Prijelom V njem copy.indd - Hrvatski memorijalno

Transcription

Prijelom V njem copy.indd - Hrvatski memorijalno
EINE GANZE STADT ALS SCHIEßSCHEIBE
(Aggression Serbiens, bzw. der Jugoslawischen Volksarmee sowie der serbischen und
montenegrinischen Verbände auf die Republik Kroatien
und serbische Okkupation von Vukovar 1991)
1
Herausgeber
Kroatisches Memorial- und Dokumentationszentrum für Heimatkrieg
Herausgegeben und bearbeitet von
Ante Nazor
Redaktion
Ante Nazor
Autoren
Anica Marić
Ante Nazor
Rezensenten
Branko Borković
Dr. phil. Davor Marijan
Predrag Matić
Stjepan Sučić
Übersetzung ins Deutsche
Danijela Marjanić
Korrektur
Akademiker Ante Stamać
Druck
Auflage
Einband: Zentrum von Vukovar, November 1991; Folgen der serbischen Aggression (Titelbild)
Kroatisches (Anti)Kriegsplakat, 1991 (Rückseite)
CIP-Titelaufnahme der National-und Universitätsbibliothek in Zagreb in der Datenbank
der Kataloge unter der Nummer …
ISBN … (weicher Einband)
2
EINE GANZE STADT ALS SCHIEßSCHEIBE
(Aggression Serbiens, bzw. der Jugoslawischen Volksarmee sowie der
serbischen und montenegrinischen Verbände auf die Republik Kroatien
und serbische Okkupation von Vukovar 1991)
Zagreb, 2011
3
Wasserturm, Vukovar (Photo aus dem Archiv des Kroatischen Militärjournals)
4
Inhalt
Siniša Glavašević, EINE LIEBESGESCHICHTE
Branko Borković, VORWORT
Ante Nazor, EINLEITUNG
(der Weg zur Unabhängigkeit sowie die Okkupation und Befreiung
der Republik Kroatien im Heimatkrieg)
Ljerka Ivušić, SIE SIND UNSERE WAHRHEIT
Ante Nazor, AGGRESSION SERBIENS, BZW. DER JNA UND DER SERBISCHEN
PARAMILITÄRISCHEN VERBÄNDE AUF VUKOVAR IM JAHR 1991
Zusammenfassung
Um Gottes willen, was für Menschen werden hier ermordet! (statt Schlußfolgerung)
Erinnerungen der Beteiligten
Ante Nazor, AUCH DAS KRANKENHAUS WAR EINE SCHIEßSCHEIBE
(Krankenhaus während der Belagerungszeit)
Bruchstücke der Chronologie der Ereignisse im Vukovarer Krankenhaus 1991
Getötete und vermißte Personal-Mitglieder des Vukovarer Krankenhauses
Višnja Bilić, Ivan Grujić, OPFER AUS DEM VUKOVARER KRANKENHAUS
Verzeichnis der identifizierten Personen, deren sterbliche Überreste aus dem
Massengrab in Ovčara exhumiert wurden (193)
Verzeichnis der Personen, deren sterbliche Überreste aus anderen Gräbern im
Umland von Vukovar exhumiert wurden (16)
Verzeichnis der Personen, deren sterbliche Überreste aus der Republik Serbien
übernommen wurden (2)
Verzeichnis der Personen, deren Schicksal unbekannt ist (55)
Literaturnachweis
Anica Marić, DAS ALTENHEIM
Abkürzungen
Namens- und Ortsindizes
Siniša Glavašević, EINE STADTGESCHICHTE
5
6
Eine Liebesgeschichte*
D
ie Zeit, in der wir leben, ist eine so undankbare, daß der Mensch nur
bedauern kann, überhaupt geboren zu sein, oder sich zumindest wünscht,
sich zu einem anderen Zeitpunkt durchs Leben zu schlagen. Und warum?
Weil in der jetzigen Zeit die Liebe einfach nicht für alle reicht. Umsonst besitzt
man große Häuser und teuere Wagen, vergeblich verbringt man Winterferien
auf dem Hohen Tatra-Gebirge oder in etlichen Winterresidenzen wie GarmischPartenkirchen, vergebens kauft man sich teuere Parfüme oder veranstaltet Briefings,
all das ist nur der Nebelschleier eines wirklichen Lebens. Der Mensch entspannt sich
in berauschenden Täuschungen, auf geschickt erdichteten geheimen Lebenswegen,
und erst wenn es schon zu spät ist, als er mit geschloßenen Augen eigene Fehlgriffe
ignorierend das reife Alter erreicht, begreift er plötzlich, daß ein neuer Anfang nicht
mehr möglich ist. Das Ende wartet vielleicht hinter der nächsten Ecke.
Wenn es keine Liebe gibt – kann man auch keine Jahre oder Glück stehlen. Jemandem
könnte Sonne und Freude erscheinen, jemand könnte wiederum bei der Vorstellung
ausharren, daß der Erfolg nur aus Auszeichnungen bestünde oder im Beisein der
Schatten der Großen zu finden wäre, aber ich sah viele, die mit leeren Taschen und
erhobenen Hauptes durch diese Stadt geschritten haben. Ihre Freude über ihr nicht
vorhandenes Hab und Gut war viel größer. Weil sie die Stadt besaßen. Sie hatten
Freunde. Sie hatten eine Seele. Sie hatten kein Geld um nach Zagreb, Wien oder
Prag zu fahren. Ihr Geld blieb in vielen mit ihren Freunden leer ausgetrunkenen
Gläsern und Bechern stecken, während sie alle zusammen auf Tagesanbrüche auf
kroatischen Barrikaden warteten. Für einige von ihnen dauerte dieses Warten
zu lange und wir haben sie verloren. Aber wir alle wissen, wo sie sind. Falls und
das Leben Gelegenheit bietet, daß unsere Liebe über uns die Oberhand gewinnt,
vielleicht könnten wir dann auch einem glücklichen Tod entgegensehen.
* Der Autor war Journalist des Kroatischen Radiosenders Vukovar Siniša Glavašević, der nach
dem Fall von Vukovar im Vukovarer Krankenhaus gefangengenommen und in Ovčara erschoßen wurde. Er verfaßte die Geschichte während der Belagerung und Verwüstung der Stadt.
7
Autor des Plakats: Boris Ljubičić
8
Vorwort
N
achdem man mich gebeten hatte, den ersten Teil dieses Buches zu lesen, welcher
Zerfall Jugoslawiens und Kampf um Vukovar in den neunziger Jahren des vorigen Jhs.
zusammenfassend thematisiert, sowie meine Überlegungen darüber aufzuschreiben,
entschied ich mich meine noch vor etwa 10 Jahren notierten Beobachtungen und Erwägungen
an dieser Stelle vorzustellen. Und obwohl ähnliche Gedanken dieses ganze Buch durchziehen,
konnten sie durch einige neue Einzelheiten ergänzt und vervollständigt werden. Da dieses Werk
einen Abriß der wichtigsten Ereignisse und Geschehnisse, die zur Auflösung Jugoslawiens
beitrugen, bringt, und keine detaillierte Zergliederung in den Vordergrund setzt, habe ich
keine Einwände und betrachte es als eine objektive und nützliche Leistung.
Ich kann aber nicht umhin einige für das Verständnis des Staatsverfalls wichtige Vorgänge
mit Nachdruck hervorzuheben, beispielsweise, daß dem Vorschlag der Errichtung einer
Konföderation seitens Sloweniens und Kroatiens die Bildung eines unitaren Jugoslawiens
entgegengesetzt wurde, oder daß es eine Tatsache war, daß die Teilrepubliken der SFRJ1
über ihre eigene Armee (Territorialverteidigung) im Rahmen der Streitkräfte der SFRJ
sowie über die Jugoslawische Volksarmee (JNA) auf der Bundesebene verfügten, und daß
die aufständischen Serben nur ein Faktor von vielen während der Vorbereitungen der
militärischen Aggresssion Serbiens und Montenegros auf Kroatien waren. Nämlich, ein
ähnliches Szenario bei einer Kriesenauslösung verwendete auch Hitler am Vorabend des
Zweiten Weltkriegs (Wirkung und Tätigkeit der SA-Truppen). In den Jahren 1990 und
1991 hatte man bezüglich der Aktivitäten der JNA den Eindruck, als ob man von der
NATO2 angegriffen würde, bzw. als ob das slowenische und kroatische Territorium besetzt
wäre. Die Beschlagnahme der Bewaffnung der kroatischen Territorialverteidigung (was in
Slowenien nicht geschah) war nicht nur eine verfassungswidrige Tat, sondern kam im
weiteren Sinne des Wortes auch einer Besetzung des kroatischen Territoriums gleich.
Ich nahm schon vor zehn Jahren Stellung zu den Behauptungen, daß man die nötige Distanz
zu den Ereignissen im Heimatkrieg haben müsste, um sie überhaput objektiv besprechen zu
können, besonders wenn es sich dabei um die Forderung nach einer “Bestätigung der Quelle
durch die andere Seite” handelte. Deshalb beschäftige ich mich in diesem Vorwort auch mit
einigen Äußerungen und Befehlen dieser “anderen Seite”, die für die Umstände, unter welchen
die serbische Aggression gegen Kroatien vollzogen war, äußerst kennzeichnend sind.
1 kurz für Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien
2 kurz für North Atlantic Treaty Organisation – westliches Verteidigungsbündnis
9
Beispielsweise:
Herr Nenad Čanak zieht in seinem Buch Godina raspleta (Das Jahr der Auflösung),
im Kapitel unter dem Titel “Nacizam” (Nazismus), einen Vergleich zwischen den
Kriegsvorbereitungen Deutschlands unter Hitler und Serbiens unter Milošević: Auf
den Gebieten von Ländern, die eingenommen werden sollten, organisierte man Fünfte
Kolonne … im Umfeld von deutschen Kulturinstitutionen. Der Nazismus in Serbien
benutzte dazu serbische Kulturvereine “Sava”, “Prosvjeta”, wie auch verschiedene serbische
und demokratische Parteien außerhalb Serbiens, welche einen sehr großen Wert auf die
Erhaltung der Kulturidentität der Serben legten. Beograd beteiligte sich unmittelbar an deren
Organisierung. Die offene Verfolgung von Juden begann nach dem Mord an einem deutschen
Diplomaten in Paris durch einen “jüdischen Extremisten”, worauf die “Kristallnacht”
erfolgte. Für Serbien übernahm diese Rolle der inszenierte Überfall auf ein Mitglied der
Serbischen Demokratischen Partei (SDS) (M. Mlinar), der dabei an seinem Hals mit einem
Rasiermesser geschnitten sein sollte, worauf die ersten Barrikaden um Knin errichtet und die
ersten kroatischen Häuser auf dem Gebiet von Krajina in Brand gesetzt wurden.
Nach den ersten freien und demokratischen Wahlen in Kroatien und dem Sieg der Kroatischen
Demokratischen Gemeinschaft wurde die kroatische Territorialverteidigung durch die
JNA entwaffnet. Die einzigen bewaffneten Formationen die noch unter der Kontrolle der
neugewählten kroatischen Regierung standen, waren die Einheiten des Innenministeriums.
Da aber viele seiner Mitarbeiter serbischer Nationalität angehörten und die demokratischen
Veränderungen nicht anerkennen wollten, hatte die kroatische Regierung keine wirkliche Gewalt
über sie. So ist als Beginn der Aufstellung der zukünftigen Streitkräfte der Republik Kroatien
(RH) die erste Zusammenstellung der kroatischen Polizisten am 5. August 1990 zu verstehen.
Das war die einzige gesetzmäßige Möglichkeit die Bewaffnung wieder zu beschaffen.
Darauf folgte aber eine sehr beschwerliche Zeit eines fliegendes Staatspräsidiums als kein
Frieden und kein Krieg herrschte und die vom “Verteidigungsminister” der SFRJ Veljko
Kadijević in seinem Buch Moje viđenje raspada (Meine Sicht des Zerfalls, Beograd, 1993,
S. 126-127), als “erste Phase” beschrieben wurde. Das Ziel der JNA bestand darin “das
serbische Volk in Kroatien vor Angriffen der bewaffneten Formationen zu schützen,
und ihm dadurch zu ermöglichen, eigene Verteidigung zu organisieren“. Die Aufgabe
sollte “im Rahmen der Verhinderung der Konflikte unter verschiedenen Völkern gemäß
der Formulierung des Staatspräsidiums der SFRJ” vollbracht werden. Dazu sollten “die
Verbände der JNA in Kroatien und an seiner Grenze gestärkt und eine größere Anzahl
der Panzer- und mechanisierten Einheiten von Kompanie bis Bataillon in die Nähe der
möglichen Kriesenherde verlegt werden, damit man so schnell wie möglich eingreifen
könnte. Auch eine entsprechende Anzahl der Panzer- und mechanisierten Brigaden
(auch größere Formationen) sollte für größere Interventionen zur Verfügung gestellt
werden.“ Die berüchtigten Vorfälle, die sich im Frühjahr und Sommer 1991 bei Pakrac,
bei den Plitvicer Seen und in Borovo Selo ereigneten, bestätigen diese Behauptungen.
10
In Kroatien wurden neben der Spezialeinheiten des Innenministeriums seit April 1991 auch
die Verbände der Nationalgarde (am Anfang auch im Rahmen des Innenministeriums) und
des Zivilschutzes formiert. Nachdem der Krieg in Slowenien Ende Juni ausgebrochen war,
begann man die Kasernen der JNA zu blockieren. In diesem Zeitraum sollte man auch den Tag,
als der eigentliche Krieg in Kroatien begann, suchen. Diesbezüglich erzählte Veljko Kadijević
in seinem Buch (S. 130), daß man neben der Hauptaufgabe, den Schutz des serbischen Volkes
in Kroatien zu gewährleisten – auch den Befehl erhielt, zusätzlich Objekte, Verbände und
Soldaten der JNA sowie ihre Familien zu schützen, was dann natürlich die Ausführung aller
Ziele erschwerte. Die serbischen Quellen weisen klar und deutlich auf die Rolle der JNA hin
und auf die von ihr unternommenen Maßnahmen einen Konflikt heraufzubeschwören, da ihr
die Zeit davonlief. Demgegenüber war für Kroatien jede Vertagung jeglicher Zusammenstöße
kostbar, da Kroatien einfach keine Waffen hatte. Veljko Kadijević schildert ausführlich die
Versuche der JNA die Konflikte zu provozieren und damit auch gleich Kroatien als Schuldigen
für die entstehenden kriegerischen Auseindersetzungen zu bestimmen.
Auch die Vorfälle, die sich Ende August, bzw. zu Beginn der militärischen Stadtbelagerung
am 25. August 1991 ereigneten, weisen darauf hin. Nämlich, nachdem man die Kaserne der
Nationalgarde in Čakovci unter Raketenbeschuß genommen hatte, wurden am 24. August
auch die Kaserne bei Opatovac sowie der Stützpunkt bei dem Silo Đergaj nahe Bršadin
angegriffen. Die Truppen der Nationalgarde erwiderten das Feuer und der gefallene Luka
Andrijanić brachte die ersten JNA-Kampfflugzeuge oberhalb von Borovo Naselje zum
Absturz. Schon am folgenden Tag kam es zum nächsten Zwischenfall, als ein Militärfahrzeug
der JNA während einer Barrikaden-Rundfahrt auf eine Mine fuhr. In einer Propagandaschrift
des Militärblattes der JNA Narodna armija (31. August 1991, S. 10), stand darüber: “Die
Ustascha-Kämpfer auf ihren Stellungen beim Silo Bršadin schoßen am vergangenen
Samstag ein Kampfflugzeug der JNA ab. Ein Tag danach eröffneten sie dann das Feuer
aus Minenwerfern auf ein Militär-Lkw, der die Lebensmittel von Vukovar für eine Truppe
nach Borovo Selo transportierte.” Wie erwartet erfolgte dann ein koordinierter Angriff auf
Borovo Naselje und Vukovar, welche gemäß der vorgegebenen Dynamik und unter der
Zusammenwirkung aller verfügbaren Kräfte besetzt werden sollten. Der Feind aber stieß
auf einen unerwartet hartnäckigen Widerstand und mußte sich zurückziehen. Während des
Rückzugs nahm die JNA die Stellungen rund um die Stadt ein. Alle Zufahrtsstraßen wurden
blockiert und der einzige freie Weg blieb nur noch der sog. Maisweg über Lužac.
Im Zeitraum vom 24. August bis zum 14. September wagte das serbische Militär mehrmahls
einen Durchbruch, aber ohne größere Erfolge. Es verlor einige Kampfflugzuege und einige
Dutzend Panzer. Die serbischen Stützpunkte nördlich von der Stadt beschoßen immer
wieder die Stadt mit Minenwerfern. Währenddessen war man aber mit einer umfassenden
Reorganisation des Verteidigungssystems der Stadt und Truppenergänzung beschäftigt.
Es gab auch einige Versuche die Kaserne zu deblockieren. Der wichtigste Zwischenfall
ereignete sich aber am 2. September 1991 als Dorf Berak erobert wurde. Der Zynismus, mit
welchem das Militärblatt der JNA über das Massaker der Zivilisten durch die serbischen
11
Kräfte berichtete, braucht keinen Kommentar: “Als Beispiel (wohl der friedlichen Rolle der
JNA, Anm. des Autors) schildert man einen vor kurzer Zeit vorgefallenen Zusammenstoß,
der sich zwischen den Nachbarn in Berak ereignete, als sich verfeindete und zerstrittene
Kroaten und Serben den ganzen Sommertag lang im Dorf und auf Maisfeldern untereinander
jagten und niedermetzelten. Wer weiß, was wäre passiert, wenn eine Truppe der JNA nicht
geschickt wurde, um diesem Gemetzel ein Ende zu machen.”
Zur selben Zeit sammelten sich rund um Vukovar die frischen Truppen des Feindes in
Richtung Šid-Tovarnik-Lovas-Sotin und Šid-Tovarnik-Orolik-Negoslavci im Süden und über
Bogojevo bis Trpinja und Borovo Selo im Norden. Da man über keine große Waffenmenge
verfügte, hielt man die Dörfer von jeder Kampfhandlung aus Furcht vor Vergeltung ab. Alles
aber sprach dafür, daß ein Angriff in Vorbereitung war. Und die erhaltenen Informationen
waren in diesem Falle richtig. Der Feind ging am 14. September 1991 zum Angriff über.
Veljko Kadijević (S. 134-135) weiß folgendes darüber zu berichten:
Die Hauptziele, die als Basis für die Ausarbeitung der Einsatzpläne der JNA auf dem
ganzen jugoslawischen Gebiet dienten, bestanden aus nächsten Aufgaben:
- der kroatischen Armee sollte eine vernichtende Niederlage zugefügt werden,
damit die vorgegebenen Ziele planmäßig ausgeführt werden;
- die Einsätze sollten mit den Aktionen der aufständischen Serben in der Republik
Serbische Krajina koordiniert werden;
- den Rückzug der übriggebliebenen Truppen aus Slowenien sollte zu Ende geführt werden;
- dem Umstand, daß das serbische Volk in Bosnien und Herzegowina eine sehr wichtige Rolle für die
Zukunft des serbischen Volkes in seiner Gesamtheit haben wird, sollte Rechnung getragen werden.
Dieser Situation war auch die Verteilung der JNA-Truppen angepasst.
- Die Kampfziele sollten in zwei Phasen ausgeführt werden, in der ersten die
taktischen Gegenstöße in der Erwartung einer heftigen Reaktion Kroatiens,
- und in der zweiten eine einheitliche strategische Operation, wofür neben
der in der ersten Phase eingesetzten Verbände, noch 15 bis 18 Panzer-, mechanisierte
und Infanterie-Brigaden zusätzlich verwendet werden sollten. Die Anordnung und
Zusammenstellung der JNA-Truppen und ihr Einsatz in der ersten Phase sollte auch in
Übereinstimmung mit dem Plan des strategischen Angriffs der zweiten Phase gebracht
werden.
Da sich dieses Buch sowieso mit der Mänover-Idee auseinandersetzt, werde ich sie
hier nicht wiederholt vorstellen.
An diesem 14. September 1991 wurde Vukovar gegen Mittag von allen Seiten angegriffen. Zuerst
warfen die JNA-Kampfflugzeuge in etwa zehn Einsätzen Kassetenbomben und Raketen ab und
schoßen mit Maschinengewehren. Darauf folgte ein Panzer- und Infanterie-Angriff aus Norden
entlang der Linie Trpinja – Trpinjska Straße – Vukovar und Borovo Selo – Haus der Technik
(Borovo Naselje), sowie aus Süden in Richtung Negoslavci – Vukovar (Kasserne) und Petrovci –
Vukovar (Vorrort Petrova Gora). Die Kämpfe dauerten ununterbrochen bis zum 20. September und
12
die Stadt wurde völlig eingeschlossen. Zu dieser Zeit entstand auch der berühmte Panzerfriedhof
in der Trpinjska Straße. Von da an beteiligten sich an den Kämpfen auch die umliegenden Dörfer,
besonders aber an den Überfällen auf die Kolonnen, die gegen Vukovar vorrückten.
Ohne Rücksicht auf andauernde Gefechte konnte man das Verteidigungsamt aktivieren, das
ein Verzeichnis aller Wehrpflichtigen anfertigte und die Mobilisation vorbereitete. Auch
Militärpolizei, vier Bataillons und einige kleinere Truppengattungen (Fernmelde-, und
Ingenieurtruppe, Luftabwehr u.ä.) wurden formiert. Auch die Frage der Logistik wurde
sowohl für die Verteidiger als auch für die Zivilbevölkerung aufgearbeitet. Gleichzeitig plante
man Vukovars Blockade zu brechen und die Grenze bei Tovarnik zu sperren. Nämlich, nach
verfügbaren Informationen näherten sich die Truppen der zweiten feindlichen Staffelung, die
nach dem Fall von Vukovar und Ostslawonien, ihren Vormarsch nach Osijek und Virovitica
und dann zusammen mit Streitkräften aus Westslawonien weiter nach Zagreb und Varaždin
fortsetzen sollten. Unsere Truppen in Tovarnik haben deswegen am 21. September in frühen
Morgenstunden alle Zufahrtsstraßen zur Ortschaft versperrt und die herankommende
Kolonne angegriffen. Der Feind geriet in Panik und ergriff die Flucht in Richtung Šid. Nach
dem Militärblatt Narodna armija handelte sich dabei um die „tapferen“ Soldaten aus Valjevo.
Einzelne Soldaten haben erst in Beograd halt gemacht. Nach diesen Ereignissen geriet die
Mobilisation in Serbien ins Stocken und die JNA mußte ihre Angriffspläne modifizieren.
Diesbezüglich ist im Buch von Veljko Kadijević (S. 136) zu lesen: Die erste Etappe der
zweiten Phase (Ende Juni – Anfang September 1991) entwickelte sich gemäß unserer
Erwartungen, obwohl sich die kroatische Armee mehr auf die Vorbereitung der Angriffe
auf die Garnisone der JNA – bzw. auf Blockaden und einzelne Provokationen, als auf
die konkrete Ausführung dieser Einsätze konzentrierte.
Die zweite Etappe dieser zweiten Phase, bzw. die strategische Operation, mußte dann bestimmten
Änderungen unterzogen werden. Der einzige Grund dafür lag in der Tatsache, daß die Mobilisation im
Gegensatz zur Fahnenflucht keine großen Erfolge verbuchen konnte. Nicht nur, daß die Einberufung sehr
schwach verlief, sondern konnte man auch diese kleinere Truppen nicht ganz unter Kontrolle bringen.
Falls die Soldaten überhaupt bis an die Front schafften, verließen sie ihre Stellungen so schnell wie
möglich. Diese Umstände führten dazu, daß sich alle strategischen und operativen Elemente, besonders
in bestimmten Landesregionen, der zeitlichen Komponente und der Truppenstärke anpassen mußten.
Die Aufgaben blieben dieselben, aber da der Mangel an Truppen nicht zu übersehen war, konnte der
Einsatz nicht mit dem geplanten Schwung durchgeführt und der kroatischen Armee eine zerschmetternde
Niederlage zugefügt werden, die auch sonst zahlenmäßig überlegen war (!?). Diese Operation mußte in
mehreren Etappen und innerhalb eines längeren Zeitabschnitts vollbracht werden.
Man konnte doch den Schwerpunkt der Verteidigung nicht nach Tovarnik verlegen. Der
Grund dafür lag vor allem in Ermangelung der verfügbaren Truppen sowie des Verständnisses
seitens der Behörden in Vinkovci. Schon nach einigen Tagen griff der Feind erneut an und
dieses Mal die Verteidigungslinie Šid – Mirkovci sowie das linke Ufer des Flusses Bosut als
Ausgangspunkt für einen neuen Eroberungsversuch von Vukovar. Dadurch könnte dann der
13
Vormarsch weiter in Richtung Osijek und Vinkovci fortgesetzt werden. Die Kämpfe um Ilača
und Jankovci wurden heftiger. Man war der Situation bewußt und machte den Vorschlag, eine
gemeinsame Verteidigungslinie Jankovci – Petrovci – Bogdanovci zu errichten, aber ohne
Erfolg. In der Zwischenzeit wurde die Aufstellung der 204. Brigade von Vukovar befohlen
und in Vukovar trafen mehr als 600 Freiwillige aus ganz Kroatien ein. Da einige Kasernen
der JNA auf dem kroatischen Gebiet eingenommen wurden, konnten ihre Waffenbestände,
hauptsächlich aus Varaždin und Đakovo, nach Vukovar transportiert werden.
Die Operation Vukovar begann offiziel am 30. September und dauerte bis zum Ende der
Belagerungszeit. Die serbischen Verbände waren in zwei Operationsgruppen Nord und
Süd eingeteilt und die Abgrenzungslinie verlief entlang des Flusses Vuka. Die Operation
wurde vom Generalstab in Beograd geplant und stand unter dem Kommando von General
Života Panić, der zugleich auch der Befehlshaber des 1. Militärdistrikts (ehemalige 1.
Armee) war. Ende September und Anfang Oktober nahmen die Truppen der 252. Panzerund mechanisierten Brigade der JNA aus Valjevo (Serbien) die Dörfer Svinjarevci, Petrovci,
Marinci und Cerić ein. Das Dorf Bogdanovci konnte als Bestandteil der Vukovarer
Verteidigung den Angriff zurückweisen. Ab 1. Oktober 1991 wurde die Stadt eingekesselt.
Am 2. Oktober 1991 erfolgte der nächste heftige Angriff, aber er konnte gestoppt werden
und der Feind erlitt schwere Verluste an Mannschaften und Ausrüstung. Die letzten Tage
der Belagerung nicht inbegriffen, war dieser Tag der blutigste im Kampf um Vukovar. Mehr
als 90 Zivilisten und Soldaten wurden verwundet. Danach aber wurde die Stadt systematisch
und erbarmungslos aus der Distanz zerstört. Es gab keine großen Panzer-Überfälle mehr,
sondern nur die kombinierten im Zusammenwirken mit der Infanterie. Die Gegenwehr war
zu stark.
Im Osten Kroatiens blieb nur noch Ilok mit umliegenden Dörfern frei, aber in Anwesenheit
der Beobachter der Europäischen Gemeinschaft wurde ein „Referendum“ abgehalten, mit
dessen Hilfe dann am 17. Oktober 1991 Ilok und seine Dörfer ethnisch gesäubert und die
Kroaten in andere Regionen Kroatiens übersiedelt.
Die Konvoi-Phase war ein beispieloses Kapitel in der Geschichte der Vukovarer Verteidigung.
Der Konkurrenzkampf der französichen rivalisierenden humanitären Organisationen, welche
die Jagd auf Prestige und Profit veranstalteten, erwies sich für die Stadt als verhängnisvoll.
Der von der Europäischen Gemeinschaft auf Kroatien ausgeübte Druck bezüglich des
Engagements dieser Organisationen, zwang auch die Stadt dazu, sich mit diesen nur Nachteile
mitbringenden Aktionen abzufinden. Der Konvoi der Organisation „Ärzte ohne Grenzen“
sollte am 19. Oktober 1991 keine humanitäre Hilfe liefern, sondern die Verwundeten aus dem
Krankenhaus herausholen. Laut getroffener Abmachung sollte der Konvoi die folgende Route
nehmen: Nuštar – Marinci – Bogdanovci – Vukovar, aber er wurde absichtlich abgebogen, da
sich die serbischen Verbände im Raum zwischen Bogdanovci und Vukovar konzentrierten.
Im Falle aber, daß dem Konvoi von dieser Seite der Durchgang gewährt werden sollte, wäre
dann die Verteidigungslinie deblockiert ohne irgendeine Möglichkeit einer rechtzeitigen
14
Schließung, was dem Feind Gelegenheit gegeben hätte, mühelos in die Stadt einzumarschieren.
Demnach ist der Konvoi dann doch über Lužac in die Stadt eingetroffen, da diese Richtung
unter unserer Kontrolle stand. Die Führung des Konvois hat dem Befehlhaber der Vukovarer
Verteidigung die Ergebung der Stadt und den Abgang der Einwohner ähnlich wie in Ilok
angeboten, aber dieser Vorschlag wurde entschlossen abgewiesen. Außerhalb der Stadt wurde
der Konvoi dann von Serben überfallen. Sie ärgerten sich darüber, daß ihr Plan von einem
Durchbruch in die Stadt scheiterte.
Bis zum Ende Oktober waren keine heftigere Infanterie-Angriffe vorgefallen, ausgenommen
eines auf Mitnica und fortwährender Provokationen in Borovo Naselje und Sajmište. Die
ganze Stadt aber stand unter ununterbrochenem Granaten- und Bombenbeschuß und die
serbischen Kräfte bekamen immer wieder einen frischen Nachschub an Ersatztruppen durch
die Mobilisation in Serbien.
Zu einem besonders heftigen Angriff kam es am 2. November. Seine Schwerpunkte waren
die Ortschaften Lužac und Sajmište, damit die Richtungen Borovo Naselje – Vukovar und
Mitnica – Vukovar durchgeschnitten werden. Die Operation stand unter dem Kommando
des Generalstabs der JNA. Das Gebiet um Lužac wurde der Schauplatz eines der heftigsten
Gefechts, das den Serben große Verluste zufügte. Der Befehlshaber der Operationsgruppe
Nord General Bratić, der zugleich auch der Befehlshaber des Korps Novi Sad war, kam ums
Leben. Aber obwohl die Verteidigung die Gefechte gewann, verlor sie immer wieder neue
Teile ihres Territoriums, da sie über keine frischen Mannschaften, Waffen und Munition
verfügte. Die errungenen Siege hatten keine wirkliche Bedeutung, da man nur durch sie und
ohne frische Versorgung diesen Krieg nicht gewinnen konnte. Dazu hatten auch Müdigkeit,
Hunger, Verwundung und Tod ihre Spuren hinterlassen. Das Vukovarer Krankenhaus, das
voll mit Verwundeten war, lag nur einige hundert Meter von der Front entfernt.
Am 10. November 1991 besetzten die serbischen Verbände das letzte kroatische Dorf im
Osten des Landes – Bogdanovci. Auf den Zufahrtsstraßen zum Dorf wurden etwa 50 Panzer
und Panzertransporter der JNA zerstört und einige tausend Soldaten außer Gefecht gesetzt.
Am denselben Tag rückten die Serben bis an die Straße Borovo Naselje – Vukovar vor. In
Sajmište fiel Milovo brdo, wodurch auch das Stadtzentrum unter großem Druck geriet. Die
darauf folgenden Tage waren eine pure Agonie. Obwohl die serbischen Truppen auf die
Knie gezwungen wurden, hatte die Verteidigung keine Kraft mehr um die Gegenschläge
auszuführen, sondern gerade ums Überleben zu kämpfen.
Und darüber berichtet auch die Quelle der „gegnerischen“ Seite Veljko Kadijević (S. 137):
Die Hauptgruppe des Heeres, hauptsächlich die Panzer- und mechanisierten Verbände, sollten
in Ostslawonien zwei Aufgaben erfüllen: die serbischen Gebiete befreien und als Hauptkraft des
Oberbefehls für einen weiteren Vormarsch in Richtung Zagreb und Varaždin zur Verfügung stehen.
Die erste Aufgabe wurde gelöst, aber dadurch, daß sie viel zu viel Zeit beanspruchte, da es an den
Infanterietruppen als Begleitung der Panzereinheiten wegen Probleme mit der Mobilisation fehlte, geriet
15
die geplante Vorrückung ins Stocken. Der Kampf um Vukovar war der Kampf mit der Hauptgruppe der
Kroatischen Armee, die um jeden Preis Ostslawonien und die Baranja zu halten versuchte.
Als die Kroatische Armee besiegt und Vukovar befreit wurde, sollte die JNA für einen weiteren
Aufbruch nach Westen bereit sein, aber die Ergebnisse und Erfahrungen des Krieges in Kroatien
wiesen darauf hin, daß die gescheiterte Mobilisation und andauernde Fahnenflucht dazu führten,
daß die Einsatz- und Manöverpläne der Schlußoperationen in Kroatien geändert werden mußten.
Dadurch konnte der Kroatischen Armee keine wirklich vernichtende Niederlage zugefügt werden.
Der Mangel an Truppen und ihre langsame Aufstellung waren der einzige Grund dafür und
dadurch wurden natürlich auch unsere Verluste an Mannschaften und Ausrüstung größer.
Die Mobilisation der JNA bezüglich der Vojvodina kommentierte auch Nenad Čanak,
der sich in Wort und Tat den großserbischen Plänen und Aggression widersetzte:
„Zwangsmobilisation ist nichts neues in unseren neueren Geschichte. Man sollte sich nur
an die schrecklichen Jahre 1991 und 1992 erinnern, als bis zum 1. März 1992 innerhalb
nur weniger Monate 106.824 Soldaten an die slawonische Front geschickt wurden. Die
Vojvodina mußte eben mehr als 72 Prozent ihrer Soldaten für Slawonien herausrücken.“
Infolge der serbischen Angriffe im Herbst 1991 wurde Vukovar zu einer verwüsteten
Stadt. Über die Schuldigen schrieb sogar der Aggressor selbst, z.B. der Befehlshaber
der Operationsgruppe Süd und Oberst der JNA Mile Mrkšić: „Wir rissen Vukovar
nieder, das am besten befestigte Ustascha-Bollwerk, was man der Tapferkeit
und Wissen der Gardeeinheiten der JNA aus Beograd, den Freiwilligen und der
Territorialverteidigung, deren Angehörige größtenteils auch aus dieser Stadt
stammten, verdanken sollte.“ Und im Militärblatt der JNA vom 20. November 1991
steht folgendes: „Bis vor kurzer Zeit, eine der schönsten Städte an Ufern von Vuka
und der Donau, ist heute eine verwünschte Stadt. Diese `kosmische Schande` für die
Menschheit, die infolge einer Invasion des Neonazismus enstand, wird aufgehoben.
Die Wunden werden heilen. Aber als Gegenwehr gegenüber jeglichem Wahn sollte
die Erinnerung daran grenzenlos sein.“ Am Krieg hätten naüturlich die Kroaten
Schuld. In diesen Artikeln kamen keine Reue und kein Schamgefühl zum Ausdruck,
geschweige denn, daß man die Verantwortung für die vollbrachten Taten übernahm.
Es ist auch leider festzustellen, daß die serbischen Amtsträger dieser Stellungnahme in
offiziellen Quellen noch heute die Treue halten, was natürlich jedes Zusammenleben
von Kroaten und Serben und alle kroatisch-serbische Beziehungen auch weiter
belastet.
Prečno bei Ivanić Grad, 20. November 2008
Kommandant der Verteidigung der Stadt Vukovar
Oktober – November 1991
Branko Borković – Junghabicht
16
Oben: Erinnerungsplakat an das Leiden von Vukovar mit dem Datum seiner Okkupation
Unten: Millenium-Photo von Šime Strikoman „Legendäre 204. Vukovarer Brigade der Kroatischen
Armee“, Vukovar, 25. September 2006
17
Plakat für das Referendum in Kroatien, 19. Mai 1991
18
Ante Nazor
EINLEITUNG
(der Weg zur Unabhängigkeit sowie die Okkupation und Befreiung der RH
im Heimatkrieg – eine kurze Darstellung)
D
er Fall der Berliner Mauer im November 1989 kündigte den Anfang eines
neuen Zeitabschnittes in der europäischen Geschichte an, als die Mehrheit
der osteuropäischen Staaten das kommunistische Einparteisystem durch
ein demokratisches Mehrparteiensystem ersetzte. Dieser Prozeß weiterte sich auch
auf die Teilrepubliken der ehemaligen SFRJ aus, ausgenommen der Teilrepublik
Serbien. Ihre Bürger wurden zur Geisel der serbischen Nationalisten, die Mitte der
1980er Jahren erneut das im 19. Jh. entstandene großserbische Projekt zum Leben
erweckten, nach dem sich die westliche Grenze des serbischen Staates – des sog.
Großserbiens – tief im kroatischen Hinterland entlang der Linie Virovitica-PakracKarlovac-Ogulin-Karlobag erstrecken sollte. Diese Linie entsprach etwa der Grenze,
die durch die osmanischen Eroberungen auf dem kroatischen Gebiet im Zeitraum
von 15. bis 17. Jh. entstand.
Die Hetzkampagne der Medien, die die
Vorbedingungen für die Durchführung
des großserbischen Plans schaffen sollte,
begann mit der Veröffentlichung des
Memorandums der Serbischen Akademie
der Wissenschaften und Künste in Belgrader
Zeitung Večernje novosti vom 24. und 25.
September 1986, in dem die angebliche
Benachteiligung der serbischen Volksgruppe
in Jugoslawien hervorgehoben wurde. Die
serbischen Nationalisten strebten eigentlich
nach einer noch stärkeren Zentralisierung
des Staates, nach einer serbisch dominierten
Föderation und die unter Einfluß von Belgrad
stehenden
sozialistischen
autonomen
Provinzen Vojvodina und Kosovo sowie
Teilrepublik Montenegro. Das Ergebnis
dieser nationalistischen bzw. großserbischen Landkarte mit Grenzen des sog. Großserbiens
19
Plakat des 14. Kongresses des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens; Dadurch, daß die serbischen und montenegrinischen Delegierten ihren Willen den kroatischen und slowenischen Kollegen aufzudrängen versuchten und alle ihre
Vorschläge beharrlich ignorierten, verließ als erste die slowenische und dann auch die kroatische Parteidelegation den
Kongreß am 22. Januar 1990, was das Ende einer einheitlichen und zentralisierten Parteiorganisation und den Anfang
des Zerfalls der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien bedeutete.
Politik eines Teils der sebischen Politiker war die Ablösung der politischen Führung in den
erwähnten konstitutiven Teilen der SFRJ Ende 1988 und Anfang 1989, sowie eine Änderung
der Verfassung der SR Serbien3, durch welche in Wirklichkeit die Autonomie der Provinzen
abgeschafft wurde. Durch die Instalierung ihrer proserbisch orientierten Gefolgsleute als
Vertreter der Vojvodina, des Kosovo und Montenegros in das Staatspräsidium des damaligen
Staates, das aus acht Mitgliedern bestand (aus sechs Vertretern der Teilrepubliken und zwei
Vertretern der Provinzen), gelang es der serbischen Führung, sich die politische Dominanz
über andere Jugoslawische Teilrepubliken zu sichern. Deswegen veruschte die serbische
Macht-Elite die Demokratisierungsbestrebungen in Jugoslawien zu unterbinden.
In Einklang mit einer solchen großserbischen Politik, die von Belgrad ausging, fanden schon
Anfang 1990 in der SR Kroatien4 organisierte Veranstaltungen – die sog. Volkversammlungen
– der Serben aus Kroatien, Bosnien und Herzegowina und Serbien statt, wodurch sich
die serbisch-kroatischen politischen Beziehungen verschärften. Die Versammlungen
wurden von Bildern des neuen “allserbischen” Führers Slobodan Milošević, von Flaggen
3 kurz für Sozialistische Republik Serbien
4 kurz für Sozialistische Republik Kroatien
20
Serbiens, Jugoslawiens und des Bundes der Kommunisten sowie von proserbischen und
antikroatischen Parolen dominiert. Aber auch diese aggressive serbische Politik konnte den
Demokratisierungsprozeß in Slowenien und Kroatien nicht aufhalten. Im April und Anfang
Mai 1990 wurden die ersten freien Wahlen in Kroatien abgehalten, aus denen als Wahlsieger die
Kroatische Demokratische Gemeinschaft unter Vorsitz von Dr. Franjo Tuđman hervorging.
Auf die Wahlergebnisse in Kroatien reagierte die Militärführung der SFRJ in Einvernehmen,
bzw. auf Befehl von serbischen Politikern (des Präsidenten Serbiens Slobodan Milošević,
der Vertreter Serbiens im Staatspräsidium der SFRJ und seines Präsidenten Borisav
Jović), mit der Entwaffnung Kroatiens. Sie wurde seit geraumer Zeit geplant und noch
vor der in Einklang mit Wahlergebnissen umgesetzten Machtübergabe in Kroatien
rasch durchgeführt. Die Entwaffnung wurde am 23. Mai 1990 aufgrund eines streng
geheimen Befehls, den am 14. Mai 1990 der Generalstabsschef der Streitkräfte der SFRJ
Generaloberst Blagoje Adžić gesetzwidrig (ohne Wissen und ohne Zustimmung des
Staatspräsidiums der SFRJ) unterzeichnete, durchgeführt. In seinem Tagebuch Posljednji
dani SFRJ: Izvodi iz Dnevnika (Beograd, 1995, S. 146), vermerkte Borisav Jović am 17.
Mai 1990: “Wir haben sie praktisch entwaffnet. Formell geschah dies auf Befehl des
Generalstabsschefs, aber faktisch in unserem Auftrag. Slowenen und Kroaten reagierten
heftig, aber für sie gab es keinen Ausweg mehr.” Die beschlagnahmte Bewaffnung der
kroatischen Territorialverteidigung (es handelte sich dabei schätzungsweise um 80.000 bis
200.000 “Gewehrläufe”) wurde in die Munitionslager der JNA gebracht.
Kardinal Franjo Kuharić und Dr. Franjo Tuđman in der konstituierenden Sitzung des demokratischen Parlaments der Sozialistischen Republik Kroatien, 30. Mai 1990
21
Zagreb, Markus Platz, 25. Juli 1990 (Autor: Renato Branđolica)
22
Das Parlament der RH wählte in seiner konstituierenden Sitzung am 30. Mai 1990 Dr.
Franjo Tuđman zum Präsidiumspräsidenten der SR Kroatien, und am 25. Juli wurden
auch die Abänderungsanträge bezüglich der Verfassung der SR Kroatien angenommen,
aufgrund welcher aus dem Namen des Staates das Adjektiv “sozialistisch” entfernt, das
neue (“historische”) Wappen und die neue Staatsflagge festgesetzt, sowie angemessenere
Amtsbezeichnungen wie Präsident, Regierung der RH, Minister und andere (Narodne
novine5 31 vom 28. Juli 1990) festgelegt wurden. Am selben Tag, in einer Versammlung
der Serben in Ortschaft Srb verabschiedete man die Deklaration über Souveränität und
Autonomie der Serben in Kroatien. Auch ein “Referendum über serbische Autonomie”
wurde für die Zeit zwischen 19. August und 2. September angekündigt, das aber in keinen
Vorschriften auf Bundes- oder Republikebene seine Begründung finden konnte.6
Nachdem die bewaffneten serbischen Zivilisten (“Wachposten”) in Erscheinung getreten
hatten und Drohungen laut geworden waren, daß die Abhaltung dieses “Referendums”
von ihnen abgesichert wird, erteilte das Innenministerium der RH den Befehl, die für die
Polizeireserve des erwähnten Ministeriums bestimmte Bewaffnung in den Polizeistationen
auf den durch die bewaffnete Rebellion gefährdeten Gebieten unter Kontrolle zu bringen. In
der Nacht von 16. auf 17. August 1990 brachten die Spezialeinheiten des Innenministerums
der RH einen Teil der Bewaffnung unter ihre Aufsicht, worauf sich die Einwohner serbischer
Nationalität vor Polizeistationen in Knin, Benkovac,
Obrovac, Gračac, Titova Korenica, Dvor na Uni
und Donji Lapac, zu versammeln begannen. Alle
Verkehrsverbindungen auf diesem Gebiet wurden in
Anwesenheit bewaffneter Personen mit Baumstämmen
und Steinen blockiert. Der Versuch der kroatischen
Polizei die Bewaffnung der Polizeireserve in der
Nacht von 16. auf 17. August 1990 aus bestimmten
Polizeistationen in der Lika und in Dalmatien zu
verlagern und die Abhaltung des Referendums zu
verhindern, benützte die politische Führung der
aufständischen Serben als unmittelbaren Anlaß zur
Ausrufung des “Kriegszustandes” im Radiosender
von Knin am 17. August und zur Blockierung aller
Straßen durch bewaffnete Aufständische in der
Region.7 Der Versuch der kroatischen Polizei auf
diesem Gebiet wieder Ordnung zu schaffen, wurde Borovo Selo, 2. Mai 1991 (Autor:
Goran Pichler)
durch die Bundesarmee – die JNA vereitelt.
5 Volksblatt
6 O. Žunec, Rat u Hrvatskoj, Polemos 1, Zagreb, 1998, S. 66; M. Špegelj, Sjećanja vojnika, Zagreb, 2001, S. 287, Tabelle III.
7 Archiv des Verfassungsgerichtshofes der RH/Rechtliche Unterlagen betreffend die Aktennummer: U-VI-295/1991 vom
2. Oktober 1992 (weiter Arhiv Us RH).
23
Pakrac, 2. März 1991
Plitvice, 31. März 1991
24
Die sog. Baumstammrevolution war die Antwort eines
Teils der in Kroatien lebenden Serben auf die kroatischen
Demokratisierungsbestrebungen und als Anfang eines
bewaffneten Aufstands gegen die demokratisch gewählte
kroatische Führung zu verstehen. Das wirkliche Ziel
dieser Protestbewegung war die Anschließung eines
Teils des Territoriums der RH an einen einheitlichen
serbischen Staat, der einen Großteil ehemaligen
Jugoslawiens umfassen sollte. Allerdings schränkten
sich noch zu dieser Zeit diese bewaffneten Übergriffe
der Serben auf Überfälle aus dem Hinterhalt und
die Terroraktionen einzelner Gruppen ein, obwohl
unter denen auch schon aus Serbien eingetroffenen Verfassung der Republik Kroatien
Freischärlern wirkten. Zu besonders heftigen Zusammenstößen kam es zwischen diesen
Gruppen und der kroatischen Polizei am 2. März 1991 bei Pakrac, dann am 31. März zu
Ostern im Naturschutzgebiet um Plitvicer Seen, wo als erster kroatischer Verteidiger der
kroatische Polizist Josip Jović ums Leben kam. In der Auseinandersetzung bei Borovo
Selo am 2. Mai 1991 hat man zwölf kroatische Polizisten in einen Hinterhalt gelockt und
ermordet. In Polača bei Zadar wurde auch ein Polizist getötet.
Parlament der Republik Kroatien, 25. Juni 1991 (Autor Stanko Szabo)
25
Wegen dieser unakzeptablen Situation und hinsichtlich des von der serbischen
Führung ausgegangenen politischen Drucks, der dann besonders in einseitigen und
verfassungswidrigen Beschließungen des Präsidiums und der Versammlung der SR
Serbien, bzw. in ihren Bestrebungen nach Zentralisierung und Stärkung politischer und
wirtschaftlicher Stellung Serbiens auf Kosten anderer Teilrepubliken der Föderation, zum
Ausdruck kam, forderten slowenische und kroatische Führung den Umbau Jugoslawiens
zu einer Konföderation. Als die serbischen Politiker jedes Gespräch darüber ablehnten,
schlugen Slowenien und Kroatien den Weg zur Unabhängigkeit ein. Nachdem das
kroatische Parlament am 22. Dezember 1990 eine neue – “Weihnachts” – Verfassung
der RH (Narodne novine 56 vom 22. Dezember 1990) verbaschiedet hatte, beschloss
man aufgrund der Ergebnisse des am 19. Mai 1991 stattgefundenen Referendums die
Deklaration über die Gründung der souveränen und unabhängigen RH, sowie die Urkunde
über die Rechte der Serben und anderer Nationalitäten in der RH (Narodne novine 31 vom
25. Juli 1991). Das Inkrafttreten der Deklaration wurde für drei Monate ausgesetzt, damit
die Friedensverhandlungen über die politische Lösung fortgesetzt werden konnten.
Aber gerade dann und gemäß der Vereinbarung zwischen der serbischen politischen
Führung und Führung der JNA, verschärften sich terroristische Aktionen serbischer
Extremisten zur offenen und unbarmherzigen Aggression der JNA und der serbischen
paramilitärischen Formationen gegen die RH. Der serbische Vetreter im Staatspräsidium der
SFRJ und damaliger Präsident des Präsidiums in Vertretung Borisav Jović führte in seinem
Buch Posljednji dani SFRJ: Izvodi iz dnevnika (Beograd, 1995, S. 349) an, daß der serbiche
Präsident Slobodan Milošević und er dem Bundessekretär für Volksverteidigung der SFRJ
(“Verteidigungsminister”) Veljko Kadijević “eine Reihe von Forderungen bezüglich der Rolle
der JNA in Auftrag gegeben haben, die er auch ohne Widerspruch angenommen hat”:
Slobodan (Milošević) und ich (Borisav Jović) haben mit Veljko Kadijević ein, wie es sich später
herausstellte, entscheidendes Gespräch geführt … Von ihm haben wir folgendes verlangt: …Der Hauptteil
der Streitkräfte sollte entlang der folgenden Linie seine Stellungen beziehen: im Westen Karlovac-Plitvice;
im Osten die Baranja, Osijek, Vinkovci – Sava und im Süden Neretva. Auf diese Weise hätte man das
gesamte von Serben bewohnte Gebiet in Kroatien bis zur endgültigen Lösung unter Kontrolle gestellt …
Kroaten und Slowenen sollten aus den Reihen der Armee völlig eliminiert werden …
Die Unterlagen der JNA weisen darauf hin, daß die Pläne ihrer Strategen doch ein etwas
weiteres Gebiet als nur “serbisch dominiertes Territorium” umfassten. So sollten nach dem
Befehl des Kommandos des 1. Militärdistrikts die Truppen der JNA nach der Besetzung Ostund Westslawoniens auch weiter ab 19. September 1991 in Kampfbereitschaft für etliche
Operationen in Richtung Varaždin und Koprivnica sein. Der Angriff sollte am 21. September
fortgesetzt und in zwei Etappen, je zwei bis drei und je vier bis fünf Tage, durchgeführt werden.
Gemäß dem erwähnten Plan, hat sich der “Verteidigungsminister” General Veljko Kadijević
darüber öffentlich geäußert, daß die JNA entscheidende Maßnahmen unternehmen werde,
um den “Ausbruch eines Bürgerkrieges zu verhindern”. Es war klar, daß die Militärführung
der SFRJ weder den Präsidenten des Staatspräsidiums der SFRJ noch die Führung der RH
26
anerkennt, was verfassungswidrig war und eigentlich einer Kriegserklärung gleichkam. Die
Friedensverhandlungen, bzw. der Versuch der Regierung der RH und der internationalen
Staatengemeinschaft, eine friedliche Lösung der Krise zu finden, wurden ignoriert. Die
JNA und die serbischen Paramilitärs gingen entlang der ganzen Frontlinie zu Kroatien
zum allgemeinen Angriff über, mit dem Ziel die Gegenwehr der RH innerhalb der zwanzig
Tage zu brechen. In Folge des Befehls des Generalstabsschefs der JNA Generaloberst
Blagoje Adžić vom 12. Oktober 1991, sollten “alle bewaffneten Formationen, ganz egal
ob es sich dabei um die JNA, Territorialverteidigung oder serbische Freiwillige handelt,
einem einheitlichen Kommando der JNA unterstellt werden”. In Wirklichkeit haben aber
von Anfang an alle Einheiten der JNA, lokale serbische Territorialverteidigung, serbische
aufständische Miliz (“Miliz von Milan Martić”), sowie die aus Serbien angekommene
Freiwilligenverbände diesem Kommando unterstanden. Über die Intensität der
Aggression auf die RH, die durch die Luftstreitkräfte der JNA unter dem Kommando des
Generals Zvonko Jurjević unterstützt wurde, spricht auch die Einschätzung ausländischer
Militärexperten, daß die kroatischen Verteidiger ihre Stellungen nicht länger als zwei
Wochen halten könnten. In seinem Buch Moje viđenje raspada (Beograd, 1993, S. 135),
legt General Veljko Kadijević den Angriffsplan der JNA auf die RH im Herbst 1991 vor:
Der Angriff
splanoperacije
der JNA
Kroatien,
Zamisao
napadne
JNAgegen
protivdie
RH,Republik
rujan-listopad
September-Oktober
(Quelle:
Davor brigade
Marijan,
Smrt ok1991.
(prema: Davor 1991
Marijan,
Smrt oklopne
– prilozi
za
istra`ivanje
rata –za prilozi
Hrvatsku
i Hercegovinu,
–
lopne brigade
zai Bosnu
istraživanje
rata za1990.
Hrvatsku
i
1992.,
Zagreb, 2002.)
Bosnu Zoro,
i Hercegovinu,
1990. – 1992., Zoro, Zagreb, 2002)
27
Vinkovci – Bibliothek nach dem Angriff der JNA (oben)
Regierungsgebäude Banski dvori in Zagreb; Folgen des Angriffs der JNA-Kampfflugzeuge am 7.
Oktober 1991 (unten)
28
-
-
Eine völlige Blockade der RH in der Luft und an der Adriaküste;
Die Angriffsrichtungen des Hauptteils der Streitkräfte der JNA sollten mit der
Befreiungsaktion der serbisch dominierten Gebiete und Garnisonen der JNA im
kroatischen Hinterland koordiniert werden. Man sollte Kroatien in folgenden
Richtungen abschneiden: Gradiška-Virovitica, Bihać-Karlovac-Zagreb, KninZadar, Mostar-Split. Mit der stärksten Gruppierung von Panzereinheiten sollte man
Ostslawonien befreien, dann den Vorstoß rasch nach Westen fortssetzen, sich dann
mit Truppen in Westslawonien vereinigen und die Offensive in Richtung Zagreb und
Varaždin, bzw. slowenischer Grenze ansetzen. Gleichzeitig wird mit starken Kräften
vom Bezirk Herceg Novi – Trebinje aus das Hinterland von Dubrovnik besetzt und der
Vorstoß in das Tal von Neretva durchgeführt werden. Danach sollte das Vorrücken
mit der sich in Richtung Mostar-Split bewegenden Verbänden fortgesetzt werden;
Nach der Besetzung bestimmter Einrichtungen, sollte die Grenze der Serbischen
Krajina in Kroatien gesichert und die restlichen Verbände der JNA aus Slowenien
abgezogen und nach Kroatien verlegt werden;
Für Mobilisierung und Vorbereitung von mobilisierten oder demobilisierten Truppen
sowie für ihre Verlegung auf bestimmte Einsatzpunkte werden zwischen 10–15 Tage
benötigt, abhängig von der Stufe der “Kampfbereitschaft” der Einheit und ihrer
Entfernung von den erwähnten Punkten der Verwendung.
Der Angriff der JNA-Kampfflugzeuge auf das Regierungsgebäude der RH Banski dvori im
Zentrum von Zagreb am 7. Oktober zeigte, daß der Feind vor keinen Mitteln zurückschrekte
um sein Ziel zu erreichen. Durch diesen Raketenangriff versuchte die Jugoslawische, bzw.
proserbische Führung der SFRJ, den Präsidenten der RH Franjo Tuđman, Präsidenten
des Staatspräsidiums der SFRJ Stjepan Mesić sowie Präsidenten des Bundesexekutivsrats
der SFRJ Ante Marković, während eines Zusammentreffens zu töten. Der Versuch der
Verübung eines solchen Attentats bewies, daß die großserbischen Strategen schon seit
langem eine friedliche Lösung der Jugoslawienkriese aufgegeben haben.
Die Nachrichtendienste der JNA, die dem “Bundessekretariat für Volksverteidigung” sowie
dem “Kommando der Luftstreitkräfte und Luftabwehr” unterstanden, negierten immer
wieder die Rolle der JNA in diesem Vorfall, und bemerkten sogar zynisch dazu, den Angriff
könnte auch die “kroatische Führung inszeniert haben”.
Unter dem Eindruck dieses Vorfalls sowie einer weiteren Reihe von Bildern der Zerstörung
und Nachrichten über eine immer größer werdende Opferzahl aus anderen durch die JNA
überfallenen Städten und Orten, erklärte das Parlament der RH am folgenden Tag, den
8. Oktober 1991, die Unabhängigkeit der RH. Nämlich, nachdem festgestellt worden war,
daß die Frist von drei Monaten Aussetzung des verfassungsgemäßen Beschlusses vom
25. Juli 1991 verstrichen war, haben die Abgeordneten den Entschluß über die Loslösung
der RH aus der SFRJ und ihrer Unabhängigkeit gefaßt. Die RH brach alle staatsrechtlichen
Beziehungen zu den anderen Teilrepubliken und Provinzen der damaligen SFRJ ab. Wegen
der Gefahr von neuen Luftangriffen der JNA, fand die Parlamentssitzung im Keller des
29
Parlamentssitzung der Republik Kroatien, 8. Oktober 1991 (Autor: Josip Božičević)
INA8 - Gebäudes in der Šubićeva Straße in Zagreb statt (Narodne novine 53 vom 8.
Oktober 1991).
Unter anderem hebte man in den Beschlüssen, die vom Parlament an diesem Tag auf
einer gemeinsamen Sitzung aller Räte verabschiedet wurden, folgendes hervor:
1. Die RH wurde durch die Republik Serbien und die sog. JNA angegriffen. Die
RH wurde gezwungen, sich gegen dieser Aggression mit allen verfügbaren
Mitteln zur Gegenwehr zu setzen.
2. Die sog. JNA gilt als Aggressions- und Besetzungsmacht und muß das
vorläufig eroberte Staatsgebiet der RH ohne Verzögerung verlassen.
3. Das Parlament der RH fordert die JNA auf, allen kroatischen Bürgern, die bei
der JNA ihren Wehrdienst leisten, einen freien Abgang ohne Verzögerung zu
gewährleisten.
4. Die Teilrepubliken Bosnien und Herzegowina sowie Montenegro werden
aufgefordert, ihr staatliches Gebiet nicht als Basis für die Kriegsführung
gegen die RH zur Verfügung zu stellen.
Als Reaktion auf die Beschlüsse des kroatischen Parlaments hat die Europäische Gemeinschaft
in der Konferenz über Jugoslawien in Haag am 18. Oktober 1991 den Vertretern der
ehemaligen Jugoslawischen Teilrepubliken einen Entwurf über den Umbau Jugoslawiens zu
einer Gemeinschaft von souveränen Staaten vorgelegt. Das “Abkommen über die endgültige
Lösung der Jugoslawienkriese” bekannt auch als “Carrington-Plan”, sah die “Gründung
eines freien und auf allumfassenden und über die Kontrollmechanismen verfügbaren
8 Kroatische Erdölindustrie
30
Vereinbarungen bezüglich des Schutzes der Menschenrechte beruhenden Verbandes von
souveränen und unabhängigen Staaten vor, im dessen Rahmen auch ein spezieller Status
für bestimmte Volksgruppen sowie die Anerkennung der darauf bestehenden Republiken
innerhalb der existierenden Grenzen gewährleistet werden”. Dem vorgeschlagenen Plan
stimmten alle Republiken außer Serbien zu. Dann machte auch Montenegro unter Druck von
Serbien seine Zustimmung rückgängig, obwohl sein Präsident Momir Bulatović zuerst den
Plan angenommen hatte. Der Anklagevertreter bei dem Internationalen Strafgerichtshof für
das ehemalige Jugoslawien in den Haag Geoffrey Nice, behauptete, daß durch die serbische
Ablehnung des erwähnten Entwurfes am 18. Oktober 1991 keine Umorientierung Jugoslawiens
hin zu einer Konföderation mit besonderen Rechte für in Kroatien lebende serbische
Volkgruppe stattfinden könnte, was andererseits im Falle der serbischen Zustimmung (schon
damals, Anm. des Autors) ein schnelles Ende des Krieges und die Rettung von Tausenden von
Leben bedeuten würde.9 So besiegelte die Sturheit der serbischen politischen und der JNAFührung das Schicksal Jugoslawiens, und sein blutiger Zerfall konnte nicht mehr aufgehalten
werden. Die RH setze dann auf ein schnelleres Verfahren in Richtung der internationalen
Anerkennung auf. Ihre Forderungen begründete sie, unter anderem, mit den Bestimmungen
der bis dahin gültigen Jugoslawischen Verfassung – Verfassung der SFRJ von 1974, die durch die
Affirmation der Staatlichkeit der Teilrepubliken die Berufung auf das Selbstbestimmungsrecht
der Völker erlaubte. Dazu beinhalteten die Bestimmungen der Verfassung der SR Kroatien von
1974 folgendes: “das kroatische Volk gründete seinen Staat SR Kroatien unter der Berufung
auf Selbstbestimmungsrecht, einschließlich des Rechts auf Loslösung”.10
Bis zum Ende des Jahres 1991 eroberte die JNA, unter deren Kommando auch die bewaffneten
Formationen der in Kroatien lebenden aufständischen Serben sowie die serbischen Freischärler
aus Serbien und Bosnien und Herzegowina standen, fast ein Drittel des kroatischen Staatsgebiets.
Dabei begangen die serbischen Extremisten zahlreiche Morde und Verbrechen an Kroaten
und anderen Nicht-Serben, aber auch an serbischer Bevölkerung, die die großserbische Politik
ablehnte. Auf dem eroberten Gebiet riefen die aufständischen Serben am 19. Dezember 1991
die “Republik Serbische Krajina”11 mit der Hauptstadt Knin aus. Aus diesem unter Aufsicht der
Aufständischen stehenden Gebiet wurde die nicht-serbische Bevölkerung fast ganz vertrieben
und ihr Eigentum zerstört oder geplündert.
In der folgenden Zeit, nachdem die RH am 15. Januar 1992 international anerkannt und in
die Organisation der Vereinten Nationen (kurz OUN) aufgenommen worden war, versuchte
die Regierung der RH mit Hilfe von europäischer und Weltdiplomatie auf friedlichem Wege
die besetzten Teile ihres Territoriums zu reintegrieren. Die Führung der Krajina-Serben aber,
unterstützt durch Serbien und die SR Jugoslawien12, lehnte jeden Friedensvertrag, der eine
9 O. Žunec
10 Ustav SFR Jugoslavije – Ustav SR Hrvatske, Exposé von Jakov Blažević, Zagreb, 1974, 224.
11 kurz RSK
12 kurz für die Bundesrepublik Jugoslawien
31
Rückgabe des besetzten Staatsgebiets in die staatsrechtliche Gewalt Kroatiens vorsah, immer
wieder ab, obwohl alle Resolutionen der OUN ausdrücklich davon ausgingen, daß diese Gebiete
als “vorläufig besetzte Teile des kroatischen Hoheitsgebiets” gelten.13 Für Krajina-Serben gab
es keine andere politische Option, als die Errichtung eines neuen serbischen Staates und sein
Anschluß an Serbien. Besonders ein Zusammenleben mit Kroaten in demselben Staat kam
nicht in Frage. Um die besetzten Teile seines Territoriums zu befreien, mußte Kroatien dann
doch beschränkte Militäroperationen unternehmen.
Im April 1992 stoppte die Kroatische Armee einen Vorstoß der serbischen Verbände aus
Bosnien und Herzegowina in Richtung der Adriaküste, dessen Ziel die völlige Besetzung der
südlichsten Spitze Kroatiens war. Die kroatischen Soldaten durchbrachen dann die Blockaden
um Dubrovnik. Die mit der UNESCO14-Urkunde verliehene Altstadt von Dubrovnik wurde
durch die Artillerie der JNA von ihren Stellungen auf den umliegenden Bergen aus beschossen.
Bis Ende Oktober 1992 konnte die Kroatische Armee das besetzte Territorium im Süden
zurückerobern. Im Januar befreite sie gemeinsam mit den Einheiten des Ministeriums des
Inneren der RH das Hinterland von Zadar und stellte durch die Aufstellung einer Pontonbrücke
über Maslenica-Schlucht die Verkhersverbindungen zwischen Norden und Süden Kroatiens
her. Die Übernahme des Wasserkraftswerks “Peruča” in der Nähe der Stadt Sinj ermöglichte
eine regelmäßige Stromversorgung für Dalmatien. Im September 1993 befreiten kroatische
Soldaten und Polizisten die Hochburg Medak, bzw. die sog. Medak-Tasche nahe der Stadt
Gospić, von welcher aus die Krajina-Serben Gospić immer wieder angegriffen und verwüstet
hatten.
Trotz militärischen Niederlagen, lehnte die Führung der Krajina-Serben Anfang 1995 den
Vorschlag der Vertreter der USA15, Russlands, Deutschlands und Großbritanniens (“Plan Z-4”)
über eine politische Lösung der Krise in Kroatien ab. Der Vorschlag sah eine ausnahmslos
breite Autonomie für die serbische Bevölkerung in Teilen Kroatiens, wo sie eine Mehrheit
bildete, vor (der sog. UNPA-Sektor Nord und Süd, Umgebung von Glina und Knin).16
Diese Ablehnung zwang die kroatische Führung eine neue Militär- und Polizeioperation zu
unternehmen. Die kroatischen Kräfte befreiten im Zeitraum zwischen 1. und 4. Mai 1995 im
Verlaufe der Operation “Bljesak” (Blitz) die besetzten Teile Westslawoniens. Als Vergeltung
feuerten dann die Krajina-Serben am 2. und 3. Mai die Raketen auf die Innenstadt von Zagreb
13 Z.B. die Resolutionen 820., 847, 871 vom 17. April, 30. Juni und 4. Oktober 1993, die Resolutionen 908, 947, 958 vom 31. März, 30. September und 19. November 1994, sowie die Resolutionen 981 und 994 vom 31. März und 17. Mai 1995; siehe auch: Specijalna policija MUP-a
RH u oslobodilačkoj operaciji „Oluja“ 1995. (Beilage), Zagreb, August 2008, S. 78-96; http://www.
un.org/documents/.
14 United Nations Educational, Scientific and Cultural Organization/Organisation der Vereinten
Nationen für Erziehung, Wissenschaft und Kultur
15 United States of America/Vereinigte Staaten von Amerika
16 D. Marijan, Oluja, Zagreb, September 2007, S. 379-399.
32
und andere kroatische Städte ab. Durch diese feigen und terroristischen Anschläge wurden
in Zagreb sieben Menschen getötet und mehr als hundert verletzt. Mit Raketen wurden
das Kinderkrankenhaus, das Gymnasium in der Križanićeva Straße und andere kulturelle
Einrichtungen und Gebäude getroffen.17
Die Führung der Krajina-Serben setzte wie immer ihre kompromisslose Politik fort, mit
der Absicht den Rest des besetzten Territoriums der RH abzuspalten und zusammen mit
unter serbischer Kontrolle sich befindlichen Gebieten von Bosnien und Herzegowina an
den geplanten einheitlichen serbischen Staat anzuschließen. Als dieser Prozeß durch die
Vorbereitung des Entwurfes der “Verfassung der Vereinten Serbischen Republik” im Juli
1995 seinen Höhepunkt erreichte, war man sich im klaren, daß das Problem der Besetzung
nur mit einem neuen Militäreinsatz zu lösen wäre. Die letzte Militär- und Polizeioperation,
genannt “Oluja” (Sturm), wurde im Zeitraum von 4. bis 8. August 1995 unternommen.
Norddalmatien, die Lika, die Banovina und Kordun (insgesamt etwa 10.500 km2) wurden
befreit. Die kroatischen Verbände stießen bis an die Staatsgrenze vor und ermöglichten
dadurch der Armee von Bosnien und Herzegowina die Durchbrechung der serbischen
Belagerung von Bihać. Auf diese Weise wurde eine ähnliche humanitäre Katastrophe und ein
ähnliches Massaker wie in Srebrenica, als im Juli 1995 die serbischen Truppen mehr als 8000
Bosniaken – bosnische Muslime - getötet haben, verhindert. Unter serbischer Besetzung
blieb nur noch der sog. UN-Sektor Ost, der die Baranja und einen Teil Westslawoniens und
Westsyrmiens (etwa 4,5 % des Gesamtterritoriums der RH) umfasste.
Neben der Befreiung seines eigenen Staatsgebietes trug Kroatien bedeutend auch der
Befreiung des okkupierten Territoriums von Bosnien und Herzegovina bei. So befreiten die
kroatischen Streitkräfte (Kroatische Armee und Kroatischer Verteidigungsrat) z.B. aufgrund
des Abkommens zwischen den Präsidenten der RH und Bosnien und Herzegowinas
(Deklaration von Split vom 22. Juli 1995) und aufgrund der Koordination mit der Armee von
Bosnien und Herzegowina, etwa 1600 km² Ende Juli 1995 (Operation “Ljeto ‘95”/Sommer
‘95), etwa 2500 km² im September (Operation “Maestral”/Mistral), und etwa 800 km²
(Operation “Južni potez”/Südlicher Einsatz) des Südwestens und Westens des Nachbarstaates
im Oktober 1995. Bei allen diesen Operationen handelte es sich um die Befreiung der unter
serbischen Kontrolle stehenden Gebietsteile Kroatiens und Bosniens. Diese Aktionen
erzwangen auch die Unterzeichnung des Abkommens von Dayton im November 1995 und
damit auch das Ende des Krieges in den beiden Staaten, der mit der Aggression der JNA und
der serbischen paramilitärischen Verbände auf die RH angefangen hatte.
Nämlich, erst als die Führung der Krajina-Serben auf dem unter ihrer Kontrolle
übriggebliebenen Territorium der RH nach der Militäroperation “Oluja” und der Niederlagen
der Armee der Serbischen Republik in Bosnien und Herzegowina, die Schädlichkeit ihrer
eigenen Politik und die Entschlossenheit der Kroaten ihr Staatsgebiet zu befreien, begriffen
17 Damir Luka Saftić, „Kod Šoštarićeve prvi trg civilnim žrtvama“, Večernji list, 8. 3. 2007, 26.
33
hatte, stimmte sie den vorgelegten Vorschlägen und einer friedlichen Lösung des Konflikts
zu. So unterschrieben die Vertreter der aufständischen Serben aus Ostslawonien, der Baranja
und aus Westsyrmien in Erdut am 12. November 1995 das “Grundlegende Abkommen
über die friedliche Reintegration dieses Gebiets in das staatsrechtliche Staatsgebiet der
RH”. Am selben Tag unterzeichnete der Vertreter der Regierung der RH Hrvoje Šarinić das
Abkommen in der Präsidentschaftsresidenz in Zagreb.18
Das erwähnte Abkommen (“Erdutski”/Abkommen von Erdut), das durch zahlreiche
Zugeständnisse an die Krajina-Serben die Unzufriedenheit der aus diesem Gebiet
vertriebenen Kroaten hervorgerufen hatte, bewies die Konsequenz der kroatischen Politik
in ihrem Bestreben, die Probleme mit aufständischen Serben durch Verhandlungen und
auf friedlichem Wege zu lösen, auch wenn man schmerzvolle Kompromisse eingehen
mußte. Das Abkommen über die friedliche Reintegration Ostslawoniens, der Baranja
und Westsyrmiens in das Staatsgebiet der RH, wurde auch durch den UN-Sicherheitsrat
am 23. November 1995 angenommen (Resolution 1023). Für die Dauer der erwähnten
Friedenssicherungsmission bis 15. Januar 1998, als kroatisches Donaugebiet (bzw.
Ostslawonien, die Baranja und Westsyrmien) endlich wieder unter die Kontrolle Kroatiens
gestellt wurde, richtete der OUN-Sicherheitsrat (Resolution 1037 vom 15. Januar 1996)
eine “Übergangsverwaltung der OUN in Ostslawonien” ein. Damit übernahm Kroatien,
einige Grenzkonflikte mit Nachbarstaaten ausgenommen, die völlige Gewalt über seine
international anerkannten Grenzen.
18 Hrvoje Šarinić, Svi moji tajni pregovori sa Slobodanom Miloševićem 1993-95 (98), Zagreb,
1999, S. 311.
34
35
36
Sie sind unsere Wahrheit
K
arlo hatte erst seit kurzer Zeit seinen Mittelschulabschluß, den er in seinem
Borovo kriegte. In diesem Herbst riet er immer wieder seiner Mutter nach
Zagreb zu seiner Schwester zu fahren. Sie studierte, um einmal ihrer
Stadt helfen zu können. Über Nacht wurde Karlo zu einem Mann. Mit seinen
Altersgenossen und seinem Vater Josip blieb er, um sein Elternheim zu schützen. Es
war alles was sie hatten, alles was sie sich mit viel Mühe erarbeiteten. Die feindliche
Schnellfeuer traf ihn etwa hundert Meter weiter, in der Trpinjska Straße, in der
Straße der Helden. Der kleine Held oder das was von ihm übrig blieb, wurde in eine
karierte Decke eingebetet und auf dem Gelände des Stadions begraben.
Wer hörte den heiseren Wehgeschrei des Vaters angesichts des Granatendonners?
Wer sah die Tränen angesichts des Rauchs der Brandstätte?
Der Körper des Vaters sank in sich an der Schwelle des Familienhauses. Er wurde auf
dem Gelände einer naheliegenden Gärtnerei begraben. Vater und Sohn wurden aus
dem Friedhof Novo groblje (Neuer Friedhof) in Vukovar im Juni 1998 exhumiert.
Die karierte Decke war das einzige Erkennungszeichen von kleinem Karlo. Die Uhr,
die noch tickte – das Erkennungszeichen seines Vaters Josip.
Marica stand stumm am 13. Juni oberhalb der sterblichen Überresten ihres Sohnes
Karlo und ihres Ehemanns Josip, als man von ihnen letzten Abschied genommen
hatte. Sie begrub ihre Vergangenheit und ihre Zukunft.
Am diesen Tag feierte man in Vukovar eine Hochzeit. Karlos Altersgenossen hupten
mit einer Hand und die andere, die sich erst neulich des Gewehrs entledigte, hielten
sie mit drei ausgestreckten Fingern in der Luft. An der Spitze der Kolonne flatterte
die serbische Flagge.
Marica begegnete der Zukunft, am 13. Juni des Jahres 1998 in Kroatischem
Vukovar.
Vukovar hat uns allen nicht gleich tiefe Wunden geschlagen, das braucht es nicht
und muß es nicht! Aber wer darf die Wahrheit verleugnen?
Ljerka Ivušić
37
38
Ante Nazor
AGGRESSION SERBIENS, BZW.
DER JNA UND DER SERBISCHEN
PARAMILITÄRISCHEN VERBÄNDE
AUF VUKOVAR IM JAHR 1991
39
Eintreffen der Flüchtlinge aus Dalj, Erdut und Aljmaš in Nemetin, 1. August 1991
40
D
ie Unabhängigkeitserklärung der RH am 8. Oktober 1991 löste eine Welle
der Begeisterung unter den Verteidigern und allen Bürgern, die Kroatien
als ihre Heimat empfunden haben. Mit großer Freude empfang man diese
Nachricht auch in Vukovar, besonders weil das kroatische Parlament am selben Tage
alle staatlichen und militärischen Einrichtungen beauftragte, alle verfügbare Mittel
als Hilfe für Vukovar zu bestimmen. Die Stadt, die zu diesem Zeitpunkt schon als
Verteidigungssymbol Kroatiens galt, wurde gerade neuen und noch heftigeren Angriffen
seitens der serbischen Kräfte ausgesetzt.
Gewiß ist dieser Aggression ein langwieriger Überzeugungsprozeß der lokalen
serbischen Bevölkerung über die Ünmöglichkeit eines Zusammenlebens mit Kroaten
vorausgegangen. Diese Propaganda begann nach der Veröffentlichung des SANU19Memorandums als ein Teil eines von großserbischen Ideologen ausgedachten
Plans, der für die Ausweitung auf die Gebiete der serbisch dominierten Gemeinden
in Kroatien (in welchen die Serben eine absolute oder wenigstens eine relative
Mehrheit der Bevölkerung bildeten) vorbereitet war. Dieser Prozeß gewann an
Intensität als in Kroatien das Mehrparteinsystem eingeführt wurde. Seine weitere
Dynamik wurde von wichtigen politischen Ereignissen beeinflußt: von ersten freien
Wahlen für alle drei Häuser des Parlaments der RH im April und Mai 1990, von der
Konstituierung des neuen Parlaments der RH am 30. Mai 1990, und nicht zuletzt
von der Verabschiedung einer neuer Verfassung der RH am 22. Dezember 1990, die
von der Mehrheit der Serben-Vertreter in Kroatien abgelehnt wurde, obwohl in der
Verfassung alle nationalen und anderen Grundrechte und Freiheiten eines jeden
Menschen und Bürgers gewährleistet wurden.
Nach der Volkszählung von 1991 hatte die Gemeinde Vukovar 84.189 Einwohner:
davon waren 36.910 Kroaten (43,8%), 31.445 Serben (37,4%), 1375 Ungarn (1,6%), 6124
(7,3%) deklarierten sich als Jugoslawen und 8335 (9,9%) als andere oder unentschiedene.
In der Stadt Vukovar lebten 1991 insegesamt 44.369 Einwohner: darunter 21.065
Kroaten (47,2%), 14.425 Serben (32,3%), 919 Russinen (2,1%), 694 Ungarn (1,5%), 147
Slowaken (0,3%), 94 Deutschen (0,2%), 4355 deklarierten sich als Jugoslawen (9,8%)
und 2940 (6,6%) als andere oder unentschiedene.
19 kurz für Serbische Akademie der Wissenschaften und Künste
41
Bei den ersten freien Wahlen im Jahr 1990 wurden in den Rat der Gemeindeversammlung
der damaligen Gemeinde Vukovar 114 Räte gewählt („Komiteemitglieder“): 46 Kroaten,
42 Serben, 17 Jugoslawen, 4 Montenegriner, 1 Muslim, 1 Ungar, 1 Russine, 1 Ukrainer
und 1 Bulgare. Nach der Parteienangehörigkeit kamen 59 Räte aus den Reihen des
Bundes der Kommunisten Kroatiens – bzw. der Partei der demokratischen Änderungen
(kurz SKH-SDP), 26 aus der Kroatischen Demokratischen Gemeinschaft (kurz HDZ),
18 waren unabhängig, 7 gehörten zum Sozialistischen Bund, und je einer gehörte zu
SSOH,20 zu Gewerkschaften, Unternehmen und Bürgergruppen.
Die politische Situation in Vukovar verschärfte sich nach der Rede, die in der
Gründungsversammlung der Serbischen Demokratischen Partei (kurz SDS) am 10. Juni
1990, ihr Vorsitzender Jovan Rašković in Adica, einem Ausflugsort von Vukovar, hielt.
Der Druck der großserbischen Politik in Ostslawonien und in der Gemeinde von Vukovar
verstärkte sich insbesondere durch eine „Serie“ von Volksversammlungen im Februar und
März 1991. In diesen Versammlungen lehnten die anwesenden Serben immer wieder die
Verfassung der RH ab und bedrohten Kroaten und kroatische Führung. Wie auch anderswo
in Kroatien, wurden die Spannungen immer stärker, besonders nach einem bewaffneten
Zusammenstoß zwischen der kroatischen Polizei und den serbischen Extremisten bei den
Plitvicer Seen am 31. März 1991. Die Extremisten stellten gleich die Barrikaden in Borovo
Selo und in anderen serbisch dominierten Dörfern der Vukovarer Gemeinde auf – in Pačetin,
Bobota, Bršadin, Negoslavci und Trpinja. Bei der Barrikade in Bršadin beschossen sie am
2. April einen privaten Pkw, wobei die Beifahrerin schwer verletzt wurde.
Danach hielten in Volksversammlungen der Serben im April in Borovo Selo und
in Jagodnjak in der Baranja staatliche und politische Amtsträger aus Serbien – der
serbische Minister Stanko Cvijan und der Delegierte des serbischen Parlaments Milan
Paroški sowie der Tschetnikführer und Vorsitzende der Radikalen Partei in Serbien
Vojislav Šešelj, ihre Reden über Gründungspläne eines einheitlichen und einen Großteil
des kroatischen Staatsgebietes umfassenden großserbischen Staates. Sie bedrohten
öffentlich Kroaten auf kroatischem Staatsgebiet. Auch die Rede von Milan Paroški in
Jagodnjak, in der man sich auf das “Recht auf Mord” berief, war eigentlich ein Aufruf
zur Rebellion gegen die kroatische Führung und zur Abrechnung mit Kroaten:
Das hier ist das serbische Territorium und es soll ihnen (Kroaten) klar gemacht
werden, daß sie die Neuankömmlinge sind. Demnach, wer auch immer kommt
und sagt, dies sei sein Land, der ist ein Aufständischer, und da er kam, um zu
töten, den kann man auch wie einen Hund töten! (Auszug aus der Rede von
Milan Paroški, Delegierten des serbischen Parlaments am 21. April 1991 in
Dorf Jagodnjak in der Baranja in der Republik Kroatien).
20 kurz für Bund der sozialistischen Jugend Kroatiens
42
Durch die Entsendung des Ministers des Inneren Josip Boljkovac und seines
Stellvertreters Slavko Degoricija nach Vukovar am 15. April 1991, versuchte die
kroatische Führung durch neue Verhandlungen mit den Vertretern der politischen
Parteien und serbisch dominierten Dörfer, die bewaffneten Konflikte, die das Vukovarer
Umland bedrohten, zu verhindern. Leider führte diese aggressive und hetzerische
Rhetorik der serbischen Politiker am 2. Mai 1992 zu einem Scharmützel in Borovo
Selo bei Vukovar, als lokale und aus Serbien eingetroffene serbische Freischärler aus
einem Hinterhalt 12 kroatische Polizisten töteten und mehr als 20 verwundeten. Die
Namen der getöteten Polizisten lauten: Ivica Vučić aus Vinkovci, Luka Crnković und
Zoran Grašić aus Otok, Marinko Petrušić aus Tovarnik, Antun Grbavac aus Nijemci,
Mladen Šarić aus Novi Jankovci, Stipan Bošnjak und Zdenko Perica aus Nuštar, Željko
Hrala und Janko Čović aus Ivankovo, Josip Culej aus Jarmina und Mladen Čatić aus
Županja. Auch auf serbischer Seite wurden Menschen getötet und verwundet. Am
selben Tag, bei Polača nahe Zadar, kam der kroatische Polizist Franko Lisica ums
Leben. Nach diesen blutigen Ereignissen, begann man nicht nur im Umland von
Vukovar, sondern in ganz Kroatien mit intensiven Kriegsvorbereitungen.
Um die Situation zu beruhigen, trafen am 9. Mai in Vukovar die Delegationen
des Exekutivrates des (Jugoslawischen) Bundes und der Regierung der RH ein.
Auch die Verbände der JNA wurden “wegen der Aufrechterhaltung der Trennung
zwischen kämpferischen Seiten” entsprechend eingeteilt. Es stellte sich aber
Borovo Selo, 2. Mai 1991
43
heraus, daß ihre Aufgabe eigentlich darin bestand, die kroatische Polizei beim
Versuch der Herstellung der öffentlichen Ordnung und Sichherheit zu verhindern,
sowie die Stellungen für die schon geplanten Angriffe zu beziehen. Obwohl die
Spannungen durch die Verhandlungen vorläufig beruhigt werden konnten, wurden
die Erwartungen bezüglich der Lösung der Probleme zwischen der serbischen
Extremisten und der kroatischen Führung in Ostslawonien durch die Bewaffnug der
serbischen Bevölkerung in Dörfern Mirkovci, Markušica, Tenja, Bijelo Brdo, Borovo
Selo, Bršadin, Pačetin, Trpinja, Bobota, Vera, Negoslavci sowie durch das Eintreffen
verschiedener Freischärler-Gruppen in die erwähnten Dörfer, schwer erschüttert. Bis
Ende Juni 1991 wurden diese Dörfer zu den terroristischen Hochburgen und Basen
für Angriffe auf Osijek, Vinkovci und Vukovar.
Die kroatische Führung rüstete sich auch für den Krieg aus, indem man seine
Streitkräfte aufgrund der gültigen Vorschriften auf der Bundes- und Republikebene
im Rahmen des Innenministeriums aufzustellen begann. So trafen in Vukovar im
Mai die Einheiten der Spezialpolizei aus Slavonski Brod und im Juni die Polizisten
der Polizeiverwaltungen Varaždin und Čakovec (Gespanschaften Varaždin und
Međimurje) ein. In ihrem Verteidigungsdienst wechselten sie sich in Schichten mit den
Polizeieinheiten der Polizeiverwaltungen Osijek, Vinkovci, Županja und Zabok, aus.
Die Polizeikräfte wurden ständig ersetzt bis zur völligen Einschließung von Vukovar.
Im Juni wurden bei Opatovac das Bataillon “Zrinski” und bei Principovac nahe Ilok
die 1. Brigade der Nationalgarde (“Volksgarde”) der RH sowie das 4. Bataillon der 3.
Brigade der Nationalgarde aufgestellt. Um Vorbedingungen für die Organisierung
einer ungehinderten Logistikkette um Vukovar zu schaffen, fing man schon im April
mit dem Aufbau von Verbindungslinien zwischen den Dörfern Bogdanovci und
Marinci an. Diese Kommunikationskette wird nach ihrer Beendigung Ende Juli eine
sehr große Bedeutung für die Verteidigung von Vukovar haben.
Die Situtation im Vukovarer Umland verschärfte sich erneut am 27. Juni, als die
JNA Slowenien angriff. Am diesen Tag umzingelte die JNA mit 20 Panzer und
Panzerwagen den Silo Đergaj bei Bršadin um, und forderte, daß sich die Soldaten
der Nationalgarde, die den Silo mit dem Getreide der Kroatischen Warenreserve
schützten, zurückziehen. In die Dörfer Trpinja und Bršadin wurde man erst nach
der Kontrolle der JNA und der bewaffneten serbischen Zivilisten durchgelassen. In
Borovo Selo trafen dazu sechs Busse mit „Freiwilligen“ aus Serbien an. Durch die
serbisch dominierten Dörfern fuhren ständig die Militärfahrzeuge der JNA und bei
Šid, an der Grenze zwischen Kroatien und Serbien, nahmen Artillerie und starke
Panzereinheiten der JNA ihre Stellungen ein. Zu den Provokationen des Militärs
gesellte sich auch die serbische Miliz.
Am folgenden Tag, den 28. Juni 1991, verübte eine Gruppe von etwa dreißig
serbischen Terroristen einen Anschlag auf einen kroatischen Kontrollpunkt in Borovo
44
Naselje. Der Angriff wurde abgewehrt, aber die Angriffe der
aufständischen Serben auf Borovo Naselje wurden mit Hilfe
von „Freiwilligen“ aus Serbien und der JNA fortgesetzt. Ihr
Ziel war es, die Stellungen für den offenen Überfall auf
Vukovar zu beziehen. Einen erneuten Angriff wehrten die
kroatischen Gardisten und Polizisten am 4. Juli ab. Durch
die Angriffe der serbischen Verbände Anfang Juli auf Borovo
Naselje, Tenja bei Osijek und Dorf Ćelije, das rasch verlassen Marin Vidić „Bili“
und verbrannt wurde, sowie auf Stellungen der Nationalgarde in Čakovci, Erdut,
Opatovac, Sotin und Principovac, begann sich der Krieg unaufhaltsam auf ganz
Ostslawonien auszuweiten. Die Räumung der serbischen Familien aus Vukovar im
Juli war ein Zeichen für einen bevorstehenden heftigen Angriff der JNA auf die Stadt.
Schon damals wurde Vukovar einige Male durch die Artillerie der JNA von Trpinja,
Orlovača und Borovo Selo aus beschossen. Unter diesen Umständen besuchte der
Präsident der RH Franjo Tuđman die Stadt am 21. Juli 1991. Er war in Begleitung
des Koordinators des Krisenstabs für Slawonien und die Baranja Vladimir Šeks,
des Ministers für die Emigration und des Stellvertreters des Verteidigungsministers
Gojko Šušak sowie des Stellvertreters des Ministers des Inneren Slavko Degoricija.
Zum Beauftragten der Regierung für Vukovar wurde Marin Vidić-Bili ernannt.
Als der höchste zivile Amtsträger in der Stadt, teilte er mit seinen Bürgern ihr
kriegerisches Schicksal bis zum Ende der Stadtbelagerung und auch weiter während
der Gefangenschaft in Sremska Mitrovica.
“… Während der letzten Tage dachte man immer wieder darüber nach, die Stadt dem
Aggressor doch zu übergeben und wegzugehen. Eigentlich sollte man über eine geistigphysische und zivilisierte Übergabe von Menschen sprechen müssen, da eine Stadt
eigentlich die Menschen ausmachen. Die Übergabe vereinbarte man im Rahmen der
Möglichkeiten. In fast allen Unterkünften und im Krankenhaus wurden die Namen der
Menschen verzeichnet, damit man später bestätigen kann, daß sie am Leben waren,
daß sie sich in einer bestimmten Unterkunft aufhielten, und daß sie auch in einem
bestimmten Bus ihren Platz nahmen. Wir taten all das, um zu verhindern, was sich nach
der Okkupation doch ereignete. (…) Das einzige offizielle Gespräch über die Art und
Weise sowie Zeitfolge der Übergabe führte man im Vukovarer Krankenhaus mit Veselin
Šljivančanin. Bei diesem Treffen waren Vertreter der Internationalen Gemeinschaft,
ein Übersetzer, Šljivančanin, Vesna Bosanac und ich anwesend. Wir wollten die
Dokumentation und Namenverzeichnisse Šljivančanin überreichen, aber er lehnte es
ab, warum er das tat, wurde uns später klar. …” (Auszug aus dem Interview mit Marin
Vidić–Bili, “Vukovar, 18. studenoga 1991”, Vjesnik, 18. November 2005, S. 40)
Am nächsten Tag, den 22. Juli, beschossen die JNA-Kampfflugzeuge zwei Stützpunkte
der 1. Brigade der Nationalgarde in Ostslawonien bei Pustara in Novi Čakovci (2
45
Tote, 2 schwer und einige leicht verwundeten Gardisten) und bei Opatovac bei Ilok
(einige leicht verwundete Gardisten) mit Raketen. Der Luftangriff der JNA wurde
erneut am 27. Juli 1991 durchgeführt. Während des Raketenbeschusses von Opatovac
und Principovac nahe Ilok wurden 4 Gardisten verletzt.
Ein neues Verbrechen im Umland von Vukovar wurde am 1. August durch serbische
Extremisten verübt, als sie durch die Unterstützung der JNA, während eines
Angriffs auf Dalj, Erdut und Aljmaš 39 kroatische Verteidiger töteten: 20 Polizisten,
15 Gardisten und 4 Mitglieder des Zivilschutzes. Einige von ihnen wurden in der
Gefangenschaft massakriert. Kroatische Polizisten und Gardisten stellten danach
am 3. August den Statdteil Lužac unter Kontrolle, und somit konnten sie auch den
sog. „Maisweg“ halten, der während der Belagerung Vukovar mit Vinkovci über
Bogdanovci und Marinci verbindete. Um Ermutigung zu spenden, besuchte am 8.
August der neuernannte kroatische Regierungschef Franjo Gregurić in Begleitung
von Vladimir Šeks die Stadt. Die Bedeutung der Stadt für die Verteidigung der RH
betonte am 11. August auch der neuernannte Verteidigungsminister der RH Luka
Bebić, der am 23. August in Vukovar eintraf.
Bewaffnete Angriffe und Provokationen der serbischen Paramilitärs und der JNA
wurden im August zum Alltag. Die Zahl der Übeflüge der JNA-Kampfflugzeuge, die
die Stützpunkte der Nationalgarde und kroatischen Polizei raketierten, wurde immer
größer. Aber am Samstag, den 24. August, schoß der kroatische Verteidiger Luka
Andrijanić züruck und traf zwei JNA-Kampfflugzeuge, die gerade den Silo Đergaj bei
Bršadin angegriffen haben. Die Jugo-Armee bestätigte, das sie ein ihrer Flugzeuge
verloren hatte. Das war das erste abgeschossene Flugzeug der JNA im Heimatkrieg. Zu
dieser Zeit wurde Vukovar auch seitens der Nationalgarde aufgrund des Fahrverbotes
von Militärfahrzeugen, die sich nur nach einer Durchsuchung und in Begleitung
bewegen durften, blockiert. Der einzige noch irgendwie sichere Ausgang aus der
Stadt war die Straße Vukovar-Bogdanovci-Marinci-Nuštar-Vinkovci.
Erinnerung an Luka Andrijanić
Luka Andrijanić
46
Nach Vukovarer Verteidiger Josip Jakobović, befiehl am
24. August 1991 um etwa 12 oder 13 Uhr Kommandant
der Nationalgarde (4. Bataillon der 3. Brigade) Ivica
Arbanas, den strategischen Stützpunkt Silo Đergaj
zu verteidigen: Wir wußten, daß sie kommen, um den
Silo Đergaj und davor Osijek anzugreifen, weil wir ihre
Rundfunkmeldungen abgehört haben. Der Silo und 20
Leute dort mußten geschützt werden. Die Mannschaft
der Flugabwehrkanone 20/3 oder einfach PAT, in
Zusammensetzung Kommandant Luka Andrijanić, dann
Stützpunkt an der Bosanska Straße mit Aussicht auf Silo Đergaj, wo am 24. August 1991 die
Flugabwehrkanone, mit welcher Luka Andrijanić die JNA-Kampfflugzeuge traf, aufgestellt wurde (das
Photo ist eine Schenkung von Josip Jakobović)
Antun Bekčević und Zvonimir Hincak, brauchte einen Fahrer und einen Topographen,
und unser tüchtiger “Herr Doktor” (Ivan Anđelić) sagte: „Wir haben den Mann dafür.
Komm Josip! Du führst die Mannschaft an, du kennst das Terrain.“ Bis dahin sah ich die
erwähnte Flugabwehrkannone nur im Film und auf dem Bild. Aber bei einem Meister
wie unser Luka, lernt man alles sehr schnell.
In Übereinstimmung mit dem Befehl von Ivica Arbanas, meldete man sich vor der
Einnahme der Stellung in Bosanska Straße in Borovo Naselje bei dem Kommandanten
Blago Zadro, da dieses Gelände zu seinem Zuständigkeitsbereich gehörte. Um 14
Uhr griffen die JNA-Kampfflugzeuge Osijek auf, und dan flogen vier “Super Galeb”
(Super Möwe) in Richtung Vukovar. Als sie das Feuer eröffneten, Luka Andrijević
erwiderte es: Luka begann zu schießen, und ich sah nur zu. Ich verstand nicht warum
ein Flugzeug G-4 gegen Marinci an Höhe zu verlieren anfing, und ein anderes qualmte,
blieb für eine Sekunde stehen und dann in einem Tiefflug nach Serbien verschwand.
Wir sahen zu, als sich zwischen Bršadin und Marinci der schwarze Rauchpilz erhebte,
und Luka bemerkte darauf: „Dieses ist abgestürzt“. Aber die beiden waren abgestürzt.
Einige Minuten später sah man die Mig-Kampfflugzeuge der JNA, aber dieses Mal
in einem hohen Flug, da sie wußten was sie erwartete. Den Hubschrauber mit dem
Erkennungszeichen des Roten Kreuzes, der den verwundeten Pilote abzuholen kam,
ließen wir durch, weil wir doch Gardisten waren. Nach zwei Tagen, am 26. August 1991,
während eines allgemeinen Angriffs auf Vukovar, stellten wir wieder einsatzbereit unser
47
PAT 20/3 beim Wasserturm auf. Am rechten Donauufer warteten wir auf “Mücken”.
So nannten wir die Kampfflugzeuge der JNA. Und was macht man mit Mücken? Sie
werden natürlich bestäubt. Dann brachte man wieder ein Kampfflugzeug des Typs „Mig
21“ und ein des Typus „G-4“ zum Absturz. Am selben Tag gingen wir zur Trpinjska
und Hercegovačka Straße, um zu helfen. Als Verstärkung kam auch Marin Balić zur
Mannschaft, aber sie verlor Zvonimir Hincak. Wir beteiligten uns an der Verteidigung
der gerade erwähnten Straßen ...
Jeden Tag lernten wir uns ein bißchen besser kennen, unsere Tugenden und unsere
Fehler. Unser Luka teilte uns mit, daß er bald Geburtstag hat. Wir versuchten nur Ruhe
zu bewahren. Jeden Tag wurde geschossen. Raketen und Granaten schlugen ständig ein.
Ich denke, damit ist alles gesagt. Wir sollten das Gelände vor uns mit Minen belegen,
aber da waren keine Soldaten des Sprengkommandos in Sicht. Eines Tages werden sie
kommen und die Minen da lassen. Sie werden versprechen, bald zurückzukommen,
wenn sie Zeit haben werden. Unser Luka fand keine Ruhe, er entschloss sich, die Minen
selbst zu legen. Er erzählte, er erinnere sich wie das bei der JNA gemacht wurde, aber in
diesem Moment begannen Granaten und Raketen von Mehrfachraketenwerfern (kurz
VBR) einzuschlagen. Vielleicht war er überrascht. Er kam am 20. September 1991 ums
Leben, drei Tage vor seinem zwanzigsten Geburtstag.
Was könnte man über einem Menschen sagen, der gerade seinen Wehrdienst bei der
JNA in Batajnica leistete und sich mit PAT 20/3 auskannte? Was ist über einem Mann
mit einem sanften Lächeln und großem Herz zu sagen, der am 23. September 1971
in Bosanski Brod geboren wurde, in Velika Brusnica lebte, aber dann gerade nach
Vukovar kam, um Kroatien zu verteidigen. Wir, die älteren, wir dachten, er würde von
uns lernen, aber es war umgekehrt, er war der Lehrer, obwohl wir uns dessen damals
nicht bewußt waren. (Gekürzte Fassung des Textes „Sjećanje na Luku Andrijanića“
[Erinnerungen an Luka Andrijanić], der von Josip Jakobović, Vukovarer Verteidiger
und Lukas Mitkämpfer, verfaßt wurde.)
Aber alle diese Geschehenisse waren nur ein Vorspiel, wenn man sie mit am 25. August
angefangenen Angriffen vergleicht. Am 25. August schwankte ein in einer Kolonne
von Vukovar nach Borovo Selo fahrendes Militärfahrzeug der JNA von Borovska
Straße ab und fuhr auf eine Panzerabwehrmine, wobei einige der JNA Soldaten
verunglückten. Dieses Unglück war der Anlaß für den nächsten heftigen Anschlag
auf die Stadt. Eine Kolonne von Panzerwagen der JNA wurde in den Morgenstunden
in Bogdanovačka Straße gestoppt, als unter einer Unterführung ein Panzer der JNA
beschädigt wurde; an diesem Tag aber zerstörten die Verteidiger einen Panzer und
setzten drei außer Gefecht. Zwei Lkws steckten sie in Brand. Die JNA-Kampfflugzeuge
beschossen mit 30 Luft-Boden Raketen die kroatischen Stützpunkte bei Vukovar und
Opatovac sowie den Silo Đergaj. Die Jugo-Armee wurde durch die aufständischen
Serben von Borovo Selo, Trpinja und Bršadin sowie vom Vukovarer Vorort Petrova
Gora, unterstützt.
48
Zentrum von Vukovar, 7. September 1991 (Autor: Mario Filipi)
49
Durch diesen Panzer-, Artillerie-, und Luftangriff begann
die offene serbische Aggression auf Vukovar und eine
ununterborochene dreimonatige Bombardierung der Stadt
mit allen verfügbaren Waffen, wobei auch die verbotenen
Kassetten- und Phosphorbomben abgeworfen sowie Giftgase
eingesetzt wurden. Man griff die Stadt vom Boden, Wasser
(die Kriegsschiffe der JNA auf der Donau) und aus der Luft
Tomislav Merčep
an, bzw. aus der Richtung von Borovo Selo, Trpinja, Bršadin,
Negoslavci, Lipovača, Sotin, Dalj, sowie aus der Kasarne der JNA in Vukovar, vom Vorort
Petrova Gora, aus der Vojvodina und aus Serbien. Bei Šid trafen ständig die neuen Kolonnen
der JNA-Militärfahrzeuge aus Serbien ein. Die JNA und die serbischen Paramilitärs
koordinierten nach den Plänen des Generalstabs der Streitkräfte der SFRJ in Belgrad ihre
Wirkung, bzw. sie standen gemeinsam unter dem Kommando der “Offizieren” der JNA.
Der Kommandant des 1. Militärdistrikts, vom September 1991 der Oberbefehlshaber
aller Landestreitkräfte der SFRJ, die in Slawonien, in der Baranja und Westsyrmien
eingesetzt wurden, Generaloberstleutnant Života Panić erzählte in der BBC-Sendung Smrt
Jugoslavije, daß “Arkans Tiger und Tschetniks von Šešelj unter seinem Kommando standen”.
Bezüglich der geleisteten Ergebnisse der JNA im Krieg gegen Kroatien 1991, führte der
damalige Bundessekretär für Volksverteidigung der SFRJ General Veljko Kadijević in
seinem Buch Moje viđenje raspada (S. 137) an, daß die „Hauptgruppe des Heeres der
JNA, die hauptsächlich aus Panzerverbänden in Ostslawonien bestand, zwei Aufgaben
hatte: Befreiung aller serbisch dominierten Gebiete in Ostslawonien sowie als wichtigste
Manöverkraft des Oberbefehls für den Durchbruch in Richtung Zagreb und Varaždin
in Bereitschaft zu stehen“. Neben der Militärführung der JNA waren für die aus Serbien
unternommenen Angriffe gegen Kroatien allerdings auch die damalige politische Führung
Serbiens und die Führung der selbstproklamierten “Krajina” mit dem Präsidenten Goran
Hadžić verantwortlich. Die serbische Regierung stimmte stillschweigend der Aufstellung
der paramilitärischen Verbände in Serbien zu, die später in Kroatien eingesetzt wurden,
unterstützte sie sogar. Durch ihre Brutalität zeichneten sich
besonders die Einheiten von Vojislav Šešelj, Željko Ražnatović
Arkan, Mirko Jović sowie andere Paramilitärs aus.
Bis Mitte August, als Tomislav Merčep das Amt des Mitarbeiters
des Ministers des Inneren übernahm, hatte er als Sekretär des
Sekretariats für Volksverteidigung der Stadt Vukovar eine
führende Rolle in der Verteidigung von Vukovar. Sein Amt
in Sekretariat erbte Danijel Rehak und gemäß einer internen
Vereinbarung unter den Kommandanten von Vukovar das
Kommando über die Stadtverteidigung und der Reserve
der Nationalgarde übernahm vorläufig Ivica Arbanas, der
Mile Dedaković “Habicht“ Kommandant des 4. Bataillons der 3. Brigade der Nationalgarde.
50
Aber um die Verteidigung zu verstärken und die Leistung
der Verteidiger zu vergrößern, ernannte der Generalstab der
Kroatischen Armee Ende August 1991 einen Berufsoldaten
zum Kommandanten der Stadtverteidigung – den
ehemaligen Oberstleutnant der JNA Mile Dedaković –
“Jastreb” (Habicht). Er traf zusammen mit dem ehemaligen
Hauptmann der JNA Branko Borković – “Mladi Jastreb”
(Junghabicht) in Vukovar ein. Das Verteidigungsamt in
Vukovar fertigte dann ein Verzeichnis aller Wehrpflichtigen
an und traf alle notwendigen Maßnahmen um die
Durchführung der Mobilisation vorzubereiten. Die Frage Branko Borković “Junghabicht“
der logistischen Organisation wurde sowohl in Bezug auf
Soldaten als auch auf Zivilisten gelöst. Die Verteidigung
selbst wurde aus vier “Bataillons” und einigen kleineren
Truppengattungen (Fernmeld-, Ingenieurtruppe, Luftabwehr
u. ä.) organisiert. Auch die Militärpolizei wurde aufgestellt,
die erste in der RH. Als Mile Dedaković Vukovar verließ,
um Hilfe zu holen, wurde er zum Kommandanten der am
16. Oktober 1991 gegründeten Operationsgruppe Vukovar,
Vinkovci und Županja ernannt und der neue Befehlshaber
der Stadtverteidigung wurde Branko Borković.
... Wahrend der Dauer der Belagerung funktionierte die Stadt
fast normal, was wirklich ein Phänomen war. In Unterkünften
bekamen alle Bürger die gleichen Lebensmittelrationen und andere
Utensilien zugewiesen. Nie wurde jemandem etwas verweigert,
nur weil dieser vielleicht Serbe war oder aus irgendeinem anderen
Grund. Ich erlaubte mir nicht, von Haß erfüllt zu sein, und ich
tolerierte das auch bei meinen Untergeordneten nicht. Der Haß ist Siniša Glavašević
eine gefährliche Krankheit, die immer neues Übel verursacht. Ich
bin stolz auf die Tatsache, daß sich an der Verteidigung der Stadt
auch die Serben beteiligten, und das trotz der Beschuldigungen
des Nationalverrats seitens der großserbischen Ideologen. Insofern
war die Erkenntnis schmerzvoller, daß einige serbische Zivilisten
nach 18. November aus eigenem Antrieb ihre Mitbürger bei
der JNA und den Tschetniks als “Ustascha” angezeigt hatten,
was eigentlich dem Todesurteil gleichkam. Eine besondere
Geschichte ist auch die physische Verfassung der Menschen, die
diese dreimonatige Belagerung überstanden. Nach militärischen
Maßstäben entsprach ein durchschnittlicher Kriegstag in Vukovar
einem Monat auf anderen Schlachtfeldern. Die Psychologen Branimir Polovina
51
Vukovarer Verteidiger, Lužac, 7. September 1991 (Autor: Mario Filipi)
52
Kalte und finstere Schutzkeller gehörten zum Alltag von Kindern in Vukovar, 7. September 1991
(Autor: Mario Filipi)
werden sich eines Tages sicher mit dem Phänomen auseinandersetzen müssen, daß sich keiner von
Verteidigern trotz der Kälte und des Aufenthalts in Schützengraben und Kellern, nie krank fühlte.
Dazu war die persönliche Hygiene aufgrund einer systematischen Zerstörung der kommunalen
Infrastruktur ein besonderes Problem, weil auch ich als Kommandant nur ein Glas Wasser täglich
zur Verfügung bekam, um meine Zähne zu putzen, mich zu rasieren und zu waschen. Dazu
nahm der Nachholbedarf am Schlaf katastrophale Formen an. Mein persönlicher Rekord betrug
sechs Tage und Nächte. Ich schloß praktisch meine Augen nicht. (Auszug aus dem Interview
mit Mile Dedaković „Jastreb“, “Vukovar, 18. studenoga 1991.”, Vjesnik, 18. November 2005, S.
33-34)
…Es ist die Tatsache aber, daß viele Umstände des Krieges in und um Vukovar noch
zu klären sind. Es ist die Tatsache, daß seine Verteidiger, also die 204. Vukovarer
Brigade und die ganze Stadtverteidigung etwas großartiges geleistet haben, was sich
mit Ergebnissen der ganzen Kroatischen Armee im Heimatkrieg vergleichen läßt,
die glänzende Militäroperation „Sturm“ inbegriffen. In Vukovar führte eine kleine,
aber hervorragend organisierte Einheit einen Kampf, der auch nach Weltmaßstäben
zweifellos beeindruckend war. Einige Völker, die USA-Amerikaner, Juden … haben
ihre mythischen Stätte. Für das kroatische Volk ist das ohne jeden Zweifel Vukovar! …
(Auszug aus dem Interview mit Branko Borković – “Mladi Jastreb”, Vjesnik (7 dana),
53
Polizeieinheiten der RH auf dem Stützpunkt bei dem Haus der Technik in Borovo Naselje
18. und 19. November 2006, S. 33)
In Einklang mit der Entscheidung des
Innenministeriums der RH, beschloss der
Krisenstab von Vukovar am 10. September
eine Polizeistunde zwischen 23 und 5 Uhr
festzulegen. Das Leben der Einwohner
mußte sich völlig den Kriegsbedingungen
anpassen. Von Leid und Qual wurden
alle Bürger gleich – egal ob Kroaten
oder Serben oder andere Nationalitäten,
betroffen. Die Granaten der serbischen
Streitkräfte wählten die Nationalitäten
nicht. Der Kroatische Radiosender Vukovar
warnte ihre Hörer vor dem Verlassen
ihrer Unterkünfte, sogar dann nachdem
man einen Waffenstillstand unterzeichnet
hatte, weil man wußte, daß er seitens der
serbischen paramilitärischen Verbände
früher oder später doch gebrochen wird …
54
In Folge einer allgemeinen Offensive, verließ am 14. September 1991 ein Panzer des Typs T 84 die
Trpinjska Straße und fuhr in die Hercegovačka Straße ein und unser Marinko Balić rannte aus
voller Kraft in seiner Richtung, weil er keine Zeit hatte, die Minen zu legen, die wir einen Tag davor
vorbereitet hatten. Wir konnten unseren eigenen Augen nicht trauen. Wir sahen nur zu und konnten
nur hilflos raten, ob er das meistern wird oder nicht. Wir brüllten ihn an, Luka Andrijanić und ich.
Aber unser Marinko erledigte seinen Job. Der Panzer fuhr auf Minen und seine Raupenkette wurde
zerstört. Und was sollten wir jetzt tun? Wir wußten nichts über Panzer, und diejenige, die etwas
wußten, schwiegen. Uns blieb nichts anderes übrig, als in den Panzer noch ein bißchen Sprengstoff
reinzuwerfen. Und unser Marinko sprengte ihn dann in die Luft. Sein Panzerturm flog durch die
Luft, der Lauf bohrte sich in den Boden hinein, und der Panzeturm blieb in der Form eines Lutschers
emporragen. Darauf bemerkte Marinko, er würde nach dem Krieg eine Konditorei eröffnen und
solche Lutscher herstellen. (Gekürzte Fassung des Textes „Sjećanje na Luku Andrijanića“, der von
Josip Jakobović, Vukovarer Verteidiger und Lukas Mitkämpfer, verfaßt wurde.)
Die Mitarbeiter des Radiosenders, die ihre Arbeit bis zur Okkupation der Stadt hin gewissenhaft
verrichteten (Siniša Glavašević, Zvjezdana und Branimir Polovina, Alenka Mirković, Vesna
Vuković, Josip Estereicher, Zdravko Šeremet), stellten eine große moralische Unterstützung
für die Verteidiger dar. Ihre ausführlichen, mitreißenden, innigen und ermutigenden
Berichterstattungen wurden mit Ungeduldigkeit und Besorgnis von allen anderen kroatischen
Bürgern erwartet. Nach dem Fall von Vukovar wurden Journalist des Kroatischen Radiosenders
Vukovar Siniša Glavašević und Techniker Branimir Polovina in Ovčara getötet.
55
Zerstörte Panzer auf der Trpinjska Straße, Mitte September 1991 (Autor: Andrija Marić; das Photo ist eine Schenkung von Marko Babić und Eigentum von Vinko Mažar und Ivan Leutar)
56
Ortsgemeinschaft Alojzije Stepinac, Trpinjska cesta, zweite Hälfte des Septembers 1991
Trpinjska Straße, zweite Hälfte des Septembers 1991: untere Reihe: Gardist Ivan Mudrovčić-Šola, Ivan
Bošnjak-Bole; stehen: Miljenko Voloder-Beli, Ivan Leutar-Iva und Andrija Marić, seitwärts Milan BertonFil (das Photo ist eine Schenkung von Marko Babić und Eigentum von Vinko Mažar und Ivan Leutar)
57
Oktober 1991 (Autor: Damir Radnić)
Einer der heftigsten Angriffe der JNA auf die Stadt begann am 14. September 1991
gegen Mittag. Die Kämpfe setzten im Norden an – und weiteten sich auf die Trpinjska
Straße sowie von Borovo Selo aus in Richtung des Hauses der Technik in Borovo
Naselje. Im Süden bewegte man sich auf Negoslavci und die Kaserne der JNA in
Vukovar hin. Von Petrovac aus kämpfte man in Richtung des serbisch dominierten
Vukovarer Vorortes Petrova Gora. Während dieser Kämpfe, die bis zum 20. September
andauerten, entstand der berühmte Panzerfriedhof in der Trpinjska Straße. Der Feind
konnte aber trotz großer Verluste, eine Verbindung zwischen der Kaserne und dem
Vorort Petrova Gora herstellen und den Silo Đergaj unter seine Kontrolle bringen.
Während der „Säuberung“ des besetzten Gebietes am 15. und 16. September
wurden 89 Verteidiger und Zivilisten getötet. Gleich danach errichteten die
serbischen Kräfte ein Konzentrationslager für Kroaten und Nicht-Serben in den
Magazinräumen von Velepromet (Sajmište), das sogar bis zum März 1992 in der
Funktion war.
Besonders schwere Verluste erlitt die mechanisierte Brigade der JNA aus Valjevo in
Serbien. Nachdem sie von den kroatischen Verteidigern bei Tovarnik an 21. September
aufgehalten worden war, griffen sie eigene Kampfflugzeuge an, so daß sie in Verwirrung
und Panik geriet und sich aus Kroatien zurückzog. Einer der verbitterten Soldaten fuhr
aus Protest mit dem Panzerwagen der Infanterie bis zum Gebäude der Volksversammlung
der SFRJ in Belgrad vor.
58
Vor demoralisierten Angehörigen der erwähnten Brigade in Valjevo hielt der serbische
Minister für Religionsfragen Dragan Dragojlović eine Rede, in der er unmittelbar
bestätigte, daß sich Serbien am Angriff auf Vukovar und Kroatien beteiligt hat. Somit wies
er auf die Verantwortlichkeit der serbischen Republikführung für den Krieg in Kroatien
hin: Wir sagen immer wieder, daß Serbien nicht im Kriegszustand mit Kroatien steht, aber es
handelt sich hier um das serbische Volk. Wir dürfen das wegen der Weltöffentlichkeit nicht
offen bestätigen, weil dann Serbien als Aggressor da stehen würde. Wenn sich ein Soldat
der JNA auf kroatischem Gebiet aufhält, kann man doch nicht sagen, das wäre Serbien.
Deswegen darf Serbien die JNA nicht als seine Armee bezeichnen. (Dragan Todorović, „Da
se general izvini“ [Borba vom 26. 9. 1991, 3])
Gemäß der allmählichen Aufstellung und Entwicklung der kroatischen Armee wurde
am 25. September auch die Aufstellung der Brigade von Vukovar befohlen, deren Kern
die Verteidigungskräfte von Vukovar – neben den Soldaten der 3. “A” Brigade der
Nationalgarde und Innenministeriums, bildeten. Als Mobilisationsbasis der Brigade
wurde Vukovar und als verantwortliche Person Oberstleutnant Mile Dedaković in
Zusammenarbeit mit dem Krisenstab der Gemeinde Vukovar bestimmt. Als Frist
wurde 1. Oktober 1991 festgelegt. Der Befehl über die Aufstellung der 204. Brigade
der Kroatischen Armee “R” unterzeichnete der Befehlshaber der 1. Operationszone
der Kroatischen Armee Osijek Oberst Karlo Gorinšek. Am folgenden Tag, den 26.
September, unterschrieb aber der Verteidigungsminister der RH auch einen Befehl über
die Aufstellung der 124. Brigade der Kroatischen Armee, und obwohl dieser Befehl nie
Vukovar erreichte, verursachte er einige Probleme bezüglich der endgültigen Bennenung
der Brigade. Die Vukovarer Verteidiger entschlossen sich für die 204. Brigade. Ende
September traf auch eine größere Menge an Bewaffnung und Ausrüstung ein, die aus
Beständen der Kasernen der JNA, die die Kroatische Armee erobert hatte, stammte.
Indem die JNA um zusätzliche Truppen aufgestockt worden war, begann sie am 30. September
offiziell mit der Durchführung der “Operation Vukovar”. Ihre Streitkräfte wurden in zwei
Operationsgruppen – Nord und Süd, eingeteilt. Die Abgrenzungslinie lief entlang des Flusses
Vuka. Die Operation wurde vom Generalstab der Streitkräfte der SFRJ in Belgrad geplant,
dessen Chef Generaloberst Blagoje Adžić war. Der Kommandant der Operation wurde
Generaloberstleutnant Života Panić, der Befehlshaber der 1. Armee (des 1. Militärdistriktes).
Im Rahmen eines heftigen Überfalls konnte die JNA am 1. Oktober Marinci besetzen und
Bogdanovci umziegeln sowie den sog. “Maisweg” in Richtung Vukovar blockieren. So
wurde der Versorgungweg für die Verteidigung abgebrochen und Vukovar dadurch völlig
eingeschlossen. Am folgenden Tag, den 2. Oktober, besetzte die JNA auch das Dorf, und die
kroatischen Verteidiger hatten große Mühe einen erneuten Angriff auf die Stadt abzuwehren.
Die Tage zwischen den 2. und 4. Oktober waren die blutigsten im Kampf um Vukovar.
Danach, am 5. Oktober, wehrte man nur durch die Anspannung aller Kräfte einen
erneuten Angriff der JNA auf das Dorf Nuštar, das zum ausschlaggebenden Stützpunkt
59
Der zerstörte Panzer im Zentrum von Nuštar, Oktober 1991 (Autor: Mario Filipi)
Bogdanovci, Oktober 1991; zerstörter Panzer (ein Treffer von Ivan Jelić „Lepi“ (der Schöne) am
2. Oktober aus Ivankovo)
60
Kroatische Verteidiger in Sajmište, Oktober 1991 (Autor: Damir Radnić)
Kämpfer der Kroatischen Verteidigungskräfte (HOS), Sajmište, September/Oktober 1991; von rechts
Zvonko Ćurković „Zvone“, Jean-Michael Nicollier, Viktorin Jurić „Paša“ (Pascha) und Žarko Manjkas
„Crvenkapa“ (Rotkäppchen) (Autor: Damir Radnić)
61
für die Verteidigung von Vinkovci aber auch für den erwarteten Durchbruch nach
Vukovar wurde. Der erste größere Versuch der Kroatischen Armee und der Polizei
(Antiterroreinheit Lučko und Spezialeinheiten des Inennministeriums der RH aus
Slavonski Brod und Vinkovci) am 13. Oktober das Dorf Marinci und die Straße nach
Vukovar zu befreien, schlug fehl.
Die JNA und die Paramilitärs unter dem Kommando von Željko Ražnatović – Arkan,
durchbrachen am 16. Oktober von Wald Đergaj aus die Verteidigungslinie bei Lužac
und Borovo Naselje. Dabei kamen Blago Zadro – Kommandant des 3. Bataillons
und Alfred Hill – Kommandant der Militärpolizei in Vukovar, ums Leben. Doch die
Verteidiger konnten im Kampf Brust an Brust verhindern, daß die lebenswichtige
Komunikation Vukovar - Borovo Naselje abgeschnitten wurde, und am nächsten
Tag in Folge eines kräftigen Gegenschlags „säuberten“ sie das Vorort, zerstörten eine
feindliche Pontonbrücke bei Vuka, und stießen in den Wald Đergaj vor, wobei sie
eine größere Menge an Munition und Bewaffnung eroberten, 3 Panzer inbegriffen,
von denen sie 2 daraus später in Verteidigung benutzten.
Die Einkreisung um Vukovar zog immer mehr zusammen und die Hilfe konnte nur
aus Vinkovci kommen, da alle Dörfer in Richtung Ilok bis Mitte Oktober durch die
JNA besetzt wurden. Auch Ilok befand sich in einer schweren Situation, da die JNA
die Stadt mit einem Angriff bedrohte. Die Zivilbehörden von Ilok wurden am 14.
Oktober gezwungen, mit den Vertretern der JNA ein Abkommen über den Auszug
der Bevölkerung aus der Stadt zu unterzeichnen. Ilok wurde am 17. Oktober besetzt,
als in Anwesenheit der Beobachter der Europäischen Gemeinschaft mehr als 5000
Kroaten und andere Nicht-Serben seitens der JNA aus der Stadt vertrieben wurden.
Aufgrund einer undurchlässigen Blockade fehlte den Verteidigern bald die Munition.
Man mußte auch gegen eine immer größer werdende Müdigkeit ankämpfen.
Es mangelte vor allem an frischen Ersatztruppen. Die Zahl von Gefallenen und
Verwundeten wurde andererseits jeden Tag immer größer. Den Hilfskonvoi “Ärzte
ohne Grenzen”, der am 19. Oktober in Vukovar eingetroffen war, versuchte die JNA zu
benutzen, die Stützpunkte der Verteidiger von Vukovar unter noch stärkerem Druck
zu setzen. Die Mitarbeiter des Konvois konnten aber 113 Verwundete aus der Stadt
herausholen. Für eine kurze Zeit verbesserten sich auch die Arbeitsbedingungen
im Krankenhaus. Die JNA hatte im Gegenteil keine Probleme mit Nachschub und
Versorgung.
Einer der Haupterfolge der JNA geschah am 2. November, ali sie den Durchbruch
bei Lužac, einem Ort zwischen Vukovar und Borovo Naselje, schaffte, wodurch
Verbindung und Versorgung zwischen diesen Orten gefährdet wurde. Am selben Tag
versuchte die Kroatische Armee die Dörfer Marinci und Cerić zu befreien und die
Belagerung von Vukovar aufzuheben. Ohne Erfolg. Die Verteidiger von Bogdanovci
konnten aber einen neuen Angriff von Panzer- und Infanterietruppen der JNA
62
Einfahrt zu Bogdanovci aus Richtung Marinci, nach 2. Oktober 1991 (Autor: Damir Radnić)
Kämpfer der Kroatischen Verteidigungskräfte (HOS) vor der Kirche in Bogdanovci und auf Stellungen in Richtung Marinci, Oktober 1991 (Autor: Damir Radnić)
63
Vukovar, 16. November um 20 Uhr, unmittelbar vor dem Durchbruch: Sanja Arbanas (ganz rechts hinter ihr vermutet man Ivica Arbanas), Ivan Anđelić „doktor“ (Doktor) (mit der Augenbinde), Velimir Kvesić (Angehöriger der Kroatischen Verteidigungskräfte (HOS) mit schwarzer
Müze), Zdravko Radić (mit dem Patronengurt um den Hals), Viktorin Jurić „Paša“ (Pascha) (rechts, in einer Ziviljacke), Zvonko Mažar (mit dem Helm), Zvonko Ćurković (steht mit geschlossenen Augen), Josip Jakobović (hockt in der Mitte); (das Photo ist eine Schenkung von Ivica Arbanas)
zurückweisen. Bei der Beaufsichtigung des Angriffs des 51. mechanisierten Brigade der
JNA auf Lužac von Wald Đergaj aus, kam am 3. November Generalmajor der JNA
Mladen Bratić, Kommandant der Operationsgruppe Nord, bzw. Kommandant des
Armeekorps Novi Sad der JNA, ums Leben. Die Kämpfe um Lužac setzte man fort.
Am 9. November teilte das Kommando der Operationsgruppe Vinkovci, Vukovar und
Županja mit, daß die Verteidiger in Lužac und Budžak gezwungen waren, sich auf
Reservestellungen zurückzuziehen. Die Verteidigung von Vukovar war in eine kritische
Lage geraten. Das galt auch für die Situation bei Lipovac an der Grenze zu Serbien
sowie die Grenze zu Bosnien und Herzegowina, wo sich die neuen Verbände der JNA
versammelten.
Allein bis zum 10. November führte man erbitterte Kämpfe um Dorf Bogdanovci,
den einzigen vorgeschobenen Posten der Vukovarer Verteidigung. Als die JNA und
die serbischen Paramilitärs das Dorf besetzten, massakrierten sie die Bewohner. Die
Verteidiger von Bogdanovci zerstörten während dieser Kämpfe sehr wirksam viele Panzer
und Panzertransporter und setzten auch eine große Anzahl von feindlichen Soldaten
64
außer Gefecht. Am selben Tag attackierten die serbischen Einheiten die Priljevska Straße
aus Richtung Lužac mit dem Ziel, die zum Zentrum von Vukovar führende Überführung
zu erobern sowie die Verbindung mit Verbänden, die in der Trpinjska Straße wirkten,
aufzunehmen. Diese feindlichen Truppen besetzten darauf einen der wichtigsten Stützpunkte
Milovo Brdo, wodurch die Verteidigung
an zwei Stellen durchbrochen wurde
und die Verteidiger in drei getrennte
„Taschen“ zusammengepresst wurden.
Der Generalstabsschef der Kroatischen
Armee Antun Tus sagte am 12. November,
daß die Jugo-Armee am Wochenende in
zwei Stadtteile von Vukovar vorgerrückt
hat, aber noch nicht in das Stadtzentrum.
In Folge heftiger Angriffe besetzte die
JNA am 13. November den Silo von
Vukovar, November 1991; nach der Okkupation der Stadt
VUPIK (Vukovarer Industrie- und
sangen die serbischen Paramilitärs, die unter dem Kommando der JNA kämpften, sie würden Kroaten schlachten Landwirtschaftskombinat) in Priljevo.
Damit wurde auch endgültig der Weg
zwischen Borovo Naselje und Vukovar
abgeschnitten. Am selben Tag versuchten
die kroatischen Verbände erneut von
Nuštar aus das Dorf Marinci zu befreien
und die Belagerung von Vukovar zu
durchbrechen, aber auch diesen Angriff
wies die JNA zurück. Das war der letzte
Versuch der kroatischen Armee den Weg
nach Vukovar frei zu bekommen und die
Stadt vor dem Fall zu retten, obwohl dieser
aufgrund der großen Disproportion in
Kraft- und Bewaffnungsverhältnissen
zwischen dem Verteidiger und dem
Aggressor unvermeidlich schien.
Die zahlenmäßig stärkere und
überlegene Jugo-Armee, unter deren
Während des Durchbruchs, zwischen Cerić
und Marinci: Sanja Arbanas verbindet den
verwundeten Mato Prca; Photo machte
Viktorin Jurić „Paša“ (Pascha), das Photo ist
eine Schenkung von Ivica Arbanas
65
Kommando auch aufständische Serben aus Kroatien, Tschetniks und andere serbische
paramilitärische Verbände kämpften, brach den heldenhaften Widerstand einer kleiner
Anzahl der Verteidiger. Am Montag, den 18. November 1991, besetzte die JNA den
Großteil der Stadt. Am folgenden Tag, den 19. Novembar, fiel auch Borovo Naselje.
Einige kroatische Verteidiger leisteten dem Feind Widerstand bis zu den ersten
Morgenstunden des 20. Novembers, einige zogen sich aus Borovo Naselje erst am 23.
Novembar zurück.
Im Verlaufe der Tage, eigentlich der Nächte, die dem Fall von Vukovar unmittelbar
vorgegangen waren, konnten sich einige der Vukovarer Verteidiger und ihre
Kommandanten sowie der Oberbefehlshaber der Stadtverteidigung auf das freie
kroatische Territorium retten. Die Mehrheit ging aus eigenem Antriebe fort, weil sie
jede Hoffnung auf Hilfe verlor, und weil sie ihre Liebsten davor bewahren wollten,
sich ihre Folterung und Tötung anzuschauen oder sogar dasselbe Schicksal zu erleben
müssen. Mit ihr ging auch eine kleinere Anzahl von Zivilisten weg. Ein Teil von ihnen
erreichte nie das Ziel. Einige Verteidiger versuchten die Hilfe zu holen und nach
Vukovar zurückzukehren, aber ihre Bemühungen blieben erfolglos. Die Ausbrüche
dieser einigen hundert Verteidiger und Zivilisten aus Vukovar nach Nuštar sind ein
besonderer Akt der Vukovarer Tragödie. Viele Verteidiger zweifelten daran, ob sie
gehen oder bleiben und dabei eine Kreigsgefangenschaft riskieren sollten. Die beiden
Möglichkeiten waren gefährlich.
Die Verteidiger, die sich aus Sorge für Verwandte und Verwundete, für einen Abzug
nicht etscheiden konnten, blieben am 18. Novembar dem Feind auf Gnade und
Ungnade ergeben. Ohne Munition und ein Befehlssystem, konnten sie weiter keinen
ernsthaften Widerstand leisten. Weitere Kämpfe konnten dann auch das Leben von
Zivilisten und Verwundeten in Unterkünften noch mehr gefährden. So begann man
mit den Offizieren der JNA zu verhandeln und die Übergabe der einzelnen Stadtteile
(Mitnica – am 18. November, danach Borovo Naselje) zu vereinbaren. Das momentane
“Strecken der Waffen” war an Bedingung geknüpft, daß die JNA freies Geleit für die
Zivilisten sowie eine Betreuung von Verwundeten gewährleisten wird.
Nach dem Fall der Stadt wurden Massenhinrichtungen von kroatischen Verteidigern und
Zivilisten vollgezogen, sowie Raub und Vertreibung der Zivilbevölkerung durchgeführt.
Man trennte die Kroaten von anderen Volksgruppen sowie Männer von Frauen ab. Die
einheimischen Serben denunzierten ihre Nachbarn und zeigten mit Fingern auf sie in
Hallen von “Borovo-Commerce”, “Velepromet” und in anderen Orten, wo sie auch gleich
getötet wurden. Die zügellosen serbischen Soldaten führten die Verse des Liedes “es
wird Fleisch geben, wir werden Kroaten schlachten” – wörtlich aus. Dieses Lied wurde
gesungen, während man durch verwüstete Straßen von Vukovar marschierte.
Vukovar blieb unter serbischer Besetzung bis zum 15. Januar 1998. An diesem Tage
kehrte die Stadt im Rahmen des sog. UN-Sektors Ost (zusammen mit der Baranja,
66
Ostslawonien und Westsyrmien) und zum Abschluß des Prozesses der sog. friedlichen
Reintergration endlich in die Hoheitsgewalt der RH zurück.
Vukovar, 8. Juni 1997; mit dem Zug des Friedens und der Wiederkehr kehrte Kroatien symbolisch nach Vukovar zurück.
TUĐMAN – in Vukovar gehaltene Rede
Ein Sieger, der nicht imstande ist, zu verzeihen, säet Keime neuer Flammen der
Zwietracht und eines künftigen Unheils. Und kroatisches Volk will das nicht. Es wollte
auch nicht all das durchmachen, was es in Vukovar und ganz Kroatien erleben mußte.
Und alles was wir tun, dient nicht nur irgendwelchen engen Interessen, sondern es
geschieht im Gemeininteresse Kroatiens und Europas, im Interesse des Friedens und der
Zukunft dieser Gegend und aller europäischen Länder. Es lebe das Zusammenleben des
kroatischen Volkes mit dem serbischen Volk und mit anderen ethnischen Gemeinschaften!
Es lebe unser einziges und ewiges Kroatien! (aus der Rede des Präsidenten der Republik
Kroatien Franjo Tuđman am 8. Juni 1997)
67
68
Zusammenfassung
O
bwohl die Kroaten in der Gemeinde und in der Stadt eine Mehrheit bildeten,
erwarteten die großserbischen Strategen aufgrund des großen Prozentanteils der
Serben an der Gesamtzahl der Bevölkerung und durch die Aufweisung erheblicher
Disproportionen in Bewaffungs- und Ausrüstungsverhältnissen zugunsten der JNA, einen
einfachen und schnellen Sieg. Sie haben in ihre Pläne auch das serbisch dominierte Vorort
Petrova Gora miteinbezogen, das ein bedeutendes, vielleicht auch ausschlaggebendes Problem
für die Verteidigung von Vukovar darstellte, besonders wegen der Tatsache, daß die Angreifer
Mitte September eine Verbindung mit der Kaserne der JNA herstellen konnten. Welche
schwere Aufgabe die Stadtverteidigung hatte, wird vor allem klar, wenn man sich an die
Unterstützung des Feindes durch die einheimische serbische Bevölkerung und durch die in der
Stadt stationierten JNA-Truppen erinnert. Zudem wurde die Stadt von serbisch dominierten
Dörfern umfaßt, von welchen aus die Angriffe der überlegenen Kräfte der JNA starteten. Ein
Teil der Stadt grenzte auch an Serbien, von welchem sie nur die Donau trennte.
Oktober 1991 (Autor: Mario Filipi)
69
Andrija Marić, Blago Zadro, Marko Babić, Zoran Janković (steht seitwärts); Trpinjska Straße,
Mitte September 1991 (das Photo ist eine Schenkung von Marko Babić)
Ivica Arbanas (mit Hut), Velimir Derek (rechts, mit dem schwarzen Band
um den Kopf, als Befehlshaber einer
Kompanie, nachdem Petar Kačić –
„Bojler“ (Boiler) gefallen war), Delić
Željko – „Švico“ (Angehöriger der
Kroatischen
Verteidigungskräfte
(HOS)); im Hintergrund die Kämpfer
der Kroatischen Verteidigungskräfte (HOS): rechts Tihomir Tomašić,
links Duško Smek „Bosanac“ (Bosnier) (photographierte: Viktorin Jurić
„Paša“ (Pascha); das Photo ist eine
Schenkung von Ivica Arbanas)
70
Die Verteidiger von Vukovar wurden nach Ortsgemeinschaften organisiert. Die
Verteidigung bestand aus Verteidigungsstellungen “Stützpunkten” – die entlang der
Verteidigungs- bzw. Berührungslinie mit dem Feind, errichtet wurden. Im Herbst
1991 wurden viele Straßen in Vukovar, seine Vororte sowie umliegende Orte zu den
leuchtendsten Vorbildern in der kroatischen Militärgeschichte: die Straßen Trpinjska,
Slavonska, Hercegovačka, Bosanska, Lička, und Pejton, dann die Straßen von Borovo
Naselje, wie auch Budžak, Lužac, Mitnica, Sajmište und andere Ortsgemeinschaften,
sowie verschiedene “Stützpunkte” und kleinere Verteidigungstruppen – Dom tehnike
(Haus der Technik), “Kod slona” (Beim Elefanten), “Kivi” (Kiwi), “Trokatnica”
(Dreistockhaus), Vatrogasni dom (Feuerwehrhaus), “Osa” (Vespe), “Žuti mravi”
(Gelbe Amaisen), “Pustinjski štakori” (Wüstenratten), “Turbo” (Turbo), “lovci
na tenkove” (Panzerjäger), “hosovci” (HOS-Angehörige, bzw. Angehörige der
Kroatischen Verteidigungkräfte), “Šumari” (Förster), “Bojleri” (Boiler), “Plavi” (die
Blauen), “Žuti” (die Gelben), “Crni” (die Schwarzen), usw.
Dazu gehörten auch Sajmište als Haputstützpunkt der Verteidigung sowie das Dorf
Bogdanovci als die “vorgeschobenste Festung“ von Vukovar. Unter den Verteidigern
dieser Stützpunkte waren auch die Soldaten der Kroatischen Verteidigungskräfte, die
aus ganz Kroatien angekommen waren. Sie waren unglaublich mutig. Sie zogen sich
auch um den Preis ihres Lebens nicht züruck. Es genügt zu erwähnen, daß während
der Kämpfe um Sajmište und Bogdanovci etwa 50% von ihnen ums Leben kamen,
daß fast jeder Überlebende verwundet war, einige auch mehrere Male. Die Mehrzahl
der Verteidiger und ihrer Kommandanten hatte keine militärische Ausbildung oder
Kriegserfahrung. Die Verteidigung der Stadt hängte von ihrem Einfallsreichtum und
Mut ab. Einige von ihnen, so z.B. der Befehlshaber der Verteidigung von Borovo
Naselje Blago Zadro, der am 16. Oktobor gefallen war, wurden zu Legenden. Daß
neben den Soldaten immer wieder auch ihre Kommandanten fielen: Velimir
Đerek – „Sokol“ (Falke) aus Imotski, Tihomir Gredelj und Ivan Poljak – „Sokol“
(Falke) aus Sinj sowie Petar Kačić – „Bojler“ (Boiler) – Kommandant von Sajmište,
Ivan Šoljić – „veliki Joe“ (Großer Joe) Kommandant von Mitnica, Alfred Hill –
Kommandant der Militärpolizei, Nenad Sinković – „Legija“ (Legion) – Kommandant
der Ingenieurrtruppe und viele andere, sagt alles über die Heftigkeit der Kämpfe und
den Mut der Menschen, die die Verteidigung von Vukovar angeführt haben.
Die Angriffe auf Vukovar begannen gewöhnlich in den frühen Morgenstunden,
aber eigentlich gab es keine Regeln. Es passierte immer wieder, daß die Granaten
am Nachmittag oder am Abend abgefeuert wurden. Die Angriffe waren manchmal
so heftig, daß jede Minute wenigstens ein Geschoß oder auch mehrere in die Stadt
eingeschlagen haben, so etwas geschah z.B. am 5. September und zwischen 4. und 6.
Oktober als Vukovar mehr als 11.000 Geschosse getroffen haben. Das zerstörerische
und unerbittliche Artilleriefeuer der JNA, während welches tausende von Geschossen
abgefeuert wurden, war immer öfter eröffnet worden. Daß die Stadt unter ständigem
71
Beschuß stand, verursachte Probleme in der Strom- und Wasserversorgung. Die
Telefonleitungen wurden auch oft unterbrochen. Ab zweiter Hälfte des September
bis zur Besetzung der Stadt, gab es im Großen und Ganzen keinen Strom und kein
Wasser. Aber dank dem Wissen, der Findigkeit und dem Mut der Mitarbeiter der
kroatischen kommunalen Unternehmen (für Stromerzeugung, Wasserleitung, Post
und andere Dienste), und durch die Vernetzung der vorhandenen Aggregate, konnte
man in einem gewißen Maße eine regelmäßige Stromversorgung für die wichtigsten
Stadteinrichtungen gewährleisten: für Krankenhäuser, größere Unterkünfte und ihre
Küchen, Verteidigungskommando, Postämter, Bäckereien sowie Werkstätte für die
Waffenherstellung. Der Strom war besonders wichtig nicht wegen der Beleuchtung, sonder
wegen der Lüftung in Unterkünften und des Antriebs von Geräten in Krankenhäusern.
Nach einigen Angaben, die die gesamte Logistik sowie Ärzte und medizinisches
Personal des Krankenhauses von Vukovar umfassen sollten, etwa 4020 verteidigten
die Stadt (einschließlich Dorf Bogdanovci) während der serbischen Belagerung. Die
Anzahl der Verteidiger in der Stadt selbst betrug nie mehr als 1800 bis 2000 Soldaten
der Nationalgarde, der Kroatischen Verteidigungskräfte sowie der aus verschiedenen
Teilen Kroatiens angekommenen Freiwilligen. Diese Truppen wurden als 204.
Brigade der Kroatischen Armee formiert. Sie alle kämpften entlang einer mehr als
10 km langen Frontlinie. Neben Kroaten verteidigten die Stadt auch die Bürger
anderer Volksgruppen – Serben, Ungarn, Russinen, Slowaken, Deutsche und andere.
Natürlich, daß sich an der Verteidigung auch die Zivilbehörden der Stadt beteiligt
haben: Medizinisches Zentrum Vukovar, Wasserversorgung der Stadt Vukovar,
Kombinat Borovo, Freiwillige Feuerwehr, Kommunalunternehmen, Kroatische
Stromversorgung, Post. Alle erwähnten Einrichtungen wurden vom Krisenstab unter
Leitung vom Regierungsbeauftragten für Vukovar Marin Vidić – Bili koordiniert.
Sie haben die ganze Zeit über mit dem Kommando der Stadtverteidigung und ihrer
Kommandanten Mile Dedaković, später Branko Borković, sowie mit der städtischen
Polizeiverwaltung und ihrem Kommandant Stipe Pole, zusammengearbeitet.
Gleichzeitig planten der Generalstab der Kroatischen Armee und die Operationszone der
Kroatischen Armee Osijek neue Befreiungsaktionen. Man engagierte auch die Streitkräfte
im Umland von Vukovar, besonders die Artillerie. Mit diesem Vorsatz wurde auch am
16. Oktober die Operationsgruppe der Kroatischen Armee Vinkovci, Vukovar und
Županja errichtet, die während der letzten Kämpfe um Vukovar, nach Einschätzung ihres
Befehlshabers Mile Dedaković, aus 6800 Soldaten, 15 Panzern, 11 Panzertransportern,
52 Geschützen Kalibers von 20-100 mm, 32 Geschützen Kalibers größer von 100 mm, 1
Mehrfachraketenwerfer und 68 Minenwerfern bestand. Aber auch diese Kräfte genügten
nicht. Der Aggressor war zahlen- und rüstungsmäßig mehrfach stärker.
Nach einigen unvollständigen Angaben sollte der Feind über mehr als 1000 Panzerwagen,
Kampfflugzeuge und Kriegsschiffe, mehrere hundert verschiedenartigsten Artillerie72
und Raketenwaffen verfügen. Er benützte sie systematisch und ohne Zielsetzung
und feuerte einige tausend Projektile auf die Stadt ab (nach einigen Einschätzungen
waren es mehr als eine Million oder sogar mehr als anderthalb Millionen Projektile).
Die Stadt wurde anfangs von mehr als 27.000 Soldaten angegriffen, danach sollte
diese Zahl auf mehr als 60.000, sogar auf 80.000 Soldaten steigen. Man geht davon
aus, daß die Vukovarer Verteidiger etwa 300 bis 400 Panzerwagen zerstört haben,
nach einigen Quellen sogar 500 – darunter etwa 200 Panzer. Sie sollten auch mehr als
20 Kampfflugzeuge abgeschossen haben (nach einigen Quellen waren es 25). Da die
angeführten Zahlen als übertrieben erscheinen, sollte man sie mit Vorsicht behandeln
bis zum Abschluß einer wissenschaftlichen Analyse, die durch die Quellen beider
Seiten belegt wird.
Der Aggressor verfügte über eine mehr als zehnfache Menge an Artillerie und eine
mehr als hundertfache Menge an Granaten, Minen und anderer Munition. Die
Verteidiger hatten zudem keine Kampfflugzeuge. Deswegen ist es einfach faszinierend,
daß sie ihre Stellungen drei Monate halten konnten. Ein solches Mißverhältnis in der
Qualität, Technik, Ausbildung und Zahl der Soldaten, gemessen an der kämpferischen
Leistung beider Seiten, beweist nur, daß die Kategorie des Patriotismus, bzw. der
Motivation der Soldaten, keine militärische Lehre zu vernachlässigen dürfte.
In gefährlichsten Augenblicken wurde die logistische Hilfe, meistens Medikamente
und Sanitätsmateral für Krankenhaus, einige Male eingeflogen, und das mit kleineren
Flugzeugen des Typs Cessna-172 und UTVA-75 sowie mit größeren sonst in der
Landwirtschaft einsetzbaren Zweiflüglern des Typs An-2. Sie wurden von mutigen
kroatischen Piloten des Selbständigen Luftfahrtzuges gesteuert, der Anfang Oktober bei
der Operationszone Osijek formiert wurde. Gewiß war dies nur ein Tropfen im Meer, wenn
man der Bedürfnisse der Verteidiger und des medizinischen Personals im Krankenhaus
bedachte, aber diese Nachtflüge der vierköpfigen Besatzung waren für die Verteidiger
eine sehr große moralische Unterstützung. Ihr Mut, ihre Improvisationsfähigkeit und
Flugfertigkeit sowie ihre Entschlossenheit den Vukovarer Verteidigern zu helfen, und das
ohne Rücksicht auf das heftige Feuer der feindlichen Luftabwehr und ohne Rücksicht auf
Alter, Trägheit und Unangemessenheit ihrer Flugzeuge, verdienen gleiche Bewunderung
wie auch übermenschliche Anstrengungen der Verteidiger, des medizinischen Personals,
der Feuerwehrmänner und anderer Dienste, die dafür sorgten, daß die minimalen
Lebensbedingungen in der umziegelten und verwüsteten Stadt doch gesichert wurden.
Nach Angaben des Ministeriums für Gesundheitswesen hielten sich am 19. November
1991 im Umland von Vukovar etwa 14.100 Zivilisten auf 10.000 in Vukovar, 4000
in Borovo Naselje und 100 in Lužac, und etwa 900 kroatische Verteidiger 450 in
Vukovar und 450 in Borovo Naselje. Im Vukovarer Krankenhaus waren am Tag der
Okkupation 420 Verwundete und Kranke, und in der Unterkunft – im Krankentrakt
von “Borovo Commerce”, befanden sich 250 Verwundete.
73
Nach Angaben der Behörde für Gefangene und Vermißte des Ministeriums für Familie,
Verteidiger und Generationensolidarität vom November 2007 kamen während der
serbischen Aggression in Vukovar mindestens 1739 Personen, darunter 86 Kinder, ums
Leben, und etwa 22.000 Einwohner, hauptsächlich Nicht-Serben, aber auch Serben, die
nicht unter der Okkupationsgewalt bleiben wollten, wurden vetrieben. In der Gespanschaft
Vukovar-Syrmien wurden 52 Massengräber und mehrere hundert Einzelgräber
gefunden. Aus ihnen wurden bis 22. November 2007 die sterblichen Überreste von 1982
Opfern der serbischen Verbrechen exhumiert. Von der Gesamtzahl der Exhumierten
wurden 1717 identifiziert. Die Behörde für Gefangene und Vermißte leitete noch im
November 2007 ein Suchverfahren für 486 aus dem Gebiet der Gespanschaft VukovarSyrmien gewaltsam abgeführten Personen ein; davon entfallen auf die Gemeinde
Vukovar (Lipovača, Sotin und Grabovo inbegriffen) 315 Personen. In serbischen
Internierungslagern und Gefängnissen in Serbien und Jugoslawien wurden unter der
Aufsicht der JNA mindestens 2796 Personen mißhandelt und entsetzlichen Folterungen
ausgesetzt, die 1991 in Vukovar gefangengenommen wurden. Mehr als 4000 Personen
waren aus dem Kroatischen Donaugebiet in die Bundesrepublik Jugoslawien, bzw. nach
Serbien gewaltsam weggeführt worden, von wo aus sie dann nach Kroatien deportiert
wurden. Der jüngste Internierte war erst knapp 15 Jahre, und der älteste 81 Jahre alt.
Vukovar nach der serbischen Okkupation; aufgenommen während der Belagerungszeit (Autor:
Dionizije Šebetovsky)
74
Memorial-Friedhof der im Heimatkrieg gefallenen Opfer, Vukovar; 938 weiße Kreuze, je ein Kreuz
für jedes exhumierte Opfer aus
Massengräbern im Umland von
Vukovar
75
Nach Angaben der Vukovarer Verteidiger aus dem Jahr 1996 verlor die 204. Brigade der
Kroatischen Armee im Kampf um Vukovar 879 Soldaten (Gefallene und Vermißte) und die Zahl
der verwundeten Soldaten stieg auf 777. Die Einschätzungen über die feindlichen Verluste auf
dem Schlachtfeld von Vukovar bewegen sich zwischen 5000 bis 6500 aber auch bis zu 15.000
gefallenen Soldaten. Im Gegensatz dazu wird in der serbischen Literatur behauptet, “daß
in den Kämpfen um Vukovar aus den Reihen der Einheiten der JNA und der Freiwilligen
etwa 1200 Soldaten und Befehlshaber ums Leben kamen”. Da diese Angaben erhebliche
Disproportionen aufweisen, sollten sie einer die Quellen beider Seiten berücksichtigenden
wissenschaftlichen Analyse unterzogen werden.
Im Verlaufe des Angriffs auf die Stadt zerstörten oder beschädigten die JNA-Truppen
und die serbischen paramilitärischen Verbände fast alle Gebäude in Vukovar, wobei keine
Krankenhäuser, keine religiösen, kulturellen und historischen Denkmäler, keine Wirtschaftsoder Wohngebäude verschont wurden. Genau dieses Beispiel einer vorsätzlichen Verwüstung,
und besonders des Vukovarer Krankenhauses, zeigt die Gefühllosigkeit des Aggressors
und des Oberbefehls der JNA, die durch diese irrationale und zerstörerische Taktik das
Ziel der großserbischen Ideologen zu verwirklichen versuchte einen ethnisch sauberen
großserbischen Staat zu gründen. Aufgrund eines unerwartet heftigen Widerstands der
Verteidiger von Vukovar sowie einer
Verwüstung, welche seit dem Ende
des Zweiten Weltkriegs Europa nicht
erlebte, wurde Vukovar im Laufe
der Sommer- und Herbstmonate,
vom August bis November 1991,
zum Symbol des kroatischen
Widerstands und seine Einwohner,
besonders die Verteidiger, zum
Vorbild wegen ihrer unglaublichen
Opferbereitschaft,
Gewandheit
und ihres Mutes. Neben berühmter
Täubin von Vučedol, Haus des
Nobelpreisträgers Lavoslav Ružička,
altem Wasserturm, Kreuz des
Bruders Lustig, Kirche von Sankt
Philipp und Jakob, Schloß Eltz
Vukovar; aufgenommen während
der Belagerungszeit (Autor: Dionizije
Šebetovsky)
76
Innenraum der Kirche von Sankt Philipp und Jakob; aufgenommen während der Belagerungszeit (Autor: Dionizije Šebetovsky)
Gebäude der Eisenbahnstation; aufgenommen während der Belagerungszeit (Autor: Dionizije
Šebetovsky)
77
Reste der Kirche und des Franziskanerkloster von Sankt Philipp und Jakob sowie des Gymnasiums und des Wasserturms in Vukovar, Folgen der serbischen Aggression 1991
Zerstörtes Schloß Eltz, Folgen der serbischen Aggression 1991
und anderen Gebäuden, zu den ewigen Symbolen der Stadt wurden auch ein großer und
durch Granaten durchlöcherter Wasserturm mit kroatischer Staatsflagge und ein zerstörtes
Krankenhaus.
Auch die Massenrichtstätte Ovčara wurde zum Symbol für Qualen und Opfer, die die
Einwohner und die Verteidiger für Freiheit und Unabhängigkeit der RH ertragen mußten.
Ovčara ist ein ehemaliger landwirtschaftlicher Betrieb, welcher sich etwa fünf Kilometer
südöstlich von Vukovar befindet. Seine Lagerhallen verwandelten die JNA und die serbischen
Paramilitärs in ein Internierungslager für die Vukovarer Verteidiger, Zivilisten, Verwundete
78
und für das aus dem Krankenhaus von Vukovar abgeführte medizinische Personal. Im
Lager schlugen die zügellosen, betrunkenen und uniformierten Soldaten der JNA sowie
Paramilitärs, aber auch der serbische Bürgermeister von Vukovar S. Dokmanović persönlich,
die Internierten mit Baseballschlägen, Stangen, Ketten, Kolben und anderen Gegenständen.
Der Folterung erlagen gleich vier Gefangene und die anderen wurden in 10er- und 20er
Gruppen verteilt und zu einer Schlucht gebracht, die etwa 900 Meter vom Weg Ovčara –
Grabovo lag. Diese Menschen wurden dann am 20. November 1991 getötet und in einen
Massengrab geworfen. Im September und Oktober 1996 wurden 200 Leichen exhumiert und
bis zum Juli 2006 konnte man 192 Personen im Alter von 16 bis 72 Jahren identifizieren.
Das Verbrechen von Ovčara war nur eines von vielen, das durch den serbischen Aggressor
im Verlaufe des Angriffs auf Vukovar verübt wurde. Im Laufe der Zeit wurde Ovčara zu einer
Gedenkstätte für alle anderen Richtstätten und Massengräber, die die JNA und die serbischen
Paramilitärs im weiten Umland von Vukovar hinterließen: Antin, Berak, Bogdanovci, Borovo
Selo, Bršadin, Ćelije, Čakovci, Dalj, Daljski Atar Globovac, Ilok, Lovas, Marinci, Mikluševci,
Mohovo, Negoslavci, Novi Jankovci, Petrovci, Slakovci, Stari Jankovci, Svinjarevci, Sotin,
Tordinci, Tovarnik, Vukovar Novo groblje (Neuer Friedhof), Nova ulica, das Lager von der
Firma Velepromet und zahlreiche andere Orte der Massen- oder Einzelverbrechen.
Gedenkstätte für die in Ovčara ermordeten Opfer
79
Um Gottes willen, was für Menschen werden hier ermordet!
V
ukovar stand unter Belagerung, aber aufgrund ihres beharrlichen und zähen
Widerstands unterbindeten seine Verteidiger den anfänglichen Schwung des
Feindes. Die erwartete Dynamik der feindlichen Offensive wurde verlangsamt.
Indem sie ihre eigenen Leben opferten, schafften die Verteidiger die notwendige Zeit
um in anderen Teilen Kroatiens die Mobilisation durchzuführen, neue Streitkräfte
aufzustellen und Bewaffnung und Ausrüstung zu erwerben. Sie ermöglichten der
kroatischen Führung ihre diplomatische Tätigkeit zu intensivieren um die internationale
Anerkennung so schnell wie möglich zu erreichen. Nicht nur, daß sie den Großteil
der feindlichen Streitkäfte im Kampf um Vukovar festgebunden haben, sie haben den
Feind dann auch teilweise so zerschlagen und demoralisiert, daß er nicht mehr in der
Lage war, größere Vorstöße zu wagen. Die Verteidiger haben den Versuch des Feindes
eine Verbindung zwischen der JNA-Truppen in Ost- und Westslawonien, die eine
strategische Bedeutung in den Operationsplänen der JNA-Führung bei der Eroberung
Slawoniens spielen sollte, herzustellen, vereitelt. Sie zeigten auch, daß ein Kampf gegen
einen übermäßig überlegenen Feind überaus möglich war. Die begangenen Verbrechen
an Zivilisten und auch der Ausmaß der Zerstörung enthüllten der Welt das richtige Bild
von der serbischen Aggression, was zum Verständnis der Geschehenisse in Kroatien
und zur Beschleunigung der internationalen Anerkennung Kroatiens beitrug.
Durch ihre Ausnahmerolle in der Verhinderung des Feindes ganz Slawonien zu besetzen
und damit die entsprechende Operationstiefe, bzw. günstige Bedingungen für eine weitere
Vorrückung in Richtung Zagreb und Schaffung des sog. Großserbiens zu verwirklichen, hat die
Vukovarer Verteidigung eine strategische Bedeutung für die Verteidigung von ganz Kroatien
angenommen. In Arbeiten, die den Kampf um Vukovar thematisieren, wird behauptet, daß
aufgrund „einer großen Menge an vernichteten Ausrüstung und einer großer Zahl der außer
Gefecht gesetzten Soldaten, wodurch die militärische, politische und psychische Leistung der
JNA geschwächt wurde, diese Verteidigung eigentlich Türen zur Gründung eines freien und
unabhängigen Kroatiens und seinem Sieg im Heimatkrieg” geöffnet haben sollte. Der Kampf
um Vukovar ist deswegen als ein “strategisches Sinnbild des Wertsystems des modernen
kroatischen Staates” zu verstehen. Mit ihrem Patriotismus und Mut verdienten sich die
Vukovarer Verteidiger einen Ehrenplatz in der kroatsichen Geschichte.
Zahlreiche Autoren haben ihre Werke den Helden des Heimatkrieges gewidmet, und ihre
Bewunderung für ihre Opfer und Größe zum Ausdruck gebracht. Über sie spricht man mit
80
großer Anerkennung. Unter diesen Werken hebt sich durch seine Wärme, Aufrichtigkeit
und Originalität das Buch „91,6 MHZ – glasom protiv topova (“91,6 MHZ – Mit Stimme
gegen die Kanonen), von Alenka Mirković – Journalistin des Kroatischen Rundfunks
Vukovar, hervor. Im Kapitel, in welchem sie ihr Ausbruch aus der Stadt beschreibt, erzählt
sie in einem Abschnitt auf Seite 283 von einer Begegnung mit zwei Polizisten aus Varaždin.
Ihr Kollege und sie wurden von diesen Polizisten angehalten, in der Hoffnung, daß sie als
“Einheimische” das Terrain kennen. Der Satz am Ende dieses Abschnittes drängt sich als
eine Schlußfolgerung einer aufrichtigen Geschichte über Vukovar und Kroatien im Jahr
1991 und als eine einfache Zusammenfassung von Tugenden der Menschen, die Vukovar
verteidigten und Kroatien verteidigt haben, auf:
Den Teufel kennen wir das Terrain, dachte ich, indem ich wegen der Kälte hüpfte und mir in die Hände pustete.
Der Polizist sah mich an, und dann zog er etwas aus seiner Tasche heraus und hielt es in meiner Richtung:
„Sie werden diese mehr als ich brauchen.“
Aus seinen Händen nahm ich ein Paar dicke und warme Wollhandschuhe.
Ich fühlte Wärme, grenzlose Dankbarkeit und Traurigkeit.
Um Gottes willen, was für Menschen werden hier ermordet!
Gedenkstätte für ein freies Kroatien an der Mündung des Flusses Vuka in die Donau; glagolitische Schrift: Ewig wird der leben, der ehrenwert fällt!
81
82
Erinnerungen der Beteiligten
Mirko Brekalo, Oberst der Kroatischen Armee:
Während der ganzen Belagerungszeit war die Stellung am Verbindungspunkt zwischen
Borovo Naselje und der Trpinjska Straße von entscheidender Bedeutung. Man sollte aber
etwas über die Männer und Frauen sagen, die durch ihre Heldentaten die unzerstörbare
Kraft des Geistes und des Daseins des kroatischen Volkes auf diesen ostslawonischen
Gebieten bewiesen haben. Viele kroatische Soldaten gaben ihr Leben für ihr Vaterland.
Wir fragen uns, wer waren diese Menschen, die als ersten zu den Waffen griffen um ihre
Häuser zu verteidigen – sie waren wahrhaftige kroatische Kämpfer, die für ihr Vaterland
den höchsten Preis bezahlten – sie verloren ihr vom Gott geschenktes Leben.
Sie kamen aus ganz Kroatien: Vukovar, Vinkovci, Đakovo, Slavonski Brod, Našice,
Varaždin, Čakovec, Zagreb, Kraljevica, aus Dalmatien, aus der Lika, Zagorje, Bosnien und
Herzegowina und aus dem Ausland. Sie alle waren wundervolle Menschen und furchtlos
als Soldaten und nannten sich immer nur bei Spitznamen: Turbo, Šljoka, Krešo, Plavi,
Kivi, Zolja, Drava, Grubi, Bik u.a.
Die Taten dieser Menschen sprechen für sich selbst, sie ließen zerschlagene feindliche
Kräfte hinter sich, ein Panzerfriedhof in der Trpinjska und Borovska, in der Hercegovačka,
Vinogradska, Bosanska und Vinkovačka Straße, in Budžak und beim Haus der Technik.
Der Feind behauptete, daß diese Soldaten einen Völkermord verübt haben, aber sie kämpften
Seite an Seite auch mit Serben, Ungarn, Russinen, Ukrainern, Albanern und anderen.
Einen Tag nach dem anderen hielten sie ihre Stellungen, bis zu dem Zeitpunkt, als sie ohne
Panzerabwehrwaffen geblieben sind. Der Feind hätte diese Linie sonst nie durchbrechen
können. Der schwierigste Augenblick kam, als man diesen Menschen mitteilen mußte, daß
“keine Waffen mehr da sind”. Noch heute erinnere ich mich lebendig mit großer Trauer an
diese Leute. Ihre Augen verrieten ihre Qual als sie zum Himmel aufschauten: “Lieber Gott,
was sollten wir jetzt tun?”
Viele von ihnen wurden ins Ungewisse abgeführt: Gardisten, Polizisten, Zivilisten,
Verwundete, und das nur weil sie ihr Heim verteidigten. Die ganzen Familien und einzelne
Personen, deren Vorbild der kroatische Ritter Blago Zadro war, wurden vermißt. Wir
merken uns die Namen, die für immer in unserer Erinnerung bleiben werden: Robo,
Vjeko, Joja, Ćićo, Neđo, Veso, Sućo, Šimun, Milan, Vinko, Ante, Škutur, Božo, Tomislav,
Dragec, Ružica, Sabina, Mara, Vesna, Jelena und andere. (Auszug aus dem Buch Gdje
su naši najmiliji?, Zagreb, 1996, S. 19)
83
Zvone Ćurković, Befehlshaber der Kroatischen Verteidigungskräfte (kurz HOS):
Sajmište wurde außer von “Einheimischen” auch von Soldaten, die aus ganz Kroatien gekommen waren,
verteidigt. Der Truppe, die unter meinem Befehl stand, gehörten auch einige Serben, Montenegriner
und Muslime an. Wir hielten unsere Stellungen bis etwa Mitte November. Von da an hatten wir eine
Straße nach der anderen verloren, und fingen an, sich in Richtung des Stadtzentrums zurückzuziehen.
Es ist sehr schwer auf einmal alle Ereignisse zu erzählen und alle tapfere Verteidiger von Sajmište
aufzuzählen, sagt Zvone Ćurković, und weist auf ein größeres Kapitel über Sajmište und seine
Verteidiger im Buch Bitka za Vukovar – der Autoren Mile Dedaković Jastreb, Alenka MirkovćNađ und Davor Runtić, hin, und bestätigt, daß “Sajmište nach Überzeugung vieler, als einer der
am härtesten umkämpften Stützpunkte der Vukovarer Verteidigung galt”. Er stimmt den im Buch
angeführten Behauptungen zu: Die kriegerischen Ereignisse in Sajmište zeichneten sich durch die
unterbrochenen Straßenkämpfe für jedes Stadtviertel, jede Straße, jedes Haus, für jeden Keller oder
Garten aus. Die sog. “Säuberungsaktionen” der feindlichen Infanterie nach ihrem Vorstoß in einzelne
Stadtteile waren die härtesten Formen dieses Kampfes. Diese Aktionen wurden von kleineren Gruppen
durchgeführt, denen die Einheimischen als Führer dienten. Es gab keine klassische Frontlinie, man
kämpfte Brust an Brust, die Entfernung vom Feind betrug weniger als 15 m. Manchmal standen sich
Verteidiger und Freischärler direkt gegenüber “Auge in Auge” und sie sahen sich für ein Moment an. Die
schnellen und die erfinderischen haben überlebt. Die Kommanduere gingen immer vor, sie waren die
Spitze. So fiel auch Ivan Brdar, der Befehlshaber einer Truppe der Kroatischen Verteidigungskräften,
deren Soldaten sehr geschätzt waren. Sie kamen immer dort zum Einsatz, wo die Lage besonders
gefährlich war. Von 58 Soldaten der HOS-Einheiten, welche Sajmište und Bogdanovci verteidigten, sind
25 gefallen und nur sieben waren nie verwundet. Die leicht verwundeten blieben in ihren Stellungen.
Beispielsweise, mich “fanden” zuerst die Splitter einer Handbombe, dann die Kugel eines “Skorpions“.
Das dritte Mal traf mich ein „Dumdumgeschoß“. Einige von uns waren sogar viermal verwundet.
Die Überlebenden und die, die sich noch auf Beinen halten konnten, zogen sich im Verlaufe des
Durchbruchs in Richtung Nuštar gemeinsam mit der Militärpolizei zurück. Es ist schwer unter diesen
Menschen nur einige zu erwähnen, aber wenn ich jemanden schon hervorheben muß, mögen es dann
die Befehlshaber von Sajmište sein: Petar Kačić – Srednji bojler (Mittlerer Boiler), Stjepan Sučić –
Crni (der Schwarze), Velimir Đerek – Sokol (Falke), Josip Tomašić – Osa (Wespe), Siniša Mataija
– Rambo, Ivan Poljak – Sokol, Nikica Burić – Samoborac, der eine “selbständige” Truppe war, und
andere Helden. Ich muß auch der Befehlshaber der HOS bei Sajmište gedenken: Stjepan Antolić und
Josip Abel.
Und am Schluß, muß ich die erhabenen Ziele unseres Kampfes betonen. Trotz der Greultaten unseres
Feindes, wir ließen nicht zu, daß jemand von uns jemals die Zivilisten bedroht. Wir gingen zum
Krankenhaus um Arzneimittel sowohl für Kroaten als auch für Serben zu holen, die sich in den Kellern
auf unserem Gebiet aufhielten. Es ist an der Zeit und es ist unsere Verpflichtung zu zeigen, wieviel
Mut, Charakter und Moral in die Verteidigung von Vukovar gesteckt wurde – in diesen Grundstein
der kroatischen Staatlichkeit und Freiheit. Besonders aber heute, wenn die sog. Tatsachen der Wahrheit
nicht so ganz entsprechen, wenn der Öffentlichkeit ein falsches Bild über die Verteidiger gezeigt wird,
und sie als eine Gruppe primitiver Menschen ohne Ehre und Ideale, nur als Abenteuerer dargestellt
werden, sollte man etwas unternehmen. Natürlich gab es auch solche Menschen unter Verteidigern,
aber sie waren eher eine Ausnahme. Die meisten Soldaten waren und blieben die Menschen mit einem
starkem Charakter, festen moralischen Prinzipien und einem sehr großen Herz.
84
Pilip Karaula, Oberst der Kroatischen Armee:
Die Einkreisung Vukovars zog immer mehr zusammen. In Sajmište verlor man eine Straße nach
der anderen, und dann fiel auch Lužac. Borovo war von Vukovar abgeschnitten. Aufgrund heftiger
Angriffe rückten die Freischärler bis zum alten katholischen Friedhof und bis zur Grundschule “Stjepan
Supanc” vor. Auch Mitnica wurde vom Stadtzentrum abgeschnitten und die Stadt bestand aus drei
kleineren Teilen, bzw. drei abgetrennten Hochburgen. In Borovo kämpften die Männer um jedes Haus.
Aber der Feind rückte immer weiter vor. Die Verteidiger mußten sich aus dem Zentrum zurückziehen
und einen Ausbruch wagen. Mitnica hielt noch die Stellungen und es wurde noch eine neue Front bei
„Najpaorova bašća“ nahe Wasserturm eröffnet. Auch hier waren die serbischen Freischärler auf dem
Vormasch. Wir waren völlig umzingelt, hatten keinen freien Weg zum Krankenhaus, und tausende
von Granaten trafen immer mehr Zivilisten in ihren jetzt auch schon zerstörtern Kellern.
Wir hatten fast keine Panzerabwehrwaffen, die Munition für die Infanterie wurde einzeln gezählt.
Man sammelte sie auf einem Stützpunkt, um sie dann zum nächsten weiterzureichen, wo es gerade
am nötigsten war. In jedem Augenblick konnten die Frontlinien gebrochen werden, und ich durfte
nicht daran denken, was dann mit Zivilisten von Mitnica passiert. In späten Abendstunden am
17. November 1991 rief ich die Kommandanten von Mitnica zusammmen, und nachdem man alle
Tatsachen besprochen hatte, beschlossen wir schweren Herzens, die Soldaten im Austausch für die
Zivilisten anzubieten.
Ich trat in Verbindung mit der Jugo-Armee und schlug die Verhandlungen vor. Danach wurde ein
Treffen bei Goldschmitov salaš (Maierhof Goldschmit) am 18. November 1991 vereinbart. Zdravko
Komšić und Matija Mandić ließen mich nicht alleine gehen und so gingen wir drei am 18. November
1991 etwa um Mittag zum “Stab”, bzw. dislozierten Kommando der Jugo-Armee. Dort erwarteten uns
die Vertreter der JNA, ein Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes namens Nikolas Borsinger und
zahlreiche Kameras und Journalisten.
Die Serben forderten eine bedingungslose Übergabe der Bewaffnung. Wir verlangten freies Geleit für
die Zivilisten nach Kroatien. Erst dann waren wir bereit die Waffen zu übergeben. Man entschied
dann, daß die Zivilisten und die Soldaten zu Novo groblje (Neuer Friedhof) kommen, wo die Soldaten
dann ihre Waffen übergeben werden. Die Zivilisten sollten mit Bussen und Lkws nach Kroatien
gefahren werden. Das Internationale Rote Kreuze garantierte die Erfüllung aller Bestimmung dieser
Vereinbarung, aber die serbische Seite verletzte dann doch einige von ihnen.
Die Soldaten (182 an der Zahl) übernachteten in Ovčara und dann wurden sie in das Internierungslager
in Sremska Mitrovica gebracht. Auch alle Zivilisten wurden nach Serbien abgeführt. Die Männer
wurden zusammen mit Soldaten interniert. Frauen und Kinder durften dann doch nach Kroatien
fahren. Die Soldaten wurden ausgetauscht und der größte Austausch fand am 14. August 1992 statt.
Ich erinnere mich noch daran, daß ein Soldat in Sremska Mitrovica getötet wurde, daß man einen
Zivilisten noch bei Novo groblje (Neuer Friedhof) vermißte, und einer nahe der Stadt Šid verschwand.
Alle anderen Zivilisten und Soldaten kehrten nach Kroatien zurück.
Es muß aber bedacht werden, daß sich eine größere Zahl von Soldaten von Mitnica im Krankenhaus
befand. Auch die Einwohner dieses Stadtteils waren in ganz Vukovar verstreut und man verlor ihre
Spuren. Die Zahl der vermißten Soldaten und Zivilisten ist deswegen sicher höher als diese drei Opfer,
die ich erwähnte. Die Tatsache ist, daß diese Menschen erst nach den Verhandlungen, die ihre Rettung
bedeuten sollten, verunglückten. (Auszug aus dem Buch Gdje su naši najmiliji?, Zagreb, 1996, S. 20)
85
86
Ante Nazor
AUCH DAS KRANKENHAUS WAR EINE
SCHIEßSCHEIBE
87
Während der Angriffe
auf die Stadt Vukovar und Vukovarer Krankenhaus
sowie nach der serbischen Besetzung der Stadt
verloren ihr Leben 32 Beschäftigte des Kriegskrankenhauses von Vukovar,
wovon 20 in Ovčara getötet und
4 als vermißt nach ihrer Gefangennahme
gemeldet wurden.
Infolge der Angriffe auf die Stadt wurden
bei Verrichtung ihres Dienstes in dem Medizinischen Zentrum Vukovar
vier Ärzte,
sechs Krankenschwester,
zwei Mitarbeiter des medizinischen Teams,
ein Hilfsarbeiter und
zwei Fahrer verwundet.
Nach der Okkupation der kroatischen Stadt Vukovar
beschlagnahmte die Jugoslawische (eigentlich serbische) Armee
die gesamte medizinische Dokumentation des Medizinischen Zentrums Vukovar.
Aus diesem Grund sind die angeführten Angaben über die Arbeit des
Krankenhauses unddie Behandlung von Verwundeten unvollständig.
88
Logo des Museums –
„Gedenkstätte“ im Vukovarer Krankenhaus;
Autoren Ivica Propadalo
und Željko Kovačić
... Nach allen Schwierigkeiten, die dem Krankenhaus in seiner Geschichte widerfahren hatten,
erlebte es seine Schwersten aber zugleich ruhmvollsten Tage im Heimatkrieg während der serbischen
Belagerung. Ein mehrfach stärkerer Gegner griff drei Monate lang die Stadt an, deren Herz das
Krankenhaus darstellte. Sein tapferes und professionelles Personal leistete das Unmögliche. In
völliger Einkreisung und in einem zerstörten Krankenhaus verstanden diese eifrigen Ärzte,
Krankenschwestern und ihre Mitarbeiter die Bedingungen zu schaffen, unter welchen in der
Dunkelheit des Alltags viele Verwundete und Kranke gerettet und geheilt werden konnten, sowie
die Neugeborenen das Licht der Welt erblickten. Die Hilferufe des Personals stießen aber auf kein
Gehör. Die Welt sah ruhig der Verwüstung der Stadt und Vernichtung des Krankenhauses zu.
Diese Zerstörung stellte ein vom Aggressor sehr vorsichtig ausgewähltes strategisches Ziel bei der
Ausführung seines Vorhabens, die Verteidigung Kroatiens zu brechen, dar. Durch ihr Schweigen
unterstützte auch die Internationale Staatengemeinschaft diese Absicht.
Ihre Vertreter ließen nicht zu, daß als Verwundete mit einem Hilfskonvoi evakueirt werden sollten
(am 19. Oktober 1991, Anm. A.N.), dem Krankenhaus die Medikamente zugestellt oder das
erschöpfte medizinische Personal durch neue Mitarbeiter ersetzt wurde. Sie verurteilten nicht die
Nichteinhaltung des Abkommens, das ich im Auftrag der Regierung der RH mit den Vertretern der
JNA unterzeichnet hatte. Nach diesem Abkommen sollte die Internationale Organisation des Roten
Kreuzes in der Nacht der blutigen Feier des Aggressors am 19. November 1991 die Kontrolle über
das Krankenhaus übernehmen. Die internationalen Beobachter teilten auch der Welt nicht mit,
daß die Soldaten der JNA ins Krankenhaus gewaltsam eingedrungen und allen Mitarbeitern des
Roten Kreuzes den Eintritt verboten haben. Die JNA und mit ihren Waffen ausgerüstete Zivilisten
brachten eine Anzahl der Patienten und der Belegschaft fort. Diese Menschen wurden dann
gefoltert und ermordet, was verschwiegen wurde. Letztendlich wurden diese Henker, die Vukovar
folgerichtig zerstörten und seine Einwohner ermordeten, nie vor Gericht gebracht und angeklagt.
Unter diesen Umständen spelte das Krankenhaus von Vukovar seine heroische und humanitäre
Rolle ...
(Auszug aus der Vorrede von
Prof. Dr. Andrija Hebrang zur Monographie
Vukovarska bolnica 1991., Vukovar, 2007)
89
Bereits nachdem die ersten Barikkaden in Knin am 17. August 1990 errichtet worden
waren, wodurch der Aufstand der Serben in Kroatien begonnen hatte, entschloss sich
der damalige Minister für Gesundheitswesen, Prof. Dr. Andrija Hebrang, aufgrund
der eingetroffenen Berichte sowie einer fachlichen Einschätzung möglicher Folgen,
heimlich mit einer Gruppe von Mitarbeitern die notwendigen Vorkehrungen im
Bereich des Gesundheitswesens für den Fall eines Kreigsausbruchs zu treffen.
Im September 1990 wurde eine Bestandsaufnahme in allen zugänglichen Lagern
mit Sanitätsausrüstung und Sanitätsmaterial vorgenommen. Mit Rücksicht auf
Gewalteskalation und Tatsache, daß die Bundesarmee wiederholt eine Hilfeleistung bei
der Wahrnehmung des Gesundheitsschutzes unterließ, sogar wenn es sich dabei um
Erste Hilfe für die gefährdete Bevölkerung handelte, sowie aufgrund der gegen der RH
ausgesprochenen Drohungen, gründete der Minister am 19. Dezember 1990 den Stab
des Gesundheitsdienstes der RH, dessen Aufgabe darin bestand, den Gesundheitsdienst
den unvorhergesehenen Umständen entsprechend zu organisieren.
Auf Vorschlag des Stabs, faßte der Innenminister der RH Josip Boljkovac am 4.
Februar 1991 den Entschluß über die Aufstellung der Mobilen chirurgischen Teams,
welche die Spezialeinheiten der Polizei unterstützen sollten, wodurch der Stab des
Gesundheitsdienstes der RH zum Sanitätsstab der RH wurde. Den ersten Einsatz
hatte eines dieser Teams in Pakrac am 2. März 1991 im Rahmen einer Aktion der
Antiterroristischen Einheit Lučko und die erste Intervention bei den Plitvicer
Seen am 31. März. Parallel mit der Entwicklung der kroatischen Streitkräfte ging
der Sanitätsstab der RH im April 1991 in den Hauptstab für Sanitätsdienst der RH
über, indem er die grundlegende und fundamentale Rolle in der Organisierung
eines dreifachen Schutzsystems übernahm, das aus Zivilschutz für Bevölkerung, aus
Sanitätsdienst zur Unterstützung der Polizei und ihrer Spezialeinheiten im Rahmen
des Innenministeriums sowie aus den Einheiten der Nationalgarde und anderen
neuerrichteten Verbänden des Verteidigungsministeriums bestehen sollte. Durch eine
Neuordnung vom 3. September 1991 wurde dann der Generalstab für Sanitätsdienst der
RH gegründet, dessen Befehlshaber Primarius Dr. Ivo Prodan wurde. Der Generalstab
bestand aus Abteilungen und Dienststellen, und übereinstimmend mit Verfügungen
des Ministers für Gesundheitswesen führte man zum ersten Mal in Kroatien ein neues
Verfahren in der Versorgung von Verwundeten als Staffelstellung ein:
- Erste Staffelstellung – Evakuierung der Verwundeten aus dem Gebiet entlang der ersten
Frontlinie in chirurgische Aufnahmeeinrichtungen sowie Erste-Hilfe-Leistung;
- Zweite Staffelstellung – chirurgische Aufnahmeeinrichtungen als erste Station für
chirurgische Hilfeleistung;
- Dritte Staffelstellung – provisorische Sanitätseinrichtungen als Reserve-Lokalitätan
(Feldspitäler) oder mit Teams für eine vollständige ärztliche Behandlung von
Verwundeten und Verunglückten ausgestattete Sanitätseinrichtungen nahe der
Frontlinie;
90
Medizinisches Zentrum Vukovar, Herbst 1991; Folgen der serbischen Aggression (Photo: Damir Radnić)
Vierte Staffelstellung – Sanitäts- und Rehabilitationseinrichtungen
(Tertiäreinrichtungen) für Schlußbetreuung und Versorgung von Verwundeten und
Verunglückten.
Auf diese Weise wurde in Kroatien innerhalb einer kurzen Zeit ein zweckmäßiges
und angemessenes Qualitätssystem im Bereich des Gesundheits- und Sanitätsdienstes
aufgebaut, das auf alle Herausforderungen erwidern konnte. Die Ergebnisse dieses
Dienstes im Heimatkrieg waren unter den optimalsten im Vergleich mit Weltkriegen.
Gewiß spielte der Generalstab für Sanitätsdienst der RH eine Hauptrolle in der
Organisation des Nachschubs von Arzneimitteln und Sanitätsmaterial für das
Vukovarer Krankenhaus, sowie beim Ersetzen vom chirurgischen und anderen
medizinischen Personal, besonders als über die Stadt eine völlige Blockade verhängt
wurde. Der Generalstab organisierte auch die Hilfskonvois für die Evakuierung von
Verwundeten. Dazu stand Minister für Gesundheitswesen Prof. Dr. Andrija Hebrang
mit der Direktorin des Krankenhauses Dr. Vesna Bosanac fast täglich in Verbindung.
Während der Aggression auf Kroatien im Herbst 1991 riessen Geschütze, Panzer,
Mehrfachraketenwerfer und Kampfflugzeuge der JNA etwa dreißig kroatische
medizinische Einrichtungen ab. Einige wurden sogar von mehreren tausend
-
91
verschiedenen Artielleriegeschossen
getroffen! Darunter hebt sich
besonders nach der Zahl der
Treffer und den unmöglichen
Arbeitsbedingungen das Vukovarer
Kriegskrankenhaus hervor.
Am Vorabend der serbischen
Aggression 1991 verfügte das
Medizinische Zentrum Vukovar
über 420 Krankenbetten und 933
Beschäftigte: darunter 104 Ärzte
und 337 Krankenschwestern.
Bis zum Ende der Belagerung
blieben im Krankenhaus etwa
350 Beschäftigte. Gleich nach der
Besetzung der Stadt wurden 250
von ihnen vertrieben. Die ersten
Opfer der serbischen Terroristen
wurden in das Medizinische
Zentrum Vukovar schon Anfang
April 1991 eingeliefert. Nach dem
am 2. Mai 1991 an kroatischen
Polizisten verübten Massaker in
Borovo Selo, als die Polizisten
aus einem Hinterhalt angegriffen
Vukovarer Krankenhaus; Folgen der serbischen Aggres- worden waren, führte man doppelte
sion (Photo: Damir Radnić)
Schichten und Bereitschaften für
die Mitarbeiter der chirurgischen
Poliklinik und Chirurgie des Vukovarer Krankenhauses ein. Von da an fingen die
serbischstämmigen Mitarbeiter ihre Arbeitsplätze zu verlassen. Trotz der Arbeitspflicht
stellten sich viele von ihnen auf die Seite des Aggressors.
Um die Arbeit des Personals und die Benutzung der räumlichen Kapazitäten des
Krankenhauses unter Kreigsbedingungen besser zu organisieren, wurde im Juli 1991
ein “Krisenstab” gegründet. In den Atomschutzkeller verlegte man Intensivstation,
Pädiatrieabteilung mit Brutkasten sowie 120 Montagebetten für Verwundete und
Personal. Der Schutzkeller verfügte über eine Sanitäranlage, eine Hilfsküche sowie
Lagerräume für den Arzneimittel-, Nahrungsmittel-, Bettwäsche-, und Wasservorrat.
Die Fenster und Tür des Souterrains und der Kellerräume waren mit Sandsäcken
und Holzbalken geschützt. Solange es die Umstände ermöglichten, schickte der
Generalstab für Sanitätsdienst der RH in Zagreb alle 14 Tage neue medizinische
92
Teams (einen Chirurg und einen Assistenzarzt oder zwei Chirurgen, dann wiederum
einen Anästhesiologen, manchmal auch einen Orthopäden sowie Medizintechniker
– Anästhesisten und instrumentierende Pflegekräfte) nach Vukovar.
Obwohl das Erkennungszeichen des Roten Kreuzes auf dem Dach und im Hof des
Krankenhauses klar und deutlich zu sehen war, fielen auf das Krankenhaus und
seine nähere Umgebung durchschnittlich etwa zwischen 70 und 80 Granaten täglich;
zuweilen sogar mehr als 700 Projektile. Infolge des fortwährenden Artilleriefeuers
der JNA und serbischen Paramilitärs, konnten die Patienten vom 25. August 1991
in den Krankenhausabteilungen nicht mehr untergebracht werden. Leben und
Arbeit im Krankenhaus mußten in Kellerräume verlegt werden: ins Souterrain, in
einen das alte und das neue Gebäude des Krankenhauses verbindenden Korridor
sowie in den Atomschutzkeller. Gips- und Röntgenraum im Souterrain wurden zu
Operationssälen Die Abdominaloperationen wurden auf dem Untersuchungstisch
im Behandlungsraum mit dem Röntgenappart, und alle anderen auf dem Gipstisch
und manchmal sogar auf Krankenfahrstuhlen und Krankenbahren, durchgeführt. In
solchen für ernstere chirurgische Eingriffe nicht vorgesehenen Räumen verrichtete
die Chirurgie des Vukovarer Krankenhauses ihre Arbeit. So standen 24 Stunden
Ruinen von „Borovo-Commerce“ in Borovo Naselje, das Gebäude wurde während des Schlußangriffs der JNA am 18. und 19. November 1991 zerstört; aufgenommen nach der serbischen
Okkupation (Autor Mag. Božo Biškupić).
93
täglich drei chirurgische Teams für die Operationen zur Verfügung. Die operierten
Patienten wurden gleich in den Schutzkeller versetzt, wo sich neben der Intensivund Pflegestation auch die Postoperative Pflege sowie die Pädiatrie (Abteilung für die
Neugeborenen und ihre Mütter) befanden. Im Soutterain des alten Krankenhauses
improvisierte man auch die Räume für Neurologie und Psychiatrie.
Bis zum Zeitpunkt als man noch Vukovar verlassen konnte, wurden die Schwerverwundeten
im Krankenhaus behandelt, und dann nach Vinkovci und Đakovo und weiter nach
Osijek oder Zagreb transportiert. Die fünf Hilfkonvois, die unter der Leitung des Teams
von Dr. Josip Husar seit Ende August bis Anfang Oktober 1991 organisiert wurden,
evakuierten mehr als 600 (632) Verwundete. Sobald es die Umständen erlaubten,
wurden die Leichtverwundeten in den Schutzkeller im Gebäude des Kombinats
“Borovo-Commerce” verlegt, wo auch ein Reservespital eingerichtet wurde. In dieser in
Vukovar am besten ausgestatteten Unterkunft, die mit Aggregaten und einer ständigen
Wasser- und Stromversorgung versehen war, verweilten etwa 250 Verwundete und 600
Zivilisten. Der Schutzkeller wurde durch Vorhänge aus Bettüchern „verteilt“, um die für
den Aufenthalt von Familien bestimmten Zimmer von dem für die Unterbringung der
Patienten geplanten Raum abzutrennen. Dadurch, daß die Leichtverwundeten weiter
transpotiert wurden, machte man Platz für neue Verwundete und Patienten frei. Der
letzte Umzug von etwa 30 Verwundeten vom Krankenhaus zum Firmengebäude von
„Borovo-Commerce“ beendete man in der Nacht am 8. November 1991. Während
solcher Unternehmungen riskierten Fahrer und Verwundete immer wieder ihr Leben.
Außerdem errichtete man eine zusätzliche Klinik in Ilok mit einigen Teams im Bereich
des primären Gesundheitschutzes, sowie einen Krankentrakt in Bogdanovci, der seinen
Dienst erfolgreich bis zur Okkupation leistete. Im Keller des Schlosses Eltz, daß aber
sehr bald zerstört wurde, hat man die Operationssäle ausgestattet. Der Rettungsdienst,
der auf allen Ebenen der freien Stadtteile wirkte, hatte seine Basis im Vukovarer
Krankenhaus. Nach ihrer Gründung im September 1991 wurde dem Krankenhaus
auch die militärische Sanitätseinheit des städtischen Verteidigungstabs angeschlossen.
Den primären Gesundheitsschutz, bestehend aus Ärzte- und Krankenschwesterteams,
organisierte man bei den städtischen Zivilunterkünften, was eigentlich auch
unbeaufsichtigtes Hinausgehen und eine größere Anzahl von Verunglückten
verhinderte. Der Gesundheitsschutz wurde im Kombinat “Borovo-Commerce”, in den
Schutzkellern von “Obućara” und Arbeiterverein in Borovo Naselje, in Wohnblöcken
“Banane” (Borovo Naselje) und “Centar” (Stadt Vukovar), in Olajnica und in den
Grundschulen “Ivo Lola Ribar” und “Vladimir Nazor”, im Keller des Handelsgeschäfts
“Alpina” sowie in den Weinkellern in Ribarska und im Schloß Eltz errichtet. Die
erwähnten Schutzkeller standen mit dem Krankenhaus ständig in Verbindung und
jeden Tag bekamen sie die erforderliche Menge an Arznei- und Sanitätsmaterial
geliefert. Ihnen wurden auch Ärzte und Krankenschwestern regelmäßig zugeteilt.
94
Von links nach rechts: Dr. Stanko Kušt, Krankenschwester Zorica Ganić und Vesna Belinić, Medizintechniker
Ante Arić, Dr. Boris Kratofil, Dr. Edin Zujović im Erholungsraum für das medizinische Personal im Röntgenraum
im Keller des Krankenhauses, Oktober/November 1991 (das Photo ist eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil)
Seit Ende August verließ der Großteil des Personals das Krankenhaus äußerst selten. Die
fortlaufende Aufnahme, Behandlung und Versorgung der Verwundeten verlangte von
Ärzten, Krankenschwestern und anderem medizinischen Personal übermenschliche
Anstrengungen. Am Anfang war jeder Verwundete gleich nach der Aufnahme einer
diagnostischen Behandlung untergezogen, aber während der letzten zwei Monate,
nachdem Labor und Röntgenraum zerstört worden waren, konnte man nur den
elementaren Laborstatus bestimmen und die radiologische Untersuchung durchführen.
Über jede verwundete Person wurde eine genaue und vollständige Evidenz gehalten.
Die Soldaten der JNA beschlagnahmten nach dem Einzug ins Krankenhaus die ganze
medizinische Dokumentation, bzw. die Krankenakten. Das ist auch der Grund, warum
eine präzise Anzahl von aufgenommenen und behandelten Verwundeten und anderen
Patienten so schwer festzustellen ist. Aber aufgrund der zugänglichen Angaben kann
man mit großer Wahrscheinlichkeit doch behaupten, daß im Medizinischen Zentrum
Vukovar während des Krieges mindestens 2500 Verwundete ärztlich versorgt wurden.
Es wurden mehr als 1000 schwere chirurgische Eingriffe vorgenommen. Der jüngste
Verwundete war 6 Monate und der älteste 88 Jahre Jahre alt. Im Durchschnitt wurden
also etwa 30 Verwundete täglich eingeliefert, aber es gab die Zeiten, als es sogar
92 waren und die Mehrheit von ihnen eine dringende Operation benötigte, was
95
wiederum bedeutete, daß zwei Anästhesiologen an einem Tag sogar 78 mal Anästhesie
verabreichen mußten. Nach einer Einschätzung machten die Zivilisten 70% der
Gesamtzahl der Verwundeten aus, ihnen folgten die Gardisten mit 25% und Polizisten
mit 5%. Mehr als 80% der Wunden entstanden als Folge einer Explosion, weniger als
10% wurden durch ein Geschoß verursacht und etwa 5% der Verletzungen stellten
durch Napalmbomben zugezogene Verbrennungen dar. Die restlichen Verletzungen
entstanden durch eingestürzte Gebäude und Luftangriffe. Die Sterblichkeit, die Ende
September zwischen 1,5 – 1,7% betrug, stieg aufgrund der außerordentlich schweren
Arbeitsbedingungen unmittelbar vor der Okkupation auf 3%.
Während der heftigsten Angriffe auf die Stadt wurden 16 Kinder im Krankenhaus
geboren, fünf davon waren Frühgeburten. Vier überlebten (I. B., K. V., E. Đ., I. B.),
aber eine, die nur 700 Gramm wog, starb am dritten Tag nach ihrer Geburt. Alle
Verwundeten erfuhren die gleiche Behandlung, ohne Rücksicht auf ihre religiöse oder
ethnische Angehörigkeit. Im Krankenhaus wurden auch die Soldaten der JNA sowie
die berüchtigten Mitglieder der serbischen paramilitärischen Verbände, versorgt.
Einige dieser Soldaten unterstützten
sogar auf ihre eigene Forderung
und durch ihre Unterschriften den
Aufruf, den die Direktorin des
Krankenhauses Dr. Vesna Bosanac
zur Einstellung jeglicher Angriffe
auf das Krankenhaus erließ. Einer
der Soldaten, der an Folgen vom
Gasbrand gestorben war, bekam 6
Bluteinheiten verabreicht, obwohl sie
Mangelware darstellten. Es war eine
Ironie des Schicksals, daß der Feind
das Krankenhaus beschoß, als drinnen
seine verwundeten Soldaten behandelt
wurden. So kam ein Kanonengeschoß
durch das Kellerfenster des Zimmers
hineingeflogen, in welchem die
Soldaten der JNA untergebracht
Von links nach rechts: Dr. Željko Jelinčić, Dr. Ivica
worden waren, und als es über
Matoš, Dr. Boris Kratofil, Dr. Tomislav Vlahović,
Dr. Vesna Bosanac, Dr. Juraj Njavro und Dr. Stanko ihre Köpfe vorüberflog und durch
Kušt (sitzt am Boden) im Aufnahmeraum (im die Wand des Nachbarzimmers,
Krieg diente er als Arbeitszimmer von Dr. Vesna das als Erholungszimmer für das
Bosanac), Oktober/November 1991 (das Photo ist medizinische Personal fungierte,
eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil)
schlug, bohrte es sich in den Fußoden
hinein, aber es explodierte nicht.
96
Von links nach rechts: Krankenschwester Vesna Belinić (hält eine Kompresse in der Hand), Dr. Boris Kratofil, Krankenschwester Mihaela Brajković in dem improvisierten Operationssaal, im Keller des Krankenhauses (zu Friedenszeiten die Ambulanz für kleinere chirurgische Eingriffe), Oktober/November 1991 (das Photo ist eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil)
Von links nach rechts: Dr. Boris Spajić (mit gekehrten Rücken) im Gespräch mit der Oberkrankenschwester Binazija Kolesar; Medizintechniker-Anästhetiker Zlatko Bukor (mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt) im Flur vor
der Chirurgieambulanz, Oktober/November 1991 (das Photo ist eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil)
97
Über die katastrophalen Formen, welche die Zerstörung des Vukovarer Krankenhauses
sowie die Arbeitsbedingungen, mit denen sich Verwundete, Ärzte, Krankenschwester und
Medizintechniker konfrontiert sahen, annahmen, war die inländische und ausländische
Öffentlichkeit rechtzeitig informiert. Dr. Vesna Bosanac erließ fast alltäglich Aufrufe zur
Hilfe und Rettung von Verwundeten sowie Proteste gegen alltägliche Beshießung und
Zerstörung des Krankenhauses. Sie wendete sich mehrmals an die Regierungsmitglieder
der RH, die Befehlshaber der Kroatischen Armee und an die im Hotel „I“ in Zagreb
untergebrachten Beobachter der Europäischen Gemeinschaft, an Papst Johannes Paul
II. und andere Staatsmänner und Amtsträger (den Vorsitzenden des Ministerrates der
Europäischen Gemeinschaft Hans Van Den Broek, französichen Präsidenten Fransois
Mitterand, italienischen Präsidenten Francesco Cossiga, deutschen Bundeskanzler
Helmut Kohl, britischen Premierminister John Major, Präsidenten der Vereinigten
Staaten George W. Bush, australischen Ministerpräsidenten Robert James Lee Hawk).
Die Direktorin des Vukovarer Kriegskrankenhauses Dr. Vesna Bosanac und der
Kommandant des Sanitätsdienstes der Gemeinde Vukovar Dr. Juraj Njavro, wurden mit
anderen Ärzten und Krankenschwestern zum Symbol der Humanität. Infolge dieser fast
drei Monate andauernden Belagerung leisteten sie Tag und Nacht ihre Arbeit. Sie gönnten
sich keine Ruhe und Erholung und arbeiteten bis an die Grenze der Erschöpfung. Die
Operationen wurden auch während der Beschießung der Stadt und des Krankenhauses
ausgeführt. Das ganze Personal kümmerte sich um die Verwundeten, als ob es sich um
ihre eigenen Familienmitglieder handelte. Leid und Qual der Patienten berührten das
Personal tief. Alle bewahrten in ihrem Gedächtnis einen sehr attraktiven jungen Mann,
der die ganze Nacht weinte, weil er ein Bein verloren hatte. Aber alle erinnerten sich
auch an den außerordentlichen Kampfgeist der Verwundeten trozt ihrer Not und ihres
schweren Zustands, die oft Lieder über Kroatien sangen.
Bis Mitte September wurden Arznei- und Lebensmittel regelmäßig zugestellt.
Medikamente und Sanitätsmaterial wurden von dem Generalstab für Sanitätsdienst
des Ministeriums für Gesundheitswesen, der Caritas und vielen nichtstaatslichen
Vereinigungen und Einzelnen geliefert. Aber nachdem die Stadt völlig blockiert
worden war, wurden die Arbeits- und Lebensbedingugen immer härter, Wasser- und
Stromversorgung sowie Heizung abgebrochen, und die Anzahl der Verwundeten
wurde Tag für Tag immer größer. Seit Mitte Oktober wurden Soutterain und
Schutzkeller so überfüllt, daß die Verwundeten in Fluren, Warte- und Röntgenraum
sowie Ambulanzen untergebracht wurden. Zuweilen teilten sich zwei Patienten
ein Bett. Sie lagen auf Matratzen am Fußboden oder sogar auf Bänken und
Behandlungsstuhlen, so das sie vom medizinischen Personal kaum erreichbar waren.
Hygiensiche Bedingungen erfüllten kein Mindestmaß. In Ermangelung der
Arzneimittel, versuchte man die ganze Situation zu mildern, indem man Vorräte aus
Apotheken in Mitnica, Borovo und Stadtzentrum holte und sie dann rationell und
98
zweckmäßig verbrauchte. Wegen
einer immer größerer Anzahl
der Verwundeten, gingen die
tapferen
Logistik-Mitarbeiter
immer wieder in die Stadt auf
die Suche nach Medikamenten,
Sanitätsmaterial und Bettwäsche,
wobei sie immer wieder ihr
Leben riskierten. Es mangelte
an Antibiotika, Analgetika und
Verbänden. Auch die Anästhesie
mußte wegen einer eher geringen Hof des Hafenamtes unmittelbar vor dem Ende der BeVorratsmenge sehr ökonomisch lagerung von Vukovar (Autor: Ante Arić)
und vorsichtig verabreicht werden.
Die kleineren chirurgischen Eingriffe konnten durch die Anwendung der Lokalanästhesie
ausgeführt werden, aber man benutzte immer öfters eine Spinalanästhesie. Durch diese
rückenmarknahe Form der Anästhesie wurden durch die Injektion eines Anästhetikums
in die Wirbelsäule die Signalübermittlung in den vom Rückenmark ausgehenden
Nerven gehemmt, was zu Empfindungslosigkeit und Schmerzfreiheit in der unteren
Körperhälfte führte. Die Verwundeten waren bei vollem Bewußtsein, aber sie fühlten
keine Schmerzen. Auch mit Plasma mußte man eher sparsam umgehen. Den Mangel an
Blutderivaten gliechen Stadtbewohner, Vertediger und medizinisches Personal durch
freiwillige Blutspenden aus. Trotz Kriegsbedingungen wurden alle Blutspender vor der
Abgabe untersucht, sowie auch jede Blutspende vor ihrer Verwendung. Während der
dreimonatigen Kämpfe spendete man insgesamt 1700 Bluteinheiten.
Da die Granaten neben dem Labor und Röntgenraum auch die Anlage der
Sterilisationsabteilung zerstörten, wurden die für die Operationen benötigten
Materialien (Operationsbekleidung, Instrumenten, Handschuhe) seit Mitte
Oktober in drei Heißluftsterilisatoren von lebenden Mikroorganismen befreit,
und die einzige Kotrolle bei der Sterilisation stellten Kontrollbänder dar. Alle drei
Heißluftsterilisatoren wurden wegen der Beschädigung des Gebäudes oft umgestellt.
Bei der Errichtung des Sterilisationsraums improvisierte man im Atomschutzkeller.
Drei Krankenschwestern brachten bei einer pausenlosen Arbeit auch fertig, genug
Sterilmaterialien, Instrumenten und Bekleidung für die Chirurgie zu sichern.
Die Toten wurden am Anfang auf städtischen Friedhöfen begraben: auf dem Gelände
von Novo und Bugarsko groblje (Neuer und Bulgarischer Friedhof), dann aber in
gemeinsamen Massengräbern und später auf dem alten Friedhof nahe des Stadions
des Fußballklubs „Sloga“, vor dessen Mauer ein großer Grab ausgegraben worden
war. Zum Schluß wurde die “Bestattungsabteilung” in das alte Verwaltungsgebäude
des Hafenamts gegenüber des Krankenhauses untergebracht. Die im Krankenhaus
99
gerstorbenen Patienten sowie die Leichen von Gefallenen, die aus verschiedenen
Stadtteilen eingeliefert worden waren, wurden in den Hof des Hafenamtes gelegt,
damit man die Beisetzung vorbereiten konnte. Als man keine Särge mehr hatte,
wurden die Leichen in mit Nummern versehenen Plastiksäcke eingewickelt. Eine
Anzahl von Leichen wurde dort auch begruben. Etwa 110 nicht beigelegten Leichen,
die man im Hof des Hafenamts angetroffen hatte, wurden von serbischen Soldaten
und Journalisten verfälscht als Opfer kroatischer Soldaten dargestellt. Man begrub die
Leichen auch einzeln, in geschirmten Räumen (Garagen, Gärten u.ä.), aber infolge
von pausenlosen Kämpfen konnte man während der letzten zehn Tage der Belagerung
nicht alle gefallenen und gestorbenen Menschen begraben, und so bedrohte die Stadt
und das Krankenhaus eine Epidemie, die katastrophale Formen annehmen konnte.
Sie brach aber trotz der entsetzlichen Lebensbedingungen nicht aus.
Das städtische Wasserwerk wurde schon Mitte September völlig vernichtet,
infolgedessen der Wassermangel deutlich zu spüren war. Der Atomschutzkeller
verfügte über eigene Wasserspeicher mit einem Fassungsvermögen von 12.000
l und einen Wasserspeicher in der Wäscherei mit Kapazität von 2000 l. Der
tägliche Vebrauch betrug zwischen 2000 und 3000 l. Das Wasser wurde unter
ununterbrochenem Artilleriefeuer mit Zisternen von Borovo eingeliefert, bis zum
Zeitpunkt als sie auch getroffen und zerstört wurden. Drei Feuerwehrmänner verloren
dabei ihr Leben. Während der letzten zwei Wochen der Belagerung holte man Wasser
von naheliegenden Brunnen, die mehr als 30 Jahre nicht in Funktion waren, so daß
man nur 150 l alle zwei Stunden schöpfen konnte (etwa 500-600 l täglich und aus
Sicherheitsgründen gewöhnlich nachts). Das Wasser wurde gleich mit einer 10 mal
größerer Dosis von Izosan-G behandelt. Man destillierte es in einem naheliegenden
Haus in einem Brantweinkessel. Die tägliche Wassermenge für Trinken und Hygiene
wurde auf einen halben Liter reduziert. Als technologisches Wasser verbrauchte man
das Wasser aus Rohren der zerstörten Zentralheizung. Das Krankenhauspersonal
wartete auf Regenwasser, um sich zu waschen. Nachdem es auch mit Chlor behandelt
worden war, wurde das Regenwasser zusätzlich als Trinkwasser verwendet.
Infolge der begrenzten Wasser- und Strommenge arbeitete die Wäscherei nur noch
nachts, da die Chirurgie Vorrang hatte. Die Maschinen schaltete man auf Handbetrieb
um, denn man versuchte das Wasser rationell zu verwenden. Die zweite und dritte
Ausspülung benutzte man als erstes Auswaschen. Diese Situation dauerte bis Anfang
November an, als die Wäscherei in einem Artillerieangriff teilweise niedergerissen
wurde. Das Personal der Wäscherei und die Putzkraft haben von da an die schmutzige
Operationsbekleidung in beschränkten Mengen im Kaltwasser gewaschen und
in Gängen getrocknet. Trotzdem fehlte der Chirurgie nie saubere Wäsche. Gewiß
erschwerte der Wassermangel die Sauberhaltung der Räume des Krankenhauses, da
nur 24 Putzfrauen übriggeblieben waren. Aufgrund dieses Wassermangels konnte
man auch keine Filme der Radiologieabteilung ausspülen, und so mußten die
100
Aufnahmen gleich bei der Entwicklung, als sie noch feucht waren, studiert werden,
weil sie sich durch das Trocknen trübten.
Als Mitte September die Stromversorgung des Krankenhauses abbrach, welche die
tapferen Mitarbeiter der Kroatischen Stromwerks Vukovar alltäglich aufrechtzuerhalten
versuchten, wurde der elektrische Generator (Aggregat) des Krankenhauses, der eine
Leistung von 186 kW hatte, in Betrieb gesetzt. Ohne größere Schwierigkeiten arbeitete
er bis Mitte Oktober, als er durch die Granaten der JNA zerstört wurde. Danach
installierte man ein Aggregat der Fabrik Borovo, mit einer Leistung von 168 kW.
Während seiner Montage arbeitete das mobile Aggregat mit einer Leistung von 40 kW
für den Bedarf der Chirurgie. Das Erdöl dafür wurde aus Privatdepots in Blechtonnen
herbeigeschafft. Nachdem aber auch dieses mobile Aggregat Granaten gesprengt hatten,
schalteten die Mitarbeiter des Kroatischen Stromwerks und der Fabrik „Borovo“ in
der Trafostation Priljevo das Krankenhaus direkt auf das Aggregat der Fabrik um.
Es hatte aber weniger Leistung und seine Spannung oszillierte immer wieder. Diese
direkte Verbindung benutzte man nur für die Wäscherei während der Nacht, wenn es
wenige Operationen gab. Durch die Eroberung von Lužac Anfang November kam es
zu einem Zusammenbruch in der Stromversorgung. Man wurde dazu gezwungen, im
Operationssaal ein Aggregat der Leistung von 28 kW aus der zerstörten Polizeistation zu
benutzen. Da aber seine Kraft nicht einmal für den Röntgenapparat reichte, stellte man
einen zusätzlichen Hilfsaggregat am Eingang des Krankenhauses mit einer Leistung von
10 kW auf. All das aber deckte die Bedürfnisse des Krankenhauses nicht, und so mußten
die chirurgischen Eingriffe im Licht der Batterien, Wachskerzen und improvisierten
Öllampen („uljanica“), die das Personal selbst bastelte, ausgeführt werden. Die Kerzen
holte man aus Depots des Zagreber Kaufhauses „Na-Ma” und dem Laden von VUPIK in
der Gundulićeva Straße in der unmittelbaren Nachbarschaft des Krankenhauses.
Im September wurde auch die Heizungsanlage kapputgemacht, und im Gebäude
war es sehr kalt. Alles was das Personal allmählich reparieren konnte (Sterilisator,
Wasserleitungen, Aggregate, Küche), wurde aber bald wieder vernichtet. Und so blieb
die Frage offen, ob das aufgrund der außerordentlichen Intensität des Artilleriefeuers,
das alles systematisch zu zerstören versuchte, geschah, oder weil der Feind von
jemandem aus dem Krankenhaus die genauen Informationen über die Reparaturen
bekam, was ihm dann ermöglichte die Infrastruktur des Krankenhauses durch seine
Projektile gezielt und wiederholt stark zu beschädigen.
Die zerstörte Küche wurde ins Erdgeschoß des alten Gebäudes verlegt, in die Ambulanz
für Ophthalmologie. Beim Kreigsausbruch wurden etwa 450 Speisen zubereitet, drei
Portionen täglich, und am Ende der Belagerung mehr als 700. Trotz der Tatsache,
daß auch diese improvisierte Küche immer wieder beschossen wurde, bereiteten
4 qualifizierte und 5 Aushilfsköchinen auf drei mit Holz geheizten Küchenherden
alltäglich 3 Mahlzeiten für Patienten, Verwundete und Personal, vor.
101
Auch die Anschaffung des Brotes war lebensgefährlich, da die Bäckerei in Priljevo (im
Umkreis des Silos von VUPIK), zwischen Borovo Naselje und Vukovar, auch öfters
getroffen wurde. Die erneuten Versuche eine Bäckerei zu errichten um die Versorgung
mit Brot zu verbessern, scheiterten immer wieder. Während eines Angriffs verloren
in einer Bäckerei fünf Menschen ihr Leben. Deswegen wurde im Reservespital im
Gebäude von „Borovo-Commerce” Fladen ohne Hefe gebacken, die dann man in der
Nacht distribuierte. Die Menge war so klein, daß man Probleme hatte, es irgendwie
zu verteilen. Natürlich hatten die Verwundeten den Vorrang. Als die Verbindung zu
Borovo während der letzten zwei Wochen abgebrochen wurde, buk man das Brot in zwei
Privathäusern in der Nähe des Krankenhauses, am häufigsten ohne Hefe, was widerum
dazu führte, daß die Brotwecken sehr hart waren und den Namen „Panzer-Fladen“
erhielten. Jeder Patient bekam eine ganze Schnitte und die Mitglieder des Personals
eine halbe. Bis zum bitteren Ende und wenn das die Umstände ermöglichten, wurden
die Extramahlzeiten für Diabetiker und Patienten mit Verdauungsstörung zubereitet.
Das Problem der Fleischversorgung löste man durch das Schlachten des Viehs an Ort
und Stelle am Stadtrand (in Mitnica), gleich an der Front. Neben der regelmäßigen
Versorgung, die die Mitararbeiter der Logistik des Krankenhauses verrichteten,
wurde das Krankenhaus auch von der Caritas und den tapferen Einzelpersonen mit
Lebenssmitteln beliefert. Diese Menschen riskierten immer wieder ihr Leben, um
mit Kombiwagen die Nahrung bis zum Krankenhaus zu fahren, was besonders für
die Fahrer aus Đakovo und umliegenden Dörfern galt, beispielsweise aus Petrovci,
die frische Milch und frisches Gemüse zustellten. Aufgrund des vorhandenen
Lebensmittelvorrats war es eher schwierig gutes Essen für alle Menschen im
Krankenhaus vorzubereiten. Es kam vor, daß an einem Tag für ein Fleischgericht,
das 600 Leute sättigen sollte, nur ein Schwein reichen mußte. Dewegen bekam
das medizinische Personal kleinere Portionen, und zum Abendessen öfters nur
Milchreis. Der Mangel an Lebensmitteln sowie die übermenschliche Anstrengungen
trugen dazu bei, daß die Mitglieder des Personals bis zu 10 kg an Gewicht verloren.
Im Oktober wurden die Fleischportionen noch kleiner, bis dann das Fleisch ganz
von der Speisekarte verschwand. Ab und zu schickte die Nationalgarde die sog.
„Lebensmittelpakete“, die man dann unter Patienten verteilte.
Nach der Eroberung der Stadt schleppten die Soldaten der JNA am 20. November 1991 etwa
400 Verwundete und Krankenhausbeschäftigte sowie ihre Familienmitglieder und andere
Zivilisten aus dem Krankenhaus fort. Davon wurden mindestens 267 Personen ermordert
oder vermißt. Nur in Ovčara tötete man 200 Menschen, unter ihnen auch 20 Mitglieder
des medizinischen Personals. Während die Soldaten der JNA diese Menschen aus dem
Krankenhaus fortzerrten, hielt ihr Befehlshaber und “Offizier” der JNA Veselin Šljivančanin
eine “Siegesrede” vor den übrigen Personal-Mitgliedern, in der er hervorhebte, daß die
JNA und andere serbische Verbände um ein gemeinsames Ziel zusammen kämpften.
102
Bruchstücke der Chronologie der Ereignisse im
Vukovarer Krankenhaus 1991
2. April (Dienstag):
Ins Krankenhaus wurde schwer verwundete Lj. N. eingeliefert, auf die, während ihrer
Fahrt nach Bršadin, die serbischen Terroristen schossen, wodurch sie eine schwere
Verletzung der Kniebeuge erlitt. Nach ihrer Verwundung organisierte Dr. J. Njavro
im Ruderverein Vukovar einen Erste-Hilfe-Kurs für die Frauen.
Im April wurden ins Krankenhaus mindestens 4 Verwundete eingeliefert.
2. Mai (Donnerstag):
Nachdem die serbischen Terroristen in Borovo Selo bei Vukovar aus dem Hinterhalt 12
kroatische Polizisten getötet und 21 verwundet hatten, brachte man ins Krankenhaus
21 Verwundete: 15 kroatische Polizisten und 6 serbische Terroristen. Alle wurden
nach bestem Wissen und Gewissen versorgt.
Im Mai wurden ins Krankenhaus mindestens 39 Verwundete eingeliefert.
Juni:
Die Freiwilligen, die die Verteidigung von Vukovar organisierten, wurden
gegen Tetanus geimpft. Auch ihre Blutgruppe wurde bestimmt. Man begann
die Hilfsambulanzen in verschiedenen Stadtteilen auszustatten (Schloß Eltz,
Mitnica usw.): einige Krankenbetten, ein kleiner Operationssaal mit einem älteren
Anästhesiezubehör, ärztlichem Instrumentarium, Arzneimitteln und Sanitätsmaterial.
All das verschaffte der Generalstab für Sanitätsdienst der RH mit Hilfe verschiedener
Privatorganisationen.
3. Juni (Montag):
Nach einem Zwischenfall, als man aus einem PKW die Menschen nach einem
Fußballspiel beschoß, wobei zwei Kroaten verwundet und ins Krankenhaus
eingeliefert worden waren, trafen in Sremski Čakovci 17 Panzer, 4 Panzer- und 2
Sanitätswagen der JNA ein.
103
17. Juni (Montag):
Die JNA baute in Bobota ein Feldlazarett auf, zu dessen Personal auch die
serbischstämmigen Ärzte des Vukovarer Krankenhauses Dr. R. D. und Dr. Lj. C. von
da an zählten.
Im Juni wurden ins Krankenhaus mindestens 7 Verwundete eingeliefert.
Juli:
Man beschloß den Atomschutzkeller, der neben dem neuen Krankenhausgebäude
gebaut und durch einen Korridor mit dem Krankenhaus verbunden wurde,
aufzuräumen und auszustatten. Man organisierte auch ein Lkw mit NATOLebensmittelpaketen (Konserven, Tabletten für die Wasserdesinfektion, Päckchen für
Kaffeevorbereitung, Schokoladentafeln u.a.). Auch die Sandsäcke für den Schutz der
Öffnungen im Erdgeschoß wurden vorbereitet. Das Krankenhaus hatte Vorräte an
Arzenimitteln, Kleidung und allen anderen Materialien, die man als notwendig für das
Überleben unter Kriegsbedingungen hielt. Aber keiner ahnte, daß der Krieg so brutal
werde. Im Keller des Schlosses Eltz bereiteten die Freiwilligen des 1. Sanitätszuges
der 124. (204.) Brigade der Nationalgarde einen Lager für Sanitätsmaterial vor.
4. Juli (Donnerstag):
Nach einem mehrstündigen Kampf wiesen die kroatischen Gardisten und Polizisten
ein kombiniertes Artillerie- und Infanterieangriff der aufständischen Serben von
Borovo Selo aus auf Borovo Naselje zurück.
25. Juli (Donnerstag):
Zur stellvertretenden Direktorin des Medizinischen Zentrums Vukovar wurde Dr.
Vesna Bosanac ernannt.
Der Krisenstab des Medizinischen Zentrums Vukovar wurde gegründet.
Im Juli wurden ins Krankenhaus mindestens 56 Verwundete eingeliefert.
1. August (Donnerstag):
Durch ein Luft- und Artillerieangriff der JNA auf Vukovar und Borovo Naselje wurde
der Operationssaal ins Souterrain und in den Atomschutzkeller des Krankenhauses
verlegt. Auch andere Räume für Behandlung und Aufnahme von Patienten aller
Krankenhausabteilungen waren errichtet worden.
3. August (Samstag):
Die kroatischen Verteidiger kontrollieren Lužac.
104
5./6. August (Montag/Dienstag):
Die Granaten fielen auf das Verwaltungsgebäude des Krankenhauses. Die Verwundeten
und Kranken wurden in den Schutzkeller und ins Souterrain versetzt.
11. August (Sonntag):
Die Verwundeten und Kranken wurden in die Abteilungen des Krankenhauses
zurückgebracht.
13. August (Dienstag):
Ein heftiger Angriff auf Borovo Naselje und Vukovar (Krankenhaus und seine
Umgebung) von Borovo Selo sowie von Kriegsschiffen der JNA auf der Donau aus
(in dreieinhalb Stunden trafen die Stadt etwa 120 Projektile).
20. August (Dienstag):
Die Kinder aus Vukovar hatte man in „Sommerferien“ evakuiert. Sie kehrten in die
Stadt wegen der Vorbereitungen für das neue Schuljahr zurück.
Seit 1. bis 24. August:
Wurden ins Krankenhaus mindestens 31 Verwundete eingeliefert.
24. August (Samstag):
Die Kapmfflugzeuge der JNA feuerten die Raketen auf die verlassene Stellung der
Nationalgarde in Opatovac ab und eröffneten Maschinengewehrfeuer auf den
Silo Đergaj bei Bršadin. Dem kroatischen Gardist Luka Andrijanić gelang es zwei
feindliche Kampfflugzeuge zu treffen.
25. August (Sonntag):
Ein in einer Kolonne von Vukovar nach Borovo Selo fahrendes Militärfahrzeug der
JNA schwankte von der Borovska Straße ab und fuhr auf eine Panzerabwehrmine:
4 verletzte Soldaten, davon 2 schwer wurden ins Krankenhaus eingeliefert. Auf
Verlangen der JNA wurden sie in die Militär- und Medizinische Akademie nach
Beograd transportiert.
Mit einem heftigen Artillerie- und Luftangriff auf Vukovar und Borovo Naselje fing
eine fast drei Monate andauernde Belagerung der Stadt. An diesem Tag ladeten die
Kampfflugzeuge der JNA mehr als 15 Bomben auf das Krankenhaus ab, wobei der Arzt
V. H. (28 Jahre alt) verwundet wurde. Die Geschosse zerstörten zwei Operationssäle
im zweiten Stockwerk, weswegen alle Patienten und das Personal ins Souterrain und
105
in den Atomschutzkeller evakuiert wurden.
Im Krankenhaus befanden sich 32 Patienten (größtenteils Verwundete).
26. August (Montag):
Ein neuer heftiger Angriff der JNA begann um 9 Uhr mit dem Überflug der
Kampfflugzeuge des Typs “galeb” (“Möwe”): etwa 1200 Granaten trafen Borovo
Naselje und Zentrum Vukovars. Das Krankenhaus trafen zwei Boden-Boden Raketen
und es wurde auch von Scharfschützen unter Beschuß genommen. Ins Krankenhaus
wurden mindestens 42 Verwundete eingeliefert, darunter Bruder (D. B., 11 Jahre alt)
und Schwester (J. B., 16 Jahre alt).
Die Ruinen des Schlosses Eltz verschütteten einige Angestellte der Verwaltungsdienstes.
Während einer Intervention wurde auch der mit einem großen Erkennungszeichen
des Roten Kreuzes gekennzeichnete Wagen des Rettungsdienstes von einem Geschoß
aus der Vojvodina getroffen. Der Arzt S. T. (29 Jahre alt) war schwer verletzt – Mittelohr
und Gleichgewichtsorgan, Medizintechniker A. K. (28 Jahre alt) und Fahrer M. Z. (36
Jahre alt) erlitten leichtere Verletzungen.
27. August (Dienstag):
Die Scharfschützen schossen öfters auf das Krankenhaus.
In der Stadt wurden 8 Menschen getötet und ins Krankenhaus mindestens 15
Verwundete eingeliefert.
28. August (Mittwoch):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 13 Verwundete eingeliefert. Insgesamt waren
es mehr als 70.
29. August (Donnerstag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 6 Verwundete eingeliefert.
30. August (Freitag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 15 Verwundete eingeliefert.
31. August (Samstag):
In Mitnica und Borovo Naselje wurden 26 Zivilisten verwundet, darunter auch neun
Kinder.
Ins Krankenhaus wurden mindestens 28 Verwundete eingeliefert.
106
1. September (Sonntag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 3 Verwundete eingeliefert.
2. September (Montag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 8 Verwundete eingeliefert.
3. September (Dienstag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 13 Verwundete eingeliefert.
4. September (Mittwoch):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 11 Verwundete eingeliefert.
Die serbische Artillerie und das Maschinengewehrfeuer griffen den medizinischen
Hilfskonvoi mit Patienten mit Kopf- und Gehirnverletzungen auf dem Weg nach
Zagreb an. Der Konvoi, der sich in einen Kanal entlang der Straße rettete, brauchte 6
Stunden um Vinkovci zu erreichen.
5. September (Donnerstag):
Kurz vor 6 Stunden begann bis dann der heftigste Artillerie- und Luftangriff: jede
Minute fiel auf die Stadt eine Granate oder Rakete. Auch das Altenheim wurde
getroffen; 4 ältere Personen wurden getötet und 6 verwundet. Ins Krankenhaus
wurden mindestens 17 Verwundete eingeliefert.
Dr. Vesna Bosanac macht die Angabe über 36 Gefallene und 210 Verwundete publik;
im Krankenhaus arbeiten im Augenblick nur 250 Personen.
6. September (Freitag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 5 Verwundete eingeliefert.
7. September (Samstag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 8 Verwundete als Folge des Artillerieangriffs
der JNA nur einige Stunden nach der Unterzeichnung eines Waffenstillstands
eingeliefert.
8. September (Sonntag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 7 Verwundete eingeliefert.
107
9. September (Montag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 9 Verwundete eingeliefert.
10. September (Dienstag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 6 Verwundete eingeliefert.
Das Maschinengewehrfeuer tötete die Mitarbeiterin des Röntgenabteilung Lj. O. (39
Jahre alt) auf dem Weg von der Arbeit nach Hause.
11. September (Mittwoch):
Obwohl ein Waffenstillstand unterzeichnet worden war, wurde Vukovar von Petrova
Gora aus unter Beschuß genommen, aber es gab keine Opfer.
12. September (Donnerstag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 7 Verwundete eingeliefert.
13. September (Freitag):
Während der Beschießung der Fabrik “Borovo” tötete die Jugo-Armee 10 (darunter
auch ein Kind) und verwundete 6 Personen.
Die Eltern brachten ein 6-jähriges Mädchen (D. J.) aus Borovo Naselje ins
Krankenhaus. Sie hatte mehrfache schwere Körperverletzungen (Bauch, Brustkorb,
Leber und rechte Niere). Das Mädchen wurde durch einen Granatsplitter getroffen,
als sie einem Ball nachlief. Obwohl die Situation als aussichtlos eingeschätzt wurde,
überlebte das Mädchen und lebt heute in Vukovar.
Ins Krankenhaus wurden mindestens 6 Verwundete eingeliefert; darunter 3 aus
Mitnica.
Die Vertreter des Roten Kreuzes verhandelten in Vukovarer Kaserne über die
Freilassung der Geiseln aus Berak. Danach besuchten sie das Krankenhaus. Der
kroatischen Seite schlugen sie einen Austausch nach dem Prinzip “alle für alle” vor,
was bedeuten würde, daß auch serbische Terroristen befreit werden sollten.
14. September (Samstag):
Bei einem Luftangriff wurde “Slavija” zerstört, die letzte geöffnete Apotheke in
Vukovar; pharmazeutisch-technische Assistentin R. J. brachte übriggebliebene
Medikamente ins Krankenhaus.
In einem besetzten Stadtteil wurde Krankenschwester Z. M. (geb. 1961) getötet.
Ins Krankenhaus wurden mindestens 36 Verwundete eingeliefert.
108
15. rujna (Sonntag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 40 Verwundete eingeliefert.
Nach einer durchwachten Nacht und nachdem der Versuch sich ein bißchen auszuruhen
kläglich gescheitert hat, stehe ich am Eingang des Krankenhauses. Man hört schwere
Detonationen von allen Seiten, in Sajmište, Mitnica und Borovo Naselje. Allem
Anscheine nach wird der heutige Tag ähnlich dem gestrigen verlaufen. Ich fürchte, daß
viele Menschen verwundet und die Stadt noch stärker zerstört wird. Die Granaten
fallen in den Hof. Ich bringe mich in Sicherheit und suche den Schutz im Keller. Der
Hof ist durch die Granaten so zerwühlt, daß sein Betreten auch tagsüber gefährlich ist,
geschweige denn nachts, weil wenn einen auch keine Granate trifft, es könnte passieren,
daß man bei diesen Löchern mehrere Brüche erleidet. Als ich mich dann in den Keller
begeben habe, sehe ich die ersten Vewundeten kommen. Die ersten drei kommen aus
Mitnica, drei Verteidiger, die an der ersten Kampflinie einen Transporter aufzuhalten
versuchten. Sie waren dabei erfolgreich, aber eine Panzergranate zerstörte das Haus,
das ihnen als Versteck diente und die Granatenscherben verletzten sie. Die Wunden
werden schnell gereinigt und die Kämpfer gegen Tetanus geimpft. Sie bekommen
auch Analgetika verabreicht. Danach wird noch das Immobilisieren vollgezogen. Das
Team ist schon eingeübt, was kein Wunder ist, da man 24 Stunden täglich fast immer
dieselben Fälle behandelt. In sich gekehrt und schweigend, bete ich zu Gott, daß diese
Verwundeten die letzten für heute sind. Gestern waren es sogar 35.
Ständig hört man Granatenexplosionen, welche einen schweren Tag ankündigen. Auch
das Krankenhaus wird wieder angegriffen. Die Granaten fallen auf das Dach. Starke
Explosionen erschallen in unseren Ohren. Wir versammeln uns im Keller und denken
dankbar an die Menschen, die diesen Keller gebaut haben. Obwohl er nicht ganz in die
Erde eingegraben ist, seine Fenster “hinausschielen” und Granatsplitter durchschlagen
lassen, bietet er einigermaßen Schutz. Im Kellergang versammeln sich allmählich auch die
Leichtverwundeten, die zur Kontrolle kommen, wenn das die Umstände zulassen. Das
Gedränge wird immer größer. Man würde nicht weit kommen, wenn uns die Menschen
stillschweigend nicht den Durchgang gewähren würden, indem sie auseinanderrücken
und uns bei unserer Arbeit nicht hindern. Seit die Explosionen die Fenster zerbrachen,
zieht es und die Lüftung des Ganges ist durchaus zufriedenstellend. Wir müssen keine
Angst haben, daß uns Rauch oder Staub ersticken werden.
Die Verwundeten teilen uns mit, daß überall heftige Kämpfe geführt werden. Der
Feind ist heute morgen mit allen verfügbaren Kräften zum Angriff übergegangen, um
die Verteidigung zu brechen und in die Stadt einzudringen. Panzer, Trasporter und
Mehrfachraketenwerfer bechießen die Stadt. Zur selben Zeit als wir die Verwundeten
behandeln, beginnt unsere zusätzliche “Plage”. So nannten wir die Angriffe der
Mehrfachraketenwerfer aus der Batschka, die innerhalb einer kurzen Zeit eine große
Zahl der Raketen auf das Krankenhaus abfeuerten. Die Raketen fielen auf das Dach,
109
vor und hinter dem Krankenhaus, und natürlich trafen sie das Gebäude selbst. Wir
waren sehr glücklich darüber, daß das Gebäude ein sehr stabiles Bauwerk war. Man
konnte es schwer ganz zerstören. Nur wenn eine Granate oder Rakete durch das
Fenster hineiengeflogen kam und im Zimmer explodierte, entstanden größere Schaden.
Solche Treffer durchschlugen immer die dünneren Wände und vernichteten die
Zimmereinrichtung. (Auszug aus dem Buch von Dr. Juraj Njavro, Glava dolje – ruke
na leđa, Zagreb, 1992)
16. September (Montag):
Nachdem ein Teil von Sajmište zwischen der Kaserne und Petrova Gora besetzt
worden war, ermordeten die Mitglieder der serbischen Einheiten einige Dutzend
Personen.
Ins Krankenhaus wurden mindestens 25 Verwundete eingeliefert.
17. September (Dienstag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 43 Verwundete eingeliefert.
18. September (Mittwoch):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 18 Verwundete eingeliefert.
19. September (Donnerstag):
Durch die Granatsplitter wurde der Fahrer des Rettungsdienstes I. Š. (geb. 1951)
am Brustkorb verwundet. Ins Krankenhaus wurden mindestens 26 Verwundete
eingeliefert.
20. Septemer (Freitag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 16 Verwundete eingeliefert.
21. September (Samstag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 14 Verwundete eingeliefert.
22. September (Sonntag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 10 Verwundete eingeliefert.
23. September (Montag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 17 Verwundete eingeliefert.
110
24. September (Dienstag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 15 Verwundete eingeliefert.
25. September (Mittwoch):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 16 Verwundete eingeliefert.
26. September (Donnerstag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 14 Verwundete eingeliefert.
27. September (Freitag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 25 Verwundete eingeliefert.
28. September (Samstag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 24 Verwundete eingeliefert.
Der Hilfskonvoi des Generalstabs für Sanitätsdienst der RH unter der Leitung von Dr.
Josip Husar evakuierte 36 Verwundete vom Vukovarer Krankenhaus ins Feldlazarett
in Mikanovci und andere medizinische Einrichtungen; der Hilfskonvoi wurde
überfallen, aber es gab keine Opfer.
Im Radiosender bat Dr. Vesna Bosanac die Einwohner ihre Schutzkeller nicht zu
verlassen.
Die Beobachter der Europäischen Gemeinschaft wählten Ilok als ihren Sitz um die
Situation in Vinkovci und Vukovar zu überwachen.
In Ilok wurden die Verhandlugen zwischen den Vertretern der RH und Vukovarer
Gemeinde einerseits und dem Kommando des JNA-Korps Novi Sad andererseits
in Anwesenheit der Beobachter geführt. Dem Vorschlag der Beobachter über einen
Waffenstillstand stimmte die kroatische Seite zu, aber die JNA wies ihn zurück.
29. September (Sonntag):
Die kroatischen Verbände verließen Tovarnik.
Ins Krankenhaus wurden mindestens 32 Verwundete eingeliefert, darunter auch der
ausländische Journalist Loren van den Stock.
30. September (Montag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 27 Verwundete eingeliefert.
111
1. Oktober (Dienstag):
Die JNA okkupierte Marinci, Petrovci und Đeletovci.
Ins Krankenhaus wurden mindestens 55 Verwundete eingeliefert.
Die Krankenschwester J. P. (30 Jahre alt) wurde verletzt.
2. Oktober (Mittwoch):
Die JNA besetzte das Dorf Cerić.
Der Feind feuerte mehr als 3000 Geschosse auf die Stadt ab. Auf das Krankenhaus
fielen 37 Granaten.
Ins Krankenhaus wurden mindestens 74 Verwundete eingeliefert.
3. Oktober (Donnerstag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 45 Verwundete eingeliefert.
4. Oktober (Freitag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 37 Verwundete eingeliefert.
Auch die Leichen der drei am 1. Oktober in Bogdanovci gefallenen Polizeibeamten
aus Županja wurden gebracht, sowie neun Verwundete aus demselben Dorf.
5. Oktober (Samstag):
Um etwa 17 Uhr wurden aus einem Flugzeug der Jugo-Armee zwei 250 kg schwere
Bomben – die sog. Sau/Säue (krmača/krmače) abgeworfen. Das Gebäude schaukelte
und Fenster- und Türrahmen wurden ausgeschlagen.
Die Patienten im Erdgeschoß riessen Infusion und Katheter heraus und sprangen aus
ihren Betten. Die Bettlägerigen versuchten panisch sich kriechend irgendwohin zu
retten. Die erste “Sau” sprengte die Front des Gebäudes und das zweite Stockwerk,
und die zweite schlug in das Dach hinein und vernichtete alle Betonplatten des neuen
Gebäudes (5 Platten!). Die Bombe fiel auf das Bett im Flur neben dem Eingang in den
Atomschutzkeller, genau zwischen den Beinen eines Patienten serbischer Nationalität
(P. V., 45 Jahre alt). Im ersten Augenblick konnte man wegen des entstandenen
Staubs und Rauchs nichts erkennen, und so eilte eine Krankenschwester zu Hilfe
herbei. Sie dachte, eine Sauerstoffflasche sei umgefallen. Vom Bett ist natürlich
nichts übriggeblieben, aber der Patient überlebte unverletzt. Im Zünder waren keine
Detonatoren und die Bombe explodierte nicht. Durch das Loch konnte man den
Himmel sehen.
Im Dienst wurden Krankenschwestern T. K. und Arzt V. T. verwundet.
Ins Krankenhaus wurden mindestens 31 Verwundete eingeliefert.
Marin Vidić – Bili forderte Stjepan Mesić, Franjo Gregurić, Franjo Tuđman, das
112
Verteidigungsministerium der RH, den Generalstab der Kroatischen Streitkräfte,
Žarko Domljan und andere auf, die Ernsthaftigkeit der Lage in Vukovar und im
Krankenhaus zu begreifen.
6. Oktober (Sonntag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 43 Verwundete eingeliefert.
7. Oktober (Montag):
Medizintechniker I. K. (49 Jahre alt) wurde durch ein Granatsplitter verwundet, als
auch Krankenschwester (zuständig für ärztliches Instrumentarium) M. B. (39 Jahre
alt), die sich nach der serbischen Besetzung von Vukovar im Krankenhaus zu bleiben
entschloß.
Ins Krankenhaus wurden mindestens 30 Verwundete eingeliefert.
In 45 Tagen starben 158 Menschen und 654 wurden verwundet.
Die Direktorin des Krankenhauses Dr. V. Bosanac verlangte, daß 160 Schwerverwundete
evakuiert werden.
8. Oktober (Dienstag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 12 Verwundete eingeliefert.
In der Sitzung des Kroatischen Parlaments im INA-Gebäude (Kroatische
Erdölindustrie) in der Šubićeva Straße rief man die Staatsunabhängigkeit der RH
aus. Das Kroatische Parlament (Hrvatski sabor) verpflichtete alle staatlichen und
militärischen Behörden Vukovar zu helfen. Zum ersten Mal nach 46 Tagen herrscht
Ruhe in der Stadt.
Dr. M. I. (50 Jahre alt), ein Serbe, wurde leicht durch das Gewehrfeuer einer
serbischen Stellung beim Versuch aus dem Krankenhaus Flucht zu ergreifen und sich
der serbischen Seite anzuschließen, verwundet. Nach der Besetzung der Stadt blieb
er im Krankenhaus und legte sein Zeugnis über die Ereignisse ab, die er aber ganz
anders interpretierte als seine bisherigen Kollegen.
9. Oktober (Mittwoch):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 28 Verwundete eingeliefert.
10. Oktober (Donnerstag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 55 Verwundete eingeliefert.
Im Zagreber Hotel “I” wurde vereinbart, daß der humanitäre Konvoi nach Vukovar
von Đakovo aus fährt.
113
11. Oktober (Freitag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 25 Verwundete eingeliefert.
Aufgrund des Widerstands der JNA konnte der Konvoi Vukovar nicht erreichen; er
wurde in Marinci aufgehalten unter dem Vorwand, daß in einem Krankenwagen eine
Handbombe gefunden wurde. Der Hilfskonvoi mußte nach Vinkovci zurückkehren.
12. Okotber (Samstag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 30 Verwundete eingeliefert.
Der Hilfskonvoi wurde wieder aufgehalten. Sein Eintreffen in Vukovar knüpfte die
JNA an Bedingung an, daß die Kaserne der JNA in Borongaj in Zagreb deblockiert
wurde.
13. Oktober (Sonntag):
Kroatische Armee und Polizei versuchten den Belagerungsring um Vukovar zu brechen,
aber der Gegenangriff auf Marinci scheiterte.
Ins Krankenhaus wurden mindestens 31 Verwundete eingeliefert.
Der Hilfskonvoi (67 Fahrzeuge) traf in einen Vorort Vukovars ein, aber er mußte über
Petrovci und nicht wie vereinbart über Marinci und Bogdanovci fahren. Nach einem
längeren Warten, statt ins Krankenhaus, lenkte die JNA den Konvoi in ihre Kaserne
ab. Er wurde geplündert und wieder nach Vinkovci zurückgeschickt. Durch diese
vorsätzliche Ablenkung vom abgemachten Weg, beabsichtigten die Befehlshaber der
Jugo-Armee die außerordentlich starke kroatische Verteidigung in Sajmište zu brechen.
Der Hilfskonvoi sollte aus Kaserne seine Fahrt in Richtung Krankenhaus fortsetzen.
14. Oktober (Montag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 23 Verwundete eingeliefert.
15. Oktober (Dienstag):
Mehr als zehn Geschosse trafen das Krankenhaus; der Feuerwehrmann Đ. R. starb
und der Kesselraum wurde zerstört. In der Stadt verloren mindestens 6 Personen ihr
Leben, und ins Krankenhaus wurden mindestens 42 Verwundete eingeliefert. Die
Leiterin des Hilfskonvois Frau Vera Stanić (mit Mädchennamen Pivčević) hielt eine
Pressekonferenz ab.
16. Oktober (Mittwoch):
In der Stadt wurden mindestens 7 Personen getötet und ins Krankenhaus mindestens
51 Verwundete eingeliefert.
114
17. Oktober (Donnerstag):
Die Kroaten wurden aus Ilok vertrieben.
Ins Krankenhaus wurden mindestens 47 Verwundete eingeliefert.
18. Oktober (Freitag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 28 Verwundete eingeliefert.
19. Oktober (Samstag):
Ins Krankenhaus brachte man ein in einem Vorhang eingewickeltes sechs Monate
altes Baby aus Mitnica. Es handelte sich dabei um einen kleinen Jungen (I. K., geb.
am 1. April 1991), den eine Granate der JNA tötete. Sein Vater (P. K.) und seine
Großmutter waren verwundet. Die Großmutter mußte einer Operation (Amputation
des rechten Armes), die sie fast nicht überlebte, unterzogen werden.
Ins Krankenhaus wurden mindestens 18 Verwundete eingeliefert.
Skizze der Durchfahrt des humanitären Konvois „Ärzte ohne Grenzen“ von N. Mikanovci aus bis
Vinkovci (die Skizze ist eine Schenkung von Zlatko Ivković)
115
In Begleitung der Vukovarer Verteidiger, die dem Hilfskonvoi in einem Pkw
Zastava-101 vorgefahren haben, erreichte der Hilfskonvoi “Ärzte ohne Grenzen”
um 10 Uhr das Krankenhaus. Der Konvoi fuhr über den sog. “Maisweg” von
Bogdanovci aus und stand unter Leitung von Dr. Alain Destexe und Herrn Martin
Jean Michel, einem Beobachter der Europäischen Gemeinschaft. Dazu gehörte
auch ein “Verbindungsoffizier” der JNA. Der Konvoi übernahm bis 12,30 Uhr 113
Schwerverwundete und Patienten; ein Mann (L. V., 72 Jahre alt) starb während
der Fahrt (an Verbrennungen). Ein verwundeter Soldat der JNA, den man im
Vukovarer Krankenhaus behandelte, verließ den Konvoi in Petrovci und wurde
nach Beograd transportiert. Der Konvoi setzte seine Fahrt um 13 Uhr fort, mit
der Absicht später von Nuštar wieder zurückzukehren und die übriggebliebenen
Verwundeten abzuholen, aber während der Fahrt über das unter der Kontrolle der
JNA stehende Gebiete, verletzte eine unter einem Fahrzeug untergeschobene Mine
zwei Krankenschwester – Fabienne Schmit und Ghislaine Jacquier, schwer. Sie
wurden nach Beograd in ein Miliärkrankenhaus transportiert. Die Minen legten
unter das Fahrzeug die Diversanten der JNA während sich der Hilfskonvoi entlang
der Maisfelder bewegte. Die Diversanten waren die Soldaten des Aufklärungs- und
Diversionszentrum in Pančevo, die auf dieses Gebiet versetzt worden waren, als der
erste Hilfskonvoi am 11. Oktober organisiert wurde. Da die Jugo-Armee immer
wieder den Hilfskonvoi stoppte, dauerte die Evakuierung von durchgefrorenen und
dehydrierten Verwundeten auf das freie Gebiet der RH bei Regen und Kälte anstatt 2
mehr als 11 Stunden. Die JNA machte dadurch die Fortsetzung der Durchfahrt über
Bogdanovaci und Marinci, die zwischen den Vertreter der kroatischen Behörden und
der JNA vereinbart wurde, unmöglich. Der Konvoi mußte vor Bogdanovci umkehren
und den folgenden Weg nehmen: Vukovar – Petrovci – Oriolik - Sremske Laze – Ilača
– Tovarnik – Šid – Vašica – Batrovci – Lipovac – Bošnjaci – Županja, wo man in der
Nacht, um 1,30 Uhr eintraf. Von dort wurden dann die Verwundeten weiter über
Cerna und Vođinci nach Stari Mikanovci, Đakovo und Zagreb transportiert.
20. Oktober (Sonntag):
Im Krankenhaus blieben 170 Verwundete und 70 Kranken, Schwangere und
Neugeborene. Die Vorräte an Arzneimitteln, Infusionslösung, Blutderivaten und
Sanitätsmaterial wurden immer kleiner. Man hatte nur noch einige Sauerstoffund Stickstoffoxydflaschen. Ins Krankenhaus brachte man 8 Verwundete und 3
identifizierte Leichen.
21. Oktober (Montag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 24 Verwundete eingeliefert.
Im Zeitraum von 25. August bis 21. Oktober verzeichnete das Krankenhaus 267
116
getötete Menschen, davon 165 erwachsene Zivilisten, 4 Kinder, 11 Polizisten und 87
kroatische Soldaten.
22. Oktober (Dienstag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 8 Verwundete eingeliefert.
Die Medikamente wurden fast alle verbraucht. Wegen der gefährlichen Straßenfahrt
nach Vukovar, schlug man vor, daß die Arzneien mit einem Hubschrauber in die
unmittelbare Nähe des Krankenhauses, bzw. in den städtischen Fußballstadion
abgeworfen werden.
23. Oktober (Mittwoch):
Als Folge des Angriffs, der von 12 bis 17 sati andauerte, als 30 großkalibrige Granaten
das Krankenhaus trafen, brach ein Feuer aus. Der Brand gefährdete die Verwundeten
und zerstörte Neben- und Lagerräume. Eine der Granaten schlug in den Eingang des
Schutzkellers ein. Die Krankenschwester (M. B., 50 Jahre alt) war schwer verletzt:
sie wurde ein Invalid. Ins Krankenhaus, in welchem einige Fälle vom Gasbrand
ausgebrochen waren, wurden mindestens 26 Verwundete eingeliefert.
Im Krankenhaus befanden sich zur Zeit mehr als 200 Verwundete und 70 Kranke.
24. Oktober (Donnerstag):
Der Schutzkeller wurde beschossen; alle 15 Minuten fiel auf die Stadt eine Granate.
Dr. V. Bosanac erließ im Kroatischen Fernsehen einen Aufruf, in dem sie wieder um
Hilfe bat. Ins Krankenhaus wurden mindestens 5 Verwundete eingeliefert.
25. Oktober – Internationaler Tag der Blutspende (Freitag):
Die JNA besetzte Tordinci.
S. I. (geb. 1970) wurde durch eine Phosphorbombe verletzt. Ins Krankenhaus wurden
mindestens 19 Verwundete eingeliefert.
Im Krankenhaus befanden sich zur Zeit 210 Verwundete und 30 andere Patienten.
Dr. Edin Zujović, ein Freiwilliger aus Zagreb, und Željka Zgonjanin, Leiterin des
kroatischen Roten Kreuzes in Vukovar, organisierten zusammen mit anderen
Krankenhausangestellten eine Blutspendenaktion im Schutzkeller in Borovo Naselje.
Es kamen 70 freiwillige Blutspender.
In der Stadt gab es zur Zeit etwa 15.000 Menschen (Kroaten, Serben, Ungarn, Russinen
und andere Nationalitäten), darunter mehr als 2000 Kinder. Seit zwei Monaten sahen
sie alle kein Tageslicht. Den Menschen drohten Hunger und Seuchen.
117
26. Oktober (Samstag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 17 Verwundete eingeliefert; in einigen Berichten
aber wurden 21 Verwundete und 2 Leichen verzeichnet.
27. Oktober (Sonntag):
Bis 12 Uhr wurden 9 Verwundete eingeliefert, bis zum Abend waren es insgesamt
43.
Zu dieser Zeit befanden sich im Krankenhaus 209 Verwundete, davon 60 - 70 %
Zivilisten.
An diesem Tag starben mindestens 5 Personen.
28. Oktober (Montag):
In der Nacht trafen Vukovar mehr als 500 Geschosse. Der Morgen war ein bißchen
ruhiger. Ins Krankenhaus wurden mindestens 7 neue Verwundete eingeliefert.
Das Krankenhaus war völlig zerstört. In seinem Atomschutzkeller und Souterrain
befanden sich 220 Verwundete.
29. Oktober (Dienstag):
In Olajnica tötete eine Granate zwei Jungen, 13 und 14 Jahre alt, und verletzte weitere
6 Zivilisten. Ins Krankenhaus wurden mindestens 29 Verwundete eingeliefert.
30. Oktober (Mittwoch):
In der Stadt wurden mindestens 2 Personen ermordet. Das Krankenhaus nahm
mindestens 9 Verwundete auf.
31. Oktober (Donnerstag):
... Seit 6 Uhr früh fallen die Geschosse in einer immer größeren Zahl überall auf die Stadt,
von Petrova Gora und Negoslavci aus feuert man Minen und Granaten ab, und in der
Batschka kommen Mehrfachraketenwerfer zum Einsatz. Den ganzen Tag lang zerstörten
mehr als 5000 Geschosse immer wieder noch übriggebliebene Trümmer und alle Objekte,
für welche man in Heerlagern vermutete, daß sie Menschen verbergen könnten. Natürlich
auch das Krankenhaus wurde wiederholt als Schießscheibe aufgefaßt. (...) Nach fünf
Anflügen, fiel eine aus sechs MIG 21 bestehende Formation über die Stadt her, und
bombardierte alles was sie noch konnte. Auf das Krankenhaus feuerte sie sogar Raketen ab
(Auszug aus dem Bericht von Siniša Glavašević, Kroatischer Radiosender Vukovar).
Die Treffer der Schwerartillerie der JNA aus der Vojvodina und aus Richtung ŠidNegoslavci, beschädigten das Krankenhaus schwer. Ein Teil des Gebäudes stürzte
118
und die Scherben fielen auf die Patienten. Um 13 Uhr forderte die Direktorin des
Vukovarer Kriegskrankenhauses eine dringende Feuereinstellung auf. Um 13,45 Uhr
warfen die Kampfflugzeuge der JNA zwei Bomben auf das Krankenhaus ab. Eine
Bombe explodierte in der Erde oberhalb des Schutzkellers und verschüttete seinen
Eingang, wobei Beton und Trümmer auf Patienten P. T. (34 Jahre alt) stürzten. Der
Mann wurde schwer verletzt, aber er überlebte. Die zweite Bombe explodierte vor
dem Eingang und schlug einen 3-4 tiefen Trichter in den Hof ein. Die Giftgase
stopften den ganzen Schutzkeller voll. Am Nachmittag verursachten die Granaten
zwei Brände, die fast auf das Krankenhausgebäude übergriffen. Während der Nacht
fiel eine Granate vor dem Rettungsdienst. Das Feuer fing drei Rettungswagen und
dem Krankenhaus blieb nur ein einigermaßen gut erhaltener Sanitätswagen übrig.
Ins Krankenhaus wurden 8 Leichen und mindestens 25 Verwundete eingeliefert.
1. November (Freitag – Allerheiligentag):
Am Vormittag wurden ins Krankenhaus 5 Verwundete, bis zum Ende des Tages
mindestens 31 eingeliefert.
1./2. November:
In der Nacht während ihres ersten Einsatzes warf die Besatzung des Selbständigen
Luftfahrtzuges, der bei der Operationszone Osijek aufgestellt wurde, aus einem sonst
in der Landwirtschaft einsetzbaren Zweiflügler des Typs AN-2 fünf Kisten und zwei
Sauerstoffflaschen ab.
2. November (Samstag):
Durch den Durchbruch bei Lužac verkeilte sich der Feind zwischen Vukovar und
Borovo Naselje und zerlegte dadurch die Stadtverteidigung in zwei Teile. Der Versuch
der Kroatischen Streitkräfte Marinci zu befreien und die Straße zu deblockieren
scheiterte.
Der Präsident der RH Dr. F. Tuđman lobte das Vukovarer Krankenhaus „für seine
Opferbereitschaft und erfolgreiche Arbeit bei der Versorgung von verwundeten
Soldaten und Zivilisten unter unmöglichen Arbietsbedingungen“ während der
Angriffe „der serbischen Terroristen und Jugoslawischen Armee“.
In den Nachmittagsstuden wurde der Kesselraum getroffen und ein Granatsplitter
tötete Arbeiter I. R. – Vater vierer Kinder. Auch Wäscherei und Küche waren nicht
mehr zu retten. Der Transport von Verwundeten war außerordentlich schwer und
gefährlich, da die Granaten immer wieder den Krankenhauseingag trafen. Ins
Krankenhaus wurden mindestens 32 Verwundete eingeliefert, einigen Berichten
nach sogar 87. Unter ihnen, in einem schwerden Zustand, wurde auch der Reservist
der JNA A. M. aus Svetozarevo, aufgenommen und operiert. Nach einer Verwundung
119
wurde er am 25. Oktober aus dem Militärkrankenhaus der JNA entlassen und an
die Front zurückgeschickt; infolge der erlittenen schweren Verletzungen starb er
während der Nacht.
3. November (Sonntag):
Am Vormittag wurden 18 Verwundete, bis zum Ende des Tages mindestens
52 eingeliefert. Im Krankenhaus befanden sich zur Zeit etwa 350 Verwundete,
hauptsächlich Frauen und Kinder. Die Lage war äußerst kritisch; Vorrat an
Arzneimitteln wurde immer kleiner und Wasser- und Lebensmittelversorgung war
sehr unregelmäßig.
Bis 18 Uhr, einschließlich den 2. und 3. November, starben in der Stadt mindestens
24 Personen.
4. November (Montag):
In einem Schreiben an die Beobachter der Europäischen Gemeinschaft und andere
Staatsmänner, teilte die Direktorin des Krankenhauses mit, daß im Krankenhaus 370
Verwundete untergebracht wären, daß das Feuer nicht aufhöre und nur an diesem
einen Tag das Krankenhaus mehr als 90 Treffer erleben würde. Ins Krankenhaus
wurden mindestens 80 Verwundete eingeliefert.
5. November (Dienstag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 55 Verwundete eingeliefert, darunter auch ein
Soldat der JNA (B. G., geb. 1972).
Gestern und heute sind in Kämpfen mindestens 11 Verteidiger gefallen.
6. November (Mittwoch):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 55 Verwundete eingeliefert. Unter diesen
schweren Umständen befinden sich im Krankenhaus mehr als 350 Verwundete.
Mindestens 5 kroatische Verteidiger sind gefallen.
Möge uns Gott helfen Helden! Brüder Serben, heldenhafte serbische Tschetniks, heute
werdet ihr in den Krieg ziehen. Ihr werdet serbisches Vukovar befreien und serbisches
Slawonien abwehren. Ihr werdet sich anderen hunderten und tausenden unseren
Freiwilligen anschließen. Ihr kommt aus allen Teilen des heutigen Kleinserbiens um den
Ruhm für serbische Waffen zu ernten. Ihr werdet mit Verbänden der JNA kooperieren,
weil sie unsere Armee ist. Sie ist vor allem eine serbische Armee, was die Struktur
ihrer Führungskräfte und besonders ihr Kampf für die Rettung der serbischen Länder
und Territorien beweisen. (Auszug aus der Rede des Vorsitzenden der serbischen
Radikalen Partei und Tschetnikführers Vojislav Šešelj, die er am 6. November 1991
120
für die Freischärler in Serbien vor ihrem Abmarsch in Richtung Kroatien hielt; Quelle:
NTV Studio B)
7. November (Donnerstag):
Die Geschosse trafen das Krankenhaus wieder. Ein Teil des Gebäudes stürzte auf
Patienten, hauptsächlich Zivilisten. Die Behauptungen von Dr. Vesna Bosanac
über die Angriffe der JNA und serbischen Paramilitärs auf das Krankenhaus
bestätigten durch ihre Unterschriften auch die verwundeten Soldaten der JNA, die
im Krankenhaus behandelt wurden: S. J. – Zugführer aus Beograd, P. T. – Reservist
der JNA aus Sombor, S. M. – Soldat aus Niš. Ins Krankenhaus wurden mindestens 6
Verwundete eingeliefert.
8. November (Freitag):
Ins Krankenhaus wurden 75 Verwundete eingeliefert und unter dramatischen
Umständen 35 komplizierte Operationen ausgeführt. In der Nacht transportierte
man die Verwundeten zum letzten Mal vom Krankenhaus in die Fabrik “BorovoCommerce”; 30 Verwundete und ihre Fahrer riskierten dabei ihr Leben.
Nachts warf wieder Selbstänidger Luftfahrtzug mit dem Flugzeug AN-2 sechs Kisten
mit Sanitätsmaterial ab. Jede wog 120 kg: aber es schien, daß nur zwei davon in die
Hände des Personals gelangen: u.a., in einer waren 24, in anderer 20 Blutdosen.
9. November (Samstag):
Für Kroatischen Radiosender berichtet Siniša Glavašević: Der Befehlshaber der
kroatischen Verteidigung in Vukovar Jastreb (Habicht), hob das Verbot bezüglich
der informativen Berichterstattung auf, aber die Verteidigung von Vukovar steht vor
einem Zusammenbruch. ... In diesem Augenblick in den Trümmern des Vukovarer
Krankenhauses, die seit langem eine Schießscheibe für Granaten und Minen darstellte,
verstecken sich 450 Verwundete. Die medizinischen Teams machen alles was sie
können, um die Ausbreitung einer Infektion zu verhindern. Infolge der Ausführung der
schweren chirurgischen Eingriffe macht sich schon seit geraumer Zeit ein Mangel an
erforderlichen Arzneimitteln und entsprechendem Sanitätsmaterial bemerkbar. Darüber
wird heute Abend im Kroatischen Fernsehen der zuständige Facharzt für Transfusion
Dr. Edin Zujović sprechen. ... (aus dem Bericht von Siniša Glavašević für Kroatischen
Radiosender)
Für die Tageschronik berichtet Siniša Glavašević: ... In der letzten drei Tagen trafen das
Krankenhaus mehr als 300 Geschosse, der ganze Fuhrpark wurde vernichtet, was den
Transport der Verwundeten von der Front bis zum Krankenhaus gefährdet. Auch einige
Operationssäle sind außer Betrieb, usw. Die Blutgruppe “0” fehlt und Kroatien versprach
Vukovar wieder Hilfe. Doch die Lage entlang der ersten Kampflinie ist aussichtslos. ...
121
(aus dem Bericht von Siniša Glavašević für die Tageschronik)
Im Krankenhaus wurde nach nur 25 Wochen Schwangerschaft ein Kind vorzeitig
geboren. Es war 800 g schwer und mußte in den Brutkasten im Atomschutzkeller
gebracht werden.
Am Nachmittag brachen im Kreis des Krankenhauses zwei Brände aus, die mit viel
Mühe gelöscht werden konnten. Die Direktorin des Krankenhauses Dr. V. Bosanac
verlangte eine eilige Evakuierung von 450 Verwundeten, Kindern, Schwangeren und
Babys. Ins Krankenhaus wurden mindestens 8 Verwundete eingeliefert. In der Stadt
kamen 5 Personen ums Leben, zwei davon aufgrund der erlittenen Wunden.
10. November (Sonntag):
Die JNA griff die Priljevska Straße von Lužac aus an, mit dem Vorhaben die
Überführung in Richtung Stadtzentrum zu besetzen, und um eine Verbindung mit
ihren Verbänden in der Trpinjska Straße herzustellen.
Die JNA konnte das Gebiet um Milovo Brdo und Slavija besetzen, und dadurch Mitnica
vom Stadtzentrum trennen. Die Verteidigung wurde jetzt an zwei Stellen durchbrochen
und die Verteidiger in drei abgeschnittene Stützpunkte zusammengepreßt.
Die JNA und die serbischen Paramilitärs besetzten Bogdanovci und massakrierten
die nicht-serbische Bevölkerung.
Ins Krankenhaus wurden mindestens 31 Verwundete eingeliefert.
Wegen der Blockade der Straßen legten 15 kroatische Gardisten einen etwa 5 km
langen Weg zu Fuß zurück – um 5 schwer verwundete Mitkämpfer ins Krankenhaus
zu bringen (aus Borovo). Drei Verteidiger erlitten kranio-cerebrale Verletzungen.
11. November (Montag):
Bis zum Mittag wurden 12 und bis zum Abend mindestens 25 Verwundete eingeliefert.
Aufgrund der anhaltenden Bombardements und Straßenblockaden konnten die
Leichtverwundeten nicht aus dem Krankenhaus entlassen, nach Hause geschickt
oder in andere Unterkünfte transportiert werden. In einem an die Europäische
Gemeinschaft erlassenen Aufruf der Direktorin Dr. V. Bosanac wurde angegeben,
daß sich im Krankenhaus 680 Menschen befinden, darunter 480 Verwundete und
Patienten.
12. November (Dienstag):
Ins Krankenhaus wurden 9 Verwundete eingeliefert, darunter 6 Zivilisten.
Während der Nacht stellte ein Flugzeug ein letzes Mal Hilfe für die Verteidiger und das
Vukovarer Krankenhaus zu: man warf 6 Kisten je 150 kg mit Panzerabwehrraketen,
Munition für Infanterie und Sanitätsmaterial ab. Gewiß wurden gleich unter dem
Deckel einige Stangen Zigaretten gelegt.
122
Vukovar, November 1991 (Autor: Christopher Morris)
13. November (Mittwoch):
Der Versuch der Kroatischen Armee das Dorf Marinci und die Straße nach Vukovar
zu befreien, scheiterte.
Von 9 bis 16 Uhr wurde das Krankenhaus mehr als 60 mal getroffen. Und der
Angriff ging weiter. Die Küche war vollkommen verschüttet, wie auch das Souterrain
der Neurologie, wobei zwei Patienten, die auf dem Fußboden lagen, durch die
Granatsplitter verwundet wurden. Um 16,20 Uhr veröffentlichte Dr. V. Bosanac einen
neuen Bericht über die Lage des Krankenhauses. Der Gasbrand nahm schon das
Leben zweier Patienten, und drei weitere erkrankten. Auch neue Infektionen breiteten
sich aus, weil es kein Wasser gab, und Arznei- und Lebensmittel verschwanden
allmählich. Ins Krankenhaus wurden mindestens 7 Verwundete eingeliefert, nach
einigen Berichten aber sollte ihre Anzahl größer sein (am frühen Morgen sollten es
schon 14 neue Verwundete aufgenommen worden sein).
Da kommt Šešelj (Vojislav, Vorsitzender der serbischen Radikalen Partei, Anm. des
Autors) mit seinem Gefolge, um die Soldaten an der Front zu besuchen. Eigentlich gibt
es hier keine Front. In dem Teil Vukovars, in dem wir uns befinden, leben hauptsächlich
Serben und die Zerstörung ist eher gering. Die heimische Bevölkerung eigentlich die
Kämpfer der Territorialverteidigung, kennen die Straßen mit welchen sich man dem
Zentrum nähern kann. Aber auch dieses Vorhaben verbirgt in sich einige Gefahren.
123
Die Scharfschützen sind ständig im Einsatz. Šešelj verabredet ein Zusammentreffen mit
Befehlshabern der JNA, der Territorialverteidigung und der Freischärler. In einem Haus
in der Straße Nova steht der Tschetnikführer in seiner Militäruniform und mit einem
um den Hals eingewickelten Maschinengewehr. Seine Leibwächter mit versteinertem
Gesichtsausdruck versuchen versteckte Gefahr zu entdecken. Eigentlich ist das alles
lächerlich. Auch Šešelj und seine Offiziere und andere Kommandanten mit ihren
Bärten, Kokarden und Dolchen. Alle stehen still und begrüßen ihren Führer. “Wir sind
alle eine Armee”, sagt Šešelj. “Aber wessen Armee” – fragt Hauptmann Saša Bojkovski
(Kommandant der 1. motorisierten Abteilung des 1. motorisierten Bataillons unter
dem Kommando des Majors Borivoj Tešić – später des Kommandanten der 1.
Sturmeinheit der motorisierten Gardebrigade der JNA unter dem Kommando des
Obersten Mile Mrkšić – des Kommandanten der Operationsgruppe Süd, Anm. des
Autors). Der Führer überhört die Frage und setzt fort: „Hier gibt es keine Plünderer,
keine Alkoholiker, keine Exzesse...“ Ich sehe, daß er seinen Freiwilligen, die ihm diese
Lügen auftrugen, Glauben schenkt. Hier ist es sehr gefährlich, sobald es dunkel wird,
sich auf die Straße zu begeben – alle sind betrunken und alle schießen. Eine Nacht
hielten seine Freischärler ein wüstes Gelage und durch ein Fenster warfen sie eine Kiste
voll mit Bomben in den Garten hinaus. „Ihre Kämpfer sind ausgezeichnet“ behauptet
unterwürfig ein Obersleutnant. „Sie sind nicht meine Kämpfer, wir sind eine Armee“,
antwortet Šešelj und setzt fort: „Dieser Krieg stellt eine Versuchung für die Serben
dar. Wer hier durchkommt, wird einen Sieg davontragen. Aber der Verrat wird öfters
begangen und ihr dürft nicht zulassen, daß die Leute unbestraft desertieren. Über die
Armee werden viele Lügen verbreitet, die verräterischen Parteien hetzen auf, eben erst
wurde jener Čanak, der unter den Ungarn in der Vojvodina Unruhen zu stiften versucht
hatte, aufgelesen ....“ Alle hören aufmerksam zu, auch Major Veselin Šljivančanin
(Vorsteher der „Sicherheitskräfte“ der motorisierten Gardebrigade, Anm. des Autors)
und Hauptmann Miroslav Radić (Kommandant der 3. motorisierten Abteilung des
1. motorisierten Bataillons der 1. motorisierten Gardebrigade der JNA, Anm. des
Autors), sowie einige anderen Offiziere. Im allgemein stützt sich der Tschetnikführer
auf Halbwahrheiten und erklärt: „Wir haben das Konzept einer Jugoslawischen Armee
und nicht einer serbischen entwickelt. Jetzt gibt es keine rechtliche Lage für eine
Einmischung ausländischer Mächte, weil, wie sie sehen, hier eine Bundesarmee gegen
die aufständischen Kroaten kämpft...“ Zum Schluß läßt er noch eine Botschaft zurück:
„Keiner Ustascha darf Vukovar lebend verlassen“. Für die Mehrheit der Paramilitärs ist
jeder Kroate ein Ustascha. Ich fürchte, niemand wird imstande sein, diesen Haufen im
Zaum zu halten.
Abends um 18.35 Uhr höre ich vom Hauptmann Bojkovski, daß etwa zwanzig unserer
Kämpfer eine besetzte Straße verlassen haben, und daß man jetzt wieder um sie kämpfen
sollte. Auch der Kommandant einer Abteilung der Territorialverteidigung Stanko Vujanović
beklagt sich und behauptet: „Wir als Aufklärung nehmen das Gebiet ein, und dann sollten
124
die sog. Kehrer jeden Keller, Dachboden und Raum nach Ustascha durchsuchen. Aber
sie plündern nur. Sie sind eigentlich nur eine Horde ...“ „Klar, sie sind wirklich gut beim
Saubermachen“, mischt sich Bojkovski ein, „sie haben jede Schublade und jeden Schrank
genau gesäubert“. (Authentische Aufzeichnungen des serbischen Journalisten Jovan
Dulović, aufgeschrieben am 13. November 1991 um 17.30 Uhr; veröffentlicht unter
dem Titel „Krvava priča“ in: Vreme, am 20. November 1995, S. 18-19.)
14. November (Donnerstag):
Ins Krankenhaus wurden mindestens 8 Verwundete eingeliefert, nach einigen
Berichten aber sollte ihre Anzahl größer sein (am frühen Morgen waren schon 12
neue Verwundete aufgenommen worden).
Dr. Bosanac erlässt beharrlich ihre Aufrufe an die Weltöffentlichkeit. Im Schutzkeller
waren 44 Kinder untergebracht und man versuchte für sie eine Evakuierung zu
organisieren, wie auch für alle anderen Kinder, die krank, bedürftig und erschrekt
in anderen Unterkünften und Schutzkellern der Stadt den Schutz suchten. Ein
Mitarbeiter schlug ab, das Wasser vom Brunnen zu holen, da das Artilleriefeuer sehr
heftig war. Statt seiner, holte das Wasser Dr. V. Bosanac.
Heute Nacht fielen aus heiterem Himmel zwei Bomben etwa hundert Meter weiter
vom Haus, in welchem wir uns aufhielten. Die Morgendämmerung fand uns im Keller.
Bescheinigung des Kommandos eines Gefangenenlagers der JNA in Serbien von
einem Einwohner von Vukovar, 2. Dezember 1991
125
Abkommen zwischen der Regierung der Republik Kroatien und der JNA über die Evakuierung von Verwundeten und
Kranken aus dem Vukovarer Krankenhaus, 18. November 1993 (das Photo ist eine Schenkung von Dr. Juraj Njavro)
126
Šljivančanin sagte, die kroatischen Landwirtschaftsflugzeuge sollten zwei mit dem
Sprengstoff gefüllten Boiler abgeworfen haben, was aber nicht sehr überzeugend klang,
da ich die ganze Zeit über wach war, und außer des Schnarchens von Tomo Peternek
hörte ich nichts. Später erklärte uns ein Mitglied der Besatzung des Raketenwerfers,
daß man ungeschickt Vukovar mit Boden-Boden Raketen zu treffen versuchte. Die
Zusammensetzung einiger Einheiten ist mir völlig unklar, ich weiß nicht wer ihre
Kommandanten sind, wer wem gehorchen muß, und wer welche Aufgaben hat ... Es
scheint, als ob alles nur eine Sache der Abmachung wäre. Innerhalb einer Abteilung,
beispielsweise, gibt es fast keine Soldaten der JNA. Sie besteht aus Freiwilligen,
Angehörigen der Territorialverteidigung, Freischärlern (Šešelj-Truppen) und anderem
Gesindel. Und wer könnte einen Befehl einer Gruppe betrunkener Freiwilligen mit
blutigen Augen und einer Kugel im Gewehrlauf eines Maschinengewehrs erteilen? Ich
war vor einigen Tagen Zeuge eines Zwischenfalls, als einige Freischärler zwei Offiziere
der JNA mißhandelten. Sie waren nicht weit davon entfernt, diese Offiziere ohne
irgendeinen Grund zu erschiessen. Für einen Mord wird hier keiner zur Rechenschaft
gezogen. Man greift auch dann erst an, wenn alle damit einverstanden werden. Und
immer in Begleitung einer Schnapsflasche. Es ist mehr als deutlich, daß wenigstens
wenn es sich um die Einheiten in dieser Straße (Nova) handelt, der einzige und
elementare Beweggrund dieser sog. Kriegsführung nur ein gewöhnlicher Raub ist. Mir
sind auch einige Fälle bekannt, in welchen sich man bei der Beuteverteilung gegenseitig
umbrachte. (Authentische Aufzeichnungen des serbischen Journalisten Jovan Dulović,
aufgeschrieben am 14. November 1991 um 4.30 Uhr; veröffentlicht unter dem Titel
“Krvava priča” in: Vreme, am 20. November 1995, S. 19.)
15. November (Freitag):
Seit 6 Uhr war die Stadt unter heftigem Beschuß. Die Granaten trafen auch
das Krankenhaus. Einige Geschosse der Haubitzen landeten auf dem Dach des
Schutzkellers. Am Nachmittag wurde auch die Unterkunft im Keller des zerstörten
Schlosses Eltz getroffen. Auf der Stelle starben 9 Zivilisten, die mit noch 20 Mitbürgern
schon seit Monaten dort lebten. Während des Angriffs starben eine Physiotherapeutin,
ihr Mann Informatiker und ihr dreijähriger Sohn. Eine Mutter und ihre zwei Töchter
(5 Jahre und 6,5 Monate alt) wurden verwundet. Ins Krankenhaus wurden mindestens
8 Verwundete eingeliefert, wo sich schon etwa 480 Verwundete befanden. Wegen
der schlechten Arbeitsbedingungen infizierten sich mit Gasbrand 8 Patienten, und in
den letzten drei Tagen starben drei von ihnen.
Die Schrecken des Krieges in Vukovar nehmen kein Ende. Die am heutigen Tag einige
tausend abgefeuerten Granaten legen die noch übriggebliebenen Ruinen und Trümmer
in Schutt und Asche. Und bald werden sie auch ganz verwischt werden. Und das
sogar sehr bald, weil die durchschlagenden Kanonen- und Panzergeschosse schon
127
die letzen Schutzkeller der noch lebenden Stadteinwohner verschütten. Heute hat ein
Panzergeschoß einen baufälligen Schutzkeller getroffen und dabei 7 Menschen getötet
und mehrere verwundet. Als ob die Verbrechen der JNA niemals aufhören werden. Die
Stadt wird schon seit drei Monaten belagert, und die Greuel des Krieges werden immer
schrecklicher. Kälte, Erschöpfung, Seuche und Unterernährung nagen jeden Tag immer
mehr an diesen halbtoten Menschen. Sollen diese Menschen die Quallen eines Hungerund Dursttodes erleben?
Die Kämpfe werden immer heftiger. Borovo Naselje sowie das Gebiet um Priljevo, Lužac
und Sajmište sind auch heute ein Krisenherd, wo die Vukovarer Verteidiger für ihre
Familien, für Ihre Stadt, für sich selbst und schließlich auch für Kroatien weiter kämpfen.
Den Artillerie- und Infanterieverbänden des Feindes leisten müde und erschöpfte
kroatische Soldaten auch heute einen starken Widerstand. Und ein solcher Widerstand
übetraf alle unseren Erwartungen, alles was wir über die kriegerische Geschichte
Kroatiens wußten. Wie lange werden noch die Geschichten über den Krieg in Vukovar
erzählt und wieviel Leid muß noch erduldet werden, um die Tatsache zu akzeptieren
– daß es kein kroatisches Vukovar mehr gibt? (Josip Esterajher aus Vukovar, für die
Tageschronik des Kroatischen Radiosenders, am 15. November um 17 Uhr)
16. November (Samstag):
Die heftigen Angriffe fingen schon am frühen Morgen an. Der Feind startete seine
letzte Offensive. In Angst vor Tschetniks, die in die Stadt einzudringen und die
Menschen in den Schutzkellern zu töten begannen, verließen immer mehr Zivilisten
ihre Keller und Unterküfte in umliegenden Gebäuden. Sie trafen ins Krankenhaus
ein, in der Hoffnung, hier würden sie besser geschützt. Ins Krankenhaus wurden
mindestens 9 Verwundete eingeliefert.
17. November (Sonntag):
Dr. Njavro und Dr. Vlahović operierten ein sechseinhalb Monate altes Mädchen S. V.,
dem ein Granatsplitter den Bauchfell durchbrach und den Darm zerriß. Die Luft im
kalten „Operationssaal“ versuchte Dr. Kušt mit einem Fön zu erwärmen. Während des
Eingriffs, erhielt das Mädchen die Bluttransfusion direkt von Blutspendern, bzw. vom
medizinischen Personal. Nach dem Fall Vukovars, wurde sie in die Militär-Medizinische
Akademie nach Beograd transportiert, wo sie den Fernsehkameras als ein „Opfer von
Ustascha“ vorgeführt wurde. Die Verbannung verbrachte das Mädchen in Zagreb, wo sie
wieder einer Operation in der Klinik für Kinderkrankheiten unterzogen werden mußte,
und heute lebt sie in Vukovar. Für die Evakuierung der Verwundeten und Kranken,
welche nach dem unterzeichneten Abkommen das Internationale Rote Kreuz mit
Militärfahrzeugen der JNA durchführen sollte, wurde ein Verzeichnis mit allen gestellten
Diagnosen verfaßt. Ins Krankenhaus wurden mindestens 13 Verwundete eingeliefert.
128
Diplomatische Initiativen der Kroatischen Regierung und der internationalen
Staatengemeinschaft für die Rettung von Verwundeten, Frauen und Kindern aus
Vukovar.
Dr. Jan Van Houten, der Leiter der Beobachter, schickte ein eiliges Schreiben an
General Rašeta, in dem er verlangte, daß den Beobachtern ein Zugang zu Vukovar
ermöglicht würde, sowie daß die JNA für Frauen und Kinder Sicherheit gewährleiste.
In der außerordentlichen Sitzung forderte die Kroatische Regierung den Generalstab
der JNA auf, eine Pufferzone gegen Tschetniks zu bilden, um die zivile Bevölkerung
zu retten und die Durchfürung der humanitären Aktionen zu ermöglichen. Die
Regierung bestand auf einer dringenden Evakuierung der Bevölkerung über die
Strecke Vukovar – Bogdanovci – Nuštar – Vinkovci in Begleitung der Beobachter
und der Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes.
18. November (Montag):
Für die Tageschronik berichtet Siniša Glavašević: … Wir werden Vukovar um 22 Uhr
am 87. Belagerungstag nie aus der Erinnerung löschen können. Die gespenstischen
Erscheinungen folgen endlos aufeinander, und man riecht den Geruch des Brandes.
Wir laufen an Leichen vorbei, Trümmer und Glassplitter liegen überall herum und eine
grausame Stille herrscht. Gleichzeitig ringen die Ärzte im Vukovarer Krankenhaus mit
zahlreichen Problemen: mit 300 schwer und etwa 400 leicht verletzten Personen und
auch mit Zivilisten, die im Krankenhaus eine Zuflucht suchen. Sie kämpfen auch um
das Leben eines schwer verletzten fünfeinhalb Monate alten Babys, das Dr. Tomislav
Vlahović heute Nachmittag operierte. Die Granatsplitter verletzten das Kind am
Oberschenkel. Einem viereinhalb Jahre altem Mädchen wurde die Schulter zerschmettert.
Vor kurzem hörte man auch über das schwere Leiden einer zukünftigen Mutter und
ihres ungeborenen Kindes. Die Bürde solcher Vorfälle kann die heutige Zivilisation nicht
ertragen. Der Gasbrand sollte nie mehr die Medizin beherrschen, das hoffen hier alle.
In diesem Augenblick kommen die ersten Informationen über die beschlossenen
Verhandlungen an. Der Hilfskonvoi soll morgen um 10,00 Uhr mit 600 Patienten
wegfahren und die folgende Strecke nehmen: Vukovarer Krankenhaus, Priljevo, Lužac,
Bogdanovci, Marinci, Zidine, Nuštar. Mit zivilen Unterkünften in Borovo wird morgen
auch die Verbindung hergestellt werden, da dort noch etwa 200 Verwundete untergebracht
sind. Sie werden auch in den nächsten Tagen an der Evakuierung der Bevölkerung
teilnehmen. Wir hoffen, daß das Leiden in Vukovar nun beendet ist (Auszug aus dem
Bericht von Siniša Glavašević für die Tageschronik; zwei Tage später ermordeten die
serbischen Freischärler Siniša Glavašević in Ovčara).
Die Streitkräfte der JNA und die serbischen Paramilitärs besetzten den größten Teil
Vukovars. In Einklang mit dem Artikel 15 der Genfer Konvention, nach welchem
das Krankenhaus im Zentrum der kriegerischen Auseinandersetzungen unter die
129
Kontrolle der Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes gestellt werden sollte,
erreichten die Vertreter der RH, der JNA, des Internationalen Kommitees des Roten
Kreuzes, der Ärzte ohne Grenzen und des Malteser Kreuzes, ein Abkommen über die
Neutralität des Vukovarer Krankenhauses und die Evakuierung der Verwundeten und
Patienten. Das Abkommen verpflichtete die RH und die JNA zur „Feuereinstellung
auf dem Gebiet um Vukovarer Krankenhauses und entlang der Strecke der
Evakuierung“, zur Anschaffung der „angemessenen Fahrzeuge mit entsprechendem
Personal für etwa 40 Schwerkranke und 360 Verwundete, unter denen etwa ein
Drittel eine Krankenbahre benötigte“, sowie zur Anerkennung der „Neutralität
des Krankenhauses während der Evakuierung“. Die RH und die JNA waren damit
einverstanden, daß die „Beobachtungsmission der Europäischen Gemeinschaft die
ganze Aktion beaufsichtigt und alle Verfahrensebenen unbeschränkt überwacht“,
welche „alle Verwundeten und Kranken, die im Vukovarer Krankenhaus behandelt
werden, umfassen sollen und für welche die zuständigen Personen im Krankenhaus
bestimmen werden, ob sie die Fahrt mitmachen könnten.“ Nach dem dritten Punkt
des Abkommens sollte der Konvoi den nächsten Weg nehmen: Vukovar – Priljevo
– Lužac – Bogdanovci – Marinci – Zidine. An dieser Straßenkreuzung sollte dann
die Verantwortung für den Hilfskonvoi die kroatische Seite übernehmen. Die
Vereinbarung unterzeichneten der Vertreter der Europäischen Beobachtungsmission
J. M. Chenu, Vertreter der Kroatischen Regierung (Minister für Gesundheitswesen)
Prof. A. Hebrang und Vertreter der JNA General A. Rašeta.
Dr. V. Bosanac informierte um 10,10 Uhr die Europäische Mission, daß auf das
Krankenhaus wieder das Artilleriefeuer eröffnet wurde. Die Beobachtungsgruppe der
Europäischen Gemeinschaft für Vukovar meldete um 12,15 Uhr von Negoslavci, daß
sich ihr Vertreter auf dem Weg zum Krankenhaus machen würde, falls ihm ein freier
Zugang „zugelassen werden sollte“. Dr. V. Bosanac protestierte um 12,35 Uhr gegen
die Europäische Mission, weil sie ihr Versprechen über die Kontaktaufnahme und
den Beginn der Evakuierung der Verwundeten nicht eingehalten hat. Sie protestierte
erneut um 15,40 Uhr, weil keine Vertreter der Internationalen Gemeinschaft oder
des Roten Kreuzes am Eingang des „Krankenhauses mit mehr als 500 Patienten“
erschienen. Um 16,55 Uhr bekundete Dr. V. Bosanac wiederholt ihr Mißfallen in
einem Anruf an die Europäische Mission, da keine versprochene Hilfe gekommen
war. Ins Krankenhaus wurden mindestens 15 Verwundete eingeliefert.
An diesem 18. November 1991 ist auch die letzte Bastion, der letzte Stützpunkt der
Ustascha-Macht in Vukovar gefallen – Vukovarer Krankenhaus. Die Stadt wurde
befreit, einst eine wunderschöne Stadt. Die menschliche Einbildungskraft ist sich nicht
imstande diese Stadt zu diesem Zeitpunkt vorzustellen. Das war eine Stadt, die es nicht
mehr gab, eine Stadt, in der die reine Hölle herrschte, voll Rauch, Brand, Leichen,
Gestank und Trümmer.
130
Ehemals eines der schönsten Gebäude in der Stadt, vor 15 Jahren gebaut, galt dieses
Krankenhaus als eines der am besten ausgerüsteten Krankenhäuser im ehemaligen
Jugoslawien. Jetzt ist es praktisch verschwunden. Nach den Umrissen in Trümmern ist
es sehr schwer zu erkennen, daß wir neben seinem Unterbau stehen. Früher verfügte
dieses Krankenhaus über 450 Krankenbetten und alle erforderlichen Abteilungen
mit entsprechenden subspezialistischen und Begleitdienstellen. Davon ist aber nichts
übriggeblieben. Etwa 75 Prozent des Objekts wurde zerstört. (Vojska Krajine – das Blatt
der Serbischen Armee Krajina, Nr. 7-8, Oktober-November 1993, S. 43; Auszug aus
dem Text von Primarius Dr. Vojislav Stanimirović, Minister ohne Geschäftsbereich
in der Regierung der Republik Serbische Krajina 1995, später Vorsitzender der
Ünabhängigen Demokratischen Serbischen Partei und nach der Befreiung und der
friedlichen Reintegration der okkupierten Teile der RH Abgeordneter im Kroatischen
Parlament 2003 – 2008.)
19. November (Dienstag):
Borovo Naslje wurde besetzt, aber ein Teil kroatischer Verteidiger setzte den
Widerstand bis zu den frühen Morgenstunden des nächsten Tages fort. Einige von
ihnen verließen Borovo Naselje erst am 23. November zurück.
Um 9,01 Uhr warnte Dr. V. Bosanac in einem Anruf, daß sich bei ihr bezüglich der
vereinbarten Evakuierung noch niemand gemeldet hatte.
Im Kriegstagebuch der motorisierten Gardebrigade der JNA wurde angeführt, daß bei
dem Kommando der Operationsgruppe Süd um 10 Uhr eine UN-Delegation unter
der Anführung des Sonderbeauftragten des UN-Sekretärs Cyrus Vance eingetroffen
war. Er war mit der Lage in Vukovar vertraut, aber aufgrund einer Videoaufnahme
ist es festzustellen, daß ihm Major Veselin Šljivančanin einen Zutritt ins Krankenhaus
verweigerte.
Nach einem regelmäßigen Kampfbericht des Befehlshabers der Operationsgruppe Süd
des Obersten Mile Mrkšić sollten die Soldaten der JNA bis 11 Uhr „Krankenhaus und
Innenministerium“ besetzt haben. Sie stießen auf keinen bewaffneten Widerstand.
Die JNA brachte gleich ihre 6 Soldaten weg, die mit anderen Patienten ärztlich
versorgt wurden, darunter auch einen Verwundeten, den ein kroatischer Gardist auf
seinen Armen bis zum Krankenhaus getragen und dabei sein eigenes Leben riskiert
hatte. Im Kampfbericht der Jugo-Armee (1. Militärdistrikt) wurde angegeben, daß die
motorisierte Gardebrigade zwei ihre am 2. Oktober 1991 verschwundenen Männer
am 19. November aus dem Krankenhaus geholt hatte.
Um 14 Uhr verlangte Dr. V. Bosanac in feindlichem Stützpunkt Negoslavci vom
Obersten der JNA M. Mrkšić, dem Befehlshaber der motorisierten Gardebrigade
und der Operationsgruppe „Süd“, daß das internationale Abkommen über die
Evakuierung der Verwundeten durchgeführt wird.
131
Um etwa 17 Uhr marschierten ins Krankenhaus die Kämpfer der berüchtigten
serbischen paramilitärschen Einheiten ein. Einige der Mitarbeiter wurden gleich
mitgenommen: Zlatko Jurčević war in serbischen Internierungslagern bis zum 12.
Dezember 1991 gefangengehalten und Marko Mandić verschwand. Der Beauftragte
der Regierung der RH für Vukovar Marin Vidić – Bili und die Direktorin des
Medizinischen Zentrums Vukovar Dr. Vesna Bosanac wurden gefangengenommen
und nach Negoslavci abgeführt; man brachte sie um 6 Uhr früh zurück. Ins
Krankenhaus wuruen mindestens 3 Verwundete eingeliefert.
In einem Dokument vom 19. November wurde erwähnt, daß an diesem Tag in den
frühen Morgenstunden in Zagreb ein Zusammentreffen statttfand, bei dem „Seine
Exzellenz der Botschafter der Beobachtungsmission der Europäischen Gemeinschaft
Chenu, Dr. Andrija Hebrang, Minister für Gesundheitswesen und General Rašeta
als Stellvertreter des Befehlshabers des 5. Militärdistrikts“ anwesend waren. Aus
diesem Dokument geht hervor, daß eigentlich zwei Treffen stattfanden (der erste
am 18. und der zweite am 19. November). Aber Dr. Andrija Hebrang behauptet,
daß nur das erste Zusammentreffen abgehalten und der zweite absichtlich falsch
angegeben würde, damit man jede Verantwortung für die am 18. November, den 1.
Tag der Okkupation, begangenen Verbrechen vermeiden konnte. Ansonsten wurde
darin auch die „Errichtung einer neutralen Zone auf dem Gebiet um das Vukovarer
Krankenhaus unter dem Schutz des Internationalen Komitees des Roten Kreeuzes
(IKRK), in Übereinstimmung mit dem Artikel 15 der Vierten Genfer Konvention“
vereinbart. Der Zugang zu dieser neutralen Zone sollte auf „kranke und verwundete
Zivilisten, die nicht in die kriegerischen Auseinandersetzungen verwickelt waren,
sowie auf das medizinische und administrative Personal des Krankenhauses und
Delegate des IKRK“ beschränkt werden. Den „Zutritt anderer Personen sollte
das IKRK bewilligen“. Die Regierung der RH und die JNA verpflichteten sich „zu
einer weitreichenden Zusammenarbeit mit dem IKRK, um die Durchführung des
Abkommens zu sichern, das am 19. November um 20 Uhr örtlicher Zeit in Kraft
treten und solange gelten sollte, bis es eine Seite in schriftlicher Form wenigstens
12 Stunden im voraus nicht kündigt“. Im Punkt 10 der Abmachung stand es, daß
man beschlossen hatte, „die mündlich abgeschlossene Vereinbarung, die gestern am
19. November 1991 zustandegebracht wurde, anstatt einer Unterschrift für gültig zu
erklären“. Das erwähnte Abkommen führte die JNA nie aus.
Das Internationale Komitee des Roten Kreuzes veröffentlichte am demselben Tag
eine „Pressemitteilung über die Evakuierung des Vukovarer Krankenhauses“, in
der erklärt wurde, daß „eine Abmachung über die Evakuierung am 20. November
errreicht worden war, daß beide Seiten die Sicherheit des Konvois gewährleisten,
daß die Evakuierung um 8 Uhr beginnt, daß die JNA alle evakuierten Personen den
kroatischen Behörden um 11 Uhr bei Zidine übergeben wird, daß der Konvoi die
Strecke Vukovar – Priljevo – Lužac – Bogdanovci – Marinci – Zidine nimmt, und
132
daß der ganze Vorgang in Einklang mit Völkerrecht durchgeführt wird, einschließlich
der Bestimmungen der Genfer Konvention über das Recht der Kriegsgefangenen in
einem Krankenhaus unter der Bewachung des Roten Kreuzes eine andere Lokalität zur
Erholung zu wählen, sowie daß das Vukovarer Krankenhaus zu einer neutralen Zone
proklamiert und daß die Evakuierung von der Erfüllung der Sicherheitsvorrichtungen
abhängen wird”.
Der Bundessekretär für Volksverteidigung und Generalstabschef des Oberbefehls
General Veljko Kadijević lobte den Einsatz der JNA-Befehlshaber und ihrer Truppen
in Slawonien: den Kommandanten des 1. Militärdistrikts General-Oberstleutnant
Života Panić, Kommandanten der Operationsgruppe Nord Generalmajor Andrija
Biorčević, Kommandanten der Operationsgruppe Süd Obersten Mile Mrkšić,
Befehlshaber des “1. Luftfahrtskorps” Obersten Branislav Petrović und Befehlshaber
der Luftabwehr Obersten Branislav Petrović. Einige von ihnen erreichten gleich oder
sehr bald darauf einen höheren Rang, bzw. eine Beförderung: Života Panić wurde
Generaloberst, Mile Mrkšić Generalmajor, Veselin Šljivančanin und Borivoje Tešić
Oberstleutnant und Miroslav Radić Hauptmann.
Die Soldaten der JNA bewachten während der Nacht das Krankenhaus. Kein
Mitarbeiter des Personal durfte das Krankenhaus verlassen. Einige versammelten
Vukovar, 1991/1992, Folgen der serbischen Aggression
133
sich in der Küche und sangen ein Volkslied über Vukovar – Moj lijepi Vukovar (Mein
schönes Vukovar).
Im Krankenhaus waren etwa 700 Mitarbeiter und Patienten untergebracht: davon 420
Kranke und Verwundete (mehr als 200 Schwerverletzte) sowie 45 Familienmitglieder
des medizinischen Personals und etwa 3000 Zivilisten, die aus den Kellern und
Ünterkünften in der näheren Umgebung eingetroffen waren.
20. November (Mittwoch):
Ganz anders als es nach dem “Protokoll des Abkommens über die Neutralität und
Evakuierung des Vukovarer Krankenhauses” vorgesehen wurde, marschierten die
Soldaten der JNA unter dem Kommando des Majors Veselin Šljivančanin ein.
„Ihr seid die Zeugen, daß die Internationale Kommission bei der Erledigung ihrer Aufgabe
immer wieder verhindert wird. Sie kann nicht für die sich hier ereigneten Vorfälle zur
Verantwortung gezogen werden. Mir wurde der Zutritt zum Krankenhaus verweigert.“
(Aussage von Nicolas Borsinger, Vertreter des Internationalen Roten Kreuzes).
Um 7,30 Uhr teilte der Offizier der JNA Major V. Šljivančanin dem in der Vorhalle
beim Krankenhausausgang versammelten medizinischen Personal mit, daß von nun
an die militärischen Gesetze gelten würden, sowie daß Dr. V. Bosanac ihres Amtes
enthoben sei. Seine Rede dauerte länger als eine Stunde. Das Personal und die
Patienten sollten sich entscheiden ob sie im Krankenhaus unter der Aufsicht der JNA
bleiben oder nach Zagreb, Novi Sad oder ins Aufnahmezentrum nach Šid fahren.
Währenddessen beschlagnahmte die JNA alle Krankenakten, und ihre Soldaten
führten durch einen Nebenausgang etwa 400 Männer ab: Verwundete, Mitarbeiter
des Personals und ihre Familienmitglieder sowie andere Zivilisten; viele von ihnen
kehrten nie wieder zurück; mindestens 267 Personen wurden hingerichtet, die größte
Anzahl in Ovčara, wo 200 Personen erschossen wurden, darunter 20 Mitarbeiter des
medizinischen Personals.
Am Vormittag wurden alle Schwerverwundeten und Schwerkranken zu den
Sanitätswagen und alle Leichtverwundeten und –kranken sowie das Personal und
Zivilisten zu den Bussen gebracht. Die bettlägerigen Patienten erhielten die Plastiktüten
mit ihrer Dokumentation und andere trugen ihre Dokumente bei sich. Der Konvoi
fuhr um 16 Uhr weg bis zur Kaserne der JNA. Nach einem langen Warten konnte er
dann seine Fahrt nach Negoslavci statt wie vereinbart nach Nuštar fortsetzen. An der
Spitze des Hilfskonvois fuhr ein Wagen der JNA vor, dem ein Wagen mit den Vertretern
des Internationalen Roten Kreuzes und ein Panzertransporter der JNA, Sanitätsund Rettungswagen und am Ende der Kolonne die Busse folgten. In Negoslavci,
wo der Hilfskonvoi aufgehalten wurde, bedrohten die heimische Bevölkerung und
die Tschetniks die Verwundeten und das Personal. Nach großen Problemen und
Mißhandlungen erreichte der Konvoi um 21 Uhr die Kaserne der JNA in Sremska
Mitrovica. Etwa 120 Schwerverwundete übernachteten im Krankentrakt der Kaserne
134
und das Personal in Bussen im Kasernenhof. Während der Fahrt starb G. S. (32 Jahre
alt), die im fünften Monat schwanger war. Im Krankentrakt der Kaserne am nächsten
Morgen starb K. O. (85 Jahre alt).
Im Vukovarer Krankenhaus blieben 54 Verwundete, die auf das freie Gebiet
Kroatiens transportiert werden wollten, darunter Priester Smiljan Berišić,
Oberkrankenschwestern und Ordensschwestern Ana Zdravčević und Jela
Tomašević sowie Krankenschwestern aus Zagreb, die als Aushilfe nach Vukovar
gekommen waren,Vesna Belinić (ärztliches Instrumentarium) und Zorica Ganić
(Anänsthetikerin). Einige Verwundete und die Mitarbeiter des Personal äußerten
den Wunsch zu bleiben. Darunter waren es manche, die demnächst ihre bisherigen
Kollegen als Ustascha bezeichneten und bald darauf in Uniformen der JNA zu sehen
waren.
Am 20. November wurden aus dem Krankenhaus der Medizintechniker Ante Arić
(bis 12. Dezember in serbischen Internierungslagern gefangengehalten) und der
Mitarbeiter der Logistik Zvonko Vulić (gilt als vermißt) fortgeschleppt. Die JNA hat
in Sremska Mitrovica Dr. Vesna Bosanac, Dr. Juraj Njavro und Dr. Sadika Biluš, und
in Lagern Stajičevo und Niš Dr. Ivan Dasović, Dr. Tomislav Đuranc, Dr. Vladimir
Emedij, Dr. Hischam Mallu, Dr. Vladislav Nadaš, Dr. Dražen Karnaš und Dr. Robert
Mataušek (sein Bruder Dr. Rene Mataušek wurde am 19. November abgeführt und
ermordet) gefangengenommen. Diese Menschen verbrachten einige Wochen in
Gefängnissen.
So ein Entsetzen! Hunderte von Männern, Frauen, Kindern, Kranken, Verwundeten und
Mitarbeitern verlassen das Krankenhaus. Man riecht den Geruch des Todes, eigentlich
der Verwesung. Man riecht den Gasbrand und vernachlässigte Wunden. Gegenüber des
Krankenhauses die Leichen deren, die im Krankenhaus an ihren Verletzungen starben.
In der Nacht wurden sie herausgeholt und liegengelassen. Die Journalisten bestürmen
etwa zehn Ordensschwestern, die erst geborene Babys auf ihren Armen tragen. Ruhig
und lächelnd verweigern sie jede Aussage. Major Šljivančanin benutzt wieder jede
Gelegenheit und spielt einen großen Krieger vor. Vorgestern führte er uns in den
Stadtteil, wo hunderte von seinen Einwohnern zum ersten Mal nach drei Monaten ihre
Keller verlassen haben. In Angesicht der ausländischen Journalisten forderte er durch
eine handbetriebene Radiostation den Kommandanten von Vukovar Mile Dedaković
Jastreb zu einem heroischen Zweikampf heraus. Zuerst sollten sie beide einen Kaffee
trinken, erklärt Šljivo, und dann ihre Waffen ergreifen. Dieses Mal hält er seine Rede vor
dem Krankenhaus und vor Journalisten: „Herrschaften, wir bemühen uns unserem Volk
zu helfen und das Töten zu verhindern.“ Aber den Ärzten des Internationalen Roten
Kreuzes wird der Zutritt ins Krankenhaus verweigert, obwohl sie alle notwendigen
Befugnisse nachweisen können. „Im Krankenhaus befinden sich noch etwa hundert
Leute, die bewaffnet sind“, erklärt Šljivančanin die Situtation. Er wollte verhindern,
daß sie sich dieser Gefahr aussetzen. Obwohl sie darauf bestanden, der Major erlaubte
135
es nicht. „Das hier ist eine Zone der kriegerischen Auseinandersetzungen und jeder der
sich an die Regeln nicht hält, kann seinen Kopf verlieren. Wir wollen allen helfen“, schreit
Šljivančanin, aber niemand hört zu. (Authentische Aufzeichnungen des serbischen
Journalisten Jovan Dulović, aufgeschrieben am 20. November 1991 um 11.30 Uhr;
veröffentlicht unter dem Titel “Krvava priča” in: Vreme, am 20. November 1995, S.
19.)
Goran Hadžić, Präsident der Regierung der Serbischen Autonomen Region Slawonien,
der Baranja und Westsyrmien, behauptete, daß Vukovar nach dreimonatigen Kämpfen
gestern endlich befreit wurde. Die Säuberung des Terrains ist im Laufe, und danach
steht uns, sagt Hadžić, eine große Arbeit vor, nämlich der Aufbau einer neuen Stadt.
Ihr habt auch selbst gesehen, fügt Hadžić zu, daß in der Stadt kein Gebäude unversehrt
blieb. Das Leben ist hier im Augenblick unmöglich. Aber es ist wichtiger, daß die Stadt
jetzt in unseren Händen ist, und jetzt werden wir gemeinsam eine neue schöne Stadt
erbauen. Unsere erste Aufgabe ist die Schaffung von normalen Lebensbedingungen, was
keine schnelle Sache ist. Alle Einwohner, die vom heimischen Herd vertrieben wurden,
könnten jetzt allmählich zurückkheren – sagt Hadžić.
Rade Leskovac, Stellvertreter des Ministers für Information der Serbischen Autonomen
Region Slawonien, der Baranja und Westsyrmien, behauptete, daß Vukovar jetzt aus
der Asche aufstehen werde. – Für Kroaten ist Vukovar gefallen, und für uns wurde
es befreit. Die Kämpfe dauerten mehr als drei Monate. Mehr als 1000 Ustascha sind
gefallen. Ich muß sagen, daß Vukovar eine geopferte Stadt ist, sie liegt ganz in Trümmern.
Nach meiner Einschätzung dauerten die Kämpfe so lange, weil man den kroatischen
Streitkräften genug Raum ließ, Verstärkungen nach Vukovar zu holen. Dieser Krieg
wurde aber nicht in Kroatien geführt, sondern auf Gebieten, die seit Jahrhunderten
serbisch sind. Nach dem Fall Vukovars werden wir jezt schneller vorrücken. Die großen
Kombinate “Borovo” in Borovo und “Vuteks” in Vukovar befinden sich schon in unseren
Händen, bald aber auch “Saponija” in Osijek. Osijek ist auch serbisch. Das lehrt uns die
Geschichte. Wir werden keine Mühe scheuen um die Produktion wieder aufzunehmen
und voranzutreiben. Wir werden auch der Volksversammlung Serbiens vorschlagen, ein
Gesetz über die Hilfe für diese serbischen Gebiete in der Form eines Prozentsatzes zu
entwerfen. Die Behauptungen der gegnerischen Seite, dies sei eine Besetzung, ist nicht
annehmbar – erklärte gestern Leskovac. – Dieses Territorium wurde von Ustascha
befreit, weil dieses Territorium ein serbisches Territorium ist. Die Serben leben hier seit
Jahrhunderten und wir laden alle Serben ein, deren Häuser abgebrannt und zerstört
wurden, auf dieses freies Gebiet zurückzukheren. Nur in der Baranja gibt es 17 Dörfer,
die wieder besiedelt werden sollten.” (Dnevnik, Mittwoch, 20. November 1991, S. 4;
Auszug aus dem Interview von Goran Hadžić, dem Angeklagten für Kriegsverbrechen
vor dem Internationalen Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien in den Haag,
und von Rade Leskovac, heute Präsidenten der Partei der Donau-Serben in der
RH.)
136
21. November (Donnerstag):
Der Hilfskonvoi war von Mitrovica nach Dorf Dvorovi, 6 km nördlich von Bijeljina
in Bosnien und Herzegowina, geschickt worden, wo die Verwundeten um 13,30
Uhr in die Wagen, die der Generalstab für Sanitätsdienst des Ministeriums für
Gesundheitswesen sicherte, verlegt wurden. Die Mitglieder des Innenministeriums
des Sozialistischen Republik Bosnien und Herzegowina, Reservisten und Soldaten
der JNA (unter ihnen auch ein Offizier mit einem Ärzteabzeichen) sowie heimische
Serben (insgesamt etwa 200 Personen) überfielen den Konvoi. Dabei wurden
Skizze der Aufnahmestation von Verwundeten und Flüchtlingen aus Vukovar (das Photo ist eine
Schenkung von Prim. Dr. Ivo Kujundžić, Mag.)
137
6 Personen zusammengeschlagen und 6 Fahrzeuge und ein Ambulanzwagen
beschädigt. Erst danach fuhren die Wagen mit Verwundeten doch weiter und über
eine Sava-Brücke erreichten sie endlich Kroatien. Die Verwundeten, die über die
Nacht im Vukovarer Kranknehaus geblieben waren, wurden in Brčko um 19,30
Uhr übergeben. In der Zwischenzeit starben zwei Menschen, so daß an diesem Tag
insgesamt 174 Verwundete vom Krankenhaus in Begleitung von medizinischen
Personal nach Kroatien transportiert wurden.
In einem Kampfbericht der Operationsgruppe Süd wird angegeben, daß der
“Transport mit Zivilisten am 20/21. November 1991 nach Šid und Sremska Mitrovica
geschickt wurde”, und dann laut Vereinbarung “weiter nach Bosanska Rača”.
In einem Bericht des 1. Militärdistrikts wird auch angeführt, daß die
“Beobachtungsmission der Europäischen Gemeinschaft für das Gebiet Slawoniens,
der Baranja und Westsyrmiens alle Aktivitäten in Verbindung mit der Evakuierung
der Verwundeten und Flüchtlinge aus Vukovar sowie ihrer Übergabe an kroatische
Seite überwachte” sowie die “Aktivitäten der Garnisonsambulanz Sremska Mitrovica,
in welcher die Verwundeten aus dem Krankenhaus untegebracht wurden“. Auch eine
Sporthalle in Sremska Mitrovica mit Flüchtlingen aus Vukovar und das Vukovarer
Krankenhaus wurden ständig überwacht.”
Etwas voll Heftiges passierte letzte Nacht. Fast alle sprechen über die Massenerschießungen
der gefangenen Kroaten und Verwundeten aus dem Vukovarer Krankenhaus. „In
dieser Nacht haben wir sie seit 7 Uhr abends bis 1 Uhr morgens in Ovčara und Petrova
Gora hingerichtet“, erzählt ein stämmiger Bärtiger aus Smederevo während er seienen
Morgenkaffee genießt und eine lange Zigarrenspitze raucht. „Und das genau heute
zum Ruhm vom heiligen Erzengel. Du solltest hören wie sie gejammert, gewinselt und
geweint haben, sie hätten auf niemanden geschossen und niemanden getötet.“ Viel
mehr gesprächiger war eine Dragica-Daca aus Novi Sad. Aber sie vertraute mir, sie
sei darüber sehr besorgt, daß man mit diesen Erschießungen so prahlt. Die Leichen
der ermordeten Menschen sollte ein Bulldozer vergraben haben. Die Opfer wurden
geraubt: ihre Ringe, Trauringe, Halsketten, Handuhren. Alle behaupten, daß auch
Šljivančanin einige Gefangenen ermordet haben sollte, um zu überprüfen wie sein neues
gekürztes automatisches Gewehr AK-74 funktioniert. Hauptmann Radić und andere
Kommandanten waren sich darüber einig, daß ein großer Fehler begangen wurde, und
daß diese Erschießungen diskreter sein sollten. „Ich hatte keine eigenen Männer zur
Verfügung und so mußte ich diese betrunkenen Freiwilligen engagieren. Jetzt werden
alle aufgrund ihrer Schwatzhaftigkeit erfahren, was wir gemacht haben, und weißt du,
das wird nicht gut enden“, erklärt einer der Kommandanten der Territorialverteidigung.
Es ist sehr interessant, daß niemand vor einer Gerichtsverhandlung Angst hat, sonder
nur vor einer eventuellen Vergeltung der Kroaten. Viele sagten eigentlich, sie seien nicht
sicher, daß die Kroaten nie zurückkehren würden. (Authentische Aufzeichnungen des
serbischen Journalisten Jovan Dulović, aufgeschrieben am 21. November 1991 um 8
138
Uhr; veröffentlicht unter dem Titel “Krvava priča” in: Vreme, am 20. November 1995,
S. 19.)
22. November (Freitag):
Nach einem Kampfbericht der Operationsgruppe Süd und des 1. Militärdistrikts
wurde der „Transport der Zivilisten und Verwundeten aus Vukovar und Borovo“
auch am 22. November 1991 fortgesetzt und „volkommen realisert“.
139
Getötete und Vermißte Mitarbeiter des
Kriegskrankenhauses Vukovar
Während der Angriffe und nach der Eroberung der Stadt wurden 32 PersonalMitglieder des Krankenhauses ermordet, davon 20 in Ovčara. Vier Mitarbeiter
wurden nach ihrer Gefangnahme vermißt.
Verzeichnis der in Ovčara ermordeten Mitarbeiter des Krankenhauses:
Jozo Adžaga (1949) – Logistik (Koch)
Ilija Asadžanin (1952) – Rettungsdienst (Fahrer)
Ivan Bainrauch (1956) – Logistik (Leiter des technischen Dienstes)
Tomislav Bosanac (1941) – Logistik (Wasserdestillation)
Ivan Buovac (1966) – Rettungsdienst (Fahrer)
Dragan Gavrić (1956) – Logistik (Wagenwartung)
Zlatko Jarabek (1956) – Logistik (Wagenwartung)
Đuro Knežić (1937) – Logistik (technischer Dienst, Barbier im Krankenhaus)
Zlatko Krajinović (1969) – Rettungsdienst (Fahrer)
Tomislav Mihović (1952) – Röntgenabteilung (Photolaborant)
Tomislav Papp (1963) – Logistik (Versorgung, Energenten und Lageräume)
Tomo Pravdić (1934) – Logistik (technischer Dienst)
Stjepan Šarik (1955) – Logistik (Kesselraum und Aggregate)
Đuro Šrenk (1943) – Logistik (technischer Dienst, Rohrleger)
Zvonko Varenica (1957) – Logistik (technischer Dienst, Schlosser)
Goran Vidoš (1960) – Logistik (Elektriker)
Mate Vlaho (1959) – Rettungsdienst (Fahrer)
Miroslav Vlaho (1967) – Rettungsdienst (Fahrer)
Josip Zeljko (1953) – Sicherheitsdienst
Mihajlo Zera (1955) – Rettungsdienst (Fahrer)
Während der Angriffe und nach der Eroberung der Stadt ermordete Mitarbeiter
des Krankenhauses:
Vlasta Aleksandar (1965)– Abteilung für phisikalische Medizin (Physiotherapeutin)
Dušica Jeremić (1954) – Rechnungswesen (Bürokauffrau)
140
Ljubica Kojić (1954) – Schutzkeller „Borovo-Commerce“ (Putzfrau)
Nevenka Matić (1948) – Bürokraft (Angestellte)
Zdenka Miličević (1961) – Chirurgie (Krankenschwester)
Ljubica Obradović (1952) – Röntgenabteilung (Administrator)
Ivan Raguž (1938) – Logistik (Arbeiter im Kesselraum)
Rudolf Terek (1943) – Stomatologe im höheren Dienst
Marica Stanek (1952) – Ambulanz für Schulkinder (Krankenschwester)
Blanka Stefanjuk (1961) – Chirurgie (Krankenschwester)
Goran Krznarić (1965) – Logistik (Pforte)
Karlo Crk (1942) – Logistik (Fleischerei)
Die Mitarbeiter des Krankenhauses, die nach der Gefangennahme als vermißt
gelten:
Ivan Baranjek (1939) – postoperative Pflege, Krankentrakt „Borovo-Commerce“
(Krankenpfleger); am 19. XI. 1991 aus dem Krankenhaus abgeführt
Marko Mandić (1953) – Chirurgie (Medizintechniker, Notaufnahme); am 19. XI.
1991 aus dem Krankenhaus abgeführt
Ivan Božak (1958) – Pforte; am 20. XI. 1991 aus dem Krankenhaus abgeführt
Zvonko Vulić (1971) – Logistik (Versorgung, Energenten und Lager); am 20. XI. 1991
aus dem Krankenhaus abgeführt
141
Ivan Grujić, Višnja Bilić
Ministerium für Familie, Verteidiger und Generationssolidarität
Behörde für Gefangene und Vermißte
Die Opfer aus dem Vukovarer Krankenhaus
Die Opfer wurden in 14 bis jetzt exhumierten Massen- und 150 Einzelngräbern
im Kroatischen Donau-Gebiet entdeckt. Die Mehrheit der Gräber entstand nach
der Okkupation von Vukovar, bzw. während der Besatzungszeit gleichzeitig als
auch Richtstätte in Ovčara errichtet wurde, was bestätigt die Behauptungen, daß es
sich dabei um einen systematischen Angriff auf die kroatische und nicht-serbische
Bevölkerung von Vukovar und des Donau-Gebiets der RH in Gesamtheit handelte.
Da noch immer 335 Personen als vermißt/gewaltsam abgeführt gelten, sollte die Zahl
der Massengräber noch größer sein.
Bild 1 – Lokalitäten der Massengräber, in welchen die Verwundeten aus Vukovar
gefunden wurden.
Unter Opfern, besonders nach ihrer Verletzlichkeit und speziellem Status nach dem
Humanitären Völkerrecht, nehmen das Personal und die Zivilisten einen besonderen
Platz ein. Die Angaben über eine glaubwürdige Anzahl der aus dem Krankenhaus
zwangsweise abgeführten Personen unterscheidet sich je nach der Quelle, aber
142
am häufigsten wird von etwa 400 Personen gesprochen. Um ein verläßliches
und unbestreitbares Verzeichnis anzufertigen, das auch dem Internationalen
Strafgerichtshof für das ehemalige Jugoslawien vorgelegt werden kann, hat die
Behörde für Gefangene und Vermißte im Jahr 1994 aufgrund aller verfügbaren
Quellen eine Analyse aller Angaben durchgeführt. Indem alle Daten miteinander
verglichen wurden, konnte festegestellt werden, daß mindestens 226 Personen im
November 1991 fortgeschleppt wurden. Die Verläßlichkeit des Verzeichnisses
bestätigt auch die Identifikation der sterblichen Überreste der exhumierten Opfer
(Ovčara, „Velepromet“, Novo groblje). Nach dem Evidenzstand vom 4. Dezember
2008 konnte folgendes festgestellt werden:
- 211 Personen wurden in Massen- und Einzelgräben im Kroatischen DonauGebiet und in der Republik Serbien entdeckt;
- 55 Personen werden vermißt (Verzeichnis Nr. 4)
Aufgrund einer weiteren Analyse wurde nach den Lokalitäten der Gräber folgendes
festgestellt:
- Massengrab Ovčara (im Jahr 1996 wurden 200 Opfer exhumiert)
193
Verzeichnis Nr. 1
- Novo groblje in Vukovar
13
Verzeichnis Nr. 2
- Einzelgrab bei Velepromet
2
Verzeichnis Nr. 2
- Massengrab bei Landwirtschaftsbetrieb „Lovas“
1
Verzeichnis Nr. 2
- Serbien (Beograd und Sremska Mitrovica)
2
Verzeichnis Nr. 3
insgesamt
211
Die Ergebnisse der durchgeführten Analyse sind die Bestandteile der Anklageschrift
in Gerichtsverfahren gegen Slobodan Milošević, V. Šljivančanin, M. Mrkšić und M.
Radić. Als Zeuge sagte Oberst Ivan Grujić aus. Im Gerichtsverfahren gegen V. Šešelj
sagte auch Višnja Bilić aus. Diese Angaben sind auch die Bestandteile der Anklage
der RH gegen der Sozialistischen Republik Jugoslawien für Völkermord vor dem
Internationalen Gerichtshof.
143
VERZEICHNIS DER IDENTIFIZIERTEN PERSONEN, DEREN STERBLICHE
ÜBERRESTE AUS DEM MASSENGRAB IN OVČARA EXHUMIERT WURDEN (193)
Ordinalzahl/Nachname Vorname
144
Name des Vaters
Geburtsdatum
145
146
147
*Die sterblichen Überreste, die aufgrund der DNA-Analyse identifiziert wurden; die Familie akzeptierte die Identifikation nicht.
148
VERZEICHNIS DER PERSONEN, DEREN STERBLICHE ÜBERRESTE AUS
ANDEREN GRÄBERN UM VUKOVAR EXHUMIERT WURDEN (16)
Ordinalzahl/Nachname Vorname Name des Vaters Geburtsdatum Lokalität der Massen-/Einzelgräber
VERZEICHNIS DER PERSONEN, DEREN STERBLICHE ÜBERRESTE AUS
DER REPUBLIK SERBIEN ÜBERNOMMEN WURDEN (2)
Ord./Nachname
Vorname
Name des Vaters Geburtsdatum
149
VERZEICHNIS DER PERSONEN, DEREN SCHICKSAL UNBEKANNT IST (55)
Ordinalzahl/Nachname Vorname
150
Name des Vaters
Geburtsdatum
151
Literaturnachweis
Apeli Dr. Vesne Bosanac (Gestaltung und Redaktion Mladen Pavković), Koprivnica-Vukovar, 2002.
Barić Nikica, Srpska pobuna u Hrvatskoj 1990-1995., Golden marketing-Tehnička knjiga, Zagreb, 2005.
Bijela knjiga Vlade RH o suradnji s međunarodnim sudom za kazneno gonjenje osoba odgovornih
za teška kršenja međunarodnog humanitarnog prava na području bivše Jugoslavije, od godine 1991.,
Zagreb, 1999.
(Das weiße Buch der RH über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof für das
ehemalige Jugoslawien im Bereich der schweren Menschenrechtsverletzungen im Jahr 1991, Zagreb
1999)
Borković Branko, “Borbe u Vukovaru 1991. godine”, Vukovar – vjekovni hrvatski grad na Dunavu,
Redaktion Igor Karaman, Koprivnica-Zagreb, 1994.
Borković Branko, Beitrag zum Runden Tisch Mediji i branitelji – međusobni odnos i dijalog, der am
27. September 2007 in Zagreb von dem Verein der Zagreber Verteidiger von Vukovar im Rahmen der
Tribüne der Stadt Zagreb organisiert wurde.
Bulatović Momir, Pravila ćutanja, Beograd, 2004.
Dedaković Mile, Mirković-Nađ Alenka, Runtić Davor, Bitka za Vukovar, Vinkovci, 1997.
Esterajher Josip, “Izbori u Vukovaru 1990. godine”, Vukovar – vjekovni hrvatski grad na Dunavu,
Redaktion Igor Karaman, Koprivnica-Zagreb, 1994.
Gdje su naši najmiliji?, Zagreb, August 1996.
Glavašević Siniša, Priče iz Vukovara, Matica hrvatska, Zagreb, 2001.
Jović Borisav, Poslednji dani SFRJ: Izvodi iz dnevnika (zweite Ausgabe), Beograd, 1996.
Kadijević Veljko, Moje viđenje raspada - vojska bez države, Beograd, 1993.
Marijan Davor, Bitka za Vukovar, Hrvatski institut za povijest – Podružnica za povijest Slavonije, Srijema
i Baranje, Zagreb-Slavonski Brod, 2004.
Marijan Davor, Oluja, Zagreb, September 2007.
Matić Fred, Ništa lažno, Zagreb, 2005. (dritte Ausgabe)
MJESTO SJEĆANJA – Vukovarska bolnica 1991. - Ausstellungskatalog, Zagreb, 2006.
Mirković Alenka, 91,6 MHZ glasom protiv topova, Zagreb, 1997.
Nazor Ante, Počeci suvremene hrvatske države, Hrvatski memorijalno-dokumentacijski centar
Domovinskog rata, Zagreb, 2007.
Njavro Juraj, Glava dolje – ruke na leđa, Zagreb, 1992.
Pole Stipe i drugi, „Jake snage MUP-a“ – policija u obrani Vukovara 1991., Vinkovci, 2008.
Radelić Zdenko, Marijan Davor, Barić Nikica, Bing Albert i Živić Dražen, Stvaranje hrvatske države i
Domovinski rat, Školska knjiga, Hrvatski institut za povijest, Zagreb, 2006.
Sekulić Milisav, Knin je pao u Beogradu, NIDDA Verlag GmbH, Bad Vilbel, 2001.
Specijalna policija MUP-a RH u oslobodilačkoj operaciji „Oluja“ 1995. (prilozi), Zagreb, kolovoz 2008.
Sučić Stjepan, “Raščlamba borbenih djelovanja na području bivše općine Vukovar, s težištem na gradu
Vukovaru – pouke i iskustva”, Diplomarbeit in ZSŠ “Blago Zadro“ Velebit, 18. November 1999.
152
Šarinić Hrvoje, Svi moji tajni pregovori sa Slobodanom Miloševićem 1993-95 (98), Zagreb, 1999.
Špegelj Martin, Sjećanja vojnika, Zagreb, 2001.
Vukovarska bolnica 1991., Autorengruppe (Redaktion Štefan Biro), Vukovar, 2007.
Zbornik dokumenata iz oblasti odbrane i bezbednosti Jugoslavije 1990-1991 godine, Vorbereitung: Prof. Dr.
Slavoljub Šušić Generaloberst im Ruhestand, Zlatoje Terzić General Oberstleutnant, Dr. Nikola Petrović
Oberst, Vojnoizdavački zavod, Beograd, 2002.
Žunec Ozren, “Rat u Hrvatskoj”, Polemos 1, Zagreb, 1998.
Žunec Ozren, Goli život – socijetalne dimenzije pobune Srba u Hrvatskoj, I-II, Zagreb, 2007.
***
Der größte Teil des Textes wurde aus dem Ausstellungskatalog Mjesto sjećanja – Vukovarska
bolnica 1991. (Eine Gedenkstätte – Vukovarer Krankenhaus), dessen Einleitung Dr. sc.
Nikica Barić rezensierte, übernommen. Den Text über den Kampf um Vukovar ergänzte
mit seinen Räten und Verbesserungen der Brigadir der Kroatischen Streitkräfte Stjepan
Sučić und Marija Alvir half durch Suggestionen. Im Kapitel über das Krankenhaus
benutzte man die Angaben aus Vorträgen und Arbeiten von Dr. Vesna Bosanac, Dr. Juraj
Njavro, Dr. Zoran Aleksijević, Dr. Boris Kratofil, Dr. Štefan Biro, sowie Oberschwestern
Binazija Kolesar und Agneza Aleksijević. Alle diese Arbeiten enstanden in Verbindung
mit dem am 17. Novembar 2005 organisierten Symposium in Vukovar.
Das Verzeichnis der in Ovčara ermordeten Opfer gründet auf dem Verzeichnis der
aus dem Massengrab in Ovčara exhumierten und identifizierten sterblichen Überreste
der Behörde für Gefangene und Vermißte des Ministeriums für Familie, Verteidiger
und Generationssolidarität, sowie auf den Angaben, die von Neda Balog von der
Gemeinschaft der Vereine der Witwen der kroatischen Verteidiger im Heimatkrieg
und Ivan Pšenica von dem Verein der Eltern und Familien der gefangengenommenen
und gewaltsam abgeführten kroatischen Verteidiger „Vukovarske majke“ (Vukovarer
Mütter) sowie Danijel Rehak von dem Kroatischen Verein der Insassen der serbischen
Internierungslager, u.a, gesammelt wurden. Die Angaben wurden im Ausstellungskatalog
Mjesto sjećanja – vukovarska bolnica 1991., im Jahr 2006 veröffentlicht.
Die im Vukovarer Kriegskrankenhaus 1991 aufgenommenen Photographien erhielt
das Zentrum von Dr. Boris Kratofil, die Photographien des zerstörten Krankenhauses
von kroatischen Freiwilligen und Verteidigern sowie dem Kämpfer des Kroatischen
Verteidigungrats Damir Radnić. Die Photographien der Trpinjska Straße stellte dem
Zentrum der vor kurzer Zeit verstorbene kroatische Freiwillige und Verteidiger sowie
Oberst der Kroatischen Streitkräfte Marko Babić, zur Verfügung.
Ich bin allen zu Dank verpflichtet.
Bildredaktion: Mag. Ana Holjevac Tuković.
153
Flugblatt der Gruppe Petrov aus der Vereinigten Staaten von Amerika, Mittwoch, den 20. September 1991 (Quelle: Hrvatsko ratno pismo 1991/92, Zagreb, 1992, S. 441)
154
Anica Marić
AUCH DAS ALTENHEIM WAR
EINE SCHIEßSCHEIBE
155
156
Veteranen- und Altenheim, Petra Kočića b.b.
D
er Bau eines neuen Heims für die Unterbringung der alten und bedürftigen
Personen in Vukovar begann im Jahr 1983 und die ersten Insassen zogen
1986 ein. Den Bau finanzierte der Wohnungsfonds. Das neue Altenheim
hatte eine Kapazität für 100 Bewohner und es sollte auch die Teilnehmer des
Volksbefreiungskriegs der Vukovarer Gemeinde versorgen. Die einzige Bedingung
für den Bau war im Namen der Einrichtung die Veteranen bzw. Partisanen zu
erwähnen. Im Jahr 1987 wurde noch eine Abteilung angebaut und das Altenheim
verfügte dann über 120 Betten.
Das alte Altenheim war eigentlich Nachfolger eines sog. Armenhauses der
Grafenfamilie Eltz, das sich gegenüber dem Allgemeinkrankenhaus befand. Das
alte Altenheim hatte 70 Betten und über 90 Insassen. Ich fühlte mich immer dazu
verpflichtet, den Mitarbeitern dieses
Altenheims Respekt und Dankbarkeit
zu erweisen. Im Altenheim arbeitete
ich seit 1980, als ich eine Stellung
als Rechnungsführerin annahm. Die
Menschen dort bewiesen mir, daß
eine solche Arbeit mit vielen Opfern
verbunden war. Nur so konnte man
genug Kraft aufbringen, die Probleme
des Alltags zu bekämpfen. Das Gebäude
war alt, Installationen kaputt, man heizte
mit einem Holz-und-Kohle Kachelofen,
die Küche war unangemessen und das
Personal bestand aus Frauen, die alle,
wie das die Direktorin zu sagen pflegte,
eigentlich keine Schulausbildung hatten:
Frau Rozalija Herbut, Danica Klaić,
Marica Prica, Zora Pavlek, Slavica Radić
und Agata Zorčec. Danica Klaić und
Agata Zorčec waren Köchinnen, die
anderen Putz- und Waschfrauen sowie Altenheim in Vukovar: Folgen der serbischen
Pflegerinnen. Der Winter im Jahr 1980 Aggression
157
war kalt mit viel Schnee. Beide Waschmaschinen waren kaputtgegangen. Der
Wasserhahn im Hof war eingefroren und man mußte das Wasser aus dem Bad
holen und in einem Kessel erwärmen. Die Wäsche wurde mit der Hand gewaschen
und im kalten Wasser ausgespült. Ich werde nie die grellroten Hände dieser Frauen
vergessen. Sie rannten immer wieder in die Küche zurück, um sich ein bißchen
am Kochherd zu erwärmen. Dann wurde die Wäsche zuerst draußen aufgehängt,
damit sie ein wenig einfriert, und nach der Essenzubereitung brachte man sie in
die Küche und in andere Räume um sie zu trocknen. Die 6 Frauen arbeiteten
in zwei Schichten: je eine Köchin in einer Schicht, sowie zwei Putzfrauen in der
ersten und eine Putzfrau in der zweiten Schicht. Sie betreuten und pflegten 90
Menschen, von denen etwa eine Hälfte bettlägerig war, für sehr wenig Geld. Man
darf nicht vergessen, daß diese Putzfrauen in der Not zu Köchinnen wurden und
umgekehrt, besonders als die Zeit der Jahresurlaube da war. Egal aber wieviel Mühe
sie sich auch gaben, konnten sie dennoch den Gestank des Harns am Eingang des
Gebäudes nicht decken und entfernen, da nachts das Altenheim ohne Aufsicht
war. Die Insassen, besonders die männlichen, haben immer wieder ihre Notdurft
in “ajnfor” (Einfahrt), einem typischem Baumerkmal deutscher Häuser, verrichtet.
Es genügt zu erwähnen, daß keine Handwerker gerade wegen dieses Gestanks,
den man überall im Gebäude riechen konnte, über unsere Anrufe, wenn etwas
kaputt ging, begeistert waren. Nur ein Maler von der Firma “Bojorad” kam immer
gern, wir nannten ihn “Cviće”. Über das Altenheim könnte ein umfangsreiches
Buch geschrieben werden, aber ich denke, dies genügt. Darüber, daß die Arbeit
doch ausgezeichnet verrichtet wurde, spricht die Tatsache, daß es nie einen Fall
der Epidemie oder der Lebensmittelvergiftung gab. Ich bedanke mich noch einmal
im Namen aller bei diesen Frauen, die uns bedient, gepflegt und zugehört haben:
Rozalija (Tante Seka), Danica, Marica (genannt Ivanka), Slavica (Sirotka), Zora und
Agata (Tante Agica).
In neuem Heim wurden 22 Personen beschäftigt: Direktor, Sozialarbeiter,
Krankenschwester, Pflegerinnen, Putzfrauen, Köche, Verwalter, Kassierer und meine
Wenigkeit als Rechnungsführerin. Für nur 30 Bewohner mehr als im ehemaligen
Altenheim, stellte man sogar 13 Personen mehr an. Ich kann heute sagen, daß diese
Menschen ein traumhaftes Personal abgegeben haben. Wir kamen gut miteinander
aus, und wenn einer Hilfe brauchte, halfen alle anderen mit. Natürlich gab es Konflikte,
aber alle diese Streitigkeiten endeten mit Gespräch und nicht in Wut. Auch die
Betreuung der Insassen, deren Anzahl von anfänglich 100 auf 120 gestiegen war, ließ
uns wenig Zeit zum Streiten. Jede Minute wurde dem Wohle der Insassen gewidmet.
Ich komme auch nicht umhin die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit der Ärztin
Aleksandra Kajba Zubarev zu erwähnen, die jahrelang unsere Schützlinge betreute.
Ihr Nachfolger wurde Dr. Karnaš.
158
Das Veteranen- und Altenheim Vukovar war nach meinem Wissen das einzige
Altenheim in Kroatien, das im Heimatkrieg wirkte. Und obwohl ich davon überzeugt
bin, daß der Beitrag der Mitarbeiter des Heims zur Verteidigung Kroatiens und
Vukovars nicht klein war, bis heute bedankte sich niemand bei ihnen dafür. Als
ich mit diesen Menschen sprach, wurde mir klar, daß keiner von ihnen eine
Dankbarkeitserweisung erwartet oder verlangt. Und dies gab mir dann einen
entscheidenden Anstoß dazu, dieses Tagebuch zu veröffentlichen. Ich kann nicht
erlauben, daß sie vergessen werden. Ich bin mir sicher, daß es noch viele Geschichten
aus Vukovar gibt, die nicht erzählt wurden. Im Grunde genommen, jeder Einwohner,
der bis zum Fall der Stadt geblieben sind, trägt in sich eine solche Geschichte.
Und ich sollte mich für die während des Kreiges geleistete Hilfe besonders bei
folgenden Menschen bedanken: bei Gardisten, vor allem aber bei dem verstorbenen
Damjan Samardžić (Veliki bojler [Großer Boiler]), Dragan Ćorić, Tomislav Belja,
sowie Milenko Tešanović, Franjo Mandić, Josip Budimir und natürlich bei den
Mitarbeitern des Veteranen- und Altenheims, die die ganze Zeit dabei waren: Nensi
Mučalov (verheiratet Polhert), Krankenschwester, Vera Tešanović, Pfelgerin und
Dara Mandić, Kassiererin.
Zum Schluß sollte ich noch kurz erklären, warum der Titel dieses Tagebuches
“Hallo, Mama” lautet. Als der Krieg in Vukovar schon zum Alltag gehörte, aber die
Telefonleitungen noch funktionierten, rief mich meine Sandra mehrmals täglich an,
um zu fragen, wie es mir geht, besonders nach dem 5. September, als das Gebäude
des Heims direkt getroffen war und unsere Insassen verletzt wurden. Jeder Anruf
begann mit “Hallo, Mama”. Diese Worte befolgten mich noch jahrelang während der
Zeit der Vertreibung, wie auch andere Mütter, deren Kinder als Flüchtlinge auf der
ganzen Welt verstreut waren. Ich danke Sandra dafür, daß sie in ausschlaggebenden
Momenten in Sremska Mitrovica bei uns geblieben ist, und dadurch uns ein Gefühl
der Sicherheit auf unserem Umweg nach Kroatien gab.
Der Herr ist mein Hirte; mir wird nichts mangeln. Er weidet mich auf grüner Aue und
führt mich zum frischen Wasser. Er erquickt meine Seele; er führt mich auf rechter
Straße um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im finstern Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du bist bei
mir, dein Stecken und dein Stab trösten mich.
Du bereitest vor mir einen Tisch im Angesicht meiner Feinde. Du salbest mein Haupt
mit Öl und schenkest mir voll ein. Gutes und Barmherzigkeit werden mir folgen mein
Leben lang, und ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar. (23 Psalm Davids)
159
Kriegstagebuch, 13. Mai - 18. November 1991
13. 05. 1991
Der Direktor Živko Dukić benachrichtigte das Fachkollegium, daß es gesetzlich
verpflichtet sei, eine Bewerbung für die Stelle des/r Direktors/in auszuschreiben, da
er sich für ein neues Mandat nicht kandidieren wird, weil er beschlossen hat, in den
Ruhestand zu gehen.
14. 05. 1991
Bewerbungsausschreiben für die Stelle des/r Direktors/in.
20. 05. 1991
Da ich Vorsitzende der Bewerbungskommission war, teilte mir der Direktor mit, daß
er sich doch wieder für die Stelle des Direktors bewerben werde, da er erfuhr, daß
seine Rente sehr klein wäre.
14. 06. 1991
Durch die Stimmenmehrheit wählte die Arbeiterversammlung zum neuen Direktor
Herrn Ivić Mandić. Der Sitzung wohnte auch Živko Dukić bei.
24. 06. 1991
Der Direktor Živko Dukić nahm Jahresurlaub.
22. 07. 1991
Živko Dukić kam vom Urlaub zurück. Er nahm 10 Tage mehr als vereinbart.
160
26. 07. 1991
Die Arbeiterversammlung entschied aufgrund der schriftlichen Forderung von Živko
Dukić, sein Arbeitsverhältnis wegen seiner Versetzung in den Ruhestand zu beenden.
Ivić Mandić informierte uns, daß er die Stelle des Direktors nicht annehmen könnte,
da er eine andere im Kombinat „Borovo“ übernehmen werde.
30. 07. 1991
Ich wurde vom Stellvertreter des Beauftragten der Regierung der RH für die Stadt
Vukovar Herrn Stipe Ivanda in das Gebäude der Gemeindeversammlung eingeladen.
Er teilte mir mit, daß ich dazu verpflichtet bin, die Führung des Altenheims zu
übernehmen, da in Vukovar der Kriegszustand ausgerufen wurde, und ich sollte damit
noch heute die Arbeiterversammlung bekannt machen. Ich sollte sie darauf hinweisen,
einen Beschluß in Übereinstimmung mit dem Statut der Arbeitsorganisation über
meine Ernennung zur Stellvertreterin der Direktorin zu fassen. Eine solche Institution
mußte unter Kriegsbedingungen eine Direktorin haben. Da der ehemalige Direktor
in den Ruhestand ging und der neugewählte sich für eine andere Stelle entschied,
dachte man, es wäre besser eine Stellvertreterin zu ernennen. Ich machte Herrn Ivanda
darauf aufmerksam, daß ich Rechnungsführerin bin und nach dem Sozialgesetz
keine entsprechende Ausbildung für diese Arbeitsstelle besitze. Er erklärte mir, die
Gemeinde Vukovar würde sich im Krieg befinden und alles werde der gegenwärtigen
Lage untergeordnet. Die Entscheidungen über die Ernennungen treffe der Beauftragte
der Regierung der RH für Stadt und Gemeinde Vukovar Herr Marin Vidić Bili. Er
gab mir einen schriftlichen Beschied des Krisenstabs.
Gleich nach dem Gespräch mit Herrn Ivanda versuchte ich den Kontakt mit der
Mitarbeiterin des Beauftragten der Gemeinde Vukovar für Sozialarbeit Frau Bojana
Peter aufzunehmen, um sie von neuen Umständen im Altenheim zu informieren,
aber ich konnte sie nicht erreichen.
Ich benachrichtigte das Personal über den Beschluß des Krisenstabs und legte ihm
den schriftlichen Bescheid zur Einsicht vor. In Einklag mit dem Statut der Einrichtung
bestätigte die Arbeiterversammlung meine Ernennung zur Stellvertreterin. Der
Bescheid des Krisenstabs für Gemeinde und Stadt Vukovar sowie die Entscheidung
der Arbeiterversammlung wurden gleich dem Republikfonds für Sozialschutz der
RH geschickt.
161
Sicherheits- und Versorgungmaßnahmen für Schützlinge des Altenheims (gescannte Seite des Tagebuchs)
162
31. 07. 1991
Bezüglich des ausgerufenen Kriegszustands in Vukovar, stellte ich allen Beschäftigten
die Sicherheits- und Versorgungsmaßnahmen für Schützlinge eines Altenheims zu.
Dem Befehl des Krisenstabs der Gemeinde Vukovar gemäß, wurden der Nationalgarde
einige Kellerräume als Lebensmittel- und Ausrüstungslager abgetreten.
01. 08. 1991
Damjan Samardžić, genannt „Veliki bojler“ („Großer Boiler“), brachte Lebensmittel
und irgendeine Ausrüstung in die Lagerräume. Ich sah nichts und er sagte zu mir nur,
daß er und seine Gardisten ab und zu kommen werden, um etwas zu bringen oder
etwas zu holen. Die Schlüssel dieser Räume hatten nur sie.
02. 08. 1991
Ich sprach mit Pater Branimir Kosec über die Möglichkeit, eine Messe im Altenheim
zu lesen. Grundsätzlich vereinbarten wir einen Termin für Sonntag den 04. 08.
1991.
03. 08. 1991
Mir wurde gemeldet, daß die Oberschwester die Stadt verließ. Am Nachmittag des
Vortags rief ihre Schwiegermutter um etwa 16 Uhr an, und sagte, daß Delfa Miljanović
mit Kindern eigenwillig nach Bosnien im Jahresurlaub gefahren sei, obwohl man
mündlich und schriftlich vereinbarte, alle Jahresurlaube zu verschieben. Man schickte
an sie ein Telegramm (Nr. 2197), in dem man verlangte, sie sollte am Montag, den 05.
08. 1991, zur Arbeit kommen. Auch Margareta Sruk rief man in Zagreb an (041/286410). Sie teilte mir mit, sie sei krank (sie fuhr nach Zagreb wegen eine Todesfalles).
Während des Frühstücks informierte ich die Insassen über die Situation in Vukovar
und den Abgang einiger Mitarbeiter, und bat sie alle um Hilfe, damit die Einrichtung
auch unter neuen Bedingungen funktionieren könnte. Sie erfuhren auch, daß einige
Kellerräume der Nationalgarde überlassen wurden. Als Aushilfe beim Weggang
in den Schutzkeller wurden die Insassen Rade Paprić, Zvonko Šibalić und Jovo
Vukomanović bestimmt.
Alle Mitarbeiter wurden zu einem kurzen Zusammentreffen um 13,00 Uhr wegen
der Besprechung weiterer Arbeitsorganisation einberufen.
Um 10 Uhr vereinbarte ich mit Pater Kosec von der römisch-katholischen Kirche,
daß eine Messe im Altenheim am Sonntag den 04. 08. 1991 um 15 Uhr gehalten wird.
163
Mit der Einrichtung des Raumes wurde Ljuba Antolović, eine Krankenschwester,
beauftragt.
04. 08. 1991
Pater Branimir Kosec hielt eine Messe im Altenheim. Die Insassen waren begeistert
und nach der Messe erkundeten sich beim Pater, ob die Messen von jetzt an regelmäßig
gelesen würden. Er versprach, jeden Sonntag zu kommen.
06. 08. 1991
An Branka Miščević (Nr. 2225) wurde ein Telegramm geschickt, in dem verlangt
wurde, daß sie am 09. 08. 1991 zur Arbeit erscheint.
07. 08. 1991
Der Ankauf von Kartoffeln nach Marktpreisen. In Lovas wurden Bohnen bestellt.
Die Lebensmittelvorräte wurden überprüft und eine Liste für die Anschaffung
dreimonatiger Vorräte verfaßt.
08. 08. 1991
Der Republikfonds für Sozialschutz forderte in einem Eilverfahren die Zustellung
von ausgefüllten Gehaltsformularen. Alles war schon vorbereitet. Die Zustellung
sollte bis 09. 08. 1991 geschehen.
09. 08. 1991
Die Gehaltsformulare wurden zugestellt. Die Kostenvoranschläge für den Kauf von
Kohle und den Transport von Banovići waren eingetroffen. Man verlangte eine
dringende Einzahlung. In der Organisation der Schichtarbeit wurden die Probleme
immer größer. Die Arbeitsplätze waren schwer zu besetzen. Es fehlten sieben
Mitarbeiter. Die Arbeiterversammlung wurde einberufen, um das Arbeitsverhältnis
der Mitarbeiter, die ihre Arbeitsplätze willkürlich verlassen hatten, zu beenden.
Damjan Samardžić gab mir eine Kalaschnikow mit zwei Magazinfüllungen und zwei
Munitionskästen. Ich betete zu Gott, es niemals benutzen zu müssen.
164
Schreiben an das Ministerium für Arbeit und Sozialschutz
165
10. 08. 1991
Der Lebensmittelkauf am Markt. Ich mußte am Montag das Ministerium für Arbeit
und Sozialschutz wegen Mangel an Arbeitskräfte, sowie wegen der willkürlich
abgegangenen Mitarbeiter kontaktieren.
12. 08. 1991
Die Gehaltsformulare P-1 und Tabellen 2 wurden zugestellt und Nensi Mučalov,
Krankenschwester und ehemalige Vertretung, sowie Đurđa Čolak, Pflegerin,
angemeldet.
Das amtliche Schreiben mit der Forderung nach Reduzierung materieller Ausgaben
um 20% war angekommen. Die Arbeiterversammlung wurde abgehalten und
die Entscheidung über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses betreffend Delfa
Miljanović, Branka Miščević, Margareta Sruk, Katica Milić und Zora Magoč
getroffen.
13. 08. 1991
Der Bericht für das Ministerium für Arbeit und Sozialschutz über die Kündigungen
(Telefax in der Post Vukovar), sowie eine Ausschreibung für zwei Stellen: Pflegerin
und Krankenschwester, wurden geschickt.
19. 08. 1991
Dem Republikfonds wurden eine Übersicht der materiellen Ausgaben und ein Bericht
über die Lage im Altenheim zugestellt.
24. 08. 1991
Der Anfang der Angriffe auf Vukovar von Borovo Selo aus.
26. 08. 1991
Die Arbeiterversammlung wurde einberufen. Man sollte die Probleme in der
Arbeitsorganisation besprechen, aber das Treffen wurde abgesagt, weil von allen
Seiten ununterbrochen geschossen wurde. Nebenbei vereinbarte man, daß sich
alle Mitarbeiter Mühe geben werden, die Schichten zu decken. Die Bewohner des
Altenheims sollten den Mangel an Arbeitskräften so wenig wie möglich spüren.
166
Vukovar wurde bombardiert, nachdem die Sirene dreimal ertönt war. Alle beweglichen
Insassen gingen in den Schutzkeller, die bettlägerigen wurden in ihren Zimmern
versorgt.
27. 08. 1991
Die Angriffe setzten sich fort. Das Brot wurde angeschafft. Wir versuchten während der
Pausen zwischen zwei Angriffen das Essen vorzubereiten, die Bewohner umzuziehen
und das Gebäude aufzuräumen.
28. 08. 1991
Am frühen Morgen, als ich zur Arbeit fuhr, nachdem ich in meinem Haus nach einer
langen Zeit übernachtet hatte, traf ich an einer Kreuzung Milenko Tešanović mit
einem Mehrfachraketenwerfer auf seiner Schulter an. Er wartete auf seine Mitkämpfer,
die die Stellungen in Mitnica nahe Bugarsko groblje (Bulgarischer Friedhof) hielten,
aber niemand kam. Er bat mich, ihn mitzunehmen. Obwohl ich in Eile war, weil ich
noch Lebensmittel für das Altenheim abholen sollte, ließ ich ihn einsteigen. Gleich
hinter der Veterinärstation, bemerkte ich Hindernisse aus Heuballen und einige
Lkws. Erst als ich mir noch näherte, sah ich Minen auf der Straße. Sofort hielt ich
an, aber Milenko behauptete ruhig, es gäbe genug Platz. Erst jetzt wurde mir klar,
daß der Krieg wirklich begann. Ich fuhr ihn bis zu seiner Stellung weiter. Da waren
schon Budimir, Dujić, Čolak und Beljo. Ich kehrte sofort um. Aber gleich nachdem
ich mein Büro betreten hatte, kam eine der Pflegerinnen angerannt. Vera Tešanović,
Ehefrau von Milenko, teilte mir schockiert und nach Worten ringend mit, daß die
Panzer der JNA bis Bugarsko groblje (Bulgarischer Friedhof) durchgekommen
waren, und daß unsere Leute, die zusammen mit Milenko entlang dieser Linie Wache
hielten, jetzt im Tal in der Nähe des Weges nach Vučedol abgeschnitten seien. Ich
konnte nicht glauben, denn ich kam gerade von dort. Sie sagte, man sah, daß auf sie
geschossen würde, aber niemand wußte, was später mit ihnen passierte. Während
der Fahrt mit Milenko habe ich nichts gesehen. Ich hörte das Getöse der Panzer, aber
Milenko erzählte mir, man höre es jeden Tag. Die Panzer seien in Ovčara, wo sie
jeden Tag die Motoren auf Touren laufen lassen, und so denke man, sie seien einem
hinter dem Rücken. Ich wußte nicht, was ich Vera sagen sollte, ich fühlte, sie jetzt zu
trösten, wäre nicht angemessen. Wir konnten nur auf neue Nachrichten warten. Das
Brot bekamen wir nicht. Schon am frühen Morgen hörte man Explosionen. Unsere
Schützlinge befanden sich im Keller.
Nach dem Mittagessen rief mich Anđa Budimir und sagte, daß alle Verteidiger
zurückgekehrt seien. Ihr Rückzug durch den Wald um Novo groblje (Neuer Friedhof)
167
in Vukovar herum und bis zu den ersten Häusern in Čvorkovac dauerte ganze fünf
Stunden. Sie sollten den ganzen Weg gekrochen haben. Milenko wollte auch seinen
Mehrfachraketenwerfer nicht zurücklassen und so schleppten sie ihn zurück. Ich
benachrichtigte gleich Vera, daß ihr Ehemann bald zu Hause sein werde. Um 17
Uhr ertönten die Sirenen wieder. Die Kampfflugzeuge überfliegen nur Mitnica, wie
es mir schien. Ich dachte darüber nach, was würde passieren, falls eine Bombe das
Altenheim trifft. Niemand würde überleben, da uns unser Keller vor solchen Angriffen
nicht schützen konnte. Meine Überlegungen unterbrach eine starke Explosion in der
nächsten Nähe, welcher noch andere folgten. Alles schwankte und rüttelte. Wir alle
schwiegen. Unsere Köpfe waren zwischen unseren Beinen, als ob das wirklich helfen
könnte. Nachdem die Entwarnung um 19 Uhr gegeben worden war, war ich nicht
imstande zu sprechen. Die JNA, welche für uns alle schon seit Generationen ein
Synonym für Sicherheit war, bombardierte ihr eigenes Volk. Aber man hatte keine
Zeit um nachzudenken. Wir müssten ein Abendessen zubereiten und die Insassen
beruhigen. Um 19 Uhr blieben wir ohne Strom und Wasser.
29. 08. 1991
Wir kauften Brot früh am Morgen in NAMA (Narodni magazin/Volksmagazin).
Die Speisekarte wurde verändert und den neuen Umständen angepaßt. Es wurde
ein neuer Angriff von allen Seiten erwartet. Die Panzer, die entlang des Friedhofes
durchdrangen, hatten Mitnica in ihrer Hand. Der Stadtteil war ihnen auf Gnade und
Ungnade ergeben. Ich verließ das Gebäude des Altenheims und bemerkte im Hof
fünf Bombentrichter, die gestern entstanden. Ich nahm irgendwelche Schrauben und
Metallteile in den Keller mit. Ich informierte den Kroatischen Radiosender darüber,
daß fünf Geschosse neben dem Altenheim einschlugen, aber kein Schützling verletzt
wurde. Ich hoffte, daß die Verwandten das eventuell hören werden. Das Wasser kam
um 10 Uhr, aber kein Strom.
30. 08. 1991
Alle Insassen wurden versorgt. Das Frühstück verlief ruhig, man konnte auch die
Arzneimittel aus der Apotheke holen, sowie das Pulver für die Wasserdesinfektion
(Izosan). Der Stab der Territorialverteidigung spendete uns 120 kg Brot, 60 Stück
Joghurt, und 150 kg Milchpulver. Um 9,45 Uhr begann die Schießerei rund um die
Kaserne. Wir erwarteten einen Panzerangriff, der um 18 anfing. Unzählige Geschosse
fielen unmittelbar neben dem Gebäude. Das Gewehrfeuer hörte um 22 Uhr auf. Wir
blieben im Keller bis 1,30 Uhr, und erst dann kehrten wir nach oben zurück. Das
Gebäude war nicht beschädigt. Es gab keinen Strom und kein Wasser.
168
31. 08. 1991
Schon um 7 Uhr hörte man die Schüsse. Alle Insassen wurden versorgt. Die schwere
Bewaffnung eröffnete das Feuer um 10 und dauerte bis 12 Uhr an. Das Mittagessen
wurde verteilt und alle Insassen waren wohl auf. Wir konnten alle Schützlinge
fertigmachen und waschen. Es gab keinen Strom, aber das Wasser kam um 12 Uhr.
Das Abendessen wurde um 17 Uhr verteilt. Der Radiosender Vukovar kündigte neue
Angriffe an. Die Nacht war relativ ruhig.
01. 09. 1991
Die ganze Arbeit erledigte man früh am Morgen. Es waren die Kampfflugzeuge im
Höhenflug zu hören. Der Strom kam während der letzten Nacht. Alles wurde für den
nächsten Tag vorbereitet. Die Wäsche war gewaschen und gebügelt.
02. 09. 1991
Alle Versorgungen erledigte man am Vormittag. Es gab genug Brot und keine
Gefahrmeldung. Das Gewehrfeuer hört den ganzen Tag nicht. Es wurde ein Rückzug
der JNA angekündigt, aber niemand glaubte daran.
03. 09. 1991
Es gab keinen Strom und kein Wasser. Der Angriff auf Mitnica dauerte von 20 bis
22 Uhr. Tagsüber wurden alle Plätze im Altenheim besetzt. Die Anrufe wegen der
Unterbringung der älteren Menschen wurden immer häufiger, besonders wenn es
sich um die älteren Menschen ohne Familie handelte. „Vuteks“ und „Feuerwehrhaus“
gingen in Flammen auf. Ohne Rücksicht auf den vereinbarten Waffenstillstand trafen
Granaten und Bomben sogar das Stadtzentrum. Immer häufiger wurden die Zivilisten
verletzt, da die Angriffe überraschend ausgeführt wurden. Wir hörten regelmäßig
Radiosender Vukovar. Nur so konnten wir wissen, was eigentlich geschieht. Oft
kamen die Gardisten in der Pause zwischen zwei Kämpfen vorbei und brachten uns
Nachrichten.
04. 09. 1991
Kein Strom und kein Wasser da. Die Fleischvorräte schrumpften immer mehr. Die
Insassen waren mit dem Essen zufrieden. Es gab keine Einwände. Tag und Nacht
verliefen relativ ruhig, wenigstens bei uns. Der Strom kam während der Nacht.
169
05. 09. 1991
Wir konnten für den heutigen Tag alles erledigen, als ein heftiges Gewehrfeuer von
Ovčara und Novo groblje (Neuer Friedhof) aus eröffnet wurde. Schnell wurden alle
beweglichen Insassen in den Keller geführt. Die bettlägerigen begannen wir erst in
den größten Raum im Keller, in ein Lebensmittellager, zu verlegen, als eine starke
Explosion in der Abteilung „A“ erschallte. Ich verließ den Keller und rannte nach
oben. Ich hörte Schreie und Hilferufe. Aus dem Wohnzimmer der Abteilung und
einem Nachbarzimmer breitete sich eine Staubwolke aus. Im Wohnzimmer sah Oma
Rozalija Mujić fern. Ihr Kopf war sanft gebeugt, als ob sie einschlief. Sie war tot.
In das Nachbarzimmer stürzten sich Krankenschwestern Lena Vrtarić und Ljuba
Antolović und ich. Im ersten Augenblick konnten wir nichts sehen. Überall war Staub,
es roch nach Schießpulver und man hörte ständig diese Schreie. Drinnen waren drei
Betten. Am Fenster lag Sofija Nikolić, in der Mitte Katarina Hop und neben der Tür
Marija Bunjac. Ich ging instinktiv in Richtung von Katarina Hop, weil ich das Gefühl
hatte, sie wollte mir etwas sagen. Sie rollte ihre Augen, verzog ihr Gesicht zu einer
befremdenden Grimasse und streckte immer wieder ihre Zunge heraus. Ljuba und
Lena wußten sofort, daß die anderen zwei Frauen auch schwer verletzt waren. Ich
nahm die Decke von der Kata herunter um mir ihre Verletzungen anzusehen. Zu
meinem Entsetzen hatte sie keinen Bauch und kein Eigenweide mehr, ihre Beine
waren auf einer Seite des Bettes, der obere Teil des Körpers auf anderer Seite. Ich
roch den schrecklichen Gestank des verbrannten Fleisches und rannte in den Flur.
Ich fühlte eine starke Übelkeit und badete in Schweiß und dann hörte ich wie jemand
nach Krankenbahren rief. Man brachte alle drei Frauen in den Flur. Da warteten
schon Gardisten, Polizisten und Nachbarn. Ihnen folgte auch Dr. Karnaš mit einem
Rettungswagen. Alle bettlägerigen Bewohner wurden in den Keller untergebracht,
obwohl der Angriff noch dauerte. Die Mitarbeiter des Kommunalunternehmens
„Komunalac“ holten die Toten ab. Ich benachrichtigte Marin Vidić über die Ereignisse,
und bat ihn, falls das irgendwie möglich wäre, die bettlägerigen Insassen aus diesem
Gebäude zu evakuieren. Die Front war nur einige hundert Meter vom Altenheim
entfernt. Er versprach, alles zu unternehmen, um eine Evakuierung zu organisieren.
Auch die Fernsehteams kamen.
Gleich nach diesem Gespräch begannen wir mit Vorbereitungen für eine eventuelle
Evakuierung. Um 19 Uhr kamen die Busse. Wieder kamen alle, die helfen konnten,
vor allem Gardisten und Polizisten. Bis 21 Uhr waren alle in den Bussen. Eine kleine
Anzahl von ihnen konnte sitzen, und da der Weg nach Vinkovci über die Maisfelder
von Bogdanovci führte, mußte man sie während der Fahrt gut sichern, damit sie
nicht verletzt werden. So haben wir einige an ihre Sitze gebunden und einige am
Boden befestigt. Spät in der Nacht meldete ein Kollege aus Vinkovci, daß sie alle
170
glücklich in das Altenheim angekommen waren. Ich fing an zu weinen. Gleichzeitig
war ich glücklich und verzweifelt. Der Tod war jetzt da. Katarina Hop und Rozalija
Mujić verloren ihr Leben. Schwer verletzt wurden Sofija Nikolić, Marija Bunjac,
Gojko Drakulić und Lazar Grgić, und leichte Verletzungen erlitten Boško Čurčić,
Dragica Tomšik und Ana Edelmajer. Alle Mitarbeiter hatten mit dem Tod ständig zu
tun, aber diese Situation war etwas ganz anderes. Man durfte den Keller nicht mehr
verlassen. Ich konnte lange in der Nacht nicht einschlafen. Das erste Mal ließ mich
das Gewehrfeuer gleichgültig. Ich zuckte nicht mehr.
06. 09. 1991
Nach der Evakuierung der bettlägerigen Insassen, blieben im Altenheim noch 49 Benutzer,
unter ihnen auch Jelena Pereterski, die im Sterben lag, sowie Jovan Vukomanović,
der ablehnte, Vukovar zu verlassen. Während meine Mitarbeiter alles aufräumten,
Frühstück zubereiteten und die Insassen beruhigten, legte ich die Listen der evakuierten
und verbliebenen Menschen an. Nach Vinkovci meldete ich alle Telefonnummer der
Familien der evakuierten Insassen. Nach dem Frühstück begannen wir das gestern
durch ein Kanonengeschoß zerstörte Wohnzimmer sauber zu machen. Uns halfen auch
unsere Schützlinge. Für uns war es sehr schwer, dieses Zimmer zu betreten. Es weckte
in uns das Gefühl der Hilflosigkeit und zahlreiche Fragen: Was für Menschen waren
das, die auf ein Altenheim schießen konnten? Wie ist es möglich das so etwas passiert,
wenn das Erkennungszeichen des Roten Kreuzes, das auf der ganzen Welt respektiert
wird, klar und deutlich auf dem Dach zu sehen war? Was bedeutete überhaupt diese
Barbarei? Sind Menschen doch größere Bestien als Raubtiere? Schon der Blick hinauf
zur Zimmerdecke, wo die sterblichen Überreste von Katarina Hop noch klebten und
auch der Geruch des verbrannten menschlichen Körpers immer stärker wurde, erinnerte
mich an die Tatsache, daß wir uns im Krieg befinden. Wir konnten uns verteidigen auf
die einzige Art und Weise, die wir kannten: mit Herz und Glauben. Und unser Opfer
war wert dessen, woran wir glaubten. Wir waren davon überzeugt, niemandem etwas
Böses angetan zu haben. Wir räumten alles schnell auf und zogen uns in den Keller
zurück. Das Gewehrfeuer wurde wieder um 10 Uhr eröffnet. Die Omas beteten den
Rosenkranz. Dragica Babić, Krankenschwester, teilte mir mit, daß sie mit ihren Kindern
nach Deutschland fahren werde. Sie fragte mich, ob ich ihr ein Transport nach Vinkovci
organisieren könnte. Ich bat Frau Vilma Vidović und ihren Mann, sie nach Vinkovci
mitzunehmen. Sie willigten ohne viele Worte ein und fuhren sie mit ihren Kindern bis
zum Bahnhof in Vinkovci. Das Ehepaar brachte nach Vinkovci auch eine kleine Menge
an Unterwäsche, Kleidung und Bettwäsche für die evakuierten Insassen.
171
07. 09. 1991
Auf Verlangen der Kollegen aus Vinkovci nahm ich die ganze Dokumentation der
evakuierten Insassen (soziale Anamnese und medizinische Kartons) mit und in
Begleitung von Damjan Samardžić und Gardisten Ðuka aus Lovas fuhr ich mit ihrem
Wagen nach Vinkovci. Bis Bogdanovci sollten wir, erklärte mir Damjan, den bekannten
Maisweg nehmen, wobei eine große Möglichkeit bestand, daß vom Wald Ðergaj auf
uns geschossen wird. Gott sei Dank, das geschah nicht. Damjan fuhr so schnell,
daß ich mich nicht orientieren konnte, um möglichst schnell außer der Reichweite
des Feindes zu gelangen. In Vinkovci wartete auf mich eine große Überraschung.
Geschäfte und Markt arbeiteten wie üblich, die Stadt war voll Menschen, die sorglos
ihren Kaffee tranken, als ob 20 km weiter kein Krieg geführt wurde. Erst dann
wurde mir klar, warum die Kollegen aus Vinkovci darauf bestanden, daß ich die
Dokumentation mitbringe. Ich glaube, sie wußten nicht, daß sie dadurch nicht nur
mein Leben sondern auch das Leben anderer zwei Menschen gefährdeten. Es gibt
ein altes Sprichwort, das besagt, daß es Schlimmeres gibt. Und unser Opfer sah im
Vergleich mit der Lage der Verteidiger, die sich entlang des Maisweges verschanzten,
nicht mehr so groß aus. Sie waren da Tag und Nacht, und als wir vorbeifuhren, aßen
sie gerade zu Mittag. Ihre Mahlzeit bestand aus Konserven, Brot und Wasser. Als
ich zurück war, teilten wir die Betten der Insassen neu auf und bereiteten uns auf
einen sehr langen Aufenthalt im Keller vor. Ðuka richtete mit seinen Jungs eine
Telefonleitung im Keller ein und so konnte ich die Dienststelle für Flüchtlinge in
Zagreb anrufen.
Ich sprach mit Frau Jasminka Žanić, die mir Hilfe bei der Evakuierung der
übriggebliebenen Insassen versprach. Ich sprach auch mit Herrn Vinko Goluža,
Direktor des Fonds für Sozialschutz, der mich riet, andere Altenheime in Slawonien
und der Baranja anzurufen und vielleicht dort eine Unterkunft zu verschaffen. Leider
stieß ich auf kein Verständnis, in keinem anderen Altenheim gab es freie Plätze, und
ein Kollege aus einem erst eröffneten Heim in Slavonska Požega teilte mir mit, daß
er noch unbesetzte Plätze habe, aber nur für bestimmte Kategorien der Bewohner.
Ich rief Frau Žanić wieder an und erzählte ihr alles, und sie versprach, etwas zu
unternehmen.
Ich mußte jetzt mit unseren Bewohnern sprechen und alles für eine eventuelle
Evakuierung vorbereiten, die nur aufgrund der Erlaubnis des Beauftragten der RH
erfolgen konnte. Die Erlaubnis wiederum hängte von der Sicherheitslage ab. In
Zimmern räumte man den Schutt auf. Der Tag verlief ziemlich ruhig. Die Bewohner
waren versorgt. Das Gewehrfeuer dauerte fast die ganze Nacht.
172
08. 09. 1991
Das Frühstück wurde rechtzeitig zubereitet. Der Schutt in Abteilungen “A” und “B”
brachte man weg und nahm kaputte Fenster herunter. Wir machten Krapfen ohne
Rücksicht auf das ständige Gewehrfeuer. Unsere Schützlinge freuten sich sehr über
die Kuchen, die Vlado Veber und ich in der Küche vorbereiteten. Im Gasbehälter
war noch ein bißchen Gas vorhanden. Als Krapfen fast schon gebacken waren,
begann ein heftiger Angriff von Negoslavci. Die Granaten fielen unmittelbar vor dem
Küchenfenster. Wir beide warfen uns am Fußboden, und die anderen riefen uns zu,
wir sollten eiligst zurückzukommen. Wir wollten aber die Krapfen nicht zurücklassen
und warteten auf eine kleine Atempause. Wir konnten uns dann alle aufwarten. Ich
nutzte diese Gelegenheit, die Insassen über die Möglichkeit einer Evakuierung zu
benachrichtigen. Sie sollten das Nötigste einpacken. Am Nachmittag starb Oma Jelena
Pereterski und man rief das Kommunalunternehmen «Komunalac» an. Wir konnten
sie nicht zur Leichenhalle tragen, da der Angriff nicht nachließ, und so mußten wir
sie im Flur lassen.
09. 09. 1991
Drei Tage lang versuchte ich eine neue Unterkunft für die Schützlinge zu finden. Ich
sprach mit Herrn Masnić vom Republikfonds für Sozialschutz, aber über den Tag
der Evakuierung entschied der Krisenstab von Vukovar. Frau Žanić half mir eine
Unterbringung in Novigrad Istarski zu finden. Direktor des Altenheims Dr. Ikač
war außerordentlich hilfsbereit und ohne irgendwelche Einwände willigte er ein,
alle unseren Insassen aufzunehmen. Wir mußten nur noch auf einen günstigen
Augenblick warten. Leider schien es, daß ein solcher Augenblick nie kommen wird.
10. 09. 1991
Nach dem Frühstück redete ich mit Marin Vidić über die Möglichkeiten des Transports.
Er glaubte, man könnte ihn für den 13. 09. zwischen 10 und 11 Uhr organisieren. Die
Busse seien bereit, alles würde nur von der Intensität der Angriffe abhängen. Die
Insassen waren fürs erste gepackt. Die Nachricht über die Evakuierung breitete sich
schnell in der Stadt aus. Die Menschen riefen ständig wegen anderer älteren Menschen
an. Ich versprach alles zu tun um zu helfen. Wir wählten einige Personen als mögliche
Begleitung bis Istrien aus. Man sammelte Bilder aus allen Abteilungen und brachte
sie in den Keller mit Decken und Bettwäsche, um zu retten was noch zu retten war.
Es herrschte eine befremdende Stille unter uns. Das war ein Augenblick, den ich
nie vergessen werde. Die Freude darüber, daß diese alten Menschen in Sicherheit
gebracht werden und die Trauer über die Trennung überfielen mich. Wir waren wie
173
eine große Familie und hatten unsere guten und unsere schlechten Zeiten wie in
einer glücklichen Ehe. Im Krieg wurde dieses Gefühl noch stärker. Das Altenheim
war die einzige Familie, die diese Menschen hatten. Das Gewehrfeuer dauerte die
ganze Nacht und jeder vertiefte sich in seine Gedanken.
11. 09. 1991
Die vereinbarte Evakuierung wurde aus Sicherheitsgründen verschoben. Die Angriffe
auf Vukovar wurden immer heftiger. Ich sprach mit Dr. Bosanac über den kritischen
Zustand, in welchem sich Jova Vukomanović und Josip Erdeg befanden. Sie versprach
einen Rettungswagen zu schicken. Im Keller verbrachten wir den ganzen Tag und die
ganze Nacht.
12. 09. 1991
Der Rettungswagen konnte sich nicht durchschlagen. Weil die Evakuierung verzögert
wurde, waren alle Insassen sehr unruhig. Den ganzen Nachmittag versuchte ich ihnen
zu erklären, daß dieser Aufschub aus Sicherheitsgründen geschah, aber offensichtlich
war ich nicht überzeugend genug. Sie sagten, sie seien auch hier nicht sicher. Sie
wollten nicht die Tatsache akzeptieren, daß während der Fahrt womöglich sie alle mit
ihren Begleitern und Fahrern getötet werden könnten. Aber ihre Sicherheit war an
der ersten Stelle. In der Zwischenzeit blieben wir wieder ohne Strom und Wasser. Das
Essen konnte nicht gekocht werden und wir hatten Kalte Küche. Ich benachrichtigte
Herrn Masnić, daß der Zeitpunkt der Abreise immer ungewisser und Vukovar von
allen Seiten bombardiert werde. Der heftigste Angriff begann um 13,20 Uhr. Ich habe
allen verboten, den Keller zu verlassen. Unter Kerzenlicht aßen wir unser Abendessen.
Alle waren beunruhigt. Mir erschien, als ob es keine Evakuierung mehr geben wird.
Jede Feuereinstellung wurde bis jetzt gebrochen und ich glaubte nicht, daß sich etwas
daran ändern wird. Ich konnte mit niemandem darüber sprechen. Meine Gedanken
waren zu traurig.
13. 09. 1991
Nachdem der Angriff während der Nacht verstummt hatte, wurde das Gewehrfeuer
wieder am frühen Morgen eröffnet. Als man einschätzte, daß die Granaten weit
entfernt fallen, machten wir Feuer im Hof und bereiteten Paprikas mit Kartoffeln. Die
Kampfflugzeuge waren im Höhenflug. In dem Moment als Bartol und ich den Topf mit
dem Essen in den Keller brachten, fiel eine Granate genau auf die Stelle wo die Feuerstelle
war. Glücklicherweise wurde niemand verletzt.
174
Der Angriff dauerte den ganzen Tag. Wir hatten genug Trinkwasser. Man ließ aus
Wasserrohren allmählich das Wasser aus, da der Keller unterhalb der Leitungen lag.
Einige der Insassen warren mit Nerven am Ende. Es wurde immer schwerer sie zu
beruhigen. Die größte Ungläubigkeit verursachte die Tatsache, daß wir von der JNA
angegriffen wurden. Die Insassen glaubten uns nicht, daß sie ins Krankenhaus nicht
eingeliefert werden könnten. Sie dachten, im Krankenhaus wären sie sicher. Um sie
nicht noch nervöser zu machen, verschwieg ich viele Sachen. Im Krankenhaus gab es
keinen Platz. Es war voll verwundeter Verteidigern und Zivilisten. In Vukovar riskierte
man sein Leben für Wasser, Lebensmittel und klare Luft. Das konnten unsere Insassen
noch immer nicht verstehen.
14. 09. 1991
Früh am Morgen besichtigte ich das Gebäude. Viele Fenster waren kaputt und viele
Häuser in der Nachbarschaft wurden direkt getroffen, einige waren völlig zerstört.
Um 9 Uhr begannen neue Angriffe von allen Seiten.
Die Verteidiger rannten von Mitnica zur Trpinjska Straße, von der Trpinjska Straße zu
Sajmište. Wir und die Tankstelle „INA“ wurden von der Kaserne aus beschossen. Ich
bat zu Gott, daß die Tankstelle nicht getroffen wird. Falls das passieren sollte, würden
wir alle brennen. In dem Reservoir war noch immer Treibstoff gespeichert. Zum
Glück wurde sie nicht getroffen. Von Negoslavci aus wurden die Geschosse ständig
abgefeuert, und es schien, als ob jede Granate vor unseren Fenstern landen würde. Die
Wasservorräte waren noch immer zufriedenstellend, aber wir konnten keine warmen
Mahlzeiten zubereiten. Fürs Kochen draußen war es zu gefährlich. Spät am Abend
kam Dragan Čorić, Gardist. Er hielt eine Stellung bei der Kaserne inne. Er teilte mir
mit, Sajmište sei gefallen. Eine kleine Anzahl der Einwohner konnte fliehen und fand
eine Unterkunft im Keller der Grundschule „Vladimir Nazor“. Er selbst konnte seine
Mutter und Schwester mit zwei Töchtern darausholen. Über das Schicksal anderer
wußte man nichts. Andererseits, das was die Überlebenden zu berichten wußten,
war schrecklich. Die Tschetniks gingen von einem Haus zum anderen und warfen die
Bomben hinein. Erst danach überprüften sie, ob sich jemand in diesen Häusern noch
versteckte. Ich konnte nichts sagen. Die schwarzen Gedanken waren wieder da.
15. 09. 1991
Die Nacht war ruhig. Die Nachricht über den Fall von Sajmište breitete sich sehr schnell
aus. In der Stadt machte sich der Mangel an Lebensmitteln ernsthaft bemerkbar. Die
Angriffe begannen um 9 Uhr. Das Frühstück wurde verteilt, aber die Wasservorräte
wurden immer geringer. Wir konnten unser Mittagessen draußen kochen und einige
175
Eimer Wasser von einem naheliegenden Brunnen holen. Da es wenig Brot gab, wurde
der Nudelteig häufiger verbraucht. Während des ganzen Tages wurde die Stadt von
allen Seiten, auch aus der Luft, angegriffen. Um 12 Uhr starb Josip Erdeg. Elizabeta
Pabulkov lag im Koma. Die beiden wurden in ein Nebenzimmer untergebracht, um
andere Insassen nicht zu beunruhigen. Die Telefonleitungen waren noch intakt und
so konnte ich „Komunalac“ anrufen und das Kommunalunternehmen über den Tod
von Josip benachrichtigen. Ich glaubte nicht, daß jemand bald kommen könnte, um
ihn abzuholen. Er lag im Zimmer mit Oma Elizabeta. Am Nachmittag wurde das
Telefonkabel durchschnitten. Strom und Wasser gab es noch immer nicht. Der Tag
verlief für uns alle angespannt. Alles war und nichts war normal. Die Angreifer ließen
uns keine freie Minute um nachzudenken.
16. 09. 1991
Am frühen Morgen hat man die Leiche von Josip Erdeg in die Leichenhalle verlegt.
Nach Mitternacht hörten die Angriffe auf. Der Radiosender Vukovar meldete, daß
gestern einen Waffenstillstand unterzeichnet wurde. Niemand aber glaubte, daß er
durchgeführt wird. Wir bereiteten das Mittagessen zu, und Dragan brachte Brot für
drei Tage. Das Wasser trugen wir in Fässern. Bei einem rationellen Verbrauch könnte
diese Menge für ein paar Tage reichen. Um 11 Uhr begann bis zu diesem Zeitpunkt
der heftigste Panzerangriff von Trpinje aus auf die Trpinjska Straße. Tag und Nacht
verbrachten wir im Keller. Es war ein Glück, daß wir eine Toilette hatten, so mußten
wir wegen der Notdurft nicht nach draußen gehen. Die Kerzen waren alle. Da wir
noch ein bißchen Öl hatten, machten wir die Ampeln aus Öl, Korkstöpseln und
Hosenbändern, die wir für die männliche Unterwäsche vorrätig hatten, fertig. Diese
Ampeln waren eine Ideallösung da wir keinen Strom hatten. Der Radiosender, den uns
die Gardisten zusammen mit Batterien überlassen haben, stellte eine willkommene
Abwechslung dar. Die Mitarbeiter hörten die Nachrichten und für die Insassen spielte
man am Abend Musik, um das Gewehrfeuer ein wenig zu vergessen.
17. 09. 1991
Da es keinen Strom gab, begann das Fleisch in Kühlschränken aufzutauen. Zum
Mittagessen spendete uns „Gradska kavana“ (Städtisches Kaffeehaus) Gulasch. Obwohl
man allen Insassen verboten hat, den Keller zu verlassen, es war schwer sie ständig zu
kontrollieren, da wir viel Arbeit in kurzen Pausen zwischen Angriffen zu erledigen
hatten. So hat auch Mirko Inđić den Keller unbeaufsichtigt verlassen. Er wollte auf sein
Zimmer am Anfang der Abteilung „C“, um einige persönliche Gegenstände zu holen.
So lautete wenigstens seine Erklärung für Zvonko. Als mir Zvonko sagte, daß Mirko
herausgegangen war, war es schon zu spät. Ich fand ihn im Flur vor seinem Zimmer.
176
Ein Granatsplitter traf ihn bei der Nase. Er hatte keine anderen Verletzungen. Nensi
sagte, er war sofort tot. Es sah so aus, als ob er eingeschlafen wäre. Die Geschosse
fielen überall und erst mit viel Mühe konnten wir ihn in den Keller bringen. Alle
waren tief getroffen, und ich begriff, daß unsere Schützlinge erst jetzt verstanden
haben, was sie da draußen erwartet. Der Angriff dauerte den ganzen Tag. Um etwa
21 Uhr starb Oma Elizabeta Pabulkov. Somit hatten wir schon drei tote Personen, die
wir nicht begraben oder irgendwo in Sicherheit bringen konnten, damit die neuen
Geschosse sie nicht zerstückeln. Opa Josip war noch immer in der Leichenhalle, und
die neuen Toten konnten auch nicht unter Lebenden bleiben. Deshalb entschied
man sich trotz der Gefahr, die Leichen in Betttücher einzuwickeln und sie dann in
die Leichenhalle zu verlegen. Die Gardisten besuchten uns schon lange nicht. Die
Angriffe auf Vukovar waren so heftig, daß keiner seine Stellung verlassen konnte.
Ich war sehr traurig. Ich hatte das Gefühl, daß die Panzer vor unseren Türen warten.
Das Gewehrfeuer wurde immer intensiver und ich war seit Tagen nicht zu Hause,
obwohl es nur einige hundert Meter vom Altenheim entfernt war. Die ständige Angst
vor einem möglichen Durchbruch von der Kaserne über die Lache trieb mich in
den Wahnsinn. Ante Mihaljević und andere Verteidiger versicherten mir, daß so ein
Durchbruch nicht möglich wäre, da alles vermint war. Ein kleiner Trost, wenn man
wußte, daß sich auf anderer Seite dieser Lache einsatzbereite Panzer, Haubitzen und
Minenwerfer befanden, die jederzeit alles dem Erdboden gleichmachen konnten.
Im Keller meines Hauses war meine Sandra mit etwa einem Dutzend Erwachsenen
und Kinder. Ante kam immer wieder und brachte mir neue Nachrichten von meiner
Familie. Er bestätigte mir jedes Mal, sie wären wohl auf, aber für mich war alles irreal.
Ich konnte nur darüber nachdenken, ob sie genug Lebensmittel hätten und wie sie
sich ohne Strom und Wasser zurechtfinden. Der einzige Trost war mir die Gewißheit,
daß der Keller ziemlich sicher und gut ausgestattet war.
18. 09. 1991
Am frühen Morgen sagte mir Krankenschwester Lena Vrtarić, sie werde mit ihrer
Familie in die Wohnung in dem Stadtteil „Rupe“ einziehen, da ihre Kinder dieses
ununterbrochene Gewehrfeuer nicht mehr ertragen könnten. Nämlich, als die
Angriffe häufiger wurden, vereinbarten wir unter uns, daß wir die ganze Zeit im
Altenheim verbringen werden, und so erlaubte ich den Mitarbeitern, ihre Kinder
ins Altenheim mitzubringen, um diese schwere Situation für alle leichter zu machen.
Lena dachte, die Kinder werden es in „Rupe“ nicht so schwer haben. Ich konnte und
wollte sie in ihrer Absicht nicht verhindern. Wer war ich, um über fremde Schicksale
zu entscheiden? Ich verurteilte sie nicht, obwohl für uns jeder Mitarbeiter wichtig
war. Aber Milenko, Beljo und Franjo Mandić, sowie Dragan halfen häufig aus, und so
konnten wir diesen Verlust einigermaßen verkraften. Nur der Gedanke, daß wir eine
177
Krankenschwester verlieren, war dann doch nicht so leicht zu ertragen. Aber man
mußte sich mit der Situation abfinden. Dragan fuhr sie mit unserem Kombiwagen.
Ich dachte das wäre sicherer, obwohl der Begriff der Sicherheit in Vukovar wirklich
als relativ galt. Ich war erleichtert, als Dragan zurückkam. Am Nachmittag kam die
Mutter von Nensi Mučalov und bat mich, Nensi nach Hause gehen zu lassen. Sie hat
sie seit zwei Wochen nicht gesehen. Ich versprach, sie würde nach Hause kommen.
Ich ließ sie gehen, obwohl ich wußte, wenn Nensi nicht zurückkommt, haben wir nur
noch eine Krankenschwester zur Verfügung (Branka Mažar).
Die Angriffe dauerten Tag und Nacht. Das Mittagessen war warm. Strom und Wasser
gab es noch immer nicht. Die Telefonverbindungen waren abgebrochen. Niemand kam
um die Leichen zu holen. Ich war sehr besorgt darüber und erwog die Möglichkeit,
die Leichen zu begraben. Obwohl die Geschosse immer wieder abgefeuert wurden,
konnten wir die persönlichen Sachen der Insassen sammeln. Früher, vor dem Krieg,
ärgerte ich mich immer über ihre Vorräte an Toilettenpapier, jetzt würde ich sie alle
deswegen küssen. In Schränken fanden wir nicht nur Toilettenpapier sondern auch
Waschpulver. Noch ein Tag des Existenzkampfes.
19. 09. 1991
Nach dem Frühstück vereinbarte ich mit Kolleginnen den Insassen endlich zu
sagen, daß zu einer Evakuierung womöglich nicht kommen wird. Die Einschließung
Vukovars wurde immer enger. Sie nahmen diese Mitteilung mit Fassung. Sie alle hatten
schon einen Krieg erlebt, und obwohl sie aus dem Keller nicht herausgehen durften,
wurde ihnen klar, daß sie hier auf das Ende des Krieges warten werden. Ich wies sie
auch darauf hin, daß unser Wasserverbrauch maximal reduziert werden mußte. Der
Mangel am Wasser war natürlich neben Granaten unser größtes Problem.
Um 9 Uhr kamen Damjan Samardžić (Veliki bojler/Großer Boiler) und Đuka aus
Lovas um sich zu verabschieden. Sie nahmen aus Lagerräumen alles was sie noch
benötigten. Uns gaben sie noch vier Büchsen mit Rauchfleischprodukten, Kaffee,
Keksen und Fleischkonserven. Damjan führte mich hinaus, und zeigte mir wie man
eine Kalaschnikow für Einzel- und Schnellfeuer handhaben sollte. Er gab mir noch 5
Handbomben und erklärte mir wie sie aktiviert werden. Ich konnte mir nicht vorstellen,
sie zu benutzen, was ich auch laut sagte, aber Damjan bemerkte nur kurz: „Falls Vukovar
fällt, dürfen sie nicht lebend in die Hände von Tschetniks fallen. Niemand weiß was
genau in Sajmište passierte, aber viele Frauen und Mädchen wurden von Tschetniks
in Fabrik Bandić mißhandelt.“ Ich hatte noch ein Pump- und ein altes Jagdgewehr, ein
Panzerabwehrgeschoß und zwei Munitionskasten zur Verfügung. Damjan sagte, er
gäbe uns diese Waffen zur Aufbewahrung. Jemand würde sie später abholen kommen.
Die Verteidiger zogen sich ins Gymnasium zurück und sagten, sie würden nicht mehr
178
kommen können. Ihre Anzahl war so klein, daß sie sich ständig gegenseitig helfen
mußten. Đuka reparierte in der Zwischenzeit unsere Telefonleitung. Wir blieben uns
selbst überlassen, wie alle anderen Zivilisten auch. Gleich nachdem sie weggegangen
waren, entschieden uns Vera und ich, die naheliegenden Gärten zu besichtigen. Wir
pflückten Tomaten und Paprikas, um ein bißchen Abwechslung in unsere eintönigen
Mahlzeiten zu bringen. Die Angriffe begannen nach 11 Uhr. Bis zu diesem Zeitpunkt
haben wir schon das Mittagessen vorbereitet, das Wasser vom Brunnen geholt und
den Schutt am Kellereingang weggeräumt. Um 17 Uhr kamen die Mitarbeiter von
„Komunalac“, um die Leichen wegzubringen. Man sagte uns, daß die Leichen am
jüdischen Friedhof begraben werden. Die Angriffe dauerten die ganze Nacht und wir
dachten schon, die Erde explodiere. Das war die erste Nacht, als ich mit einer Waffe
ins Bett gegangen war. Vera meinte, daß es am besten wäre, die Waffen in meinem Bett
zu lassen, weil das der einzige sichere Platz vor Kindern wäre.
20. 09. 1991
Der Morgen war ruhig. Vielleicht war auch der Feind müde. Das Feuer wurde um
5 Uhr eingestellt. Keiner konnte schlafen. Während Vera und Dara das Frühstück
zubereiteten, habe ich das Gebäude inspiziert. Ich irrte mich nicht: Abteilung „C“,
die von Novo groblje (Novo groblje) und von der Front etwa 300 m entfernt war,
wurde zerstört, und aus Heizkörpern und Wasserrohren lief das Wasser aus. Das
Speisezimmer war ziemlich beschädigt durch die Geschosse, die von Negoslavci
aus abgefeuert wurden. Küchenfenster, Möbel und unser Kombiwagen waren völlig
vernichtet. Zum Glück hatten wir noch einen unbeschädigten Lieferwagen der
Marke „Jugo“ in der Garage. Die Spuren unzähliger Explosionen waren um das ganze
Gebäude herum sichtbar. Die Ambulanz und die Büros haben auch nicht überlebt.
Wir benutzten diese kleine Atempause um zwei Fässer Wasser zu holen und das
Mittagessen vorzubereiten. Dragan brachte Brot aus „VUPIK“-Bäckerei für zwei Tage
mit. Eigentlich war es Fladenbrot, aber wir waren darüber sehr glücklich, weil wir
nichts anderes hatten. Die Angriffe begannen um 10,30 Uhr. Sie dauerten Tag und
Nacht.
21. 09. 1991
Ein sporadisches Gewehrfeuer hörte man den ganzen Tag über von allen Seiten.
Alle Insassen waren wohl auf. Eine Mahlzeit war immer warm. Das Wasser wurde
geholt. Uns besuchten Ante, Franjo, Josip und Dragan. Dragan kam immer wenn er
konnte. Ihr Optimismus war ansteckend. Ich bat Dragan, Nensi abzuholen, und war
erleichtert, als ich sie sah. Der Gedanke an ihre Mutter in Borovo Naselje tat mir aber
weh, weil ich wußte, daß sie nur Nensi hatte. Aber Nensi konnte mit ihrer heiteren
179
und optimistischen Eigenart alle erfreuen. Sie mochte ihre Arbeit sehr. Strom und
Wasser erwarteten wir nicht mehr. Telefonieren konnte man nur mit Inland. Die
Angriffe wurden heftiger nach 19,oo Uhr. Während der Nacht trafen das Altenheim
mehr als 10 schwere Geschosse, so das alles schüttelte.
22. 09. 1991
Alle Insassen waren wohl auf. Wir konnten das Mittagessen zubereiten und Wasser
holen. Um 10 Uhr bekamen wir endlich Strom worüber man sich sehr freute. Die
Angriffe fingen am Abend an. Es regnete auch. Wir setzten die Plastikbehälter unter
Rinnen, die noch heil waren, und so sammelten wir das Wasser für die Geschirrspülung
und Toilette. Der Regen brachte auch Kälte mit, aber niemand beklagte sich darüber.
Man hatte genug Decken.
23. 09. 1991
Die Kampfflugzeuge überflogen seit 12 Uhr Mitnica, aber kein Gewehrfeuer wurde
eröffnet. Ein neuer Waffenstillstand wurde unterzeichnet. Trotzdem versuchten
wir das Nötigste zu erledigen: Mahlzeiten zu kochen, Insassen zu überprüfen und
Arzneimittel zu verabreichen (Vorräte sollten noch, Gott sei Dank, lange reichen),
Wäsche zu waschen, Toilette sauber zu machen, damit wir nicht ersticken (im
Keller waren 60 Leute untergebracht). Der Tag verlief ruhig. Um 17 Uhr trafen die
Feuerwehrmänner mit einer Zisterne ein, und brachten uns Wasser mit. Wir füllten
alle Fässer an. Wir alle konnten uns ein bißchen erfrischen und zurechtmachen. In
obigen Stockwerken fanden wir noch Kleidung, Bettdecken, zwei Fernseher und sogar
amtliche Dokumentation. Früher versuchte ich diese Dokumentation überhaupt
nicht zu retten, da die Insassen Priorität hatten. In einer Schublade des Tisches der
Sozialarbeiterin fand ich auch etwas Geld, das unseren Schützlingen gehörte. Wir
nahmen auch ein Bett für Karlo Didio mit. Da seine Beine amputiert waren, hatte
er große Schwierigkeiten auf einer Matratze zu liegen. Sein Glück war unermeßlich,
als er das Bett bemerkte. Jovo Vukomanović ging es sehr schlecht und er hatte starke
Schmerzen. Er wurde in ein kleines Nebenzimmer für Bettwäsche untergebracht, um
die anderen Insassen nicht zu stören. Der Angriff begann nach 18 Uhr. Während der
Nacht tauchte für eine kurze Zeit das Wasser auf, ich wußte selbst nicht woher, aber es
verschwand auch wieder schnell. Die Wasserrohre waren offenbar sehr beschädigt.
24. 09. 1991
Beba Mažar, Sozialarbeiterin, und ihre Tochter Branka Mažar, verließen das
Altenheim. Von 22 Beschäftigten blieben nur uns vier: Dara Mandić, Kassiererin,
180
Nensi Mučalov, Krankenschwester, Vera Tešanović, Pflegerin, und Anica Marić,
stellvertretende Direktorin.
Wie lange das alles dauern wird und wird uns jemand noch aus irgendwelchen
Gründen verlassen, darüber nachzudenken hatte ich nicht viel Zeit. Um 12 Uhr
begannen heftige Angriffe von allen Seiten. Um 20 Uhr, als das Gewehrfeuer aufhörte,
ging ich nach draußen, um mich umzusehen. Obwohl ich neue Schäden am Gebäude
erwartete, war ich dann doch völlig bestürzt. Alles wurde verwüstet, besonders die
„C“ Abteilung. Die Trümmer waren überall. Auf meine Überraschung fand ich Oma
Ana Bižak vor ihrem Zimmer in der Abteilung „A“ stehen. Sie sah stumm in Richtung
ihres Bettes zu. Sie konnte mir nicht erklären, wie sie aus dem Keller hinausgegangen
war und wie sie zum Zimmer anlangte. Ich führte sie zurück in den Keller und
dankte dem Himmel, daß ihr nichts passierte. Ich benachrichtigte den Kroatischen
Radiosender über die Verwüstung, und bat ihn während der Nachrichtensendung zu
wiederholen, daß alle Insassen wohl auf seien. Ich erwog wieder die Möglichkeit einer
Evakuierung oder wenigstens einer Unterbringung in einer anderen Unterkunft. Es
schien, als ob „Mitnica“ den heftigsten Angriffen ausgesetzt war, aber der Radiosender
Vukovar meldete, daß in der ganzen Stadt die Hölle los sei.
25. 09. 1991
Alle Insassen waren wohl auf. Die Angriffe dauerten die ganze Nacht. „Mitnica“ wurde
von einem Regen aus verschiedensten Projektilen überschüttet: Panzergeschosse und
Projektille der Mehrfachraketenwerfer (man nannte sie Stanzen). Vor dem Eingang in
unsere Unterkunft schlugen vier Geschosse in alle Fenster ein. Zum Glück beklagten
sich unsere Insassen überhaupt nicht, obwohl einige von ihnen sehr krank waren.
Bis 10 Uhr war die ganze Arbeit erledigt, auch das Mittagessen vorbereitet. Um 11
Uhr begann wieder ein neuer Angriff auf Vukovar. Wir kriegten schon lange keinen
Besuch von unseren Verteidigern, sogar Dragan kam nicht. Nach der Heftigkeit des
Angriffs und der Anzahl der Geschosse schien mir, als ob die Tschetniks die Stellungen
unserer Verteidiger jederzeit einnehmen werden. Ich dachte an die Bomben, die sie
in die Keller in Sajmište reinwarfen. Ich rief meine Familie an. Alle waren wohl auf,
sie hatten genug zu essen und trinken, aber keinen Strom.
26. 09. 1991
Gleich nach dem Frühstück (das immer um 7 Uhr verteilt wurde, ganz egal was
passierte), rief ich Herrn Marin Vidić an, um zu überprüfen, ob unsere Insassen
vielleicht in einen Atomschutzkeller versetzt werden könnten, da unsere Lage
immer gefährlicher werde. Jedes neue Geschoß könnte eigentlich direkt in unseren
181
Keller einschlagen, da oberhalb unseres Kellers alles zerstört war. Ich machte diesen
Anruf nur um mein Gewissen zu beruhigen, da ich wußte, daß mein Anliegen eine
unmögliche Mission war. Die Antwort war mir leider schon bekannt. Nirgendwo
gab es Platz und überall lauerte die Gafahr. Panik und Angst begannen allmählich
unsere Insassen und meine Mitarbeiter zu erfassen. Die Mitarbeiter mußten aber ihre
Gefühle verdrängen. Uns blieben nur der Trieb nach dem Leben und der Wunsch
nächsten Tag zu erleben. Ich rief nach Bartol, der mir sonst in der Küche half, er sollte
sich wegen des Mittagessen mit Holzhacken beeilen. Der Vorrat an Lebensmittel war
noch immer zufriedenstellend. Wir hatten auch einen Hund, wir wußten nicht woher
er kam, aber er blieb bei uns. Wir nannten ihn Goldie. Im Augenblick als ich nach
Bartol rief, damit er mir beim Tragen des Topfes hilft, rannte Goldie plötzlich in
Richtung Keller, und Bartol schrie von Treppen herab: „Nach unten, sie müssen nach
unten“, worauf ich ohne zu überlegen in den Keller flüchtete. Noch bevor ich den
Eingang des Kellers erreichen konnte, erschütterte eine starke Explosion das Gebäude.
Pünktlich um 12 Uhr begann noch ein heftiger Angriff. Da unser Mittagessen sonst
zwischen 12 und 13 Uhr serviert wurde, bat ich die Insassen sich ein bißchen zu
gedulden. Das Mittagessen sei fertig, aber noch immer draußen. Die Gelegenheit den
Topf zu holen, ergab sich nach einer halben Stunde. Bartol und ich gingen nach
oben, aber da gab es keinen Topf und keine Feuerstelle mehr. Eine Granate traf unser
Mittagessen, es war ein Volltreffer. Eine neue Explosion erschallte vor der Küche und
wir rannten wieder in den Keller, um sich zu verstecken. Ich sagte zu Dara, Vera und
Nensi, daß unser Mittagessen verloren war, und daß die Insassen eine kalte Mahlzeit
bekommen werden. Die Insassen beklagten sich, obwohl Bartol ihnen erzählte was
geschah. Sie erwarteten Gulasch und jetzt müssten sie sich mit Fleischkonserven
zufriedengeben. Der Angriff dauerte den ganzen Nachmittag und die ganze Nacht.
Um 4 Uhr wurde das Artilleriefeuer von Ovčara aus noch heftiger.
27. 09. 1991
Ich machte keine Rundgänge um das Gebäude mehr. Es gab nichts mehr zu zerstören.
Beba Mažar rief an, und sagte, daß Dragan sie und ihre Tochter Branka abholen
sollte. Sie will zur Arbeit kommen. Dragan brachte auch das Brot mit. Die Angriffe
begannen um 10 Uhr. Es war unmöglich den Keller zu verlassen. Das Brot aßen
wir nur zum Frühstück und Mittagessen, als Abendessen bekam man Nudeln und
Kekse.
28. 09. 1991
Schon um 5 Uhr fuhr ich mit unserem unbeschädigten Wagen zur „VUPIK“Bäckerei neben dem Silo bei der Ausfahrt von Vukovar. Es war ruhig und ich
182
bekam Brot (eigentlich Fladenbrot) für drei Tage. Es war hart, weil es keine Hefe
gab. Wir haben es aufgeschnitten, in Öl, Wasser und Vegeta getunkt und in einer
Pfanne gebraten. So bekamen wir ein weiches Gebäck, daß sehr schmackhaft war.
Während der Fahrt von „Mitnica“ bis zum Silo vergewisserte ich mich, daß überall
dasselbe Bild der Zerstörung herrschte. Ich hatte daher keine andere Wahl, als unsere
Insassen dort zu lassen, wo sie waren. In der ganzen Stadt herrschte Hölle. Die
Menschen rannten, um Wasser und Lebensmittel zu holen. Alles spielte sich wie in
einem Film ab. Jeder hatte ein ganz bestimmtes unentbehrliches Ziel zu erreichen
und eine ganz bestimmte Frist dafür, weil niemand wußte wann der neue Angriff
starten wird. Vukovar ähnelte immer mehr einem Trümmerfeld. Ich kam rechtzeitig
ins Altenheim zurück. Gleich zog mich Zvonko Šibalić zur Seite ab, und sagte mir,
daß Stevan Jovičić (ein ehemaliger Partisane) aus Borovo Selo jeden Abend zwischen
20 und 20,30 Uhr mit seiner Batterielampe durch das Kellerfenster gleichmäßige
Signale in Richtung Negoslavci gab. Er beharrte darauf, daß in der Regel nur eine
halbe Stunde danach, die Geschosse vor unseren Fenstern landete. Ich erinnerte mich
daran, daß ich Stevan oft im Speisezimmer mit eingeschaltetem Licht antraf, als wir
noch Strom hatten. Ich wies ihn darauf hin, daß das Licht nicht angemacht werden
dürfte, aber damals fiel es mir nicht im Traum ein, daß er Lichtsignale jemandem
gegenüber geben konnte, der sie wiederum nach Negoslavci weiterleitete. Da auch
andere Häuser in der nächsten Umgebung der Erde gleichgemacht wurden, schenkte
ich diesen Vorfällen keine besondere Aufmerksamkeit, aber Zvonko behauptete
hartnäckig, daß es sich doch um Lichtsignale handelte. Darauf sprach ich mit Stevan
und fragte ihn ob er eine Batterielampe hätte. Er sagte, er würde sie benötigen, wenn
er nachts zur Toilette muß. Ich erklärte ihm, daß dieselben Regeln für alle gelten, bzw.
daß die Gänge die ganze Nacht beleuchtet werden, und er kann sehen wohin er geht.
Ich nahm die Batterielampe, mehr um Zvonko zu beruhigen als Stevan bei seiner
Signalisierung zu stören. Am Abend kam Dragan. Zvonko erzählte ihm alles. Dragan
verlor augenblicklich die Kontrolle, führte Stevan aus dem Gebäude heraus, mit der
Absicht ihn zu liquidieren. Ich erstarrte vor Entsetzen und konnte nicht glauben was
ich sah. Ich drängte mich zwischen ihnen ein und versuchte Dragan zu erklären,
daß eine solche drastische Maßnahme nicht unbedingt notwendig wäre, und daß
wir alle das gleiche Schicksal teilen werden. Eine sowieso schwere Situation noch
zu verschlimmern und die Panik auszulösen, so etwas bräuchten wir jetzt wirklich
nicht. Dragan sagte nur kurz: „Du weißt nicht Tante, was sie alles im Stande zu tun
seien. Wenn er eine Gelegenheit bekommt, du bist die erste, die einen Messer in den
Rücken verpaßt bekommen wird.“ Trotz der Tatsache, daß auch Dragan Recht hatte,
bat ich ihn noch einmal Stevan in Ruhe zu lassen und versprach in der Zukunft besser
aufzupassen. Er ließ ihn los, und wir kehrten zurück in das Gebäude. Von da an paßte
Zvonko auf Stevan auf.
183
29. 09. 1991
Der Angriff begann um 8 Uhr und hörte nicht auf. Auch die Mehrfachraketenwerfer
mit ihren tödlichen Geschossen wurden eingesetzt und dann blieb uns nicht
anderes übrig, als zu beten. Wir baten, daß sie eine andere Schießscheibe wählen,
was aber nur leider bedeutete, daß dann jemand anderer dasselbe Gebet ausspricht.
Der Radiosender meldete, daß die Militärführung der JNA ein Ultimatum der RH
gab. Sie forderte eine bedingungslose Übergabe der Stadt. Andererseits würde ganz
Kroatien mit allen verfügbaren Mitteln angegriffen werden. Unsere Verteidiger
leisteten einen starken Widerstand. Und um 16 Uhr begann wieder der Regen. Die
Fässer wurden wieder angefüllt und zum einen sicheren Platz gebracht. Durch einen
rationellen Verbrauch des Trinkwassers hatten wir einen Vorrat für drei Tage. Viele
Brunnen waren verschüttet, aber Gott sei Dank, unser noch nicht. Strom und Wasser
kamen nicht und allem Anscheine sollten wir sie auch nicht mehr erwarten. Auch die
Telefonverbindungen waren unterbrochen. Đuka war nicht mehr da, um Schaden
zu beseitigen. Der Regen floß in Strömen Tag und Nacht, und die Decke unseres
größten Raumes, der sich direkt unter dem Speisezimmer befand, begann zu lecken.
Die Angriffe haben während der letzten Tage auch den Fußboden im Speisezimmer
beschädigt. Der Beton platzte auf, und durch die entstandenen Risse ergießte sich
das Wasser in den unteren Raum. Man mußte die ganze Nacht das Wasser von der
Decke mit Schwämmen sammeln. Morgen sollten wir die Lagerräume umstellen und
versuchen eine Lösung zu finden.
30. 09. 1991
Als es letzte Nacht schon sehr spät war, verließen uns Dara Mandić und ihr Mann.
Zum Mittagessen gab es eine warme Mahlzeit. Die Insassen waren wohl auf. Beba
Mažar und ihre Tochter Branka kamen zurück. Das Gewehrfeuer wurde um 10 Uhr
eröffnet. Es dauerte Tag und Nacht. Es wahr schwer während der kurzen Feuerpausen
die Mahlzeiten vorzubereiten. Da wir kein Brot hatten, machten wir zum Abendessen
Milch und Maisknödel. Die Lebensmittel waren im Unterschied zum Wasser noch
kein Problem, aber wir versuchten es rationell zu verbrauchen. Das Telefonkabel
wurde repariert. In der Nacht wurde das Gebäude wieder beschädigt.
01. 10. 1991
In Erwartung neuer Angriffe, die um 8 Uhr erfolgten, erledigten wir die ganze
Arbeit. Das Wasser wurde geholt und der Schutt im Speisezimmer im Rahmen
der Möglichkeiten aufgeräumt. Man legte Nylon auf den beschädigten Fußboden
in der Hoffnung, daß Wasser auf seinem Weg in den Keller wenigstens ein bißchen
184
verhindert wird. Die Essenzubereitung ohne Brot war besonders schwierig. Wir
hatten Nudeln, aber das war nicht dasselbe wie Brot. Wir konnten es auch nicht
machen, weil wir keinen Backofen zur Verfügung hatten. Heftige Angriffe dauerten
seit 10 Uhr. Der Radiosender Vukovar meldete, daß auch die letzte Verbindung
zwischen Vukovar und Vinkovci über Bogdanovci und Marinci abgeschnitten wurde.
Es regnete ständig. Das Wasser sickerte auch in den Kesselraum, wo Bojan und Tibor,
Veras Kinder schliefen. Wir hatten genug Nylon und Gummi, um die Betten und
Matratzen vor dem Wasser zu schützen. Auf den Fußboden bei der Tür legte man
Lappen und Decken, um Wasser aufzusaugen. Diese Nacht war die schwerste.
02. 10. 1991
Der Radiosender meldete, daß es viele Verwundete und Gefallene gebe. Die ganze
Arbeit, das Essen und die Versorgung unserer Schützlinge, wurde früh am Morgen
erledigt. Niemand konnte schlafen. Die Nachbarn holten Nensi und Branka, um
die verwundeten Verteidiger in ihren Häusern zu verbinden, da sich man bis zum
Krankenhaus nicht durchschlagen konnte. Zum Glück verfügten wir über einen
größeren Vorrat an Sanitätsmaterial. Vera benachrichtigte mich, daß neben Jovo
Vukomanović und Vlajko Petrović, noch zwei unserer Insassen bettlägerig geworden
sind, bzw. Omas Kata Filipović und Terezija Lukić. Man versuchte mich sonst mit
solchen Problemen nicht zu belasten, aber jetzt mußten die Omas verlegt werden.
Vera und Krankenschwester wußten, daß die Insassen jede Veränderung ablehnen,
weil dieser Raum ihr eigenes kleines Territorium darstellte, und sie klammerten sich
krampfhaft daran. Wir mußten aber in solchen Fällen bestimmte Maßnahmen ergreifen,
um diese Menschen wenigstens teilweise zu isolieren. Der Zustand anderer Insassen
war zufriedenstellend. Das größte Problem war das Wasser. Wir bemerkten, daß einige
Insassen in der Nacht ihre Flasche mit dem Wasser aus Fässern anfüllten und ihre
eigene Vorräte anschafften, wodurch ein künstlicher Wassermangel produziert wurde.
Nach der Mitternacht hörten die Angriffe auf. Der Beschuß wurde sporadisch.
03. 10. 1991
Um 8 Uhr wurde das Gewehrfeuer wieder eröffnet, und allmählich wurde es immer
heftiger, besonders nach 10 Uhr. Wir bereiteten keine warme Mahlzeit zu, weil wir alle
eingeschlafen waren. Man mußte für diesen Tag alles verschieben. Die Insassen waren
besonders nervös. Sie beklagten sich über das Essen und forderten eine Versetzung
ins Krankenhaus. Sie glaubten uns nicht, daß das nicht möglich war. Sie dachten, dort
wären sie sicherer. Es war immer schwieriger sie zu überzeugen, daß wir alles taten,
was in unserer Macht stand. Noch immer gab es keinen Strom und kein Wasser. Den
ganzen Tag wischten wir das eingedrungene Wasser ab und brachten feuchte Lappen,
185
Betttücher und Decken nach draußen. Wir haben nichts mehr gewaschen, weil wir
kein Wasser hatten. Die Insassen hatten genug Kleidung, aber wir nicht, nur das
was wir gerade anhatten. Die Lebensmittel verschwanden allmählich. Das Gemüse
pflückten wir noch immer in umliegenden Gärten. Nensi und Branka besuchten die
Verwundeten in der Nachbarschaft und wechselten ihre Verbände.
04. 10. 1991
Gestern Abend bekamen wir Schweinefleisch, das man gleich am frühen Morgen
zum Mittagessen zubereitete. Die Angriffe begannen um 8 Uhr. Der Radiosender
meldete, das die ganze Bewaffnung eingesetzt wurde. Auch die Infanterie versuchte
einen Durchbruch von Negoslavci aus in Richtung Dudika. Unsere Verteidiger
aber harrten aus. Der Radiosender meldete auch, daß viele Panzer bei Bogadnovci
vernichtet wurden, aber daß unsere Streitkräfte den Weg nach Vinkovci doch nicht
befreien konnten. Die Angriffe wurden heftiger und dauerten länger. Die Verteidiger
leisteten der feindlichen Infanterie einen hartnäckigen Widerstand, aber dann kamen
die Kampfflugzeuge. Auch heute wurden weitere Stellungen unerbittlich angegriffen.
Ich bekam eine Nachricht von Dr. Bosanac, sie bat mich Sanitätsmaterial und
Arzneimittel ins Krankenhaus zu schicken. Wir packten alles was wir noch spenden
konnten ein und warteten auf eine günstige Gelegenheit, um diese Pakete einzuliefern.
Dragan sollte es machen. Auch Dara Mandić kam zurück zur Arbeit. Jetzt waren wir
sechs und die Arbeit wurde leichter.
05. 10. 1991
Die Lage in der Stadt war sehr schwer. Seit frühem Morgen wurde die Stadt von allen
Seiten angegriffen, auch die Kampfflugzeuge wurden eingesetzt. Die Menschen waren
auf der Suche nach Lebensmitteln und Wasser, wobei sie immer häufiger ihr Leben
riskierten. Unsere Mitarbeitern Dinka kam vorbei, um ein bißchen Lebensmittel
für sich, ihren Mann und zwei Kinder zu besorgen. Ich sagte ihr, sie könnte so
viel Nahrung mitnehmen wieviel sie möchte. Wir hatten genug für drei Monate.
Unsere Vorräte wurden nach bestimmten Speisekarten und dem durchschnittlichen
Verbrauch der Einrichtung angeschafft. Unsere Einschätzungen basierten auf dem
Bedarf von 110 Menschen, aber durch die Evakuierung von bettlägerigen Bewohnern
und das Eintreffen der älteren Menschen aus der Nachbarschaft, waren es jetzt
etwa 60 Personen im Keller. Die Lebensmittel waren kein Problem, nur Brot und
Wasser fehlten. Marin Vidić-Bili, Beauftragter der Regierung der RH, erließ einen
Aufruf über den Radiosender Vukovar an alle Menschen in Kroatien und Europa
Vukovar und seinen Einwohnern, besonders Kindern, zu helfen. In Vukovar waren
etwa 2000 Kinder, darunter auch Neugeborene. Das Krankenhaus war voll mit
186
Verwundeten. Auch die Toten konnten nicht rechtzeitig begraben werden. Es fehlte
an Sanitätsmaterial und Arzneimitteln. Aber keiner von uns hoffte mehr auf Hilfe.
Der Radiosender meldete, daß der Feind einen neuen Nachschub über Šid bekam.
Die Angst quälte uns alle. Die Ungewißheit und das Warten waren die schlimmsten
Versuchungen. Wir hörten, daß viele Tschetniks nach Vukovar kommen, was
bedeutete, daß keiner von uns überleben wird.
06. 10. 1991
Die Angriffe hörten seit gestern nicht auf. Am frühen Morgen wurden sie nur noch
heftiger. Man setzte sogar die Kriegsmarine auf der Donau ein. Die Verteidiger wehrten
feindliche Angriffe immer wieder ab. Wie sie ihre Stellungen deckten, das wissen
nur sie. Wir versuchten den Überschuß an Arzneimittel und Sanitätsmaterial ins
Krankenhaus zu schicken, aber erfolglos. Man konnte den Kopf aus dem Keller nicht
herausstrecken. Um 10 Uhr kam mein Mann vorbei. Er führte eine Einsatzgruppe
des Wasserwerks „Vodovod“ der Stadt Vukovar an. Er erzählte mir, daß unser Haus
direkt getroffen würde. Ich entschied mich nach Hause zu gehen, um zu überprüfen,
wie es Sandra geht und ob sie etwas braucht. Meine Entscheidung vertraute ich
niemandem, da mich keiner gehen lassen würde. Aber wir alle, die ab und zu in die
Stadt gingen, wußten schon die Gefahr einzuschätzen. Nur die Scharfschützen waren
nicht voraussehbar. Es war eine Ewigkeit bis ich vor meinem Haus stand. Ich brauchte
unter normalen Umständen etwa 10 Minuten zu Fuß, aber heute rannte ich die ganze
Zeit um der Gefahr auszuweichen. Um mich herum knisterten die Granaten, aber
da gab es nichts mehr, was zerstört werden konnte. In „Mitnica“ war fast alles dem
Erdboden gleichgemacht. Als ich endlich mein Haus erreichte, stürzte ich mich in
den Keller. Auf dem ersten Blick waren sie alle wohl auf. Da saßen 11 Menschen,
sieben Erwachsenen (Mile Beronja, Eva Beronja, Zlatko Marić, Zdenka Marić,
Ljubica Marić, Karlo Marić, Sandra Marić) und vier Kinder (Davor Marić, Vedran
Marić, Melita Beronja und Anita Beronja). Ich suchte Sandra auf. Ich umarmte sie
fest und fing an zu weinen. Ich konnte mir nicht verzeihen, Sandra nicht rechtzeitig
aus Vukovar fortzuschicken. Aber ich wußte auch, sie würde es nicht tun, obwohl
ich ihr eine Abreise vorgeschlagen hatte. Keiner von uns hätte sich träumen lassen,
daß so etwas unserer Stadt passieren könnte, und besonders nicht durch die JNA.
Ich verbrachte eine Stunde im Haus. Einige Geschosse trafen es direkt, aber das
interessierte mich nicht. Ich bat Sandra den Keller nicht ohne einen guten Grund zu
verlassen. Ich wußte, daß sie nicht auf mich hören werde, aber ich hoffte, sie würde
sich in Acht nehmen. Sandra bat mich nur um ein bißchen Milchpulver wegen eines
kleinen Kindes in der Nachbarschaft. Ich versprach etwas zu schicken, wenn sich die
erste Gelegenheit anbietet. Ich nahm die gleiche Strecke zurück. Den ganzen Weg
rannte ich und kam glücklich ans Ziel. An der Tür warteten auf mich Nensi, Dara
187
und Vera. Ich darf nicht widerholen, was sie mir alles gesagt haben. Ich versuchte
zu erklären, daß ich das tun mußte, aber ich konnte ihr Schimpfen nicht stoppen. Sie
waren sehr erschreckt. Unsere Insassen waren beunruhigt, und es schien als ob sie
nur auf mich hörten. Im Rückweg sah ich, daß das Gebäude des Altenheims fast ganz
zerstört wurde. Es gab kein Wasser, Strom und Telefon.
07. 10. 1991
Schon um 7 Uhr feuerten die Mehrfachraketenwerfer ihre Geschosse ab und ihnen
folgten auch die anderen Waffengattungen. Der Angriff dauerte bis 10 Uhr, und dann
wurde es ein bißchen still. Ich benutzte diese Feuerpause, um Wasser zu holen. Unser
Brunnen war noch immer nicht verschüttet. Glücklicherweise war auch unser Wagen
noch intakt, und so konnten wir das Wasser vom Brunnen in Fässern holen. Mit dem
Wagen gingen wir äußerst sparsam um, da wir mit dem Treibstoff schon am Ende waren,
und die naheliegende Tankstelle schon lange außer Betrieb war. Vor der Tankstelle
entstand ein großer Bombentrichter durch den Einschlag einer Flugzeugbombe (eine
500 kg schwere „Sau“). Der Radiosender meldete, daß jeden Tag auf „Mitnica“ mehr als
2000 verschiedene Geschosse fallen. Den Menschen wurde geraten, ihre Unterkünfte
nicht zu verlassen, da das Krankenhaus keinen Platz für Verwundete mehr hatte.
Gegenüber dem Altenheim trafen die Granaten Haus und Garage von Tomislav Beljo.
Tomislav aß nichts schon seit zwei Tagen. Wir versuchten ihm zu erklären, das wären
nur Sachen, aber dann sagte er, in der Garage hätte er einen neuen Wagen stehen. Ich
zuckte, als ich das hörte. Schon seit geraumer Zeit hatten wir keinen Treibstoff und
konnten das Brot nicht holen, aber er sagte uns niemals, daß er in der Garage einen
neuen Wagen hätte. Das Materielle verlor schon seit langem für die meisten Menschen
in Vukovar ihre Bedeutung, aber wir sind doch nicht alle gleich.
08. 10. 1991
Man hörte, daß wieder ein neuer Waffenstillstand unterzeichnet wurde, der für das
Gebiet entlang der ganzen Front um Vukovar gelten sollte (Vukovar wurde schon
einen ganzen Monat lang belagert), aber wir begruben jede Hoffnung schon seit
langem. Nach diesen Waffenstillständen wurden die Überfälle nur noch schlimmer.
Der Tag verlief ruhig, wenigstens in unserem Stadtteil. Auch die Insassen durften
ein bißchen nach draußen gehen. Die Stimmung wurde heiterer. Sie konnten sich
davon überzeugen, daß alles zerstört wurde und keine Versetzung in Frage kommt.
Ich besuchte wieder meine Familie und brachte den Nachbarn Milchpulver. Die
Menschen schlachteten gemeinsam das Vieh und teilten Fleisch und Brot unter
sich. Das größte Problem war aber natürlich Wasser. Wenn das Gewehrfeuer eröffnet
worden war, keiner konnte es holen. Ante Mihaljević und seine Männer besuchten
188
oft mein Haus, wovon beide Seiten profitieren. Die Verteidiger bekamen eine warme
Mahlzeit, und meine Familie fühlte sich sicherer. Um 7 Uhr abends informierte
mich Branka Mažar, Krankenschwester, daß ihre Mutter Beba und sie das Altenheim
verlassen werden, da ein Insasse ihre Mutter (eine Serbin) beleidigt hatte. Ich war
darüber sehr überrascht, da die Mehrheit unserer Bewohner serbischer Nationalität
war. Ich kannte den wahren Grund für ihre Entscheidung, aber ich konnte sie nicht
verhindern zu gehen. Auch mir schien, daß „Mitnica“, besonders nachts, heftigste
Schläge verpaßt bekommt, aber weil ich doch häufiger in der Stadt unterwegs war
(auf der Suche nach Brot und Wasser), wußte ich, daß in der ganzen Stadt Hölle war.
Ich konnte von niemandem mehr verlangen, zur Arbeit zu erscheinen. Man hatte
auch kein Geld für Gehälter. Wieder waren wir nur vier mit 55 Insassen im Keller.
Eine Krankenschwester und uns drei, die sogar keine Arbeitsstelle und keinen Titel
mehr hatten und nur den Wunsch hegten, diesen Menschen im Rahmen unserer
Möglichkeiten zu helfen. Wir alle teilten dasselbe Schicksal. Daß ein Unglück selten
allein kommt, konnten wir uns schon zahlreiche Male während der Belagerung
überzeugen. Die ganze Nacht regnete es und wir mußten die ganze Zeit wegen der
Risse in der Decke Wache halten. Die im Speisezimmer gelegten Nylons konnten
diesen Wasserstrom nicht stoppen. Uns halfen auch einige Insassen, vor allem Zvonko
Šibalić und Bartol Falamić, der sowieso meine rechte Hand war.
09. 10. 1991
Da es die ganze vorhergehende Nacht regnete, wurden auch die Angriffe schwächer.
Die Schützlinge schliefen nach dem Frühstück ein. Währenddesen räumten wir den
Schutt im Speisezimmer auf. Der Stab des Zivilschutzes gab uns statt Nylon zwei
Rollen des Teerpapiers als Abdichtung gegen Feuchtigkeit. Wir wußten nicht einmal,
was wir zuerst machen sollten. Das ganze Dach war eingestürzt. Darunter war das
Speisezimmer voll mit Schutz und Baumaterial. In der Mitte des Zimmers war ein
großes Loch. Der Fußboden war zerstört und verbeult. Wir legten das Teerpapier
darüber und befestigten ihn mit Baumaterial. Der Schutt wurde weggebracht. Danach
bereiteten wir das Mittagessen zu. Nensi mußte in der Zwischenzeit Kata Filipović
ein Katheter einführen, da sie sich nicht mehr bewegen konnte.
Alle Medikamente, Betäubungsmittel und Sanitätsmaterial schickten wir
ins Krankenhaus. Uns blieb nur das Notwendigste. Nensi besuchte auch alle
verwundeten Verteidiger in der Nachbarschaft und wechselte ihre Verbände. Trotz
des unterzeichneten Waffenstillstands erfolgte der neue Angriff schon um 11 Uhr.
Der Angriff dauerte die ganze Nacht bis zum Morgengrauen an.
189
10. 10. 1991
Der Radiosender berichtete, daß der heftigste Angriff in der 49 Tage der Belagerung
um 4 Uhr anfangen sollte. Die beiden Seiten beschuldigten sich gegenseitig für den
Bruch der Feuereinstellung, was uns aber ganz egal war. Die Granaten fielen auf uns.
Die heftigen Überfälle der Infanterie von Negoslavci und in Trpinjska Straße wurden
alle zurückgewiesen. Man meldete, daß die Trpinjska Straße zu einem Panzerfriedhof
wurde. Das Arbeiterheim in Vukovar brannte völlig nieder. Wir freuten uns, daß die
Verteidiger noch imstande waren, Widerstand zu leisten. Es gab etwa 50 Verwundete
und 9 Gefallene, meldete der Radiosender. Der Feind aber erlitt viel höhere Verluste.
Ein Hilfskonvoi mit Lebens- und Arzneimitteln wurde erwartet, und man verlangte
wieder, eine Evakuierung der Schwerverwundeten aus dem Krankenhaus zu
organisieren. Uns war allen klar, daß die ganze Sache nur der gute Wille eines JNAOffiziers oder eines höheren Befehlshaber entscheiden wird.
11. 10. 1991
Der Morgen verlief ruhig. Ein dichter Nebel hüllte die Stadt ein. Man hörte den Lärm
der Panzer bei Novo groblje (Neuer Friedhof), in Ovčara und in der Kaserne. Der
Feind bekam neue Verstärkungen aus Šid. Um 10 Uhr versammelte ich alle Insassen
um Nachrichten zu hören. Die größte Überraschung für sie war die Tatsache, daß
viele Menschen keine Nahrung und Wasser haben. Mir schien es, daß sie endlich
begriffen haben, daß es vielen Menschen schlechter geht als ihnen. Jeden Tag
bekommen sie drei Mahlzeiten, davon eine warme, auch Wasser haben sie genug
und für diese Umstände auch eine ordentliche Unterkunft. Sie mußten sich nicht
wie die meisten Stadteinwohner einer Gefahr auf der Suche nach Lebensmitteln und
Wasser aussetzen. Nachdem sie die Nachrichten gehört hatten, wurden sie ruhig, und
sagten den ganzen Tag kein Wort. Um 13 Uhr erfolgte ein neuer Angriff. Auf manche
Stadtteile fielen über 2000 Geschosse. Die Ruhe kehrte um Mitternacht zurück.
Vielleicht war auch der Feind müde geworden. Wir verbrauchten das ganze Wasser,
und morgen sollte man neues holen gehen.
12. 10. 1991
Der Radiosender meldete, der Hilfskonvoi mit Lebensmitteln und Medikamenten
würde nach Đakovo und Osijek zurückgeschickt. Der Angriff begann um 5 Uhr
morgens. Eine starke Explosion erschallte über unsere Köpfe. Wir dachten, es wird
alles auf uns einstürzen. Wir stopften unsere Ohren in Erwartung neuer Explosionen.
Gleich nachdem die Stille angetreten war, ging ich hinaus, um den Schaden zu
überprüfen. Wie ich es auch vermutete, fiel ein starkes Geschoss in die Mitte der
190
Küche, aber glücklicherweise durchschlug es den Boden nicht. Sofort holte man
Wasser. Bis zu neuem Angriff konnten wir nur vier Eimer bringen, da wir keinen
Treibstoff mehr hatten und die Eimer selbst tragen mußten. Wir haben auch keine
Trockenhefe mehr um den Teig (Fladen statt Brot) zu kneten. Auch das letzte Fleisch
wurde gegessen. Oma Kata Filipović und Jovo Vukomanović waren im kritischen
Zustand.
13. 10. 1991
Seit 15 Tagen war Vukovar total blockiert. Der Radiosender meldete, daß der
Hilfskonvoi wieder versuchen werde, Vukovar zu erreichen. Man sprach auch über
eine Evakuierung von Frauen und Kindern, worauf ich sofort an unsere Insassen
dachte. Ich durfte diese Möglichkeit aber nicht erwähnen: ich glaubte nicht, das
eine solche Evakuierung ohne der Befreiung des Weges nach Marinci und Vinkovci
stattfinden konnte. Ich wollte sie nicht beunruhigen. Nachdem das Frühstück
verteilt worden war, ging ich zu einem Nachbarhaus, um Trockenhefe zu suchen.
Wir verbrauchten sie, als wir draußen in Glut einige Male Brot und Fladen gebacken
hatten. In einem zerstörten Haus fand ich drei Beutel Trockenhefe. Gerade als ich
zurück wollte, hörte ich männliche Stimmen. Ein Mann sagte: „Sie ist irgendwo
hier, ich sah sie ins Haus reingehen.“ Ich stand still und wartete. Da tauchten drei
bewaffnete Männer auf und einer von ihnen fragte mit ziemlich streng: „Was machst
du hier?“ Ich antwortete, daß ich auf der Suche nach Trockenhefe und Backpulver
bin, weil im Altenheim, wo ich arbeite, 60 alte Menschen mit selbstgemachtem Brot
zu versorgen seien. Er forderte mich auf, die Innenseite meiner Taschen nach außen
zu kehren, was ich auch getan habe. Darauf sagte er: „Du könntest getötet werden,
viele plündern die Häuser aus und bringen die Wertsachen fort. Es wäre besser, wenn
du nicht in fremde Häuser reingehen würdest. Die anderen werden zuerst schießen
und erst dann Fragen stellen.“ Ich blieb stumm und kehrte zurück ins Altenheim. Im
Vorbeigehen sah ich in der Garage des Hauses Komšić gegenüber dem Altenheim
einen mit Holz und Kohle beheizbaren Kochherd. Gleich danach bat ich Milenko
und Franjo, diesen Herd im Keller aufzustellen. Sie gingen gegenüber und nach einer
kurzen Zeit brachten sie den Kochherd mit. Der Herd war in einem guten Zustand.
Wir bauten ihn im Keller auf und machten Feuer. Alle atmeten auf. Ich wußte, daß
unsere Mahlzeiten jetzt ungehindert zubereitet werden konnten. Und es wurde uns
auch wärmer.
Schon um 10 Uhr fing ein neuer Angriff an.
191
14. 10. 1991
Endlich wurde nach zwei Wochen Brot gebacken. Es war sehr schmackhaft, aber
wir wollten nicht übertreiben. Jeder bekam eine Brotscheibe zum Mittagessen. Das
Abendessen und Frühstück bestanden auch weiterhin aus Keksen und Nudeln. Es
gab noch genug Fleischkonserven, Mehl, Öl, Zucker, Tee und Kekse.
Der Hilfskonvoi mit Nahrung und Arzneimitteln mußte die Kaserne verlassen und
nach Vinkovci zurückkehren. Die Jugo-Armee wollte die Gelegenheit nutzen und
plante einen Durchbruch in das Stadtzentrum. Unsere Verteidiger lehnten entschieden
eine solche Möglichkeit ab, wofür sie auch einen hohen Preis zu bezahlen bereit waren:
Hungertod. Zu uns kamen immer häufiger die Menschen aus der Nachbarschaft. Wir
schenkten alles was wir hatten.
Nachdem der Hilfskonvoi wieder zurückgeschickt worden war, brach über die Stadt
neue Hölle aus. Ich wußte nicht, was noch in dieser Stadt zerstört werden konnte.
Überall waren nur Trümmer. Nur der feste Wille der Verteidiger, sich nicht so leicht
dem Feind zu ergeben, war ein harter Schild, den der Feind nicht brechen konnte.
Die Tatsache war, daß sie alle nur noch ihr eigenes Leben verlieren konnten. Aber
Leben und Tod standen hier so dicht nebeneinander, daß man nicht wußte, wo das
Leben endet und der Tod beginnt. Während eines neuen Granatangriffs meldete
der Radiosender, daß die Verteidiger noch immer ihre Stellungen halten und sich
gegenseitig helfen. Zwischen zwei Nachrichtensendungen spielte die Musik von Oliver
Dragojević. Wir alle hörten zu und trotz des Donners der Explosionen genossen wir
alle diesen Moment. Seine Stimme und die Stimme von Siniša Glavašević gaben uns
einen kleinen Hoffnungsstrahl und Kraft zum Aushalten.
Am heutigen Tag im Jahr 1967. heiratete ich in Vukovar. Gott, als ob es gestern war.
Wird jemand von uns in Vukovar überleben? Die Lage verschlimmerte sich jeden
Augenblick.
15. 10. 1991
Die ganze Nacht wurde geschossen. Erst am Morgen beruhigte sich die Situation. Ich
ging nach draußen, um etwas Gemüse in umliegenden Gärten zu pflücken. Ich fand
Weißkohl und traf einen Nachbar, bei dem wir sonst Wasser holten. Vorige Nacht
verschüttete eine Granate seinen Keller. Er brauchte die ganze Nacht, um aus dem
Keller die Erde hinauszutragen und seine Tochter und seinen Schwiegersohn mit
dem kleinen Kind zu retten. Der Brunnen wurde auch verschüttet. Ich lud ihn zu
uns ins Altenheim ein, obwohl Platzmangel herrschte, aber man würde sich schon
zurechtfinden. Er sagte aber, daß die ganze Familie schon in ein Nachbarhaus mit
einem gutgebauten Keller eingezogen sei. Der Tag war wunderschön, sonnig und mit
192
einem so heiteren und blauen Himmel, daß man es nicht glauben konnte, daß hier
ein Krieg geführt wird.
In einem Weingarten pflückte ich einige Weintrauben für Kinder. Um 10 Uhr wurde
das Gewehrfeuer, fast wie vereinbart, eröffnet. Der Radiosender warnte die Menschen
davor, die Schutzkeller zu verlassen. Nur unsere Verteidiger waren ständig in Eile.
Sie versuchten überall zu sein, und zu verteidigen was noch zu verteidigen war. Wir
andere haben fast jede Verbindung mit der Außenwelt verloren. Für uns gab es keinen
Unterschied mehr zwischen Tag und Nacht.
16. 10. 1991
Ein heftiger Angriff begann schon um 8 Uhr. Wir konnten zwei Fässer Wasser vom
Brunnen bringen. Vor dem Mittagessen um 11,30 Uhr wurde unser einzige Eingang
in den Keller getroffen. Das Dach und die Wände stürzten vor der Tür und blockierten
uns von draußen. Wir konnten nichts tun, bis der Angriff vorbei war. Eine Oma,
die sich neben der Tür aufhielt, wurde leicht am Arm verletzt. Ich dachte, heute
werden wir alle sterben. Die Bomben trafen alles. Hilfe kam nicht und die Vorräte
an Waffen und Munition wurden immer kleiner. Der Feind beschoß Vukovar aus
einer sicheren Entfernung. Ich wußte nicht, wie lange das Ganze noch dauern und ob
jemand überleben wird? Was für Menschen waren das, die so unerbittlich eine Stadt
und ihre Einwohner zu vernichten versuchen? Welche Sünden haben wir begangen,
um eine solche Strafe zu verdienen? Wir beteten für alle, die ihr Leben verloren
werden, damit sie vor Gott reines Herzens treten könnten. Keine Feuereinstellung
wurde respektiert. Dem Feind war nichts heilig, auch das Vukovarer Krankenhaus
nicht. Jetzt wußten wir, daß auch wenn wir überleben, werden wir alle Erinnerungen
an unsere Vergangenheit verlieren. Alles wurde zerstört und die Verbrecher werden
nicht aufhören, bis sie das Leben des letzten Einwohners auslöschen. Wenn wir nur
Verstärkung in Männern und Waffen kriegen würden, wäre alles leichter. Aber keine
Hilfe kam.
Nach vier Tagen im Koma starb Jovan Vukomanović.
17. 10. 1991
Spät am Abend kam Dragan. Unsere Freude darüber, daß er lebte, war groß. Er
brachte für Veras Kinder, Bojan und Tibor, Süßigkeiten, aber auch eine traurige
Nachricht. Gestern fiel Blago Zadro, Führer und Stratege der Verteidigung in der
Trpinjska Straße.
Er konnte nicht lange bleiben, da das Gewehrfeuer die ganze Nacht nicht aufhörte.
Als er gegangen war, überfiel uns eine noch intensivere Ungewißheit. Blago war nicht
193
nur ein Symbol der Verteidigung, sondern auch ein Mann,
der von uns allen geliebt und respektiert wurde, sogar von
dem Feind. Die ganze Situation wird nur noch schwerer
ohne ihn.
Das Gewehrfeuer wurde auch tagsüber fortgesetzt. Ohne
Rücksicht auf die Gefahr, haben wir den Eingang sauber
gemacht und Schutt weggebracht, damit man aus dem
Keller hinausgehen konnte. Man brachte Jovan in die
Leichenhalle.
Tagsüber regnete es stark. Das Wasser drang durch die
Eingangstür in den Keller ein, da es kein Dach mehr
gab. Wir mußten es wieder bekämpfen. Die Explosionen
Blago Zadro
störten uns nicht mehr. Der Existenzkampf war stärker als
alles andere. Mann hielt in Freud und Leid zusammen, sagten die alten Menschen.
Man sammelte genug Regenwasser für andere Bedürfnisse, was bedeutete, daß uns
mehr Trinkwasser übrigblieb.
Ich hörte, daß man in der Ortsgemeinschaft Mitnica Brot bekommen könnte.
Aber als ich da ankam, war da nur noch eine kleine Menge vorhanden, und auch
sie war schon verteilt. Auf dem Rückweg bemerkte ich Leute, die den Treibstoff auf
der Tankstelle in der Nähe unseres Altenheims durch eine Pumpe schöpften. Ich
bat sie um ein bißchen Treibstoff für unseren Kombiwagen, und Gott sei Dank, sie
gaben mir etwa zehn Liter. Mein Mann schaute kurz vorbei und überbrachte mir die
Nachricht, daß in der Grundschule „Vladimir Nazor“ eine Einheit des Zivilschutzes
wirke. Ich könnte sie bitten unser Dach über den Kellereingang zu reparieren, um
dem Wasser den Durchgang zu verstopfen. Ich bat ihn, das Kommunalunternehmen
„Komunalac“ darüber zu informieren, daß wir einen Toten haben und man sollte
ihn abholen kommen. Dann ging ich zur Schule. Als man mich sah, konnte niemand
glauben, daß ich mit einem Wagen unterwegs war. Wegen des Daches sagte man
mir, daß man so viele Anrufe kriege, daß man wahrscheinlich nicht schaffen werde,
uns zu helfen. Keiner vermutete, daß im Altenheim nur vier Frauen arbeiteten. Man
riet mir, selbst das Dach zu reparieren. Wir haben Brot gebacken. Ein Stück Teig
ließen wir als Hefe für den nächsten Tag. Wir hatten keine Trockenhefe und kein
Backpulver. Der Radiosender meldete, daß die Verteidiger alle Angriffe der Infanterie
erfolgreich zurückgewiesen hätten.
18. 10. 1991
Während einer kurzen Feuerpause konnten wir Trinkwasser bringen. Es war kalt
geworden. Die Lagerräume für Lebensmittel räumten wir auf und machten Platz
194
für Insassen, die sonst im Flur auf Matratzen gelegen haben. Diese Räume hatten
keine Fenster und keine Lüftung, aber es war immerhin wärmer als im Flur.
Dankbare Blicke dieser alten Menschen waren der Preis genug. Der Morgen roch
nach Brand. Viele Häuser brannten. Der Feind würde während der Nacht Phosphorund Napalmbomben abfeuern, meldete der Radiosender. Schwere Kämpfe wurden
seit Morgendämmerung in Lužac geführt. Einige Offiziere der JNA wurden sogar
gefangengenommen sowie Waffen und Munition und ein Kriegsplan unter
winterlichen Umständen beschlagnahmt. Während der Nacht wurde Lužac von
Tschetniks gesäubert und unsere Verteidiger befestigten ihre Stellungen.
Am Nachmittag starb Vlajko Petković. Da sein Sohn genau gegenüber dem Altenheim
wohnte, baten wir ihn seinen Vater zu begraben. Als ob sich der Himmel aufgetan
hat, regnete es die ganze Nacht. Wir konnten uns nicht entscheiden, welches Loch
zuerst gestopft werden sollte, um den Eindrang des Wassers zu stoppen. Im Raum,
in welchem die Mehrzahl der Insassen weilte, mußten wir wieder das Wasser von
der Decke sammeln. Unter der Eingangstür rauschte ein Bach. Man mußte Wache
halten und das gesammelte Wasser in die Toilette ausschütten. Wenn nur dieses
Gewehrfeuer aufgehört hätte, könnten wir das Dach vor dem Eingang reparieren.
Vier Fässer füllten wir mit Wasser an. Ein Faß hat man durch eine Gaze filtriert und
mit Izosan desinfiziert. Nach zwei oder drei Tagen konnte man dieses Wasser trinken.
Das Wasser holten wir von unserem Nachbar.
19. 10. 1991
Es regnete den ganzen Tag. Das Gewehrfeuer war nicht so intensiv wie sonst, und
so konnten wir für die Insassen die neue Kleidung aus den Abteilungen „A“ und
„B“ holen. Man gab ihnen auch alle Decken, die wir zur Verfügung hatten, da es
keine Heizung gab. Der Kochherd war nicht stark genug, um den ganzen Raum
zu erwärmen. Wir mußten allmählich auch mit Holz sparsam umgehen. Nach der
Essenzubereitung löschte man den Herd. Niemand konnte voraussagen, wie lange
der Krieg dauern wird, und auch der Feind wußte es offensichtlich nicht, wie es aus
beschlagnahmten Plänen hervorging. Als uns Josip Budimir besuchte, bat ich ihn
das Dach über den Eingang zu reparieren. Er schlug mir vor, zum alten Hafenamt
zu gehen und dem Stab des Zivilschutzes erklären, worum es geht. Obwohl sich das
Hafenamt gegenüber dem Krankenhaus befand und ich durch die ganze Stadt fahren
mußte, hatte ich keine Wahl. Dragan fuhr mich mit Jugo. Wegen der schnellen Fahrt,
Granaten, Scharfschützen und vieler anderen Sachen, konnte ich von der Stadt fast
nichts sehen, ich wußte nur, daß wegen des Schutts im Stadtzentrum eine weitere
Fahrt fast unmöglich war. Vera bat mich für ihre Mutter und Schwester, die sich im
Keller eines Wohngebäudes in der unmittelbaren Nähe des Hafenamts versteckten,
195
ein bißchen Nahrung mitzunehmen. Dragan und ich gingen zum Gebäude, das sich
genau am Ufer befand. Da warteten schon die Scharfschützen auf uns, aber nichts
passierte. Veras Mutter und Schwester waren wohl auf. Im Hafenamt wurde mir aber
keine Hilfe versprochen. Man riet mir, wieder zur Schule „Vladimir Nazor“ zu gehen
und zu sehen was zu machen wäre. Aber als ich wieder da eintraf, bemerkte ich, daß
auch das Schuldach getroffen wurde und der Zivilschutz hier genug zu tun hatte.
Trotzdem versprach mir Herr Menges, daß jemand kommt, sobald es möglich sei.
Auf dem Rückweg sah ich die Leiche von Petković auf dem Feld in der Nähe des
Altenheims liegen. Die Leiche war in Betttücher eingewickelt. Vermutlich versuchte
sein Sohn ihn über die Straße zu tragen, um ihn im Hof seines Hauses zu begraben,
aber in der Zwischenzeit begann man wieder zu schießen, und er mußte ihn liegen
lassen. Es wurde auch um uns herum geschossen, aber Gott sei Dank, wir kehrten
unverletzt zurück.
20. 10. 1991
Der Regen floß in Strömen. Das Gewehrfeuer wurde stiller. Josip Budimir kam mit
Milenko, Dragan, Franjo und Beljo am frühen Morgen und versprach das Dach bis
zum Abend zu reparieren. Sie gaben sich alle viele Mühe und arbeiteten während
es regnete. Dazu kamen auch die Granaten. Wir hatten ständig Angst, daß jemand
verletzt wird. Wir lauschten der Bahn der Geschosse und rannten immer wieder in
den Keller hinein, um dann wieder auf das Dach zu steigen.
Da wir die Batterien sparen wollten, einige Tage hörten wir das Radio nicht. Ich
schaltete es ein, nachdem das Dach repariert worden war. Es meldete, daß der
Hilfskonvoi mit Verwundeten Đakovo erreichte. Das bedeutete auch, daß das
Krankenhaus Medikamente bekam und die Schwerverwundeten evakuiert wurden.
Ich erzählte diese Nachricht gleich weiter. Alle waren begeistert und klatschten.
Während der Evakuierung der Verwundeten konnte sich der Feind umgruppieren,
was bedeutete, daß noch heftigere Angriffe zu erwarten waren. Josip Budimir zog
sich um und erst spät am Abend ging er zu seiner Stellung. Den ganzen Tag aß er
nichts, und wollte auch kein Abendessen. Ich war sehr besorgt um ihn. Er wußte, daß
man ihn dort mehr brauchte. Der Sohn von Petković konnte endlich seinen Vater
nach Hause tragen und begraben.
21. 10. 1991
Die Schützlinge wurden in einen größeren Raum, wo Brennholz gelagert wurde,
verlegt und man wechselte feuchte Matratzen aus. Auch entlang des Flures wurde ein
Draht gespannt um nasse Kleidung und Bettdecken zu trocknen. Die Insassen waren
196
in Großen und Ganzen wohl auf. Das Gewehrfeuer hörte für eine kurze Zeit auf und
so räumten wir den Schutt in der Küche und im Speisezimmer auf. Das Stromwerk
„Elektroslavonija“ legte uns ein Stromkabel an. Man riet uns ein Faß mit Treibstoff
anzuschaffen und zur Veterinärstation zu bringen, wo sich ein Aggregat befand.
So könnten wir 2 bis 3 Stunden täglich Strom bekommen. Das Heizöl verschafften
wir im Hafenamt und Milenko und Dragan brachten es zur Veterinärstation. Den
übriggebliebenen Schutt und das Baumaterial am Eingang warfen wir hinaus. Wir
freuten uns über den Strom, da wir alle schon nach dem Ampelrauch rochen.
Tagsüber fielen einige Geschosse auf das Stadtzentrum und in Mitnica. Im Vergleich
mit vorhergehenden Tagen war das Gewehrfeuer nicht so intensiv und so konnte
man viel Arbeit erledigen.
22. 10. 1991
Der Regen hörte nicht auf. Die ganze Nacht mußten wir wach bleiben und das Wasser
von der Decke des Raumes unter dem Speisezimmer abwischen. Die Angriffe dauerten
die ganze Nacht. Eine Explosion schlug die Metalltür des Raumes, in welchem sich
die Mehrzahl der Insassen befand, aus. Die Splitter des Geschosses bohrten sich in
Matratzen hinein, aber wie ein Wunder, niemand wurde verletzt. Gott sei Dank. Falls
jemand verwundet wäre, ich wußte nicht, was wir dann tun sollten, das Krankenhaus
war unerreichbar und die Arzneimittel neigten sich dem Ende zu. Und im Krankenhaus
hätten doch Verteidiger und Kinder Vorrang. Neža Savić war im Koma, und Oma
Neža erkrankte schwer an Diabetes. Nensi unternahm alles was nötig war. Auch Oma
Kata Filipović ging es immer schlechter. Das Kommunalunternehmen holte die Leiche
von Jovo Vukomanović schon vor 8 Uhr. Das Gewehrfeuer war nicht so stark. Der
Radiosender meldete, daß in der Nacht mehr als 1000 Geschosse auf Vukovar fielen.
Die Insassen wurden unruhig und wollten nach draußen gehen, was ich ihnen streng
verbot, da man nicht voraussehen konnte, wann wieder heftig geschossen wird.
Um 9 Uhr rannte ein Nachbar in den Keller hinein. Er schrie, daß jemand im oberen
Stockwerk Hilfe ruft. Nensi und ich rannten gleich hinauf. Die Hilferufe kamen aus der
Abteilung „B“. Ein neuer Angriff hat genau in diesem Moment angefangen. In einem
Zimmer in der Mitte der Abteilung fanden wir Bartol Falamić. Er lag in Trümmern,
und als er uns sah, sagte er nur kurz: „Ich bin fertig. Meine Beine.“ Nensi ging in den
Keller zurück, um Hilfe zu holen, und ich versuchte eine Decke zu finden um ihn
einzuwickeln. Er wiederholte immer wieder: „Meine Beine“. Wir zwei konnten ihn
nicht über diese Trümmer tragen. Nensi kam zurück mit Zvonko und wir legten Bartol
auf die Decke. Ein Ende hielten Nensi und ich, und das andere hielt Zvonko. Wir
bewegten uns entlang noch heilen Wänden, um die Geschosse, die überall sprudelten,
leichter zu vermeiden. Wir konnten uns nur langsam vorwärts bewegen, da Bartol
197
von Schmerzen schrie und der Schutt war auch gewaltig. Nach einer Ewigkeit, so
schien es mir wenigstens, erreichten wir den Keller. Wir legten ihn auf den Fußboden
in der Wäschekammer. Nensi untersuchte ihn und stellte fest, daß seine beiden
Beine fast zerschmettert waren. Sie gab ihm eine Spritze mit Beruhigungsmittel. Wir
konnten nichts anderes tun. Gleich danach schlief er ein, und obwohl wir den Wagen
sofort vorbereiteten, um ihn zum Krankenhaus zu fahren, mußten wir warten, bis
das Gewehrfeuer aufhört, und Bartol starb. Man vermutete, daß er auch innere
Verletzungen hatte. Ich sah sein blasses ruhiges Gesicht und die Tränen rollten mir
über die Wangen. Das Zentrum für Sozialarbeit bezahlte den ganzen Betrag seines
Aufenthalts im Altenheim, d.h. er war ein „reiner Sozialhilfeempfänger“, sehr nett und
ich mochte ihn sehr gern. Er war mir eine große Hilfe und meine rechte Hand, und
bei der Anschaffung von Lebensmitteln, beim Müllaustragen, beim Kochen und beim
Holzhacken immer da. Sonst war er eher klein und knochig, und jetzt erschien er mir
noch kleiner. In der letzten zwei oder drei Tagen sagte er häufig: „Frau Direktorin,
wir werden hier nicht lebend herauskommen.“ Als ob er sein Ende vorausahnte.
Ich hatte keine Zeit, um ihn zu fragen, was er da oben suchte, als das Gewehrfeuer
angefangen hatte, aber ich vermutete, er suchte Zigaretten oder Tabak. Schon seit
langem gab es keine Zigaretten und für Raucher war es unerträglich. Das Unglück
fühlte man überall: Gewehrfeuer, Zerstörungen, Regen, Mangel an Arzneien und
Lebensmittel, und auch der Tod war immer gegenwärtiger. Am Nachmittag wurde
der Angriff noch heftiger. Wir alle zogen uns in die sicherste Ecke des Kellers zurück
und warteten. Die alltägliche Arbeit wie Geschirrspülung und Essenzubereitung
erledigten wir rechtzeitig. Es wäre leichter, wenn man schlafen könnte. Bei einem
solchen Geschützfeuer aber, war das unmöglich. Bis 4 Uhr morgens wollte es nicht
aufhören. Ich nickte ein bißchen ein, wie auch alle anderen, aber dann weckte uns ein
neuer höllischer Morgen auf.
23. 10. 1991
Ich stand um 7 Uhr auf. Während das Frühstück zubereitet, bzw. der Teig geknetet
wurde (wofür Vera und Dara zuständig waren), ging ich in unsere Wäschekammer,
um die Nachrichten im Radio zu hören. Nensi kam gleich nach, um saubere
Betttücher aus einem kleinen Handlager zu nehmen. In diesem Raum waren auch
die Arzneimittel gelagert, da er als einziger Raum ständig beaufsichtigt werden
konnte, um die Insassen zu verhindern, daß sie allein die Medikamente nehmen.
Ich beobachtete wie Nensi versuchte, die Tür zu öffnen, aber es ging nicht. Wir baten
einige Insassen um Hilfe. Nachdem man ein bißchen Tür nach oben gestoßen hatte,
konnte man sie zur Seite schieben. Dann sahen wir den Grund, warum die Tür nicht
aufgehen wollte. Der Raum war bis zur Hälfte mit Erde gefüllt. Die Regale wurden
abgerissen und die Arzneimittel und saubere Wäsche ragten aus der Erde hervor. Ein
198
oder zwei Geschosse schlugen in den Raum ein und füllten ihn mit fast 3 Kubikmeter
Erde. Ein großes Loch klaftete in der Wand, unter dem Fenster und im Fenster selbst.
Die Betttücher, die auf der Erde lagen, sammelten wir gleich. Nach dem Frühstück
versuchten wir so viele Medikamente und Sanitätsmaterial wie möglich auszugraben.
Glücklicherweise hat Nensi unsere kleine Menge an Betäubungsmittel in die
Lagerstätte des Kessels für Zentralheizung hinterlegt. Wer weiß, ob man sie in diesem
Durcheinander finden würde. Wir bewahrten sie sehr vorsichtig für Fälle wie Bartol
auf. Den ganzen Vormittag gruben wir die Erde um, um möglichst viele Arzneien
zu retten. Um Mittag kam Dragan, den ich bat, mich ins Krankenhaus zu fahren,
um mit Dr. Bosanac über die Möglichkeit der Unterbringung unserer Insassen im
Krankenhaus zu sprechen. Als ich aber den Keller des Krankenhauses betrat, wurde
mir gleich klar, ich konnte mir diesen Besuch sparen. Obwohl dieser Keller sicherer
war als unsere Streichholzschachtel im Altenheim, habe ich hier nichts verloren. Ich
ging weg, ohne überhaupt zu versuchen, mit Dr. Bosanac zu sprechen. Während
der Rückfahrt hielten wir bei der Stadtgemeinde auf, um zu überprüfen, ob es in
irgendeinem Atomschutzkeller in der Stadt noch Platz gab. Herr Marin Vidić erklärte
mir, daß alles voll sei und alle Plätze besetzt, aber ich könnte, wenn ich schon da sei,
die Gehälter der Mitarbeiter des Altenheims übernehmen. Was für eine Ironie, die
Gehälter waren da. Während ich weg war, kam das Fleisch von der Ortsgemeinschaft.
Es regnete nicht mehr, aber es war sehr kalt.
24. 10. 1991
Das Gewehrfeuer begann schon um 9 Uhr. Bis zu diesem Zeitpunkt holten wir schon
die Fladen von VUPIK ab und sparten so die Hefe für den nächsten Tag. Die Fladen
waren ziemlich hart. Wir mußten sie im Wasser einweichen und auf Öl braten, um
sie weich zu kriegen. Zum Abendessen bekam man Panadesuppe und Tee, wozu wir
Fladen benutzten. Nach einer sehr langen Zeit kam Strom um 17 und verschwand
um 21 Uhr. Alle lebten ein bißchen auf. Wir konnten uns sogar die Nachrichten im
Fernsehen anschauen. Aber auch jede so kleine Freude konnte nicht lange dauern.
Am Nachmittag fing wieder Regen an.
25. 10. 1991
Kata Filipović starb. Franjo und Dragan brachten vom Kombinat „Borovo“ warme
Kleidung für uns und die Insassen mit. Der Angriff begann um 10 Uhr. Ich habe auch
in einem naheliegenden Garten ein bißchen Kartoffeln als Abwechslung gefunden.
Meine Mitarbeiterinnen bereiteten schon Frühstück und Mittagessen zu. Ich
überprüfte unsere Vorräte an Lebensmitteln. Wir hatten genug Bohnen, Mehl und
Öl sowie Fleischkonserven. Unter dem Speisezimmer, im Raum wo die Mehrzahl der
199
Menschen untergebracht wurde, sickert das Wasser ununterbrochen. Wir mußten
es ständig sammeln, und jetzt gab es Regenwasser im Überfluß. Der Nachbar Ante
Mihaljević schaute kurz vorbei. Er sagte mir, daß meine Familie wohl auf sei. Er
erzählte auch, daß die Befreiung der Straße nach Vinkovci geplant würde, damit man
Verwundete, Frauen und Kinder evakuieren könnte. Ich war aber der Meinung, daß
ohne Hilfe von außen, dieses Unternehmen scheitern wird. Wir hatten Angst vor
einem ähnlichen Massaker wie in Dalj.
26. 10. 1991
Die Kälte wurde immer stärker, aber auch die Einschließung um Vukovar zog sich
immer mehr zusammen. Schon früh am Morgen wurde Vukovar aus allen verfügbaren
Waffen angegriffen. Das Radio meldete, daß besonders viele Geschosse auf Krankenhaus
abgefeuert wurden. Die Anzahl der Verwundeten und Gefallenen würde immer größer.
Mein Mann kam und teilte mir mit, daß unsere Nachbarin zusammen mit ihrem Sohn
und ihrer sechs Monate schwangeren Schwiegertochter im Keller ihres Hauses durch
eine Granate getötet wurde. Auch Nachbar Lukinić, der bei ihnen nur vorbeischaute,
kam um. Das Radio berichtete über eine immer größere Konzentration des Feindes und
seiner Bewaffnung. Die Luftangriffe wurden seltener, aber die Infanterie verschanzte
sich um Vukovar und feuerte aus einer sicheren Entfernung ihre tödlichen Geschosse
ab. Am frühen Morgen hatte ich den Eindruck, als ob jemand, der gerade aufwachte,
den Abzug eines Panzers oder eines Mehrfachraketenwerfers drückte, und das Konzert
begann. Und auch der Winter war da.
27. 10. 1991
Die Nacht war ziemlich ruhig, aber der Morgen brachte wieder Chaos. Im Radio
wurde gemeldet, daß die Kämpfe für die Befreiung der Straße nach Vinkovci
begonnen hatten. Die Konzentration des Feindes in diesem Abschnitt wäre immens.
Es wäre fast unmöglich mit einem Sieg zu rechnen. Vukovar brannte. Die Anzahl der
Verwundeten und Gefallenen brach alle Rekorde. Man hatte keine Übersicht mehr.
Die Vorräte an Lebensmitteln und Wasser wurden immer kleiner. Viele verloren ihr
Leben während der Suche nach ihnen. Auch die Keller waren nicht mehr sicher. Ein
Regen aus Geschossen fiel auf die Stadt, und es gab da nichts mehr, was diesen Regen
auf der Erdfläche aufhalten konnte. Immer wieder wurden die Keller durchbrochen.
Da war keine Angst mehr. Der Existenzkampf verdrängte Krankheit, Angst und
Kraftlosigkeit, fast alle menschliche Emotionen.
200
28. 10. 1991
Es wurde noch kälter. Ich sammelte Kartoffeln für zwei Tage. Es war sehr frostig.
Der Angriff begann um 9 Uhr. Heute sollten die Feuerwehrmänner mit Zisternen
kommen, aber sie schafften es nicht. Wir mußten zum Trinken das von uns selbst
desinfizierte Wasser benutzen. Die Insassen waren gereizt. Viele von ihnen waren
Raucher und durch den Mangel an Zigaretten und Tabak wurden sie immer nervöser.
Einige von ihnen suchten trotz meines Verbots die Trümmer nach Zigaretten durch.
Ich hörte, daß sie auch den Kamillen- und Uvin-Tee in das Toilettenpapier als Ersatz für
Tabak einwickelten. Die Kämpfe für den Weg Marinci (Straße nach Vukovar) wurden
fortgesetzt, aber ohne Ergebnisse. Der Feind bekam ständig neuen Nachschub, und
unsere Verteidiger waren allein. Wir kämpften damit, was uns übriggeblieben war
und was man dem Feind entriss. Es wurde immer schwerer Munition und Waffen
anzuschaffen, da der Feind auf die Infanterieangriffe verzichtete. Er feuerte seine
Geschosse aus einem sicheren Abstand und genoß es.
29. 10. 1991
Der Angriff begann um 8 Uhr. Nach zwei Stunden ließ die Intensität des Gewehrfeuers
etwas nach, aber man hörte in Richtung Bogdanovci noch starke Detonationen.
Aufgrund der Zähigkeit unserer Verteidiger wurden um 12 Uhr die Kampfflugzeuge
eingesetzt. Sie bombardierten das Stadtzentrum und die Trpinjska Straße. Als eine
Feuerpause antrat, ging ich wieder in den Garten, um Kartoffeln zu holen. Da hatte
ich einen Spaten stehen, und die Erde war doch nicht so hart. Gerade als ich den
Garten betrat, sah ich zwei Kampfflugzeuge entlang der Donau fliegen und ihre
tödliche Last in den Fluß abwerfen. Es entstanden riesige Wasserspiele. Ich dachte,
die Piloten wären sicher Kroaten, die für die feindliche Armee zu fliegen gezwungen
waren, da ihre Bomben nicht im Stadtzentrum sondern im Fluß endeten. Die
Flugzeuge flogen gleich zurück nach Serbien. Ich war mir ganz nicht bewußt, daß
ich weinte. Die Entscheidung der Piloten, ihre Bomben in den Fluß fallen zu lassen,
war nur ein Tropfen im Meer für die Einwohner von Vukovar, aber ihr Vorhaben
rührte mich sehr. Beim Gedanken, daß diese Bomben auf eine schon zerstörte Stadt
abgeworfen werden sollten, konnte ich nur Gott danken, daß es Menschen gab, die
anders als ihre unbarmherzige Befehlshaber dachten und handelten. Nachdem die
Kampfflugzeuge schon weg waren, versuchte ich noch etwas Kartoffeln zu sammeln,
aber eben in diesem Augenblick startete neues Gewehrfeuer aus Richtung Negoslavci
und Ovčara. Ich versteckte mich unter der Terrasse eines Hauses, bedeckte meine
Augen mit Handflächen und wartete. Ich blieb einige Zeit in Verborgenheit, aber
ich wußte nicht wie lange. Als ich meine Augen öffnete, lagen die Kartoffeln überall
herum, da eine Granate in den Garten einschlug. Ich füllte etwa eine Hälfte des
201
Sackes an, und rannte zum Altenheim. Da der Sack schwer war und ich rannte, war
ich außer Atem, als ich ans Ziel kam. An der Türschwelle warteten auf mich Nensi,
Vera und Dara sowie einige Omas. Alle schrien mich an und beschimpften mich. Als
sich dann die Situation doch beruhigte, begriff ich, daß sie sich alle um mich Sorgen
machten. Es war nicht sehr klug von mir allein den Keller zu verlassen. Gott sei Dank,
es passierte nichts. Der Angriff dauerte Tag und Nacht.
30. 10. 1991
Das Radio meldete, daß die kroatische Regierung intensiv über eine Feuereinstellung
in Vukovar verhandelt, und um eine Katastrophe zu verhindern, verlangte sie
Hilfe von internationaler Staatengemeinschaft. Das Gewehrfeuer hörte nicht auf.
Das Krankenhaus befand sich in einer besonders schweren Lage. Es war überfüllt
mit Verwundeten. Der Mangel an Lebensmitteln und Wasser war akut geworden.
Man opferte sein Leben für ein Glas Wasser, und Mitnica wurde dem Erdboden
gleichgemacht.
31. 10. 1991
Die Angriffe auf die Stadt hörten nicht auf. Wir konnten kein Wasser holen. Nach
jeder Mahlzeit teilten wir ein Glas Wasser. Im Wagen gab es keinen Treibstoff mehr.
Obwohl noch immer drei Mahlzeiten täglich zubereitet wurden, beklagten sich die
Insassen immer häufiger über das Essen. Es war unmöglich ihnen zu erklären, daß
die Lage in den anderen Stadteilen noch viel schlimmer war. Sie behaupteten, wir
wären dafür bezahlt, sich um sie zu kümmern. Sie glaubten nicht, daß wir alles in
unserer Macht taten, um ihnen ordentliche Mahlzeiten zu ermöglichen. Um 13
Uhr verließ eine Oma den Keller. Sie verschwand einfach und ging in Richtung des
Krankenhauses, da sie davon überzeugt war, dort wäre sie in Sicherheit. Nensi und ich
rannten ihr hinterher und konnten sie erst bei dem Kaffehaus Quo Vadis einholen, wo
sich sonst unsere Verteidiger versammelten. Es war ein Glück, daß sie nicht schwer
war. Wir griffen ihr unter die Arme und trugen sie wörtlich zurück ins Altenheim. Sie
beschimpfte uns und versuchte sich immer wieder zu befreien, aber wir hörten nicht
auf sie. Den ganzen Weg zurück begleitete uns ein heftiges Gewehrfeuer. Himmel
und Erde brannten. Als wir endlich in Sicherheit waren, schrie ich sie an, weil sie
noch immer darauf bestand, ins Krankenhaus gebracht zu werden. Ich führte sie
nach draußen und ließ sie bei der Kellertür stehen. Ich sagte ihr, sie könne allein
gehen. Sobald ich die Tür schloß, tat mir die ganze Sache sehr leid, aber zu meiner
Verteidigung kann ich nur sagen, daß ich sehr erschrak, als Nensi der Oma nachlief.
Ich hatte ihrer Mutter versprochen, ich würde aufpassen, daß Nensi nichts geschieht.
Der Gedanke, daß Nensi verunglücken könnte, war mir enifach unerträglich. Ein
202
bißchen später wollte Vera die Oma von draußen holen, aber die Arme antwortete:
„Ich darf nicht, die Direktorin läßt mich nicht rein, du siehst, sie ist verrückt.“ Wir
lachten alle, dann faßte ich ihre Hand und führte sie hinein. Ich brauchte lange, um
mich zu beruhigen. Die Hölle in Vukovar wollte einfach nicht aufhören.
01. 11. 1991
Der Morgen verlief ruhig. Ein neuer Waffenstillstand wurde unterzeichnet. Ich
sagte zu Vera, ich gehe meine Familie besuchen. Ich mußte Sandra und die anderen
sehen. Nach dem Frühstück machte ich mich auf dem Weg. Alle Häuser und die
neue Grundschule wurden zerstört. Ich traf niemanden. Meine Familie war wohl auf,
aber gegenüber der Lache sah man die Panzer stehen. Eine Reihe von neu gebauten
Häusern wurden auf dieser Seite vernichtet, wodurch Mitnica den feindlichen
Panzern auf Gnade und Ungnade ergeben wurde. Ich fragte Sandra, ob sie genug
Lebensmittel hätten. Sie behauptete das größte Problem war wie überall das Wasser.
Obwohl ich sie bat, sich in Acht zu nehmen, sagten mir die anderen, daß Sandra jeden
Tag den Keller verließ. Ich sagte nichts, da ich wußte, sie würde sowieso nicht auf
mich hören. Im Keller meines Hauses waren vier Kinder und acht Erwachsenen. Sie
alle brauchten Nahrung und Wasser, und man mußte ohne Rücksicht auf die Gefahr
Brot oder Fleisch besorgen. Das Brot machten einige Frauen in unserem Wohnblock.
Ich glaubte, daß solche Menschen vom Gott beschützt werden. Man erzählte mit, daß
Marko Deronja mit seinem Fahrrad alle Menschen mit Brot und Wasser versorge und
bis jetzt bliebe er unversehrt. Vielleicht war es Tierinstinkt, das was diese Menschen
am Leben hielt. Ich war beruhigt, als ich Sandra sah. Man konnte den Treibstoff für
unseren Wagen (Jugo) verschaffen, und wir fuhren zur Bäckerei um Fladen zu holen.
Wir bekamen auch das Öl für den Aggregat. Das Stromkabel war leider noch immer
nicht repariert.
Der Angriff wurde um 12 Uhr heftiger, obwohl ein Waffenstillstand unterzeichnet
wurde. Jetzt wurde allen klar, daß keine friedliche Lösung in Frage kam, und unsere
einzige Hoffnung blieb die Befreiung der Straße nach Vinkovci über Bogdanovci und
Marinci. Die Kämpfe wurden weiter geführt, aber ohne Ergebnisse. Der Feind war
einfach zu stark. Während einer kurzen Feuerpause am Nachmittag, kam Dragan
angerannt, und bat mich seine Mutter und Schwester in der Grundschule „Vladimir
Nazor“ zu besuchen. Er mußte seiner Mutter ihre Medikamente überbringen, da sie
eine schwere Nierenpatientin war. Nensi gab uns Arzneimittel, Toilettenpapier und
Kekse für die Kinder seiner Schwester. Zum ersten Mal war ich in dem Schutzkeller
im Berg neben der Schule. Eine Menschenmenge, hauptsächlich Frauen, Kinder und
ältere Menschen drängten sich am Fußboden. Wir mußten sie überspringen, um sich
überhaupt bis zu Dragans Mutter und Schwester durchszuchlagen. Die Menschen
203
waren wie in einer Sardinenbüchse zusammengedrängt. Dragan erzählte mit, daß
die Mehrheit dieser Menschen von Sajmište komme. Nach dem Fall von Sajmište
wurden die Überlebenden hier untergebracht. Das Licht war gedämpft und die Luft
stickig. Die Mahlzeiten wurden draußen in Kochkesseln zubereitet. Für eine Sekunde
dachte ich, daß die Situation im Altenheim doch nicht so schlimm war. Dort gab es
wenigstens nicht so ein Gedränge. Und auch keine Kinder. Die Töchter von Dragans
Schwester sahen mich neugierig und zugleich ängstlich an wegen der Kallaschnikow
in meiner Hand. Die Waffe gehörte Dragan, aber ich hielt sie während der Fahrt.
Ich fühlte mich beschämt unter ihren Blicken und so ging ich nach draußen, um
auf Dragan zu warten. Er blieb nicht lange und wir fuhren schnell ins Altenheim
zurück. Ich hörte ein stilles Gebet im Keller. Pater Branimir Kosec las die Messe
im Radio und betete gemeinsam mit allen Stadteinwohnern. Die Kampfflugzeuge
bombardierten wieder die Stellungen bei Bogdanovci und Marinci. Die Versorgung
mit Lebensmitteln und Wasser war immer schwerer zu organisieren. Den Vorrang
hatten natürlich Krankenhaus, Verteidigungsstab und Gemeinde. Alle Zivilisten
waren sich selbst überlassen. Ich fand Vera weinen. Sie erzählte mir, daß ihr Sohn
Bojan, obwohl er nur 15 Jahre alt war, sich an Kämpfen beteiligen will, da er im Keller
nicht mehr aushalten könnte. Ich versuchte mit ihm zu reden, aber er behauptete, er
wäre nutzlos, und da wir alle sowieso sterben würden, gehe er zu den Verteidigern.
Aber da gerade ein neues Gewehrfeuer startete, konnte man ihn davon abraten, das
Altenheim zu verlassen.
02. 11. 1991
Früh am Morgen begann ein heftiger Angriff. Um etwa 9 Uhr tauchten die
Kampfflugzeuge auf und flogen in Richtung Bogdanovci, woher schwere Detonationen
zu hören waren. Unsere Stellungen wurden stark unter Beschuß genommen. Im
Radio pries man das Heldentum unserer Verteidiger als ob das noch irgendwelche
Bedeutung überhaupt hätte. Wer aber hier nicht war, wird nie wissen können, was
sich hier eigentlich ereignete. Wir sollten auf unsere Vernunft hören und wie viele
andere die Stadt rechtzeitig verlassen. Jetzt würden wir irgendwo in Sicherheit sein,
sich die Nachrichten im Fernsehen anschauen und wegen der grausamen Bilder aus
Vukovar vielleicht einige Tränen vergießen. Aber um Vukovar zu retten, brauchte man
viel mehr als ganzes Kroatien zu bieten hatte. Als man im Radio hörte, daß tausende
Panzer, Panzerwagen, Transporter und feindliche Soldaten auf dem Weg nach
Vukovar seien, wußte man schon, was zu erwarten war. Unsere Verteidigung könnte
schon sehr bald durchbrochen werden. Dann meldete noch das Radio Beograd, daß
Vukovar gefallen sei. Unser Siniša Glavašević, obwohl er wußte, daß die Stadt nicht
mehr zu retten war, las während seiner Sendung ein Gedicht über Vukovar. Blut und
Qual der Stadteinwohner überließ er dem Gewissen derer, die etwas unternehmen
204
konnten, aber wollten es nicht. Ihn überfiel aber keine Verzweiflung und an alle, die
in ihren Kellern und an der Front diese Tragödie durchmachten, richtete er seine
Worte voller Hoffnung, daß aus diesen Trümmern eine noch schönere und größere
Stadt erbaut würde. Für alle, die sie jetzt zerstören, würde es aber in dieser neuen
Stadt keinen Platz geben. Man appellierte wieder auf ganz Kroatien, Vukovar zu
helfen. Aber keine Hilfe kam.
03. 11. 1991
Wir konnten kein Wasser holen. Die Vorräte neigten sich ihrem Ende. Der Angriff
hörte nicht auf und wurde immer intensiver. Die Zerstörung wurde fortgesetzt,
obwohl ich nicht glauben konnte, daß noch etwas in der Stadt heil war. Die Feuerwehr
meldete, daß sie leider kein Wasser mitbringen könnte. Eine Zisterne wurde getroffen
und der Bedarf war groß. Die Lebensmittel wurden neu geordnet, um eine Übersicht
über den Verbrauch zu erlangen.
04. 11. 1991
Unsere Verteidiger konzentrierten sich auf den Vorstoß gegen Vinkovci. Die
feindliche Infanterie, geschützt von Panzern, war auf Vormarsch. Das Radio meldete,
daß schwere Kämpfe für Lužac geführt werden, da in Budžak feindliche Panzer
vorbeifuhren. In Haag verhandelte man über die Feuereinstellung und Abbruch der
kriegerischen Auseinandersetzungen, aber keiner von uns glaubte am Erfolg dieser
Gespräche. Am Abend begann es zu regnen. Fast keiner redete. Ich hatte keine Kraft,
um etwas zu sagen, obwohl ich wußte, da die Insassen von mir erwarten, daß ich
ihnen Trost spende. Was sollte ich machen? Ihnen die Wahrheit sagen oder wie
unsere Verteidiger, die immer häufiger vorbeischauten, durch leere, nichtige Worte
die Hoffnung zu erwecken versuchen? Sollte ich immer wieder wiederholen, daß die
Hilfe aus ganz Kroatien kommen würde?
05. 11. 1991
Es regnete die ganze Nacht. Wir konnten nicht schlafen, nur ab und zu einknicken.
Wir hörten das Radio nicht, aber die Verteidiger teilten uns mit, daß Lužac gefallen
sei. Die Einkesselung Vukovars zog sich immer mehr zusammen. Wir alle hatten
nichts mehr zu verlieren als unser eigenes Leben, aber die Angst überfiel uns, weil
die Ungewißheit immer größer wurde. Wenn man die hohe Verluste des Feindes im
Vukovarer Schlachtfeld im Auge behielt, wurde uns allen klar, daß wir, ohne Rücksicht
auf die Bedingungen der Ergebung, nicht geschont werden. Ich wußte nicht, was bei
mir zu Hause los war. Ich hatte Angst vor einem Einbruch der feindlichen Soldaten.
205
Ich wußte, daß wir nicht mehr gerettet werden konnten, aber ich fühlte aus tiefster
Seele, daß Gott als einziges Licht bei uns war. Im Radio wurde gemeldet, daß Serbien
den Friedensplan zurückgewiesen haben sollte. Diese Abweisung war für uns eine
vollkommene Vernichtung.
Man meldete, daß eine neue Front gegen Županja als Ergebnis der erfolglosen
Verhandlungen in Haag gebildet wurde. Es war einfach unmöglich eine so lange
Front ohne Verstärkung zu halten. Die Kämpfe wurden um die ganze Stadt herum
geführt. Mich schauderte bei dem Gedanken, was in Lužac passierte. Beide Seiten
vermerkten große Verluste.
06. 11. 1991
In Vukovar wurde eine totale informative Blockade befohlen. Ich wußte aber nicht
genau, was das bedeutete. Man hörte, daß auch Jastreb (Habicht) Vukovar verließ.
Ich konnte es nicht glauben. Ich erinnerte mich an seine Stimme über Sende- und
Empfangsanlage Motorola, als er die Verteidiger früh am Morgen weckte und alle
Stellungen in Vukovar aufrief. Er kannte den Namen jedes einzelnen Verteidigers.
Wer weiß, was passierte, wenn auch er gegangen war? Ich hatte das Gefühl, daß das
Ende immer näher rückte. Unsere Verteidiger in Mitnica versprachen, bis zum letzten
Mann zu kämpfen. Dieselbe Entscheidung trafen auch die anderen Verteidiger entlang
der ganzen Front. Zu viele Verbrechen wurden begangen, als daß man jetzt einfach
verzeihen konnte. Der Tod selbst war nicht so schrecklich. Es wäre schrecklicher
lebend in die Hände von Tschetniks zu fallen.
07. 11. 1991
Serbien sollte bis zum 10. November 1991 den Bedingungen der Europäischen
Gemeinschaft für den Anfang eines Friedensprozesses mit Kroatien zustimmen. Aber
wenn man die Intensität des Angriffs in der letzten Nacht berücksichtigte, galt das nicht
für Vukovar. Immer wenn ein Abkommen über eine Feuereinstellung unterzeichnet
wurde, wurden die Angriffe noch heftiger und langwieriger. Es war zu gefährlich
das Wasser zu holen, aber zufällig entdeckten wir, daß es im Heizungssystem noch
Wasser gab. Es war schmutzig, aber gut genug für Geschirrspülung und Toilette. Wir
bewachten ständig die Toilette, um zu verhindern, daß sie sich verstopft. Wir konnten
sogar kein Regenwasser von draußen hereinbringen. Ein Faß wurde getroffen, und
jetzt blieb uns nur eines übrig. Im Radio wurde ein Interview mit Präsident Tuđman
gesendet. Wir waren überrascht über seine Behauptung, daß Vukovar keinen Tag
ohne Hilfe von außen ausgehalten hätte. Für uns hier, in dieser Hölle, sah das Ganze
anders aus, aber vielleicht war es für uns, aus dieser Perpektive, nicht mehr möglich
206
darüber objektiv zu urteilen. Kroatien war sehr weit davon entfernt, sich mit der
Jugoslawischen Armee zu messen. Man sagte, daß die JNA ihrer Stärke nach die
viertgrößte Streitkraft in Europa war.
08. 11. 1991
Seit Morgen gab es keine heftigen Angriffe. Wir sind früh herausgegangen, um
Trinkwasser zu holen. In der Nachbarschaft wurde ein Schwein geschlachtet und wir
bekamen ein bißchen Fleisch. Da mein Mann aus Borovo Naselje, wo er mit seinen
Mitarbeiter einen Schaden an einer Filterstation zu reparieren versuchte, noch nicht
zurückgekommen war, bat ich Franjo Mandić mich zum Firmensitz von „Vodovod“
im Keller des Gebäudes „Građevinar“ nahe der Gemeinde Vukovar zu bringen.
Es war nicht leicht durch das Zentrum zu fahren, aber wir hatten Glück. Dort traf
ich Direktor Štengl und Štef Konigskneht an. Ich bemerkte gleich, daß etwas nicht
stimmte. Štef weinte. Ich fragte gleich nach meinem Mann und seinen Kollegen. Herr
Štengl erzählte, daß sie in Borovo Naselje länger bleiben müßten. Heute Morgen
käme aber der Fahrer Lijović um. Štef war mit ihm im Wagen, als sie beide nach
Olajnica fuhren um die Eltern von Lijović zu besuchen, und ihn traf die Kugel
eines Scharfschützen. Štef sagte auch, daß die Tschetniks mit Panzern Milovo brdo
erreichten und bald im Stadtzentrum seien. Wir sollten bei der Brücke des Flusses
Vuka aufpassen. Mir wurde klar, daß mein Mann sehr wahrscheinlich aus Borovo
Naselje nicht zurückkommen wird. Lužac und Budžak fielen und der Fahrer wurde
getötet. Franjo und ich hatten keine Probleme während der Fahrt nach Mitnica.
09. 11. 1991
Dara und Franjo Mandić verließen unser Keller und gingen nach Hause. Ihre Eltern
waren ältere Leute und das Ende schien sowieso sehr nahe zu sein. Die Lage war
sehr schwer. Ich hoffte mit unseren Sparmaßnahmen das Wasser für noch zwei Tage
zu haben. Am frühen Nachmittag begannen neue Angriffe. Vukovar ähnelte einem
aufbrausenden Vulkan, der andauernd brannte und rauchte. Die Tragödie war nicht
zu vermeiden.
10. 11. 1991
Das Gewehrfeuer dauerte den ganzen Tag und es regnete die ganze Nacht. Das
Gebiet von Mitnica war seit 8 Uhr unter hartem Beschuß. Alle waren verzweifelt. Die
Situation in der Stadt war unerträglich. Im Krankenhaus befanden sich mehr als 450
Verwundete. Die Toten wurden nicht mehr gezählt. Sie wurden in Massengräbern
neben dem Fußballstadion des Klubs „Sloga“ begraben, in umliegenden Gärten
207
und Höfen. Aber die Menschen, die in Trümmern lagen, konnten nicht begraben
werden. Und niemand wußte, wie viele Menschen während dieser Bombardements
verunglückten. Dieses Gewehrfeuer hörte von dem Tag, als Kampf für die Befreiung
der Straße nach Vinkovci begann, nicht auf. Ich konnte den Keller nicht verlassen
und nach Hause rennen. Ich hoffte nur, daß sie alle noch am Leben waren. Heftige
Kämpfe wurden am Nachmittag in Slavija und Borovo Naselje geführt. Was da los
war, nachdem Lužac vor einigen Tagen gefallen war, konnte uns niemand sagen. Ich
hoffte, daß unsere Verteidiger keine großen Verluste erlitten.
11. 11. 1991
Früh am Morgen ging ich zu meinem Haus. Alle waren wohl auf. Die Folgen der
letzten Angriffe waren noch drastischer. In unserem Wohngebiet wurden das Haus
Boras und einige neue Häuser schwer beschädigt. Die obere Hälfte unseres Hauses
verschwand fast völlig. Alle älteren Häuser wurden dem Erdboden gleichgemacht.
Ich ging sehr schnell ins Altenheim zurück, und da die Angriffe stiller wurden,
entschloß ich mich wieder zur Firma meines Mannes „Vodovod“ zu fahren. Man
sagte mir, daß die Kollegen nicht mehr zurückkommen könnten, daß Borovo Naselje
eingeschlossen würde, und daß die Panzer von Lužac und Budžak auf Vormarsch in
Richtung Vukovar seien. Ich hörte auch, sie seien aus Richtung Bogdanovci bis Drvena
pijaca vorgedrungen, und es sei nur eine Frage der Stunde bis sie mit den Verbänden
in Sajmište bei Slavija, wo heftig gekämpft wurde, zusammentreffen werden. Das
bedeutete, daß mehrere Teile Vukovars voneinander abgeschnitten wurden, was
natürlich auch die ganze Verteidigung stark gefährdete. Während der Rückfahrt
hielt mich ein Verteidiger an. Er besuchte seine Familie in Olajnica und wollte nach
Slavija. Als er hörte, daß ich in Richtung Mitnica muß, bat er mich ihn mitzunehmen.
Er warnte mich vor Panzern bei Milovo brdo und riet mir die Brücke über den Fluß
Vuka so schnell wie möglich zu passieren. Ich befolgte seinen Rat, schaltete in den
dritten Gang und gab Vollgas, so daß der Kombiwagen wörtlich wegflog. Um uns
herum flogen die Kugeln, aber keine traf uns. Ich war sehr erschrocken und hielt
erst bei „Slavija“ an. Oberhalb der Schule „Vladimir Nazor“ nahmen die Tschetniks
ihre Stellungen an. Ich verabschiedete mich von dem Verteidiger, und wünschte ihm
Glück. Er lächelte verdrießlich und zeigte mir zwei Kugeln, die er als Kampfausrüstung
für den heutigen Tag bekam. Wir beide wußten, daß Glück damit nichts mehr zu tun
hatte. Nachdem ich zurück ins Altenheim war, erfuhr ich, daß wir keine Kartoffeln
mehr hatten. Da das Gewehrfeuer nicht sehr stark war, ging ich in den Garten und
konnte etwa einen halben Sack zurückbringen. Zu dieser Zeit gingen Milenko und
Beljo das Trinkwasser holen. Die Kampfflugzeuge kamen um 9 Uhr, aber warfen
keine Bomben aus. Das Gewehrfeuer dauerte den ganzen Tag, aber es war weniger
heftig als letzte Nacht.
208
12. 11. 1991
Alle Insassen waren wohl auf. Die Nachbarn brachten zwei Omas, die durch die
Straßen herumirrten. Die Omas wußten nicht ihre Namen oder woher sie kommen,
hatten Hunger und waren müde. Wir gaben ihnen gleich etwas zu essen und ließen
sie danach auszuschlafen. Unsere einzige Toilette verstopfte sich. Da wir noch Wasser
im Heizungssystem hatten und Milenko ein Drahtseil fand, konnten wir die Toilette
nach einigen Stunden ausspülen.
Man gruppierte die Vorräte an Lebensmittel um und stellte fest, sie hatten sich
drastisch reduziert. Viele Menschen kamen zu uns auf der Suche nach Nahrung und
wir konnten niemanden ablehnen. Ich konnte allerdings nicht sagen, daß jemand das
Unmögliche verlangte, sondern nur so viel, damit man überleben konnte. Die Vorräte
an Arzneimittel und Sanitätsmaterial waren auch schon am Ende. Am Nachmittag
wurde die Stadt von allen Seiten angegriffen. Heftige Kämpfe wurden bei Slavija und
Drvena pijaca geführt, weil der Feind ins Stadtzentrum vorrücken wollte. Man hörte,
die Panzer waren bei der Eisenbahnbrücke an der Einfahrt in Vukovar. Ich hatte keine
Hoffnung mehr, daß mein Mann zurückkommt.
13. 11. 1991
In Vukovar war die Lage sehr schwer, die schwerste seit dem Beginn eines der
schmutzigsten Kriege aller Zeiten. Das Radio Vukovar meldete, die Verteidiger
wollten bis auf den letzten Mann ausharren. Den Überlebenden möge lieber Gott
helfen, weil niemand anderer wird. Alle warteten auf den Tag, als sich Vukovar endlich
ergeben wird. Ich wußte nicht was die anderen Menschen denken, aber ich fühlte
mich irgendwie betrogen. Nicht nur aus dem Grunde, daß keine Hilfe kam und nicht
kommen wird, sondern auch deswegen, weil ich endlich begriff, daß viele rechtzeitig
Vukovar verlassen haben, einige sogar in Begleitung ihrer Wertsachen. Die meisten
unter ihnen ließen sich mit Waffen photographieren. Sie prahlten darüber überall,
aber als sich die Situation verschärfte, machten sie sich aus dem Staub. In Vukovar
blieben Murinselbewohner, Zagorianer, Herzegowiner, aber wenige heimische
Einwohner. Und die Menschen, die hier geblieben waren, trugen alle dazu bei, daß
Vukovar so lange ausharrte. Im Radio wurde ständig die Meldung gesendet, daß die
Verteidiger bis zum letzten Mann kämpfen werden. Es sah so aus, als ob keiner von
uns überleben wird. Ich dachte über die Jugendlichen und Kinder nach. Was sollte
ich Sandra sagen, falls wir aus diesem Chaos lebend herauskommen? Lohnte es sich
zu bleiben? Andererseits, wenn es die Überlebenden doch geben sollte, wie könnte
ich, nachdem ich Vukovar vor dem Krieg verlassen hätte, einem solchen Menschen
je in die Augen sehen. Auf einmal ist in mir der Wunsch wach geworden, unbedingt
209
nach Hause zu gehen, und ich tat es, ohne jemanden darüber zu informieren. Dort
erwartete man wie überall, daß ein Wunder geschieht. Man mußte sich aber mit dem
Schicksal abfinden. Sandra erzählte mir, daß einige junge Männer die Stellungen in
Mitnica verlassen haben sollten und ins Krankenhaus gingen, da man hörte, daß die
Tschetniks besonders auf Mitnica scharf seien, und daß kein Mensch Mitnica lebend
verlassen werde. Ich wußte nicht, was ich sagen sollte. Ich umarmte sie fest und weinte.
Ich hatte keine Angst vor dem Tode, aber ich fürchtete mich vor dieselben Qualen und
Erniedrigungen, die den Frauen in Sajmište in den Räumen der Firma „Modateks“
widerfuhren. Ich sagte zu ihr, daß Damjan mir fünf Handbomben überließ, im Falle,
daß wir keine andere Wahl hätten. Wenn die Tschetniks Mitnica erreichen, was nur
eine Frage der Stunde war, wäre es besser auch so zu enden, als sich ihnen zu ergeben.
Aus der Kaserne hörte man „Marš na Drinu“ („Drina-Marsch“) ertönen, was ein
Zeichen dafür war, das bald ein neuer Angriff beginnen wird. Ich eilte zurück ins
Altenheim.
Sobald es dunkel war, ging ich zur Verwaltung von „Komunalac“, die sich in der
Nähe unseres Altenheims befand. Es war nicht mehr nötig, die Munition und das
Panzerabwehrgeschoß, die mir die Gardisten gegeben haben, aufzubewahren. Ich gab
es Mijo Bendro und fragte nicht nach, ob es helfen werde. Er erzählte mir, daß ihr
Kommandant Šoljić auch verschwand und sie wußten einfach nicht mehr weiter. Ich
kam erst um 20 Uhr zurück. Als der neue Angriff in vollem Schwunge war, tauchte an
der Tür des Kesselraumes, wo ich schlief, kleine Anita, die Tochter meiner Cousine
Eva, dann Melita, ihre ältere Tochter, sowie Davor und Vedran, die Söhne des
Cousins meines Mannes und auch die anderen aus meinem Haus auf: Mile, Zlatko,
Eva, Zdenka, meine Schwiegermutter Ljubica und zum Schluß auch Sandra. Als ich
Sandra sah (möge mir lieber Gott verzeihen) war ich erleichtert, aber der Schock ließ
mich kein Wort sagen. Ich umarmte sie nur und fing an zu weinen. Unter solchem
Beschuß konnte nur ein Verrückter seine Unterkunft verlassen. Man eklärte mir, daß
gleich nachdem ich das Haus verlassen hatte, begannen die Panzer ihre Geschosse
abzufeuern, und man mußte sich den ganzen Tag im Keller verstecken. Aber dann
habe man sich doch entschlossen, ohne Rücksicht auf die Gefahr und in der Obhut
der Nacht durch das Fenster hinauszukommen. Sie rannten bis zum Altenheim. Auf
das Haus schlugen mehr als 30 Projektile. Sie alle bekamen etwas zu essen und man
machte Platz frei, damit sie schlafen konnten. Ich sagte Sandra, daß sich ihr Vater
aus Borovo Naselje nicht durchschlagen konnte. Die Oma weinte. Den Trostsatz, daß
alles gut wird, konnte ich einfach nicht aussprechen. Ein bißchen später kam Ante
Mihaljević. Er sagte, daß man um jeden Meter und jedes Haus kämpfe, aber der Feind
sehr bald Slavija und Stadtzentrum erreichen würde.
210
14. 11. 1991
Der heftigste Angriff auf Mitnica startete aus allen verfügbaren Waffen um 6 Uhr.
Hilflosigkeit und Angst fesselten unsere Hände und Füße. Aber die Arbeit mußte auch
weiter erledigt werden: Frühstück, Brotbacken und Mittagessen. Das Radio berichtete,
daß ein neuer Waffenstillstand vereinbart wurde. Aber es schien, nicht in Vukovar.
Schon am Morgen griff der Feind wieder an. Man meldete auch, die Straße zwischen
Borovo und Vukovar sei in die Hände von Tschetniks und Militärs gefallen. Milošević
und Lord Carrington sollten in Beograd eine Feuereinstellung vereinbart haben, aber
sie war bedeutungslos. Die Verteidiger und Stadteinwohner zählten die letzten Stunden
ab. Den ganzen Tag verließ man seine Unterkunft nicht. Als dunkel wurde, und weil ich
schon die letzte Nacht nicht schlafen konnte, versuchte ich mich ein wenig auszuruhen.
Sandra setzte sich direkt neben mir, bei der Tür. Etwa um 10 Uhr, gerade als ich fast
einschlief, schüttelte mich Sandra auf und zerrte mich in den Flur heraus. Ich dachte,
einem Insassen war schlecht. Aber es herrschte Stille und alle lagen in ihren Betten.
Am Ende des Flurs stand Ante und ein Gardist. Als ich mich näherte, sagte Sandra
leise zu mir, Dragan würde eben vor unserem Eingang getötet. Ich fragte nur, ob sie ihn
reingebracht hätten. Ante weinte und sagte, er könnte ihn nicht tragen. Dragan war der
Bruder seiner Frau. Wir alle gingen gleich nach draußen. Dragan lag auf dem Beton vor
der Garage. Seine Beine waren in einer merkwürdigen Stellung gebeugt, als ob sie aus
Lappen wären. Unter seinem Helm lief das Blut über seine Stirn. Sein Körper war noch
warm und wir trugen ihn herein. Einige Omas hörten unser Gespräch im Flur, und
als wir hereinkamen, alle wußten es schon und weinten. Er war für uns alle eine große
Hilfe. Jederzeit fuhr er mich in die Stadt auf der Suche nach Lebensmitteln. Für die
Kinder sammelte er Süßigkeiten in den Trümmern um ihnen eine Freude zu machen.
Veras Tibor liebte er über alles. Ich erinnerte mich, als er zusammen mit Franjo Mandić
zum ersten Mal kam. Er trug seine Gardistenuniform und sagte zu mir: „Tante, jetzt
haben wir auch unseren Hauptmann Dragan.“ Seit diesem Augenblick an, war Dragan
immer da. Ich erinnerte mich, daß er mir oft erzählte, er hätte in seiner Geldbörse
etwas Geld, das man seiner Schwester Katica geben sollte, falls ihm etwas passierte. Ich
sollte auch seine Nichten küssen. Er sagte zu mir: „Sag meiner Mutter, sie darf nicht
weinen.“ Ich antwortete ihm, er erzähle nur dummes Zeug, und es werde schon nichts
schlimmes passieren. Ante und sein Mitkämpfer waren schon gegangen. Mit einer
Batterielampe durchsuchte ich Dragans Kleidung nach seiner Geldbörse. Ich fand sie
in seiner Jacke. Die ganze Zeit erwartete ich, daß er etwas zu mir sagt. Sein Gesicht und
seine Hände waren blas, und in seiner linken Hand hatte er Kaugummis. Ante erzählte
mit, alle warnten ihn davor, das Altenheim zu besuchen, da das Gewehrfeuer nicht
aufhörte, aber er antwortete: „Ich gehe Kinder besuchen.“ Er wurde getroffen, während
er zum Eingang ins Altenheim rannte. Ich fragte mich, ob ich seine Schwester jemals
sehen werde. Ob seine Mutter noch lebte? Er war nur 27 Jahre alt.
211
Gescannte Seite des Tagebuchs
212
15. 11. 1991
In Vukovar herrschte ein Durcheinander. Als ob wir
lebend begraben wurden. Der Angriff begann um 6
Uhr. Um 14 Uhr schlug eine Granate in der Decke des
Kesselraums ein. Der Schutt stürzte sich auf Töpfe, aber
keiner wurde verletzt. Wir alle zogen sich in den Flur
zurück, weil er der sicherste Platz war. Ich hielt Vedran
und Davor fest und konnte fühlen, wie ihre Herzen
schlugen. Ich versuchte sie zu beruhigen, aber wir alle
wußten, daß das Ende sehr nahe war. Uns schien, daß
alle abgefeuerten Geschosse nur unser Altenheim treffen.
Das Krankenhaus schickte Martin, um Dragans Leiche Dragan Čorić
abzuholen. Ich wunderte mich darüber, daß er sich
durchschlagen konnte. Er sagte, er hätte die Strecke vom Bruders Lustig Kreuz über
Kirche St. Philipp und Jakob und Gymnasium bis Wasserturm genommen, da die
Tschetniks schon bei Slavija waren. Er fuhr gleich weg. Die Tschetniks konnten jede
Sekunde da sein. Wir verabschiedeten uns von Dragan und kehrten in den Keller
zurück. Martin sagte, daß man Brust an Brust um jedes Haus kämpfen würde.
16. 11. 1991
Wir konnten kein Wasser holen gehen. Die Angriffe hörten nicht auf. Wir hofften
auf Wunder, obwohl wir die Tatsachen kannten. Das Chaos wurde perfekt, im
Krankenhaus brach eine Epidemie aus, weil es kein Wasser gab. Und viele Menschen
versuchten sich dort in Sicherheit zu retten. Alle dachten, das Krankenhaus war
das sicherste Ort. Das Radio berichtete, es würde eine absolute Feuereinstellung
vereinbart. Aber die Angriffe hörten nicht auf. Am Abend kamen Ante, Zlatko, Mile,
Vlado, Senka, Bili und Ivica. Sie versicherten uns, daß die Tschetniks noch lange
Mitnica nicht besetzen könnten und man würde noch immer auf Hilfe hoffen. Ich
glaubte diesen Worten nicht, aber den anderen funkelte die Hoffnung in den Augen,
und so sagte ich nichts dazu. Gleich nachdem sie gegangen waren, teilte mir Nensi
mit, daß zwei Omas, die ihre Namen nicht kannten, gefunden wurden. Sie waren
beide erschöpft und hatten Hunger. Wir gaben ihnen zu essen und fanden ihnen
einen Platz zu schlafen.
213
17. 11. 1991
Der Nachbar gegenüber kam um uns zu sagen, daß sich in seinem Keller die Menschen
aus dem Stadtteil Slavija verstecken. Sie waren auf der Flucht vor Tschetniks. Er bat
um etwas Lebensmittel. Unter diesen Menschen waren auch kleine Kinder. Wir
gaben ihnen Frühstück, Mittag-, und Abendessen. Die Kämpfe setzte man gleich am
Morgen fort, besonders um das Krankenhaus. Ich dachte noch immer über Dragan
nach und seine Worte, daß wir den Feind besiegen und aus Kroatien eine kleine
Schweiz machen würden, daß man nach dem Krieg nur Hochzeiten feiern würde und
wer uns keine Einladung schicke, bekomme eine Bombe als Geschenk. Alle diesen
Hoffnungen wurden jetzt zunichte gemacht.
Spät am Abend kam wieder Ante mit Bili. Sie brachten einen Polizisten mit einem
Bein im Gipsverband. Er bat, den Polizisten hier zu lassen, da sich die Verteidiger für
den Durchbruch in Richtung Dudik vorbereiten würden. Ich willigte ohne viele Worte
ein. Sie verabschiedeten sich und gingen weg. Gleich danach wurde der Angriff noch
heftiger. Harte Geschosse trafen immer wieder die obere Hälfte des Kellers und wir
mußten den jungen Polizisten in den Kesselraum verlegen, obwohl sein Gipsverband
sehr schwer war. Niemand konnte schlafen, weil jeder wußte, daß alles bald vorbei
sein wird. Wir wußten nur noch nicht, wie die Schlußszene aussehen wird. Unser
„Gast“, der Polizist, sah uns ruhig zu. Er erklärte uns, es wäre nicht schlecht, so viele
Menschen wie möglich aus der Nachbarschaft zu versammeln und alles was uns mit
Verteidigern in Verbindung bringen könnte, zu vernichten. Dadurch könnte man
vielleicht ein Massaker oder Massenerschießungen verhindern. Ich versprach am
Morgen alle Nachbarn einzuladen.
18. 11. 1991
(aufgeschrieben am 19. 11. 1991 im Bus auf der Autobahn „Brüderlichkeit – Einigkeit“
bei Adaševci)
Ab und zu hörte man nur Detonationen. Es herrschte eine sonderbare Stille. Sandra
und ich verteilten Frühstück in unserer Nachbarschaft. Zum Mittagessen gab es
Bohnen mit Nudeln. Auch der Brotteig wurde vorbereitet. Ich holte auch einige Eimer
Wasser. Um 12 Uhr kam Bili. Ich war überrascht ihn zu sehen, da Ante letzte Nacht
sagte, sie wollten einen Durchbruch wagen. Er sagte, daß man mit der Armee die
Übergabe von Mitnica vereinbart hätte und eine der Bedingungen auch die Ergebung
der Verteidiger wäre, damit das Leben der Zivilisten verschont würde. Wir sollten
uns allmählich auf dem Weg zur „Veterinärstation“ machen, wo uns die feindliche
Armee erwartete. Wir benachrichtigten alle Menschen in der Nachbarschaft. Den
Insassen teilte ich mit, daß der Krieg vorbei sei, und daß sie sich für einen Aufbruch
214
vorbereiten sollten. Der Polizist sagte wieder, daß wir alles vernichten sollten, was uns
mit Gardisten in Verbindung bringen könnte, worauf ich Milenko die Kalaschnikow
und die Munition mit Bomben gab und bat ihn all das irgendwo unter Trümmern
zu vergraben. Wir hatten noch zum Mittag gegessen und dann verließen wir das
Altenheim. Der Brotteig ging perfekt auf, als niemals zuvor. Er ähnelte einem
rieseigen Pilz. Einige unsere Insassen packten zu viele Sachen ein, obwohl man ihnen
sagte, nur das Nötigste mitzunehmen. Zwei Omas, die erst vor kurzer Zeit zu uns
kamen, wollten bleiben. Ich nahm nur eine Handtasche mit ausgerissenen Blättern
aus meinem Tagebuch und einige leeren Heftseiten mit.
Zerstörtes Altenheim
215
Vertreibung und der Weg ins Ungewisse
Aufgeschrieben am Weihnachten 1991 in München
18. 11. 1991, Montag
Nach dem Mittagessen verließen wir den Keller. Einige unserer Insassen packten zu
viele Sachen ein, und wir mußten ihnen beim Tragen helfen. Viele von ihnen waren
draußen stehengeblieben und sahen um sich herum. Die Omas bekreuzigten sich.
Keine vermutete, was sie erwartete. Alles um uns herum wurde zerstört, Bäume
hatten keine Zweige, Vögel sangen nicht, und in weiter Ferne konnte man nur das
Gebrüll der Rinder hören. Der Mangel an Wasser war eine harte Versuchung für die
Menschen, aber für die Tiere war es ein Verderben. Wir erreichten die Hauptstraße in
Richtung Veterinärstation. Aus anderen Nebenstraßen kamen erschöpfte Menschen,
hauptsächlich ältere Leute sowie Frauen und Kinder. Alle hatten bei sich ihre Beutel
oder größere Bündel. Die Älteren schleppten viel mehr Sachen als die Jüngeren,
wahrscheinlich aufgrund ihrer Erfahrung aus dem Zeiten Weltkrieg. Der Weg bis
zur Veterinärstation, wo sich schon eine Menge Leute versammelte, war nicht sehr
lang. Rechts von uns, entlang der Strecke, die zu Novo groblje (Neuer Friedhof)
führte, waren Zdravko Komšić und Pilip Karaula ständig in Bewegung. Sie drängten
immer wieder, wir sollten uns beeilen und nicht herumirren. In der Nähe des Hauses
Pliša traf ich Ana Dumendžić mit kleinem Vinko. Wir umarmten und begrüßten
uns. Als ich sie nach ihrem Mann Stipo und dem älteren Sohn Ivica fragte, die
bei der Verteidigung von erstem Tag an waren, sagte sie, Stipo liege verwundet in
„Borovocomerc“ und über Ivica habe sie keine Nachrichten. Wir standen bei der
Veterinärstation etwa eine Stunde, und dann mußten wir weiter in Richtung Novo
groblje (Neuer Friedhof) laufen. Wir durften die Straße nicht verlassen, da schon an
ihrem Rande vermintes Gelände anfing.
Bei Novo groblje (Neuer Friedhof) neben dem Meierhof Poić warteten schon die
Panzer. Hoch in der Baumkrone eines Nußbaums flatterte die Flagge der Tschetniks.
Man hörte laute Musik und lautes Geschrei. Auf dem Feld links wurden die Panzer
aufeinandergereiht. Aus ihnen schauten bartlose Jugendliche heraus, die hämisch
grinsten und irgendwas tranken. Wir schritten erhobenen Hauptes vertieft in
unseren schwarzen Gedanken. Alle schwiegen und schauten gerade aus, um die
Situation richtig einzuschätzen. Die Verteidiger bewegten sich rechts von uns und
die Armee war vorn. Einige Schritte vor mir und Sandra bewegte sich der junge
Polizist mit dem Gipsverband. Wir kamen zum Punkt, wo unsere Verteidiger
216
ihre Waffen niederstrecken sollten. Ich sah ein Häuflein Gewehre, Kalaschnikows,
Pistolen, Pumpgewehre und ein Paar Handbomben. Ein junger Soldat rechts von uns
befahl uns unsere Taschen zu öffnen. Schon früher bemerkte ich, daß sie nur das
Gepäck durchsucten. Die ausgerissenen Seiten aus meinem Tagebuch schob ich in
meine Hosen unter dem Unterhemd. In diesem Augenblick sahen Sandra und ich
einige Kameramänner und einige Leute in weißer Kleidung. Die Journalisten und
Kameramänner filmten den Waffenhaufen und alten Grgić, der unter Tränen aussagte,
daß alles zerstört worden sei, und daß er auch nicht wisse, wo seine Söhne seien. Die
Journalisten stellten immer wieder Fragen in englischer Sprache. Ich bat Sandra, zu
ihnen zu gehen, um zu hören was sie fragen. Sie wollten wissen, ob es Überlebende
gebe und ob die Stadt vernichtet sei. Sandra beantwortete ihre Fragen, und obwohl
sie sich selbst versprach, vor Mördern keine Träne zu vergießen, weinte sie.
Nach einer kurzen Zeit ging an uns ein Offizier der JNA vorbei, näherte sich den
Waffen, die die Verteidiger niederstreckten, stieß sie mit seinem Bein, spuckte darauf
und schimpfte: „Zum Teufel mit den Serben, ihr brauchtet drei Monate um diese
Waffen zu besiegen“ (Da vi ebem majkata srpska toa li ve držeše tuka tri meseci).
Sandra sah mich an und lächelte sanft. Offenbar konnte der Mazedonier nicht
glauben, daß diese Handvoll Waffen und Männer in Mitnica so lange die Front in
Vukovar halten könnten. Sie konnten sich nicht damit abfinden, daß die Anzahl der
Verteidiger so klein war. Immer wieder forderte ein Offizier durch einen Lautsprecher
die Verteidiger auf, sich zu übergeben. Der Kolonne der Zivilisten schlossen sich
auch jüngere Männer an, die sich nicht als Verteidiger ausgaben. Unsere Verteidiger
von Mitnica wurden daraufhin einer nach dem anderen zu einem Lkw gebracht.
Ich sah Ante, Bili und die anderen. Ante bemerkte uns, lächelte und winkte uns zu.
Ich konnte nur leise sagen: „Gott, rette sie“, und beim Gedanken was sie erwartete,
erfaßte mich ein Schauder. Obwohl niemand wußte, was mit uns passieren wird,
boten diese Menschen ihre Leben für unsere Sicherheit an. Ich hoffte aber, daß
gerade die Tatsache, daß die ausländischen Journalisten die Kolonne in Mitnica und
Übergabe der Verteidiger gefilmt haben, doch irgendwelche Bedeutung haben wird,
und sie nicht so einfach hingerichtet werden. Da immer mehr Menschen ankamen,
drangen wir uns in Erwartung weiterer Befehle ins Tal auf dem Weg nach Vučedol.
Auf beiden Straßenseiten standen junge Soldaten. Es wurde allmählich dunkel, und
in der Obhut der Nacht trafen die Lkws ein. Uns wurde befohlen, in sie einzusteigen.
Ein eher klein gewachsener Musterbeispiel eines bärtigen Tschetniks ging gerade an
mir vorbei, als ich mich laut über steife Beine vom Stehen beschwerte, und sagte
nur kurz: „Marić, sei still.“ Die Stimme war mir sehr bekannt, aber ich konnte mich
nie erinnern, wer er war. Ich habe darüber lange nachgedacht, aber vergeblich. Er
kannte mich offensichtlich sehr gut. Wir stiegen in einen Lkw ein, und nach einigen
Minuten fuhren wir in Richtung Sotin. Nach einer kurzen Zeit bog der Lkw rechts
217
ab, und ich wußte, daß wir auf dem Weg nach Jakobovac und Ovčara waren. Gleich
danach hielten die Lkws an, und wir mußten aussteigen. Ich erkannte im Licht der
Scheinwerfer, daß wir die Stallungen bei Jakobovac passiert haben. Die Soldaten, die
entlang der Straße standen, sagten, daß die Busse kommen, um uns abzuholen. Dann
ging die Hölle los. Nur die Frauen und Kinder durften in die Busse einsteigen. Die
Männer sollten draußen bleiben. Die Frauen schrien und weinten. Neben mir stand
eine junge Frau mit ihrem Mann und zwei Töchtern, Zwillingsschwestern. Als ihm
ein Soldat befahl sich zu bewegen, umarmte ihn seine Frau, aber der Soldat schlug ihn
dann mit seinem Gewehrkolben so hart in den Rücken, daß er in den Schlamm am
Rande der Straße fiel. Die Zwillingsschwestern schrien auf, jedes Mädchen klammerte
sich an je ein Bein des Vaters und weinte: „Wir geben unseren Vater nicht.“ Der Soldat
warnte uns, er würde die Kinder töten, wenn wir sie nicht wegbringen. Nur mit Mühe
konnten wir die Kinder von ihrem Vater trennen. Als der Bus voll war, fuhr er gleich
weiter.
Bald darauf sahen wir Lichter. Wir waren in Negoslavci, in einem ethnisch rein
serbischen Dorf nahe Vukovar. Die Busse fuhren sehr langsam. Im Dorf sah man
viele Soldaten. Wir hielten im Zentrum an. Der Fahrer riet uns, uns zu bücken, und
nicht nach draußen zu sehen. Er wollte nicht dafür verantwortlich sein, was geschehen
würde, wenn jemand die Ustascha von Mitnica erkennt. Wir gehorchten, aber ich
wagte doch einen Blick auf die Straße. Viele Menschen versammelten sich und
rannten wie Hyänen um die Busse herum. Wir stoppten nur für einige Minuten, die
uns als eine Ewigkeit erschienen. Die weitere Fahrt führte über Orolik, Šidski Banovci
und Tovarnik nach Šid. Ich denke, in Šid trafen wir um etwa 20 Uhr ein, vielleicht ein
bißchen später. Unser Bus hielt etwa 20 m vor dem Zentrum an der Kreuzung an.
Links bemerkte man einen geöffneten Laden. Ich fragte den Fahrer, ob wir aussteigen
könnten, um einige Sachen zu kaufen. Er hatte nichts dagegen, aber wir sollten uns
beeilen. Eilig kauften wir Säfte, Cola, Joghurt und Milch. Das Brot gab es nicht. Auf
einmal gingen die um die Busse versammelten Einwohner von Šid auf uns los:
„Ustascha, ihr solltet getötet werden, wo ist jetzt ihr Tuđman.“ Man schimpfte und
bedrohte uns. Wir kehrten schnell in den Bus zurück. Die Fahrt ging weiter nach
Adaševci, auch einem serbischen Dorf. Die Busse fuhren im Schneckentempo. Die
Hauptstraße war beleuchtet. Auf fast jedem Haustor wurde ein Totenschein
aufgehängt. Viele Menschen waren offenbar gefallen. Auf der Straße gab es nicht viele
Leute, so fuhren wir langsam weiter. Vor der Überführung nach Morović bog die
Buskolonne ab und erreichte die Autobahn «Brüderlichkeit und Einigkeit” ZagrebBeograd. Hier warteten auf uns wahre Tschetniks, Freischärler von Arkan und
Vukovarer Serben, hauptsächlich jüngere Menschen, wie meine Sandra. Ich erkannte
einige ihrer Schulkameraden. Die Busse ordnete man in zwei Reihen ein und wir
mußten alle austeigen. Sandra und ich zählten 15 Busse auf. Alle wurden wieder
218
durchsucht. Das Tagebuch war noch immer in meiner Hose versteckt. Ein Junge
verlangte, daß ich meine Tasche ausleere, was ich auch machte. Aber als das auch von
Sandra gefordert wurde, sie antwortete, sie hätte nur Bücher. Er verlangte wieder, daß
sie ihre Tasche zeigt, aber sie lehnte es ab. Darauf entriß er ihr die Tasche und leerte
ihren Inhalt auf den Asphalt aus. Sandra schrie ihn an: „Finger weg von meiner
Tasche“, und ich erstarrte, als ich sah, daß er sein Gewehr von seiner Schulter abnahm.
Ich faßte Sandra und zwang sie schnell, die Bücher vom Boden zu sammeln, und der
junge Soldat ging weg. Wir standen noch einige Zeit auf der Straße. Dann kam ein
junger Offizier und teilte uns mit, daß alle die nach Serbien fahren wollten, in die
Busse, die in Richtung Beograd stehen, einsteigen sollten. Zu dieser Gruppe gehörten
die Serben aus Vukovar an sowie Kroaten, die Familien in Serbien hatten. Ich sah
auch die Schwiegermutter von Delfa Miljanović in diese Busse einsteigen. Da sie nicht
weit entfernt von mir stand, ging ich mit Sandra ein bißchen zur Seite, da ich nicht
wollte, daß sie uns sieht. Ich hatte Angst davor, daß jemand erzählen würde, ich wäre
die Direktorin des Altenheims. Ihr Sohn Gojko, Förster, sollte die Panzer am 28. 08.
1991 zu Novo groblje (Neuer Friedhof) geführt haben. Ihre Schwiegertochter,
Oberkrankenschwester im Altenheim und Kroatin, sollte über das Altenheim
öffentlich gesagt haben, das Altenheim wäre ein „Ustascha-Nest“. Das wäre für
jemanden der Grund genug gewesen, um auf uns mit Fingern zu zeigen, und man
könnte den Kopf verlieren. Alle unseren serbischen Schützlinge entschieden sich
nach Serbien zu fahren. Nach ihrer Abreise und noch einer Durchsuchung konnten
wir zurück in die Busse einsteigen. Dann kamen die Kameramänner und Journalisten
des Fernsehens Novi Sad, das mehr Übel als die ganze Bewaffnung um Vukovar
angerichtet haben. Ich konnte nicht sehen, ob sie mit Kroaten aus Mitnica gesprochen
haben, aber mit Tschetniks, die sie mit Weinbrand angeboten haben, doch. Der
Weinbrand floß im Überfluß. Und dazu hörte man eine Version eines der bekanntesten
Lieder von Tomislav Ivčić „Večeras je naša slava, večeras je naše veče, večeras se
Tuđman peče“ (Heute Abend ist unser Fest, heute Abend ist unser Abend, Tuđman
wird gebraten). Sie sangen und tranken ihren Weinbrand und man filmte sie auch.
Viele Serben aus Vukovar suchten in Bussen ihre Frauen und Kindern. Da erschien
auch Lazo aus Mitnica, ich kannte seinen Nachnamen nicht. Er suchte seine Frau. Sie
war in unserem Bus mit Nachbarin Ksenija. Sie stiegen aus und sprachen mit ihm. Er
faßte sich auf einmal am Kopf, begann zu weinen und schlug mit seinem Kopf in das
Dach eines Pkws (Stojadin) ein. Seine Frau weinte auch. Ksenija stieg wieder in den
Bus ein, und erzählte uns, daß seine schwangere Tochter im Keller von Franka,
unserer Nachbarin, zusammen mit ihrem Mann (Frankas Sohn) und Franka, ums
Leben kam. Seine Frau erfuhr es auch jetzt erst. Lazo ging, wie viele anderen Serben,
nach Negoslavci, von wo aus Vukovar systematisch beschossen wurde. Es könnte
sein, daß eine gerade von ihm abgefeuerte Granate seine Tochter tötete. Der Busfahrer
sagte zu uns, wir würden hier die Nacht verbringen, und am Morgen weiter nach
219
Lipovac in Richtung Kroatien fahren. Die Erleichterung überfiel uns alle, aber es
währte nicht lange. In den Bus stieg ein Musterbeispiel eines Tschetniks aus der Zeit
von Draža Mihaljović, mit einer Pelzmütze auf dem Kopf und einer Kokarde. Er
richtete seine Kalaschnikow auf uns und sagte dem Fahrer: „Što, bre, vozaš ovu
ustašku bagru. Da je po mome, ja bih to sve pobio i ne bi imali više posla s njima.
Znaš li ti, bre, šta su ustaše radile našoj deci i ženama u Vukovaru?» (Was denkst du
dich dabei, dieses Gesindel überhaupt irgendwohin zu fahren. Wenn es nach mir
ginge, ich würde sie alle töten und dann gäbe es keine Probleme mehr. Weißt du was
die Ustascha mit unseren Frauen und Kindern in Vukovar machten?). Wir alle
beugten unsere Köpfe instinktiv nach vorne. Man versuchte sich hinter vorderen
Rückenlehnen zu verstecken. Den Menschen, die vorne saßen, war es am schwersten.
Und dann fing auch ein etwa 4-jähriger Junge zu singen an: „Ustani, bane, Hrvatska
te zove“ ... (Steh auf Banus, Kroatien braucht dich). Eine unheimliche Stille legten
sich über uns alle. Wir dachten, jetzt seien wir tot. Die Mutter bedeckte mit ihrer
Hand den Mund des Jungen, aber es war zu spät. Auf einmal aber war da ein junger
Offizier. Seiner Uniform nach konnte er zu den Spezialeinheiten gehören. Er befiel
dem Tschetnik kurz, den Bus zu verlassen, was dieser auch tat. Man sah dem jungen
Offizier an, daß er Autorität besaß und Gehorsam erwartete. Er begleitete uns den
ganzen Weg bis Bijeljina und ich glaube, daß wir ihm zu verdanken haben, daß wir
Kroatien erreichten. Er war mittelgroß, mager, ruhig und immer ernst. Auf dem Kopf
hatte er ein olivengrün-graues Barret, und wie es aussah, trug er keine Waffe. Vielleicht
hatte er eine Pistole, aber man sah sie nicht. Der betrunkene Tschetnik stieg auch in
einen anderen Bus ein, aber der Fahrer warf ihn hinaus und schrie ihn an, er sollte
auch ihn töten, aber wer würde dann die Busse nach ihren Wünschen herumfahren.
Der Offizier regelte auch diese Situation. Unser Fahrer nahm eine Bonbontüte, ging
durch die Mitte des Busses und gab den Kindern die Süßigkeiten. Nebenbei erzählte
er, daß er auch Enkel hätte und diese Fahrt ihn schon an die Nerven gehe. Dann
erwähnte er uns noch etwas, was uns alle überraschte. Er erklärte uns, daß in den
letzten sieben Tagen die Hubschrauber viele Tote und Verwundete aus Vukovar
herausflogen, und daß die Serben und die Jugo-Armee ernsthaft erwägten, Vukovar
in drei Tagen aufzugeben. Er riet uns ohne großen Bedarf den Bus nicht zu verlassen,
weil die Tschetniks und Freischärler von Šešelj und Arkan einfach überall seien, und
nur darauf warten, jemanden hinzurichten. Er blieb bei uns die ganze Nacht. Sandra
und ich konnten nicht schlafen. In unserem Bus war auch meine Nachbarin Melita
Štimac. Sie wußte auch nichts über ihren Mann. In dieser Nacht konnte niemand
außer Kindern schlafen.
220
19. 11. 1991, Dienstag
Um 9 Uhr kam eine Frau und stellte sich als Mitarbeitern des Roten Kreuzes aus Šid
vor und erklärte uns, sie sollte uns alle aufschreiben. Fast einstimmig sagten wir ihr,
sie sollte zuerst die gewaltsam weggeschleppten Männer und Verteidiger verzeichnen.
Sie aber antwortete, daß für diese Männer jemand anderer zuständig war. Als sie fertig
war, fragte sie, ob wir etwas brauchen würden. Wir brauchten Nahrung und Wasser
sowie Windeln für Babys. Sie versprach, etwas zu unternehmen. Um 8 Uhr, als es
schon dämmerte, kamen die Wagen mit Lebensmitteln und Tee. Es gab nicht genug
für alle. Unser ganzer Bus bekam nichts. Die Windeln waren nicht angekommen und
man zog die Unterhemden aus Baumwolle aus. Sie waren nicht besonders sauber, aber
eben trocken. Seit 24 Stunden wurden keine Windeln gewechselt. Der Fahrer erzählte
uns, daß über unsere Abreise nach Kroatien noch immer verhandelt würde, und daß
uns Kroatien und Tuđman nicht wollten. Wir alle schwiegen und warteten darauf, was
passiert. Wir organisierten uns und schrieben die Namen und Geburtsjahren aller
fortgeschleppten Männer und befragten darüber alle Menschen in allen Bussen. Wir
wollten diese Listen dann den zuständigen Behörden in Kroatien übergeben, damit
die Spur unserer Verteidiger nicht verlorengeht. Auf der Autobahn warteten wir bis
zum Mittag, als der Befehl ankam, wir sollten zurück nach Šid, zum Markt, weil uns
Tuđman nicht aufnehmen wollte. Aber wir wußten, daß die JNA diese Gelegenheit
auszunutzen plante, mit Tschetniks tiefer in das kroatische Gebiet vorzudringen. Das
war der einzige Grund, warum wir nicht gleich nach Kroatien fuhren. Die Busse, jetzt
waren es dreizehn, bildeten eine Kolonne. Man vermutete, daß etwa 150 Menschen,
falls die Busse voll waren, nach Serbien weggefahren waren. Der Fahrer wollte, daß
wir unsere Köpfe beugen und jeglichen Augenkontakt mit Tschetniks vermeiden.
Man sollte sie nicht beunruhigen. Man hatte Angst, sie könnten unkontrolliert zu
schießen beginnen. Etwas ähnliches geschah letzte Nacht, als die Tschetniks ohne
irgendwelchen Grund einige älteren Menschen aus dem Bus herausgezerrt und
getötet haben sollten. Die Tschetniks standen bis an die Zähne bewaffnet auf beider
Straßenseiten der Kolonne. Als unser Bus auf eine Anhöhe stieg, um die Straße nach
Adaševci zu nehmen, bemerkte Sandra drei weiße Jeeps mit dem Erkennungszeichen
des Roten Kreuzes, die von Adaševci angefahren kamen. Sie sagte nur kurz, das seien
die Wagen des Internationalen Roten Kreuzes und sie wolle zu ihnen. Ich hatte keine
Zeit zu reagieren. Sie drückte den Knopf um die Tür zu öffnen und rannte aus dem
Bus hinaus. Man hörte die Schreie: „Stoj, pucat ću, stoj“ (Halt, ich werde schießen,
halt), aber sie rannte aus voller Kraft. Es schien als ob die Leute in weißen Jeeps
auch sie gesehen haben. Sie fuhren immer langsamer und dann hielten sie auch an.
Sandra war schon beim ersten Wagen, aus welchem ein hochgewachsener Mann
in weißer Kleidung ausstieg und umarmte sie. Sie redeten kurz miteinander und
dann begleitete er sie zurück zum Bus. Ich wußte zuerst nicht, ob ich sie schlagen
221
oder umarmen sollte. Lieber Gott half immer bei solchen Sachen, und so umarmte
ich sie fest. Ich zitterte am ganzen Körper. Die ganze Geschichte wickelte sich in
so einem Eiltempo ab, daß ich keine Gelegenheit bekam, Sandra zu stoppen. Sie
lächelte nur und erklärte mir, daß diese Leute die Mitarbeiter des Internationalen
Roten Kreuzes seien und auf der Suche nach uns wären. Sie versuchten uns zu finden
seit wir Vukovar verließen, aber man hätte sie andauernd hin und her gefahren.
Das war ein bißchen verwunderlich, da uns das Fernsehen Novi Sad am denselben
Abend filmte, als wir die Autobahn erreichten. Sie fanden sich ganz zufällig hier, als
die Verbindung zwischen den Tschetniks und ihren Übersetzern kaputtgegangen
war. Sandra sagte, sie werden uns jetzt bis zur Rückkehr nach Kroatien begleiten.
Glück und Erleichterung zeigten unsere Gesichtsausdrücke. Dann fuhren wir im
Normaltempo nach Šid durch Adaševci und hielten bis zum Markt in Šid nicht an.
Dort parkten alle Busse ein. Sofort danach kam dieser große Mann zu uns und fragte
nach Sandra in fließendem Kroatisch. Sandra stand von ihrem Sitz in der letzten
Reihe auf. Melita und ich stiegen auch aus dem Bus und sahen ihr nach. Sandra stieg
in Jeep ein und sprach über eine Funkverbindung mit jemandem. Melita und ich
durften nicht näher kommen. Die Soldaten ließen es nicht zu. Uns wurde befohlen
in den Bus einzusteigen. Um den Markt herum fingen sich die Einwohner von Šid
allmählich zu versammeln. Sie riefen uns zu, man sollte uns alle töten. Wir sahen sie
nur an. Keiner von uns traute sich, auszusteigen. Kurz danach trafen noch drei Busse
mit Frauen und Kindern sowie ein Kombiwagen des Internationalen Roten Kreuzes
aus Genf, die unter uns Pakete mit Lebensmitteln, Toilettenpapier und Zigaretten
verteilten. Wir konnten uns ein bißchen erfrischen. Dann kam auch Sandra zurück
und sagte, daß sie mit Herrn Budiša in Zagreb sprach. Er versicherte ihr, daß wir
jetzt in Begleitung des Internationalen Roten Kreuzes in Sicherheit wären. Seine
Mitarbeiter würden bei uns bleiben, bis man uns nach Kroatien fährt. Wir durften
für eine kurze Zeit den Bus verlassen um unsere Beine ein bißchen zu strecken. In der
Nähe war auch eine Toilette. Wir alle verließen den Bus außer den älteren Menschen.
Dann verschwand Sandra wieder. Als sie zurück war, erzählte sie, daß sich in einem
der Busse ein verwundetes Mädchen befindet, dem die Gangrän droht, wenn es nicht
behandelt wird. Sandra versuchte die Wunde zu sanieren. Ich sah Dara Mandić. Sie
traf mit einem der letzten drei Busse ein, die auf dem Weg nach Sremska Mitrovica
waren, aber da es dort keinen Platz mehr gab, wurden sie zurückgebracht. Sandra
ging mit dem Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes von einem zum anderen
Bus. Wir sollten in Richtung Vukovar und Ovčara fahren. Unsere Enttäuschung und
Angst wurden immer größer. Die Rückfahrt nach Vukovar wäre ein Wahnsinn, aber
darüber konnten wir nicht entscheiden.
Sobald es dunkel wurde, traten wir die Reise nach Vukovar an. Es herrschte eine
Grabesstille erfüllt von Zweifeln, Angst und Ungewißheit. Als wir im Zentrum
222
von Tovarnik recht abbogen, erkannten wir die Strecke, die an Jelaš und Lovas
vorbeiführte. Das bedeutete, daß man jetzt einen anderen Weg nahm. Man hörte die
Teschtniks erzählen, daß in dem Wald von Jelaš, ein gewißer „Brada“ („Bart”) wirkte,
und mit seinen Ustascha-Kämpfern für Furcht und Schrecken in der Nacht sorgte.
Wird er auch uns angreifen? War das alles geplant? Wir wußten es nicht. Am Anfang
des Waldes wurden die Busse immer langsamer und fuhren im Schneckentempo.
Es war als ob die Tschetniks gleich zu schreien beginnen würden: „Napadnite, šta
čekate.“ (Worauf warten sie, greifen sie an). Aber niemand wurde angegriffen und als
wir die Baracken bei „ORI“ sahen, wußte ich, daß der Wald hinter uns blieb. Ich war
erleichtert, aber nur für eine kurze Zeit. Wir näherten uns Sotin, dem ersten Dorf auf
dem Weg von Vukovar nach Ilok und Šid. Dort warteten auf uns bärtige Tschetniks.
Alfons, Mitarbeiter des Roten Kreuzes, kam um Sandra abzuholen. Man sah sie beide
im Scheinwerferlicht. Ich verließ meinen Sitz und ging nach vorne, um zu hören
was geschieht. Ein Tschetnik sagte zum Fahrer und jungem Offizier, daß auf diesem
Gebiet sein Herzog der Befehlshaber sei, und daß niemand nirgendwo fahren dürfe,
ohne zuerst mit ihm zu sprechen. Dann ging er in ein Haus links von der Straße, ein
ehemaliges Sägewerk, hinein. Er kam sehr schnell zurück und ließ uns weiterfahren.
Der Weg, der nach Ovčara führte, war nicht sehr weit davon entfernt. Man sollte
etwa in der Mitte der Strecke zwischen Vukovar und Sotin abbiegen. Als man diese
Straße erreichte, wurde die Fahrt langsamer. Überall sah man bewaffnete Menschen,
Soldaten und Tschetniks.
Man fuhr uns zu den Hangars für landwirtschaftliche Maschinen in Ovčara. Ich
kannte diese Umgebung des Landwirtschafts- und Industriekombinats, da ich hier
oft das Gemüse für das Altenheim besorgte. Die Kolonne blieb auf der Straße stehen,
und ein älterer betrunkener Offizier forderte, daß wir aussteigen. Wir sollten hier
übernachten. Aber ihm folgte Alfons, der mit Sandra sprechen wollte. Einige Menschen
verließen den Bus, aber dann sagte Sandra zu ihnen, sie sollten wieder einsteigen.
Sie und Alfons gingen wieder von einem Bus zum anderen, und erklärten allen, es
wäre sicherer in Bussen zu bleiben. Wenn uns der Offizier fragte, ob wir aussteigen
wollten, sollten wir einstimmig ablehnen. Da gab es keine weiteren Erklärungen. Wir
hörten auf Alfons und blieben drinnen. Nachdem der Offizier in allen Bussen dieselbe
Frage gestellt und von allen die gleiche Antwort bekommen hatte, gab er Sandra, dem
Übersetzer und Alfons die Hand. Ich fragte Sandra darüber. Sandra sagte, der Offizier
wollte, daß die Menschen die Busse verließen, um zu verhindern, daß sie durch die
Raketen von noch in Vukovar übriggebliebenen Ustascha verunglücken, wofür er keine
Verantwortung übernehmen wollte. Als ihn Alfons dann fragte, ob er gewährleisten
könnte, daß keine Granate einschlagen werde, wenn die Menschen aussteigen, konnte
er nicht mit ja antworten. Außerdem sollten die Busse schon um 8 Uhr morgens gegen
Bogdanovci fahren. Man ging auch davon aus, daß es problematisch sein könnte, 16
223
Busse mit Frauen und Kinder rechtzeitig bis 8 Uhr unter Kontrolle zu bringen. Alfons
wollte, daß wir alle in Bussen bleiben wegen unserer eigenen Sicherheit. Durch dieses
Händeschütteln bekannte der Offizier seine Niederlage und gratulierte Alfons und
Sandra zu ihrem Sieg. Wir konnten zur Toilette gehen, aber niemand blieb lange
draußen. Uns kreisten die jungen bartlosen Soldaten und Tschetniks um. Uns schien,
daß diese Kinder noch größere Angst als wir hatten. Als Melita, Sandra und ich
unsere Beine ein bißchen strecken wollten, versuchten Sandra und Melita mit jungen
Soldaten zu sprechen, die bei jedem Schuß in der Ferne zuckten. Wir blieben ruhig,
da wir an viel Schlimmeres gewöhnt waren. Wir konnten aber nicht einschätzen, ob
es sich dabei um die Provokationen handelte. Fast alle Soldaten kamen aus Bosnien
oder dem Kosovo und bekamen eine Photographie, die ein sog. Massaker in einem
Kindergarten in Borovo darstellen sollte. Man konnte erkennen, daß es sich dabei um
eine geschickte Montage handelte. Aber diese Jungs hatten große Angst vor Frauen, die
auf der Seite von Ustascha gekämpft haben sollten. Der Versuch, ihnen die Wahrheit
zu erzählen, schlug fehl. Die Gespräche dauerten kurz, auch wegen der Tschetniks im
Hintergrund. Wir stiegen wieder in den Bus, aber konnten nicht schlafen, obwohl ich
meine Augen immer fester zudrückte. Sandra lehnte sich gegen mich und schlief ein,
worüber ich erleichtert wurde. Ich vertiefte mich in meine Gedanken. Immer wieder
erinnerte ich mich an die Worte von „Veliki bojler“ (Großer Boiler): „Sie dürfen
nicht lebend in die Hände von Tschetniks fallen.“ Wenn jetzt irgendetwas passieren
sollte, wäre ich völlig hilflos. Die Waffen zum unseren Schutz vergrab Miljenko in
den Trümmern. Ich sprach leise ein Gebet nach langer Zeit. Erst am frühen Morgen
überfiel mich ein kurzer Schlaf.
20. 11. 1991, Mittwoch
Ich wachte zwischen 6 und 7 Uhr auf, der Morgen dämmerte erst. Die ersten Gänge
zur Toilette waren schon erledigt, aber niemand blieb lange draußen. Um 8 Uhr
sollten wir weiterfahren. Als die Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes mit
Vorbereitungen für einen baldigen Aufbruch begannen, trafen einige militärischen
Lkws mit Brot, Konserven und Wasser ein. Vergeblich versuchten Sandra und noch
einige Frauen den Menschen zu erklären, die ganze Sache wäre nur eine Täuschung,
um uns hier länger aufzuhalten. Das lange Sitzen in Bussen, Hunger und Durst waren
es einfach zu viel, und fast alle Menschen stiegen aus den Bussen aus, um Nahrung
und Wasser zu holen. Man konnte diese hungrigen, durstigen und erschöpften Frauen
nicht davon überzeugen, die Fahrt so schnell wie möglich fortzusetzen. Den Lkws
folgten auch die Kameramänner, die dem Militär anzugehören schienen. Sie stellten
die Fragen über die Behandlung, die wir durch die Armee erfuhren, wer Vukovar
zerstörte und noch viele andere Fragen. All das diente dem Zweck durch geschickte
Bildmontagen der Öffentlichkeit das falsche Szenario einer Befreiung durch Armee
224
zu präsentieren. Dieses Szenario kostete uns zwei Stunden. Wir fuhren erst um 10
Uhr in Richtung Bogdanovci und Nuštar weg. Mein Bus befand sich in der Mitte der
Kolonne. Links von uns am Rand eines kleinen Waldes konnte man Bagger sehen und
den Dampf der frisch ausgegrabenen Erde. Die Sonne stand hoch, aber es war sehr
kalt. Die Erde wurde sicher für die auf der rechten Seite sich im Feld verschanzten
Mehrfachraketenwerfer und Panzer vorbereitet. Die Busse fuhren über die Feldwege,
über „atar“, wie sie in Slawonien genannt wurden. Erst jetzt sahen wir ein, welche
Menge an Bewaffnung gegen Vukovar eingesetzt wurde. Uns wurde klar, daß uns nur
ein Wunder retten konnte. Auf den Feldern von VUPIK sahen wir während unserer
Fahrt von Ovčara bis Negoslavci und bis zur Straße Vukovar-Negoslavci zahlreiche
Panzer, Haubitzen und Raketenwerfer. Ab und zu sah man sogar die Raketenspitzen
aus der Erde herausragen. Ohne Halten erreichten wir schnell den Eingang in Vukovar
aus Richtung von Negoslavci und am Ende der Sajmište Straße. Die Busse hielten für
eine kurze Zeit an, aber dann fuhren sie schnell weiter und bogen neben dem Markt
nach links. Ich sah die Rampe an
der Straße, die zum berüchtigten
Stadtteil mit serbischer Mehrheit
Petrova gora führte, stehen.
Die Rampe hob für unsere
Busse Jezdimir Stanković in
der Uniform der JNA. Fast alle
Stadtbewohner kannten ihn,
da er ein Bankangestellter war
und an Wochenenden Musik
bei den Hochzeitsfeiern spielte.
Die Häuser wurden fast nicht
beschädigt. An fast jedem
Hauseingang flatterte ein weißer
Band. Später erzählte uns man,
das wäre das Erkennungszeichen
der serbischen Häuser, damit
sie die JNA während ihres
Durchbruchs erkennen konnte.
Ich saß rechts in der letzten
Reihe, und so konnte ich auch die
Fabrik „Modateks“ rechts von
mir sehen. Mir fiel auf, daß sich
in der Fabrik, in welcher bis zum
Kriegsbeginn die ehemaligen
Mitarbeiter von „Vuteks“ Saider
Internationale (EU) Beobachter
225
und Bandić die Hauptrolle spielten, sich viele Frauen befanden. Ich wußte nicht, ob
sie es wußten, wer in Bussen saß, aber sie alle standen an Fenstern und druckten
ihre Handflächen gegen Glas. Sie beobachteten stumm das ganze Geschehen. Um
sie herum standen viele Soldaten und außerhalb des Fabrikhofes auch zahlreiche
Tschetniks. Unsere Busse bewegten sich sehr langsam, und zwischen ihnen streiften
immer wieder die Jeeps der Tschetniks, die einen Slalomlauf veranstalteten. Sie schrien
und schossen in die Luft. Die Kolonne führten zwei weiße Jeeps des Internationalen
Roten Kreuzes an und ein Jeep fuhr am Ende der Kolonne. Man bog in die Proleterska
Straße bis „Vuteks“ ab, und dann links in die Svetozar Marković Straße. Man sah nicht
viele Menschen, nur ab und zu einen Passanten. Fast alle Haustore waren offen. Die
Nebengassen hatten Straßenschilder aus Bretter: Prva četnička, Druga četnička usw.
(Erste Tschetniks-Straße, Zweite Tschetniks-Straße). Der November ist sonst der
Monat, wenn Schweine in Slawonien geschlachtet werden. Und darauf wollte man
hier offenbar nicht verzichten. Nur eine Greisin stand vor ihrem Haus und weinte
während die Kolonne vorbeifuhr. Die Busse lenkten links bei der Metzgerei Kruna
(Krone) nach Bogdanovci ab, und so helfe uns Gott, hofften wir alle, sie werden jetzt
auch nach Nuštar und dann endlich in Richtung Kroatien weiterfahren.
Von Vukovar nach Bogdanovci brauchten wir etwa fünf Minuten. Wir hielten vor
Bogdanovci an. Nach einigen Minuten kam Leo (der Däne) Sandra abzuholen. Ein
Soldat sagte zu uns, wir sollten hier warten. Wir durften aussteigen, aber nicht die
Straße verlassen, da alles vermint war. Rechts von uns standen die Soldaten in einer
Entfernung von 50 m voneinander. Der Tag war sonnig und warm. Die Maisfelder
hinter uns wurden nicht geerntet. Ich bemerkte auch die Straße, mit welcher ich nach
der Bombardierung des Altenheims nach Vinkovci gefahren bin, um die Akten der
evakuierten Insassen den Kollegen zu überbringen. In der Ferne, am Anfang der
Hauptstraße von Bogdanovci, sah ich Rauch. Eine kleine Steigung, die zum Tal vor
Bogdanovci führte, wurde durch Projektile zerstört. Man sah auch einige verendete,
aufgeblähte und verweste Kühe. Der Wind wehte ein bißchen und man konnte den
unerträglichen Gestank des verwesten Viehs riechen. Es war schon Mittag als Sandra
und Leo angerannt kamen mit der Nachricht, daß wir wahrscheinlich nicht nach
Kroatien fahren werden. Sie traf die Mitarbeiter des Internationalen Roten Kreuzes
im Tal nach Marinci auf dem Weg nach Nuštar. Obwohl sie alle mit weißen Flaggen
ausgerüstet waren, wurde auf sie das Feuer eröffnet und sie mußten zurückkehren. Es
war offensichtlich, daß die JNA und die Tschetniks noch immer ihr Plan über einen
weiteren Vormarsch in das kroatische Territorium nicht aufgegeben haben. Sandra
sagte zu mir, daß ihr Leo und Alfons bestätigten, daß uns niemand aufnehmen will,
und alle wären glücklich, wenn es keine Überlebenden in Vukovar gäbe. Ich konnte es
einfach nicht glauben. Sie erwähnte aber, daß Alfons und Leo viel Erfahrung haben,
aber nie wurden sie mit solchen Problemen bei der Durchführung einer Vereinbarung
226
konfrontiert. Die Frauen aus vorderen Bussen stiegen ein, und wir folgten ihnen. Uns
wurde befohlen nach Sremska Mitrovica zu fahren. Ich hoffte, wir werden nicht im
Gefängnis enden. Die Kolonne konnte erst im Zentrum von Bogdanovci umkehren
und sich auf dem Weg nach Sremska Mitrovica machen.
Hinter den Häusern in den ersten Reihen, die fast alle verbrannten, sah man Häuser
mit geparkten Wagen, Anhängern, Kombiwagen und Traktoren. Die Häuser wurden
von Soldaten und Zivilisten geplündert: Hausgeräte, Möbel, Geschirr, Kleidung,
Schuhe, Bettzeug, alles was es gab. Das ganze ging ruhig und ohne Eile voran. Nicht
nur, daß man Vukovar von Ustascha befreite, man kriegte auch Kriegsbeute.
Im Zentrum bei der Kirche, die auch sehr beschädigt wurde, lenkten wir links gegen
den Friedhof von Bogdanovci ab. Nur so konnte der letzte Bus in der Kolonne an der
Kreuzung bei der Kirche umkehren, und alle anderen ihm folgen. Aus einem Haus
kamen drei schmutzige und bärtige Musiker heraus: Trompeter, Harmonikaspieler
und Gitarrist und spielten Užica-Kolo. Sie grinsten und feierten ihren Sieg. Aus
anderen Häusern kamen auch andere Tschetniks heraus, aber keine Soldaten. Die
Spannung stieg. In ihren Händen hielten sie ihre Gewehre und Kalaschnikows, ein
klares Zeichen dafür, daß sie schießen werden, falls das nötig wird. Als unser Bus an
die Reihe kam, ließ der Fahrer den Motor auf Touren laufen, obwohl der Schalthebel
im Leerlauf war. Kurz darauf, stellte er den Motor ab, und stieg aus. Er schlüpfte unter
den Wagen. Als er wieder auf seinen Beinen stand, murmelte er etwas darüber, daß
etwas kaputtgegangen war. Wir alle schwiegen, mit Bangen in unseren Herzen. Wir
wollten nur so schnell wie möglich von hier verschwinden. Die Tschetniks kamen
immer näher und die Situation verschärfte sich. Und dann stieg in den Bus der
junge Offizier ein, und befiehl dem Fahrer endlich zu fahren. Auf einmal lief der
Motor ohne Probleme. Wir kehrten um und fuhren den anderen Bussen nach. Ich
konnte erst als wir das Tal von Bogdanovci hinter uns ließen, wieder atmen. Auch die
anderen Fahrer handelten wie unserer, da man mehr als zwei Stunden brauchte bis
alle Busse umkehrten. Wir waren wieder auf demselben Weg. Die Fahrt wurde dann
nach Negoslavci fortgesetzt, wo wir um 15 Uhr eintrafen, und sonderbarerweise
fuhren die Busse im Normaltempo ohne Halt weiter. In Höfen der Häuser entlang
der Hauptstraße sah man Militärfahrzeuge, Munitionskasten und viele Soldaten. Wir
verließen Negoslavci und als wir schon dachten, daß wir auf dem Weg nach Tovarnik
über Orolik und Šidski Banovci waren, hielten die Busse an der Kreuzung nach
Orolik und Berak an. Da waren wieder Zisternen mit Wasser und viele stiegen aus,
um ihre Flaschen anzufüllen. Dann fuhren wir weiter nach Orolik, einem serbischen
Dorf. Alle serbischen Dörfer bis Tovarnik erlitten keine Beschädigungen, es fehlte
kein Dachziegel. In kroatischem Tovarnik waren fast alle Häuser vermint. Zerstörte
Häuser, kaputte Fenster, alles geplündert. Im Zentrum war aber eine Ambulanz und
nach der Anzahl der Soldaten vermutete ich auch den Stab der JNA in der Nähe.
227
Wir fuhren weiter nach Šid und dann von Adaševci per Autobahn nach Srijemska
Mitrovica.
Es war noch Tag, als wir in Srijemska Mitrovica ankamen. Man fuhr uns bis zum
Stadtzentrum zu einer neugebauten Sporthalle. Wir sollten uns hier ausruhen, etwas
essen, trinken und vermutlich übernachten. Unsere Sachen mußten wir mitnehmen.
Am Fußboden gab es keinen Platz. Den Vorrang hatten ältere Menschen und Kinder.
Man lag am Fußboden oder auf Matten, wenn man Glück hatte. Die Frauen und
Kinder kamen aus allen Stadtteilen von Vukovar, viele davon waren auf der Flucht
vor Tschetnicks nach dem Fall von Sajmište. Ich suchte nach bekannten Gesichtern
aus Borovo Naselje, um vielleicht etwas über meinen Mann zu erfahren. Aber ich
sah niemanden. Auf einmal aber bemerkte ich Katica, die Schwester von Dragan. Ich
sah ihre Töchter und ihre Mutter, deren Rücken beim Liegen ein bißchen unterstützt
werden mußte. Während ich mir noch überlegte, was ich Katica sagen sollte, bemerkte
sie mich. Sie eilte zu mir, und während ich meine Gedanken fieberhaft unter Kontrolle
zu bringen versuchte, verstand Katica was in mir vorging, und sagte, sie wußte, daß
Dragan fiel, aber die Mutter dürfe es nicht wissen, bis ihr nicht besser gehe. Der Tod des
Sohnes würde sie schwer mitnehmen. Mir fiel ein Stein vom Herzen, da ich wirklich
nicht im Stande war, über Dragan zu sprechen. Sandra gab den Kindern Säfte und
Schokolade, und ich übergab Katica Dragans Geldbörse. Ich habe sie nie geöffnet.
Katica erzählte mir, sie würden aus dem Keller der Grundschule „Vladimir Nazor“
abgeführt, als Slavija bis an dem Punkt wo „Velepromet“ stand, fiel. Dort fanden
grausame Gemetzel und Folterungen von Zivilisten statt, besonders in der Werkstatt
Tišljer. Alle Männer wurden abgeführt. Ihr teilte ein Mitarbeiter des Jugoslawischen
Roten Kreuzes mit, wir würden über Bosnien nach Kroatien gebracht, aber man
wisse nicht wann. Über eine Lautsprechanlage benachrichtigte man uns, daß bald
Nahrung und Wasser kommen würden, sowie daß die Sporthalle über eine Toilette
verfügte. Da sich alle nach vorne drangen, setzten sich Sandra, Melita und ich auf die
Zuschauertribüne und warteten bis sich das Gedränge auflöste. Uns schlossen sich
auch Nensi und Vera Tešanović an. Vera sagte zu mir, daß man ihren Sohn, der nur
15 Jahre alt war, ins Gefängnis nach Mitrovica abführte. Der jüngere Tibor blieb bei
ihr. Nachdem das Essen gekommen war, tauchten in der Halle auch die Fernsehteams
mit Kameras auf und filmten das Leid und Elend. Eine rothaarige Journalistin in
schwarzer Lederjacke und einem kurzen Rock, auffällig geschminkt, stellte mit einem
Lächeln im Gesicht den erschöpften Frauen schon bekannte Fragen: wie sie von der
Armee behandelt würden, wer Vukovar zerstörte, wollten sie nach Kroatien gebracht
werden ... Zu uns gesellte sich ein großer magerer Mann, ordentlich rasiert, mit einer
Kamera und stellte Fragen. Wir sagten, daß Vukovar von der JNA zerstört würde,
worauf er ruhig behauptete, daß die Ustascha die wahren Schuldigen wären. Melita
erwähnte aufgeregt, daß die Waffen dafür nur die JNA hätte. Er versuchte uns zu
228
erklären, daß wir die Geiseln von Ustascha waren, und daß uns die JNA befreite.
Wir wollten dann wissen, warum würden wir dann durch ganz Serbien gefahren und
warum bringe man uns nicht nach Kroatien. Die Antwort aber kannten wir schon:
Tuđman wollte uns nicht, und die JNA könnte nicht mehr die Leben ihrer Soldaten
wegen uns aufs Spiel setzen. Er pries Ehre und Würde aller Soldaten der JNA,
besonders der Offiziere. Melita konnte nicht aushalten, und fragte ihn nach Tschetniks
und ihrer Rolle. Die Antwort war kurz und bündig: „Die Tschetniks sind ein Teil der
JNA, nur mit anderen Abzeichen.“ Ich wußte nicht, was er von uns erwartete, aber
er könnte nicht wirklich denken, daß wir diese Behauptung ruhig annehmen. Aber
wir sagten dazu doch nichts, weil es sowieso keinen Zweck hatte. Die JNA bewaffnete
die Tschetniks und stand hinter allen Grausamkeiten, die diese begangen hatten. Der
Mann ließ uns in Ruhe. Zu uns kam der junge Krešo Kasalo. Er war im Gefängnis in
Sremska Mitrovica, aber jetzt durfte er seine Mutter besuchen. Ich wußte nicht wie
er das zustande brachte. Er war so grün und blau geschlagen, daß er sich kaum auf
Beinen hielt. Er warnte uns davor, mit anderen Zivilisten zu sprechen, da viele in
ihren Jackenärmeln Gummiknüppel versteckten. Manche Menschen wurden aus der
Halle nach draußen gebracht und geschlagen. Ein Mann, der seinen Gummiknüppel
sogar nicht zu verstecken versuchte, stand nicht weit entfernt von uns. Auch Leo
kam und erklärte Sandra, daß die Fahrt nach Bosnien vermutlich morgen organisiert
werde. Wir sollten auch Kasalo unter allen Umständen in den Bus einschieben. Das
Gedränge bei der Verteilung von Lebensmitteln wurde geringer, und so gingen wir
uns auch etwas zum Essen und Trinken zu holen. Es gab belegte Brote mit Salami,
Konserven, Brot, Säfte, Milch und natürlich Wasser. Wir nahmen etwas von allem
und gingen zur Tribüne zurück. Zu uns kamen wieder Vera und Nensi.
Über die Lautsprechanlage wurden die Namen aufgerufen. Verwandte und Bekannte
kamen, um ihre Nächsten zu suchen. Vukovar und Syrmien pflegten nicht nur
geographische sondern auch verwandtschaftliche Beziehungen. Uns fünf aßen, jede
vertieft in ihre Gedanken. Aber mein Kopf war ganz leer. Aus weiter Ferne hörte ich
die Stimme der Lautsprechanlage: „Sandra und Anica Marić sollten nach draußen
kommen.“ Ich sah Sandra an und bewegte mich langsam wie in einem Traum. Ich
war mir sicher, daß uns unsere Mutter aus Kukujevci bei Šid fand und kam um
zu überprüfen wie es uns geht. Draußen vor der Tür standen Leo und Alfons und
daneben Marinko Cvikić, Sandras ehemaliger Freund aus Vukovar. Wir begrüßten
ihn, und dann ging ich zurück in die Halle. Ich hatte nur einen Gedanken in meinem
Kopf: sie wird mit ihm gehen, obwohl wir sie mehr als jemals brauchten. Der Weg
nach Kroatien sollte sehr lang sein. Aber ich hatte kein Recht irgendetwas zu sagen,
sie mußte ihre Entscheidungen selbst treffen. Als der Krieg begann, verließen
Marinko, seine Eltern und sein jüngerer Bruder Vukovar und zogen nach Novi Sad
um. Sandra und er waren ein Paar fast drei Jahre und sie hatten sich sicher viel zu
229
sagen. Ich erzählte Nensi, Melita und Vera, wer gekommen war. Melita kannte ihn
nicht, aber Nensi doch. Auch sie lebte in Borovo Naselje wie Marinko. Sie fragte,
ob Sandra mit ihm gehen werde. Aber ich kannte die Antwort nicht. Mir war zum
Essen nicht zumute. Und als Sandra wieder vor uns stand, konnten wir nichts sagen.
Wir sahen sie nur an. Aber sie wußte schon alles, lächelte und sagte: „Aha, die Angst
packte euch? Ihr denkt ich werde gehen, aber das wird nicht passieren. Wir haben
über einige Sachen geredet. Ich sagte zu ihm, ich muß mit euch nach Kroatien.
Was uns die Zukunft bringt, das werden wir später sehen. Vielleicht wird uns das
Schicksal später zusammenbringen, wer weiß? Er wollte, daß ich mit ihm nach Novi
Sad komme, aber ich erklärte ihm, daß ich hier mehr gebraucht werde.” Ich wollte
wissen, woher er wissen konnte, daß wir in Sremska Mitrovica waren. Sandra sagte,
er habe sie im Fernsehen gesehen, als sie in englischer Sprache über Vukovar erzählte.
Er erkundigte sich dann nach Frauen und Kindern von Mitnica. Ich erinnerte mich
auch, daß er auch als Telefonverbindungen noch intakt waren, immer wieder anrief
und Sandra bat, Vukovar mit einem Passierschein von Tomislav Merčep zu verlassen,
aber sie lehnte es ab, sie wollte wie ihr Vater ihre Arbeit nicht verlassen. Und so blieb
sie in ihrer Stadt. Es fiel mir ein Stein vom Herzen, aber ich war auch gleichzeitig
ein bißchen darüber beschämt, daß ich so wenig Vertrauen in meine Tochter hatte.
Die Tatsache war, daß Sandra ihren eigenen Willen hatte. Vielleicht zweifelte ich
deswegen an ihr. Dann kam Leo und bat Sandra mit ihm zum Arzt in der Halle
zu gehen. Das Mädchen Marijana Karaula, das am Bein verwundet wurde, fühlte
sich sehr schlecht. Ihr Bein war angeschwollen, das Mädchen hatte hohes Fieber.
Sie mußte so schnell wie möglich einem operativen Eingriff untergezogen werden.
Aber Mutter und Tochter wollten nicht ins Krankenhaus in Mitrovica eingeliefert
werden, obwohl das Leben der Tochter in großer Gefahr war. Sie hörten weder auf
den Arzt noch Sandra. Auch eine junge schwangere Frau, bei der schon Wehen
ansetzten, wollte nicht ins Krankenhaus. Marijana bekam die Spritzen verabreicht,
aber sie lehnte es immer wieder ab, ins Krankenhaus zu gehen. Obwohl wir alle müde
waren, keiner konnte schlafen. Um 21 Uhr waren wir alle noch wach. Dann teilte
man uns über die Lautsprechanlage mit, daß morgen die ersten Busse nach Bosnien
fahren werden, und als ersten sollten die Menschen fahren, die schon gestern hier
ankamen. Die anderen sollten warten. Sofort entstand ein Durcheinander. Die Panik
brach aus. Alle versuchten sich der Tür zu nähern. Wer konnte darüber bestimmen,
wann wer angekommen war. Leo und Alfons sprachen mit Sandra und dann gingen
sie alle drei zum Tisch des Jugoslawischen Roten Kreuzes, an welchem zwei Frauen
saßen, für den Fall, daß sich jemand von uns dazu entscheiden sollte, zu seinen
Verwandten in Serbien weiterzufahren. Sandra sprach mit diesen Frauen, und war
zu hören, daß man entschied, daß entweder alle fahren werden oder niemand. Man
werde solange warten bis genug Busse für alle da sind. Alle begannen zu klatschen.
Ich war über Sandras Rolle in dieser ganzen Geschichte überhaupt nicht erfreut. Die
230
Mitarbeiter des Roten Kreuzes ignorierten den offiziellen Übersetzer und Sandra
war verantwortlich dafür, daß man die richtigen Informationen immer bekam. Ich
hatte Angst davor, daß die Dunkelheit sie verschlucken wird. Ich wußte, daß Leo
und Alfons alles mit ihr besprachen, und auch daß die Entscheidung einer großen
Menschenmenge, etwa tausend Frauen und Kinder, doch respektiert werden mußte.
Sandra sagte, daß Leo und Alfons glauben, daß wir endlich morgen nach Kroatien
fahren würden. Leo und Alfons gingen ins Hotel, um sich ein bißchen auszuruhen.
Sie schenkten Sandra ein Parfüm, damit sie sich mit ihm besprengen könnte, als
man Zagreb erreicht. Erst dann wurde mir bewußt, wie stark wir alle stanken. Kein
Wunder, wir badeten seit einem Monat nicht. Wir versuchten einzuschlafen, aber
die Stühle waren ungemütlich, der Rand des Sesselplatzes war erhöht und ich hatte
Schmerzen im Bereich der Nieren. Ich legte mich auf den Beton zwischen Sitzplätzen
und schlief sehr schnell ein.
21. 11. 1991, Donnerstag
Ich wurde wach vor der Dämmerung. Fast alle schliefen noch, und die Luft in der Halle
war ziemlich stickig. Ich ging zur Toilette um mich zu erfrischen. Danach konnte ich
nur warten, bis auch andere aufwachten. Um 8 Uhr brachte man Frühstück: Gebäck,
Tee, Joghurt und Milch. Es herrschte kein Gedränge mehr. Alle waren ruhig. Um 9,30
Uhr meldete die Lautsprechanlage, wir sollten unsere Sachen packen und auf das
Zeichen zum Einsteigen warten. Marijana war sehr krank, sie hatte hohes Fieber. Die
schwangere Frau konnte ich nicht sehen.
Um 10 Uhr sagte man uns, die Busse würden nach Bijeljina fahren. Dort sollten
uns die kroatischen Busse und Lkws erwarten. Unserem Konvoi sollten sich auch
die Schwerverwundete aus dem Vukovarer Krankenhaus anschließen und mit den
Militärtransportern nach Brčko fahren. Es gab keine Panik und kein Gedränge. Wir
nahmen ruhig unsere Plätze in Bussen ein. Mit uns kam auch Kasalo mit. Die Fahrt
war langsam, sie führte über Kuzmin und Srijemska Rača, dann über die Save nach
Bijeljina. Man mußte häufig an sog. Kontrollpunkten halten, aber der Zweck der
ganzen Sache bestand darin, eine Fahrt, die nur einige Stunden dauerte, auf einen
ganzen Tag auszudehnen, damit man Bijeljina erst in der Nacht erreicht.
Wir trafen am Vorabend in Bijeljina ein. Mir schien, daß man auf einer Bundesstraße
anhielt. Entlang der Straße auf beiden Seiten warteten schon Busse und Lkws aus
Kroatien. Gleich nachdem wir unseren Buss verlassen hatten, tauchte ein kleiner
Mann in einer schwarzen Jacke und einem Erkennungszeichen des Roten Kreuzes
am Ärmel. Er trug auch eine schwarze Mütze. Er sagte, wir könnten in den Lkw
einsteigen. Da versammelten sich um die Wagen die Einwohner von Bijeljina,
wahrscheinlich Serben, die uns zuriefen, daß wir Ustascha seien. Es begann zu regnen.
231
Uns fünfzehn liefen über die Straße und stiegen in den Lkw ein. Ich denke, der Fahrer
war aus Varaždin. Er sagte, wir würden uns schnell auf dem Weg machen, sobald
alle Menschen serbische Busse verlassen. Er erklärte uns, daß auch die Verwundeten
und die älteren Menschen mitkommen werden, aber in Bussen. Er hoffte, wir würden
nicht sauer sein, daß für uns die Lkws vorbereitet wären. Für uns stellte das kein
Problem dar. Kroatien war endlich in Sicht, und wir saßen in einem kroatischen
Lkw. Wir folgten dem Rat des Fahrers und ließen die Plane in dem hinteren Teil des
Wagens herunter. Da waren schon die Decken, um die Härte des Bodens zu mildern.
Wir alle fanden einen Platz und warteten. Der Lkw, der vor unserem geparkt war,
fuhr weg, aber wir nicht. Auch der Lkw hinter uns startete den Motor. Ich hob die
Plane und sah alle Wagen allmählich in einer Kolonne auf der rechten Straßenseite
wegfahren. Ich sagte Sandra, sie sollte unseren Fahrer suchen. Sandra erfuhr, daß er
sich im naheliegenden Wirtshaus betrank, was einfach in so einer kurzen Zeit nicht
möglich war. Er war völlig nüchtern und besonnen, als er mit uns sprach. Ich stieg
aus dem Lkw aus und hörte den Fahrer des letzten Lkw in der Kolonne schreien,
wir sollten zu ihm kommen. Als wir dann über die Straße laufen wollten, ließ ein
Verkehrpolizist die Kolonne, die auf den Treibstoff wartete, durch. Aus Verzweiflung
riefen wir ihm zu, er sollte uns die Straße passieren lassen oder gleich töten. Auf
unsere Überraschung, stoppte er die andere Kolonne und wir rannten zum Lkw.
Erst als ich schon im Lkw saß, bemerkte ich, daß Sandra verschwand. Ich geriet
in Panik, aber niemand wußte, wo sie war. Ich stieg aus dem Lkw wieder aus und
rannte entlang der Kolonne. Der Fahrer rief mir zu, ich sollte einsteigen. Melita
und er dachten, sie wäre nach vorn gegangen. Auf einmal war da auch der Mann
in der schwarzen Jacke, und sagte, daß ein Mädchen mit einem Tuch in einen Bus
eingestiegen wäre. Aber ich glaubte ihm nicht. Ich rannte wieder nach vorn und rief
nach ihr. Die Kolonne stoppte auf einmal. Da sah ich Sandra, wie sie mit Leo und
Alfons angerannt kommt. Ich fiel auf die Knie. Sandra half mich aufzustehen und in
den Lkw einzusteigen. Sie erklärte mir, als sie sah, daß unser Fahrer nicht zu finden
war, suchte sie Alfons und Leo auf. Leo und Alfons erzählten uns, daß einige Fahrer
aus ihren Wagen herausgezerrt und geschlagen würden, um zu verhindern, uns nach
Kroatien zu fahren. Alles widerhallte in meinen Ohren, aber ich war nicht imstande
zu sprechen. In diesem Augenblick war ich am Rande eines Nervenzusammenbruchs.
Ich umarmte Sandra fest und zitterte am ganzen Körper. Mich quälte die Frage, wie
konnte so etwas so nahe am Ziel passieren. Angst, Wut, schwere Last in meiner
Brust, all das gor in mir. Sandra erzählte, daß wir noch an einer Stelle auf dem Weg
nach Brčko unter Beschuß geraten könnten. Wenn wir aber diese Stelle passierten,
dann wären wir endlich in Sicherheit. Erst nach einigen Minuten begriff sie, daß ich
einen Schock erlitt und praktisch erstarrte. Sie küßte mich immer wieder, versuchte
mich zu beruhigen und wiederholte ständig, wir wären auf dem Weg in Freiheit.
Ich schwieg, hielt sie fest und weinte. Ich versuchte überhaupt nicht meine Tränen
232
abzuwischen. Nach einer kurzen Zeit hörte man Schüsse. Ich zuckte. Diese Schüsse
brachten mich zurück in die Realität. Ich begriff, wir werden noch etwas aushalten
müssen. Wir wußten nicht, ob jemand in der Kolonne getroffen wurde. Der Lkw
fuhr immer schneller und um die Mitternacht waren wir in Brčko. Die Lkws und
Busse hielten im Kreis im Zentrum der Stadt an. Wir hoben die Plane und sahen
die Militärtransporter mit Schwerverwundeten aus dem Vukovarer Krankenhaus in
Bereitschaft. Gleich neben unserem Lkw lag auf einer Bahre Albert Saider, Händler
aus Vukovar. Er schaute zu uns und erkannte mich. Mit einer Hand unterstützte er
seinen Kopf und rief mir zu: „Du siehst wieder auf mich herab.“ Das sei einfach das
Schicksal, lautete meine Antwort. Er erinnerte sich an dem Tag, als er an unserem
Haus vorbeikam, und ich mit Handwerkern auf dem Dach stand. Ich arbeitete auch
10 Jahre in „Velepromet“ und wir beide kannten uns sehr gut und so sagte er mir
noch damals, ich würde auf ihn herabsehen. Er hatte nur ein Bein. Die Einwohner
von Brčko versammelten sich um uns. Sie brachten uns Nahrung, etwas zu trinken
und Kuchen aus einer naheliegenden Konditorei, eigentlich alles was wir verlangten.
Am Ende war es auch zu viel. Ein Albaner gab uns Lammbraten mit Kartoffeln und
Zwiebeln. Wir baten sie, unsere Verwandten anzurufen und ihnen zu sagen, daß wir
wohl auf sind. Diese Menschen behandelten uns wirklich gut und zeigten uns ihr
Mitgefühl. Ich werde sie nie vergessen. Sobald die Verwundeten in die kroatischen
Wagen verlegt wurden, waren wir schon auf dem Weg. Mich weckte die Stimme eines
Soldaten, der die Plane von draußen hob und sagte: „Willkommen in Kroatien.“ Wir
überquerten die Save bei Bosanski Šamac und fuhren Richtung Đakovo. Als wir fast
einstimmig mit „Gott sei Dank“ antworteten, war der Soldat schon verschwunden.
Unsere Freude war unermäßlich und die Zeit bis Đakovo verging sehr schnell.
In Đakovo trafen wir etwa um 22 Uhr. Man brachte uns in einer großen Halle unter.
Die Verwundeten waren schon versorgt. Auf uns warteten die Tische voll mit Nahrung
und Getränken. Aber keiner konnte essen, da wir schon in Brčko gegessen hatten.
Alfons und Leo kamen, um sich von Sandra zu verabschieden. Sie mußten weiter
nach Zagreb mit Marijana, die in einem kritischen Zustand war. Man glaubte aber sie
noch rechtzeitig ins Krankenhaus einzuliefern, und daß keine Amputation notwendig
wird. Sie bedankten sich bei Sandra für ihre Hilfe und gaben ihr ihre Adressen, falls
Sandra sie brauchen oder später kontaktieren wollte. Wir wollten aber sofort nach
Zagreb weiterfahren und die Listen mit Namen der fortgeschleppten Männer den
Zuständigen übergeben. Wir vereinbarten untereinander, daß wir zum Banus-Jelačić
Platz gehen und dort warten werden, bis uns jemand von der Regierung oder sogar
der Präsident Tuđuman selbst nicht anhört. Das war unser Recht, nach allem was wir
durchmachten. Ich glaube, wir verließen Đakovo um Mitternacht. Vor dem Aufbruch
stieg ein junger Mann (Medizintechniker aus dem Vukovarer Krankenhaus) in den
Bus ein. Er sagte, er wisse was wir beabsichtigen zu tun, aber wir sollten uns nichts
233
vortäuschen. Keine Weiber würden die kroatische Regierung stürzen. Wir erklärten
ihm, daß wir das auch nicht beabsichtigten. Er bestand aber darauf, wir sollten auf
unser Vorhaben verzichten. Die Regierung der RH sorge schon für uns. Darauf
verließ er den Bus, und wir konnten uns nicht erklären was er eigentlich wollte, da
unser einziges Ziel die Zustellung dieser Listen war. Es regnete immer stärker. Wir
hielten in einem Hotel auf dem halben Weg zwischen Đakovo und Bjelovar an und
erfrischten uns ein bißchen.
22. 11. 1991, Freitag
Um 7 Uhr trafen wir in Bjelovar ein. Es regnete nicht mehr. Als wir an einer Ampel
standen, mußte der Fahrer die Tür öffnen, da wir alle grausam stanken. Die Kinder
gingen in die Schule, und als sie hörten, daß wir aus Vukovar kommen, wollten sie
uns ihr Taschengeld und ihr Essen geben. Unsere Omas weinten. In Bjelovar wurden
wir in einer Sporthalle oder einem Gesellschaftshaus untergebracht. Der Raum war
leer mit einer kleinen Bühne. Dort erwartete uns der Bürgermeister von Bjelovar
in Begleitung einiger Leute. Er begrüßte uns und sagte, die Stadt würde auf uns mit
offenen Türen und Herzen warten. Wir bedankten uns, aber sagten, wir müssten weiter
nach Zagreb. Er wollte, daß wir uns bis morgen ausruhen. Währenddessen würde er
Zagreb anrufen und unsere Forderungen weiterleiten. Wir stimmten seinem Vorschlag
zu, da wir wirklich Erholung brauchten. Ich sagte Sandra, sie sollte Nensi und Vera
suchen, damit man unsere Insassen zu versammeln versucht. Ich wußte, daß Bjelovar
ein neues Altenheim hatte, und ich spielte mit dem Gedanken, unsere Insassen hier
unterzubringen. In der Begleitung des Bürgermeisters war auch eine Sozialarbeiterin,
die im Altenheim arbeitete. Als ich ihr alles erklärte, sagte sie, daß es im Altenheim
genug Platz gäbe. Sie würde auch den Transport mit Ambulanzwagen organisieren. Das
Altenheim befand sich in der Nähe der Halle. Wir versammelten unsere Insassen, aber
auch andere ältere Menschen, da man die Möglichkeit erwog, sie alle zusammen in das
Altenheim zu bringen. Zum Glück gab es genug Platz. Bis zum Mittagessen wurden
sie in ihre neue Unterkunft gebracht. Diese Unterbringung hatte einen provisorischen
Charakter, aber zu dieser Zeit war es die beste Lösung. Unsere Insassen wußten, daß wir
nach Zagreb müssen. Die Sozialarbeiterin versprach mir, sich mit ihren Kollegen, um
sie zu kümmern. Ein Stein fiel mir vom Herzen.
Kurz nach 12 Uhr tauchte der Bürgermeister auf, mit der Absicht, uns von unserer Fahrt
nach Zagreb abzubringen. Er wollte uns nicht zuhören und in einem Moment schrie er:
„Sie haben kein grünes Licht für Zagreb.“ In der Halle wurde es plötzlich sehr still. Wir
konnten nicht glauben, was wir hörten. Ich fragte ihn, wer Zagreb grünes Licht gab, um
Vukovar so in Stich zu lassen. Er wußte nicht was er dazu sagen sollte, und wir gingen zu
den Bussen. Wir saßen dort etwa eine Stunde, als man uns endlich sagte, daß die Fahrer
234
sehr müde und nach Hause um sich auszuruhen gegangen seien. Es war schon 16 Uhr.
Die ganze Sache mit dem Bürgermeister dauerte einfach zu lange. Die Einwohner von
Bjelovar kamen zu uns. Sie warteten den ganzen Tag lang und wollten uns in ihre Häusern
aufnehmen. Nachdem wir ihnen aber alles erklärt hatten, zeigten sie Verständnis, und
luden uns ein, wenn wir in Zagreb fertig seien, sollten wir zurück nach Bjelovar zu
ihnen kommen, was wir auch versprachen. Da die Fahrer auch nach einer halben Stunde
nicht da waren, entschieden wir uns zu Fuß zu gehen. Wir hatten gerade noch Kraft für
diese etwa 60 km. Wir nahmen nur das Nötigste mit, die jüngeren Frauen hatten auch
nicht viel Gepäck. Die Frauen mit Kindern blieben in Bjelovar. Die Einwohner weinten,
als wir uns verabschiedeten. Auf einmal war auch der Bürgermeister da. Er sagte, wir
sollten in Busse wieder einsteigen, da die Fahrer zurückkamen, und er versicherte uns,
wir würden nach Zagreb fahren. Die Bewohner klatschten und grüßten uns mit dem
Victory-Zeichen. Unter dem Schutz der Dunkelheit erreichten wir Zagreb, aber schon
an der ersten größeren Kreuzung fuhr man nicht dem Straßenschild entsprechend in
Richtung Stadtzentrum, sondern irgendwohin anders. Ich dachte, man nehme nur eine
andere Strecke, aber ich irrte mich. Wir hielten bei den Hallen der Zagreber Messe an.
Es war offensichtlich, daß alle ehemaligen Einwohner von Vukovar in Zagreb wußten,
daß wir hier eintreffen werden. Viele Menschen waren da und durchsuchten alle Busse,
um ihre Verwandten und Bekannten zu finden. Auch der junge Kasalo mit Mutter stieg
aus. Wir aber blieben drinnen sitzen. Auch die Mutter von Melita kam, die mit Melitas
Kinder Dunja und Mirta in Zagreb war. Sie bat uns, den Bus zu verlassen, aber Melita
wiederholte immer wieder den Satz: „Wir müssen zuerst zum Jelačić-Platz gehen, um
diese Verzeichnisse zu übergeben, ich weiß nicht wo Vlatko ist, zuerst müssen wir
das erledigen.“ Arme Frau mußte sich damit abfinden, daß Melita aus dem Bus nicht
aussteigen wollte. Nach einer halben Stunde stieg in unseren Bus eine Frau ein, die sich
als Reisebüromitarbeiterin vorstellte. Sie sollte unsere Unterbringung in Zagreber Hotels
organisieren und wollte auch unsere Listen nehmen, um sie dann weiterzuleiten. Wir
verzichteten darauf. Als wir endlich weiter fuhren, standen wir in ein Paar Minuten
vor dem Hotel „Interkontinental“. Wir dachten andere Busse wären hinter uns, aber da
war außer unseren nur noch ein Bus. Die Reisbüromitarbeiterin wollte mir nicht sagen,
wo die anderen sind, sie bemerkte nur, daß wir nicht alle in einem Hotel untergebracht
werden könnten. Wir sollten uns erst ausruhen und etwas essen, weil wir doch gestreßt
und müde wären. Da war mir klar, daß wir heute Abend nicht zum Jelačić-Platz gehen
können. Man hat uns getrennt. Auf uns wartete schon Melitas Mutter. Ich sagte zu Melita,
daß wir heute Abend sowieso nichts tun könnten und sie sollte zu ihren Kindern gehen.
Wir verabschiedeten uns und Sandra und ich meldeten uns an der Rezeption an.
Die Vorhalle des Hotels war voll mit Menschen, auch die Fernsehkameras waren da.
Für einen Augenblick sah ich eine junge Frau mit einem Kind, das nicht älter als
zwei Tage aussah. Vielleicht war das die Frau aus Mitrovica. Ich wollte zu ihr, aber da
235
waren schon die Journalisten. Sandra bekam den Zimmerschlüssel und wir stiegen in
den Aufzug ein. Ich denke, wir bekamen ein Zimmer im fünften Stockwerk mit einem
großen Doppelbett. Alles war in Samt uns Seide eingerichtet, wie unsere Alten zu sagen
pflegten, und unsere Füße verschwanden in kostbaren Teppichen. Mir schien, daß es
mir besser gegangen wäre, wenn mich jetzt jemand ins Gesicht schlagen würde. Wir
suchten zuerst das Bad auf und erst dann begriffen wir, daß wir nichts zum Anziehen
hätten. Eine Frau im Flur sagte uns, daß die Geschäfte im Zentrum bis 21 Uhr geöffnet
sind. In einem Laden gegenüber der Statue des Banus Jelačić kauften wir Kleidung
und Unterwäsche und in einem anderen Schuhe. Wir kauften auch einige Sachen für
meine Schwiegermutter, die im Altenheim in Bjelovar geblieben war. Als wir ins Hotel
zurückkamen, dort warteten schon auf uns die Verwandten des verstorbenen Mannes
meiner Schwester, die in München lebte. Sie nahmen uns mit in ihre Wohnung. Wir
ließen die Telefonnummer der Familie Obadić an der Rezeption zurück. Sanja sagte,
daß meine Schwester anrief, um uns zu sagen, daß sich mein Mann bei ihr meldete.
Er wäre in Inđija, bei der Familie des zweiten Mannes meiner Schwester. Er würde
später anrufen versuchen. Wir haben untereinander schon in Vukovar vereinbart, daß
wenn wir Vukovar getrennt verlassen, dann werden wir uns alle auf dem Weg nach
München machen. In der Wohnung der Familie Obadić nahmen wir ein Bad und zogen
uns um. Ich darf mich nicht erinnern, wie das Wasser nach unserem Bad aussah. Ich
telefonierte mit meiner Schwester und irgendwie auch mit meinem Mann. Ich sagte
ihm, daß wir nach München fahren. Ich mußte morgen noch das Altenheim in Bjelovar
anrufen, damit man meine Schwiegermutter nach Zagreb schickt. Wir sahen uns die
Nachrichten um 22 Uhr an. Das Hauptthema war noch immer der Fall von Vukovar und
unser Golgatha. Auch Sandra war im Fernsehen zu sehen, in einem kurzen Bericht der
ausländischen Presse. Unsere Gastgeber stellten auch viele Fragen, eigentlich zu viele.
Sie versicherten uns, daß sie große Angst um uns hatten, und daß sie für uns beteten.
Ganz Kroatien sollte auch über das Schicksal von Vukovar weinen. Aber das alles war
mir nicht wichtig und ich hatte keine Kraft zu erzählen, wie Kroatien uns behandelte.
Obwohl das Bett gemütlich, ich sauber und die Aufmerksamkeit unserer Gastgeber
großzügig war, konnte ich nicht schlafen. Ich dachte über das ganze Geschehen nach,
über meinen Mann in Inđija, in einem Nest der Tschetniks, und wie er sich daraus retten
wird. Ich schlief erst vor Morgengrauen ein, wahrscheinlich wegen der Müdigkeit.
23. 11. 1991, Samstag
Gleich nach dem Frühstück rief ein Mann aus Bjelovar an, um uns zu benachrichtigen, daß
unsere Oma bei ihm war. Ich bat ihn die Oma nach Zagreb zu fahren, oder mit dem Zug
zu schicken, weil wir schon morgen den Zug nach München haben. Er versprach mit dem
Zug zu kommen. Ich bat auch unseren Gastgeber Jerko Obadić den Herrn Vicko Goluža,
den Direktor des Fonds für Sozialschutz, anzurufen. Ich hatte seine Telefonnummer.
236
Da mich doch keiner gründlich durchsuchte, konnte ich das Geld unserer Insassen, das
ich in den Trümmern des Altenheims gefunden hatte, retten. Herr Goluža kam nach
einer halben Stunde. Ich erzählte ihm, daß unsere Insassen in Bjelovar seien. Ich bat
ihn, sich um sie und meine ehemaligen Mitarbeiterinnen zu kümmern. Er versprach
mich alles und hielt sein Wort. Ich gab ihm das Geld, und er unterzeichnete auch eine
Bestätigung darüber. Die Nachbarn unserer Gastgeber hörten, daß wir uns im Gebäude
befinden, und den ganzen Tag hatten wir viele Besucher. Alle wollten uns sagen, wie es
auch sehr schwer für sie sei, sich diese Bilder aus Vukovar anzuschauen. Alle hätten für
unsere Rettung gebeten. Ich glaubte ihnen, da nur kleine Leute, die mit der Politik und
nationalen Interessen nichts zu tun hatten, mit unserem Leiden mitfühlen konnten. Nach
dem Mittagessen, gingen wir zum Bahnhof und kauften die Karten für München. Auch
die Oma aus Bjelovar war da. Außer meines Mannes, waren wir wieder alle zusammen.
Ich sprach mit ihm und er sagte, er würde versuchen, zuerst nach Mazedonien und dann
weiter nach München zu fahren. Der Samstag war schnell vorbei. Am Sonntag, den 24.
11. 1991, verließen wir Zagreb um 8,10 mit dem Zug Nummer 258. Obwohl die ganze
Fahrt etwa acht Stunden dauerte, konnte ich nicht erwarten, daß wir ankommen. Ich
wußte nämlich, daß auf uns am Bahnhof mein Sohn Josip warten wird, der noch Ende
Juli 1991 mit einem Gipsverband und mit dem letzten Bus Vukovar verließ. Die Freude
über unser Wiedersehen kann nicht beschrieben, sondern nur erlebt werden. Wir drei
umarmten ihn lange. Meine Schwester wartete geduldig im Hintergrund. Das war der
Beginn unseres Lebens als Vertriebene.
Bahnkarte
237
Verzeichnis der Beschäftigten im Altenheim 1991
238
Verzeichnis der überlebenden Insassen des Altenheims 1991
239
240
ABKÜRZUNGEN
JNA – Jugoslawische Volksarmee
RH – Republik Kroatien
OUN – Organisation der Vereinten Nationen
SAD – Vereinigten Staaten von Amerika
SFRJ – Sozialistische Föderative Republik Jugoslawien
VUPIK – Vukovarer Industrie- und Landwirschaftskombinat
1. Autor des Plakats: Boris Ljubičić
Oben: Erinnerungsplakat an das Leiden von Vukovar mit dem Datum
seiner
Okkupation
2. Unten: Millenium-Photo von Šime Strikoman „Legendäre 204. Vukovarer
Brigade der Kroatischen Armee“, Vukovar, 25. September 2006
3. Plakat für das Referendum in Kroatien, 19. Mai 1991
4. Landkarte mit Grenzen des sog. Großserbiens
5. Plakat des 14. Kongresses des Bundes der Kommunisten Jugoslawiens;
Dadurch, daß die serbischen und montenegrinischen Delegierten ihren Willen
den kroatischen und slowenischen Kollegen aufzudrängen versuchten und
alle ihre Vorschläge beharrlich ignorierten, verließ als erste die slowenische
und dann auch die kroatische Parteidelegation den Kongreß am 22. Januar,
was das Ende einer einheitlichen und zentralisierten Parteiorganisation und
den Anfang des Zerfalls der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien
bedeutete.
6. Kardinal Franjo Kuharić und Dr. Franjo Tuđman in der konstituierenden
Sitzung des demokratischen Parlaments der Sozialistischen Republik
Kroatien, 30. Mai 1990.
7. Zagreb, Markus Platz, 25. Juli 1990 (Autor: Renato Branđolica)
8. Borovo Selo, 2. Mai 1991 (Autor: Goran Pichler)
9. Pakrac, 2. März 1991
10. Plitvice, 31. März 1991
11. Verfassung der Republik Kroatien
12. Parlament der Republik Kroatien, 25. Juni 1991 (Autor Stanko Szabo)
241
242
Eine Stadtgeschichte*
I
ch verzichte auf Gerechtigkeit, auf Wahrheit, ich verzichte auf Versuche, die
Ideale meinem eigenen Leben unterzuordnen, ich verzichte auf alles was mir
noch gestern für einen besseren Anfang, oder ein besseres Ende, erforderlich
erschien. Ich würde wahrscheinlich auch auf mich selbst verzichten, aber ich kann
es nicht. Den wer wird dann bleiben, wenn wir alle auf uns verzichten und in unsere
Angst fliehen? Wem soll ich die Stadt überlassen? Wer wird auf sie aufpassen,
während ich auf der Suche nach mir auf dem Kehrichthaufen der menschlichen
Seelen wandere, während ich dabei so allein ohne mich taumle, wund und müde,
im Fieber, während meine Augen immer größer vor meiner persönlichen Niederlage
werden?
Wer wird auf meine Stadt aufpassen? Auf meine Freunde? Wer wird Vukovar aus
der Finsternis herausholen? Es gibt keinen stärkeren Rücken als meinen und eueren.
Und deshalb, wenn das euch keine Umstände macht, wenn ihr noch in sich selbst
ihr jungenhaftes Wispern versteckt, schließt euch an. Jemand berührte meine Parks,
die Bänke, in denen noch eure Namen gestochen sind, den Schatten, in dem ihr
gleichzeitig ihren ersten Kuß gabt und nahmt. Jemand hat einfach alles gestohlen,
sogar den Schatten. Es gibt kein Schaufenster mehr in dem ihr mit Bewunderung
euere größten Freuden anschautet und es gibt kein Kino mehr, in welchem ihr sich
eueren traurigsten Film ansaht. Euere Vergangenheit ist einfach zerstört und jetzt
habt ihr nichts mehr. Ihr müßt von neuem alles aufbauen, zuerst euere eigene
Vergangenheit und euere Wurzeln suchen, und erst dann auch euere Gegenwart
schaffen, und wenn da noch Kraft bleibt, sollte sie in die Zukunft investiert werden.
Und möget ihr nicht allein in der Zukunft sein. Um die Stadt sollt ihr euch dann
keine Sorgen machen, sie versteckt sich die ganze Zeit in euch, und kein Henker
kann sie finden. Diese Stadt – das seid ihr!
Siniša Glavašević
* (eine während der Belagerung der Stadt verfaßte Geschichte des Journalisten des Kroatischen
Rundfunks Vukovar Siniša Glavaševića, der nach der Besetzung Vukovars im Krankenhaus
gefangengenommen und in Ovčara ermordet wurde)
243
NAMENSINDIZES
A
Adžaga Jozo, 140
Adžić Blagoje, 21, 27
Aleksandar Vlasta, 140
Aleksijević Zoran, 153
Aleksijević Agneza, 153
Alvir Marija, 153
Andrijanić Luka, 11, 46-48, 55, 105
Anđelić Ivan – Doktor, 47, 64
Antolović Ljuba, 164, 170
Arbanas Ivica, 46, 47, 50, 64, 65, 70
Arbanas Sanja, 64, 65
Arić Ante, 95, 99, 135
Asadžanin Ilija, 140
B
Babić Marko, 56, 57, 70, 153
Babić Dragica, 171
Bainrauch Ivan, 140
Balić Marjan, 48, 55
Balog Neda, 153
Baranjek Ivan, 152
Barić Nikica, 141
Bebić Luka, 43
Bekčević Antun, 47
Belinić Vesna, 95, 97, 135
Beljo Tomislav, 188,
Berišić Smiljan, 187
Beronja Anita, 187
Beronja Eva, 178
Beronja Melita, 187
Beronja Mile, 187
Berton Milan-Fil, 57
Bilić Višnja, 142, 143
244
Biluš Sadika, 135
Bing Albert, 152
Biorčević Andrija, 133
Biro Štefan, 153
Biškupić Božo, 93,
Bojkovski Saša, 124
Borković Branko, 16, 51, 53, 72
Borsinger Nicolas, 85, 134
Bosanac Tomislav, 140
Bosanac Vesna, 45, 91, 96, 98, 104, 107, 111,
121, 132, 135, 153
Bošnjak Ivan – Bole, 57
Bošnjak Stipan, 43
Božak Ivan, 141
Božićević Josip, 30
Brajković Mihalea, 97
Branđolica Renato, 22
Bratić Mladen, 64
Brdar Ivan, 84
Brekalo Mirko, 83
Budimir Anđa, 167
Budimir Josip, 195
Budiša Dražen, 222
Bukor Zlatko, 97
Bulatović Momir, 31, 152
Bunjac Marija, 170, 171
Bush George, 98
C
Chenu J. M., 130
Cossiga Francesco, 98
Crnković Luka, 43
Culej Josip, 43
Cvijan Stanko, 42
Č 13. Der Angriffsplan der JNA gegen die
Gregurić
Franjo,
46, 112September-Oktober
Republik
Kroatien,
Čanak Nenad,
10, 16, 124Davor Marijan, Smrt
Grgić
Lazar,brigade
171, 217– prilozi za istraživanje
1991 (Quelle:
oklopne
Čatić Mladen,
Grujić1990.
Ivan, –5, 1992.,
142, 143
rata za43Hrvatsku i Bosnu i Hercegovinu,
Zoro, Zagreb, 2002.)
Čolak
166, 167
14.Đurđa,
Vinkovci
– Bibliothek nach dem Angriff der JNA (oben)
Čorić Dragan,
159, 175, 213 Banski dvori H
Regierungsgebäude
in Zagreb; Folgen des Angriffs der JNAČović Janko,
43
Hadžić
Goran, 50, 136
Kampfflugzeuge am 7. Oktober 1991
(unten)
Hebrang
89, 91, 1991
130, 132
15. Parlamentssitzung der Republik Kroatien,Andrija,
8. Oktober
(Autor: Josip
D
Herbut Rozalija, 157
Božičević)
Dasović Ivan, 135
Alfred, 62, 71
16. Eintreffen der Flüchtlinge aus Dalj,Hill
Erdut
und Aljmaš in Nemetin, 1. August
Dedaković Mile, 50, 51, 53, 59, 72, 84, 135, 152 Hincak Zvonimir, 47, 48
1991
Degoricija Slavko, 43, 45
Hitler Adolf, 9, 10
17. Borovo Selo, 2. Mai 1991
Deronja Marko, 203
Hop Katarina, 170, 171
18. Marin Vidić „Bili“
Destexe Alain, 116
Hrala Željko, 43
19.
Luka
Andrijanić
Dokmanović Slavko, 79
Husar Josip, 94, 111
20. Stützpunkt
Domljan
Žarko, 113 an der Bosanska Straße mit Aussicht auf Silo Đergaj, wo am 24.
August
1991
Dragojlović
Dragan,
59die Flugabwehrkanone,
I mit welcher Luka Andrijanić die JNAugzeuge traf, aufgestellt wurde
DrakulićKampffl
Gojko, 171
Ivanda(das
Stipe,Photo
161 ist eine Schenkung von
Josip
Jakobović)
Dukić Živko, 160, 161
Ivković Zlatko, 115
21. Jovan,
Zentrum
1991
(Autor:
Dulović
125,von
127,Vukovar,
136, 138 7. September
Ivušić
Ljerka,
5, 37Mario Filipi)
22. Tomislav
Merčep
Dumendžić
Ana, 216
23. Mile Dedaković „Jastreb“ (Habicht)J
Đ 24. Branko Borković „Mladi Jastreb“ (Junghabicht)
Jacquier Ghislaine, 116
Đerek
Sokol, 71, 84
Jakobović Josip, 46-48, 55, 64
25.Velimir
Siniša–Glavašević
Janković Zoran, 70
26. Branimir Polovina
E 27. Vukovarer Verteidiger, Lužac, 7. September
Jarabek Zlatko,
1991140
(Autor: Mario Filipi)
Edelmajer
Ana,
171
Jelić
Ivan
–
Lepi,
28. Kalte und finstere Schutzkeller gehörten zum Alltag60von Kindern in Vukovar,
Erdeg Josip,
174, 176 1991 (Autor: Mario Filipi)
Jeremić Dušica, 140
7. September
Esterajher
Josip, 128, 152 der RH auf dem Jovičić
Stevan,bei
183dem Haus der Technik in
29. Polizeieinheiten
Stützpunkt
Jović
Borisav,
21,
26
Borovo Naselje
F 30. Zerstörte Panzer auf der Trpinjska
Jović
Josip,
25
Straße, Mitte September 1991 (Autor:
Falamić Bartol,
189,
197
Jović
Mirko,von
50 Marko Babić und Eigentum
Andrija Marić; das Photo ist eine Schenkung
Filipi Mario, 49, 52, 53, 60, 69
Jurčević Zlatko, 132
von Vinko Mažar und Ivan Leutar)
Filipović Kata, 185, 189, 191, 197, 199
Jurić Viktorin, 61, 64, 65, 70
31. Ortsgemeinschaft Alojzije Stepinac, Trpinjska cesta, zweite Hälfte des
Jurjević Zvonko, 27
Septembers 1991
G
32. Trpinjska Straße, zweite Hälfte desK Septembers 1991: untere Reihe: Gardist
Ganić Zorica, 95, 135
Ivan
Mudrovčić-Šola,
Glavašević
Siniša,
5, 7, 51, 55, 118,Ivan
121, Bošnjak-Bole;
Kačić Petarstehen:
– Bojler,Miljenko
70, 71, 84 Voloder-Beli,
Ivan152,
Leutar-Iva
seitwärts
Milan
Berton-Fil
(das
ist
122, 129,
192, 204,und
243 Andrija Marić,Kadijević
Veljko,
10-13,
15, 26, 27,
50,Photo
133, 152
eine
Schenkung
von
Marko
Babić
und
Eigentum
von
Vinko
Mažar
und
Ivan
Goluža Vicko, 172, 236
Kajba Zubarev Aleksandra, 158
GorinšekLeutar)
Karl, 59
Karaman Igor, 152
33.
Oktober
1991
(Autor:
Damir
Radnić)
Grašić Zoran, 43
Karaula Pilip, 85, 216
34. Der
zerstörte
Panzer im ZentrumKaraula
von Nuštar,
Oktober
Grbavac
Antun,
43
Marijana,
230 1991 (Autor: Mario
245
Karnaš Dražen,
Marić Zlatko, 187
Filipi) 135, 158, 170
Klaić35.
Danica,
157
Marijan
Davor,
32,er152
Bogdanovci,
Oktober 1991; zerstörter
Panzer
(ein27,
Treff
von Ivan Jelić „Lepi“
Kohl Helmut,
98
Marković
Ante,
29
(der Schöne) am 2. Oktober aus Ivankovo)
Kojić36.
Ljubica,
141 Verteidiger in Sajmište,Martin
Jean1991
Michel,
116 Damir Radnić)
Kroatische
Oktober
(Autor:
Kolesar
Binazija,
97,
153
Mataušek
Rene,
135
37. Kämpfer der Kroatischen Verteidigungskräfte (HOS), Sajmište, September/
Komšić Zdravko,
191, 216
Mataušek
Robert, 135
Oktober85,1991;
von rechts Zvonko
Ćurković
„Zvone“, Jean-Michael
Konigskneht
Štef,
207
Matić
Predrag
–
Fred,
152
Nicollier, Viktorin Jurić „Paša“ (Pascha) und Žarko Manjkas
„Crvenkapa“
Kosec Branimir,
163,
164,
204
Matić
Nevenka,
141
(Rotkäppchen) (Autor: Damir Radnić)
Kovačić Željko, 89
Mažar
Beba, 180,
184
38. Einfahrt zu Bogdanovci aus Richtung
Marinci,
nach182,
2. Oktober
1991 (Autor:
Kratofil Boris, 95-97, 153
Mažar
Branka,
178,
180,
189
Damir Radnić)
Krznarić Goran, 141
Mažar Vinko,e56,(HOS)
57
39. Kämpfer der Kroatischen Verteidigungskräft
vor der Kirche in
Kuharić Franjo, 21
Mažar
Zvonko,
64
Bogdanovci und auf Stellungen in Richtung Marinci, Oktober 1991 (Autor:
Kujundžić Ivo, 137
Menges Zlatko, 196
Damir
Kušt Stanko,
95, Radnić)
96, 128
Merčep Tomislav, 50, 230
40.Velimir,
Vukovar,
Kvesić
64 16. November um 20 Uhr, unmittelbar vor dem Durchbruch: Sanja
Mesić Stjepan,
29, 112
Arbanas (ganz rechts hinter ihr vermutet
man Ivica
Arbanas), Ivan Anđelić
Mihaljević
Ante,
177,
188, 200,
210
„doktor“ (Doktor) (mit der Augenbinde), Velimir Kvesić
(Angehöriger
der
L
Mihović
Tomislav,
140
Kroatischen
Verteidigungskräft
e
(HOS)
mit
schwarzer
Müze),
Zdravko
Radić
Lee Hawk Robert James, 98
Miličević Zdenka, 141
dem
Leskovac(mit
Rade,
136Patronengurt um den Hals), Viktorin Jurić „Paša“ (Pascha) (rechts,
Milić Katica, 141, 166
in einer
Leutar Ivan,
56, 57Ziviljacke), Zvonko Mažar (mit dem Helm), Zvonko Ćurković (steht
Milošević Slobodan,
21, 26,(das
34, 143,
mit geschlossenen
Augen), Josip Jakobović
(hockt in 10,
der20,
Mitte);
Photo
Lisica Franko,
43
153,
211
ist eine185
Schenkung von Ivica Arbanas)
Lukić Terezija,
Delfa, 163,der
166,Stadt
219 sangen die
41. Vukovar, November 1991; nach Miljanović
der Okkupation
Mirković
–
Nađ
Alenka,
55,
81,kämpft
152 en, sie
LJ
serbischen Paramilitärs, die unter dem Kommando der JNA
Miščević Branka, 164, 166
Ljubičić Boris,
8 Kroaten schlachten
würden
Mitterand Francois, 98
42. Während des Durchbruchs, zwischen
Cerić und Marinci: Sanja Arbanas
Miroslav, 10
M
verbindet den verwundeten Mato Mlinar
Prca; Photo
machte Viktorin Jurić „Paša“
Morris
Christopher,
123
Magoč Zora,
166
(Pascha), das Photo ist eine Schenkung von Ivica Arbanas
Mrkšić
Mile,
16,
124,
131, 133, 143
Major
98
43.John,
Vukovar,
8. Juli 1997; mit dem Zug des Friedens und der Wiederkehr kehrte
Nensi, 159, 166, 178, 181
Mandić Dara,
159, symbolisch
180, 184, 186,nach
222 VukovarMučalov
Kroatien
zurück.
Mudrovčić
Ivan – Šola, 57
Mandić
159,
177,(Autor:
207, 211Mario Filipi)
44. Franjo,
Oktober
1991
Mujić Rozalija, 170, 171
Mandić Marko, 132, 141
45. Andrija Marić, Blago Zadro, Marko Babić, Zoran Janković (steht seitwärts);
Mandić Matija, 85
Trpinjska Straße, Mitte September 1991 (das Photo ist eine Schenkung von
N
Manjkas Žarko – Crvenkapa, 61
Marko Babić)
Nadaš Vladislav, 135
Marić Andrija, 56, 57, 70,
46. Ivica Arbanas (mit Hut), Velimir Derek (rechts, mit dem schwarzen Band um
Marić Anica, 5, 155, 181, 229
Nazor Ante, 19, 39, 87, 152
den Kopf,
nachdem Petar Kačić – „Bojler“
Marić Davor,
187 als Befehlshaber einer Kompanie,
Nicollier Jean-Michael, 61
(Boiler)
– „Švico“
(Angehöriger der Kroatischen
Marić Karlo,
187 gefallen war), Delić ŽeljkoNjavro
Juraj, 96, 98, 103, 110, 126, 128, 135,
Verteidigungskräft
e
(HOS));
im
Hintergrund
die Kämpfer der Kroatischen
Marić Ljubica, 187
152, 153
Verteidigungskräft
e (HOS): rechts Tihomir Tomašić, links Duško Smek
Marić Sandra,
187
„Bosanac“
(Bosnier)
(photographierte:
Viktorin Jurić „Paša“ (Pascha); das
Marić Vedran, 187
O
Photo
ist
eine
Schenkung
von
Ivica
Arbanas)
Marić Zdenka, 187
Obradović Ljubica, 141
246
Sruk Margareta,
163, 166
P 47. Vukovar nach der serbischen Okkupation;
aufgenommen
während der
PabulkovBelagerungszeit
Elizabeta, 176, 177
Stanek Marica, 141
(Autor: Dionizije Šebetovsky)
Panić48.
Života,
14, 50, 59, 133 der im Heimatkrieg
Stanić Vera,
114
Memorial-Friedhof
gefallenen
Opfer, Vukovar; 938
Papp Tomislav,
140
Stefanjuk
Blanka,Opfer
141 aus Massengräbern
weiße Kreuze, je ein Kreuz für jedes
exhumierte
Paroški Milan, 42
Strikoman Šime, 17
im Umland von Vukovar
Pavlek Zora, 157
Sučić
84, 152, 153(Autor: Dionizije
49. Vukovar;
derStjepan,
Belagerungszeit
Pereterski
Jelena, 171aufgenommen währendSzabo
Stanko,
25
Šebetovsky)
Perica Zdenko,
43
50. Innenraum
Peternek
Tomo, 127 der Kirche von Sankt Philipp und Jakob; aufgenommen während
Š
der
Belagerungszeit
(Autor: Dionizije
Šebetovsky)
Petković Vlajko,
195
Šarić Mladen, 43
51. Gebäude
der Eisenbahnstation; aufgenommen während der Belagerungszeit
Petrović
Branislav, 133
Šarik Stjepan, 140
Petrović (Autor:
Nikola, 153
Dionizije Šebetovsky)
Šarinić Hrvoje, 34, 153
Petrušić
Marinko,
52. Reste
der43Kirche und des Franziskanerkloster
von Sankt Philipp und Jakob
Dionizije, 74, 76, 77
Pole Stipe,
72 des Gymnasiums und desŠebetovsky
sowie
Wasserturms
Šeks Vladimir, 45, in
46 Vukovar, Folgen der
Polovinaserbischen
Branimir, 51,
55
Aggression 1991
Šeremet Zdravko, 55
Poljak Ivan, 71, 84
53. Zerstörtes Schloß Eltz, Folgen der Šešelj
serbischen
1991124, 127, 143, 220
Vojislav,Aggression
42, 50, 120, 123,
Pravdić Tomo, 140
Gedenkstätte
für die in Ovčara ermordeten
Opfer163, 183, 189
Šibalić Zvonko,
Prca54.
Mate,
65
55.
Gedenkstätte
für
ein
freies
Kroatien
an
der
Mündung
Flusses
in die
Šljivančanin Veselin, des
45, 102,
124,Vuka
127, 131,
Prica Marica, 157
Donau;
der leben,
Prodan Ivo,
90 glagolitische Schrift: Ewig wird
133-136,
138, der
143 ehrenwert fällt!
56. Logo
Vukovarer
Autoren
Propadalo
Ivica,des
89 Museums – „Gedenkstätte“
Šoljićim
Ivan
– (GrosserKrankenhaus;
Joe), 71
Pšenica Ivan,
Ivica153
Propadalo und Željko Kovačić
Špegelj Martin, 23, 153
57. Medizinisches Zentrum Vukovar,Šrenk
Herbst
Đuro, 1991;
140 Folgen der serbischen
R
Aggression (Photo: Damir Radnić)Štengl Vladimir, 207
Radelić
152 Krankenhaus; Folgen der
Štimac
Melira, 220
58. Zdenko,
Vukovarer
serbischen
Aggression (Photo: Damir
Radić Miroslav,
124,
Šušak Gojko, 45
Radnić) 133
Radić Slavica, 157
Slavoljub,
153
59. Ruinen von „Borovo-Commerce“Šušić
in Borovo
Naselje,
das Gebäude wurde
Radić Zdravko, 64
während
des
Schlußangriff
s
der
JNA
am
18.
und
19.
November 1991
Radnić Damir, 58, 61, 63, 91, 92, 153
T
zerstört;
Raguž Ivan,
141 aufgenommen nach der serbischen Okkupation (Autor Mag. Božo
Terek Rudolf, 141
Biškupić).
Rašeta Andrija, 129, 130, 132
Tešanović
Milenko, 159, 167 Zorica Ganić
60. Von
links
Kušt, Krankenschwester
Rašković
Jovan,
42 nach rechts: Dr. Stanko
Vera, Dr.
159,Boris
167, 228
Ražnatović
Željko
– Arkan,
50,Medizintechniker
62, 218, 220 Tešanović
und
Vesna
Belinić,
Ante Arić,
Kratofil, Dr. Edin
Tešić
Borivoje,
133
Rehak Danijel,
50,im
153Erholungsraum für das medizinische Personal im Röntgenraum
Zujović
Todorović Dragan, 59
Runtić Davor,
84, 152
im Keller
des Krankenhauses, Oktober/November 1991 (das Photo ist eine
Tomašević Jela, 135
Schenkung von Dr. Boris Kratofil)
Tomašić Tihomir, 70, 71, 84
S 61. Von links nach rechts: Dr. Željko
Jelinčić, Dr. Ivica Matoš, Dr. Boris
Tomšik Dragica, 171
Samardžić
Damjan,
159,Tomislav
163, 164, Vlahović,
172
Kratofi
l, Dr.
Dr.
Vesna
Bosanac,
und
Tuđman Franjo,
21, 23,Dr.
29, Juraj
45, 67,Njavro
112, 119,
Savić Neža,
197
Dr. Stanko Kušt (sitzt am Boden) im
Aufnahmeraum
(im Krieg diente er
206,
218, 219, 221, 229
Schmit Fabbienne, 116
als
Arbeitszimmer
von
Dr.
Vesna
Bosanac),
Oktober/November
1991 (das
Tus Antun, 65
Sekulić Milislav, 152
eine Schenkung
von Dr. Boris Kratofil)
SinkovićPhoto
Nenadist
– Legion,
71
62.
Von
links
nach
rechts:
Krankenschwester
Vesna Belinić (hält eine Kompresse
V
Smek Duško – (Bosnier), 70
in
der
Hand),
Dr.
Boris
Kratofi
l,
Krankenschwester
Van der Broek Hans, 98 Mihaela Brajković
Spajić Boris, 97
247
Van der Stock Loren, 111
Varenica Zvonko, 140
Vidić Marin – Bili, 45, 72, 112, 132, 161,
170, 173, 181, 186, 199
Vidoš Goran, 140
Vlaho Mate, 140
Vlahović Tomislav, 96, 129
Voloder Miljenko – Beli, 57
Vrtarić Lena, 170, 177
Vučić Ivica, 43
Vujanović Stanko, 124
Vukomanović Jovan (Jovo), 163, 171, 174,
180, 185, 191, 193, 197
Vuković Vesna, 55
248
Vulić Zvonko, 135, 141
Z
Zadro Blago, 47, 62, 70, 71, 83, 152, 193, 194
Zdravčević Ana, 135
Zeljko Josip, 140
Zera Mihajlo, 140
Zorčec Agata, 157
Zujović Edin, 95, 117, 121
Ž
Žanić Jasminka, 172
Živić Dražen, 142
Žunec Ozren, 23, 31, 153
in dem improvisierten Operationssaal,
im Keller des Krankenhauses (zu
ORTSINDIZES
Friedenszeiten die Ambulanz für kleinere chirurgische Eingriffe), Oktober/
November 1991 (das Photo ist eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil)
63. Von links nach rechts: Dr. Boris Spajić (mit gekehrten Rücken) im Gespräch
mit der Oberkrankenschwester Binazija Kolesar; MedizintechnikerAnästhetiker Zlatko Bukor (mit dem Rücken gegen die Wand gelehnt) im
Flur vor der Chirurgieambulanz, Oktober/November 1991 (das Photo ist
eine Schenkung von Dr. Boris Kratofil)
A
Bosanski Šamac (Bosnien und Herzegowina), 233
64. Hof des Hafenamtes unmittelbar vor dem Ende der Belagerung von Vukovar
Bosanski Brod (Bosnien und Herzegowina), 48
Adaševci, 214, 218, 221, 222, 228
(Autor: Ante Arić)
Bosnien und Herzegowina, 12, 20, 30-33, 64,
Adica (Stadtteil in Vukovar), 42
65. Skizze der Durchfahrt des humanitären
Konvois „Ärzte ohne Grenzen“ von
83, 137
Aljmaš, 40, 46
N. Mikanovci aus bis Vinkovci (die
Skizze
ist 13
eine Schenkung von Zlatko
Bosut
(Fluss),
Antin, 79
Ivković)
Bošnjaci, 116
66.
Vukovar,
November
1991
(Autor:
Christopher
Brčko (BosnienMorris)
und Herzegowina), 138, 231-233
B
67.
Bescheinigung
des
Kommandos
eines
Gefangenenlagers
in Serbien
Bršadin,
11, 42, 44, 46-48,der
50,JNA
79, 103,
105
Banovina, 33
von
einem
Einwohner
von
Vukovar,
2.
Dezember
1991
Budžak
(Stadtteil
in
Vukovar),
64,
71,
83,
205,
Baranja, 16, 26, 33, 34, 42, 45, 50, 66, 136,
68.
Abkommen
zwischen
der
Regierung
der
Republik
Kroatien
und
der
JNA
207, 208
138, 172
über
die
Evakuierung
von
Verwundeten
und
Kranken
aus dem
Vukovarer
Bugarsko
groblje
(Bulgarischer
Friedhof),
99, 167
Batajnica, 48
Krankenhaus,
18.
November
1993
(das
Photo
ist
eine
Schenkung
von
Dr.
Batschka, 109, 110, 118
Juraj
Njavro)
C
Batrovci, 116
Cerić, 14, 62,
65, 112,
69. Vukovar,
1991/1992, Folgen der serbischen
Aggression
Benkovac,
23
Cerna,
116
70.
Skizze
der
Aufnahmestation
von
Verwundeten
und
Flüchtlingen aus Vukovar
Belgrad, 19, 20, 50, 58, 59
(das
ist eine Schenkung von Prim. Dr. Ivo Kujundžić, Mag.)
Berak, 11,
79, Photo
108, 227
Č
71.
Lokalitäten
der Massengräber
Bihać (Bosnien und Herzegowina),
29, 33 mit Opfern aus Vukovar
11, 45, 79, 103
72.
Flugblatt
der Gruppe Petrov ausČakovci,
der Vereinigten
Staaten von Amerika,
Bijelo
Brdo,
44
Čakovec,
44,Hrvatsko
83
Mittwoch,
den
20.
September
1991
(Quelle:
ratno pismo 1991/92,
Bijeljina (Bosnien und Herzegowina), 137,
Zagreb, 1992, S. 441)
220, 231
73.
in 237
Vukovar: Folgen derDserbischen Aggression
Bjelovar,Altenheim
234, 235, 236,
Dalj, 40, 46,
79, 200
74. 42,
Sicherheitsfür50,Schützlinge
des Altenheims
Bobota,
44, 104 und Versorgungmaßnahmen
Dalmatien, 23, 32, 33, 83
(gescannte
Seite
Bogdanovci,
14, 15, 44,
46,des
59, Tagebuchs)
60, 62, 63, Daljski Atar, 79
75.
Schreiben
an
das
Ministerium
Arbeit und Sozialschutz
64, 71, 72, 79, 84, 94, 112, 114, 116, 122, für Deutschland,
10, 32, 171
76.130,
Blago
129,
132,Zadro
170, 172, 185, 201, 203, 204,
Donau (Flusss), 16, 50, 69, 81, 105, 187, 201
77.223,
Gescannte
208,
225-227 Seite des Tagebuchs Donaugebiet, 34, 74, 142, 143
78. Dragan
Čorić
Bogojevo,
12
Donji Lapac, 23
79.
Zerstörtes
Altenheim
Borovo Naselje, 11, 12,
15, 45, 47, 54, 58,
Dubrovnik, 29, 32
80.65,Internationale
62,
66, 71, 73, 83, (EU)
93, 94,Beobachter
102, 104,
Dvor na Uni, 23
81.106,
Bahnkarte
105,
108, 109, 117, 119, 128, 131,
Dvorovi (Bosnien und Herzegowina), 137
82.207,
Verzeichnis
igten im Altenheim 1991
179,
208, 210, der
228,Beschäft
230
83. Selo,
Verzeichnis
des Altenheims 1991
Đ
Borovo
10, 11, 12,der
23,überlebenden
25, 42-44, 45, Insassen
84.
Zerstörtes
Altenheim
Đakovo, 14, 83, 94, 102, 113, 116, 190, 196, 233, 234
48, 50, 58, 79, 92, 103-105, 166, 183
249
Đergaj (in der nähe von Bršadin), 11, 44,
46-48, 58, 62, 64, 105
E
Erdut, 34, 40, 45, 46
G
Glina, 32
Globovac, 79
Gospić, 32
Grabovo, 74, 79
H
Haag, 30, 31, 136, 205, 206
Herceg Novi (Bosnien und Herzegowina), 29
I
Ilača, 14, 116
Ilok, 14, 15, 44, 46, 62, 79, 94, 111, 115, 223
Istrien, 173
Ivankovo, 43, 60
J
Jagodnjak, 42
Jakobovac (Stadtteil in Vukovar), 218
Jankovci, 14, 43, 79
Jarmina, 43
Jugoslawien, 9, 19, 20, 30, 31, 74, 131, 136,
143, 152, 241
K
Karlovac, 19, 26, 29
Knin, 10, 23, 29, 31, 32, 90, 152
Kordun, 33
Kosovo, 19, 20
Kraljevica, 83
Kroatien, 9, 10-14, 16, 18, 20, 21, 23, usw.
L
Lika, 23, 33, 48, 83
Lipovac, 64, 74, 116, 220
Lipovača, 50, 74
250
Lovas, 12, 79, 143, 164, 172, 178, 223
Lužac (Stadtteil in Vukovar), 11, 15, 46, 52, 62,
64, 65, 71, 73, 85, 101, 104, 119, 122, 128-130,
132, 195, 205-208
M
Marinci, 14, 44, 46, 47, 59, 62, 63, 65, 79, 112,
114, 116, 119, 123, 129, 130, 132, 185, 101,
201, 203, 204, 226
Markušica, 44
Mikanovci (Stari und Novi), 111, 115, 116
Mikluševci, 79
Milovo Brdo( Stadtteil in Vukovar), 15, 65, 122,
207, 208
Mirkovci, 13, 44
Mitnica (Stadtteil in Vukovar), 15, 66, 71, 85,
98, 102, 103, 106, 108, 109, 115, 122, 167-169,
175, 180, 181, 183, 187-189, 194, 197, 202, 203,
206-208, 210, 211, 213, 214, 217-219, 230
Mohovo, 79
Mostar (Bosnien und Herzegowina), 29
München, 216, 236, 237
N
Našice, 83
Negoslavci, 12, 42, 44, 50, 58, 79, 118, 130-132,
134, 173, 175, 179, 183, 186, 190, 201, 218,
219, 225, 227
Nemetin, 40
Neretva (Fluss), 26, 29
Nijemci, 43
Niš (Serbien), 121, 135
Novi Čakovci, 45
Novi Jankovci, 43, 79
Novi Sad, 15, 64, 111, 134, 138, 219, 222, 229, 230
Novigrad, 173
Novo groblje (Neuer Friedhof), 37, 79, 85,
143, 167, 170, 179, 190, 216, 219
Nuštar, 14, 43, 46, 59, 60, 65, 66, 84, 116, 129,
134, 225, 226, 245
O
Obrovac, 23
Opatovac, 11, 44-46, 48, 105
Oriolik, 116
Orlovača, 45
Orolik, 12, 218, 227
Osijek, 13, 14, 26, 44-47, 59, 72, 73, 94,
119, 136, 190
Otok, 43, 134
Ovčara, 7, 55, 78, 79, 85, 88, 102, 129, 134,
138, 140, 142-144, 153, 167, 170, 182,
190, 201, 218, 222, 223, 225, 243
P
Pačetin, 42, 44
Pakrac, 10, 19, 24, 25, 90
Pančevo (Serbien), 116
Petrova gora (Stadtteil in Vukovar), 12, 48,
50, 58, 69, 108, 110, 118, 138, 225
Petrovci, 12, 14, 79, 102, 112, 114, 116
Plitvice, 10, 24-26, 42, 90
Polača, 25, 43
Prečno (in der nähe von Ivanić Grad), 16
Priljevo (Stadtteil in Vukovar), 65, 101,
102, 128, 129, 130, 132
Principovac, 44-46
Pustara, 45
R
Russland, 32
S
Sajmište (Stadtteil in Vukovar), 15, 58, 61,
71, 84, 85, 109, 110, 114, 128, 175, 178,
181, 204, 208, 210, 225, 228
Sava (Fluss), 10, 26, 138
Serbien, 9, 10, 13-15, 19-21, 25-27, 30-32,
39, 42-44, 45, 47, 50, 58, 59, 64, 69, 74,
80, 85, 120, 121, 125, 136, 143, 149, 201,
206, 219, 221, 229, 230, 241
Sinj, 32, 71
Srijem, 152
Slakovci, 79
Slawonien, 13, 15, 16, 26, 29, 32, 33, 34,
42, 44, 45, 50, 67, 80, 120, 133, 136, 138,
172, 225, 226
Slavonski Brod, 44, 62, 83, 152
Slowenien, 9, 11, 12, 21, 26, 29, 44
Sombor (Serbien), 121
Sotin, 12, 45, 50, 74, 79, 217, 223
Split, 29, 33, 84, 108-110, 113, 119, 123, 128,
129, 177, 197
Srebrenica (Bosnien und Herzegowina), 33
Sremska Mitrovica, 45, 85, 134, 135, 138, 143,
159, 222, 227, 229, 230
Sremske Laze, 116
Sremski Čakovci, 103
Srijemska Mitrovica, 228
Stari Jankovci, 79
Svinjarevci, 14, 79
Š
Šid (Serbien), 12, 13, 44, 50, 85, 116, 118, 134,
138, 187, 190, 218, 221-223, 228, 229
Šidski Banovci, 218, 227
T
Tenja, 44, 45
Titova Korenica (Korenica), 23
Tordinci, 79, 117
Tovarnik, 12, 13, 43, 58, 79, 111, 116, 223, 227
Trebinje (Bosnien und Herzegowina), 29
Trpinja, 29
U
United States of America (Vereinigte Staaten
von Amerika), 32
V
Valjevo (Serbien), 13, 14, 58, 59
Varaždin, 13-15, 26, 29, 44, 50, 81, 83, 232
Vašica, 116
Velika Brusnica, 48
Vera, 44
Vinkovci, 13, 26, 28, 43, 44, 46, 51, 62, 64, 72,
83, 94, 107, 111, 114, 115, 129, 152, 170-172,
251
185, 186, 191, 192, 200, 203, 205, 208, 226
Virovitica, 13, 19, 29
Vojvodina, 16, 19, 20, 50, 106, 118, 124
Vučedol, 76, 167, 217
Vuka (Fluss), 14, 16, 59, 62, 81, 207, 208
Vukovar, 4, 7, 9, 11-17, 37, 39, usw.
Zadar, 25, 29, 32, 43
Zagreb, 7, 13, 15, 22, 23, 27-34, 37, 50, 80,
83, 85, 92, 94, 98, 107, 110, 114, 116, 117,
128, 132, 134, 135, 152-154, 163, 172, 218,
222, 231, 233, 234-237, 241
Zidine, 129, 130, 132
Z
Zabok, 44
Ž
Županja, 43, 44, 51, 64, 72, 112, 116, 206
252