar, bzw. während der Besatzungszeit gleichzeitig als auch Richtstätte in Ovčara errichtet wurde, was bestätigt die Behauptungen, daß es sich dabei um einen systematischen Angriff auf die kroatische und nicht-serbische Bevölkerung von Vukovar und des Donau-Gebiets der RH in Gesamtheit handelte. Da noch immer 335 Personen als vermißt/gewaltsam abgeführt gelten, sollte die Zahl der Massengräber noch größer sein. Bild 1 – Lokalitäten der Massengräber, in welchen die Verwundeten aus Vukovar gefunden wurden. Unter Opfern, besonders nach ihrer Verletzlichkeit und speziellem Status nach dem Humanitären Völkerrecht, nehmen das Personal und die Zivilisten einen besonderen Platz ein. Die Angaben über eine glaubwürdige Anzahl der aus dem Krankenhaus zwangsweise abgeführten Personen unterscheidet sich je nach der Quelle, aber 142 am häufigsten wird von etwa 400 Personen gesprochen. Um ein verläßliches und unbestreitbares Verzeichnis anzufertigen, das auch dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien vorgelegt werden kann, hat die Behörde für Gefangene und Vermißte im Jahr 1994 aufgrund aller verfügbaren Quellen eine Analyse aller Angaben durchgeführt. Indem alle Daten miteinander verglichen wurden, konnte festegestellt werden, daß mindestens 226 Personen im November 1991 fortgeschleppt wurden. Die Verläßlichkeit des Verzeichnisses bestätigt auch die Identifikation der sterblichen Überreste der exhumierten Opfer (Ovčara, „Velepromet“, Novo groblje). Nach dem Evidenzstand vom 4. Dezember 2008 konnte folgendes festgestellt werden: - 211 Personen wurden in Massen- und Einzelgräben im Kroatischen DonauGebiet und in der Republik Serbien entdeckt; - 55 Personen werden vermißt (Verzeichnis Nr. 4) Aufgrund einer weiteren Analyse wurde nach den Lokalitäten der Gräber folgendes festgestellt: - Massengrab Ovčara (im Jahr 1996 wurden 200 Opfer exhumiert) 193 Verzeichnis Nr. 1 - Novo groblje in Vukovar 13 Verzeichnis Nr. 2 - Einzelgrab bei Velepromet 2 Verzeichnis Nr. 2 - Massengrab bei Landwirtschaftsbetrieb „Lovas“ 1 Verzeichnis Nr. 2 - Serbien (Beograd und Sremska Mitrovica) 2 Verzeichnis Nr. 3 insgesamt 211 Die Ergebnisse der durchgeführten Analyse sind die Bestandteile der Anklageschrift in Gerichtsverfahren gegen Slobodan Milošević, V. Šljivančanin, M. Mrkšić und M. Radić. Als Zeuge sagte Oberst Ivan Grujić aus. Im Gerichtsverfahren gegen V. Šešelj sagte auch Višnja Bilić aus. Diese Angaben sind auch die Bestandteile der Anklage der RH gegen der Sozialistischen Republik Jugoslawien für Völkermord vor dem Internationalen Gerichtshof. 143 VERZEICHNIS DER IDENTIFIZIERTEN PERSONEN, DEREN STERBLICHE ÜBERRESTE AUS DEM MASSENGRAB IN OVČARA EXHUMIERT WURDEN (193) Ordinalzahl/Nachname Vorname 144 Name des Vaters Geburtsdatum 145 146 147 *Die sterblichen Überreste, die aufgrund der DNA-Analyse identifiziert wurden; die Familie akzeptierte die Identifikation nicht. 148 VERZEICHNIS DER PERSONEN, DEREN STERBLICHE ÜBERRESTE AUS ANDEREN GRÄBERN UM VUKOVAR EXHUMIERT WURDEN (16) Ordinalzahl/Nachname Vorname Name des Vaters Geburtsdatum Lokalität der Massen-/Einzelgräber VERZEICHNIS DER PERSONEN, DEREN STERBLICHE ÜBERRESTE AUS DER REPUBLIK SERBIEN ÜBERNOMMEN WURDEN (2) Ord./Nachname Vorname Name des Vaters Geburtsdatum 149 VERZEICHNIS DER PERSONEN, DEREN SCHICKSAL UNBEKANNT IST (55) Ordinalzahl/Nachname Vorname 150 Name des Vaters Geburtsdatum 151 Literaturnachweis Apeli Dr. Vesne Bosanac (Gestaltung und Redaktion Mladen Pavković), Koprivnica-Vukovar, 2002. 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Vukovarska bolnica 1991., Autorengruppe (Redaktion Štefan Biro), Vukovar, 2007. Zbornik dokumenata iz oblasti odbrane i bezbednosti Jugoslavije 1990-1991 godine, Vorbereitung: Prof. Dr. Slavoljub Šušić Generaloberst im Ruhestand, Zlatoje Terzić General Oberstleutnant, Dr. Nikola Petrović Oberst, Vojnoizdavački zavod, Beograd, 2002. Žunec Ozren, “Rat u Hrvatskoj”, Polemos 1, Zagreb, 1998. Žunec Ozren, Goli život – socijetalne dimenzije pobune Srba u Hrvatskoj, I-II, Zagreb, 2007. *** Der größte Teil des Textes wurde aus dem Ausstellungskatalog Mjesto sjećanja – Vukovarska bolnica 1991. (Eine Gedenkstätte – Vukovarer Krankenhaus), dessen Einleitung Dr. sc. Nikica Barić rezensierte, übernommen. Den Text über den Kampf um Vukovar ergänzte mit seinen Räten und Verbesserungen der Brigadir der Kroatischen Streitkräfte Stjepan Sučić und Marija Alvir half durch Suggestionen. Im Kapitel über das Krankenhaus benutzte man die Angaben aus Vorträgen und Arbeiten von Dr. Vesna Bosanac, Dr. Juraj Njavro, Dr. Zoran Aleksijević, Dr. Boris Kratofil, Dr. Štefan Biro, sowie Oberschwestern Binazija Kolesar und Agneza Aleksijević. Alle diese Arbeiten enstanden in Verbindung mit dem am 17. Novembar 2005 organisierten Symposium in Vukovar. Das Verzeichnis der in Ovčara ermordeten Opfer gründet auf dem Verzeichnis der aus dem Massengrab in Ovčara exhumierten und identifizierten sterblichen Überreste der Behörde für Gefangene und Vermißte des Ministeriums für Familie, Verteidiger und Generationssolidarität, sowie auf den Angaben, die von Neda Balog von der Gemeinschaft der Vereine der Witwen der kroatischen Verteidiger im Heimatkrieg und Ivan Pšenica von dem Verein der Eltern und Familien der gefangengenommenen und gewaltsam abgeführten kroatischen Verteidiger „Vukovarske majke“ (Vukovarer Mütter) sowie Danijel Rehak von dem Kroatischen Verein der Insassen der serbischen Internierungslager, u.a, gesammelt wurden. Die Angaben wurden im Ausstellungskatalog Mjesto sjećanja – vukovarska bolnica 1991., im Jahr 2006 veröffentlicht. Die im Vukovarer Kriegskrankenhaus 1991 aufgenommenen Photographien erhielt das Zentrum von Dr. Boris Kratofil, die Photographien des zerstörten Krankenhauses von kroatischen Freiwilligen und Verteidigern sowie dem Kämpfer des Kroatischen Verteidigungrats Damir Radnić. Die Photographien der Trpinjska Straße stellte dem Zentrum der vor kurzer Zeit verstorbene kroatische Freiwillige und Verteidiger sowie Oberst der Kroatischen Streitkräfte Marko Babić, zur Verfügung. Ich bin allen zu Dank verpflichtet. Bildredaktion: Mag. Ana Holjevac Tuković. 153 Flugblatt der Gruppe Petrov aus der Vereinigten Staaten von Amerika, Mittwoch, den 20. September 1991 (Quelle: Hrvatsko ratno pismo 1991/92, Zagreb, 1992, S. 441) 154 Anica Marić AUCH DAS ALTENHEIM WAR EINE SCHIEßSCHEIBE 155 156 Veteranen- und Altenheim, Petra Kočića b.b. D er Bau eines neuen Heims für die Unterbringung der alten und bedürftigen Personen in Vukovar begann im Jahr 1983 und die ersten Insassen zogen 1986 ein. Den Bau finanzierte der Wohnungsfonds. Das neue Altenheim hatte eine Kapazität für 100 Bewohner und es sollte auch die Teilnehmer des Volksbefreiungskriegs der Vukovarer Gemeinde versorgen. Die einzige Bedingung für den Bau war im Namen der Einrichtung die Veteranen bzw. Partisanen zu erwähnen. Im Jahr 1987 wurde noch eine Abteilung angebaut und das Altenheim verfügte dann über 120 Betten. Das alte Altenheim war eigentlich Nachfolger eines sog. Armenhauses der Grafenfamilie Eltz, das sich gegenüber dem Allgemeinkrankenhaus befand. Das alte Altenheim hatte 70 Betten und über 90 Insassen. Ich fühlte mich immer dazu verpflichtet, den Mitarbeitern dieses Altenheims Respekt und Dankbarkeit zu erweisen. Im Altenheim arbeitete ich seit 1980, als ich eine Stellung als Rechnungsführerin annahm. Die Menschen dort bewiesen mir, daß eine solche Arbeit mit vielen Opfern verbunden war. Nur so konnte man genug Kraft aufbringen, die Probleme des Alltags zu bekämpfen. Das Gebäude war alt, Installationen kaputt, man heizte mit einem Holz-und-Kohle Kachelofen, die Küche war unangemessen und das Personal bestand aus Frauen, die alle, wie das die Direktorin zu sagen pflegte, eigentlich keine Schulausbildung hatten: Frau Rozalija Herbut, Danica Klaić, Marica Prica, Zora Pavlek, Slavica Radić und Agata Zorčec. Danica Klaić und Agata Zorčec waren Köchinnen, die anderen Putz- und Waschfrauen sowie Altenheim in Vukovar: Folgen der serbischen Pflegerinnen. Der Winter im Jahr 1980 Aggression 157 war kalt mit viel Schnee. Beide Waschmaschinen waren kaputtgegangen. Der Wasserhahn im Hof war eingefroren und man mußte das Wasser aus dem Bad holen und in einem Kessel erwärmen. Die Wäsche wurde mit der Hand gewaschen und im kalten Wasser ausgespült. Ich werde nie die grellroten Hände dieser Frauen vergessen. Sie rannten immer wieder in die Küche zurück, um sich ein bißchen am Kochherd zu erwärmen. Dann wurde die Wäsche zuerst draußen aufgehängt, damit sie ein wenig einfriert, und nach der Essenzubereitung brachte man sie in die Küche und in andere Räume um sie zu trocknen. Die 6 Frauen arbeiteten in zwei Schichten: je eine Köchin in einer Schicht, sowie zwei Putzfrauen in der ersten und eine Putzfrau in der zweiten Schicht. Sie betreuten und pflegten 90 Menschen, von denen etwa eine Hälfte bettlägerig war, für sehr wenig Geld. Man darf nicht vergessen, daß diese Putzfrauen in der Not zu Köchinnen wurden und umgekehrt, besonders als die Zeit der Jahresurlaube da war. Egal aber wieviel Mühe sie sich auch gaben, konnten sie dennoch den Gestank des Harns am Eingang des Gebäudes nicht decken und entfernen, da nachts das Altenheim ohne Aufsicht war. Die Insassen, besonders die männlichen, haben immer wieder ihre Notdurft in “ajnfor” (Einfahrt), einem typischem Baumerkmal deutscher Häuser, verrichtet. Es genügt zu erwähnen, daß keine Handwerker gerade wegen dieses Gestanks, den man überall im Gebäude riechen konnte, über unsere Anrufe, wenn etwas kaputt ging, begeistert waren. Nur ein Maler von der Firma “Bojorad” kam immer gern, wir nannten ihn “Cviće”. Über das Altenheim könnte ein umfangsreiches Buch geschrieben werden, aber ich denke, dies genügt. Darüber, daß die Arbeit doch ausgezeichnet verrichtet wurde, spricht die Tatsache, daß es nie einen Fall der Epidemie oder der Lebensmittelvergiftung gab. Ich bedanke mich noch einmal im Namen aller bei diesen Frauen, die uns bedient, gepflegt und zugehört haben: Rozalija (Tante Seka), Danica, Marica (genannt Ivanka), Slavica (Sirotka), Zora und Agata (Tante Agica). In neuem Heim wurden 22 Personen beschäftigt: Direktor, Sozialarbeiter, Krankenschwester, Pflegerinnen, Putzfrauen, Köche, Verwalter, Kassierer und meine Wenigkeit als Rechnungsführerin. Für nur 30 Bewohner mehr als im ehemaligen Altenheim, stellte man sogar 13 Personen mehr an. Ich kann heute sagen, daß diese Menschen ein traumhaftes Personal abgegeben haben. Wir kamen gut miteinander aus, und wenn einer Hilfe brauchte, halfen alle anderen mit. Natürlich gab es Konflikte, aber alle diese Streitigkeiten endeten mit Gespräch und nicht in Wut. Auch die Betreuung der Insassen, deren Anzahl von anfänglich 100 auf 120 gestiegen war, ließ uns wenig Zeit zum Streiten. Jede Minute wurde dem Wohle der Insassen gewidmet. Ich komme auch nicht umhin die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit der Ärztin Aleksandra Kajba Zubarev zu erwähnen, die jahrelang unsere Schützlinge betreute. Ihr Nachfolger wurde Dr. Karnaš. 158 Das Veteranen- und Altenheim Vukovar war nach meinem Wissen das einzige Altenheim in Kroatien, das im Heimatkrieg wirkte. Und obwohl ich davon überzeugt bin, daß der Beitrag der Mitarbeiter des Heims zur Verteidigung Kroatiens und Vukovars nicht klein war, bis heute bedankte sich niemand bei ihnen dafür. Als ich mit diesen Menschen sprach, wurde mir klar, daß keiner von ihnen eine Dankbarkeitserweisung erwartet oder verlangt. Und dies gab mir dann einen entscheidenden Anstoß dazu, dieses Tagebuch zu veröffentlichen. Ich kann nicht erlauben, daß sie vergessen werden. Ich bin mir sicher, daß es noch viele Geschichten aus Vukovar gibt, die nicht erzählt wurden. Im Grunde genommen, jeder Einwohner, der bis zum Fall der Stadt geblieben sind, trägt in sich eine solche Geschichte. Und ich sollte mich für die während des Kreiges geleistete Hilfe besonders bei folgenden Menschen bedanken: bei Gardisten, vor allem aber bei dem verstorbenen Damjan Samardžić (Veliki bojler [Großer Boiler]), Dragan Ćorić, Tomislav Belja, sowie Milenko Tešanović, Franjo Mandić, Josip Budimir und natürlich bei den Mitarbeitern des Veteranen- und Altenheims, die die ganze Zeit dabei waren: Nensi Mučalov (verheiratet Polhert), Krankenschwester, Vera Tešanović, Pfelgerin und Dara Mandić, Kassiererin. Zum Schluß sollte ich noch kurz erklären, warum der Titel dieses Tagebuches “Hallo, Mama” lautet. Als der Krieg in Vukovar schon zum Alltag gehörte, aber die Telefonleitungen noch funktionierten, rief mich meine Sandra mehrmals täglich an, um zu fragen, wie es mir geht, besonders nach dem 5. September, als das Gebäude des Heims direkt getroffen war und unsere Insassen verletzt wurden. Jeder Anruf begann mit “Hallo, Mama”. Diese Worte befolgten mich noch jahrelang während der Zeit der Vertreibung, wie auch andere Mütter, deren Kinder als Flüchtlinge auf der ganzen Welt verstreut waren. Ich danke Sandra dafür, daß sie in ausschlaggebenden Momenten in Sremska Mitrovica bei uns geblieben ist, und dadurch uns ein Gefühl der Sicherheit auf unserem Umweg nach Kroatien gab. Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf grüner Aue und führt mich zum frischen Wasser. Er erquickt meine Seele; er führt mich auf rechter Straße um seines Namens willen. Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei mir, dein Stecken und dein Stab trösten mich. Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar. (23 Psalm Davids) 159 Kriegstagebuch, 13. Mai - 18. November 1991 13. 05. 1991 Der Direktor Živko Dukić benachrichtigte das Fachkollegium, daß es gesetzlich verpflichtet sei, eine Bewerbung für die Stelle des/r Direktors/in auszuschreiben, da er sich für ein neues Mandat nicht kandidieren wird, weil er beschlossen hat, in den Ruhestand zu gehen. 14. 05. 1991 Bewerbungsausschreiben für die Stelle des/r Direktors/in. 20. 05. 1991 Da ich Vorsitzende der Bewerbungskommission war, teilte mir der Direktor mit, daß er sich doch wieder für die Stelle des Direktors bewerben werde, da er erfuhr, daß seine Rente sehr klein wäre. 14. 06. 1991 Durch die Stimmenmehrheit wählte die Arbeiterversammlung zum neuen Direktor Herrn Ivić Mandić. Der Sitzung wohnte auch Živko Dukić bei. 24. 06. 1991 Der Direktor Živko Dukić nahm Jahresurlaub. 22. 07. 1991 Živko Dukić kam vom Urlaub zurück. Er nahm 10 Tage mehr als vereinbart. 160 26. 07. 1991 Die Arbeiterversammlung entschied aufgrund der schriftlichen Forderung von Živko Dukić, sein Arbeitsverhältnis wegen seiner Versetzung in den Ruhestand zu beenden. Ivić Mandić informierte uns, daß er die Stelle des Direktors nicht annehmen könnte, da er eine andere im Kombinat „Borovo“ übernehmen werde. 30. 07. 1991 Ich wurde vom Stellvertreter des Beauftragten der Regierung der RH für die Stadt Vukovar Herrn Stipe Ivanda in das Gebäude der Gemeindeversammlung eingeladen. Er teilte mir mit, daß ich dazu verpflichtet bin, die Führung des Altenheims zu übernehmen, da in Vukovar der Kriegszustand ausgerufen wurde, und ich sollte damit noch heute die Arbeiterversammlung bekannt machen. Ich sollte sie darauf hinweisen, einen Beschluß in Übereinstimmung mit dem Statut der Arbeitsorganisation über meine Ernennung zur Stellvertreterin der Direktorin zu fassen. Eine solche Institution mußte unter Kriegsbedingungen eine Direktorin haben. Da der ehemalige Direktor in den Ruhestand ging und der neugewählte sich für eine andere Stelle entschied, dachte man, es wäre besser eine Stellvertreterin zu ernennen. Ich machte Herrn Ivanda darauf aufmerksam, daß ich Rechnungsführerin bin und nach dem Sozialgesetz keine entsprechende Ausbildung für diese Arbeitsstelle besitze. Er erklärte mir, die Gemeinde Vukovar würde sich im Krieg befinden und alles werde der gegenwärtigen Lage untergeordnet. Die Entscheidungen über die Ernennungen treffe der Beauftragte der Regierung der RH für Stadt und Gemeinde Vukovar Herr Marin Vidić Bili. Er gab mir einen schriftlichen Beschied des Krisenstabs. Gleich nach dem Gespräch mit Herrn Ivanda versuchte ich den Kontakt mit der Mitarbeiterin des Beauftragten der Gemeinde Vukovar für Sozialarbeit Frau Bojana Peter aufzunehmen, um sie von neuen Umständen im Altenheim zu informieren, aber ich konnte sie nicht erreichen. Ich benachrichtigte das Personal über den Beschluß des Krisenstabs und legte ihm den schriftlichen Bescheid zur Einsicht vor. In Einklag mit dem Statut der Einrichtung bestätigte die Arbeiterversammlung meine Ernennung zur Stellvertreterin. Der Bescheid des Krisenstabs für Gemeinde und Stadt Vukovar sowie die Entscheidung der Arbeiterversammlung wurden gleich dem Republikfonds für Sozialschutz der RH geschickt. 161 Sicherheits- und Versorgungmaßnahmen für Schützlinge des Altenheims (gescannte Seite des Tagebuchs) 162 31. 07. 1991 Bezüglich des ausgerufenen Kriegszustands in Vukovar, stellte ich allen Beschäftigten die Sicherheits- und Versorgungsmaßnahmen für Schützlinge eines Altenheims zu. Dem Befehl des Krisenstabs der Gemeinde Vukovar gemäß, wurden der Nationalgarde einige Kellerräume als Lebensmittel- und Ausrüstungslager abgetreten. 01. 08. 1991 Damjan Samardžić, genannt „Veliki bojler“ („Großer Boiler“), brachte Lebensmittel und irgendeine Ausrüstung in die Lagerräume. Ich sah nichts und er sagte zu mir nur, daß er und seine Gardisten ab und zu kommen werden, um etwas zu bringen oder etwas zu holen. Die Schlüssel dieser Räume hatten nur sie. 02. 08. 1991 Ich sprach mit Pater Branimir Kosec über die Möglichkeit, eine Messe im Altenheim zu lesen. Grundsätzlich vereinbarten wir einen Termin für Sonntag den 04. 08. 1991. 03. 08. 1991 Mir wurde gemeldet, daß die Oberschwester die Stadt verließ. Am Nachmittag des Vortags rief ihre Schwiegermutter um etwa 16 Uhr an, und sagte, daß Delfa Miljanović mit Kindern eigenwillig nach Bosnien im Jahresurlaub gefahren sei, obwohl man mündlich und schriftlich vereinbarte, alle Jahresurlaube zu verschieben. Man schickte an sie ein Telegramm (Nr. 2197), in dem man verlangte, sie sollte am Montag, den 05. 08. 1991, zur Arbeit kommen. Auch Margareta Sruk rief man in Zagreb an (041/286410). Sie teilte mir mit, sie sei krank (sie fuhr nach Zagreb wegen eine Todesfalles). Während des Frühstücks informierte ich die Insassen über die Situation in Vukovar und den Abgang einiger Mitarbeiter, und bat sie alle um Hilfe, damit die Einrichtung auch unter neuen Bedingungen funktionieren könnte. Sie erfuhren auch, daß einige Kellerräume der Nationalgarde überlassen wurden. Als Aushilfe beim Weggang in den Schutzkeller wurden die Insassen Rade Paprić, Zvonko Šibalić und Jovo Vukomanović bestimmt. Alle Mitarbeiter wurden zu einem kurzen Zusammentreffen um 13,00 Uhr wegen der Besprechung weiterer Arbeitsorganisation einberufen. Um 10 Uhr vereinbarte ich mit Pater Kosec von der römisch-katholischen Kirche, daß eine Messe im Altenheim am Sonntag den 04. 08. 1991 um 15 Uhr gehalten wird. 163 Mit der Einrichtung des Raumes wurde Ljuba Antolović, eine Krankenschwester, beauftragt. 04. 08. 1991 Pater Branimir Kosec hielt eine Messe im Altenheim. Die Insassen waren begeistert und nach der Messe erkundeten sich beim Pater, ob die Messen von jetzt an regelmäßig gelesen würden. Er versprach, jeden Sonntag zu kommen. 06. 08. 1991 An Branka Miščević (Nr. 2225) wurde ein Telegramm geschickt, in dem verlangt wurde, daß sie am 09. 08. 1991 zur Arbeit erscheint. 07. 08. 1991 Der Ankauf von Kartoffeln nach Marktpreisen. In Lovas wurden Bohnen bestellt. Die Lebensmittelvorräte wurden überprüft und eine Liste für die Anschaffung dreimonatiger Vorräte verfaßt. 08. 08. 1991 Der Republikfonds für Sozialschutz forderte in einem Eilverfahren die Zustellung von ausgefüllten Gehaltsformularen. Alles war schon vorbereitet. Die Zustellung sollte bis 09. 08. 1991 geschehen. 09. 08. 1991 Die Gehaltsformulare wurden zugestellt. Die Kostenvoranschläge für den Kauf von Kohle und den Transport von Banovići waren eingetroffen. Man verlangte eine dringende Einzahlung. In der Organisation der Schichtarbeit wurden die Probleme immer größer. Die Arbeitsplätze waren schwer zu besetzen. Es fehlten sieben Mitarbeiter. Die Arbeiterversammlung wurde einberufen, um das Arbeitsverhältnis der Mitarbeiter, die ihre Arbeitsplätze willkürlich verlassen hatten, zu beenden. Damjan Samardžić gab mir eine Kalaschnikow mit zwei Magazinfüllungen und zwei Munitionskästen. Ich betete zu Gott, es niemals benutzen zu müssen. 164 Schreiben an das Ministerium für Arbeit und Sozialschutz 165 10. 08. 1991 Der Lebensmittelkauf am Markt. Ich mußte am Montag das Ministerium für Arbeit und Sozialschutz wegen Mangel an Arbeitskräfte, sowie wegen der willkürlich abgegangenen Mitarbeiter kontaktieren. 12. 08. 1991 Die Gehaltsformulare P-1 und Tabellen 2 wurden zugestellt und Nensi Mučalov, Krankenschwester und ehemalige Vertretung, sowie Đurđa Čolak, Pflegerin, angemeldet. Das amtliche Schreiben mit der Forderung nach Reduzierung materieller Ausgaben um 20% war angekommen. Die Arbeiterversammlung wurde abgehalten und die Entscheidung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses betreffend Delfa Miljanović, Branka Miščević, Margareta Sruk, Katica Milić und Zora Magoč getroffen. 13. 08. 1991 Der Bericht für das Ministerium für Arbeit und Sozialschutz über die Kündigungen (Telefax in der Post Vukovar), sowie eine Ausschreibung für zwei Stellen: Pflegerin und Krankenschwester, wurden geschickt. 19. 08. 1991 Dem Republikfonds wurden eine Übersicht der materiellen Ausgaben und ein Bericht über die Lage im Altenheim zugestellt. 24. 08. 1991 Der Anfang der Angriffe auf Vukovar von Borovo Selo aus. 26. 08. 1991 Die Arbeiterversammlung wurde einberufen. Man sollte die Probleme in der Arbeitsorganisation besprechen, aber das Treffen wurde abgesagt, weil von allen Seiten ununterbrochen geschossen wurde. Nebenbei vereinbarte man, daß sich alle Mitarbeiter Mühe geben werden, die Schichten zu decken. Die Bewohner des Altenheims sollten den Mangel an Arbeitskräften so wenig wie möglich spüren. 166 Vukovar wurde bombardiert, nachdem die Sirene dreimal ertönt war. Alle beweglichen Insassen gingen in den Schutzkeller, die bettlägerigen wurden in ihren Zimmern versorgt. 27. 08. 1991 Die Angriffe setzten sich fort. Das Brot wurde angeschafft. Wir versuchten während der Pausen zwischen zwei Angriffen das Essen vorzubereiten, die Bewohner umzuziehen und das Gebäude aufzuräumen. 28. 08. 1991 Am frühen Morgen, als ich zur Arbeit fuhr, nachdem ich in meinem Haus nach einer langen Zeit übernachtet hatte, traf ich an einer Kreuzung Milenko Tešanović mit einem Mehrfachraketenwerfer auf seiner Schulter an. Er wartete auf seine Mitkämpfer, die die Stellungen in Mitnica nahe Bugarsko groblje (Bulgarischer Friedhof) hielten, aber niemand kam. Er bat mich, ihn mitzunehmen. Obwohl ich in Eile war, weil ich noch Lebensmittel für das Altenheim abholen sollte, ließ ich ihn einsteigen. Gleich hinter der Veterinärstation, bemerkte ich Hindernisse aus Heuballen und einige Lkws. Erst als ich mir noch näherte, sah ich Minen auf der Straße. Sofort hielt ich an, aber Milenko behauptete ruhig, es gäbe genug Platz. Erst jetzt wurde mir klar, daß der Krieg wirklich begann. Ich fuhr ihn bis zu seiner Stellung weiter. Da waren schon Budimir, Dujić, Čolak und Beljo. Ich kehrte sofort um. Aber gleich nachdem ich mein Büro betreten hatte, kam eine der Pflegerinnen angerannt. Vera Tešanović, Ehefrau von Milenko, teilte mir schockiert und nach Worten ringend mit, daß die Panzer der JNA bis Bugarsko groblje (Bulgarischer Friedhof) durchgekommen waren, und daß unsere Leute, die zusammen mit Milenko entlang dieser Linie Wache hielten, jetzt im Tal in der Nähe des Weges nach Vučedol abgeschnitten seien. Ich konnte nicht glauben, denn ich kam gerade von dort. Sie sagte, man sah, daß auf sie geschossen würde, aber niemand wußte, was später mit ihnen passierte. Während der Fahrt mit Milenko habe ich nichts gesehen. Ich hörte das Getöse der Panzer, aber Milenko erzählte mir, man höre es jeden Tag. Die Panzer seien in Ovčara, wo sie jeden Tag die Motoren auf Touren laufen lassen, und so denke man, sie seien einem hinter dem Rücken. Ich wußte nicht, was ich Vera sagen sollte, ich fühlte, sie jetzt zu trösten, wäre nicht angemessen. Wir konnten nur auf neue Nachrichten warten. Das Brot bekamen wir nicht. Schon am frühen Morgen hörte man Explosionen. Unsere Schützlinge befanden sich im Keller. Nach dem Mittagessen rief mich Anđa Budimir und sagte, daß alle Verteidiger zurückgekehrt seien. Ihr Rückzug durch den Wald um Novo groblje (Neuer Friedhof) 167 in Vukovar herum und bis zu den ersten Häusern in Čvorkovac dauerte ganze fünf Stunden. Sie sollten den ganzen Weg gekrochen haben. Milenko wollte auch seinen Mehrfachraketenwerfer nicht zurücklassen und so schleppten sie ihn zurück. Ich benachrichtigte gleich Vera, daß ihr Ehemann bald zu Hause sein werde. Um 17 Uhr ertönten die Sirenen wieder. Die Kampfflugzeuge überfliegen nur Mitnica, wie es mir schien. Ich dachte darüber nach, was würde passieren, falls eine Bombe das Altenheim trifft. Niemand würde überleben, da uns unser Keller vor solchen Angriffen nicht schützen konnte. Meine Überlegungen unterbrach eine starke Explosion in der nächsten Nähe, welcher noch andere folgten. Alles schwankte und rüttelte. Wir alle schwiegen. Unsere Köpfe waren zwischen unseren Beinen, als ob das wirklich helfen könnte. Nachdem die Entwarnung um 19 Uhr gegeben worden war, war ich nicht imstande zu sprechen. Die JNA, welche für uns alle schon seit Generationen ein Synonym für Sicherheit war, bombardierte ihr eigenes Volk. Aber man hatte keine Zeit um nachzudenken. Wir müssten ein Abendessen zubereiten und die Insassen beruhigen. Um 19 Uhr blieben wir ohne Strom und Wasser. 29. 08. 1991 Wir kauften Brot früh am Morgen in NAMA (Narodni magazin/Volksmagazin). Die Speisekarte wurde verändert und den neuen Umständen angepaßt. Es wurde ein neuer Angriff von allen Seiten erwartet. Die Panzer, die entlang des Friedhofes durchdrangen, hatten Mitnica in ihrer Hand. Der Stadtteil war ihnen auf Gnade und Ungnade ergeben. Ich verließ das Gebäude des Altenheims und bemerkte im Hof fünf Bombentrichter, die gestern entstanden. Ich nahm irgendwelche Schrauben und Metallteile in den Keller mit. Ich informierte den Kroatischen Radiosender darüber, daß fünf Geschosse neben dem Altenheim einschlugen, aber kein Schützling verletzt wurde. Ich hoffte, daß die Verwandten das eventuell hören werden. Das Wasser kam um 10 Uhr, aber kein Strom. 30. 08. 1991 Alle Insassen wurden versorgt. Das Frühstück verlief ruhig, man konnte auch die Arzneimittel aus der Apotheke holen, sowie das Pulver für die Wasserdesinfektion (Izosan). Der Stab der Territorialverteidigung spendete uns 120 kg Brot, 60 Stück Joghurt, und 150 kg Milchpulver. Um 9,45 Uhr begann die Schießerei rund um die Kaserne. Wir erwarteten einen Panzerangriff, der um 18 anfing. Unzählige Geschosse fielen unmittelbar neben dem Gebäude. Das Gewehrfeuer hörte um 22 Uhr auf. Wir blieben im Keller bis 1,30 Uhr, und erst dann kehrten wir nach oben zurück. Das Gebäude war nicht beschädigt. Es gab keinen Strom und kein Wasser. 168 31. 08. 1991 Schon um 7 Uhr hörte man die Schüsse. Alle Insassen wurden versorgt. Die schwere Bewaffnung eröffnete das Feuer um 10 und dauerte bis 12 Uhr an. Das Mittagessen wurde verteilt und alle Insassen waren wohl auf. Wir konnten alle Schützlinge fertigmachen und waschen. Es gab keinen Strom, aber das Wasser kam um 12 Uhr. Das Abendessen wurde um 17 Uhr verteilt. Der Radiosender Vukovar kündigte neue Angriffe an. Die Nacht war relativ ruhig. 01. 09. 1991 Die ganze Arbeit erledigte man früh am Morgen. Es waren die Kampfflugzeuge im Höhenflug zu hören. Der Strom kam während der letzten Nacht. Alles wurde für den nächsten Tag vorbereitet. Die Wäsche war gewaschen und gebügelt. 02. 09. 1991 Alle Versorgungen erledigte man am Vormittag. Es gab genug Brot und keine Gefahrmeldung. Das Gewehrfeuer hört den ganzen Tag nicht. Es wurde ein Rückzug der JNA angekündigt, aber niemand glaubte daran. 03. 09. 1991 Es gab keinen Strom und kein Wasser. Der Angriff auf Mitnica dauerte von 20 bis 22 Uhr. Tagsüber wurden alle Plätze im Altenheim besetzt. Die Anrufe wegen der Unterbringung der älteren Menschen wurden immer häufiger, besonders wenn es sich um die älteren Menschen ohne Familie handelte. „Vuteks“ und „Feuerwehrhaus“ gingen in Flammen auf. Ohne Rücksicht auf den vereinbarten Waffenstillstand trafen Granaten und Bomben sogar das Stadtzentrum. Immer häufiger wurden die Zivilisten verletzt, da die Angriffe überraschend ausgeführt wurden. Wir hörten regelmäßig Radiosender Vukovar. Nur so konnten wir wissen, was eigentlich geschieht. Oft kamen die Gardisten in der Pause zwischen zwei Kämpfen vorbei und brachten uns Nachrichten. 04. 09. 1991 Kein Strom und kein Wasser da. Die Fleischvorräte schrumpften immer mehr. Die Insassen waren mit dem Essen zufrieden. Es gab keine Einwände. Tag und Nacht verliefen relativ ruhig, wenigstens bei uns. Der Strom kam während der Nacht. 169 05. 09. 1991 Wir konnten für den heutigen Tag alles erledigen, als ein heftiges Gewehrfeuer von Ovčara und Novo groblje (Neuer Friedhof) aus eröffnet wurde. Schnell wurden alle beweglichen Insassen in den Keller geführt. Die bettlägerigen begannen wir erst in den größten Raum im Keller, in ein Lebensmittellager, zu verlegen, als eine starke Explosion in der Abteilung „A“ erschallte. Ich verließ den Keller und rannte nach oben. Ich hörte Schreie und Hilferufe. Aus dem Wohnzimmer der Abteilung und einem Nachbarzimmer breitete sich eine Staubwolke aus. Im Wohnzimmer sah Oma Rozalija Mujić fern. Ihr Kopf war sanft gebeugt, als ob sie einschlief. Sie war tot. In das Nachbarzimmer stürzten sich Krankenschwestern Lena Vrtarić und Ljuba Antolović und ich. Im ersten Augenblick konnten wir nichts sehen. Überall war Staub, es roch nach Schießpulver und man hörte ständig diese Schreie. Drinnen waren drei Betten. Am Fenster lag Sofija Nikolić, in der Mitte Katarina Hop und neben der Tür Marija Bunjac. Ich ging instinktiv in Richtung von Katarina Hop, weil ich das Gefühl hatte, sie wollte mir etwas sagen. Sie rollte ihre Augen, verzog ihr Gesicht zu einer befremdenden Grimasse und streckte immer wieder ihre Zunge heraus. Ljuba und Lena wußten sofort, daß die anderen zwei Frauen auch schwer verletzt waren. Ich nahm die Decke von der Kata herunter um mir ihre Verletzungen anzusehen. Zu meinem Entsetzen hatte sie keinen Bauch und kein Eigenweide mehr, ihre Beine waren auf einer Seite des Bettes, der obere Teil des Körpers auf anderer Seite. Ich roch den schrecklichen Gestank des verbrannten Fleisches und rannte in den Flur. Ich fühlte eine starke Übelkeit und badete in Schweiß und dann hörte ich wie jemand nach Krankenbahren rief. Man brachte alle drei Frauen in den Flur. Da warteten schon Gardisten, Polizisten und Nachbarn. Ihnen folgte auch Dr. Karnaš mit einem Rettungswagen. Alle bettlägerigen Bewohner wurden in den Keller untergebracht, obwohl der Angriff noch dauerte. Die Mitarbeiter des Kommunalunternehmens „Komunalac“ holten die Toten ab. Ich benachrichtigte Marin Vidić über die Ereignisse, und bat ihn, falls das irgendwie möglich wäre, die bettlägerigen Insassen aus diesem Gebäude zu evakuieren. Die Front war nur einige hundert Meter vom Altenheim entfernt. Er versprach, alles zu unternehmen, um eine Evakuierung zu organisieren. Auch die Fernsehteams kamen. Gleich nach diesem Gespräch begannen wir mit Vorbereitungen für eine eventuelle Evakuierung. Um 19 Uhr kamen die Busse. Wieder kamen alle, die helfen konnten, vor allem Gardisten und Polizisten. Bis 21 Uhr waren alle in den Bussen. Eine kleine Anzahl von ihnen konnte sitzen, und da der Weg nach Vinkovci über die Maisfelder von Bogdanovci führte, mußte man sie während der Fahrt gut sichern, damit sie nicht verletzt werden. So haben wir einige an ihre Sitze gebunden und einige am Boden befestigt. Spät in der Nacht meldete ein Kollege aus Vinkovci, daß sie alle 170 glücklich in das Altenheim angekommen waren. Ich fing an zu weinen. Gleichzeitig war ich glücklich und verzweifelt. Der Tod war jetzt da. Katarina Hop und Rozalija Mujić verloren ihr Leben. Schwer verletzt wurden Sofija Nikolić, Marija Bunjac, Gojko Drakulić und Lazar Grgić, und leichte Verletzungen erlitten Boško Čurčić, Dragica Tomšik und Ana Edelmajer. Alle Mitarbeiter hatten mit dem Tod ständig zu tun, aber diese Situation war etwas ganz anderes. Man durfte den Keller nicht mehr verlassen. Ich konnte lange in der Nacht nicht einschlafen. Das erste Mal ließ mich das Gewehrfeuer gleichgültig. Ich zuckte nicht mehr. 06. 09. 1991 Nach der Evakuierung der bettlägerigen Insassen, blieben im Altenheim noch 49 Benutzer, unter ihnen auch Jelena Pereterski, die im Sterben lag, sowie Jovan Vukomanović, der ablehnte, Vukovar zu verlassen. Während meine Mitarbeiter alles aufräumten, Frühstück zubereiteten und die Insassen beruhigten, legte ich die Listen der evakuierten und verbliebenen Menschen an. Nach Vinkovci meldete ich alle Telefonnummer der Familien der evakuierten Insassen. Nach dem Frühstück begannen wir das gestern durch ein Kanonengeschoß zerstörte Wohnzimmer sauber zu machen. Uns halfen auch unsere Schützlinge. Für uns war es sehr schwer, dieses Zimmer zu betreten. Es weckte in uns das Gefühl der Hilflosigkeit und zahlreiche Fragen: Was für Menschen waren das, die auf ein Altenheim schießen konnten? Wie ist es möglich das so etwas passiert, wenn das Erkennungszeichen des Roten Kreuzes, das auf der ganzen Welt respektiert wird, klar und deutlich auf dem Dach zu sehen war? Was bedeutete überhaupt diese Barbarei? Sind Menschen doch größere Bestien als Raubtiere? Schon der Blick hinauf zur Zimmerdecke, wo die sterblichen Überreste von Katarina Hop noch klebten und auch der Geruch des verbrannten menschlichen Körpers immer stärker wurde, erinnerte mich an die Tatsache, daß wir uns im Krieg befinden. Wir konnten uns verteidigen auf die einzige Art und Weise, die wir kannten: mit Herz und Glauben. Und unser Opfer war wert dessen, woran wir glaubten. Wir waren davon überzeugt, niemandem etwas Böses angetan zu haben. Wir räumten alles schnell auf und zogen uns in den Keller zurück. Das Gewehrfeuer wurde wieder um 10 Uhr eröffnet. Die Omas beteten den Rosenkranz. Dragica Babić, Krankenschwester, teilte mir mit, daß sie mit ihren Kindern nach Deutschland fahren werde. Sie fragte mich, ob ich ihr ein Transport nach Vinkovci organisieren könnte. Ich bat Frau Vilma Vidović und ihren Mann, sie nach Vinkovci mitzunehmen. Sie willigten ohne viele Worte ein und fuhren sie mit ihren Kindern bis zum Bahnhof in Vinkovci. Das Ehepaar brachte nach Vinkovci auch eine kleine Menge an Unterwäsche, Kleidung und Bettwäsche für die evakuierten Insassen. 171 07. 09. 1991 Auf Verlangen der Kollegen aus Vinkovci nahm ich die ganze Dokumentation der evakuierten Insassen (soziale Anamnese und medizinische Kartons) mit und in Begleitung von Damjan Samardžić und Gardisten Ðuka aus Lovas fuhr ich mit ihrem Wagen nach Vinkovci. Bis Bogdanovci sollten wir, erklärte mir Damjan, den bekannten Maisweg nehmen, wobei eine große Möglichkeit bestand, daß vom Wald Ðergaj auf uns geschossen wird. Gott sei Dank, das geschah nicht. Damjan fuhr so schnell, daß ich mich nicht orientieren konnte, um möglichst schnell außer der Reichweite des Feindes zu gelangen. In Vinkovci wartete auf mich eine große Überraschung. Geschäfte und Markt arbeiteten wie üblich, die Stadt war voll Menschen, die sorglos ihren Kaffee tranken, als ob 20 km weiter kein Krieg geführt wurde. Erst dann wurde mir klar, warum die Kollegen aus Vinkovci darauf bestanden, daß ich die Dokumentation mitbringe. Ich glaube, sie wußten nicht, daß sie dadurch nicht nur mein Leben sondern auch das Leben anderer zwei Menschen gefährdeten. Es gibt ein altes Sprichwort, das besagt, daß es Schlimmeres gibt. Und unser Opfer sah im Vergleich mit der Lage der Verteidiger, die sich entlang des Maisweges verschanzten, nicht mehr so groß aus. Sie waren da Tag und Nacht, und als wir vorbeifuhren, aßen sie gerade zu Mittag. Ihre Mahlzeit bestand aus Konserven, Brot und Wasser. Als ich zurück war, teilten wir die Betten der Insassen neu auf und bereiteten uns auf einen sehr langen Aufenthalt im Keller vor. Ðuka richtete mit seinen Jungs eine Telefonleitung im Keller ein und so konnte ich die Dienststelle für Flüchtlinge in Zagreb anrufen. Ich sprach mit Frau Jasminka Žanić, die mir Hilfe bei der Evakuierung der übriggebliebenen Insassen versprach. Ich sprach auch mit Herrn Vinko Goluža, Direktor des Fonds für Sozialschutz, der mich riet, andere Altenheime in Slawonien und der Baranja anzurufen und vielleicht dort eine Unterkunft zu verschaffen. Leider stieß ich auf kein Verständnis, in keinem anderen Altenheim gab es freie Plätze, und ein Kollege aus einem erst eröffneten Heim in Slavonska Požega teilte mir mit, daß er noch unbesetzte Plätze habe, aber nur für bestimmte Kategorien der Bewohner. Ich rief Frau Žanić wieder an und erzählte ihr alles, und sie versprach, etwas zu unternehmen. Ich mußte jetzt mit unseren Bewohnern sprechen und alles für eine eventuelle Evakuierung vorbereiten, die nur aufgrund der Erlaubnis des Beauftragten der RH erfolgen konnte. Die Erlaubnis wiederum hängte von der Sicherheitslage ab. In Zimmern räumte man den Schutt auf. Der Tag verlief ziemlich ruhig. Die Bewohner waren versorgt. Das Gewehrfeuer dauerte fast die ganze Nacht. 172 08. 09. 1991 Das Frühstück wurde rechtzeitig zubereitet. Der Schutt in Abteilungen “A” und “B” brachte man weg und nahm kaputte Fenster herunter. Wir machten Krapfen ohne Rücksicht auf das ständige Gewehrfeuer. Unsere Schützlinge freuten sich sehr über die Kuchen, die Vlado Veber und ich in der Küche vorbereiteten. Im Gasbehälter war noch ein bißchen Gas vorhanden. Als Krapfen fast schon gebacken waren, begann ein heftiger Angriff von Negoslavci. Die Granaten fielen unmittelbar vor dem Küchenfenster. Wir beide warfen uns am Fußboden, und die anderen riefen uns zu, wir sollten eiligst zurückzukommen. Wir wollten aber die Krapfen nicht zurücklassen und warteten auf eine kleine Atempause. Wir konnten uns dann alle aufwarten. Ich nutzte diese Gelegenheit, die Insassen über die Möglichkeit einer Evakuierung zu benachrichtigen. Sie sollten das Nötigste einpacken. Am Nachmittag starb Oma Jelena Pereterski und man rief das Kommunalunternehmen «Komunalac» an. Wir konnten sie nicht zur Leichenhalle tragen, da der Angriff nicht nachließ, und so mußten wir sie im Flur lassen. 09. 09. 1991 Drei Tage lang versuchte ich eine neue Unterkunft für die Schützlinge zu finden. Ich sprach mit Herrn Masnić vom Republikfonds für Sozialschutz, aber über den Tag der Evakuierung entschied der Krisenstab von Vukovar. Frau Žanić half mir eine Unterbringung in Novigrad Istarski zu finden. Direktor des Altenheims Dr. Ikač war außerordentlich hilfsbereit und ohne irgendwelche Einwände willigte er ein, alle unseren Insassen aufzunehmen. Wir mußten nur noch auf einen günstigen Augenblick warten. Leider schien es, daß ein solcher Augenblick nie kommen wird. 10. 09. 1991 Nach dem Frühstück redete ich mit Marin Vidić über die Möglichkeiten des Transports. Er glaubte, man könnte ihn für den 13. 09. zwischen 10 und 11 Uhr organisieren. Die Busse seien bereit, alles würde nur von der Intensität der Angriffe abhängen. Die Insassen waren fürs erste gepackt. Die Nachricht über die Evakuierung breitete sich schnell in der Stadt aus. Die Menschen riefen ständig wegen anderer älteren Menschen an. Ich versprach alles zu tun um zu helfen. Wir wählten einige Personen als mögliche Begleitung bis Istrien aus. Man sammelte Bilder aus allen Abteilungen und brachte sie in den Keller mit Decken und Bettwäsche, um zu retten was noch zu retten war. Es herrschte eine befremdende Stille unter uns. Das war ein Augenblick, den ich nie vergessen werde. Die Freude darüber, daß diese alten Menschen in Sicherheit gebracht werden und die Trauer über die Trennung überfielen mich. Wir waren wie 173 eine große Familie und hatten unsere guten und unsere schlechten Zeiten wie in einer glücklichen Ehe. Im Krieg wurde dieses Gefühl noch stärker. Das Altenheim war die einzige Familie, die diese Menschen hatten. Das Gewehrfeuer dauerte die ganze Nacht und jeder vertiefte sich in seine Gedanken. 11. 09. 1991 Die vereinbarte Evakuierung wurde aus Sicherheitsgründen verschoben. Die Angriffe auf Vukovar wurden immer heftiger. Ich sprach mit Dr. Bosanac über den kritischen Zustand, in welchem sich Jova Vukomanović und Josip Erdeg befanden. Sie versprach einen Rettungswagen zu schicken. Im Keller verbrachten wir den ganzen Tag und die ganze Nacht. 12. 09. 1991 Der Rettungswagen konnte sich nicht durchschlagen. Weil die Evakuierung verzögert wurde, waren alle Insassen sehr unruhig. Den ganzen Nachmittag versuchte ich ihnen zu erklären, daß dieser Aufschub aus Sicherheitsgründen geschah, aber offensichtlich war ich nicht überzeugend genug. Sie sagten, sie seien auch hier nicht sicher. Sie wollten nicht die Tatsache akzeptieren, daß während der Fahrt womöglich sie alle mit ihren Begleitern und Fahrern getötet werden könnten. Aber ihre Sicherheit war an der ersten Stelle. In der Zwischenzeit blieben wir wieder ohne Strom und Wasser. Das Essen konnte nicht gekocht werden und wir hatten Kalte Küche. Ich benachrichtigte Herrn Masnić, daß der Zeitpunkt der Abreise immer ungewisser und Vukovar von allen Seiten bombardiert werde. Der heftigste Angriff begann um 13,20 Uhr. Ich habe allen verboten, den Keller zu verlassen. Unter Kerzenlicht aßen wir unser Abendessen. Alle waren beunruhigt. Mir erschien, als ob es keine Evakuierung mehr geben wird. Jede Feuereinstellung wurde bis jetzt gebrochen und ich glaubte nicht, daß sich etwas daran ändern wird. Ich konnte mit niemandem darüber sprechen. Meine Gedanken waren zu traurig. 13. 09. 1991 Nachdem der Angriff während der Nacht verstummt hatte, wurde das Gewehrfeuer wieder am frühen Morgen eröffnet. Als man einschätzte, daß die Granaten weit entfernt fallen, machten wir Feuer im Hof und bereiteten Paprikas mit Kartoffeln. Die Kampfflugzeuge waren im Höhenflug. In dem Moment als Bartol und ich den Topf mit dem Essen in den Keller brachten, fiel eine Granate genau auf die Stelle wo die Feuerstelle war. Glücklicherweise wurde niemand verletzt. 174 Der Angriff dauerte den ganzen Tag. Wir hatten genug Trinkwasser. Man ließ aus Wasserrohren allmählich das Wasser aus, da der Keller unterhalb der Leitungen lag. Einige der Insassen warren mit Nerven am Ende. Es wurde immer schwerer sie zu beruhigen. Die größte Ungläubigkeit verursachte die Tatsache, daß wir von der JNA angegriffen wurden. Die Insassen glaubten uns nicht, daß sie ins Krankenhaus nicht eingeliefert werden könnten. Sie dachten, im Krankenhaus wären sie sicher. Um sie nicht noch nervöser zu machen, verschwieg ich viele Sachen. Im Krankenhaus gab es keinen Platz. Es war voll verwundeter Verteidigern und Zivilisten. In Vukovar riskierte man sein Leben für Wasser, Lebensmittel und klare Luft. Das konnten unsere Insassen noch immer nicht verstehen. 14. 09. 1991 Früh am Morgen besichtigte ich das Gebäude. Viele Fenster waren kaputt und viele Häuser in der Nachbarschaft wurden direkt getroffen, einige waren völlig zerstört. Um 9 Uhr begannen neue Angriffe von allen Seiten. Die Verteidiger rannten von Mitnica zur Trpinjska Straße, von der Trpinjska Straße zu Sajmište. Wir und die Tankstelle „INA“ wurden von der Kaserne aus beschossen. Ich bat zu Gott, daß die Tankstelle nicht getroffen wird. Falls das passieren sollte, würden wir alle brennen. In dem Reservoir war noch immer Treibstoff gespeichert. Zum Glück wurde sie nicht getroffen. Von Negoslavci aus wurden die Geschosse ständig abgefeuert, und es schien, als ob jede Granate vor unseren Fenstern landen würde. Die Wasservorräte waren noch immer zufriedenstellend, aber wir konnten keine warmen Mahlzeiten zubereiten. Fürs Kochen draußen war es zu gefährlich. Spät am Abend kam Dragan Čorić, Gardist. Er hielt eine Stellung bei der Kaserne inne. Er teilte mir mit, Sajmište sei gefallen. Eine kleine Anzahl der Einwohner konnte fliehen und fand eine Unterkunft im Keller der Grundschule „Vladimir Nazor“. Er selbst konnte seine Mutter und Schwester mit zwei Töchtern darausholen. Über das Schicksal anderer wußte man nichts. Andererseits, das was die Überlebenden zu berichten wußten, war schrecklich. Die Tschetniks gingen von einem Haus zum anderen und warfen die Bomben hinein. Erst danach überprüften sie, ob sich jemand in diesen Häusern noch versteckte. Ich konnte nichts sagen. Die schwarzen Gedanken waren wieder da. 15. 09. 1991 Die Nacht war ruhig. Die Nachricht über den Fall von Sajmište breitete sich sehr schnell aus. In der Stadt machte sich der Mangel an Lebensmitteln ernsthaft bemerkbar. Die Angriffe begannen um 9 Uhr. Das Frühstück wurde verteilt, aber die Wasservorräte wurden immer geringer. Wir konnten unser Mittagessen draußen kochen und einige 175 Eimer Wasser von einem naheliegenden Brunnen holen. Da es wenig Brot gab, wurde der Nudelteig häufiger verbraucht. Während des ganzen Tages wurde die Stadt von allen Seiten, auch aus der Luft, angegriffen. Um 12 Uhr starb Josip Erdeg. Elizabeta Pabulkov lag im Koma. Die beiden wurden in ein Nebenzimmer untergebracht, um andere Insassen nicht zu beunruhigen. Die Telefonleitungen waren noch intakt und so konnte ich „Komunalac“ anrufen und das Kommunalunternehmen über den Tod von Josip benachrichtigen. Ich glaubte nicht, daß jemand bald kommen könnte, um ihn abzuholen. Er lag im Zimmer mit Oma Elizabeta. Am Nachmittag wurde das Telefonkabel durchschnitten. Strom und Wasser gab es noch immer nicht. Der Tag verlief für uns alle angespannt. Alles war und nichts war normal. Die Angreifer ließen uns keine freie Minute um nachzudenken. 16. 09. 1991 Am frühen Morgen hat man die Leiche von Josip Erdeg in die Leichenhalle verlegt. Nach Mitternacht hörten die Angriffe auf. Der Radiosender Vukovar meldete, daß gestern einen Waffenstillstand unterzeichnet wurde. Niemand aber glaubte, daß er durchgeführt wird. Wir bereiteten das Mittagessen zu, und Dragan brachte Brot für drei Tage. Das Wasser trugen wir in Fässern. Bei einem rationellen Verbrauch könnte diese Menge für ein paar Tage reichen. Um 11 Uhr begann bis zu diesem Zeitpunkt der heftigste Panzerangriff von Trpinje aus auf die Trpinjska Straße. Tag und Nacht verbrachten wir im Keller. Es war ein Glück, daß wir eine Toilette hatten, so mußten wir wegen der Notdurft nicht nach draußen gehen. Die Kerzen waren alle. Da wir noch ein bißchen Öl hatten, machten wir die Ampeln aus Öl, Korkstöpseln und Hosenbändern, die wir für die männliche Unterwäsche vorrätig hatten, fertig. Diese Ampeln waren eine Ideallösung da wir keinen Strom hatten. Der Radiosender, den uns die Gardisten zusammen mit Batterien überlassen haben, stellte eine willkommene Abwechslung dar. Die Mitarbeiter hörten die Nachrichten und für die Insassen spielte man am Abend Musik, um das Gewehrfeuer ein wenig zu vergessen. 17. 09. 1991 Da es keinen Strom gab, begann das Fleisch in Kühlschränken aufzutauen. Zum Mittagessen spendete uns „Gradska kavana“ (Städtisches Kaffeehaus) Gulasch. Obwohl man allen Insassen verboten hat, den Keller zu verlassen, es war schwer sie ständig zu kontrollieren, da wir viel Arbeit in kurzen Pausen zwischen Angriffen zu erledigen hatten. So hat auch Mirko Inđić den Keller unbeaufsichtigt verlassen. Er wollte auf sein Zimmer am Anfang der Abteilung „C“, um einige persönliche Gegenstände zu holen. So lautete wenigstens seine Erklärung für Zvonko. Als mir Zvonko sagte, daß Mirko herausgegangen war, war es schon zu spät. Ich fand ihn im Flur vor seinem Zimmer. 176 Ein Granatsplitter traf ihn bei der Nase. Er hatte keine anderen Verletzungen. Nensi sagte, er war sofort tot. Es sah so aus, als ob er eingeschlafen wäre. Die Geschosse fielen überall und erst mit viel Mühe konnten wir ihn in den Keller bringen. Alle waren tief getroffen, und ich begriff, daß unsere Schützlinge erst jetzt verstanden haben, was sie da draußen erwartet. Der Angriff dauerte den ganzen Tag. Um etwa 21 Uhr starb Oma Elizabeta Pabulkov. Somit hatten wir schon drei tote Personen, die wir nicht begraben oder irgendwo in Sicherheit bringen konnten, damit die neuen Geschosse sie nicht zerstückeln. Opa Josip war noch immer in der Leichenhalle, und die neuen Toten konnten auch nicht unter Lebenden bleiben. Deshalb entschied man sich trotz der Gefahr, die Leichen in Betttücher einzuwickeln und sie dann in die Leichenhalle zu verlegen. Die Gardisten besuchten uns schon lange nicht. Die Angriffe auf Vukovar waren so heftig, daß keiner seine Stellung verlassen konnte. Ich war sehr traurig. Ich hatte das Gefühl, daß die Panzer vor unseren Türen warten. Das Gewehrfeuer wurde immer intensiver und ich war seit Tagen nicht zu Hause, obwohl es nur einige hundert Meter vom Altenheim entfernt war. Die ständige Angst vor einem möglichen Durchbruch von der Kaserne über die Lache trieb mich in den Wahnsinn. Ante Mihaljević und andere Verteidiger versicherten mir, daß so ein Durchbruch nicht möglich wäre, da alles vermint war. Ein kleiner Trost, wenn man wußte, daß sich auf anderer Seite dieser Lache einsatzbereite Panzer, Haubitzen und Minenwerfer befanden, die jederzeit alles dem Erdboden gleichmachen konnten. Im Keller meines Hauses war meine Sandra mit etwa einem Dutzend Erwachsenen und Kinder. Ante kam immer wieder und brachte mir neue Nachrichten von meiner Familie. Er bestätigte mir jedes Mal, sie wären wohl auf, aber für mich war alles irreal. Ich konnte nur darüber nachdenken, ob sie genug Lebensmittel hätten und wie sie sich ohne Strom und Wasser zurechtfinden. Der einzige Trost war mir die Gewißheit, daß der Keller ziemlich sicher und gut ausgestattet war. 18. 09. 1991 Am frühen Morgen sagte mir Krankenschwester Lena Vrtarić, sie werde mit ihrer Familie in die Wohnung in dem Stadtteil „Rupe“ einziehen, da ihre Kinder dieses ununterbrochene Gewehrfeuer nicht mehr ertragen könnten. Nämlich, als die Angriffe häufiger wurden, vereinbarten wir unter uns, daß wir die ganze Zeit im Altenheim verbringen werden, und so erlaubte ich den Mitarbeitern, ihre Kinder ins Altenheim mitzubringen, um diese schwere Situation für alle leichter zu machen. Lena dachte, die Kinder werden es in „Rupe“ nicht so schwer haben. Ich konnte und wollte sie in ihrer Absicht nicht verhindern. Wer war ich, um über fremde Schicksale zu entscheiden? Ich verurteilte sie nicht, obwohl für uns jeder Mitarbeiter wichtig war. Aber Milenko, Beljo und Franjo Mandić, sowie Dragan halfen häufig aus, und so konnten wir diesen Verlust einigermaßen verkraften. Nur der Gedanke, daß wir eine 177 Krankenschwester verlieren, war dann doch nicht so leicht zu ertragen. Aber man mußte sich mit der Situation abfinden. Dragan fuhr sie mit unserem Kombiwagen. Ich dachte das wäre sicherer, obwohl der Begriff der Sicherheit in Vukovar wirklich als relativ galt. Ich war erleichtert, als Dragan zurückkam. Am Nachmittag kam die Mutter von Nensi Mučalov und bat mich, Nensi nach Hause gehen zu lassen. Sie hat sie seit zwei Wochen nicht gesehen. Ich versprach, sie würde nach Hause kommen. Ich ließ sie gehen, obwohl ich wußte, wenn Nensi nicht zurückkommt, haben wir nur noch eine Krankenschwester zur Verfügung (Branka Mažar). Die Angriffe dauerten Tag und Nacht. Das Mittagessen war warm. Strom und Wasser gab es noch immer nicht. Die Telefonverbindungen waren abgebrochen. Niemand kam um die Leichen zu holen. Ich war sehr besorgt darüber und erwog die Möglichkeit, die Leichen zu begraben. Obwohl die Geschosse immer wieder abgefeuert wurden, konnten wir die persönlichen Sachen der Insassen sammeln. Früher, vor dem Krieg, ärgerte ich mich immer über ihre Vorräte an Toilettenpapier, jetzt würde ich sie alle deswegen küssen. In Schränken fanden wir nicht nur Toilettenpapier sondern auch Waschpulver. Noch ein Tag des Existenzkampfes. 19. 09. 1991 Nach dem Frühstück vereinbarte ich mit Kolleginnen den Insassen endlich zu sagen, daß zu einer Evakuierung womöglich nicht kommen wird. Die Einschließung Vukovars wurde immer enger. Sie nahmen diese Mitteilung mit Fassung. Sie alle hatten schon einen Krieg erlebt, und obwohl sie aus dem Keller nicht herausgehen durften, wurde ihnen klar, daß sie hier auf das Ende des Krieges warten werden. Ich wies sie auch darauf hin, daß unser Wasserverbrauch maximal reduziert werden mußte. Der Mangel am Wasser war natürlich neben Granaten unser größtes Problem. Um 9 Uhr kamen Damjan Samardžić (Veliki bojler/Großer Boiler) und Đuka aus Lovas um sich zu verabschieden. Sie nahmen aus Lagerräumen alles was sie noch benötigten. Uns gaben sie noch vier Büchsen mit Rauchfleischprodukten, Kaffee, Keksen und Fleischkonserven. Damjan führte mich hinaus, und zeigte mir wie man eine Kalaschnikow für Einzel- und Schnellfeuer handhaben sollte. Er gab mir noch 5 Handbomben und erklärte mir wie sie aktiviert werden. Ich konnte mir nicht vorstellen, sie zu benutzen, was ich auch laut sagte, aber Damjan bemerkte nur kurz: „Falls Vukovar fällt, dürfen sie nicht lebend in die Hände von Tschetniks fallen. Niemand weiß was genau in Sajmište passierte, aber viele Frauen und Mädchen wurden von Tschetniks in Fabrik Bandić mißhandelt.“ Ich hatte noch ein Pump- und ein altes Jagdgewehr, ein Panzerabwehrgeschoß und zwei Munitionskasten zur Verfügung. Damjan sagte, er gäbe uns diese Waffen zur Aufbewahrung. Jemand würde sie später abholen kommen. Die Verteidiger zogen sich ins Gymnasium zurück und sagten, sie würden nicht mehr 178 kommen können. Ihre Anzahl war so klein, daß sie sich ständig gegenseitig helfen mußten. Đuka reparierte in der Zwischenzeit unsere Telefonleitung. Wir blieben uns selbst überlassen, wie alle anderen Zivilisten auch. Gleich nachdem sie weggegangen waren, entschieden uns Vera und ich, die naheliegenden Gärten zu besichtigen. Wir pflückten Tomaten und Paprikas, um ein bißchen Abwechslung in unsere eintönigen Mahlzeiten zu bringen. Die Angriffe begannen nach 11 Uhr. Bis zu diesem Zeitpunkt haben wir schon das Mittagessen vorbereitet, das Wasser vom Brunnen geholt und den Schutt am Kellereingang weggeräumt. Um 17 Uhr kamen die Mitarbeiter von „Komunalac“, um die Leichen wegzubringen. Man sagte uns, daß die Leichen am jüdischen Friedhof begraben werden. Die Angriffe dauerten die ganze Nacht und wir dachten schon, die Erde explodiere. Das war die erste Nacht, als ich mit einer Waffe ins Bett gegangen war. Vera meinte, daß es am besten wäre, die Waffen in meinem Bett zu lassen, weil das der einzige sichere Platz vor Kindern wäre. 20. 09. 1991 Der Morgen war ruhig. Vielleicht war auch der Feind müde. Das Feuer wurde um 5 Uhr eingestellt. Keiner konnte schlafen. Während Vera und Dara das Frühstück zubereiteten, habe ich das Gebäude inspiziert. Ich irrte mich nicht: Abteilung „C“, die von Novo groblje (Novo groblje) und von der Front etwa 300 m entfernt war, wurde zerstört, und aus Heizkörpern und Wasserrohren lief das Wasser aus. Das Speisezimmer war ziemlich beschädigt durch die Geschosse, die von Negoslavci aus abgefeuert wurden. Küchenfenster, Möbel und unser Kombiwagen waren völlig vernichtet. Zum Glück hatten wir noch einen unbeschädigten Lieferwagen der Marke „Jugo“ in der Garage. Die Spuren unzähliger Explosionen waren um das ganze Gebäude herum sichtbar. Die Ambulanz und die Büros haben auch nicht überlebt. Wir benutzten diese kleine Atempause um zwei Fässer Wasser zu holen und das Mittagessen vorzubereiten. Dragan brachte Brot aus „VUPIK“-Bäckerei für zwei Tage mit. Eigentlich war es Fladenbrot, aber wir waren darüber sehr glücklich, weil wir nichts anderes hatten. Die Angriffe begannen um 10,30 Uhr. Sie dauerten Tag und Nacht. 21. 09. 1991 Ein sporadisches Gewehrfeuer hörte man den ganzen Tag über von allen Seiten. Alle Insassen waren wohl auf. Eine Mahlzeit war immer warm. Das Wasser wurde geholt. Uns besuchten Ante, Franjo, Josip und Dragan. Dragan kam immer wenn er konnte. Ihr Optimismus war ansteckend. Ich bat Dragan, Nensi abzuholen, und war erleichtert, als ich sie sah. Der Gedanke an ihre Mutter in Borovo Naselje tat mir aber weh, weil ich wußte, daß sie nur Nensi hatte. Aber Nensi konnte mit ihrer heiteren 179 und optimistischen Eigenart alle erfreuen. Sie mochte ihre Arbeit sehr. Strom und Wasser erwarteten wir nicht mehr. Telefonieren konnte man nur mit Inland. Die Angriffe wurden heftiger nach 19,oo Uhr. Während der Nacht trafen das Altenheim mehr als 10 schwere Geschosse, so das alles schüttelte. 22. 09. 1991 Alle Insassen waren wohl auf. Wir konnten das Mittagessen zubereiten und Wasser holen. Um 10 Uhr bekamen wir endlich Strom worüber man sich sehr freute. Die Angriffe fingen am Abend an. Es regnete auch. Wir setzten die Plastikbehälter unter Rinnen, die noch heil waren, und so sammelten wir das Wasser für die Geschirrspülung und Toilette. Der Regen brachte auch Kälte mit, aber niemand beklagte sich darüber. Man hatte genug Decken. 23. 09. 1991 Die Kampfflugzeuge überflogen seit 12 Uhr Mitnica, aber kein Gewehrfeuer wurde eröffnet. Ein neuer Waffenstillstand wurde unterzeichnet. Trotzdem versuchten wir das Nötigste zu erledigen: Mahlzeiten zu kochen, Insassen zu überprüfen und Arzneimittel zu verabreichen (Vorräte sollten noch, Gott sei Dank, lange reichen), Wäsche zu waschen, Toilette sauber zu machen, damit wir nicht ersticken (im Keller waren 60 Leute untergebracht). Der Tag verlief ruhig. Um 17 Uhr trafen die Feuerwehrmänner mit einer Zisterne ein, und brachten uns Wasser mit. Wir füllten alle Fässer an. Wir alle konnten uns ein bißchen erfrischen und zurechtmachen. In obigen Stockwerken fanden wir noch Kleidung, Bettdecken, zwei Fernseher und sogar amtliche Dokumentation. Früher versuchte ich diese Dokumentation überhaupt nicht zu retten, da die Insassen Priorität hatten. In einer Schublade des Tisches der Sozialarbeiterin fand ich auch etwas Geld, das unseren Schützlingen gehörte. Wir nahmen auch ein Bett für Karlo Didio mit. Da seine Beine amputiert waren, hatte er große Schwierigkeiten auf einer Matratze zu liegen. Sein Glück war unermeßlich, als er das Bett bemerkte. Jovo Vukomanović ging es sehr schlecht und er hatte starke Schmerzen. Er wurde in ein kleines Nebenzimmer für Bettwäsche untergebracht, um die anderen Insassen nicht zu stören. Der Angriff begann nach 18 Uhr. Während der Nacht tauchte für eine kurze Zeit das Wasser auf, ich wußte selbst nicht woher, aber es verschwand auch wieder schnell. Die Wasserrohre waren offenbar sehr beschädigt. 24. 09. 1991 Beba Mažar, Sozialarbeiterin, und ihre Tochter Branka Mažar, verließen das Altenheim. Von 22 Beschäftigten blieben nur uns vier: Dara Mandić, Kassiererin, 180 Nensi Mučalov, Krankenschwester, Vera Tešanović, Pflegerin, und Anica Marić, stellvertretende Direktorin. Wie lange das alles dauern wird und wird uns jemand noch aus irgendwelchen Gründen verlassen, darüber nachzudenken hatte ich nicht viel Zeit. Um 12 Uhr begannen heftige Angriffe von allen Seiten. Um 20 Uhr, als das Gewehrfeuer aufhörte, ging ich nach draußen, um mich umzusehen. Obwohl ich neue Schäden am Gebäude erwartete, war ich dann doch völlig bestürzt. Alles wurde verwüstet, besonders die „C“ Abteilung. Die Trümmer waren überall. Auf meine Überraschung fand ich Oma Ana Bižak vor ihrem Zimmer in der Abteilung „A“ stehen. Sie sah stumm in Richtung ihres Bettes zu. Sie konnte mir nicht erklären, wie sie aus dem Keller hinausgegangen war und wie sie zum Zimmer anlangte. Ich führte sie zurück in den Keller und dankte dem Himmel, daß ihr nichts passierte. Ich benachrichtigte den Kroatischen Radiosender über die Verwüstung, und bat ihn während der Nachrichtensendung zu wiederholen, daß alle Insassen wohl auf seien. Ich erwog wieder die Möglichkeit einer Evakuierung oder wenigstens einer Unterbringung in einer anderen Unterkunft. Es schien, als ob „Mitnica“ den heftigsten Angriffen ausgesetzt war, aber der Radiosender Vukovar meldete, daß in der ganzen Stadt die Hölle los sei. 25. 09. 1991 Alle Insassen waren wohl auf. Die Angriffe dauerten die ganze Nacht. „Mitnica“ wurde von einem Regen aus verschiedensten Projektilen überschüttet: Panzergeschosse und Projektille der Mehrfachraketenwerfer (man nannte sie Stanzen). Vor dem Eingang in unsere Unterkunft schlugen vier Geschosse in alle Fenster ein. Zum Glück beklagten sich unsere Insassen überhaupt nicht, obwohl einige von ihnen sehr krank waren. Bis 10 Uhr war die ganze Arbeit erledigt, auch das Mittagessen vorbereitet. Um 11 Uhr begann wieder ein neuer Angriff auf Vukovar. Wir kriegten schon lange keinen Besuch von unseren Verteidigern, sogar Dragan kam nicht. Nach der Heftigkeit des Angriffs und der Anzahl der Geschosse schien mir, als ob die Tschetniks die Stellungen unserer Verteidiger jederzeit einnehmen werden. Ich dachte an die Bomben, die sie in die Keller in Sajmište reinwarfen. Ich rief meine Familie an. Alle waren wohl auf, sie hatten genug zu essen und trinken, aber keinen Strom. 26. 09. 1991 Gleich nach dem Frühstück (das immer um 7 Uhr verteilt wurde, ganz egal was passierte), rief ich Herrn Marin Vidić an, um zu überprüfen, ob unsere Insassen vielleicht in einen Atomschutzkeller versetzt werden könnten, da unsere Lage immer gefährlicher werde. Jedes neue Geschoß könnte eigentlich direkt in unseren 181 Keller einschlagen, da oberhalb unseres Kellers alles zerstört war. Ich machte diesen Anruf nur um mein Gewissen zu beruhigen, da ich wußte, daß mein Anliegen eine unmögliche Mission war. Die Antwort war mir leider schon bekannt. Nirgendwo gab es Platz und überall lauerte die Gafahr. Panik und Angst begannen allmählich unsere Insassen und meine Mitarbeiter zu erfassen. Die Mitarbeiter mußten aber ihre Gefühle verdrängen. Uns blieben nur der Trieb nach dem Leben und der Wunsch nächsten Tag zu erleben. Ich rief nach Bartol, der mir sonst in der Küche half, er sollte sich wegen des Mittagessen mit Holzhacken beeilen. Der Vorrat an Lebensmittel war noch immer zufriedenstellend. Wir hatten auch einen Hund, wir wußten nicht woher er kam, aber er blieb bei uns. Wir nannten ihn Goldie. Im Augenblick als ich nach Bartol rief, damit er mir beim Tragen des Topfes hilft, rannte Goldie plötzlich in Richtung Keller, und Bartol schrie von Treppen herab: „Nach unten, sie müssen nach unten“, worauf ich ohne zu überlegen in den Keller flüchtete. Noch bevor ich den Eingang des Kellers erreichen konnte, erschütterte eine starke Explosion das Gebäude. Pünktlich um 12 Uhr begann noch ein heftiger Angriff. Da unser Mittagessen sonst zwischen 12 und 13 Uhr serviert wurde, bat ich die Insassen sich ein bißchen zu gedulden. Das Mittagessen sei fertig, aber noch immer draußen. Die Gelegenheit den Topf zu holen, ergab sich nach einer halben Stunde. Bartol und ich gingen nach oben, aber da gab es keinen Topf und keine Feuerstelle mehr. Eine Granate traf unser Mittagessen, es war ein Volltreffer. Eine neue Explosion erschallte vor der Küche und wir rannten wieder in den Keller, um sich zu verstecken. Ich sagte zu Dara, Vera und Nensi, daß unser Mittagessen verloren war, und daß die Insassen eine kalte Mahlzeit bekommen werden. Die Insassen beklagten sich, obwohl Bartol ihnen erzählte was geschah. Sie erwarteten Gulasch und jetzt müssten sie sich mit Fleischkonserven zufriedengeben. Der Angriff dauerte den ganzen Nachmittag und die ganze Nacht. Um 4 Uhr wurde das Artilleriefeuer von Ovčara aus noch heftiger. 27. 09. 1991 Ich machte keine Rundgänge um das Gebäude mehr. Es gab nichts mehr zu zerstören. Beba Mažar rief an, und sagte, daß Dragan sie und ihre Tochter Branka abholen sollte. Sie will zur Arbeit kommen. Dragan brachte auch das Brot mit. Die Angriffe begannen um 10 Uhr. Es war unmöglich den Keller zu verlassen. Das Brot aßen wir nur zum Frühstück und Mittagessen, als Abendessen bekam man Nudeln und Kekse. 28. 09. 1991 Schon um 5 Uhr fuhr ich mit unserem unbeschädigten Wagen zur „VUPIK“Bäckerei neben dem Silo bei der Ausfahrt von Vukovar. Es war ruhig und ich 182 bekam Brot (eigentlich Fladenbrot) für drei Tage. Es war hart, weil es keine Hefe gab. Wir haben es aufgeschnitten, in Öl, Wasser und Vegeta getunkt und in einer Pfanne gebraten. So bekamen wir ein weiches Gebäck, daß sehr schmackhaft war. Während der Fahrt von „Mitnica“ bis zum Silo vergewisserte ich mich, daß überall dasselbe Bild der Zerstörung herrschte. Ich hatte daher keine andere Wahl, als unsere Insassen dort zu lassen, wo sie waren. In der ganzen Stadt herrschte Hölle. Die Menschen rannten, um Wasser und Lebensmittel zu holen. Alles spielte sich wie in einem Film ab. Jeder hatte ein ganz bestimmtes unentbehrliches Ziel zu erreichen und eine ganz bestimmte Frist dafür, weil niemand wußte wann der neue Angriff starten wird. Vukovar ähnelte immer mehr einem Trümmerfeld. Ich kam rechtzeitig ins Altenheim zurück. Gleich zog mich Zvonko Šibalić zur Seite ab, und sagte mir, daß Stevan Jovičić (ein ehemaliger Partisane) aus Borovo Selo jeden Abend zwischen 20 und 20,30 Uhr mit seiner Batterielampe durch das Kellerfenster gleichmäßige Signale in Richtung Negoslavci gab. Er beharrte darauf, daß in der Regel nur eine halbe Stunde danach, die Geschosse vor unseren Fenstern landete. Ich erinnerte mich daran, daß ich Stevan oft im Speisezimmer mit eingeschaltetem Licht antraf, als wir noch Strom hatten. Ich wies ihn darauf hin, daß das Licht nicht angemacht werden dürfte, aber damals fiel es mir nicht im Traum ein, daß er Lichtsignale jemandem gegenüber geben konnte, der sie wiederum nach Negoslavci weiterleitete. Da auch andere Häuser in der nächsten Umgebung der Erde gleichgemacht wurden, schenkte ich diesen Vorfällen keine besondere Aufmerksamkeit, aber Zvonko behauptete hartnäckig, daß es sich doch um Lichtsignale handelte. Darauf sprach ich mit Stevan und fragte ihn ob er eine Batterielampe hätte. Er sagte, er würde sie benötigen, wenn er nachts zur Toilette muß. Ich erklärte ihm, daß dieselben Regeln für alle gelten, bzw. daß die Gänge die ganze Nacht beleuchtet werden, und er kann sehen wohin er geht. Ich nahm die Batterielampe, mehr um Zvonko zu beruhigen als Stevan bei seiner Signalisierung zu stören. Am Abend kam Dragan. Zvonko erzählte ihm alles. Dragan verlor augenblicklich die Kontrolle, führte Stevan aus dem Gebäude heraus, mit der Absicht ihn zu liquidieren. Ich erstarrte vor Entsetzen und konnte nicht glauben was ich sah. Ich drängte mich zwischen ihnen ein und versuchte Dragan zu erklären, daß eine solche drastische Maßnahme nicht unbedingt notwendig wäre, und daß wir alle das gleiche Schicksal teilen werden. Eine sowieso schwere Situation noch zu verschlimmern und die Panik auszulösen, so etwas bräuchten wir jetzt wirklich nicht. Dragan sagte nur kurz: „Du weißt nicht Tante, was sie alles im Stande zu tun seien. Wenn er eine Gelegenheit bekommt, du bist die erste, die einen Messer in den Rücken verpaßt bekommen wird.“ Trotz der Tatsache, daß auch Dragan Recht hatte, bat ich ihn noch einmal Stevan in Ruhe zu lassen und versprach in der Zukunft besser aufzupassen. Er ließ ihn los, und wir kehrten zurück in das Gebäude. Von da an paßte Zvonko auf Stevan auf. 183 29. 09. 1991 Der Angriff begann um 8 Uhr und hörte nicht auf. Auch die Mehrfachraketenwerfer mit ihren tödlichen Geschossen wurden eingesetzt und dann blieb uns nicht anderes übrig, als zu beten. Wir baten, daß sie eine andere Schießscheibe wählen, was aber nur leider bedeutete, daß dann jemand anderer dasselbe Gebet ausspricht. Der Radiosender meldete, daß die Militärführung der JNA ein Ultimatum der RH gab. Sie forderte eine bedingungslose Übergabe der Stadt. Andererseits würde ganz Kroatien mit allen verfügbaren Mitteln angegriffen werden. Unsere Verteidiger leisteten einen starken Widerstand. Und um 16 Uhr begann wieder der Regen. Die Fässer wurden wieder angefüllt und zum einen sicheren Platz gebracht. Durch einen rationellen Verbrauch des Trinkwassers hatten wir einen Vorrat für drei Tage. Viele Brunnen waren verschüttet, aber Gott sei Dank, unser noch nicht. Strom und Wasser kamen nicht und allem Anscheine sollten wir sie auch nicht mehr erwarten. Auch die Telefonverbindungen waren unterbrochen. Đuka war nicht mehr da, um Schaden zu beseitigen. Der Regen floß in Strömen Tag und Nacht, und die Decke unseres größten Raumes, der sich direkt unter dem Speisezimmer befand, begann zu lecken. Die Angriffe haben während der letzten Tage auch den Fußboden im Speisezimmer beschädigt. Der Beton platzte auf, und durch die entstandenen Risse ergießte sich das Wasser in den unteren Raum. Man mußte die ganze Nacht das Wasser von der Decke mit Schwämmen sammeln. Morgen sollten wir die Lagerräume umstellen und versuchen eine Lösung zu finden. 30. 09. 1991 Als es letzte Nacht schon sehr spät war, verließen uns Dara Mandić und ihr Mann. Zum Mittagessen gab es eine warme Mahlzeit. Die Insassen waren wohl auf. Beba Mažar und ihre Tochter Branka kamen zurück. Das Gewehrfeuer wurde um 10 Uhr eröffnet. Es dauerte Tag und Nacht. Es wahr schwer während der kurzen Feuerpausen die Mahlzeiten vorzubereiten. Da wir kein Brot hatten, machten wir zum Abendessen Milch und Maisknödel. Die Lebensmittel waren im Unterschied zum Wasser noch kein Problem, aber wir versuchten es rationell zu verbrauchen. Das Telefonkabel wurde repariert. In der Nacht wurde das Gebäude wieder beschädigt. 01. 10. 1991 In Erwartung neuer Angriffe, die um 8 Uhr erfolgten, erledigten wir die ganze Arbeit. Das Wasser wurde geholt und der Schutt im Speisezimmer im Rahmen der Möglichkeiten aufgeräumt. Man legte Nylon auf den beschädigten Fußboden in der Hoffnung, daß Wasser auf seinem Weg in den Keller wenigstens ein bißchen 184 verhindert wird. Die Essenzubereitung ohne Brot war besonders schwierig. Wir hatten Nudeln, aber das war nicht dasselbe wie Brot. Wir konnten es auch nicht machen, weil wir keinen Backofen zur Verfügung hatten. Heftige Angriffe dauerten seit 10 Uhr. Der Radiosender Vukovar meldete, daß auch die letzte Verbindung zwischen Vukovar und Vinkovci über Bogdanovci und Marinci abgeschnitten wurde. Es regnete ständig. Das Wasser sickerte auch in den Kesselraum, wo Bojan und Tibor, Veras Kinder schliefen. Wir hatten genug Nylon und Gummi, um die Betten und Matratzen vor dem Wasser zu schützen. Auf den Fußboden bei der Tür legte man Lappen und Decken, um Wasser aufzusaugen. Diese Nacht war die schwerste. 02. 10. 1991 Der Radiosender meldete, daß es viele Verwundete und Gefallene gebe. Die ganze Arbeit, das Essen und die Versorgung unserer Schützlinge, wurde früh am Morgen erledigt. Niemand konnte schlafen. Die Nachbarn holten Nensi und Branka, um die verwundeten Verteidiger in ihren Häusern zu verbinden, da sich man bis zum Krankenhaus nicht durchschlagen konnte. Zum Glück verfügten wir über einen größeren Vorrat an Sanitätsmaterial. Vera benachrichtigte mich, daß neben Jovo Vukomanović und Vlajko Petrović, noch zwei unserer Insassen bettlägerig geworden sind, bzw. Omas Kata Filipović und Terezija Lukić. Man versuchte mich sonst mit solchen Problemen nicht zu belasten, aber jetzt mußten die Omas verlegt werden. Vera und Krankenschwester wußten, daß die Insassen jede Veränderung ablehnen, weil dieser Raum ihr eigenes kleines Territorium darstellte, und sie klammerten sich krampfhaft daran. Wir mußten aber in solchen Fällen bestimmte Maßnahmen ergreifen, um diese Menschen wenigstens teilweise zu isolieren. Der Zustand anderer Insassen war zufriedenstellend. Das größte Problem war das Wasser. Wir bemerkten, daß einige Insassen in der Nacht ihre Flasche mit dem Wasser aus Fässern anfüllten und ihre eigene Vorräte anschafften, wodurch ein künstlicher Wassermangel produziert wurde. Nach der Mitternacht hörten die Angriffe auf. Der Beschuß wurde sporadisch. 03. 10. 1991 Um 8 Uhr wurde das Gewehrfeuer wieder eröffnet, und allmählich wurde es immer heftiger, besonders nach 10 Uhr. Wir bereiteten keine warme Mahlzeit zu, weil wir alle eingeschlafen waren. Man mußte für diesen Tag alles verschieben. Die Insassen waren besonders nervös. Sie beklagten sich über das Essen und forderten eine Versetzung ins Krankenhaus. Sie glaubten uns nicht, daß das nicht möglich war. Sie dachten, dort wären sie sicherer. Es war immer schwieriger sie zu überzeugen, daß wir alles taten, was in unserer Macht stand. Noch immer gab es keinen Strom und kein Wasser. Den ganzen Tag wischten wir das eingedrungene Wasser ab und brachten feuchte Lappen, 185 Betttücher und Decken nach draußen. Wir haben nichts mehr gewaschen, weil wir kein Wasser hatten. Die Insassen hatten genug Kleidung, aber wir nicht, nur das was wir gerade anhatten. Die Lebensmittel verschwanden allmählich. Das Gemüse pflückten wir noch immer in umliegenden Gärten. Nensi und Branka besuchten die Verwundeten in der Nachbarschaft und wechselten ihre Verbände. 04. 10. 1991 Gestern Abend bekamen wir Schweinefleisch, das man gleich am frühen Morgen zum Mittagessen zubereitete. Die Angriffe begannen um 8 Uhr. Der Radiosender meldete, das die ganze Bewaffnung eingesetzt wurde. Auch die Infanterie versuchte einen Durchbruch von Negoslavci aus in Richtung Dudika. Unsere Verteidiger aber harrten aus. Der Radiosender meldete auch, daß viele Panzer bei Bogadnovci vernichtet wurden, aber daß unsere Streitkräfte den Weg nach Vinkovci doch nicht befreien konnten. Die Angriffe wurden heftiger und dauerten länger. Die Verteidiger leisteten der feindlichen Infanterie einen hartnäckigen Widerstand, aber dann kamen die Kampfflugzeuge. Auch heute wurden weitere Stellungen unerbittlich angegriffen. Ich bekam eine Nachricht von Dr. Bosanac, sie bat mich Sanitätsmaterial und Arzneimittel ins Krankenhaus zu schicken. Wir packten alles was wir noch spenden konnten ein und warteten auf eine günstige Gelegenheit, um diese Pakete einzuliefern. Dragan sollte es machen. Auch Dara Mandić kam zurück zur Arbeit. Jetzt waren wir sechs und die Arbeit wurde leichter. 05. 10. 1991 Die Lage in der Stadt war sehr schwer. Seit frühem Morgen wurde die Stadt von allen Seiten angegriffen, auch die Kampfflugzeuge wurden eingesetzt. Die Menschen waren auf der Suche nach Lebensmitteln und Wasser, wobei sie immer häufiger ihr Leben riskierten. Unsere Mitarbeitern Dinka kam vorbei, um ein bißchen Lebensmittel für sich, ihren Mann und zwei Kinder zu besorgen. Ich sagte ihr, sie könnte so viel Nahrung mitnehmen wieviel sie möchte. Wir hatten genug für drei Monate. Unsere Vorräte wurden nach bestimmten Speisekarten und dem durchschnittlichen Verbrauch der Einrichtung angeschafft. Unsere Einschätzungen basierten auf dem Bedarf von 110 Menschen, aber durch die Evakuierung von bettlägerigen Bewohnern und das Eintreffen der älteren Menschen aus der Nachbarschaft, waren es jetzt etwa 60 Personen im Keller. Die Lebensmittel waren kein Problem, nur Brot und Wasser fehlten. Marin Vidić-Bili, Beauftragter der Regierung der RH, erließ einen Aufruf über den Radiosender Vukovar an alle Menschen in Kroatien und Europa Vukovar und seinen Einwohnern, besonders Kindern, zu helfen. In Vukovar waren etwa 2000 Kinder, darunter auch Neugeborene. Das Krankenhaus war voll mit 186 Verwundeten. Auch die Toten konnten nicht rechtzeitig begraben werden. Es fehlte an Sanitätsmaterial und Arzneimitteln. Aber keiner von uns hoffte mehr auf Hilfe. Der Radiosender meldete, daß der Feind einen neuen Nachschub über Šid bekam. Die Angst quälte uns alle. Die Ungewißheit und das Warten waren die schlimmsten Versuchungen. Wir hörten, daß viele Tschetniks nach Vukovar kommen, was bedeutete, daß keiner von uns überleben wird. 06. 10. 1991 Die Angriffe hörten seit gestern nicht auf. Am frühen Morgen wurden sie nur noch heftiger. Man setzte sogar die Kriegsmarine auf der Donau ein. Die Verteidiger wehrten feindliche Angriffe immer wieder ab. Wie sie ihre Stellungen deckten, das wissen nur sie. Wir versuchten den Überschuß an Arzneimittel und Sanitätsmaterial ins Krankenhaus zu schicken, aber erfolglos. Man konnte den Kopf aus dem Keller nicht herausstrecken. Um 10 Uhr kam mein Mann vorbei. Er führte eine Einsatzgruppe des Wasserwerks „Vodovod“ der Stadt Vukovar an. Er erzählte mir, daß unser Haus direkt getroffen würde. Ich entschied mich nach Hause zu gehen, um zu überprüfen, wie es Sandra geht und ob sie etwas braucht. Meine Entscheidung vertraute ich niemandem, da mich keiner gehen lassen würde. Aber wir alle, die ab und zu in die Stadt gingen, wußten schon die Gefahr einzuschätzen. Nur die Scharfschützen waren nicht voraussehbar. Es war eine Ewigkeit bis ich vor meinem Haus stand. Ich brauchte unter normalen Umständen etwa 10 Minuten zu Fuß, aber heute rannte ich die ganze Zeit um der Gefahr auszuweichen. Um mich herum knisterten die Granaten, aber da gab es nichts mehr, was zerstört werden konnte. In „Mitnica“ war fast alles dem Erdboden gleichgemacht. Als ich endlich mein Haus erreichte, stürzte ich mich in den Keller. Auf dem ersten Blick waren sie alle wohl auf. Da saßen 11 Menschen, sieben Erwachsenen (Mile Beronja, Eva Beronja, Zlatko Marić, Zdenka Marić, Ljubica Marić, Karlo Marić, Sandra Marić) und vier Kinder (Davor Marić, Vedran Marić, Melita Beronja und Anita Beronja). Ich suchte Sandra auf. Ich umarmte sie fest und fing an zu weinen. Ich konnte mir nicht verzeihen, Sandra nicht rechtzeitig aus Vukovar fortzuschicken. Aber ich wußte auch, sie würde es nicht tun, obwohl ich ihr eine Abreise vorgeschlagen hatte. Keiner von uns hätte sich träumen lassen, daß so etwas unserer Stadt passieren könnte, und besonders nicht durch die JNA. Ich verbrachte eine Stunde im Haus. Einige Geschosse trafen es direkt, aber das interessierte mich nicht. Ich bat Sandra den Keller nicht ohne einen guten Grund zu verlassen. Ich wußte, daß sie nicht auf mich hören werde, aber ich hoffte, sie würde sich in Acht nehmen. Sandra bat mich nur um ein bißchen Milchpulver wegen eines kleinen Kindes in der Nachbarschaft. Ich versprach etwas zu schicken, wenn sich die erste Gelegenheit anbietet. Ich nahm die gleiche Strecke zurück. Den ganzen Weg rannte ich und kam glücklich ans Ziel. An der Tür warteten auf mich Nensi, Dara 187 und Vera. Ich darf nicht widerholen, was sie mir alles gesagt haben. Ich versuchte zu erklären, daß ich das tun mußte, aber ich konnte ihr Schimpfen nicht stoppen. Sie waren sehr erschreckt. Unsere Insassen waren beunruhigt, und es schien als ob sie nur auf mich hörten. Im Rückweg sah ich, daß das Gebäude des Altenheims fast ganz zerstört wurde. Es gab kein Wasser, Strom und Telefon. 07. 10. 1991 Schon um 7 Uhr feuerten die Mehrfachraketenwerfer ihre Geschosse ab und ihnen folgten auch die anderen Waffengattungen. Der Angriff dauerte bis 10 Uhr, und dann wurde es ein bißchen still. Ich benutzte diese Feuerpause, um Wasser zu holen. Unser Brunnen war noch immer nicht verschüttet. Glücklicherweise war auch unser Wagen noch intakt, und so konnten wir das Wasser vom Brunnen in Fässern holen. Mit dem Wagen gingen wir äußerst sparsam um, da wir mit dem Treibstoff schon am Ende waren, und die naheliegende Tankstelle schon lange außer Betrieb war. Vor der Tankstelle entstand ein großer Bombentrichter durch den Einschlag einer Flugzeugbombe (eine 500 kg schwere „Sau“). Der Radiosender meldete, daß jeden Tag auf „Mitnica“ mehr als 2000 verschiedene Geschosse fallen. Den Menschen wurde geraten, ihre Unterkünfte nicht zu verlassen, da das Krankenhaus keinen Platz für Verwundete mehr hatte. Gegenüber dem Altenheim trafen die Granaten Haus und Garage von Tomislav Beljo. Tomislav aß nichts schon seit zwei Tagen. Wir versuchten ihm zu erklären, das wären nur Sachen, aber dann sagte er, in der Garage hätte er einen neuen Wagen stehen. Ich zuckte, als ich das hörte. Schon seit geraumer Zeit hatten wir keinen Treibstoff und konnten das Brot nicht holen, aber er sagte uns niemals, daß er in der Garage einen neuen Wagen hätte. Das Materielle verlor schon seit langem für die meisten Menschen in Vukovar ihre Bedeutung, aber wir sind doch nicht alle gleich. 08. 10. 1991 Man hörte, daß wieder ein neuer Waffenstillstand unterzeichnet wurde, der für das Gebiet entlang der ganzen Front um Vukovar gelten sollte (Vukovar wurde schon einen ganzen Monat lang belagert), aber wir begruben jede Hoffnung schon seit langem. Nach diesen Waffenstillständen wurden die Überfälle nur noch schlimmer. Der Tag verlief ruhig, wenigstens in unserem Stadtteil. Auch die Insassen durften ein bißchen nach draußen gehen. Die Stimmung wurde heiterer. Sie konnten sich davon überzeugen, daß alles zerstört wurde und keine Versetzung in Frage kommt. Ich besuchte wieder meine Familie und brachte den Nachbarn Milchpulver. Die Menschen schlachteten gemeinsam das Vieh und teilten Fleisch und Brot unter sich. Das größte Problem war aber natürlich Wasser. Wenn das Gewehrfeuer eröffnet worden war, keiner konnte es holen. Ante Mihaljević und seine Männer besuchten 188 oft mein Haus, wovon beide Seiten profitieren. Die Verteidiger bekamen eine warme Mahlzeit, und meine Familie fühlte sich sicherer. Um 7 Uhr abends informierte mich Branka Mažar, Krankenschwester, daß ihre Mutter Beba und sie das Altenheim verlassen werden, da ein Insasse ihre Mutter (eine Serbin) beleidigt hatte. Ich war darüber sehr überrascht, da die Mehrheit unserer Bewohner serbischer Nationalität war. Ich kannte den wahren Grund für ihre Entscheidung, aber ich konnte sie nicht verhindern zu gehen. Auch mir schien, daß „Mitnica“, besonders nachts, heftigste Schläge verpaßt bekommt, aber weil ich doch häufiger in der Stadt unterwegs war (auf der Suche nach Brot und Wasser), wußte ich, daß in der ganzen Stadt Hölle war. Ich konnte von niemandem mehr verlangen, zur Arbeit zu erscheinen. Man hatte auch kein Geld für Gehälter. Wieder waren wir nur vier mit 55 Insassen im Keller. Eine Krankenschwester und uns drei, die sogar keine Arbeitsstelle und keinen Titel mehr hatten und nur den Wunsch hegten, diesen Menschen im Rahmen unserer Möglichkeiten zu helfen. Wir alle teilten dasselbe Schicksal. Daß ein Unglück selten allein kommt, konnten wir uns schon zahlreiche Male während der Belagerung überzeugen. Die ganze Nacht regnete es und wir mußten die ganze Zeit wegen der Risse in der Decke Wache halten. Die im Speisezimmer gelegten Nylons konnten diesen Wasserstrom nicht stoppen. Uns halfen auch einige Insassen, vor allem Zvonko Šibalić und Bartol Falamić, der sowieso meine rechte Hand war. 09. 10. 1991 Da es die ganze vorhergehende Nacht regnete, wurden auch die Angriffe schwächer. Die Schützlinge schliefen nach dem Frühstück ein. Währenddesen räumten wir den Schutt im Speisezimmer auf. Der Stab des Zivilschutzes gab uns statt Nylon zwei Rollen des Teerpapiers als Abdichtung gegen Feuchtigkeit. Wir wußten nicht einmal, was wir zuerst machen sollten. Das ganze Dach war eingestürzt. Darunter war das Speisezimmer voll mit Schutz und Baumaterial. In der Mitte des Zimmers war ein großes Loch. Der Fußboden war zerstört und verbeult. Wir legten das Teerpapier darüber und befestigten ihn mit Baumaterial. Der Schutt wurde weggebracht. Danach bereiteten wir das Mittagessen zu. Nensi mußte in der Zwischenzeit Kata Filipović ein Katheter einführen, da sie sich nicht mehr bewegen konnte. Alle Medikamente, Betäubungsmittel und Sanitätsmaterial schickten wir ins Krankenhaus. Uns blieb nur das Notwendigste. Nensi besuchte auch alle verwundeten Verteidiger in der Nachbarschaft und wechselte ihre Verbände. Trotz des unterzeichneten Waffenstillstands erfolgte der neue Angriff schon um 11 Uhr. Der Angriff dauerte die ganze Nacht bis zum Morgengrauen an. 189 10. 10. 1991 Der Radiosender berichtete, daß der heftigste Angriff in der 49 Tage der Belagerung um 4 Uhr anfangen sollte. Die beiden Seiten beschuldigten sich gegenseitig für den Bruch der Feuereinstellung, was uns aber ganz egal war. Die Granaten fielen auf uns. Die heftigen Überfälle der Infanterie von Negoslavci und in Trpinjska Straße wurden alle zurückgewiesen. Man meldete, daß die Trpinjska Straße zu einem Panzerfriedhof wurde. Das Arbeiterheim in Vukovar brannte völlig nieder. Wir freuten uns, daß die Verteidiger noch imstande waren, Widerstand zu leisten. Es gab etwa 50 Verwundete und 9 Gefallene, meldete der Radiosender. Der Feind aber erlitt viel höhere Verluste. Ein Hilfskonvoi mit Lebens- und Arzneimitteln wurde erwartet, und man verlangte wieder, eine Evakuierung der Schwerverwundeten aus dem Krankenhaus zu organisieren. Uns war allen klar, daß die ganze Sache nur der gute Wille eines JNAOffiziers oder eines höheren Befehlshaber entscheiden wird. 11. 10. 1991 Der Morgen verlief ruhig. Ein dichter Nebel hüllte die Stadt ein. Man hörte den Lärm der Panzer bei Novo groblje (Neuer Friedhof), in Ovčara und in der Kaserne. Der Feind bekam neue Verstärkungen aus Šid. Um 10 Uhr versammelte ich alle Insassen um Nachrichten zu hören. Die größte Überraschung für sie war die Tatsache, daß viele Menschen keine Nahrung und Wasser haben. Mir schien es, daß sie endlich begriffen haben, daß es vielen Menschen schlechter geht als ihnen. Jeden Tag bekommen sie drei Mahlzeiten, davon eine warme, auch Wasser haben sie genug und für diese Umstände auch eine ordentliche Unterkunft. Sie mußten sich nicht wie die meisten Stadteinwohner einer Gefahr auf der Suche nach Lebensmitteln und Wasser aussetzen. Nachdem sie die Nachrichten gehört hatten, wurden sie ruhig, und sagten den ganzen Tag kein Wort. Um 13 Uhr erfolgte ein neuer Angriff. Auf manche Stadtteile fielen über 2000 Geschosse. Die Ruhe kehrte um Mitternacht zurück. Vielleicht war auch der Feind müde geworden. Wir verbrauchten das ganze Wasser, und morgen sollte man neues holen gehen. 12. 10. 1991 Der Radiosender meldete, der Hilfskonvoi mit Lebensmitteln und Medikamenten würde nach Đakovo und Osijek zurückgeschickt. Der Angriff begann um 5 Uhr morgens. Eine starke Explosion erschallte über unsere Köpfe. Wir dachten, es wird alles auf uns einstürzen. Wir stopften unsere Ohren in Erwartung neuer Explosionen. Gleich nachdem die Stille angetreten war, ging ich hinaus, um den Schaden zu überprüfen. Wie ich es auch vermutete, fiel ein starkes Geschoss in die Mitte der 190 Küche, aber glücklicherweise durchschlug es den Boden nicht. Sofort holte man Wasser. Bis zu neuem Angriff konnten wir nur vier Eimer bringen, da wir keinen Treibstoff mehr hatten und die Eimer selbst tragen mußten. Wir haben auch keine Trockenhefe mehr um den Teig (Fladen statt Brot) zu kneten. Auch das letzte Fleisch wurde gegessen. Oma Kata Filipović und Jovo Vukomanović waren im kritischen Zustand. 13. 10. 1991 Seit 15 Tagen war Vukovar total blockiert. Der Radiosender meldete, daß der Hilfskonvoi wieder versuchen werde, Vukovar zu erreichen. Man sprach auch über eine Evakuierung von Frauen und Kindern, worauf ich sofort an unsere Insassen dachte. Ich durfte diese Möglichkeit aber nicht erwähnen: ich glaubte nicht, das eine solche Evakuierung ohne der Befreiung des Weges nach Marinci und Vinkovci stattfinden konnte. Ich wollte sie nicht beunruhigen. Nachdem das Frühstück verteilt worden war, ging ich zu einem Nachbarhaus, um Trockenhefe zu suchen. Wir verbrauchten sie, als wir draußen in Glut einige Male Brot und Fladen gebacken hatten. In einem zerstörten Haus fand ich drei Beutel Trockenhefe. Gerade als ich zurück wollte, hörte ich männliche Stimmen. Ein Mann sagte: „Sie ist irgendwo hier, ich sah sie ins Haus reingehen.“ Ich stand still und wartete. Da tauchten drei bewaffnete Männer auf und einer von ihnen fragte mit ziemlich streng: „Was machst du hier?“ Ich antwortete, daß ich auf der Suche nach Trockenhefe und Backpulver bin, weil im Altenheim, wo ich arbeite, 60 alte Menschen mit selbstgemachtem Brot zu versorgen seien. Er forderte mich auf, die Innenseite meiner Taschen nach außen zu kehren, was ich auch getan habe. Darauf sagte er: „Du könntest getötet werden, viele plündern die Häuser aus und bringen die Wertsachen fort. Es wäre besser, wenn du nicht in fremde Häuser reingehen würdest. Die anderen werden zuerst schießen und erst dann Fragen stellen.“ Ich blieb stumm und kehrte zurück ins Altenheim. Im Vorbeigehen sah ich in der Garage des Hauses Komšić gegenüber dem Altenheim einen mit Holz und Kohle beheizbaren Kochherd. Gleich danach bat ich Milenko und Franjo, diesen Herd im Keller aufzustellen. Sie gingen gegenüber und nach einer kurzen Zeit brachten sie den Kochherd mit. Der Herd war in einem guten Zustand. Wir bauten ihn im Keller auf und machten Feuer. Alle atmeten auf. Ich wußte, daß unsere Mahlzeiten jetzt ungehindert zubereitet werden konnten. Und es wurde uns auch wärmer. Schon um 10 Uhr fing ein neuer Angriff an. 191 14. 10. 1991 Endlich wurde nach zwei Wochen Brot gebacken. Es war sehr schmackhaft, aber wir wollten nicht übertreiben. Jeder bekam eine Brotscheibe zum Mittagessen. Das Abendessen und Frühstück bestanden auch weiterhin aus Keksen und Nudeln. Es gab noch genug Fleischkonserven, Mehl, Öl, Zucker, Tee und Kekse. Der Hilfskonvoi mit Nahrung und Arzneimitteln mußte die Kaserne verlassen und nach Vinkovci zurückkehren. Die Jugo-Armee wollte die Gelegenheit nutzen und plante einen Durchbruch in das Stadtzentrum. Unsere Verteidiger lehnten entschieden eine solche Möglichkeit ab, wofür sie auch einen hohen Preis zu bezahlen bereit waren: Hungertod. Zu uns kamen immer häufiger die Menschen aus der Nachbarschaft. Wir schenkten alles was wir hatten. Nachdem der Hilfskonvoi wieder zurückgeschickt worden war, brach über die Stadt neue Hölle aus. Ich wußte nicht, was noch in dieser Stadt zerstört werden konnte. Überall waren nur Trümmer. Nur der feste Wille der Verteidiger, sich nicht so leicht dem Feind zu ergeben, war ein harter Schild, den der Feind nicht brechen konnte. Die Tatsache war, daß sie alle nur noch ihr eigenes Leben verlieren konnten. Aber Leben und Tod standen hier so dicht nebeneinander, daß man nicht wußte, wo das Leben endet und der Tod beginnt. Während eines neuen Granatangriffs meldete der Radiosender, daß die Verteidiger noch immer ihre Stellungen halten und sich gegenseitig helfen. Zwischen zwei Nachrichtensendungen spielte die Musik von Oliver Dragojević. Wir alle hörten zu und trotz des Donners der Explosionen genossen wir alle diesen Moment. Seine Stimme und die Stimme von Siniša Glavašević gaben uns einen kleinen Hoffnungsstrahl und Kraft zum Aushalten. Am heutigen Tag im Jahr 1967. heiratete ich in Vukovar. Gott, als ob es gestern war. Wird jemand von uns in Vukovar überleben? Die Lage verschlimmerte sich jeden Augenblick. 15. 10. 1991 Die ganze Nacht wurde geschossen. Erst am Morgen beruhigte sich die Situation. Ich ging nach draußen, um etwas Gemüse in umliegenden Gärten zu pflücken. Ich fand Weißkohl und traf einen Nachbar, bei dem wir sonst Wasser holten. Vorige Nacht verschüttete eine Granate seinen Keller. Er brauchte die ganze Nacht, um aus dem Keller die Erde hinauszutragen und seine Tochter und seinen Schwiegersohn mit dem kleinen Kind zu retten. Der Brunnen wurde auch verschüttet. Ich lud ihn zu uns ins Altenheim ein, obwohl Platzmangel herrschte, aber man würde sich schon zurechtfinden. Er sagte aber, daß die ganze Familie schon in ein Nachbarhaus mit einem gutgebauten Keller eingezogen sei. Der Tag war wunderschön, sonnig und mit 192 einem so heiteren und blauen Himmel, daß man es nicht glauben konnte, daß hier ein Krieg geführt wird. In einem Weingarten pflückte ich einige Weintrauben für Kinder. Um 10 Uhr wurde das Gewehrfeuer, fast wie vereinbart, eröffnet. Der Radiosender warnte die Menschen davor, die Schutzkeller zu verlassen. Nur unsere Verteidiger waren ständig in Eile. Sie versuchten überall zu sein, und zu verteidigen was noch zu verteidigen war. Wir andere haben fast jede Verbindung mit der Außenwelt verloren. Für uns gab es keinen Unterschied mehr zwischen Tag und Nacht. 16. 10. 1991 Ein heftiger Angriff begann schon um 8 Uhr. Wir konnten zwei Fässer Wasser vom Brunnen bringen. Vor dem Mittagessen um 11,30 Uhr wurde unser einzige Eingang in den Keller getroffen. Das Dach und die Wände stürzten vor der Tür und blockierten uns von draußen. Wir konnten nichts tun, bis der Angriff vorbei war. Eine Oma, die sich neben der Tür aufhielt, wurde leicht am Arm verletzt. Ich dachte, heute werden wir alle sterben. Die Bomben trafen alles. Hilfe kam nicht und die Vorräte an Waffen und Munition wurden immer kleiner. Der Feind beschoß Vukovar aus einer sicheren Entfernung. Ich wußte nicht, wie lange das Ganze noch dauern und ob jemand überleben wird? Was für Menschen waren das, die so unerbittlich eine Stadt und ihre Einwohner zu vernichten versuchen? Welche Sünden haben wir begangen, um eine solche Strafe zu verdienen? Wir beteten für alle, die ihr Leben verloren werden, damit sie vor Gott reines Herzens treten könnten. Keine Feuereinstellung wurde respektiert. Dem Feind war nichts heilig, auch das Vukovarer Krankenhaus nicht. Jetzt wußten wir, daß auch wenn wir überleben, werden wir alle Erinnerungen an unsere Vergangenheit verlieren. Alles wurde zerstört und die Verbrecher werden nicht aufhören, bis sie das Leben des letzten Einwohners auslöschen. Wenn wir nur Verstärkung in Männern und Waffen kriegen würden, wäre alles leichter. Aber keine Hilfe kam. Nach vier Tagen im Koma starb Jovan Vukomanović. 17. 10. 1991 Spät am Abend kam Dragan. Unsere Freude darüber, daß er lebte, war groß. Er brachte für Veras Kinder, Bojan und Tibor, Süßigkeiten, aber auch eine traurige Nachricht. Gestern fiel Blago Zadro, Führer und Stratege der Verteidigung in der Trpinjska Straße. Er konnte nicht lange bleiben, da das Gewehrfeuer die ganze Nacht nicht aufhörte. Als er gegangen war, überfiel uns eine noch intensivere Ungewißheit. Blago war nicht 193 nur ein Symbol der Verteidigung, sondern auch ein Mann, der von uns allen geliebt und respektiert wurde, sogar von dem Feind. Die ganze Situation wird nur noch schwerer ohne ihn. Das Gewehrfeuer wurde auch tagsüber fortgesetzt. Ohne Rücksicht auf die Gefahr, haben wir den Eingang sauber gemacht und Schutt weggebracht, damit man aus dem Keller hinausgehen konnte. Man brachte Jovan in die Leichenhalle. Tagsüber regnete es stark. Das Wasser drang durch die Eingangstür in den Keller ein, da es kein Dach mehr gab. Wir mußten es wieder bekämpfen. Die Explosionen Blago Zadro störten uns nicht mehr. Der Existenzkampf war stärker als alles andere. Mann hielt in Freud und Leid zusammen, sagten die alten Menschen. Man sammelte genug Regenwasser für andere Bedürfnisse, was bedeutete, daß uns mehr Trinkwasser übrigblieb. Ich hörte, daß man in der Ortsgemeinschaft Mitnica Brot bekommen könnte. Aber als ich da ankam, war da nur noch eine kleine Menge vorhanden, und auch sie war schon verteilt. Auf dem Rückweg bemerkte ich Leute, die den Treibstoff auf der Tankstelle in der Nähe unseres Altenheims durch eine Pumpe schöpften. Ich bat sie um ein bißchen Treibstoff für unseren Kombiwagen, und Gott sei Dank, sie gaben mir etwa zehn Liter. Mein Mann schaute kurz vorbei und überbrachte mir die Nachricht, daß in der Grundschule „Vladimir Nazor“ eine Einheit des Zivilschutzes wirke. Ich könnte sie bitten unser Dach über den Kellereingang zu reparieren, um dem Wasser den Durchgang zu verstopfen. Ich bat ihn, das Kommunalunternehmen „Komunalac“ darüber zu informieren, daß wir einen Toten haben und man sollte ihn abholen kommen. Dann ging ich zur Schule. Als man mich sah, konnte niemand glauben, daß ich mit einem Wagen unterwegs war. Wegen des Daches sagte man mir, daß man so viele Anrufe kriege, daß man wahrscheinlich nicht schaffen werde, uns zu helfen. Keiner vermutete, daß im Altenheim nur vier Frauen arbeiteten. Man riet mir, selbst das Dach zu reparieren. Wir haben Brot gebacken. Ein Stück Teig ließen wir als Hefe für den nächsten Tag. Wir hatten keine Trockenhefe und kein Backpulver. Der Radiosender meldete, daß die Verteidiger alle Angriffe der Infanterie erfolgreich zurückgewiesen hätten. 18. 10. 1991 Während einer kurzen Feuerpause konnten wir Trinkwasser bringen. Es war kalt geworden. Die Lagerräume für Lebensmittel räumten wir auf und machten Platz 194 für Insassen, die sonst im Flur auf Matratzen gelegen haben. Diese Räume hatten keine Fenster und keine Lüftung, aber es war immerhin wärmer als im Flur. Dankbare Blicke dieser alten Menschen waren der Preis genug. Der Morgen roch nach Brand. Viele Häuser brannten. Der Feind würde während der Nacht Phosphorund Napalmbomben abfeuern, meldete der Radiosender. Schwere Kämpfe wurden seit Morgendämmerung in Lužac geführt. Einige Offiziere der JNA wurden sogar gefangengenommen sowie Waffen und Munition und ein Kriegsplan unter winterlichen Umständen beschlagnahmt. Während der Nacht wurde Lužac von Tschetniks gesäubert und unsere Verteidiger befestigten ihre Stellungen. Am Nachmittag starb Vlajko Petković. Da sein Sohn genau gegenüber dem Altenheim wohnte, baten wir ihn seinen Vater zu begraben. Als ob sich der Himmel aufgetan hat, regnete es die ganze Nacht. Wir konnten uns nicht entscheiden, welches Loch zuerst gestopft werden sollte, um den Eindrang des Wassers zu stoppen. Im Raum, in welchem die Mehrzahl der Insassen weilte, mußten wir wieder das Wasser von der Decke sammeln. Unter der Eingangstür rauschte ein Bach. Man mußte Wache halten und das gesammelte Wasser in die Toilette ausschütten. Wenn nur dieses Gewehrfeuer aufgehört hätte, könnten wir das Dach vor dem Eingang reparieren. Vier Fässer füllten wir mit Wasser an. Ein Faß hat man durch eine Gaze filtriert und mit Izosan desinfiziert. Nach zwei oder drei Tagen konnte man dieses Wasser trinken. Das Wasser holten wir von unserem Nachbar. 19. 10. 1991 Es regnete den ganzen Tag. Das Gewehrfeuer war nicht so intensiv wie sonst, und so konnten wir für die Insassen die neue Kleidung aus den Abteilungen „A“ und „B“ holen. Man gab ihnen auch alle Decken, die wir zur Verfügung hatten, da es keine Heizung gab. Der Kochherd war nicht stark genug, um den ganzen Raum zu erwärmen. Wir mußten allmählich auch mit Holz sparsam umgehen. Nach der Essenzubereitung löschte man den Herd. Niemand konnte voraussagen, wie lange der Krieg dauern wird, und auch der Feind wußte es offensichtlich nicht, wie es aus beschlagnahmten Plänen hervorging. Als uns Josip Budimir besuchte, bat ich ihn das Dach über den Eingang zu reparieren. Er schlug mir vor, zum alten Hafenamt zu gehen und dem Stab des Zivilschutzes erklären, worum es geht. Obwohl sich das Hafenamt gegenüber dem Krankenhaus befand und ich durch die ganze Stadt fahren mußte, hatte ich keine Wahl. Dragan fuhr mich mit Jugo. Wegen der schnellen Fahrt, Granaten, Scharfschützen und vieler anderen Sachen, konnte ich von der Stadt fast nichts sehen, ich wußte nur, daß wegen des Schutts im Stadtzentrum eine weitere Fahrt fast unmöglich war. Vera bat mich für ihre Mutter und Schwester, die sich im Keller eines Wohngebäudes in der unmittelbaren Nähe des Hafenamts versteckten, 195 ein bißchen Nahrung mitzunehmen. Dragan und ich gingen zum Gebäude, das sich genau am Ufer befand. Da warteten schon die Scharfschützen auf uns, aber nichts passierte. Veras Mutter und Schwester waren wohl auf. Im Hafenamt wurde mir aber keine Hilfe versprochen. Man riet mir, wieder zur Schule „Vladimir Nazor“ zu gehen und zu sehen was zu machen wäre. Aber als ich wieder da eintraf, bemerkte ich, daß auch das Schuldach getroffen wurde und der Zivilschutz hier genug zu tun hatte. Trotzdem versprach mir Herr Menges, daß jemand kommt, sobald es möglich sei. Auf dem Rückweg sah ich die Leiche von Petković auf dem Feld in der Nähe des Altenheims liegen. Die Leiche war in Betttücher eingewickelt. Vermutlich versuchte sein Sohn ihn über die Straße zu tragen, um ihn im Hof seines Hauses zu begraben, aber in der Zwischenzeit begann man wieder zu schießen, und er mußte ihn liegen lassen. Es wurde auch um uns herum geschossen, aber Gott sei Dank, wir kehrten unverletzt zurück. 20. 10. 1991 Der Regen floß in Strömen. Das Gewehrfeuer wurde stiller. Josip Budimir kam mit Milenko, Dragan, Franjo und Beljo am frühen Morgen und versprach das Dach bis zum Abend zu reparieren. Sie gaben sich alle viele Mühe und arbeiteten während es regnete. Dazu kamen auch die Granaten. Wir hatten ständig Angst, daß jemand verletzt wird. Wir lauschten der Bahn der Geschosse und rannten immer wieder in den Keller hinein, um dann wieder auf das Dach zu steigen. Da wir die Batterien sparen wollten, einige Tage hörten wir das Radio nicht. Ich schaltete es ein, nachdem das Dach repariert worden war. Es meldete, daß der Hilfskonvoi mit Verwundeten Đakovo erreichte. Das bedeutete auch, daß das Krankenhaus Medikamente bekam und die Schwerverwundeten evakuiert wurden. Ich erzählte diese Nachricht gleich weiter. Alle waren begeistert und klatschten. Während der Evakuierung der Verwundeten konnte sich der Feind umgruppieren, was bedeutete, daß noch heftigere Angriffe zu erwarten waren. Josip Budimir zog sich um und erst spät am Abend ging er zu seiner Stellung. Den ganzen Tag aß er nichts, und wollte auch kein Abendessen. Ich war sehr besorgt um ihn. Er wußte, daß man ihn dort mehr brauchte. Der Sohn von Petković konnte endlich seinen Vater nach Hause tragen und begraben. 21. 10. 1991 Die Schützlinge wurden in einen größeren Raum, wo Brennholz gelagert wurde, verlegt und man wechselte feuchte Matratzen aus. Auch entlang des Flures wurde ein Draht gespannt um nasse Kleidung und Bettdecken zu trocknen. Die Insassen waren 196 in Großen und Ganzen wohl auf. Das Gewehrfeuer hörte für eine kurze Zeit auf und so räumten wir den Schutt in der Küche und im Speisezimmer auf. Das Stromwerk „Elektroslavonija“ legte uns ein Stromkabel an. Man riet uns ein Faß mit Treibstoff anzuschaffen und zur Veterinärstation zu bringen, wo sich ein Aggregat befand. So könnten wir 2 bis 3 Stunden täglich Strom bekommen. Das Heizöl verschafften wir im Hafenamt und Milenko und Dragan brachten es zur Veterinärstation. Den übriggebliebenen Schutt und das Baumaterial am Eingang warfen wir hinaus. Wir freuten uns über den Strom, da wir alle schon nach dem Ampelrauch rochen. Tagsüber fielen einige Geschosse auf das Stadtzentrum und in Mitnica. Im Vergleich mit vorhergehenden Tagen war das Gewehrfeuer nicht so intensiv und so konnte man viel Arbeit erledigen. 22. 10. 1991 Der Regen hörte nicht auf. Die ganze Nacht mußten wir wach bleiben und das Wasser von der Decke des Raumes unter dem Speisezimmer abwischen. Die Angriffe dauerten die ganze Nacht. Eine Explosion schlug die Metalltür des Raumes, in welchem sich die Mehrzahl der Insassen befand, aus. Die Splitter des Geschosses bohrten sich in Matratzen hinein, aber wie ein Wunder, niemand wurde verletzt. Gott sei Dank. Falls jemand verwundet wäre, ich wußte nicht, was wir dann tun sollten, das Krankenhaus war unerreichbar und die Arzneimittel neigten sich dem Ende zu. Und im Krankenhaus hätten doch Verteidiger und Kinder Vorrang. Neža Savić war im Koma, und Oma Neža erkrankte schwer an Diabetes. Nensi unternahm alles was nötig war. Auch Oma Kata Filipović ging es immer schlechter. Das Kommunalunternehmen holte die Leiche von Jovo Vukomanović schon vor 8 Uhr. Das Gewehrfeuer war nicht so stark. Der Radiosender meldete, daß in der Nacht mehr als 1000 Geschosse auf Vukovar fielen. Die Insassen wurden unruhig und wollten nach draußen gehen, was ich ihnen streng verbot, da man nicht voraussehen konnte, wann wieder heftig geschossen wird. Um 9 Uhr rannte ein Nachbar in den Keller hinein. Er schrie, daß jemand im oberen Stockwerk Hilfe ruft. Nensi und ich rannten gleich hinauf. Die Hilferufe kamen aus der Abteilung „B“. Ein neuer Angriff hat genau in diesem Moment angefangen. In einem Zimmer in der Mitte der Abteilung fanden wir Bartol Falamić. Er lag in Trümmern, und als er uns sah, sagte er nur kurz: „Ich bin fertig. Meine Beine.“ Nensi ging in den Keller zurück, um Hilfe zu holen, und ich versuchte eine Decke zu finden um ihn einzuwickeln. Er wiederholte immer wieder: „Meine Beine“. Wir zwei konnten ihn nicht über diese Trümmer tragen. Nensi kam zurück mit Zvonko und wir legten Bartol auf die Decke. Ein Ende hielten Nensi und ich, und das andere hielt Zvonko. Wir bewegten uns entlang noch heilen Wänden, um die Geschosse, die überall sprudelten, leichter zu vermeiden. Wir konnten uns nur langsam vorwärts bewegen, da Bartol 197 von Schmerzen schrie und der Schutt war auch gewaltig. Nach einer Ewigkeit, so schien es mir wenigstens, erreichten wir den Keller. Wir legten ihn auf den Fußboden in der Wäschekammer. Nensi untersuchte ihn und stellte fest, daß seine beiden Beine fast zerschmettert waren. Sie gab ihm eine Spritze mit Beruhigungsmittel. Wir konnten nichts anderes tun. Gleich danach schlief er ein, und obwohl wir den Wagen sofort vorbereiteten, um ihn zum Krankenhaus zu fahren, mußten wir warten, bis das Gewehrfeuer aufhört, und Bartol starb. Man vermutete, daß er auch innere Verletzungen hatte. Ich sah sein blasses ruhiges Gesicht und die Tränen rollten mir über die Wangen. Das Zentrum für Sozialarbeit bezahlte den ganzen Betrag seines Aufenthalts im Altenheim, d.h. er war ein „reiner Sozialhilfeempfänger“, sehr nett und ich mochte ihn sehr gern. Er war mir eine große Hilfe und meine rechte Hand, und bei der Anschaffung von Lebensmitteln, beim Müllaustragen, beim Kochen und beim Holzhacken immer da. Sonst war er eher klein und knochig, und jetzt erschien er mir noch kleiner. In der letzten zwei oder drei Tagen sagte er häufig: „Frau Direktorin, wir werden hier nicht lebend herauskommen.“ Als ob er sein Ende vorausahnte. Ich hatte keine Zeit, um ihn zu fragen, was er da oben suchte, als das Gewehrfeuer angefangen hatte, aber ich vermutete, er suchte Zigaretten oder Tabak. Schon seit langem gab es keine Zigaretten und für Raucher war es unerträglich. Das Unglück fühlte man überall: Gewehrfeuer, Zerstörungen, Regen, Mangel an Arzneien und Lebensmittel, und auch der Tod war immer gegenwärtiger. Am Nachmittag wurde der Angriff noch heftiger. Wir alle zogen uns in die sicherste Ecke des Kellers zurück und warteten. Die alltägliche Arbeit wie Geschirrspülung und Essenzubereitung erledigten wir rechtzeitig. Es wäre leichter, wenn man schlafen könnte. Bei einem solchen Geschützfeuer aber, war das unmöglich. Bis 4 Uhr morgens wollte es nicht aufhören. Ich nickte ein bißchen ein, wie auch alle anderen, aber dann weckte uns ein neuer höllischer Morgen auf. 23. 10. 1991 Ich stand um 7 Uhr auf. Während das Frühstück zubereitet, bzw. der Teig geknetet wurde (wofür Vera und Dara zuständig waren), ging ich in unsere Wäschekammer, um die Nachrichten im Radio zu hören. Nensi kam gleich nach, um saubere Betttücher aus einem kleinen Handlager zu nehmen. In diesem Raum waren auch die Arzneimittel gelagert, da er als einziger Raum ständig beaufsichtigt werden konnte, um die Insassen zu verhindern, daß sie allein die Medikamente nehmen. Ich beobachtete wie Nensi versuchte, die Tür zu öffnen, aber es ging nicht. Wir baten einige Insassen um Hilfe. Nachdem man ein bißchen Tür nach oben gestoßen hatte, konnte man sie zur Seite schieben. Dann sahen wir den Grund, warum die Tür nicht aufgehen wollte. Der Raum war bis zur Hälfte mit Erde gefüllt. Die Regale wurden abgerissen und die Arzneimittel und saubere Wäsche ragten aus der Erde hervor. Ein 198 oder zwei Geschosse schlugen in den Raum ein und füllten ihn mit fast 3 Kubikmeter Erde. Ein großes Loch klaftete in der Wand, unter dem Fenster und im Fenster selbst. Die Betttücher, die auf der Erde lagen, sammelten wir gleich. Nach dem Frühstück versuchten wir so viele Medikamente und Sanitätsmaterial wie möglich auszugraben. Glücklicherweise hat Nensi unsere kleine Menge an Betäubungsmittel in die Lagerstätte des Kessels für Zentralheizung hinterlegt. Wer weiß, ob man sie in diesem Durcheinander finden würde. Wir bewahrten sie sehr vorsichtig für Fälle wie Bartol auf. Den ganzen Vormittag gruben wir die Erde um, um möglichst viele Arzneien zu retten. Um Mittag kam Dragan, den ich bat, mich ins Krankenhaus zu fahren, um mit Dr. Bosanac über die Möglichkeit der Unterbringung unserer Insassen im Krankenhaus zu sprechen. Als ich aber den Keller des Krankenhauses betrat, wurde mir gleich klar, ich konnte mir diesen Besuch sparen. Obwohl dieser Keller sicherer war als unsere Streichholzschachtel im Altenheim, habe ich hier nichts verloren. Ich ging weg, ohne überhaupt zu versuchen, mit Dr. Bosanac zu sprechen. Während der Rückfahrt hielten wir bei der Stadtgemeinde auf, um zu überprüfen, ob es in irgendeinem Atomschutzkeller in der Stadt noch Platz gab. Herr Marin Vidić erklärte mir, daß alles voll sei und alle Plätze besetzt, aber ich könnte, wenn ich schon da sei, die Gehälter der Mitarbeiter des Altenheims übernehmen. Was für eine Ironie, die Gehälter waren da. Während ich weg war, kam das Fleisch von der Ortsgemeinschaft. Es regnete nicht mehr, aber es war sehr kalt. 24. 10. 1991 Das Gewehrfeuer begann schon um 9 Uhr. Bis zu diesem Zeitpunkt holten wir schon die Fladen von VUPIK ab und sparten so die Hefe für den nächsten Tag. Die Fladen waren ziemlich hart. Wir mußten sie im Wasser einweichen und auf Öl braten, um sie weich zu kriegen. Zum Abendessen bekam man Panadesuppe und Tee, wozu wir Fladen benutzten. Nach einer sehr langen Zeit kam Strom um 17 und verschwand um 21 Uhr. Alle lebten ein bißchen auf. Wir konnten uns sogar die Nachrichten im Fernsehen anschauen. Aber auch jede so kleine Freude konnte nicht lange dauern. Am Nachmittag fing wieder Regen an. 25. 10. 1991 Kata Filipović starb. Franjo und Dragan brachten vom Kombinat „Borovo“ warme Kleidung für uns und die Insassen mit. Der Angriff begann um 10 Uhr. Ich habe auch in einem naheliegenden Garten ein bißchen Kartoffeln als Abwechslung gefunden. Meine Mitarbeiterinnen bereiteten schon Frühstück und Mittagessen zu. Ich überprüfte unsere Vorräte an Lebensmitteln. Wir hatten genug Bohnen, Mehl und Öl sowie Fleischkonserven. Unter dem Speisezimmer, im Raum wo die Mehrzahl der 199 Menschen untergebracht wurde, sickert das Wasser ununterbrochen. Wir mußten es ständig sammeln, und jetzt gab es Regenwasser im Überfluß. Der Nachbar Ante Mihaljević schaute kurz vorbei. Er sagte mir, daß meine Familie wohl auf sei. Er erzählte auch, daß die Befreiung der Straße nach Vinkovci geplant würde, damit man Verwundete, Frauen und Kinder evakuieren könnte. Ich war aber der Meinung, daß ohne Hilfe von außen, dieses Unternehmen scheitern wird. Wir hatten Angst vor einem ähnlichen Massaker wie in Dalj. 26. 10. 1991 Die Kälte wurde immer stärker, aber auch die Einschließung um Vukovar zog sich immer mehr zusammen. Schon früh am Morgen wurde Vukovar aus allen verfügbaren Waffen angegriffen. Das Radio meldete, daß besonders viele Geschosse auf Krankenhaus abgefeuert wurden. Die Anzahl der Verwundeten und Gefallenen würde immer größer. Mein Mann kam und teilte mir mit, daß unsere Nachbarin zusammen mit ihrem Sohn und ihrer sechs Monate schwangeren Schwiegertochter im Keller ihres Hauses durch eine Granate getötet wurde. Auch Nachbar Lukinić, der bei ihnen nur vorbeischaute, kam um. Das Radio berichtete über eine immer größere Konzentration des Feindes und seiner Bewaffnung. Die Luftangriffe wurden seltener, aber die Infanterie verschanzte sich um Vukovar und feuerte aus einer sicheren Entfernung ihre tödlichen Geschosse ab. Am frühen Morgen hatte ich den Eindruck, als ob jemand, der gerade aufwachte, den Abzug eines Panzers oder eines Mehrfachraketenwerfers drückte, und das Konzert begann. Und auch der Winter war da. 27. 10. 1991 Die Nacht war ziemlich ruhig, aber der Morgen brachte wieder Chaos. Im Radio wurde gemeldet, daß die Kämpfe für die Befreiung der Straße nach Vinkovci begonnen hatten. Die Konzentration des Feindes in diesem Abschnitt wäre immens. Es wäre fast unmöglich mit einem Sieg zu rechnen. Vukovar brannte. Die Anzahl der Verwundeten und Gefallenen brach alle Rekorde. Man hatte keine Übersicht mehr. Die Vorräte an Lebensmitteln und Wasser wurden immer kleiner. Viele verloren ihr Leben während der Suche nach ihnen. Auch die Keller waren nicht mehr sicher. Ein Regen aus Geschossen fiel auf die Stadt, und es gab da nichts mehr, was diesen Regen auf der Erdfläche aufhalten konnte. Immer wieder wurden die Keller durchbrochen. Da war keine Angst mehr. Der Existenzkampf verdrängte Krankheit, Angst und Kraftlosigkeit, fast alle menschliche Emotionen. 200 28. 10. 1991 Es wurde noch kälter. Ich sammelte Kartoffeln für zwei Tage. Es war sehr frostig. Der Angriff begann um 9 Uhr. Heute sollten die Feuerwehrmänner mit Zisternen kommen, aber sie schafften es nicht. Wir mußten zum Trinken das von uns selbst desinfizierte Wasser benutzen. Die Insassen waren gereizt. Viele von ihnen waren Raucher und durch den Mangel an Zigaretten und Tabak wurden sie immer nervöser. Einige von ihnen suchten trotz meines Verbots die Trümmer nach Zigaretten durch. Ich hörte, daß sie auch den Kamillen- und Uvin-Tee in das Toilettenpapier als Ersatz für Tabak einwickelten. Die Kämpfe für den Weg Marinci (Straße nach Vukovar) wurden fortgesetzt, aber ohne Ergebnisse. Der Feind bekam ständig neuen Nachschub, und unsere Verteidiger waren allein. Wir kämpften damit, was uns übriggeblieben war und was man dem Feind entriss. Es wurde immer schwerer Munition und Waffen anzuschaffen, da der Feind auf die Infanterieangriffe verzichtete. Er feuerte seine Geschosse aus einem sicheren Abstand und genoß es. 29. 10. 1991 Der Angriff begann um 8 Uhr. Nach zwei Stunden ließ die Intensität des Gewehrfeuers etwas nach, aber man hörte in Richtung Bogdanovci noch starke Detonationen. Aufgrund der Zähigkeit unserer Verteidiger wurden um 12 Uhr die Kampfflugzeuge eingesetzt. Sie bombardierten das Stadtzentrum und die Trpinjska Straße. Als eine Feuerpause antrat, ging ich wieder in den Garten, um Kartoffeln zu holen. Da hatte ich einen Spaten stehen, und die Erde war doch nicht so hart. Gerade als ich den Garten betrat, sah ich zwei Kampfflugzeuge entlang der Donau fliegen und ihre tödliche Last in den Fluß abwerfen. Es entstanden riesige Wasserspiele. Ich dachte, die Piloten wären sicher Kroaten, die für die feindliche Armee zu fliegen gezwungen waren, da ihre Bomben nicht im Stadtzentrum sondern im Fluß endeten. Die Flugzeuge flogen gleich zurück nach Serbien. Ich war mir ganz nicht bewußt, daß ich weinte. Die Entscheidung der Piloten, ihre Bomben in den Fluß fallen zu lassen, war nur ein Tropfen im Meer für die Einwohner von Vukovar, aber ihr Vorhaben rührte mich sehr. Beim Gedanken, daß diese Bomben auf eine schon zerstörte Stadt abgeworfen werden sollten, konnte ich nur Gott danken, daß es Menschen gab, die anders als ihre unbarmherzige Befehlshaber dachten und handelten. Nachdem die Kampfflugzeuge schon weg waren, versuchte ich noch etwas Kartoffeln zu sammeln, aber eben in diesem Augenblick startete neues Gewehrfeuer aus Richtung Negoslavci und Ovčara. Ich versteckte mich unter der Terrasse eines Hauses, bedeckte meine Augen mit Handflächen und wartete. Ich blieb einige Zeit in Verborgenheit, aber ich wußte nicht wie lange. Als ich meine Augen öffnete, lagen die Kartoffeln überall herum, da eine Granate in den Garten einschlug. Ich füllte etwa eine Hälfte des 201 Sackes an, und rannte zum Altenheim. Da der Sack schwer war und ich rannte, war ich außer Atem, als ich ans Ziel kam. An der Türschwelle warteten auf mich Nensi, Vera und Dara sowie einige Omas. Alle schrien mich an und beschimpften mich. Als sich dann die Situation doch beruhigte, begriff ich, daß sie sich alle um mich Sorgen machten. Es war nicht sehr klug von mir allein den Keller zu verlassen. Gott sei Dank, es passierte nichts. Der Angriff dauerte Tag und Nacht. 30. 10. 1991 Das Radio meldete, daß die kroatische Regierung intensiv über eine Feuereinstellung in Vukovar verhandelt, und um eine Katastrophe zu verhindern, verlangte sie Hilfe von internationaler Staatengemeinschaft. Das Gewehrfeuer hörte nicht auf. Das Krankenhaus befand sich in einer besonders schweren Lage. Es war überfüllt mit Verwundeten. Der Mangel an Lebensmitteln und Wasser war akut geworden. Man opferte sein Leben für ein Glas Wasser, und Mitnica wurde dem Erdboden gleichgemacht. 31. 10. 1991 Die Angriffe auf die Stadt hörten nicht auf. Wir konnten kein Wasser holen. Nach jeder Mahlzeit teilten wir ein Glas Wasser. Im Wagen gab es keinen Treibstoff mehr. Obwohl noch immer drei Mahlzeiten täglich zubereitet wurden, beklagten sich die Insassen immer häufiger über das Essen. Es war unmöglich ihnen zu erklären, daß die Lage in den anderen Stadteilen noch viel schlimmer war. Sie behaupteten, wir wären dafür bezahlt, sich um sie zu kümmern. Sie glaubten nicht, daß wir alles in unserer Macht taten, um ihnen ordentliche Mahlzeiten zu ermöglichen. Um 13 Uhr verließ eine Oma den Keller. Sie verschwand einfach und ging in Richtung des Krankenhauses, da sie davon überzeugt war, dort wäre sie in Sicherheit. Nensi und ich rannten ihr hinterher und konnten sie erst bei dem Kaffehaus Quo Vadis einholen, wo sich sonst unsere Verteidiger versammelten. Es war ein Glück, daß sie nicht schwer war. Wir griffen ihr unter die Arme und trugen sie wörtlich zurück ins Altenheim. Sie beschimpfte uns und versuchte sich immer wieder zu befreien, aber wir hörten nicht auf sie. Den ganzen Weg zurück begleitete uns ein heftiges Gewehrfeuer. Himmel und Erde brannten. Als wir endlich in Sicherheit waren, schrie ich sie an, weil sie noch immer darauf bestand, ins Krankenhaus gebracht zu werden. Ich führte sie nach draußen und ließ sie bei der Kellertür stehen. Ich sagte ihr, sie könne allein gehen. Sobald ich die Tür schloß, tat mir die ganze Sache sehr leid, aber zu meiner Verteidigung kann ich nur sagen, daß ich sehr erschrak, als Nensi der Oma nachlief. Ich hatte ihrer Mutter versprochen, ich würde aufpassen, daß Nensi nichts geschieht. Der Gedanke, daß Nensi verunglücken könnte, war mir enifach unerträglich. Ein 202 bißchen später wollte Vera die Oma von draußen holen, aber die Arme antwortete: „Ich darf nicht, die Direktorin läßt mich nicht rein, du siehst, sie ist verrückt.“ Wir lachten alle, dann faßte ich ihre Hand und führte sie hinein. Ich brauchte lange, um mich zu beruhigen. Die Hölle in Vukovar wollte einfach nicht aufhören. 01. 11. 1991 Der Morgen verlief ruhig. Ein neuer Waffenstillstand wurde unterzeichnet. Ich sagte zu Vera, ich gehe meine Familie besuchen. Ich mußte Sandra und die anderen sehen. Nach dem Frühstück machte ich mich auf dem Weg. Alle Häuser und die neue Grundschule wurden zerstört. Ich traf niemanden. Meine Familie war wohl auf, aber gegenüber der Lache sah man die Panzer stehen. Eine Reihe von neu gebauten Häusern wurden auf dieser Seite vernichtet, wodurch Mitnica den feindlichen Panzern auf Gnade und Ungnade ergeben wurde. Ich fragte Sandra, ob sie genug Lebensmittel hätten. Sie behauptete das größte Problem war wie überall das Wasser. Obwohl ich sie bat, sich in Acht zu nehmen, sagten mir die anderen, daß Sandra jeden Tag den Keller verließ. Ich sagte nichts, da ich wußte, sie würde sowieso nicht auf mich hören. Im Keller meines Hauses waren vier Kinder und acht Erwachsenen. Sie alle brauchten Nahrung und Wasser, und man mußte ohne Rücksicht auf die Gefahr Brot oder Fleisch besorgen. Das Brot machten einige Frauen in unserem Wohnblock. Ich glaubte, daß solche Menschen vom Gott beschützt werden. Man erzählte mit, daß Marko Deronja mit seinem Fahrrad alle Menschen mit Brot und Wasser versorge und bis jetzt bliebe er unversehrt. Vielleicht war es Tierinstinkt, das was diese Menschen am Leben hielt. Ich war beruhigt, als ich Sandra sah. Man konnte den Treibstoff für unseren Wagen (Jugo) verschaffen, und wir fuhren zur Bäckerei um Fladen zu holen. Wir bekamen auch das Öl für den Aggregat. Das Stromkabel war leider noch immer nicht repariert. Der Angriff wurde um 12 Uhr heftiger, obwohl ein Waffenstillstand unterzeichnet wurde. Jetzt wurde allen klar, daß keine friedliche Lösung in Frage kam, und unsere einzige Hoffnung blieb die Befreiung der Straße nach Vinkovci über Bogdanovci und Marinci. Die Kämpfe wurden weiter geführt, aber ohne Ergebnisse. Der Feind war einfach zu stark. Während einer kurzen Feuerpause am Nachmittag, kam Dragan angerannt, und bat mich seine Mutter und Schwester in der Grundschule „Vladimir Nazor“ zu besuchen. Er mußte seiner Mutter ihre Medikamente überbringen, da sie eine schwere Nierenpatientin war. Nensi gab uns Arzneimittel, Toilettenpapier und Kekse für die Kinder seiner Schwester. Zum ersten Mal war ich in dem Schutzkeller im Berg neben der Schule. Eine Menschenmenge, hauptsächlich Frauen, Kinder und ältere Menschen drängten sich am Fußboden. Wir mußten sie überspringen, um sich überhaupt bis zu Dragans Mutter und Schwester durchszuchlagen. Die Menschen 203 waren wie in einer Sardinenbüchse zusammengedrängt. Dragan erzählte mit, daß die Mehrheit dieser Menschen von Sajmište komme. Nach dem Fall von Sajmište wurden die Überlebenden hier untergebracht. Das Licht war gedämpft und die Luft stickig. Die Mahlzeiten wurden draußen in Kochkesseln zubereitet. Für eine Sekunde dachte ich, daß die Situation im Altenheim doch nicht so schlimm war. Dort gab es wenigstens nicht so ein Gedränge. Und auch keine Kinder. Die Töchter von Dragans Schwester sahen mich neugierig und zugleich ängstlich an wegen der Kallaschnikow in meiner Hand. Die Waffe gehörte Dragan, aber ich hielt sie während der Fahrt. Ich fühlte mich beschämt unter ihren Blicken und so ging ich nach draußen, um auf Dragan zu warten. Er blieb nicht lange und wir fuhren schnell ins Altenheim zurück. Ich hörte ein stilles Gebet im Keller. Pater Branimir Kosec las die Messe im Radio und betete gemeinsam mit allen Stadteinwohnern. Die Kampfflugzeuge bombardierten wieder die Stellungen bei Bogdanovci und Marinci. Die Versorgung mit Lebensmitteln und Wasser war immer schwerer zu organisieren. Den Vorrang hatten natürlich Krankenhaus, Verteidigungsstab und Gemeinde. Alle Zivilisten waren sich selbst überlassen. Ich fand Vera weinen. Sie erzählte mir, daß ihr Sohn Bojan, obwohl er nur 15 Jahre alt war, sich an Kämpfen beteiligen will, da er im Keller nicht mehr aushalten könnte. Ich versuchte mit ihm zu reden, aber er behauptete, er wäre nutzlos, und da wir alle sowieso sterben würden, gehe er zu den Verteidigern. Aber da gerade ein neues Gewehrfeuer startete, konnte man ihn davon abraten, das Altenheim zu verlassen. 02. 11. 1991 Früh am Morgen begann ein heftiger Angriff. Um etwa 9 Uhr tauchten die Kampfflugzeuge auf und flogen in Richtung Bogdanovci, woher schwere Detonationen zu hören waren. Unsere Stellungen wurden stark unter Beschuß genommen. Im Radio pries man das Heldentum unserer Verteidiger als ob das noch irgendwelche Bedeutung überhaupt hätte. Wer aber hier nicht war, wird nie wissen können, was sich hier eigentlich ereignete. Wir sollten auf unsere Vernunft hören und wie viele andere die Stadt rechtzeitig verlassen. Jetzt würden wir irgendwo in Sicherheit sein, sich die Nachrichten im Fernsehen anschauen und wegen der grausamen Bilder aus Vukovar vielleicht einige Tränen vergießen. Aber um Vukovar zu retten, brauchte man viel mehr als ganzes Kroatien zu bieten hatte. Als man im Radio hörte, daß tausende Panzer, Panzerwagen, Transporter und feindliche Soldaten auf dem Weg nach Vukovar seien, wußte man schon, was zu erwarten war. Unsere Verteidigung könnte schon sehr bald durchbrochen werden. Dann meldete noch das Radio Beograd, daß Vukovar gefallen sei. Unser Siniša Glavašević, obwohl er wußte, daß die Stadt nicht mehr zu retten war, las während seiner Sendung ein Gedicht über Vukovar. Blut und Qual der Stadteinwohner überließ er dem Gewissen derer, die etwas unternehmen 204 konnten, aber wollten es nicht. Ihn überfiel aber keine Verzweiflung und an alle, die in ihren Kellern und an der Front diese Tragödie durchmachten, richtete er seine Worte voller Hoffnung, daß aus diesen Trümmern eine noch schönere und größere Stadt erbaut würde. Für alle, die sie jetzt zerstören, würde es aber in dieser neuen Stadt keinen Platz geben. Man appellierte wieder auf ganz Kroatien, Vukovar zu helfen. Aber keine Hilfe kam. 03. 11. 1991 Wir konnten kein Wasser holen. Die Vorräte neigten sich ihrem Ende. Der Angriff hörte nicht auf und wurde immer intensiver. Die Zerstörung wurde fortgesetzt, obwohl ich nicht glauben konnte, daß noch etwas in der Stadt heil war. Die Feuerwehr meldete, daß sie leider kein Wasser mitbringen könnte. Eine Zisterne wurde getroffen und der Bedarf war groß. Die Lebensmittel wurden neu geordnet, um eine Übersicht über den Verbrauch zu erlangen. 04. 11. 1991 Unsere Verteidiger konzentrierten sich auf den Vorstoß gegen Vinkovci. Die feindliche Infanterie, geschützt von Panzern, war auf Vormarsch. Das Radio meldete, daß schwere Kämpfe für Lužac geführt werden, da in Budžak feindliche Panzer vorbeifuhren. In Haag verhandelte man über die Feuereinstellung und Abbruch der kriegerischen Auseinandersetzungen, aber keiner von uns glaubte am Erfolg dieser Gespräche. Am Abend begann es zu regnen. Fast keiner redete. Ich hatte keine Kraft, um etwas zu sagen, obwohl ich wußte, da die Insassen von mir erwarten, daß ich ihnen Trost spende. Was sollte ich machen? Ihnen die Wahrheit sagen oder wie unsere Verteidiger, die immer häufiger vorbeischauten, durch leere, nichtige Worte die Hoffnung zu erwecken versuchen? Sollte ich immer wieder wiederholen, daß die Hilfe aus ganz Kroatien kommen würde? 05. 11. 1991 Es regnete die ganze Nacht. Wir konnten nicht schlafen, nur ab und zu einknicken. Wir hörten das Radio nicht, aber die Verteidiger teilten uns mit, daß Lužac gefallen sei. Die Einkesselung Vukovars zog sich immer mehr zusammen. Wir alle hatten nichts mehr zu verlieren als unser eigenes Leben, aber die Angst überfiel uns, weil die Ungewißheit immer größer wurde. Wenn man die hohe Verluste des Feindes im Vukovarer Schlachtfeld im Auge behielt, wurde uns allen klar, daß wir, ohne Rücksicht auf die Bedingungen der Ergebung, nicht geschont werden. Ich wußte nicht, was bei mir zu Hause los war. Ich hatte Angst vor einem Einbruch der feindlichen Soldaten. 205 Ich wußte, daß wir nicht mehr gerettet werden konnten, aber ich fühlte aus tiefster Seele, daß Gott als einziges Licht bei uns war. Im Radio wurde gemeldet, daß Serbien den Friedensplan zurückgewiesen haben sollte. Diese Abweisung war für uns eine vollkommene Vernichtung. Man meldete, daß eine neue Front gegen Županja als Ergebnis der erfolglosen Verhandlungen in Haag gebildet wurde. Es war einfach unmöglich eine so lange Front ohne Verstärkung zu halten. Die Kämpfe wurden um die ganze Stadt herum geführt. Mich schauderte bei dem Gedanken, was in Lužac passierte. Beide Seiten vermerkten große Verluste. 06. 11. 1991 In Vukovar wurde eine totale informative Blockade befohlen. Ich wußte aber nicht genau, was das bedeutete. Man hörte, daß auch Jastreb (Habicht) Vukovar verließ. Ich konnte es nicht glauben. Ich erinnerte mich an seine Stimme über Sende- und Empfangsanlage Motorola, als er die Verteidiger früh am Morgen weckte und alle Stellungen in Vukovar aufrief. Er kannte den Namen jedes einzelnen Verteidigers. Wer weiß, was passierte, wenn auch er gegangen war? Ich hatte das Gefühl, daß das Ende immer näher rückte. Unsere Verteidiger in Mitnica versprachen, bis zum letzten Mann zu kämpfen. Dieselbe Entscheidung trafen auch die anderen Verteidiger entlang der ganzen Front. Zu viele Verbrechen wurden begangen, als daß man jetzt einfach verzeihen konnte. Der Tod selbst war nicht so schrecklich. Es wäre schrecklicher lebend in die Hände von Tschetniks zu fallen. 07. 11. 1991 Serbien sollte bis zum 10. November 1991 den Bedingungen der Europäischen Gemeinschaft für den Anfang eines Friedensprozesses mit Kroatien zustimmen. Aber wenn man die Intensität des Angriffs in der letzten Nacht berücksichtigte, galt das nicht für Vukovar. Immer wenn ein Abkommen über eine Feuereinstellung unterzeichnet wurde, wurden die Angriffe noch heftiger und langwieriger. Es war zu gefährlich das Wasser zu holen, aber zufällig entdeckten wir, daß es im Heizungssystem noch Wasser gab. Es war schmutzig, aber gut genug für Geschirrspülung und Toilette. Wir bewachten ständig die Toilette, um zu verhindern, daß sie sich verstopft. Wir konnten sogar kein Regenwasser von draußen hereinbringen. Ein Faß wurde getroffen, und jetzt blieb uns nur eines übrig. Im Radio wurde ein Interview mit Präsident Tuđman gesendet. Wir waren überrascht über seine Behauptung, daß Vukovar keinen Tag ohne Hilfe von außen ausgehalten hätte. Für uns hier, in dieser Hölle, sah das Ganze anders aus, aber vielleicht war es für uns, aus dieser Perpektive, nicht mehr möglich 206 darüber objektiv zu urteilen. Kroatien war sehr weit davon entfernt, sich mit der Jugoslawischen Armee zu messen. Man sagte, daß die JNA ihrer Stärke nach die viertgrößte Streitkraft in Europa war. 08. 11. 1991 Seit Morgen gab es keine heftigen Angriffe. Wir sind früh herausgegangen, um Trinkwasser zu holen. In der Nachbarschaft wurde ein Schwein geschlachtet und wir bekamen ein bißchen Fleisch. Da mein Mann aus Borovo Naselje, wo er mit seinen Mitarbeiter einen Schaden an einer Filterstation zu reparieren versuchte, noch nicht zurückgekommen war, bat ich Franjo Mandić mich zum Firmensitz von „Vodovod“ im Keller des Gebäudes „Građevinar“ nahe der Gemeinde Vukovar zu bringen. Es war nicht leicht durch das Zentrum zu fahren, aber wir hatten Glück. Dort traf ich Direktor Štengl und Štef Konigskneht an. Ich bemerkte gleich, daß etwas nicht stimmte. Štef weinte. Ich fragte gleich nach meinem Mann und seinen Kollegen. Herr Štengl erzählte, daß sie in Borovo Naselje länger bleiben müßten. Heute Morgen käme aber der Fahrer Lijović um. Štef war mit ihm im Wagen, als sie beide nach Olajnica fuhren um die Eltern von Lijović zu besuchen, und ihn traf die Kugel eines Scharfschützen. Štef sagte auch, daß die Tschetniks mit Panzern Milovo brdo erreichten und bald im Stadtzentrum seien. Wir sollten bei der Brücke des Flusses Vuka aufpassen. Mir wurde klar, daß mein Mann sehr wahrscheinlich aus Borovo Naselje nicht zurückkommen wird. Lužac und Budžak fielen und der Fahrer wurde getötet. Franjo und ich hatten keine Probleme während der Fahrt nach Mitnica. 09. 11. 1991 Dara und Franjo Mandić verließen unser Keller und gingen nach Hause. Ihre Eltern waren ältere Leute und das Ende schien sowieso sehr nahe zu sein. Die Lage war sehr schwer. Ich hoffte mit unseren Sparmaßnahmen das Wasser für noch zwei Tage zu haben. Am frühen Nachmittag begannen neue Angriffe. Vukovar ähnelte einem aufbrausenden Vulkan, der andauernd brannte und rauchte. Die Tragödie war nicht zu vermeiden. 10. 11. 1991 Das Gewehrfeuer dauerte den ganzen Tag und es regnete die ganze Nacht. Das Gebiet von Mitnica war seit 8 Uhr unter hartem Beschuß. Alle waren verzweifelt. Die Situation in der Stadt war unerträglich. Im Krankenhaus befanden sich mehr als 450 Verwundete. Die Toten wurden nicht mehr gezählt. Sie wurden in Massengräbern neben dem Fußballstadion des Klubs „Sloga“ begraben, in umliegenden Gärten 207 und Höfen. Aber die Menschen, die in Trümmern lagen, konnten nicht begraben werden. Und niemand wußte, wie viele Menschen während dieser Bombardements verunglückten. Dieses Gewehrfeuer hörte von dem Tag, als Kampf für die Befreiung der Straße nach Vinkovci begann, nicht auf. Ich konnte den Keller nicht verlassen und nach Hause rennen. Ich hoffte nur, daß sie alle noch am Leben waren. Heftige Kämpfe wurden am Nachmittag in Slavija und Borovo Naselje geführt. Was da los war, nachdem Lužac vor einigen Tagen gefallen war, konnte uns niemand sagen. Ich hoffte, daß unsere Verteidiger keine großen Verluste erlitten. 11. 11. 1991 Früh am Morgen ging ich zu meinem Haus. Alle waren wohl auf. Die Folgen der letzten Angriffe waren noch drastischer. In unserem Wohngebiet wurden das Haus Boras und einige neue Häuser schwer beschädigt. Die obere Hälfte unseres Hauses verschwand fast völlig. Alle älteren Häuser wurden dem Erdboden gleichgemacht. Ich ging sehr schnell ins Altenheim zurück, und da die Angriffe stiller wurden, entschloß ich mich wieder zur Firma meines Mannes „Vodovod“ zu fahren. Man sagte mir, daß die Kollegen nicht mehr zurückkommen könnten, daß Borovo Naselje eingeschlossen würde, und daß die Panzer von Lužac und Budžak auf Vormarsch in Richtung Vukovar seien. Ich hörte auch, sie seien aus Richtung Bogdanovci bis Drvena pijaca vorgedrungen, und es sei nur eine Frage der Stunde bis sie mit den Verbänden in Sajmište bei Slavija, wo heftig gekämpft wurde, zusammentreffen werden. Das bedeutete, daß mehrere Teile Vukovars voneinander abgeschnitten wurden, was natürlich auch die ganze Verteidigung stark gefährdete. Während der Rückfahrt hielt mich ein Verteidiger an. Er besuchte seine Familie in Olajnica und wollte nach Slavija. Als er hörte, daß ich in Richtung Mitnica muß, bat er mich ihn mitzunehmen. Er warnte mich vor Panzern bei Milovo brdo und riet mir die Brücke über den Fluß Vuka so schnell wie möglich zu passieren. Ich befolgte seinen Rat, schaltete in den dritten Gang und gab Vollgas, so daß der Kombiwagen wörtlich wegflog. Um uns herum flogen die Kugeln, aber keine traf uns. Ich war sehr erschrocken und hielt erst bei „Slavija“ an. Oberhalb der Schule „Vladimir Nazor“ nahmen die Tschetniks ihre Stellungen an. Ich verabschiedete mich von dem Verteidiger, und wünschte ihm Glück. Er lächelte verdrießlich und zeigte mir zwei Kugeln, die er als Kampfausrüstung für den heutigen Tag bekam. Wir beide wußten, daß Glück damit nichts mehr zu tun hatte. Nachdem ich zurück ins Altenheim war, erfuhr ich, daß wir keine Kartoffeln mehr hatten. Da das Gewehrfeuer nicht sehr stark war, ging ich in den Garten und konnte etwa einen halben Sack zurückbringen. Zu dieser Zeit gingen Milenko und Beljo das Trinkwasser holen. Die Kampfflugzeuge kamen um 9 Uhr, aber warfen keine Bomben aus. Das Gewehrfeuer dauerte den ganzen Tag, aber es war weniger heftig als letzte Nacht. 208 12. 11. 1991 Alle Insassen waren wohl auf. Die Nachbarn brachten zwei Omas, die durch die Straßen herumirrten. Die Omas wußten nicht ihre Namen oder woher sie kommen, hatten Hunger und waren müde. Wir gaben ihnen gleich etwas zu essen und ließen sie danach auszuschlafen. Unsere einzige Toilette verstopfte sich. Da wir noch Wasser im Heizungssystem hatten und Milenko ein Drahtseil fand, konnten wir die Toilette nach einigen Stunden ausspülen. Man gruppierte die Vorräte an Lebensmittel um und stellte fest, sie hatten sich drastisch reduziert. Viele Menschen kamen zu uns auf der Suche nach Nahrung und wir konnten niemanden ablehnen. Ich konnte allerdings nicht sagen, daß jemand das Unmögliche verlangte, sondern nur so viel, damit man überleben konnte. Die Vorräte an Arzneimittel und Sanitätsmaterial waren auch schon am Ende. Am Nachmittag wurde die Stadt von allen Seiten angegriffen. Heftige Kämpfe wurden bei Slavija und Drvena pijaca geführt, weil der Feind ins Stadtzentrum vorrücken wollte. Man hörte, die Panzer waren bei der Eisenbahnbrücke an der Einfahrt in Vukovar. Ich hatte keine Hoffnung mehr, daß mein Mann zurückkommt. 13. 11. 1991 In Vukovar war die Lage sehr schwer, die schwerste seit dem Beginn eines der schmutzigsten Kriege aller Zeiten. Das Radio Vukovar meldete, die Verteidiger wollten bis auf den letzten Mann ausharren. Den Überlebenden möge lieber Gott helfen, weil niemand anderer wird. Alle warteten auf den Tag, als sich Vukovar endlich ergeben wird. Ich wußte nicht was die anderen Menschen denken, aber ich fühlte mich irgendwie betrogen. Nicht nur aus dem Grunde, daß keine Hilfe kam und nicht kommen wird, sondern auch deswegen, weil ich endlich begriff, daß viele rechtzeitig Vukovar verlassen haben, einige sogar in Begleitung ihrer Wertsachen. Die meisten unter ihnen ließen sich mit Waffen photographieren. Sie prahlten darüber überall, aber als sich die Situation verschärfte, machten sie sich aus dem Staub. In Vukovar blieben Murinselbewohner, Zagorianer, Herzegowiner, aber wenige heimische Einwohner. Und die Menschen, die hier geblieben waren, trugen alle dazu bei, daß Vukovar so lange ausharrte. Im Radio wurde ständig die Meldung gesendet, daß die Verteidiger bis zum letzten Mann kämpfen werden. Es sah so aus, als ob keiner von uns überleben wird. Ich dachte über die Jugendlichen und Kinder nach. Was sollte ich Sandra sagen, falls wir aus diesem Chaos lebend herauskommen? Lohnte es sich zu bleiben? Andererseits, wenn es die Überlebenden doch geben sollte, wie könnte ich, nachdem ich Vukovar vor dem Krieg verlassen hätte, einem solchen Menschen je in die Augen sehen. Auf einmal ist in mir der Wunsch wach geworden, unbedingt 209 nach Hause zu gehen, und ich tat es, ohne jemanden darüber zu informieren. Dort erwartete man wie überall, daß ein Wunder geschieht. Man mußte sich aber mit dem Schicksal abfinden. Sandra erzählte mir, daß einige junge Männer die Stellungen in Mitnica verlassen haben sollten und ins Krankenhaus gingen, da man hörte, daß die Tschetniks besonders auf Mitnica scharf seien, und daß kein Mensch Mitnica lebend verlassen werde. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich umarmte sie fest und weinte. Ich hatte keine Angst vor dem Tode, aber ich fürchtete mich vor dieselben Qualen und Erniedrigungen, die den Frauen in Sajmište in den Räumen der Firma „Modateks“ widerfuhren. Ich sagte zu ihr, daß Damjan mir fünf Handbomben überließ, im Falle, daß wir keine andere Wahl hätten. Wenn die Tschetniks Mitnica erreichen, was nur eine Frage der Stunde war, wäre es besser auch so zu enden, als sich ihnen zu ergeben. Aus der Kaserne hörte man „Marš na Drinu“ („Drina-Marsch“) ertönen, was ein Zeichen dafür war, das bald ein neuer Angriff beginnen wird. Ich eilte zurück ins Altenheim. Sobald es dunkel war, ging ich zur Verwaltung von „Komunalac“, die sich in der Nähe unseres Altenheims befand. Es war nicht mehr nötig, die Munition und das Panzerabwehrgeschoß, die mir die Gardisten gegeben haben, aufzubewahren. Ich gab es Mijo Bendro und fragte nicht nach, ob es helfen werde. Er erzählte mir, daß ihr Kommandant Šoljić auch verschwand und sie wußten einfach nicht mehr weiter. Ich kam erst um 20 Uhr zurück. Als der neue Angriff in vollem Schwunge war, tauchte an der Tür des Kesselraumes, wo ich schlief, kleine Anita, die Tochter meiner Cousine Eva, dann Melita, ihre ältere Tochter, sowie Davor und Vedran, die Söhne des Cousins meines Mannes und auch die anderen aus meinem Haus auf: Mile, Zlatko, Eva, Zdenka, meine Schwiegermutter Ljubica und zum Schluß auch Sandra. Als ich Sandra sah (möge mir lieber Gott verzeihen) war ich erleichtert, aber der Schock ließ mich kein Wort sagen. Ich umarmte sie nur und fing an zu weinen. Unter solchem Beschuß konnte nur ein Verrückter seine Unterkunft verlassen. Man eklärte mir, daß gleich nachdem ich das Haus verlassen hatte, begannen die Panzer ihre Geschosse abzufeuern, und man mußte sich den ganzen Tag im Keller verstecken. Aber dann habe man sich doch entschlossen, ohne Rücksicht auf die Gefahr und in der Obhut der Nacht durch das Fenster hinauszukommen. Sie rannten bis zum Altenheim. Auf das Haus schlugen mehr als 30 Projektile. Sie alle bekamen etwas zu essen und man machte Platz frei, damit sie schlafen konnten. Ich sagte Sandra, daß sich ihr Vater aus Borovo Naselje nicht durchschlagen konnte. Die Oma weinte. Den Trostsatz, daß alles gut wird, konnte ich einfach nicht aussprechen. Ein bißchen später kam Ante Mihaljević. Er sagte, daß man um jeden Meter und jedes Haus kämpfe, aber der Feind sehr bald Slavija und Stadtzentrum erreichen würde. 210 14. 11. 1991 Der heftigste Angriff auf Mitnica startete aus allen verfügbaren Waffen um 6 Uhr. Hilflosigkeit und Angst fesselten unsere Hände und Füße. Aber die Arbeit mußte auch weiter erledigt werden: Frühstück, Brotbacken und Mittagessen. Das Radio berichtete, daß ein neuer Waffenstillstand vereinbart wurde. Aber es schien, nicht in Vukovar. Schon am Morgen griff der Feind wieder an. Man meldete auch, die Straße zwischen Borovo und Vukovar sei in die Hände von Tschetniks und Militärs gefallen. Milošević und Lord Carrington sollten in Beograd eine Feuereinstellung vereinbart haben, aber sie war bedeutungslos. Die Verteidiger und Stadteinwohner zählten die letzten Stunden ab. Den ganzen Tag verließ man seine Unterkunft nicht. Als dunkel wurde, und weil ich schon die letzte Nacht nicht schlafen konnte, versuchte ich mich ein wenig auszuruhen. Sandra setzte sich direkt neben mir, bei der Tür. Etwa um 10 Uhr, gerade als ich fast einschlief, schüttelte mich Sandra auf und zerrte mich in den Flur heraus. Ich dachte, einem Insassen war schlecht. Aber es herrschte Stille und alle lagen in ihren Betten. Am Ende des Flurs stand Ante und ein Gardist. Als ich mich näherte, sagte Sandra leise zu mir, Dragan würde eben vor unserem Eingang getötet. Ich fragte nur, ob sie ihn reingebracht hätten. Ante weinte und sagte, er könnte ihn nicht tragen. Dragan war der Bruder seiner Frau. Wir alle gingen gleich nach draußen. Dragan lag auf dem Beton vor der Garage. Seine Beine waren in einer merkwürdigen Stellung gebeugt, als ob sie aus Lappen wären. Unter seinem Helm lief das Blut über seine Stirn. Sein Körper war noch warm und wir trugen ihn herein. Einige Omas hörten unser Gespräch im Flur, und als wir hereinkamen, alle wußten es schon und weinten. Er war für uns alle eine große Hilfe. Jederzeit fuhr er mich in die Stadt auf der Suche nach Lebensmitteln. Für die Kinder sammelte er Süßigkeiten in den Trümmern um ihnen eine Freude zu machen. Veras Tibor liebte er über alles. Ich erinnerte mich, als er zusammen mit Franjo Mandić zum ersten Mal kam. Er trug seine Gardistenuniform und sagte zu mir: „Tante, jetzt haben wir auch unseren Hauptmann Dragan.“ Seit diesem Augenblick an, war Dragan immer da. Ich erinnerte mich, daß er mir oft erzählte, er hätte in seiner Geldbörse etwas Geld, das man seiner Schwester Katica geben sollte, falls ihm etwas passierte. Ich sollte auch seine Nichten küssen. Er sagte zu mir: „Sag meiner Mutter, sie darf nicht weinen.“ Ich antwortete ihm, er erzähle nur dummes Zeug, und es werde schon nichts schlimmes passieren. Ante und sein Mitkämpfer waren schon gegangen. Mit einer Batterielampe durchsuchte ich Dragans Kleidung nach seiner Geldbörse. Ich fand sie in seiner Jacke. Die ganze Zeit erwartete ich, daß er etwas zu mir sagt. Sein Gesicht und seine Hände waren blas, und in seiner linken Hand hatte er Kaugummis. Ante erzählte mit, alle warnten ihn davor, das Altenheim zu besuchen, da das Gewehrfeuer nicht aufhörte, aber er antwortete: „Ich gehe Kinder besuchen.“ Er wurde getroffen, während er zum Eingang ins Altenheim rannte. Ich fragte mich, ob ich seine Schwester jemals sehen werde. Ob seine Mutter noch lebte? Er war nur 27 Jahre alt. 211 Gescannte Seite des Tagebuchs 212 15. 11. 1991 In Vukovar herrschte ein Durcheinander. Als ob wir lebend begraben wurden. Der Angriff begann um 6 Uhr. Um 14 Uhr schlug eine Granate in der Decke des Kesselraums ein. Der Schutt stürzte sich auf Töpfe, aber keiner wurde verletzt. Wir alle zogen sich in den Flur zurück, weil er der sicherste Platz war. Ich hielt Vedran und Davor fest und konnte fühlen, wie ihre Herzen schlugen. Ich versuchte sie zu beruhigen, aber wir alle wußten, daß das Ende sehr nahe war. Uns schien, daß alle abgefeuerten Geschosse nur unser Altenheim treffen. Das Krankenhaus schickte Martin, um Dragans Leiche Dragan Čorić abzuholen. Ich wunderte mich darüber, daß er sich durchschlagen konnte. Er sagte, er hätte die Strecke vom Bruders Lustig Kreuz über Kirche St. Philipp und Jakob und Gymnasium bis Wasserturm genommen, da die Tschetniks schon bei Slavija waren. Er fuhr gleich weg. Die Tschetniks konnten jede Sekunde da sein. Wir verabschiedeten uns von Dragan und kehrten in den Keller zurück. Martin sagte, daß man Brust an Brust um jedes Haus kämpfen würde. 16. 11. 1991 Wir konnten kein Wasser holen gehen. Die Angriffe hörten nicht auf. Wir hofften auf Wunder, obwohl wir die Tatsachen kannten. Das Chaos wurde perfekt, im Krankenhaus brach eine Epidemie aus, weil es kein Wasser gab. Und viele Menschen versuchten sich dort in Sicherheit zu retten. Alle dachten, das Krankenhaus war das sicherste Ort. Das Radio berichtete, es würde eine absolute Feuereinstellung vereinbart. Aber die Angriffe hörten nicht auf. Am Abend kamen Ante, Zlatko, Mile, Vlado, Senka, Bili und Ivica. Sie versicherten uns, daß die Tschetniks noch lange Mitnica nicht besetzen könnten und man würde noch immer auf Hilfe hoffen. Ich glaubte diesen Worten nicht, aber den anderen funkelte die Hoffnung in den Augen, und so sagte ich nichts dazu. Gleich nachdem sie gegangen waren, teilte mir Nensi mit, daß zwei Omas, die ihre Namen nicht kannten, gefunden wurden. Sie waren beide erschöpft und hatten Hunger. Wir gaben ihnen zu essen und fanden ihnen einen Platz zu schlafen. 213 17. 11. 1991 Der Nachbar gegenüber kam um uns zu sagen, daß sich in seinem Keller die Menschen aus dem Stadtteil Slavija verstecken. Sie waren auf der Flucht vor Tschetniks. Er bat um etwas Lebensmittel. Unter diesen Menschen waren auch kleine Kinder. Wir gaben ihnen Frühstück, Mittag-, und Abendessen. Die Kämpfe setzte man gleich am Morgen fort, besonders um das Krankenhaus. Ich dachte noch immer über Dragan nach und seine Worte, daß wir den Feind besiegen und aus Kroatien eine kleine Schweiz machen würden, daß man nach dem Krieg nur Hochzeiten feiern würde und wer uns keine Einladung schicke, bekomme eine Bombe als Geschenk. Alle diesen Hoffnungen wurden jetzt zunichte gemacht. Spät am Abend kam wieder Ante mit Bili. Sie brachten einen Polizisten mit einem Bein im Gipsverband. Er bat, den Polizisten hier zu lassen, da sich die Verteidiger für den Durchbruch in Richtung Dudik vorbereiten würden. Ich willigte ohne viele Worte ein. Sie verabschiedeten sich und gingen weg. Gleich danach wurde der Angriff noch heftiger. Harte Geschosse trafen immer wieder die obere Hälfte des Kellers und wir mußten den jungen Polizisten in den Kesselraum verlegen, obwohl sein Gipsverband sehr schwer war. Niemand konnte schlafen, weil jeder wußte, daß alles bald vorbei sein wird. Wir wußten nur noch nicht, wie die Schlußszene aussehen wird. Unser „Gast“, der Polizist, sah uns ruhig zu. Er erklärte uns, es wäre nicht schlecht, so viele Menschen wie möglich aus der Nachbarschaft zu versammeln und alles was uns mit Verteidigern in Verbindung bringen könnte, zu vernichten. Dadurch könnte man vielleicht ein Massaker oder Massenerschießungen verhindern. Ich versprach am Morgen alle Nachbarn einzuladen. 18. 11. 1991 (aufgeschrieben am 19. 11. 1991 im Bus auf der Autobahn „Brüderlichkeit – Einigkeit“ bei Adaševci) Ab und zu hörte man nur Detonationen. Es herrschte eine sonderbare Stille. Sandra und ich verteilten Frühstück in unserer Nachbarschaft. Zum Mittagessen gab es Bohnen mit Nudeln. Auch der Brotteig wurde vorbereitet. Ich holte auch einige Eimer Wasser. Um 12 Uhr kam Bili. Ich war überrascht ihn zu sehen, da Ante letzte Nacht sagte, sie wollten einen Durchbruch wagen. Er sagte, daß man mit der Armee die Übergabe von Mitnica vereinbart hätte und eine der Bedingungen auch die Ergebung der Verteidiger wäre, damit das Leben der Zivilisten verschont würde. Wir sollten uns allmählich auf dem Weg zur „Veterinärstation“ machen, wo uns die feindliche Armee erwartete. Wir benachrichtigten alle Menschen in der Nachbarschaft. Den Insassen teilte ich mit, daß der Krieg vorbei sei, und daß sie sich für einen Aufbruch 214 vorbereiten sollten. Der Polizist sagte wieder, daß wir alles vernichten sollten, was uns mit Gardisten in Verbindung bringen könnte, worauf ich Milenko die Kalaschnikow und die Munition mit Bomben gab und bat ihn all das irgendwo unter Trümmern zu vergraben. Wir hatten noch zum Mittag gegessen und dann verließen wir das Altenheim. Der Brotteig ging perfekt auf, als niemals zuvor. Er ähnelte einem rieseigen Pilz. Einige unsere Insassen packten zu viele Sachen ein, obwohl man ihnen sagte, nur das Nötigste mitzunehmen. Zwei Omas, die erst vor kurzer Zeit zu uns kamen, wollten bleiben. Ich nahm nur eine Handtasche mit ausgerissenen Blättern aus meinem Tagebuch und einige leeren Heftseiten mit. Zerstörtes Altenheim 215 Vertreibung und der Weg ins Ungewisse Aufgeschrieben am Weihnachten 1991 in München 18. 11. 1991, Montag Nach dem Mittagessen verließen wir den Keller. Einige unserer Insassen packten zu viele Sachen ein, und wir mußten ihnen beim Tragen helfen. Viele von ihnen waren draußen stehengeblieben und sahen um sich herum. Die Omas bekreuzigten sich. Keine vermutete, was sie erwartete. Alles um uns herum wurde zerstört, Bäume hatten keine Zweige, Vögel sangen nicht, und in weiter Ferne konnte man nur das Gebrüll der Rinder hören. Der Mangel an Wasser war eine harte Versuchung für die Menschen, aber für die Tiere war es ein Verderben. Wir erreichten die Hauptstraße in Richtung Veterinärstation. Aus anderen Nebenstraßen kamen erschöpfte Menschen, hauptsächlich ältere Leute sowie Frauen und Kinder. Alle hatten bei sich ihre Beutel oder größere Bündel. Die Älteren schleppten viel mehr Sachen als die Jüngeren, wahrscheinlich aufgrund ihrer Erfahrung aus dem Zeiten Weltkrieg. Der Weg bis zur Veterinärstation, wo sich schon eine Menge Leute versammelte, war nicht sehr lang. Rechts von uns, entlang der Strecke, die zu Novo groblje (Neuer Friedhof) führte, waren Zdravko Komšić und Pilip Karaula ständig in Bewegung. Sie drängten immer wieder, wir sollten uns beeilen und nicht herumirren. In der Nähe des Hauses Pliša traf ich Ana Dumendžić mit kleinem Vinko. Wir umarmten und begrüßten uns. Als ich sie nach ihrem Mann Stipo und dem älteren Sohn Ivica fragte, die bei der Verteidigung von erstem Tag an waren, sagte sie, Stipo liege verwundet in „Borovocomerc“ und über Ivica habe sie keine Nachrichten. Wir standen bei der Veterinärstation etwa eine Stunde, und dann mußten wir weiter in Richtung Novo groblje (Neuer Friedhof) laufen. Wir durften die Straße nicht verlassen, da schon an ihrem Rande vermintes Gelände anfing. Bei Novo groblje (Neuer Friedhof) neben dem Meierhof Poić warteten schon die Panzer. Hoch in der Baumkrone eines Nußbaums flatterte die Flagge der Tschetniks. Man hörte laute Musik und lautes Geschrei. Auf dem Feld links wurden die Panzer aufeinandergereiht. Aus ihnen schauten bartlose Jugendliche heraus, die hämisch grinsten und irgendwas tranken. Wir schritten erhobenen Hauptes vertieft in unseren schwarzen Gedanken. Alle schwiegen und schauten gerade aus, um die Situation richtig einzuschätzen. Die Verteidiger bewegten sich rechts von uns und die Armee war vorn. Einige Schritte vor mir und Sandra bewegte sich der junge Polizist mit dem Gipsverband. Wir kamen zum Punkt, wo unsere Verteidiger 216 ihre Waffen niederstrecken sollten. Ich sah ein Häuflein Gewehre, Kalaschnikows, Pistolen, Pumpgewehre und ein Paar Handbomben. Ein junger Soldat rechts von uns befahl uns unsere Taschen zu öffnen. Schon früher bemerkte ich, daß sie nur das Gepäck durchsucten. Die ausgerissenen Seiten aus meinem Tagebuch schob ich in meine Hosen unter dem Unterhemd. In diesem Augenblick sahen Sandra und ich einige Kameramänner und einige Leute in weißer Kleidung. Die Journalisten und Kameramänner filmten den Waffenhaufen und alten Grgić, der unter Tränen aussagte, daß alles zerstört worden sei, und daß er auch nicht wisse, wo seine Söhne seien. Die Journalisten stellten immer wieder Fragen in englischer Sprache. Ich bat Sandra, zu ihnen zu gehen, um zu hören was sie fragen. Sie wollten wissen, ob es Überlebende gebe und ob die Stadt vernichtet sei. Sandra beantwortete ihre Fragen, und obwohl sie sich selbst versprach, vor Mördern keine Träne zu vergießen, weinte sie. Nach einer kurzen Zeit ging an uns ein Offizier der JNA vorbei, näherte sich den Waffen, die die Verteidiger niederstreckten, stieß sie mit seinem Bein, spuckte darauf und schimpfte: „Zum Teufel mit den Serben, ihr brauchtet drei Monate um diese Waffen zu besiegen“ (Da vi ebem majkata srpska toa li ve držeše tuka tri meseci). Sandra sah mich an und lächelte sanft. Offenbar konnte der Mazedonier nicht glauben, daß diese Handvoll Waffen und Männer in Mitnica so lange die Front in Vukovar halten könnten. Sie konnten sich nicht damit abfinden, daß die Anzahl der Verteidiger so klein war. Immer wieder forderte ein Offizier durch einen Lautsprecher die Verteidiger auf, sich zu übergeben. Der Kolonne der Zivilisten schlossen sich auch jüngere Männer an, die sich nicht als Verteidiger ausgaben. Unsere Verteidiger von Mitnica wurden daraufhin einer nach dem anderen zu einem Lkw gebracht. Ich sah Ante, Bili und die anderen. Ante bemerkte uns, lächelte und winkte uns zu. Ich konnte nur leise sagen: „Gott, rette sie“, und beim Gedanken was sie erwartete, erfaßte mich ein Schauder. Obwohl niemand wußte, was mit uns passieren wird, boten diese Menschen ihre Leben für unsere Sicherheit an. Ich hoffte aber, daß gerade die Tatsache, daß die ausländischen Journalisten die Kolonne in Mitnica und Übergabe der Verteidiger gefilmt haben, doch irgendwelche Bedeutung haben wird, und sie nicht so einfach hingerichtet werden. Da immer mehr Menschen ankamen, drangen wir uns in Erwartung weiterer Befehle ins Tal auf dem Weg nach Vučedol. Auf beiden Straßenseiten standen junge Soldaten. Es wurde allmählich dunkel, und in der Obhut der Nacht trafen die Lkws ein. Uns wurde befohlen, in sie einzusteigen. Ein eher klein gewachsener Musterbeispiel eines bärtigen Tschetniks ging gerade an mir vorbei, als ich mich laut über steife Beine vom Stehen beschwerte, und sagte nur kurz: „Marić, sei still.“ Die Stimme war mir sehr bekannt, aber ich konnte mich nie erinnern, wer er war. Ich habe darüber lange nachgedacht, aber vergeblich. Er kannte mich offensichtlich sehr gut. Wir stiegen in einen Lkw ein, und nach einigen Minuten fuhren wir in Richtung Sotin. Nach einer kurzen Zeit bog der Lkw rechts 217 ab, und ich wußte, daß wir auf dem Weg nach Jakobovac und Ovčara waren. Gleich danach hielten die Lkws an, und wir mußten aussteigen. Ich erkannte im Licht der Scheinwerfer, daß wir die Stallungen bei Jakobovac passiert haben. Die Soldaten, die entlang der Straße standen, sagten, daß die Busse kommen, um uns abzuholen. Dann ging die Hölle los. Nur die Frauen und Kinder durften in die Busse einsteigen. Die Männer sollten draußen bleiben. Die Frauen schrien und weinten. Neben mir stand eine junge Frau mit ihrem Mann und zwei Töchtern, Zwillingsschwestern. Als ihm ein Soldat befahl sich zu bewegen, umarmte ihn seine Frau, aber der Soldat schlug ihn dann mit seinem Gewehrkolben so hart in den Rücken, daß er in den Schlamm am Rande der Straße fiel. Die Zwillingsschwestern schrien auf, jedes Mädchen klammerte sich an je ein Bein des Vaters und weinte: „Wir geben unseren Vater nicht.“ Der Soldat warnte uns, er würde die Kinder töten, wenn wir sie nicht wegbringen. Nur mit Mühe konnten wir die Kinder von ihrem Vater trennen. Als der Bus voll war, fuhr er gleich weiter. Bald darauf sahen wir Lichter. Wir waren in Negoslavci, in einem ethnisch rein serbischen Dorf nahe Vukovar. Die Busse fuhren sehr langsam. Im Dorf sah man viele Soldaten. Wir hielten im Zentrum an. Der Fahrer riet uns, uns zu bücken, und nicht nach draußen zu sehen. Er wollte nicht dafür verantwortlich sein, was geschehen würde, wenn jemand die Ustascha von Mitnica erkennt. Wir gehorchten, aber ich wagte doch einen Blick auf die Straße. Viele Menschen versammelten sich und rannten wie Hyänen um die Busse herum. Wir stoppten nur für einige Minuten, die uns als eine Ewigkeit erschienen. Die weitere Fahrt führte über Orolik, Šidski Banovci und Tovarnik nach Šid. Ich denke, in Šid trafen wir um etwa 20 Uhr ein, vielleicht ein bißchen später. Unser Bus hielt etwa 20 m vor dem Zentrum an der Kreuzung an. Links bemerkte man einen geöffneten Laden. Ich fragte den Fahrer, ob wir aussteigen könnten, um einige Sachen zu kaufen. Er hatte nichts dagegen, aber wir sollten uns beeilen. Eilig kauften wir Säfte, Cola, Joghurt und Milch. Das Brot gab es nicht. Auf einmal gingen die um die Busse versammelten Einwohner von Šid auf uns los: „Ustascha, ihr solltet getötet werden, wo ist jetzt ihr Tuđman.“ Man schimpfte und bedrohte uns. Wir kehrten schnell in den Bus zurück. Die Fahrt ging weiter nach Adaševci, auch einem serbischen Dorf. Die Busse fuhren im Schneckentempo. Die Hauptstraße war beleuchtet. Auf fast jedem Haustor wurde ein Totenschein aufgehängt. Viele Menschen waren offenbar gefallen. Auf der Straße gab es nicht viele Leute, so fuhren wir langsam weiter. Vor der Überführung nach Morović bog die Buskolonne ab und erreichte die Autobahn «Brüderlichkeit und Einigkeit” ZagrebBeograd. Hier warteten auf uns wahre Tschetniks, Freischärler von Arkan und Vukovarer Serben, hauptsächlich jüngere Menschen, wie meine Sandra. Ich erkannte einige ihrer Schulkameraden. Die Busse ordnete man in zwei Reihen ein und wir mußten alle austeigen. Sandra und ich zählten 15 Busse auf. Alle wurden wieder 218 durchsucht. Das Tagebuch war noch immer in meiner Hose versteckt. Ein Junge verlangte, daß ich meine Tasche ausleere, was ich auch machte. Aber als das auch von Sandra gefordert wurde, sie antwortete, sie hätte nur Bücher. Er verlangte wieder, daß sie ihre Tasche zeigt, aber sie lehnte es ab. Darauf entriß er ihr die Tasche und leerte ihren Inhalt auf den Asphalt aus. Sandra schrie ihn an: „Finger weg von meiner Tasche“, und ich erstarrte, als ich sah, daß er sein Gewehr von seiner Schulter abnahm. Ich faßte Sandra und zwang sie schnell, die Bücher vom Boden zu sammeln, und der junge Soldat ging weg. Wir standen noch einige Zeit auf der Straße. Dann kam ein junger Offizier und teilte uns mit, daß alle die nach Serbien fahren wollten, in die Busse, die in Richtung Beograd stehen, einsteigen sollten. Zu dieser Gruppe gehörten die Serben aus Vukovar an sowie Kroaten, die Familien in Serbien hatten. Ich sah auch die Schwiegermutter von Delfa Miljanović in diese Busse einsteigen. Da sie nicht weit entfernt von mir stand, ging ich mit Sandra ein bißchen zur Seite, da ich nicht wollte, daß sie uns sieht. Ich hatte Angst davor, daß jemand erzählen würde, ich wäre die Direktorin des Altenheims. Ihr Sohn Gojko, Förster, sollte die Panzer am 28. 08. 1991 zu Novo groblje (Neuer Friedhof) geführt haben. Ihre Schwiegertochter, Oberkrankenschwester im Altenheim und Kroatin, sollte über das Altenheim öffentlich gesagt haben, das Altenheim wäre ein „Ustascha-Nest“. Das wäre für jemanden der Grund genug gewesen, um auf uns mit Fingern zu zeigen, und man könnte den Kopf verlieren. Alle unseren serbischen Schützlinge entschieden sich nach Serbien zu fahren. Nach ihrer Abreise und noch einer Durchsuchung konnten wir zurück in die Busse einsteigen. Dann kamen die Kameramänner und Journalisten des Fernsehens Novi Sad, das mehr Übel als die ganze Bewaffnung um Vukovar angerichtet haben. Ich konnte nicht sehen, ob sie mit Kroaten aus Mitnica gesprochen haben, aber mit Tschetniks, die sie mit Weinbrand angeboten haben, doch. Der Weinbrand floß im Überfluß. Und dazu hörte man eine Version eines der bekanntesten Lieder von Tomislav Ivčić „Večeras je naša slava, večeras je naše veče, večeras se Tuđman peče“ (Heute Abend ist unser Fest, heute Abend ist unser Abend, Tuđman wird gebraten). Sie sangen und tranken ihren Weinbrand und man filmte sie auch. Viele Serben aus Vukovar suchten in Bussen ihre Frauen und Kindern. Da erschien auch Lazo aus Mitnica, ich kannte seinen Nachnamen nicht. Er suchte seine Frau. Sie war in unserem Bus mit Nachbarin Ksenija. Sie stiegen aus und sprachen mit ihm. Er faßte sich auf einmal am Kopf, begann zu weinen und schlug mit seinem Kopf in das Dach eines Pkws (Stojadin) ein. Seine Frau weinte auch. Ksenija stieg wieder in den Bus ein, und erzählte uns, daß seine schwangere Tochter im Keller von Franka, unserer Nachbarin, zusammen mit ihrem Mann (Frankas Sohn) und Franka, ums Leben kam. Seine Frau erfuhr es auch jetzt erst. Lazo ging, wie viele anderen Serben, nach Negoslavci, von wo aus Vukovar systematisch beschossen wurde. Es könnte sein, daß eine gerade von ihm abgefeuerte Granate seine Tochter tötete. Der Busfahrer sagte zu uns, wir würden hier die Nacht verbringen, und am Morgen weiter nach 219 Lipovac in Richtung Kroatien fahren. Die Erleichterung überfiel uns alle, aber es währte nicht lange. In den Bus stieg ein Musterbeispiel eines Tschetniks aus der Zeit von Draža Mihaljović, mit einer Pelzmütze auf dem Kopf und einer Kokarde. Er richtete seine Kalaschnikow auf uns und sagte dem Fahrer: „Što, bre, vozaš ovu ustašku bagru. Da je po mome, ja bih to sve pobio i ne bi imali više posla s njima. Znaš li ti, bre, šta su ustaše radile našoj deci i ženama u Vukovaru?» (Was denkst du dich dabei, dieses Gesindel überhaupt irgendwohin zu fahren. Wenn es nach mir ginge, ich würde sie alle töten und dann gäbe es keine Probleme mehr. Weißt du was die Ustascha mit unseren Frauen und Kindern in Vukovar machten?). Wir alle beugten unsere Köpfe instinktiv nach vorne. Man versuchte sich hinter vorderen Rückenlehnen zu verstecken. Den Menschen, die vorne saßen, war es am schwersten. Und dann fing auch ein etwa 4-jähriger Junge zu singen an: „Ustani, bane, Hrvatska te zove“ ... (Steh auf Banus, Kroatien braucht dich). Eine unheimliche Stille legten sich über uns alle. Wir dachten, jetzt seien wir tot. Die Mutter bedeckte mit ihrer Hand den Mund des Jungen, aber es war zu spät. Auf einmal aber war da ein junger Offizier. Seiner Uniform nach konnte er zu den Spezialeinheiten gehören. Er befiel dem Tschetnik kurz, den Bus zu verlassen, was dieser auch tat. Man sah dem jungen Offizier an, daß er Autorität besaß und Gehorsam erwartete. Er begleitete uns den ganzen Weg bis Bijeljina und ich glaube, daß wir ihm zu verdanken haben, daß wir Kroatien erreichten. Er war mittelgroß, mager, ruhig und immer ernst. Auf dem Kopf hatte er ein olivengrün-graues Barret, und wie es aussah, trug er keine Waffe. Vielleicht hatte er eine Pistole, aber man sah sie nicht. Der betrunkene Tschetnik stieg auch in einen anderen Bus ein, aber der Fahrer warf ihn hinaus und schrie ihn an, er sollte auch ihn töten, aber wer würde dann die Busse nach ihren Wünschen herumfahren. Der Offizier regelte auch diese Situation. Unser Fahrer nahm eine Bonbontüte, ging durch die Mitte des Busses und gab den Kindern die Süßigkeiten. Nebenbei erzählte er, daß er auch Enkel hätte und diese Fahrt ihn schon an die Nerven gehe. Dann erwähnte er uns noch etwas, was uns alle überraschte. Er erklärte uns, daß in den letzten sieben Tagen die Hubschrauber viele Tote und Verwundete aus Vukovar herausflogen, und daß die Serben und die Jugo-Armee ernsthaft erwägten, Vukovar in drei Tagen aufzugeben. Er riet uns ohne großen Bedarf den Bus nicht zu verlassen, weil die Tschetniks und Freischärler von Šešelj und Arkan einfach überall seien, und nur darauf warten, jemanden hinzurichten. Er blieb bei uns die ganze Nacht. Sandra und ich konnten nicht schlafen. In unserem Bus war auch meine Nachbarin Melita Štimac. Sie wußte auch nichts über ihren Mann. In dieser Nacht konnte niemand außer Kindern schlafen. 220 19. 11. 1991, Dienstag Um 9 Uhr kam eine Frau und stellte sich als Mitarbeitern des Roten Kreuzes aus Šid vor und erklärte uns, sie sollte uns alle aufschreiben. Fast einstimmig sagten wir ihr, sie sollte zuerst die gewaltsam weggeschleppten Männer und Verteidiger verzeichnen. Sie aber antwortete, daß für diese Männer jemand anderer zuständig war. Als sie fertig war, fragte sie, ob wir etwas brauchen würden. Wir brauchten Nahrung und Wasser sowie Windeln für Babys. Sie versprach, etwas zu unternehmen. Um 8 Uhr, als es schon dämmerte, kamen die Wagen mit Lebensmitteln und Tee. Es gab nicht genug für alle. Unser ganzer Bus bekam nichts. Die Windeln waren nicht angekommen und man zog die Unterhemden aus Baumwolle aus. Sie waren nicht besonders sauber, aber eben trocken. Seit 24 Stunden wurden keine Windeln gewechselt. Der Fahrer erzählte uns, daß über unsere Abreise nach Kroatien noch immer verhandelt würde, und daß uns Kroatien und Tuđman nicht wollten. Wir alle schwiegen und warteten darauf, was passiert. Wir organisierten uns und schrieben die Namen und Geburtsjahren aller fortgeschleppten Männer und befragten darüber alle Menschen in allen Bussen. Wir wollten diese Listen dann den zuständigen Behörden in Kroatien übergeben, damit die Spur unserer Verteidiger nicht verlorengeht. Auf der Autobahn warteten wir bis zum Mittag, als der Befehl ankam, wir sollten zurück nach Šid, zum Markt, weil uns Tuđman nicht aufnehmen wollte. Aber wir wußten, daß die JNA diese Gelegenheit auszunutzen plante, mit Tschetniks tiefer in das kroatische Gebiet vorzudringen. Das war der einzige Grund, warum wir nicht gleich nach Kroatien fuhren. Die Busse, jetzt waren es dreizehn, bildeten eine Kolonne. Man vermutete, daß etwa 150 Menschen, falls die Busse voll waren, nach Serbien weggefahren waren. Der Fahrer wollte, daß wir unsere Köpfe beugen und jeglichen Augenkontakt mit Tschetniks vermeiden. Man sollte sie nicht beunruhigen. Man hatte Angst, sie könnten unkontrolliert zu schießen beginnen. Etwas ähnliches geschah letzte Nacht, als die Tschetniks ohne irgendwelchen Grund einige älteren Menschen aus dem Bus herausgezerrt und getötet haben sollten. Die Tschetniks standen bis an die Zähne bewaffnet auf beider Straßenseiten der Kolonne. Als unser Bus auf eine Anhöhe stieg, um die Straße nach Adaševci zu nehmen, bemerkte Sandra drei weiße Jeeps mit dem Erkennungszeichen des Roten Kreuzes, die von Adaševci angefahren kamen. Sie sagte nur kurz, das seien die Wagen des Internationalen Roten Kreuzes und sie wolle zu ihnen. Ich hatte keine Zeit zu reagieren. Sie drückte den Knopf um die Tür zu öffnen und rannte aus dem Bus hinaus. Man hörte die Schreie: „Stoj, pucat ću, stoj“ (Halt, ich werde schießen, halt), aber sie rannte aus voller Kraft. Es schien als ob die Leute in weißen Jeeps auch sie gesehen haben. Sie fuhren immer langsamer und dann hielten sie auch an. Sandra war schon beim ersten Wagen, aus welchem ein hochgewachsener Mann in weißer Kleidung ausstieg und umarmte sie. Sie redeten kurz miteinander und dann begleitete er sie zurück zum Bus. Ich wußte zuerst nicht, ob ich sie schlagen 221 oder umarmen sollte. Lieber Gott half immer bei solchen Sachen, und so umarmte ich sie fest. Ich zitterte am ganzen Körper. Die ganze Geschichte wickelte sich in so einem Eiltempo ab, daß ich keine Gelegenheit bekam, Sandra zu stoppen. Sie lächelte nur und erklärte mir, daß diese Leute die Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes seien und auf der Suche nach uns wären. Sie versuchten uns zu finden seit wir Vukovar verließen, aber man hätte sie andauernd hin und her gefahren. Das war ein bißchen verwunderlich, da uns das Fernsehen Novi Sad am denselben Abend filmte, als wir die Autobahn erreichten. Sie fanden sich ganz zufällig hier, als die Verbindung zwischen den Tschetniks und ihren Übersetzern kaputtgegangen war. Sandra sagte, sie werden uns jetzt bis zur Rückkehr nach Kroatien begleiten. Glück und Erleichterung zeigten unsere Gesichtsausdrücke. Dann fuhren wir im Normaltempo nach Šid durch Adaševci und hielten bis zum Markt in Šid nicht an. Dort parkten alle Busse ein. Sofort danach kam dieser große Mann zu uns und fragte nach Sandra in fließendem Kroatisch. Sandra stand von ihrem Sitz in der letzten Reihe auf. Melita und ich stiegen auch aus dem Bus und sahen ihr nach. Sandra stieg in Jeep ein und sprach über eine Funkverbindung mit jemandem. Melita und ich durften nicht näher kommen. Die Soldaten ließen es nicht zu. Uns wurde befohlen in den Bus einzusteigen. Um den Markt herum fingen sich die Einwohner von Šid allmählich zu versammeln. Sie riefen uns zu, man sollte uns alle töten. Wir sahen sie nur an. Keiner von uns traute sich, auszusteigen. Kurz danach trafen noch drei Busse mit Frauen und Kindern sowie ein Kombiwagen des Internationalen Roten Kreuzes aus Genf, die unter uns Pakete mit Lebensmitteln, Toilettenpapier und Zigaretten verteilten. Wir konnten uns ein bißchen erfrischen. Dann kam auch Sandra zurück und sagte, daß sie mit Herrn Budiša in Zagreb sprach. Er versicherte ihr, daß wir jetzt in Begleitung des Internationalen Roten Kreuzes in Sicherheit wären. Seine Mitarbeiter würden bei uns bleiben, bis man uns nach Kroatien fährt. Wir durften für eine kurze Zeit den Bus verlassen um unsere Beine ein bißchen zu strecken. In der Nähe war auch eine Toilette. Wir alle verließen den Bus außer den älteren Menschen. Dann verschwand Sandra wieder. Als sie zurück war, erzählte sie, daß sich in einem der Busse ein verwundetes Mädchen befindet, dem die Gangrän droht, wenn es nicht behandelt wird. Sandra versuchte die Wunde zu sanieren. Ich sah Dara Mandić. Sie traf mit einem der letzten drei Busse ein, die auf dem Weg nach Sremska Mitrovica waren, aber da es dort keinen Platz mehr gab, wurden sie zurückgebracht. Sandra ging mit dem Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes von einem zum anderen Bus. Wir sollten in Richtung Vukovar und Ovčara fahren. Unsere Enttäuschung und Angst wurden immer größer. Die Rückfahrt nach Vukovar wäre ein Wahnsinn, aber darüber konnten wir nicht entscheiden. Sobald es dunkel wurde, traten wir die Reise nach Vukovar an. Es herrschte eine Grabesstille erfüllt von Zweifeln, Angst und Ungewißheit. Als wir im Zentrum 222 von Tovarnik recht abbogen, erkannten wir die Strecke, die an Jelaš und Lovas vorbeiführte. Das bedeutete, daß man jetzt einen anderen Weg nahm. Man hörte die Teschtniks erzählen, daß in dem Wald von Jelaš, ein gewißer „Brada“ („Bart”) wirkte, und mit seinen Ustascha-Kämpfern für Furcht und Schrecken in der Nacht sorgte. Wird er auch uns angreifen? War das alles geplant? Wir wußten es nicht. Am Anfang des Waldes wurden die Busse immer langsamer und fuhren im Schneckentempo. Es war als ob die Tschetniks gleich zu schreien beginnen würden: „Napadnite, šta čekate.“ (Worauf warten sie, greifen sie an). Aber niemand wurde angegriffen und als wir die Baracken bei „ORI“ sahen, wußte ich, daß der Wald hinter uns blieb. Ich war erleichtert, aber nur für eine kurze Zeit. Wir näherten uns Sotin, dem ersten Dorf auf dem Weg von Vukovar nach Ilok und Šid. Dort warteten auf uns bärtige Tschetniks. Alfons, Mitarbeiter des Roten Kreuzes, kam um Sandra abzuholen. Man sah sie beide im Scheinwerferlicht. Ich verließ meinen Sitz und ging nach vorne, um zu hören was geschieht. Ein Tschetnik sagte zum Fahrer und jungem Offizier, daß auf diesem Gebiet sein Herzog der Befehlshaber sei, und daß niemand nirgendwo fahren dürfe, ohne zuerst mit ihm zu sprechen. Dann ging er in ein Haus links von der Straße, ein ehemaliges Sägewerk, hinein. Er kam sehr schnell zurück und ließ uns weiterfahren. Der Weg, der nach Ovčara führte, war nicht sehr weit davon entfernt. Man sollte etwa in der Mitte der Strecke zwischen Vukovar und Sotin abbiegen. Als man diese Straße erreichte, wurde die Fahrt langsamer. Überall sah man bewaffnete Menschen, Soldaten und Tschetniks. Man fuhr uns zu den Hangars für landwirtschaftliche Maschinen in Ovčara. Ich kannte diese Umgebung des Landwirtschafts- und Industriekombinats, da ich hier oft das Gemüse für das Altenheim besorgte. Die Kolonne blieb auf der Straße stehen, und ein älterer betrunkener Offizier forderte, daß wir aussteigen. Wir sollten hier übernachten. Aber ihm folgte Alfons, der mit Sandra sprechen wollte. Einige Menschen verließen den Bus, aber dann sagte Sandra zu ihnen, sie sollten wieder einsteigen. Sie und Alfons gingen wieder von einem Bus zum anderen, und erklärten allen, es wäre sicherer in Bussen zu bleiben. Wenn uns der Offizier fragte, ob wir aussteigen wollten, sollten wir einstimmig ablehnen. Da gab es keine weiteren Erklärungen. Wir hörten auf Alfons und blieben drinnen. Nachdem der Offizier in allen Bussen dieselbe Frage gestellt und von allen die gleiche Antwort bekommen hatte, gab er Sandra, dem Übersetzer und Alfons die Hand. Ich fragte Sandra darüber. Sandra sagte, der Offizier wollte, daß die Menschen die Busse verließen, um zu verhindern, daß sie durch die Raketen von noch in Vukovar übriggebliebenen Ustascha verunglücken, wofür er keine Verantwortung übernehmen wollte. Als ihn Alfons dann fragte, ob er gewährleisten könnte, daß keine Granate einschlagen werde, wenn die Menschen aussteigen, konnte er nicht mit ja antworten. Außerdem sollten die Busse schon um 8 Uhr morgens gegen Bogdanovci fahren. Man ging auch davon aus, daß es problematisch sein könnte, 16 223 Busse mit Frauen und Kinder rechtzeitig bis 8 Uhr unter Kontrolle zu bringen. Alfons wollte, daß wir alle in Bussen bleiben wegen unserer eigenen Sicherheit. Durch dieses Händeschütteln bekannte der Offizier seine Niederlage und gratulierte Alfons und Sandra zu ihrem Sieg. Wir konnten zur Toilette gehen, aber niemand blieb lange draußen. Uns kreisten die jungen bartlosen Soldaten und Tschetniks um. Uns schien, daß diese Kinder noch größere Angst als wir hatten. Als Melita, Sandra und ich unsere Beine ein bißchen strecken wollten, versuchten Sandra und Melita mit jungen Soldaten zu sprechen, die bei jedem Schuß in der Ferne zuckten. Wir blieben ruhig, da wir an viel Schlimmeres gewöhnt waren. Wir konnten aber nicht einschätzen, ob es sich dabei um die Provokationen handelte. Fast alle Soldaten kamen aus Bosnien oder dem Kosovo und bekamen eine Photographie, die ein sog. Massaker in einem Kindergarten in Borovo darstellen sollte. Man konnte erkennen, daß es sich dabei um eine geschickte Montage handelte. Aber diese Jungs hatten große Angst vor Frauen, die auf der Seite von Ustascha gekämpft haben sollten. Der Versuch, ihnen die Wahrheit zu erzählen, schlug fehl. Die Gespräche dauerten kurz, auch wegen der Tschetniks im Hintergrund. Wir stiegen wieder in den Bus, aber konnten nicht schlafen, obwohl ich meine Augen immer fester zudrückte. Sandra lehnte sich gegen mich und schlief ein, worüber ich erleichtert wurde. Ich vertiefte mich in meine Gedanken. Immer wieder erinnerte ich mich an die Worte von „Veliki bojler“ (Großer Boiler): „Sie dürfen nicht lebend in die Hände von Tschetniks fallen.“ Wenn jetzt irgendetwas passieren sollte, wäre ich völlig hilflos. Die Waffen zum unseren Schutz vergrab Miljenko in den Trümmern. Ich sprach leise ein Gebet nach langer Zeit. Erst am frühen Morgen überfiel mich ein kurzer Schlaf. 20. 11. 1991, Mittwoch Ich wachte zwischen 6 und 7 Uhr auf, der Morgen dämmerte erst. Die ersten Gänge zur Toilette waren schon erledigt, aber niemand blieb lange draußen. Um 8 Uhr sollten wir weiterfahren. Als die Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes mit Vorbereitungen für einen baldigen Aufbruch begannen, trafen einige militärischen Lkws mit Brot, Konserven und Wasser ein. Vergeblich versuchten Sandra und noch einige Frauen den Menschen zu erklären, die ganze Sache wäre nur eine Täuschung, um uns hier länger aufzuhalten. Das lange Sitzen in Bussen, Hunger und Durst waren es einfach zu viel, und fast alle Menschen stiegen aus den Bussen aus, um Nahrung und Wasser zu holen. Man konnte diese hungrigen, durstigen und erschöpften Frauen nicht davon überzeugen, die Fahrt so schnell wie möglich fortzusetzen. Den Lkws folgten auch die Kameramänner, die dem Militär anzugehören schienen. Sie stellten die Fragen über die Behandlung, die wir durch die Armee erfuhren, wer Vukovar zerstörte und noch viele andere Fragen. All das diente dem Zweck durch geschickte Bildmontagen der Öffentlichkeit das falsche Szenario einer Befreiung durch Armee 224 zu präsentieren. Dieses Szenario kostete uns zwei Stunden. Wir fuhren erst um 10 Uhr in Richtung Bogdanovci und Nuštar weg. Mein Bus befand sich in der Mitte der Kolonne. Links von uns am Rand eines kleinen Waldes konnte man Bagger sehen und den Dampf der frisch ausgegrabenen Erde. Die Sonne stand hoch, aber es war sehr kalt. Die Erde wurde sicher für die auf der rechten Seite sich im Feld verschanzten Mehrfachraketenwerfer und Panzer vorbereitet. Die Busse fuhren über die Feldwege, über „atar“, wie sie in Slawonien genannt wurden. Erst jetzt sahen wir ein, welche Menge an Bewaffnung gegen Vukovar eingesetzt wurde. Uns wurde klar, daß uns nur ein Wunder retten konnte. Auf den Feldern von VUPIK sahen wir während unserer Fahrt von Ovčara bis Negoslavci und bis zur Straße Vukovar-Negoslavci zahlreiche Panzer, Haubitzen und Raketenwerfer. Ab und zu sah man sogar die Raketenspitzen aus der Erde herausragen. Ohne Halten erreichten wir schnell den Eingang in Vukovar aus Richtung von Negoslavci und am Ende der Sajmište Straße. Die Busse hielten für eine kurze Zeit an, aber dann fuhren sie schnell weiter und bogen neben dem Markt nach links. Ich sah die Rampe an der Straße, die zum berüchtigten Stadtteil mit serbischer Mehrheit Petrova gora führte, stehen. Die Rampe hob für unsere Busse Jezdimir Stanković in der Uniform der JNA. Fast alle Stadtbewohner kannten ihn, da er ein Bankangestellter war und an Wochenenden Musik bei den Hochzeitsfeiern spielte. Die Häuser wurden fast nicht beschädigt. An fast jedem Hauseingang flatterte ein weißer Band. Später erzählte uns man, das wäre das Erkennungszeichen der serbischen Häuser, damit sie die JNA während ihres Durchbruchs erkennen konnte. Ich saß rechts in der letzten Reihe, und so konnte ich auch die Fabrik „Modateks“ rechts von mir sehen. Mir fiel auf, daß sich in der Fabrik, in welcher bis zum Kriegsbeginn die ehemaligen Mitarbeiter von „Vuteks“ Saider Internationale (EU) Beobachter 225 und Bandić die Hauptrolle spielten, sich viele Frauen befanden. Ich wußte nicht, ob sie es wußten, wer in Bussen saß, aber sie alle standen an Fenstern und druckten ihre Handflächen gegen Glas. Sie beobachteten stumm das ganze Geschehen. Um sie herum standen viele Soldaten und außerhalb des Fabrikhofes auch zahlreiche Tschetniks. Unsere Busse bewegten sich sehr langsam, und zwischen ihnen streiften immer wieder die Jeeps der Tschetniks, die einen Slalomlauf veranstalteten. Sie schrien und schossen in die Luft. Die Kolonne führten zwei weiße Jeeps des Internationalen Roten Kreuzes an und ein Jeep fuhr am Ende der Kolonne. Man bog in die Proleterska Straße bis „Vuteks“ ab, und dann links in die Svetozar Marković Straße. Man sah nicht viele Menschen, nur ab und zu einen Passanten. Fast alle Haustore waren offen. Die Nebengassen hatten Straßenschilder aus Bretter: Prva četnička, Druga četnička usw. (Erste Tschetniks-Straße, Zweite Tschetniks-Straße). Der November ist sonst der Monat, wenn Schweine in Slawonien geschlachtet werden. Und darauf wollte man hier offenbar nicht verzichten. Nur eine Greisin stand vor ihrem Haus und weinte während die Kolonne vorbeifuhr. Die Busse lenkten links bei der Metzgerei Kruna (Krone) nach Bogdanovci ab, und so helfe uns Gott, hofften wir alle, sie werden jetzt auch nach Nuštar und dann endlich in Richtung Kroatien weiterfahren. Von Vukovar nach Bogdanovci brauchten wir etwa fünf Minuten. Wir hielten vor Bogdanovci an. Nach einigen Minuten kam Leo (der Däne) Sandra abzuholen. Ein Soldat sagte zu uns, wir sollten hier warten. Wir durften aussteigen, aber nicht die Straße verlassen, da alles vermint war. Rechts von uns standen die Soldaten in einer Entfernung von 50 m voneinander. Der Tag war sonnig und warm. Die Maisfelder hinter uns wurden nicht geerntet. Ich bemerkte auch die Straße, mit welcher ich nach der Bombardierung des Altenheims nach Vinkovci gefahren bin, um die Akten der evakuierten Insassen den Kollegen zu überbringen. In der Ferne, am Anfang der Hauptstraße von Bogdanovci, sah ich Rauch. Eine kleine Steigung, die zum Tal vor Bogdanovci führte, wurde durch Projektile zerstört. Man sah auch einige verendete, aufgeblähte und verweste Kühe. Der Wind wehte ein bißchen und man konnte den unerträglichen Gestank des verwesten Viehs riechen. Es war schon Mittag als Sandra und Leo angerannt kamen mit der Nachricht, daß wir wahrscheinlich nicht nach Kroatien fahren werden. Sie traf die Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes im Tal nach Marinci auf dem Weg nach Nuštar. Obwohl sie alle mit weißen Flaggen ausgerüstet waren, wurde auf sie das Feuer eröffnet und sie mußten zurückkehren. Es war offensichtlich, daß die JNA und die Tschetniks noch immer ihr Plan über einen weiteren Vormarsch in das kroatische Territorium nicht aufgegeben haben. Sandra sagte zu mir, daß ihr Leo und Alfons bestätigten, daß uns niemand aufnehmen will, und alle wären glücklich, wenn es keine Überlebenden in Vukovar gäbe. Ich konnte es einfach nicht glauben. Sie erwähnte aber, daß Alfons und Leo viel Erfahrung haben, aber nie wurden sie mit solchen Problemen bei der Durchführung einer Vereinbarung 226 konfrontiert. Die Frauen aus vorderen Bussen stiegen ein, und wir folgten ihnen. Uns wurde befohlen nach Sremska Mitrovica zu fahren. Ich hoffte, wir werden nicht im Gefängnis enden. Die Kolonne konnte erst im Zentrum von Bogdanovci umkehren und sich auf dem Weg nach Sremska Mitrovica machen. Hinter den Häusern in den ersten Reihen, die fast alle verbrannten, sah man Häuser mit geparkten Wagen, Anhängern, Kombiwagen und Traktoren. Die Häuser wurden von Soldaten und Zivilisten geplündert: Hausgeräte, Möbel, Geschirr, Kleidung, Schuhe, Bettzeug, alles was es gab. Das ganze ging ruhig und ohne Eile voran. Nicht nur, daß man Vukovar von Ustascha befreite, man kriegte auch Kriegsbeute. Im Zentrum bei der Kirche, die auch sehr beschädigt wurde, lenkten wir links gegen den Friedhof von Bogdanovci ab. Nur so konnte der letzte Bus in der Kolonne an der Kreuzung bei der Kirche umkehren, und alle anderen ihm folgen. Aus einem Haus kamen drei schmutzige und bärtige Musiker heraus: Trompeter, Harmonikaspieler und Gitarrist und spielten Užica-Kolo. Sie grinsten und feierten ihren Sieg. Aus anderen Häusern kamen auch andere Tschetniks heraus, aber keine Soldaten. Die Spannung stieg. In ihren Händen hielten sie ihre Gewehre und Kalaschnikows, ein klares Zeichen dafür, daß sie schießen werden, falls das nötig wird. Als unser Bus an die Reihe kam, ließ der Fahrer den Motor auf Touren laufen, obwohl der Schalthebel im Leerlauf war. Kurz darauf, stellte er den Motor ab, und stieg aus. Er schlüpfte unter den Wagen. Als er wieder auf seinen Beinen stand, murmelte er etwas darüber, daß etwas kaputtgegangen war. Wir alle schwiegen, mit Bangen in unseren Herzen. Wir wollten nur so schnell wie möglich von hier verschwinden. Die Tschetniks kamen immer näher und die Situation verschärfte sich. Und dann stieg in den Bus der junge Offizier ein, und befiehl dem Fahrer endlich zu fahren. Auf einmal lief der Motor ohne Probleme. Wir kehrten um und fuhren den anderen Bussen nach. Ich konnte erst als wir das Tal von Bogdanovci hinter uns ließen, wieder atmen. Auch die anderen Fahrer handelten wie unserer, da man mehr als zwei Stunden brauchte bis alle Busse umkehrten. Wir waren wieder auf demselben Weg. Die Fahrt wurde dann nach Negoslavci fortgesetzt, wo wir um 15 Uhr eintrafen, und sonderbarerweise fuhren die Busse im Normaltempo ohne Halt weiter. In Höfen der Häuser entlang der Hauptstraße sah man Militärfahrzeuge, Munitionskasten und viele Soldaten. Wir verließen Negoslavci und als wir schon dachten, daß wir auf dem Weg nach Tovarnik über Orolik und Šidski Banovci waren, hielten die Busse an der Kreuzung nach Orolik und Berak an. Da waren wieder Zisternen mit Wasser und viele stiegen aus, um ihre Flaschen anzufüllen. Dann fuhren wir weiter nach Orolik, einem serbischen Dorf. Alle serbischen Dörfer bis Tovarnik erlitten keine Beschädigungen, es fehlte kein Dachziegel. In kroatischem Tovarnik waren fast alle Häuser vermint. Zerstörte Häuser, kaputte Fenster, alles geplündert. Im Zentrum war aber eine Ambulanz und nach der Anzahl der Soldaten vermutete ich auch den Stab der JNA in der Nähe. 227 Wir fuhren weiter nach Šid und dann von Adaševci per Autobahn nach Srijemska Mitrovica. Es war noch Tag, als wir in Srijemska Mitrovica ankamen. Man fuhr uns bis zum Stadtzentrum zu einer neugebauten Sporthalle. Wir sollten uns hier ausruhen, etwas essen, trinken und vermutlich übernachten. Unsere Sachen mußten wir mitnehmen. Am Fußboden gab es keinen Platz. Den Vorrang hatten ältere Menschen und Kinder. Man lag am Fußboden oder auf Matten, wenn man Glück hatte. Die Frauen und Kinder kamen aus allen Stadtteilen von Vukovar, viele davon waren auf der Flucht vor Tschetnicks nach dem Fall von Sajmište. Ich suchte nach bekannten Gesichtern aus Borovo Naselje, um vielleicht etwas über meinen Mann zu erfahren. Aber ich sah niemanden. Auf einmal aber bemerkte ich Katica, die Schwester von Dragan. Ich sah ihre Töchter und ihre Mutter, deren Rücken beim Liegen ein bißchen unterstützt werden mußte. Während ich mir noch überlegte, was ich Katica sagen sollte, bemerkte sie mich. Sie eilte zu mir, und während ich meine Gedanken fieberhaft unter Kontrolle zu bringen versuchte, verstand Katica was in mir vorging, und sagte, sie wußte, daß Dragan fiel, aber die Mutter dürfe es nicht wissen, bis ihr nicht besser gehe. Der Tod des Sohnes würde sie schwer mitnehmen. Mir fiel ein Stein vom Herzen, da ich wirklich nicht im Stande war, über Dragan zu sprechen. Sandra gab den Kindern Säfte und Schokolade, und ich übergab Katica Dragans Geldbörse. Ich habe sie nie geöffnet. Katica erzählte mir, sie würden aus dem Keller der Grundschule „Vladimir Nazor“ abgeführt, als Slavija bis an dem Punkt wo „Velepromet“ stand, fiel. Dort fanden grausame Gemetzel und Folterungen von Zivilisten statt, besonders in der Werkstatt Tišljer. Alle Männer wurden abgeführt. Ihr teilte ein Mitarbeiter des Jugoslawischen Roten Kreuzes mit, wir würden über Bosnien nach Kroatien gebracht, aber man wisse nicht wann. Über eine Lautsprechanlage benachrichtigte man uns, daß bald Nahrung und Wasser kommen würden, sowie daß die Sporthalle über eine Toilette verfügte. Da sich alle nach vorne drangen, setzten sich Sandra, Melita und ich auf die Zuschauertribüne und warteten bis sich das Gedränge auflöste. Uns schlossen sich auch Nensi und Vera Tešanović an. Vera sagte zu mir, daß man ihren Sohn, der nur 15 Jahre alt war, ins Gefängnis nach Mitrovica abführte. Der jüngere Tibor blieb bei ihr. Nachdem das Essen gekommen war, tauchten in der Halle auch die Fernsehteams mit Kameras auf und filmten das Leid und Elend. Eine rothaarige Journalistin in schwarzer Lederjacke und einem kurzen Rock, auffällig geschminkt, stellte mit einem Lächeln im Gesicht den erschöpften Frauen schon bekannte Fragen: wie sie von der Armee behandelt würden, wer Vukovar zerstörte, wollten sie nach Kroatien gebracht werden ... Zu uns gesellte sich ein großer magerer Mann, ordentlich rasiert, mit einer Kamera und stellte Fragen. Wir sagten, daß Vukovar von der JNA zerstört würde, worauf er ruhig behauptete, daß die Ustascha die wahren Schuldigen wären. Melita erwähnte aufgeregt, daß die Waffen dafür nur die JNA hätte. Er versuchte uns zu 228 erklären, daß wir die Geiseln von Ustascha waren, und daß uns die JNA befreite. Wir wollten dann wissen, warum würden wir dann durch ganz Serbien gefahren und warum bringe man uns nicht nach Kroatien. Die Antwort aber kannten wir schon: Tuđman wollte uns nicht, und die JNA könnte nicht mehr die Leben ihrer Soldaten wegen uns aufs Spiel setzen. Er pries Ehre und Würde aller Soldaten der JNA, besonders der Offiziere. Melita konnte nicht aushalten, und fragte ihn nach Tschetniks und ihrer Rolle. Die Antwort war kurz und bündig: „Die Tschetniks sind ein Teil der JNA, nur mit anderen Abzeichen.“ Ich wußte nicht, was er von uns erwartete, aber er könnte nicht wirklich denken, daß wir diese Behauptung ruhig annehmen. Aber wir sagten dazu doch nichts, weil es sowieso keinen Zweck hatte. Die JNA bewaffnete die Tschetniks und stand hinter allen Grausamkeiten, die diese begangen hatten. Der Mann ließ uns in Ruhe. Zu uns kam der junge Krešo Kasalo. Er war im Gefängnis in Sremska Mitrovica, aber jetzt durfte er seine Mutter besuchen. Ich wußte nicht wie er das zustande brachte. Er war so grün und blau geschlagen, daß er sich kaum auf Beinen hielt. Er warnte uns davor, mit anderen Zivilisten zu sprechen, da viele in ihren Jackenärmeln Gummiknüppel versteckten. Manche Menschen wurden aus der Halle nach draußen gebracht und geschlagen. Ein Mann, der seinen Gummiknüppel sogar nicht zu verstecken versuchte, stand nicht weit entfernt von uns. Auch Leo kam und erklärte Sandra, daß die Fahrt nach Bosnien vermutlich morgen organisiert werde. Wir sollten auch Kasalo unter allen Umständen in den Bus einschieben. Das Gedränge bei der Verteilung von Lebensmitteln wurde geringer, und so gingen wir uns auch etwas zum Essen und Trinken zu holen. Es gab belegte Brote mit Salami, Konserven, Brot, Säfte, Milch und natürlich Wasser. Wir nahmen etwas von allem und gingen zur Tribüne zurück. Zu uns kamen wieder Vera und Nensi. Über die Lautsprechanlage wurden die Namen aufgerufen. Verwandte und Bekannte kamen, um ihre Nächsten zu suchen. Vukovar und Syrmien pflegten nicht nur geographische sondern auch verwandtschaftliche Beziehungen. Uns fünf aßen, jede vertieft in ihre Gedanken. Aber mein Kopf war ganz leer. Aus weiter Ferne hörte ich die Stimme der Lautsprechanlage: „Sandra und Anica Marić sollten nach draußen kommen.“ Ich sah Sandra an und bewegte mich langsam wie in einem Traum. Ich war mir sicher, daß uns unsere Mutter aus Kukujevci bei Šid fand und kam um zu überprüfen wie es uns geht. Draußen vor der Tür standen Leo und Alfons und daneben Marinko Cvikić, Sandras ehemaliger Freund aus Vukovar. Wir begrüßten ihn, und dann ging ich zurück in die Halle. Ich hatte nur einen Gedanken in meinem Kopf: sie wird mit ihm gehen, obwohl wir sie mehr als jemals brauchten. Der Weg nach Kroatien sollte sehr lang sein. Aber ich hatte kein Recht irgendetwas zu sagen, sie mußte ihre Entscheidungen selbst treffen. Als der Krieg begann, verließen Marinko, seine Eltern und sein jüngerer Bruder Vukovar und zogen nach Novi Sad um. Sandra und er waren ein Paar fast drei Jahre und sie hatten sich sicher viel zu 229 sagen. Ich erzählte Nensi, Melita und Vera, wer gekommen war. Melita kannte ihn nicht, aber Nensi doch. Auch sie lebte in Borovo Naselje wie Marinko. Sie fragte, ob Sandra mit ihm gehen werde. Aber ich kannte die Antwort nicht. Mir war zum Essen nicht zumute. Und als Sandra wieder vor uns stand, konnten wir nichts sagen. Wir sahen sie nur an. Aber sie wußte schon alles, lächelte und sagte: „Aha, die Angst packte euch? Ihr denkt ich werde gehen, aber das wird nicht passieren. Wir haben über einige Sachen geredet. Ich sagte zu ihm, ich muß mit euch nach Kroatien. Was uns die Zukunft bringt, das werden wir später sehen. Vielleicht wird uns das Schicksal später zusammenbringen, wer weiß? Er wollte, daß ich mit ihm nach Novi Sad komme, aber ich erklärte ihm, daß ich hier mehr gebraucht werde.” Ich wollte wissen, woher er wissen konnte, daß wir in Sremska Mitrovica waren. Sandra sagte, er habe sie im Fernsehen gesehen, als sie in englischer Sprache über Vukovar erzählte. Er erkundigte sich dann nach Frauen und Kindern von Mitnica. Ich erinnerte mich auch, daß er auch als Telefonverbindungen noch intakt waren, immer wieder anrief und Sandra bat, Vukovar mit einem Passierschein von Tomislav Merčep zu verlassen, aber sie lehnte es ab, sie wollte wie ihr Vater ihre Arbeit nicht verlassen. Und so blieb sie in ihrer Stadt. Es fiel mir ein Stein vom Herzen, aber ich war auch gleichzeitig ein bißchen darüber beschämt, daß ich so wenig Vertrauen in meine Tochter hatte. Die Tatsache war, daß Sandra ihren eigenen Willen hatte. Vielleicht zweifelte ich deswegen an ihr. Dann kam Leo und bat Sandra mit ihm zum Arzt in der Halle zu gehen. Das Mädchen Marijana Karaula, das am Bein verwundet wurde, fühlte sich sehr schlecht. Ihr Bein war angeschwollen, das Mädchen hatte hohes Fieber. Sie mußte so schnell wie möglich einem operativen Eingriff untergezogen werden. Aber Mutter und Tochter wollten nicht ins Krankenhaus in Mitrovica eingeliefert werden, obwohl das Leben der Tochter in großer Gefahr war. Sie hörten weder auf den Arzt noch Sandra. Auch eine junge schwangere Frau, bei der schon Wehen ansetzten, wollte nicht ins Krankenhaus. Marijana bekam die Spritzen verabreicht, aber sie lehnte es immer wieder ab, ins Krankenhaus zu gehen. Obwohl wir alle müde waren, keiner konnte schlafen. Um 21 Uhr waren wir alle noch wach. Dann teilte man uns über die Lautsprechanlage mit, daß morgen die ersten Busse nach Bosnien fahren werden, und als ersten sollten die Menschen fahren, die schon gestern hier ankamen. Die anderen sollten warten. Sofort entstand ein Durcheinander. Die Panik brach aus. Alle versuchten sich der Tür zu nähern. Wer konnte darüber bestimmen, wann wer angekommen war. Leo und Alfons sprachen mit Sandra und dann gingen sie alle drei zum Tisch des Jugoslawischen Roten Kreuzes, an welchem zwei Frauen saßen, für den Fall, daß sich jemand von uns dazu entscheiden sollte, zu seinen Verwandten in Serbien weiterzufahren. Sandra sprach mit diesen Frauen, und war zu hören, daß man entschied, daß entweder alle fahren werden oder niemand. Man werde solange warten bis genug Busse für alle da sind. Alle begannen zu klatschen. Ich war über Sandras Rolle in dieser ganzen Geschichte überhaupt nicht erfreut. Die 230 Mitarbeiter des Roten Kreuzes ignorierten den offiziellen Übersetzer und Sandra war verantwortlich dafür, daß man die richtigen Informationen immer bekam. Ich hatte Angst davor, daß die Dunkelheit sie verschlucken wird. Ich wußte, daß Leo und Alfons alles mit ihr besprachen, und auch daß die Entscheidung einer großen Menschenmenge, etwa tausend Frauen und Kinder, doch respektiert werden mußte. Sandra sagte, daß Leo und Alfons glauben, daß wir endlich morgen nach Kroatien fahren würden. Leo und Alfons gingen ins Hotel, um sich ein bißchen auszuruhen. Sie schenkten Sandra ein Parfüm, damit sie sich mit ihm besprengen könnte, als man Zagreb erreicht. Erst dann wurde mir bewußt, wie stark wir alle stanken. Kein Wunder, wir badeten seit einem Monat nicht. Wir versuchten einzuschlafen, aber die Stühle waren ungemütlich, der Rand des Sesselplatzes war erhöht und ich hatte Schmerzen im Bereich der Nieren. Ich legte mich auf den Beton zwischen Sitzplätzen und schlief sehr schnell ein. 21. 11. 1991, Donnerstag Ich wurde wach vor der Dämmerung. Fast alle schliefen noch, und die Luft in der Halle war ziemlich stickig. Ich ging zur Toilette um mich zu erfrischen. Danach konnte ich nur warten, bis auch andere aufwachten. Um 8 Uhr brachte man Frühstück: Gebäck, Tee, Joghurt und Milch. Es herrschte kein Gedränge mehr. Alle waren ruhig. Um 9,30 Uhr meldete die Lautsprechanlage, wir sollten unsere Sachen packen und auf das Zeichen zum Einsteigen warten. Marijana war sehr krank, sie hatte hohes Fieber. Die schwangere Frau konnte ich nicht sehen. Um 10 Uhr sagte man uns, die Busse würden nach Bijeljina fahren. Dort sollten uns die kroatischen Busse und Lkws erwarten. Unserem Konvoi sollten sich auch die Schwerverwundete aus dem Vukovarer Krankenhaus anschließen und mit den Militärtransportern nach Brčko fahren. Es gab keine Panik und kein Gedränge. Wir nahmen ruhig unsere Plätze in Bussen ein. Mit uns kam auch Kasalo mit. Die Fahrt war langsam, sie führte über Kuzmin und Srijemska Rača, dann über die Save nach Bijeljina. Man mußte häufig an sog. Kontrollpunkten halten, aber der Zweck der ganzen Sache bestand darin, eine Fahrt, die nur einige Stunden dauerte, auf einen ganzen Tag auszudehnen, damit man Bijeljina erst in der Nacht erreicht. Wir trafen am Vorabend in Bijeljina ein. Mir schien, daß man auf einer Bundesstraße anhielt. Entlang der Straße auf beiden Seiten warteten schon Busse und Lkws aus Kroatien. Gleich nachdem wir unseren Buss verlassen hatten, tauchte ein kleiner Mann in einer schwarzen Jacke und einem Erkennungszeichen des Roten Kreuzes am Ärmel. Er trug auch eine schwarze Mütze. Er sagte, wir könnten in den Lkw einsteigen. Da versammelten sich um die Wagen die Einwohner von Bijeljina, wahrscheinlich Serben, die uns zuriefen, daß wir Ustascha seien. Es begann zu regnen. 231 Uns fünfzehn liefen über die Straße und stiegen in den Lkw ein. Ich denke, der Fahrer war aus Varaždin. Er sagte, wir würden uns schnell auf dem Weg machen, sobald alle Menschen serbische Busse verlassen. Er erklärte uns, daß auch die Verwundeten und die älteren Menschen mitkommen werden, aber in Bussen. Er hoffte, wir würden nicht sauer sein, daß für uns die Lkws vorbereitet wären. Für uns stellte das kein Problem dar. Kroatien war endlich in Sicht, und wir saßen in einem kroatischen Lkw. Wir folgten dem Rat des Fahrers und ließen die Plane in dem hinteren Teil des Wagens herunter. Da waren schon die Decken, um die Härte des Bodens zu mildern. Wir alle fanden einen Platz und warteten. Der Lkw, der vor unserem geparkt war, fuhr weg, aber wir nicht. Auch der Lkw hinter uns startete den Motor. Ich hob die Plane und sah alle Wagen allmählich in einer Kolonne auf der rechten Straßenseite wegfahren. Ich sagte Sandra, sie sollte unseren Fahrer suchen. Sandra erfuhr, daß er sich im naheliegenden Wirtshaus betrank, was einfach in so einer kurzen Zeit nicht möglich war. Er war völlig nüchtern und besonnen, als er mit uns sprach. Ich stieg aus dem Lkw aus und hörte den Fahrer des letzten Lkw in der Kolonne schreien, wir sollten zu ihm kommen. Als wir dann über die Straße laufen wollten, ließ ein Verkehrpolizist die Kolonne, die auf den Treibstoff wartete, durch. Aus Verzweiflung riefen wir ihm zu, er sollte uns die Straße passieren lassen oder gleich töten. Auf unsere Überraschung, stoppte er die andere Kolonne und wir rannten zum Lkw. Erst als ich schon im Lkw saß, bemerkte ich, daß Sandra verschwand. Ich geriet in Panik, aber niemand wußte, wo sie war. Ich stieg aus dem Lkw wieder aus und rannte entlang der Kolonne. Der Fahrer rief mir zu, ich sollte einsteigen. Melita und er dachten, sie wäre nach vorn gegangen. Auf einmal war da auch der Mann in der schwarzen Jacke, und sagte, daß ein Mädchen mit einem Tuch in einen Bus eingestiegen wäre. Aber ich glaubte ihm nicht. Ich rannte wieder nach vorn und rief nach ihr. Die Kolonne stoppte auf einmal. Da sah ich Sandra, wie sie mit Leo und Alfons angerannt kommt. Ich fiel auf die Knie. Sandra half mich aufzustehen und in den Lkw einzusteigen. Sie erklärte mir, als sie sah, daß unser Fahrer nicht zu finden war, suchte sie Alfons und Leo auf. Leo und Alfons erzählten uns, daß einige Fahrer aus ihren Wagen herausgezerrt und geschlagen würden, um zu verhindern, uns nach Kroatien zu fahren. Alles widerhallte in meinen Ohren, aber ich war nicht imstande zu sprechen. In diesem Augenblick war ich am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Ich umarmte Sandra fest und zitterte am ganzen Körper. Mich quälte die Frage, wie konnte so etwas so nahe am Ziel passieren. Angst, Wut, schwere Last in meiner Brust, all das gor in mir. Sandra erzählte, daß wir noch an einer Stelle auf dem Weg nach Brčko unter Beschuß geraten könnten. Wenn wir aber diese Stelle passierten, dann wären wir endlich in Sicherheit. Erst nach einigen Minuten begriff sie, daß ich einen Schock erlitt und praktisch erstarrte. Sie küßte mich immer wieder, versuchte mich zu beruhigen und wiederholte ständig, wir wären auf dem Weg in Freiheit. Ich schwieg, hielt sie fest und weinte. Ich versuchte überhaupt nicht meine Tränen 232 abzuwischen. Nach einer kurzen Zeit hörte man Schüsse. Ich zuckte. Diese Schüsse brachten mich zurück in die Realität. Ich begriff, wir werden noch etwas aushalten müssen. Wir wußten nicht, ob jemand in der Kolonne getroffen wurde. Der Lkw fuhr immer schneller und um die Mitternacht waren wir in Brčko. Die Lkws und Busse hielten im Kreis im Zentrum der Stadt an. Wir hoben die Plane und sahen die Militärtransporter mit Schwerverwundeten aus dem Vukovarer Krankenhaus in Bereitschaft. Gleich neben unserem Lkw lag auf einer Bahre Albert Saider, Händler aus Vukovar. Er schaute zu uns und erkannte mich. Mit einer Hand unterstützte er seinen Kopf und rief mir zu: „Du siehst wieder auf mich herab.“ Das sei einfach das Schicksal, lautete meine Antwort. Er erinnerte sich an dem Tag, als er an unserem Haus vorbeikam, und ich mit Handwerkern auf dem Dach stand. Ich arbeitete auch 10 Jahre in „Velepromet“ und wir beide kannten uns sehr gut und so sagte er mir noch damals, ich würde auf ihn herabsehen. Er hatte nur ein Bein. Die Einwohner von Brčko versammelten sich um uns. Sie brachten uns Nahrung, etwas zu trinken und Kuchen aus einer naheliegenden Konditorei, eigentlich alles was wir verlangten. Am Ende war es auch zu viel. Ein Albaner gab uns Lammbraten mit Kartoffeln und Zwiebeln. Wir baten sie, unsere Verwandten anzurufen und ihnen zu sagen, daß wir wohl auf sind. Diese Menschen behandelten uns wirklich gut und zeigten uns ihr Mitgefühl. Ich werde sie nie vergessen. Sobald die Verwundeten in die kroatischen Wagen verlegt wurden, waren wir schon auf dem Weg. Mich weckte die Stimme eines Soldaten, der die Plane von draußen hob und sagte: „Willkommen in Kroatien.“ Wir überquerten die Save bei Bosanski Šamac und fuhren Richtung Đakovo. Als wir fast einstimmig mit „Gott sei Dank“ antworteten, war der Soldat schon verschwunden. Unsere Freude war unermäßlich und die Zeit bis Đakovo verging sehr schnell. In Đakovo trafen wir etwa um 22 Uhr. Man brachte uns in einer großen Halle unter. Die Verwundeten waren schon versorgt. Auf uns warteten die Tische voll mit Nahrung und Getränken. Aber keiner konnte essen, da wir schon in Brčko gegessen hatten. Alfons und Leo kamen, um sich von Sandra zu verabschieden. Sie mußten weiter nach Zagreb mit Marijana, die in einem kritischen Zustand war. Man glaubte aber sie noch rechtzeitig ins Krankenhaus einzuliefern, und daß keine Amputation notwendig wird. Sie bedankten sich bei Sandra für ihre Hilfe und gaben ihr ihre Adressen, falls Sandra sie brauchen oder später kontaktieren wollte. Wir wollten aber sofort nach Zagreb weiterfahren und die Listen mit Namen der fortgeschleppten Männer den Zuständigen übergeben. Wir vereinbarten untereinander, daß wir zum Banus-Jelačić Platz gehen und dort warten werden, bis uns jemand von der Regierung oder sogar der Präsident Tuđuman selbst nicht anhört. Das war unser Recht, nach allem was wir durchmachten. Ich glaube, wir verließen Đakovo um Mitternacht. Vor dem Aufbruch stieg ein junger Mann (Medizintechniker aus dem Vukovarer Krankenhaus) in den Bus ein. Er sagte, er wisse was wir beabsichtigen zu tun, aber wir sollten uns nichts 233 vortäuschen. Keine Weiber würden die kroatische Regierung stürzen. Wir erklärten ihm, daß wir das auch nicht beabsichtigten. Er bestand aber darauf, wir sollten auf unser Vorhaben verzichten. Die Regierung der RH sorge schon für uns. Darauf verließ er den Bus, und wir konnten uns nicht erklären was er eigentlich wollte, da unser einziges Ziel die Zustellung dieser Listen war. Es regnete immer stärker. Wir hielten in einem Hotel auf dem halben Weg zwischen Đakovo und Bjelovar an und erfrischten uns ein bißchen. 22. 11. 1991, Freitag Um 7 Uhr trafen wir in Bjelovar ein. Es regnete nicht mehr. Als wir an einer Ampel standen, mußte der Fahrer die Tür öffnen, da wir alle grausam stanken. Die Kinder gingen in die Schule, und als sie hörten, daß wir aus Vukovar kommen, wollten sie uns ihr Taschengeld und ihr Essen geben. Unsere Omas weinten. In Bjelovar wurden wir in einer Sporthalle oder einem Gesellschaftshaus untergebracht. Der Raum war leer mit einer kleinen Bühne. Dort erwartete uns der Bürgermeister von Bjelovar in Begleitung einiger Leute. Er begrüßte uns und sagte, die Stadt würde auf uns mit offenen Türen und Herzen warten. Wir bedankten uns, aber sagten, wir müssten weiter nach Zagreb. Er wollte, daß wir uns bis morgen ausruhen. Währenddessen würde er Zagreb anrufen und unsere Forderungen weiterleiten. Wir stimmten seinem Vorschlag zu, da wir wirklich Erholung brauchten. Ich sagte Sandra, sie sollte Nensi und Vera suchen, damit man unsere Insassen zu versammeln versucht. Ich wußte, daß Bjelovar ein neues Altenheim hatte, und ich spielte mit dem Gedanken, unsere Insassen hier unterzubringen. In der Begleitung des Bürgermeisters war auch eine Sozialarbeiterin, die im Altenheim arbeitete. Als ich ihr alles erklärte, sagte sie, daß es im Altenheim genug Platz gäbe. Sie würde auch den Transport mit Ambulanzwagen organisieren. Das Altenheim befand sich in der Nähe der Halle. Wir versammelten unsere Insassen, aber auch andere ältere Menschen, da man die Möglichkeit erwog, sie alle zusammen in das Altenheim zu bringen. Zum Glück gab es genug Platz. Bis zum Mittagessen wurden sie in ihre neue Unterkunft gebracht. Diese Unterbringung hatte einen provisorischen Charakter, aber zu dieser Zeit war es die beste Lösung. Unsere Insassen wußten, daß wir nach Zagreb müssen. Die Sozialarbeiterin versprach mir, sich mit ihren Kollegen, um sie zu kümmern. Ein Stein fiel mir vom Herzen. Kurz nach 12 Uhr tauchte der Bürgermeister auf, mit der Absicht, uns von unserer Fahrt nach Zagreb abzubringen. Er wollte uns nicht zuhören und in einem Moment schrie er: „Sie haben kein grünes Licht für Zagreb.“ In der Halle wurde es plötzlich sehr still. Wir konnten nicht glauben, was wir hörten. Ich fragte ihn, wer Zagreb grünes Licht gab, um Vukovar so in Stich zu lassen. Er wußte nicht was er dazu sagen sollte, und wir gingen zu den Bussen. Wir saßen dort etwa eine Stunde, als man uns endlich sagte, daß die Fahrer 234 sehr müde und nach Hause um sich auszuruhen gegangen seien. Es war schon 16 Uhr. Die ganze Sache mit dem Bürgermeister dauerte einfach zu lange. Die Einwohner von Bjelovar kamen zu uns. Sie warteten den ganzen Tag lang und wollten uns in ihre Häusern aufnehmen. Nachdem wir ihnen aber alles erklärt hatten, zeigten sie Verständnis, und luden uns ein, wenn wir in Zagreb fertig seien, sollten wir zurück nach Bjelovar zu ihnen kommen, was wir auch versprachen. Da die Fahrer auch nach einer halben Stunde nicht da waren, entschieden wir uns zu Fuß zu gehen. Wir hatten gerade noch Kraft für diese etwa 60 km. Wir nahmen nur das Nötigste mit, die jüngeren Frauen hatten auch nicht viel Gepäck. Die Frauen mit Kindern blieben in Bjelovar. Die Einwohner weinten, als wir uns verabschiedeten. Auf einmal war auch der Bürgermeister da. Er sagte, wir sollten in Busse wieder einsteigen, da die Fahrer zurückkamen, und er versicherte uns, wir würden nach Zagreb fahren. Die Bewohner klatschten und grüßten uns mit dem Victory-Zeichen. Unter dem Schutz der Dunkelheit erreichten wir Zagreb, aber schon an der ersten größeren Kreuzung fuhr man nicht dem Straßenschild entsprechend in Richtung Stadtzentrum, sondern irgendwohin anders. Ich dachte, man nehme nur eine andere Strecke, aber ich irrte mich. Wir hielten bei den Hallen der Zagreber Messe an. Es war offensichtlich, daß alle ehemaligen Einwohner von Vukovar in Zagreb wußten, daß wir hier eintreffen werden. Viele Menschen waren da und durchsuchten alle Busse, um ihre Verwandten und Bekannten zu finden. Auch der junge Kasalo mit Mutter stieg aus. Wir aber blieben drinnen sitzen. Auch die Mutter von Melita kam, die mit Melitas Kinder Dunja und Mirta in Zagreb war. Sie bat uns, den Bus zu verlassen, aber Melita wiederholte immer wieder den Satz: „Wir müssen zuerst zum Jelačić-Platz gehen, um diese Verzeichnisse zu übergeben, ich weiß nicht wo Vlatko ist, zuerst müssen wir das erledigen.“ Arme Frau mußte sich damit abfinden, daß Melita aus dem Bus nicht aussteigen wollte. Nach einer halben Stunde stieg in unseren Bus eine Frau ein, die sich als Reisebüromitarbeiterin vorstellte. Sie sollte unsere Unterbringung in Zagreber Hotels organisieren und wollte auch unsere Listen nehmen, um sie dann weiterzuleiten. Wir verzichteten darauf. Als wir endlich weiter fuhren, standen wir in ein Paar Minuten vor dem Hotel „Interkontinental“. Wir dachten andere Busse wären hinter uns, aber da war außer unseren nur noch ein Bus. Die Reisbüromitarbeiterin wollte mir nicht sagen, wo die anderen sind, sie bemerkte nur, daß wir nicht alle in einem Hotel untergebracht werden könnten. Wir sollten uns erst ausruhen und etwas essen, weil wir doch gestreßt und müde wären. Da war mir klar, daß wir heute Abend nicht zum Jelačić-Platz gehen können. Man hat uns getrennt. Auf uns wartete schon Melitas Mutter. Ich sagte zu Melita, daß wir heute Abend sowieso nichts tun könnten und sie sollte zu ihren Kindern gehen. Wir verabschiedeten uns und Sandra und ich meldeten uns an der Rezeption an. Die Vorhalle des Hotels war voll mit Menschen, auch die Fernsehkameras waren da. Für einen Augenblick sah ich eine junge Frau mit einem Kind, das nicht älter als zwei Tage aussah. Vielleicht war das die Frau aus Mitrovica. Ich wollte zu ihr, aber da 235 waren schon die Journalisten. Sandra bekam den Zimmerschlüssel und wir stiegen in den Aufzug ein. Ich denke, wir bekamen ein Zimmer im fünften Stockwerk mit einem großen Doppelbett. Alles war in Samt uns Seide eingerichtet, wie unsere Alten zu sagen pflegten, und unsere Füße verschwanden in kostbaren Teppichen. Mir schien, daß es mir besser gegangen wäre, wenn mich jetzt jemand ins Gesicht schlagen würde. Wir suchten zuerst das Bad auf und erst dann begriffen wir, daß wir nichts zum Anziehen hätten. Eine Frau im Flur sagte uns, daß die Geschäfte im Zentrum bis 21 Uhr geöffnet sind. In einem Laden gegenüber der Statue des Banus Jelačić kauften wir Kleidung und Unterwäsche und in einem anderen Schuhe. Wir kauften auch einige Sachen für meine Schwiegermutter, die im Altenheim in Bjelovar geblieben war. Als wir ins Hotel zurückkamen, dort warteten schon auf uns die Verwandten des verstorbenen Mannes meiner Schwester, die in München lebte. Sie nahmen uns mit in ihre Wohnung. Wir ließen die Telefonnummer der Familie Obadić an der Rezeption zurück. Sanja sagte, daß meine Schwester anrief, um uns zu sagen, daß sich mein Mann bei ihr meldete. Er wäre in Inđija, bei der Familie des zweiten Mannes meiner Schwester. Er würde später anrufen versuchen. Wir haben untereinander schon in Vukovar vereinbart, daß wenn wir Vukovar getrennt verlassen, dann werden wir uns alle auf dem Weg nach München machen. In der Wohnung der Familie Obadić nahmen wir ein Bad und zogen uns um. Ich darf mich nicht erinnern, wie das Wasser nach unserem Bad aussah. Ich telefonierte mit meiner Schwester und irgendwie auch mit meinem Mann. Ich sagte ihm, daß wir nach München fahren. Ich mußte morgen noch das Altenheim in Bjelovar anrufen, damit man meine Schwiegermutter nach Zagreb schickt. Wir sahen uns die Nachrichten um 22 Uhr an. Das Hauptthema war noch immer der Fall von Vukovar und unser Golgatha. Auch Sandra war im Fernsehen zu sehen, in einem kurzen Bericht der ausländischen Presse. Unsere Gastgeber stellten auch viele Fragen, eigentlich zu viele. Sie versicherten uns, daß sie große Angst um uns hatten, und daß sie für uns beteten. Ganz Kroatien sollte auch über das Schicksal von Vukovar weinen. Aber das alles war mir nicht wichtig und ich hatte keine Kraft zu erzählen, wie Kroatien uns behandelte. Obwohl das Bett gemütlich, ich sauber und die Aufmerksamkeit unserer Gastgeber großzügig war, konnte ich nicht schlafen. Ich dachte über das ganze Geschehen nach, über meinen Mann in Inđija, in einem Nest der Tschetniks, und wie er sich daraus retten wird. Ich schlief erst vor Morgengrauen ein, wahrscheinlich wegen der Müdigkeit. 23. 11. 1991, Samstag Gleich nach dem Frühstück rief ein Mann aus Bjelovar an, um uns zu benachrichtigen, daß unsere Oma bei ihm war. Ich bat ihn die Oma nach Zagreb zu fahren, oder mit dem Zug zu schicken, weil wir schon morgen den Zug nach München haben. Er versprach mit dem Zug zu kommen. Ich bat auch unseren Gastgeber Jerko Obadić den Herrn Vicko Goluža, den Direktor des Fonds für Sozialschutz, anzurufen. Ich hatte seine Telefonnummer. 236 Da mich doch keiner gründlich durchsuchte, konnte ich das Geld unserer Insassen, das ich in den Trümmern des Altenheims gefunden hatte, retten. Herr Goluža kam nach einer halben Stunde. Ich erzählte ihm, daß unsere Insassen in Bjelovar seien. Ich bat ihn, sich um sie und meine ehemaligen Mitarbeiterinnen zu kümmern. Er versprach mich alles und hielt sein Wort. Ich gab ihm das Geld, und er unterzeichnete auch eine Bestätigung darüber. Die Nachbarn unserer Gastgeber hörten, daß wir uns im Gebäude befinden, und den ganzen Tag hatten wir viele Besucher. Alle wollten uns sagen, wie es auch sehr schwer für sie sei, sich diese Bilder aus Vukovar anzuschauen. Alle hätten für unsere Rettung gebeten. Ich glaubte ihnen, da nur kleine Leute, die mit der Politik und nationalen Interessen nichts zu tun hatten, mit unserem Leiden mitfühlen konnten. Nach dem Mittagessen, gingen wir zum Bahnhof und kauften die Karten für München. Auch die Oma aus Bjelovar war da. Außer meines Mannes, waren wir wieder alle zusammen. Ich sprach mit ihm und er sagte, er würde versuchen, zuerst nach Mazedonien und dann weiter nach München zu fahren. Der Samstag war schnell vorbei. Am Sonntag, den 24. 11. 1991, verließen wir Zagreb um 8,10 mit dem Zug Nummer 258. Obwohl die ganze Fahrt etwa acht Stunden dauerte, konnte ich nicht erwarten, daß wir ankommen. Ich wußte nämlich, daß auf uns am Bahnhof mein Sohn Josip warten wird, der noch Ende Juli 1991 mit einem Gipsverband und mit dem letzten Bus Vukovar verließ. Die Freude über unser Wiedersehen kann nicht beschrieben, sondern nur erlebt werden. Wir drei umarmten ihn lange. Meine Schwester wartete geduldig im Hintergrund. Das war der Beginn unseres Lebens als Vertriebene. Bahnkarte 237 Verzeichnis der Beschäftigten im Altenheim 1991 238 Verzeichnis der überlebenden Insassen des Altenheims 1991 239 240 ABKÜRZUNGEN JNA – Jugoslawische Volksarmee RH – Republik Kroatien OUN – Organisation der Vereinten Nationen SAD – Vereinigten Staaten von Amerika SFRJ – Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien VUPIK – Vukovarer Industrie- und Landwirschaftskombinat 1. Autor des Plakats: Boris Ljubičić Oben: Erinnerungsplakat an das Leiden von Vukovar mit dem Datum seiner Okkupation 2. Unten: Millenium-Photo von Šime Strikoman „Legendäre 204. Vukovarer Brigade der Kroatischen Armee“, Vukovar, 25. September 2006 3. Plakat für das Referendum in Kroatien, 19. Mai 1991 4. Landkarte mit Grenzen des sog. Großserbiens 5. Plakat des 14. Kongresses des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens; Dadurch, daß die serbischen und montenegrinischen Delegierten ihren Willen den kroatischen und slowenischen Kollegen aufzudrängen versuchten und alle ihre Vorschläge beharrlich ignorierten, verließ als erste die slowenische und dann auch die kroatische Parteidelegation den Kongreß am 22. Januar, was das Ende einer einheitlichen und zentralisierten Parteiorganisation und den Anfang des Zerfalls der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien bedeutete. 6. Kardinal Franjo Kuharić und Dr. Franjo Tuđman in der konstituierenden Sitzung des demokratischen Parlaments der Sozialistischen Republik Kroatien, 30. Mai 1990. 7. Zagreb, Markus Platz, 25. Juli 1990 (Autor: Renato Branđolica) 8. Borovo Selo, 2. Mai 1991 (Autor: Goran Pichler) 9. Pakrac, 2. März 1991 10. Plitvice, 31. März 1991 11. Verfassung der Republik Kroatien 12. Parlament der Republik Kroatien, 25. Juni 1991 (Autor Stanko Szabo) 241 242 Eine Stadtgeschichte* I ch verzichte auf Gerechtigkeit, auf Wahrheit, ich verzichte auf Versuche, die Ideale meinem eigenen Leben unterzuordnen, ich verzichte auf alles was mir noch gestern für einen besseren Anfang, oder ein besseres Ende, erforderlich erschien. Ich würde wahrscheinlich auch auf mich selbst verzichten, aber ich kann es nicht. Den wer wird dann bleiben, wenn wir alle auf uns verzichten und in unsere Angst fliehen? Wem soll ich die Stadt überlassen? Wer wird auf sie aufpassen, während ich auf der Suche nach mir auf dem Kehrichthaufen der menschlichen Seelen wandere, während ich dabei so allein ohne mich taumle, wund und müde, im Fieber, während meine Augen immer größer vor meiner persönlichen Niederlage werden? Wer wird auf meine Stadt aufpassen? Auf meine Freunde? Wer wird Vukovar aus der Finsternis herausholen? Es gibt keinen stärkeren Rücken als meinen und eueren. Und deshalb, wenn das euch keine Umstände macht, wenn ihr noch in sich selbst ihr jungenhaftes Wispern versteckt, schließt euch an. Jemand berührte meine Parks, die Bänke, in denen noch eure Namen gestochen sind, den Schatten, in dem ihr gleichzeitig ihren ersten Kuß gabt und nahmt. Jemand hat einfach alles gestohlen, sogar den Schatten. Es gibt kein Schaufenster mehr in dem ihr mit Bewunderung euere größten Freuden anschautet und es gibt kein Kino mehr, in welchem ihr sich eueren traurigsten Film ansaht. Euere Vergangenheit ist einfach zerstört und jetzt habt ihr nichts mehr. Ihr müßt von neuem alles aufbauen, zuerst euere eigene Vergangenheit und euere Wurzeln suchen, und erst dann auch euere Gegenwart schaffen, und wenn da noch Kraft bleibt, sollte sie in die Zukunft investiert werden. Und möget ihr nicht allein in der Zukunft sein. Um die Stadt sollt ihr euch dann keine Sorgen machen, sie versteckt sich die ganze Zeit in euch, und kein Henker kann sie finden. Diese Stadt – das seid ihr! Siniša Glavašević * (eine während der Belagerung der Stadt verfaßte Geschichte des Journalisten des Kroatischen Rundfunks Vukovar Siniša Glavaševića, der nach der Besetzung Vukovars im Krankenhaus gefangengenommen und in Ovčara ermordet wurde) 243 NAMENSINDIZES A Adžaga Jozo, 140 Adžić Blagoje, 21, 27 Aleksandar Vlasta, 140 Aleksijević Zoran, 153 Aleksijević Agneza, 153 Alvir Marija, 153 Andrijanić Luka, 11, 46-48, 55, 105 Anđelić Ivan – Doktor, 47, 64 Antolović Ljuba, 164, 170 Arbanas Ivica, 46, 47, 50, 64, 65, 70 Arbanas Sanja, 64, 65 Arić Ante, 95, 99, 135 Asadžanin Ilija, 140 B Babić Marko, 56, 57, 70, 153 Babić Dragica, 171 Bainrauch Ivan, 140 Balić Marjan, 48, 55 Balog Neda, 153 Baranjek Ivan, 152 Barić Nikica, 141 Bebić Luka, 43 Bekčević Antun, 47 Belinić Vesna, 95, 97, 135 Beljo Tomislav, 188, Berišić Smiljan, 187 Beronja Anita, 187 Beronja Eva, 178 Beronja Melita, 187 Beronja Mile, 187 Berton Milan-Fil, 57 Bilić Višnja, 142, 143 244 Biluš Sadika, 135 Bing Albert, 152 Biorčević Andrija, 133 Biro Štefan, 153 Biškupić Božo, 93, Bojkovski Saša, 124 Borković Branko, 16, 51, 53, 72 Borsinger Nicolas, 85, 134 Bosanac Tomislav, 140 Bosanac Vesna, 45, 91, 96, 98, 104, 107, 111, 121, 132, 135, 153 Bošnjak Ivan – Bole, 57 Bošnjak Stipan, 43 Božak Ivan, 141 Božićević Josip, 30 Brajković Mihalea, 97 Branđolica Renato, 22 Bratić Mladen, 64 Brdar Ivan, 84 Brekalo Mirko, 83 Budimir Anđa, 167 Budimir Josip, 195 Budiša Dražen, 222 Bukor Zlatko, 97 Bulatović Momir, 31, 152 Bunjac Marija, 170, 171 Bush George, 98 C Chenu J. M., 130 Cossiga Francesco, 98 Crnković Luka, 43 Culej Josip, 43 Cvijan Stanko, 42 Č 13. Der Angriffsplan der JNA gegen die Gregurić Franjo, 46, 112September-Oktober Republik Kroatien, Čanak Nenad, 10, 16, 124Davor Marijan, Smrt Grgić Lazar,brigade 171, 217– prilozi za istraživanje 1991 (Quelle: oklopne Čatić Mladen, Grujić1990. Ivan, –5, 1992., 142, 143 rata za43Hrvatsku i Bosnu i Hercegovinu, Zoro, Zagreb, 2002.) Čolak 166, 167 14.Đurđa, Vinkovci – Bibliothek nach dem Angriff der JNA (oben) Čorić Dragan, 159, 175, 213 Banski dvori H Regierungsgebäude in Zagreb; Folgen des Angriffs der JNAČović Janko, 43 Hadžić Goran, 50, 136 Kampfflugzeuge am 7. Oktober 1991 (unten) Hebrang 89, 91, 1991 130, 132 15. Parlamentssitzung der Republik Kroatien,Andrija, 8. Oktober (Autor: Josip D Herbut Rozalija, 157 Božičević) Dasović Ivan, 135 Alfred, 62, 71 16. Eintreffen der Flüchtlinge aus Dalj,Hill Erdut und Aljmaš in Nemetin, 1. August Dedaković Mile, 50, 51, 53, 59, 72, 84, 135, 152 Hincak Zvonimir, 47, 48 1991 Degoricija Slavko, 43, 45 Hitler Adolf, 9, 10 17. Borovo Selo, 2. Mai 1991 Deronja Marko, 203 Hop Katarina, 170, 171 18. Marin Vidić „Bili“ Destexe Alain, 116 Hrala Željko, 43 19. Luka Andrijanić Dokmanović Slavko, 79 Husar Josip, 94, 111 20. Stützpunkt Domljan Žarko, 113 an der Bosanska Straße mit Aussicht auf Silo Đergaj, wo am 24. August 1991 Dragojlović Dragan, 59die Flugabwehrkanone, I mit welcher Luka Andrijanić die JNAugzeuge traf, aufgestellt wurde DrakulićKampffl Gojko, 171 Ivanda(das Stipe,Photo 161 ist eine Schenkung von Josip Jakobović) Dukić Živko, 160, 161 Ivković Zlatko, 115 21. Jovan, Zentrum 1991 (Autor: Dulović 125,von 127,Vukovar, 136, 138 7. September Ivušić Ljerka, 5, 37Mario Filipi) 22. Tomislav Merčep Dumendžić Ana, 216 23. Mile Dedaković „Jastreb“ (Habicht)J Đ 24. Branko Borković „Mladi Jastreb“ (Junghabicht) Jacquier Ghislaine, 116 Đerek Sokol, 71, 84 Jakobović Josip, 46-48, 55, 64 25.Velimir Siniša–Glavašević Janković Zoran, 70 26. Branimir Polovina E 27. Vukovarer Verteidiger, Lužac, 7. September Jarabek Zlatko, 1991140 (Autor: Mario Filipi) Edelmajer Ana, 171 Jelić Ivan – Lepi, 28. Kalte und finstere Schutzkeller gehörten zum Alltag60von Kindern in Vukovar, Erdeg Josip, 174, 176 1991 (Autor: Mario Filipi) Jeremić Dušica, 140 7. September Esterajher Josip, 128, 152 der RH auf dem Jovičić Stevan,bei 183dem Haus der Technik in 29. Polizeieinheiten Stützpunkt Jović Borisav, 21, 26 Borovo Naselje F 30. Zerstörte Panzer auf der Trpinjska Jović Josip, 25 Straße, Mitte September 1991 (Autor: Falamić Bartol, 189, 197 Jović Mirko,von 50 Marko Babić und Eigentum Andrija Marić; das Photo ist eine Schenkung Filipi Mario, 49, 52, 53, 60, 69 Jurčević Zlatko, 132 von Vinko Mažar und Ivan Leutar) Filipović Kata, 185, 189, 191, 197, 199 Jurić Viktorin, 61, 64, 65, 70 31. Ortsgemeinschaft Alojzije Stepinac, Trpinjska cesta, zweite Hälfte des Jurjević Zvonko, 27 Septembers 1991 G 32. Trpinjska Straße, zweite Hälfte desK Septembers 1991: untere Reihe: Gardist Ganić Zorica, 95, 135 Ivan Mudrovčić-Šola, Glavašević Siniša, 5, 7, 51, 55, 118,Ivan 121, Bošnjak-Bole; Kačić Petarstehen: – Bojler,Miljenko 70, 71, 84 Voloder-Beli, Ivan152, Leutar-Iva seitwärts Milan Berton-Fil (das ist 122, 129, 192, 204,und 243 Andrija Marić,Kadijević Veljko, 10-13, 15, 26, 27, 50,Photo 133, 152 eine Schenkung von Marko Babić und Eigentum von Vinko Mažar und Ivan Goluža Vicko, 172, 236 Kajba Zubarev Aleksandra, 158 GorinšekLeutar) Karl, 59 Karaman Igor, 152 33. Oktober 1991 (Autor: Damir Radnić) Grašić Zoran, 43 Karaula Pilip, 85, 216 34. Der zerstörte Panzer im ZentrumKaraula von Nuštar, Oktober Grbavac Antun, 43 Marijana, 230 1991 (Autor: Mario 245 Karnaš Dražen, Marić Zlatko, 187 Filipi) 135, 158, 170 Klaić35. Danica, 157 Marijan Davor, 32,er152 Bogdanovci, Oktober 1991; zerstörter Panzer (ein27, Treff von Ivan Jelić „Lepi“ Kohl Helmut, 98 Marković Ante, 29 (der Schöne) am 2. Oktober aus Ivankovo) Kojić36. Ljubica, 141 Verteidiger in Sajmište,Martin Jean1991 Michel, 116 Damir Radnić) Kroatische Oktober (Autor: Kolesar Binazija, 97, 153 Mataušek Rene, 135 37. Kämpfer der Kroatischen Verteidigungskräfte (HOS), Sajmište, September/ Komšić Zdravko, 191, 216 Mataušek Robert, 135 Oktober85,1991; von rechts Zvonko Ćurković „Zvone“, Jean-Michael Konigskneht Štef, 207 Matić Predrag – Fred, 152 Nicollier, Viktorin Jurić „Paša“ (Pascha) und Žarko Manjkas „Crvenkapa“ Kosec Branimir, 163, 164, 204 Matić Nevenka, 141 (Rotkäppchen) (Autor: Damir Radnić) Kovačić Željko, 89 Mažar Beba, 180, 184 38. Einfahrt zu Bogdanovci aus Richtung Marinci, nach182, 2. Oktober 1991 (Autor: Kratofil Boris, 95-97, 153 Mažar Branka, 178, 180, 189 Damir Radnić) Krznarić Goran, 141 Mažar Vinko,e56,(HOS) 57 39. Kämpfer der Kroatischen Verteidigungskräft vor der Kirche in Kuharić Franjo, 21 Mažar Zvonko, 64 Bogdanovci und auf Stellungen in Richtung Marinci, Oktober 1991 (Autor: Kujundžić Ivo, 137 Menges Zlatko, 196 Damir Kušt Stanko, 95, Radnić) 96, 128 Merčep Tomislav, 50, 230 40.Velimir, Vukovar, Kvesić 64 16. November um 20 Uhr, unmittelbar vor dem Durchbruch: Sanja Mesić Stjepan, 29, 112 Arbanas (ganz rechts hinter ihr vermutet man Ivica Arbanas), Ivan Anđelić Mihaljević Ante, 177, 188, 200, 210 „doktor“ (Doktor) (mit der Augenbinde), Velimir Kvesić (Angehöriger der L Mihović Tomislav, 140 Kroatischen Verteidigungskräft e (HOS) mit schwarzer Müze), Zdravko Radić Lee Hawk Robert James, 98 Miličević Zdenka, 141 dem Leskovac(mit Rade, 136Patronengurt um den Hals), Viktorin Jurić „Paša“ (Pascha) (rechts, Milić Katica, 141, 166 in einer Leutar Ivan, 56, 57Ziviljacke), Zvonko Mažar (mit dem Helm), Zvonko Ćurković (steht Milošević Slobodan, 21, 26,(das 34, 143, mit geschlossenen Augen), Josip Jakobović (hockt in 10, der20, Mitte); Photo Lisica Franko, 43 153, 211 ist eine185 Schenkung von Ivica Arbanas) Lukić Terezija, Delfa, 163,der 166,Stadt 219 sangen die 41. Vukovar, November 1991; nach Miljanović der Okkupation Mirković – Nađ Alenka, 55, 81,kämpft 152 en, sie LJ serbischen Paramilitärs, die unter dem Kommando der JNA Miščević Branka, 164, 166 Ljubičić Boris, 8 Kroaten schlachten würden Mitterand Francois, 98 42. Während des Durchbruchs, zwischen Cerić und Marinci: Sanja Arbanas Miroslav, 10 M verbindet den verwundeten Mato Mlinar Prca; Photo machte Viktorin Jurić „Paša“ Morris Christopher, 123 Magoč Zora, 166 (Pascha), das Photo ist eine Schenkung von Ivica Arbanas Mrkšić Mile, 16, 124, 131, 133, 143 Major 98 43.John, Vukovar, 8. Juli 1997; mit dem Zug des Friedens und der Wiederkehr kehrte Nensi, 159, 166, 178, 181 Mandić Dara, 159, symbolisch 180, 184, 186,nach 222 VukovarMučalov Kroatien zurück. Mudrovčić Ivan – Šola, 57 Mandić 159, 177,(Autor: 207, 211Mario Filipi) 44. Franjo, Oktober 1991 Mujić Rozalija, 170, 171 Mandić Marko, 132, 141 45. Andrija Marić, Blago Zadro, Marko Babić, Zoran Janković (steht seitwärts); Mandić Matija, 85 Trpinjska Straße, Mitte September 1991 (das Photo ist eine Schenkung von N Manjkas Žarko – Crvenkapa, 61 Marko Babić) Nadaš Vladislav, 135 Marić Andrija, 56, 57, 70, 46. Ivica Arbanas (mit Hut), Velimir Derek (rechts, mit dem schwarzen Band um Marić Anica, 5, 155, 181, 229 Nazor Ante, 19, 39, 87, 152 den Kopf, nachdem Petar Kačić – „Bojler“ Marić Davor, 187 als Befehlshaber einer Kompanie, Nicollier Jean-Michael, 61 (Boiler) – „Švico“ (Angehöriger der Kroatischen Marić Karlo, 187 gefallen war), Delić ŽeljkoNjavro Juraj, 96, 98, 103, 110, 126, 128, 135, Verteidigungskräft e (HOS)); im Hintergrund die Kämpfer der Kroatischen Marić Ljubica, 187 152, 153 Verteidigungskräft e (HOS): rechts Tihomir Tomašić, links Duško Smek Marić Sandra, 187 „Bosanac“ (Bosnier) (photographierte: Viktorin Jurić „Paša“ (Pascha); das Marić Vedran, 187 O Photo ist eine Schenkung von Ivica Arbanas) Marić Zdenka, 187 Obradović Ljubica, 141 246 Sruk Margareta, 163, 166 P 47. Vukovar nach der serbischen Okkupation; aufgenommen während der PabulkovBelagerungszeit Elizabeta, 176, 177 Stanek Marica, 141 (Autor: Dionizije Šebetovsky) Panić48. Života, 14, 50, 59, 133 der im Heimatkrieg Stanić Vera, 114 Memorial-Friedhof gefallenen Opfer, Vukovar; 938 Papp Tomislav, 140 Stefanjuk Blanka,Opfer 141 aus Massengräbern weiße Kreuze, je ein Kreuz für jedes exhumierte Paroški Milan, 42 Strikoman Šime, 17 im Umland von Vukovar Pavlek Zora, 157 Sučić 84, 152, 153(Autor: Dionizije 49. Vukovar; derStjepan, Belagerungszeit Pereterski Jelena, 171aufgenommen währendSzabo Stanko, 25 Šebetovsky) Perica Zdenko, 43 50. Innenraum Peternek Tomo, 127 der Kirche von Sankt Philipp und Jakob; aufgenommen während Š der Belagerungszeit (Autor: Dionizije Šebetovsky) Petković Vlajko, 195 Šarić Mladen, 43 51. Gebäude der Eisenbahnstation; aufgenommen während der Belagerungszeit Petrović Branislav, 133 Šarik Stjepan, 140 Petrović (Autor: Nikola, 153 Dionizije Šebetovsky) Šarinić Hrvoje, 34, 153 Petrušić Marinko, 52. Reste der43Kirche und des Franziskanerkloster von Sankt Philipp und Jakob Dionizije, 74, 76, 77 Pole Stipe, 72 des Gymnasiums und desŠebetovsky sowie Wasserturms Šeks Vladimir, 45, in 46 Vukovar, Folgen der Polovinaserbischen Branimir, 51, 55 Aggression 1991 Šeremet Zdravko, 55 Poljak Ivan, 71, 84 53. Zerstörtes Schloß Eltz, Folgen der Šešelj serbischen 1991124, 127, 143, 220 Vojislav,Aggression 42, 50, 120, 123, Pravdić Tomo, 140 Gedenkstätte für die in Ovčara ermordeten Opfer163, 183, 189 Šibalić Zvonko, Prca54. Mate, 65 55. Gedenkstätte für ein freies Kroatien an der Mündung Flusses in die Šljivančanin Veselin, des 45, 102, 124,Vuka 127, 131, Prica Marica, 157 Donau; der leben, Prodan Ivo, 90 glagolitische Schrift: Ewig wird 133-136, 138, der 143 ehrenwert fällt! 56. Logo Vukovarer Autoren Propadalo Ivica,des 89 Museums – „Gedenkstätte“ Šoljićim Ivan – (GrosserKrankenhaus; Joe), 71 Pšenica Ivan, Ivica153 Propadalo und Željko Kovačić Špegelj Martin, 23, 153 57. Medizinisches Zentrum Vukovar,Šrenk Herbst Đuro, 1991; 140 Folgen der serbischen R Aggression (Photo: Damir Radnić)Štengl Vladimir, 207 Radelić 152 Krankenhaus; Folgen der Štimac Melira, 220 58. Zdenko, Vukovarer serbischen Aggression (Photo: Damir Radić Miroslav, 124, Šušak Gojko, 45 Radnić) 133 Radić Slavica, 157 Slavoljub, 153 59. Ruinen von „Borovo-Commerce“Šušić in Borovo Naselje, das Gebäude wurde Radić Zdravko, 64 während des Schlußangriff s der JNA am 18. und 19. November 1991 Radnić Damir, 58, 61, 63, 91, 92, 153 T zerstört; Raguž Ivan, 141 aufgenommen nach der serbischen Okkupation (Autor Mag. Božo Terek Rudolf, 141 Biškupić). Rašeta Andrija, 129, 130, 132 Tešanović Milenko, 159, 167 Zorica Ganić 60. Von links Kušt, Krankenschwester Rašković Jovan, 42 nach rechts: Dr. Stanko Vera, Dr. 159,Boris 167, 228 Ražnatović Željko – Arkan, 50,Medizintechniker 62, 218, 220 Tešanović und Vesna Belinić, Ante Arić, Kratofil, Dr. Edin Tešić Borivoje, 133 Rehak Danijel, 50,im 153Erholungsraum für das medizinische Personal im Röntgenraum Zujović Todorović Dragan, 59 Runtić Davor, 84, 152 im Keller des Krankenhauses, Oktober/November 1991 (das Photo ist eine Tomašević Jela, 135 Schenkung von Dr. Boris Kratofil) Tomašić Tihomir, 70, 71, 84 S 61. Von links nach rechts: Dr. Željko Jelinčić, Dr. Ivica Matoš, Dr. Boris Tomšik Dragica, 171 Samardžić Damjan, 159,Tomislav 163, 164, Vlahović, 172 Kratofi l, Dr. Dr. Vesna Bosanac, und Tuđman Franjo, 21, 23,Dr. 29, Juraj 45, 67,Njavro 112, 119, Savić Neža, 197 Dr. Stanko Kušt (sitzt am Boden) im Aufnahmeraum (im Krieg diente er 206, 218, 219, 221, 229 Schmit Fabbienne, 116 als Arbeitszimmer von Dr. Vesna Bosanac), Oktober/November 1991 (das Tus Antun, 65 Sekulić Milislav, 152 eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil) SinkovićPhoto Nenadist – Legion, 71 62. Von links nach rechts: Krankenschwester Vesna Belinić (hält eine Kompresse V Smek Duško – (Bosnier), 70 in der Hand), Dr. Boris Kratofi l, Krankenschwester Van der Broek Hans, 98 Mihaela Brajković Spajić Boris, 97 247 Van der Stock Loren, 111 Varenica Zvonko, 140 Vidić Marin – Bili, 45, 72, 112, 132, 161, 170, 173, 181, 186, 199 Vidoš Goran, 140 Vlaho Mate, 140 Vlahović Tomislav, 96, 129 Voloder Miljenko – Beli, 57 Vrtarić Lena, 170, 177 Vučić Ivica, 43 Vujanović Stanko, 124 Vukomanović Jovan (Jovo), 163, 171, 174, 180, 185, 191, 193, 197 Vuković Vesna, 55 248 Vulić Zvonko, 135, 141 Z Zadro Blago, 47, 62, 70, 71, 83, 152, 193, 194 Zdravčević Ana, 135 Zeljko Josip, 140 Zera Mihajlo, 140 Zorčec Agata, 157 Zujović Edin, 95, 117, 121 Ž Žanić Jasminka, 172 Živić Dražen, 142 Žunec Ozren, 23, 31, 153 in dem improvisierten Operationssaal, im Keller des Krankenhauses (zu ORTSINDIZES Friedenszeiten die Ambulanz für kleinere chirurgische Eingriffe), Oktober/ November 1991 (das Photo ist eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil) 63. Von links nach rechts: Dr. Boris Spajić (mit gekehrten Rücken) im Gespräch mit der Oberkrankenschwester Binazija Kolesar; MedizintechnikerAnästhetiker Zlatko Bukor (mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt) im Flur vor der Chirurgieambulanz, Oktober/November 1991 (das Photo ist eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil) A Bosanski Šamac (Bosnien und Herzegowina), 233 64. Hof des Hafenamtes unmittelbar vor dem Ende der Belagerung von Vukovar Bosanski Brod (Bosnien und Herzegowina), 48 Adaševci, 214, 218, 221, 222, 228 (Autor: Ante Arić) Bosnien und Herzegowina, 12, 20, 30-33, 64, Adica (Stadtteil in Vukovar), 42 65. Skizze der Durchfahrt des humanitären Konvois „Ärzte ohne Grenzen“ von 83, 137 Aljmaš, 40, 46 N. Mikanovci aus bis Vinkovci (die Skizze ist 13 eine Schenkung von Zlatko Bosut (Fluss), Antin, 79 Ivković) Bošnjaci, 116 66. Vukovar, November 1991 (Autor: Christopher Brčko (BosnienMorris) und Herzegowina), 138, 231-233 B 67. Bescheinigung des Kommandos eines Gefangenenlagers in Serbien Bršadin, 11, 42, 44, 46-48,der 50,JNA 79, 103, 105 Banovina, 33 von einem Einwohner von Vukovar, 2. Dezember 1991 Budžak (Stadtteil in Vukovar), 64, 71, 83, 205, Baranja, 16, 26, 33, 34, 42, 45, 50, 66, 136, 68. Abkommen zwischen der Regierung der Republik Kroatien und der JNA 207, 208 138, 172 über die Evakuierung von Verwundeten und Kranken aus dem Vukovarer Bugarsko groblje (Bulgarischer Friedhof), 99, 167 Batajnica, 48 Krankenhaus, 18. November 1993 (das Photo ist eine Schenkung von Dr. Batschka, 109, 110, 118 Juraj Njavro) C Batrovci, 116 Cerić, 14, 62, 65, 112, 69. Vukovar, 1991/1992, Folgen der serbischen Aggression Benkovac, 23 Cerna, 116 70. Skizze der Aufnahmestation von Verwundeten und Flüchtlingen aus Vukovar Belgrad, 19, 20, 50, 58, 59 (das ist eine Schenkung von Prim. Dr. Ivo Kujundžić, Mag.) Berak, 11, 79, Photo 108, 227 Č 71. Lokalitäten der Massengräber Bihać (Bosnien und Herzegowina), 29, 33 mit Opfern aus Vukovar 11, 45, 79, 103 72. Flugblatt der Gruppe Petrov ausČakovci, der Vereinigten Staaten von Amerika, Bijelo Brdo, 44 Čakovec, 44,Hrvatsko 83 Mittwoch, den 20. September 1991 (Quelle: ratno pismo 1991/92, Bijeljina (Bosnien und Herzegowina), 137, Zagreb, 1992, S. 441) 220, 231 73. in 237 Vukovar: Folgen derDserbischen Aggression Bjelovar,Altenheim 234, 235, 236, Dalj, 40, 46, 79, 200 74. 42, Sicherheitsfür50,Schützlinge des Altenheims Bobota, 44, 104 und Versorgungmaßnahmen Dalmatien, 23, 32, 33, 83 (gescannte Seite Bogdanovci, 14, 15, 44, 46,des 59, Tagebuchs) 60, 62, 63, Daljski Atar, 79 75. Schreiben an das Ministerium Arbeit und Sozialschutz 64, 71, 72, 79, 84, 94, 112, 114, 116, 122, für Deutschland, 10, 32, 171 76.130, Blago 129, 132,Zadro 170, 172, 185, 201, 203, 204, Donau (Flusss), 16, 50, 69, 81, 105, 187, 201 77.223, Gescannte 208, 225-227 Seite des Tagebuchs Donaugebiet, 34, 74, 142, 143 78. Dragan Čorić Bogojevo, 12 Donji Lapac, 23 79. Zerstörtes Altenheim Borovo Naselje, 11, 12, 15, 45, 47, 54, 58, Dubrovnik, 29, 32 80.65,Internationale 62, 66, 71, 73, 83, (EU) 93, 94,Beobachter 102, 104, Dvor na Uni, 23 81.106, Bahnkarte 105, 108, 109, 117, 119, 128, 131, Dvorovi (Bosnien und Herzegowina), 137 82.207, Verzeichnis igten im Altenheim 1991 179, 208, 210, der 228,Beschäft 230 83. Selo, Verzeichnis des Altenheims 1991 Đ Borovo 10, 11, 12,der 23,überlebenden 25, 42-44, 45, Insassen 84. Zerstörtes Altenheim Đakovo, 14, 83, 94, 102, 113, 116, 190, 196, 233, 234 48, 50, 58, 79, 92, 103-105, 166, 183 249 Đergaj (in der nähe von Bršadin), 11, 44, 46-48, 58, 62, 64, 105 E Erdut, 34, 40, 45, 46 G Glina, 32 Globovac, 79 Gospić, 32 Grabovo, 74, 79 H Haag, 30, 31, 136, 205, 206 Herceg Novi (Bosnien und Herzegowina), 29 I Ilača, 14, 116 Ilok, 14, 15, 44, 46, 62, 79, 94, 111, 115, 223 Istrien, 173 Ivankovo, 43, 60 J Jagodnjak, 42 Jakobovac (Stadtteil in Vukovar), 218 Jankovci, 14, 43, 79 Jarmina, 43 Jugoslawien, 9, 19, 20, 30, 31, 74, 131, 136, 143, 152, 241 K Karlovac, 19, 26, 29 Knin, 10, 23, 29, 31, 32, 90, 152 Kordun, 33 Kosovo, 19, 20 Kraljevica, 83 Kroatien, 9, 10-14, 16, 18, 20, 21, 23, usw. L Lika, 23, 33, 48, 83 Lipovac, 64, 74, 116, 220 Lipovača, 50, 74 250 Lovas, 12, 79, 143, 164, 172, 178, 223 Lužac (Stadtteil in Vukovar), 11, 15, 46, 52, 62, 64, 65, 71, 73, 85, 101, 104, 119, 122, 128-130, 132, 195, 205-208 M Marinci, 14, 44, 46, 47, 59, 62, 63, 65, 79, 112, 114, 116, 119, 123, 129, 130, 132, 185, 101, 201, 203, 204, 226 Markušica, 44 Mikanovci (Stari und Novi), 111, 115, 116 Mikluševci, 79 Milovo Brdo( Stadtteil in Vukovar), 15, 65, 122, 207, 208 Mirkovci, 13, 44 Mitnica (Stadtteil in Vukovar), 15, 66, 71, 85, 98, 102, 103, 106, 108, 109, 115, 122, 167-169, 175, 180, 181, 183, 187-189, 194, 197, 202, 203, 206-208, 210, 211, 213, 214, 217-219, 230 Mohovo, 79 Mostar (Bosnien und Herzegowina), 29 München, 216, 236, 237 N Našice, 83 Negoslavci, 12, 42, 44, 50, 58, 79, 118, 130-132, 134, 173, 175, 179, 183, 186, 190, 201, 218, 219, 225, 227 Nemetin, 40 Neretva (Fluss), 26, 29 Nijemci, 43 Niš (Serbien), 121, 135 Novi Čakovci, 45 Novi Jankovci, 43, 79 Novi Sad, 15, 64, 111, 134, 138, 219, 222, 229, 230 Novigrad, 173 Novo groblje (Neuer Friedhof), 37, 79, 85, 143, 167, 170, 179, 190, 216, 219 Nuštar, 14, 43, 46, 59, 60, 65, 66, 84, 116, 129, 134, 225, 226, 245 O Obrovac, 23 Opatovac, 11, 44-46, 48, 105 Oriolik, 116 Orlovača, 45 Orolik, 12, 218, 227 Osijek, 13, 14, 26, 44-47, 59, 72, 73, 94, 119, 136, 190 Otok, 43, 134 Ovčara, 7, 55, 78, 79, 85, 88, 102, 129, 134, 138, 140, 142-144, 153, 167, 170, 182, 190, 201, 218, 222, 223, 225, 243 P Pačetin, 42, 44 Pakrac, 10, 19, 24, 25, 90 Pančevo (Serbien), 116 Petrova gora (Stadtteil in Vukovar), 12, 48, 50, 58, 69, 108, 110, 118, 138, 225 Petrovci, 12, 14, 79, 102, 112, 114, 116 Plitvice, 10, 24-26, 42, 90 Polača, 25, 43 Prečno (in der nähe von Ivanić Grad), 16 Priljevo (Stadtteil in Vukovar), 65, 101, 102, 128, 129, 130, 132 Principovac, 44-46 Pustara, 45 R Russland, 32 S Sajmište (Stadtteil in Vukovar), 15, 58, 61, 71, 84, 85, 109, 110, 114, 128, 175, 178, 181, 204, 208, 210, 225, 228 Sava (Fluss), 10, 26, 138 Serbien, 9, 10, 13-15, 19-21, 25-27, 30-32, 39, 42-44, 45, 47, 50, 58, 59, 64, 69, 74, 80, 85, 120, 121, 125, 136, 143, 149, 201, 206, 219, 221, 229, 230, 241 Sinj, 32, 71 Srijem, 152 Slakovci, 79 Slawonien, 13, 15, 16, 26, 29, 32, 33, 34, 42, 44, 45, 50, 67, 80, 120, 133, 136, 138, 172, 225, 226 Slavonski Brod, 44, 62, 83, 152 Slowenien, 9, 11, 12, 21, 26, 29, 44 Sombor (Serbien), 121 Sotin, 12, 45, 50, 74, 79, 217, 223 Split, 29, 33, 84, 108-110, 113, 119, 123, 128, 129, 177, 197 Srebrenica (Bosnien und Herzegowina), 33 Sremska Mitrovica, 45, 85, 134, 135, 138, 143, 159, 222, 227, 229, 230 Sremske Laze, 116 Sremski Čakovci, 103 Srijemska Mitrovica, 228 Stari Jankovci, 79 Svinjarevci, 14, 79 Š Šid (Serbien), 12, 13, 44, 50, 85, 116, 118, 134, 138, 187, 190, 218, 221-223, 228, 229 Šidski Banovci, 218, 227 T Tenja, 44, 45 Titova Korenica (Korenica), 23 Tordinci, 79, 117 Tovarnik, 12, 13, 43, 58, 79, 111, 116, 223, 227 Trebinje (Bosnien und Herzegowina), 29 Trpinja, 29 U United States of America (Vereinigte Staaten von Amerika), 32 V Valjevo (Serbien), 13, 14, 58, 59 Varaždin, 13-15, 26, 29, 44, 50, 81, 83, 232 Vašica, 116 Velika Brusnica, 48 Vera, 44 Vinkovci, 13, 26, 28, 43, 44, 46, 51, 62, 64, 72, 83, 94, 107, 111, 114, 115, 129, 152, 170-172, 251 185, 186, 191, 192, 200, 203, 205, 208, 226 Virovitica, 13, 19, 29 Vojvodina, 16, 19, 20, 50, 106, 118, 124 Vučedol, 76, 167, 217 Vuka (Fluss), 14, 16, 59, 62, 81, 207, 208 Vukovar, 4, 7, 9, 11-17, 37, 39, usw. Zadar, 25, 29, 32, 43 Zagreb, 7, 13, 15, 22, 23, 27-34, 37, 50, 80, 83, 85, 92, 94, 98, 107, 110, 114, 116, 117, 128, 132, 134, 135, 152-154, 163, 172, 218, 222, 231, 233, 234-237, 241 Zidine, 129, 130, 132 Z Zabok, 44 Ž Županja, 43, 44, 51, 64, 72, 112, 116, 206 252