Enken Hassold - Gesellschaft für Toxikologie
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Enken Hassold - Gesellschaft für Toxikologie
Ansätze zur Umweltrisikobewertung von Stoffkombinationen Auf dem Weg von wissenschaftlicher Theorie zur regulatorischen Praxis Cd2+ Dr. Enken Hassold - Umweltbundesamt, Dessau Workshop zur Toxizität von Gemischen und Kombinationswirkungen von Chemikalien AK Regulatorische Toxikologie der Gesellschaft für Toxikologie, 19.3.2012 Dresden 23.03.2012 1 Inhalte Was will die Politik? Was sagt die Wissenschaft? Was ist in der Umwelt anders? Was kann die Regulation? 23.03.2012 2 Kombinationswirkungen in der Politik Brüssel, 23. Dezember 2009 Combination effects of chemicals – Council conclusions Lücken in Gesetzgebung, Werkzeuge zur Bewertung, rechtliche Implementierung? 2010 und 2011 Workshops auf EU Ebene (EU KOM, SETAC, WHO, ECETOC) Anfang 2012 EFSA Report Chemikalien unterschiedlicher Wirkweise in Lebensmitteln 19.03.2012 22. Dezember 2009 State of the Art Report on Mixture Toxicity Kortenkamp et al. i.A. der KOM November 2011 SCHER/SCENHIR/SCCS Opinion 2012 Dänische Ratspräsidentschaft Kombinationswirkungen im Fokus? ? 3 Viele Chemikalien als Gemische auf dem Markt… 23.03.2012 4 … oder gemeinsamer Eintrag in die Umwelt emission to air deposition sewage treatment plant sewage sludge to soil emission to surface water marine water wastewater products 23.03.2012 waste to landfill or incineration: emissions to water, air and soil 5 Stoffkombinationen aus Umweltsicht • Produkte, die mehr als 1 Chemikalie enthalten (Kosmetika, Gemische unter REACH, Biozidprodukte) -> Gemisch • Chemikalien die gemeinsam emittiert werden (unbeabsichtigt bei Transport, Recycling, Produktion oder bei gezielter Ausbringung) -> Mischung, gemeinsam emittiert • Chemikalien, die gemeinsam in Umweltmedien oder Biota vorkommen, aus versch. Quellen. -> Mischung in der Umwelt Welche Art von Mischung betrachten wir? Inwieweit sind diese bekannt und charakterisierbar? 23.03.2012 6 aggregiert ition s o p ex e l p i t l Mu k kumuliert omb inie rt Begriffe für Wirkung oder Exposition von Stoffkombinationen - Begrifflichkeiten Stoffkombinationen werden oft nicht einheitlich verwendet, z.B. „kumulativ“: Gesundheitsbereich: alle relevanten Expositionswege einer Gruppe von Stoffen mit gleichem Wirkmechanismus Biozid-RL: gleicher Wirkstoff aus verschiedenen Produkten/Verwendungen REACH-Einigung: mehrere Stoffe aus einer oder mehreren Quellen, unabhängig von Wirkweise In versch. Stoffvollzügen diskutiert, z.B. REACH, Biozide Verwendung einheitlicher Begriffe und Definitionen auf EU-Ebene sind wichtig. 23.03.2012 7 Das Wirken von Stoffkombinationen Kombinationswirkung = Zusammenwirken von versch. Stoffen, ≠ Synergismen Wie wirken Stoffe „zusammen“? Was ist die Erwartung? Es gibt Referenzkonzepte, die „additives“ Zusammenwirken beschreiben (Konzentrationsadditivität und Unabhängige Wirkung) Annahme: Keine Interaktionen zwischen Chemikalien Synergismen, Antagonismen sind als Abweichungen hiervon identifizierbar 23.03.2012 8 Konzentrationsadditivität (CA) (Loewe & Muischnek 1926) Substanzen unterscheiden sich nur in ihrer Potenz, d.h. mischt man z.B. je die Hälfte der Substanzkonzentrationen, die alleine 50% Effekt auslösen, ist auch 50% Effekt in der Mischung zu erwarten. Voraussetzung: im besten Fall vollst. Konzentrationswirkungsbeziehung, Wirkwerte reichen, liefert protektive Vorhersagen TU („toxic unit“) cmix c1 c2 = + =1 ECxmix ECx1 ECx 2 23.03.2012 9 Unabhängige Wirkung (IA) (Bliss 1939) Andere konzeptionelle Idee: Blickwinkel Effektebene, nicht Konzentrationen. Gleicher Endpunkt (Mortalität) durch unterschiedliche Wirkweise der Substanzen betroffen. Voraussetzung: Effekte (unpraktikabel), müssen messbar sein (Problem „low dose“), weniger protektiv als CA. Bei strikt unähnlichen Stoffen genauer. E (c1, 2 ) = E (c1 ) + E (c2 ) − (E (c1 ) • E (c2 ) ) 23.03.2012 10 Unabhängige Wirkung (IA) Effekt A: 0,5 (Bliss 1939) Andere konzeptionelle Idee: Blickwinkel Effektebene, nicht Konzentrationen. Gleicher Endpunkt (Mortalität) durch unterschiedliche Wirkweise der Substanzen betroffen. Voraussetzung: Effekte (unpraktikabel), müssen messbar sein (Problem „low dose“), weniger protektiv als CA. Bei strikt unähnlichen Stoffen genauer. E (c1, 2 ) = E (c1 ) + E (c2 ) − (E (c1 ) • E (c2 ) ) 23.03.2012 11 Unabhängige Wirkung (IA) Effekt B: 0,5 Effekt A: 0,5 (Bliss 1939) Andere konzeptionelle Idee: Blickwinkel Effektebene, nicht Konzentrationen. Gleicher Endpunkt (Mortalität) durch unterschiedliche Wirkweise der Substanzen betroffen. Voraussetzung: Effekte (unpraktikabel), müssen messbar sein (Problem „low dose“), weniger protektiv als CA. Bei strikt unähnlichen Stoffen genauer. E (c1, 2 ) = E (c1 ) + E (c2 ) − (E (c1 ) • E (c2 ) ) 23.03.2012 12 Beispiel: realistische Mischung aus Pestiziden Szenario für Mischung aus 23 unähnl. Pestiziden bei progn. Umweltkonzentration Mischungseffekte trotz niedriger Einzelkonz. CA ist protektiver. Junghans et al.(2006) Aquatic Toxicology: 76(2): 93-110 23.03.2012 13 Besonderheiten Umwelt Schutzziel: Struktur und Funktion Ökosystem, nicht Individuen. Integrale, nicht spezifische Endpunkte. Wirkweise von Stoffen ist meist nicht bekannt (NichtZielorganismen), Organismen reagieren unterschiedlich auf Chemikalien Allg. Festlegung auf „Ähnliche Wirkung“ nicht möglich. Synergismen gibt es (z.B. PSM/Bioziden mit gezieltem Wirkmechanismus für Zielorganismen), sind aber die Ausnahme. 23.03.2012 14 Die Ökotoxikologie sagt … … Mischungen sind relevant, auch niedrige EinzelstoffKonzentrationen tragen zum Effekt bei. … Werkzeuge zur Vorhersage der Toxizität von Mischungen bekannter Zusammensetzung liegen vor. … Konzentrationsadditivität ist Referenz der Wahl, da protektiv und anhand vorliegender Daten berechenbar Aber: … die Zusammensetzung der Mischung muss bekannt sein! Stoffe in Gemischen, Emissionen oder in Umweltmedien sind aber oft nicht genau bekannt. 23.03.2012 15 … und die Expositionsbewertung? Daten zum gemeinsamen Vorkommen von Stoffen in Gemisch, Emission oder Umweltmedium sind von Nöten. Es gibt noch keine Konzepte oder Vorgaben für die Expositionsbewertung für Gemische und Mischungen um ein Risiko bewerten zu können. − Ableitung von wahrscheinlichen Umweltkonzentrationen für Mischungen durch Summation der einzelnen Konzentrationen? − Muss man das Umweltverhalten der Stoffe in der Mischung explizit berücksichtigen? 23.03.2012 16 Wie setzt man das Wissen in die Praxis um? Derzeitige Gesetzestexte gehen von Risikobewertung für Einzelstoffe (und meist 1 Quelle/Verwendung) aus Keine Risikobewertung der gleichen Substanz aus mehreren Quellen/Verwendungen (aggregierte Exposition). Keine Risikobewertung von Gemischen oder gemeinsam emittierten Mischungen (kumulative Exposition). Wie kann man Gemische und Mischungen bewerten/regulieren (prospektive Chemikalienkontrolle) ? Was ist mit Mischungen aus ganz unterschiedlichen Quellen in einem Gewässer (Retrospektive Bewertung)? 23.03.2012 17 Pflanzenschutzmittel Kein EU-Leitfaden mit Anleitung für Gemischbewertung. Wirkstoffe (EU weit): Einzelstoffbewertung, repräsentatives PSM in Anwendungen berücksichtigt; Produktzulassung (MS): Zulassung für definierte Anwendungen, keine Regelung für Tankmischungen UBA-Bewertungspraxis Kombinationspräparate: - Ökotoxikologische Testdaten für Produkt - Vorhersage nach CA anhand Wirkstoffdaten für Komponenten - Summation der Risikoquotienten der Wirkstoffe UBA-Forschung: Systematische Überprüfung der Bewertungskonzepte; Anwendung von CA 23.03.2012 18 Beispiel Risikobewertung Pflanzenschutzmittel • • • • Risikocharakterisierung mit “Toxicity Exposure Ratios” (TER) Adaption von CA (TU Summation), TU = 1/TER Zusammenwirken von ähnlichen Stoffen Kein Risiko wenn TER ≥ 10 (Trigger-Wert) 1 TERtankmix = ( TER 1 Product A + 1 ) TERProduct B Frische et al. (2007): Analyzing the risks of tank mixtures of plant protection products to aquatic organisms, organisms, SETAC 2007 23.03.2012 19 Biozide Noch keine Anleitung für Bewertung. Datenanforderungen für Produkte in der Diskussion. EU Wirkstoffe: Einzelstoffbewertung, repräsentatives Produkt wird berücksichtigt; MS-Produktzulassung: Bewertung anhand Ökotox. Studien zu Wirk- und Beistoffen UBA-Vorschlag: - Produkttestung und Vergleich mit CA-Vorhersage - Summation der Risikoquotienten - ggf. zusätzlicher Assessment Faktor UBA: Systematische Überprüfung der Bewertungskonzepte 23.03.2012 20 Human- Arzneimittel bei Kombinationspräparaten nur Einzelstoffbewertung UBA hat Diskussion zu Überarbeitung der Bewertungsleitfäden mit angestoßen Mischung im Kläranlagenablauf ist relevant, aber es fehlen Informationen. Vorschlag: zusätzlicher Assessment Faktor als Lösung? UBA-Forschung: Charakterisierung der Konzentrationen im Kläranlagenablauf, experimentelle Überprüfung realistischer Mischungsszenarien 23.03.2012 21 Tier - Arzneimittel Bei Kombinationspräparaten ist Summation der Risikoquotienten möglich (bei ähnl. Wirkweise) Umwelteintrag der Mischung über Gülle ist relevant. UBA-Forschung: Charakterisierung der Umweltkonzentrationen in Gülle; Systematische Überprüfung der Bewertungskonzepte 23.03.2012 22 Chemikalien (REACH) Einzelstoffansatz, keine Anleitung zur Berücksichtigung von Gemischen/Mischungen (auch nicht aggregierte Exposition 1 Substanz aus mehreren Verwendungen). Eigenverantwortung Industrie für sichere Verwendung. Behörden sind mit besonders kritischen Stoffen befasst. Risikokommunikation für Gemische und ihre Zusammensetzung in Lieferkette erforderlich. „DPD+“-Ansatz der Industrieverbände mit Auswahl der toxischsten Leitsubstanz reicht nicht. UBA-Forschung: Prüfung Bewertungskonzepte für Praxis, Entwicklung von Handlungsanleitungen für Akteure. 23.03.2012 23 Mediales Umweltrecht • Retrospektive Bewertung in Umweltmedien (Wasser, Meer, Boden, Luft). • Komplexe Mischungen aus versch. Quellen und Pfaden. • Monitoringdaten und UKQ für prioritäre Stoffe • Überarbeitete TGD der Wasserrahmenrichtlinie enthält Ableitung von Umweltqualitätskriterien (EQSmix) für definierte Mischungen auf Basis von CA. • Meeresschutz: Kombinationswirkungen (chem./physik./biolog. Stressoren) in der Diskussion 23.03.2012 24 Regulatorische Herausforderungen • Daten zur Zusammensetzung von Gemischen, Mischungen. • Entscheidungskriterien entwickeln: Welche Mischungen sind relevant und wann ist Bewertung erforderlich? • Handlungsanleitungen mit einheitlichen Werkzeugen (für unterschiedliche Akteure) werden benötigt. • Verankerung der Bewertung von Stoffkombinationen in der Regulation (Integration in Leitfäden). • Austausch zwischen Stoffvollzügen Umwelt, medialem Umweltrecht und Bereich menschliche Gesundheit wichtig. • Bessere Daten -Nutzung, -Verfügbarkeit, -Organisation 23.03.2012 25 Politik: offenes Zeitfenster Umwelt: Stoffkombinationen sind relevant. Schutzziel Ökosystem. Wissenschaft: Werkzeuge für prospektive Gefährdungsabschätzung vorhanden, Fokus auf Ansätze für Expositionsbewertung Regulative Praxis: Möglichkeiten zur Bewertung vorhanden, in der Praxis genutzt, bzw. in der Entwicklung Implementierung: Implementierung einheitliche Bewertungskonzepte und Begriffe für Leitfäden, Klärung rechtlicher Unklarheiten, ggf. Änderungen in Verordnungen. EU-weite Abstimmung. 23.03.2012 26 UBA-Arbeitsgruppe zu Chemikalien-Mischungen Arzneimittel: Daniela Gildemeister, Wolfgang Koch Biozide: Daniel Frein, Anja Kehrer, Maura Kasper Pflanzenschutz: Tobias Frische Chemikalien: Enken Hassold, Tanja Juffernholz, Nannett Aust Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit. Kontakt: enken.hassold@uba.de 23.03.2012 27