Den Obervogt als «Eyerfresser» beschimpft. Bestrafung eines

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Den Obervogt als «Eyerfresser» beschimpft. Bestrafung eines
Weiacher
Geschichte(n) 100
Den Obervogt als «Eyerfresser» beschimpft
Bestrafung eines Weyachers für Beleidigungen, Anno 1754
Ostern fällt in diesem Schaltjahr auf den 23. März. Passend dazu ein Text, in dem es nicht
ums friedliche «Eiertütsche» geht. Sondern um Hahnenkämpfe zwischen lokalen Amtsträgern, die mit harten Bandagen ausgetragen wurden.
Im ältesten erhalten gebliebenen Stillstandsaktenbuch der evangelisch-reformierten Kirchgemeinde Weiach hat ein früherer Pfarrer, Junker Hartmann Escher (*1720 †1788, in Weiach von 1753 bis 1768), der Nachwelt ein Zeugnis über seinen Versuch hinterlassen, die
Gemeinde mit harter Hand auf Kurs zu trimmen.
Der neue Pfarrer greift durch
Junker Escher war 33-jährig als er 1753 im Weiacher Pfarrhaus Wohnsitz nahm. Und er
wusste sich durchzusetzen: 1749 hatte er nämlich auf seiner ersten Stelle als Pfarrer in
Rüschlikon erreicht, dass die dort absolvierten Dienstjahre ebenso für das «Avancement»
zählten, wie in sogenannt «vollrechtlichen» Gemeinden.
Escher hatte also vor Stellenantritt in Weiach bereits Erfahrung sammeln können. Er war
nicht mehr ein Pfarrer direkt ab Ausbildung, wie es zu Weiach im 16. Jahrhundert die Regel
war (62 Pfarrer innert 50 Jahren!). Ausserdem gehörte er zum einflussreichen Familienclan
der Escher und hatte beste Verbindungen zu den damaligen Machthabern in Zürich. Daher
wusste er auch genau, was man von ihm erwartete: für Ordnung im Dorf sorgen.
Das Aktenbuch wurde zum Jahresbeginn 1754 eröffnet und schon ganz am Anfang finden
sich Einträge über Themen wie diese (zit. n. Zollinger, Abkürzungen aufgelöst durch Verf.):
«6. Januar: Erster Stillstand; Klagen des Pfarrers über schlechte Ordnung in ansehung
vieler äusserlicher stuken; die Mitglieder sollen nach der Predigt in die vorderste Reihe
Stühle kommen.»
Ein Amtsträger soll anständig daherkommen
Stillstand hiess damals die Kirchenpflege, weil sie nach der Sonntagspredigt für die Sitzung
in der Kirche «still stand» und nicht wie alle anderen aus der Kirche hinausging. Escher
wollte also die Kirchenpflege vor sich aufgereiht haben. Dazu mussten die Stillständer ihre
«Kirchenörter», d.h. ihre fest zugewiesenen Sitzplätze verlassen. Denn die Wohlhabenden
und lokalen Würdenträger hatten sich meist Plätze im Chorgestühl gesichert.
Bereits wenige Tage später missfiel dem Pfarrherrn eine weitere Äusserlichkeit: «27. Januar: Stillständer und Richter sollen, wie der Vogt, schwarze Mäntel tragen.»
Die Richter waren die Mitglieder des Dorfgerichts. Als einzige Gemeinde im Neuamt hatte
Weiach noch bis 1798 ein eigenes Kommunalgericht. Mit dem Vogt ist wahrscheinlich der
hochobrigkeitliche Zürcher Untervogt gemeint. Amtsträger war damals Jakob Bersinger, der
in der Mühle wohnte.
Lästerzungen werden ausgepeitscht
Datiert auf den 13. Oktober 1754 ist uns aus der Hand Eschers eine ziemlich peinliche
Strafsache überliefert. Ausgelöst wurde sie unter anderem durch das Schimpfwort «Eyerfresser», mit dem ein ehemaliger Weyacher Amtsträger, der frühere Weibel Jacob Meyerhoffer, den fürstbischöflich-konstanzischen Obervogt, den gnädigen Herrn Freiherrn von
Landsee (vgl. Weiacher Geschichte(n) Nr. 15, Februar 2001) bedacht hatte. Meyerhoffer
büsste diese Schmähreden mit drei Tagen Haft im Zuchthaus Oetenbach, wo er überdies
jeden Tag an die Stud (einen Pfahl) gefesselt mit sechs Peitschenhieben bestraft wurde.
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Redaktion: Ulrich Brandenberger, Chälenstrasse 23, 8187 Weiach
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«Octobr. 13. Ward Stillstand gehalten und vor Denselbigen aus Oberkeitlichem befehl gestelt Jacob Meyerhoffer Altweibel, der G Hrn Baron de Landsee, Constanzischen Obervogt
zu Kaÿserstuhl einen Eyer-Freßer und mit andren wüsten worten geschmähet, und deßwegen zu Zürich in dem Oetenbach mit täglich 6 streichen an der Stud 3 tag gezüchtiget worden, deme dann das nothwendige vorgehalten worden: Er wolte anfangs nicht unten an
den Treppen des Chors stehen, sonder in seinen ohrt in dem Chor gehen mit Vorgeben, da
er vor einigen Jahren wegen begangenem S.v. Ehebruch auch da gestanden seye, wurde
aber von dem Pfrhr zurückgewiesen, welches er endlich angenohmmen, und die ermahnungen mit aüsserlich bezeigter reüwe angehört, darbey aber allezeit auf eine falsche von
Dorffmeÿer zu Thengen gemachte anklag abstellen wollen.» [Für das Original: Stillstandsaktenbuch 1754-1837, S. 4; vgl. Bild unten]
Ausschnitt aus dem ältesten Weiacher Kirchenpflegeprotokoll, dem Stillstandsaktenbuch von
1754. Vorliegend Seite 4 unten, mutmasslich Handschrift von Pfarrer Hartmann Escher.
Warum war die Bezeichnung «Eyerfresser» ehrverletzend? Weil damit die Obrigkeit als dekadent verunglimpft wurde? War es eine Kritik an Zins- und Zehntenverpflichtungen, zu denen ja oft auch Eier gehörten?
Ähnliche Belege im Schweizerischen Idiotikon
Dieses nach Pfr. Escher «wüste Wort» ist gemäss Hans-Peter Schifferle, Chefredaktor des
Schweizerdeutschen Wörterbuchs «Idiotikon», weder im Wörterbuch selber noch im Nachtragsmaterial zu finden [zit. aus e-mail vom 22. Mai 2007]:
«Ich finde das Stichwort "Eierfresserin" (Henne, die die Eier frisst; Abhilfe durch Verabreichung von Kalk) einzig im Vorarlbergischen Wörterbuch. In dieser Bedeutung ist auch das
männliche Wort "Eierfresser" im Zusammenhang mit der Hühnerzucht aus der Gegenwartssprache vielfach über Google zu finden. Falls das Schimpfwort von dieser Bedeutung
ausgeht, hiesse es etwa "Schmarotzer".»
Eierfresser ist auch ein Kampfbegriff, mit welchem die Batteriehaltung von Hühnern anWeiacher Geschichte(n) Streiflichter aus der Vergangenheit unseres Dorfes. Separatdruck März 2008
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geprangert wird. In Deutschland werde «eine Henne pro Eierfresser gefangengehalten und
nach einem Jahr getötet» (Quelle: Veganismus-Forum).
Doch lesen wir weiter, was Schifferle über ähnliche Wörter im Schweizerischen Idiotikon zu
sagen hat: «In unserem Wörterbuch gibt es ausserdem das Stichwort "Eierdieb", eine Bezeichnung für den Marder oder den Iltis (Schaffhausen, aber auch ausserhalb der Schweiz
belegbar). Ich glaube aber nicht, dass man so weit suchen muss, sondern nehme eher an,
wie Sie in Ihrer Frage auch vermuten, dass das Schimpfwort Bezug nimmt darauf, dass
sich nur einer, der von Abgaben und Zehnten lebt, den Luxus leisten kann, Eier in grossen
Mengen zu verspeisen. Heissen tut es dann ebenfalls (allerdings etwas anders motiviert)
soviel wie "Schmarotzer, Schlemmer".
Ähnlich gebildete Schimpfwörter sind in unserem Wörterbuch gut zu belegen (Band 1,
1324ff.), etwa: Vergäbisfrässer (Müssiggänger, Schmarotzer), Giiselfrässer (Schmarotzer,
Schuldeneintreiber), Kapunenfrässer (Schlemmer). Im Zürcher Staatsarchiv (Akten Wädenswilerkrieg 1646 A 150, 10, Actum 174 vom 17. 9. 1646 gibt es eine Akte, die bezeugt,
dass auch "Kapunenfrässer" ein klagbares Schimpfwort war; "[Hans Meyer von Hottingen]
habe fehrners Hauptmann Ringger und übrige, so hie gsyn, Kapunenfresser gheissen, die
vil unnötige Costen tribind und höher alss die übrigen Ambtslüth syn wollind."»
Ein Kapaun ist ein als Jungtier kastrierter und dann gemästeter Hahn – eine Delikatesse,
die sich nur Wohlhabende leisten konnten.
Anspielung auf amouröse Abenteuer des Obervogts?
Eier hatten schon immer etwas Magisches an sich. Dieses Wissen war im Volksglauben
fest verankert. So war noch bei den Wasterkinger Hexenprozessen im April 1701 in einer
Zeugenaussage die Rede davon, eine Verwandte aus Weyach sei in einer Eierschale über
den Rhein nach Berwangen (Baden-Württemberg nördlich von Wil und Rafz) zum Tanz
gefahren – also eine weitere der Hexerei verdächtige Weiacherin (vgl. WG(n) Nr. 99).
Dazu passt die Deutung, Eier hätten früher als Mittel gegolten, um das fleischliche Verlangen anzuregen, weswegen Priestern empfohlen worden sei, keine Eier zu essen. Einem als
Eierfresser Titulierten wäre also unterstellt worden, sein durch Eier übermässig geförderter
Geschlechtstrieb mache ihn zum notorischen Schürzenjäger, der jedem Frauenrock nachspringe. So verstanden wäre «Eyerfresser» natürlich als Ehrverletzung zu taxieren. Schifferle steht diesem Ansatz skeptisch gegenüber. Ihm sei eine derartige Empfehlung an Kleriker noch nie begegnet – weder in schriftlichen Quellen noch als «on dit».
Auch wenn diese letztere Deutung ausfällt und Obervogt Johann Franz Freiherr von Landsee meines Wissens auch kein Kleriker war, so stand er doch in Diensten eines geistlichen
Fürsten des Heiligen Römischen Reichs deutscher Nation. Das heisst: er war offizieller Repräsentant eines benachbarten Staates. Das könnte erklären, weshalb die Zürcher Obrigkeit gegenüber Altweibel Meyerhoffer so hart durchgegriffen hat.
Quellen und Danksagung
- e-Mail-Austausch zwischen Ulrich Brandenberger und Dr. Hans-Peter Schifferle, Chefredaktor,
Schweizerisches Idiotikon vom 20.-23. Mai 2007.
- Zollinger, W.: Ortsgeschichtlicher Ordner. Archiv des Ortsmuseums Weiach, o. J. – Klappe St:
Strafen [noch ohne Signatur]
- Zollinger, W.: Wichtigstes aus den Aufzeichnungen von Hr. Pfr. E. Wipf. In: Stillstands-Notizen.
Handschrift, Archiv des Ortsmuseums Weiach, 12 Seiten. o. J. [noch ohne Signatur]
- Dejung, E.; Wuhrmann, W.: Zürcher Pfarrerbuch 1519-1952. Zürich 1953.
- Pfarrherr Escher greift durch. In: WeiachBlog, 18. Juni 2006 [Nr. 226] sowie: Hohe Busse für
liederlichen Strassenunterhalt. In: WeiachBlog, 19. Juni 2006 [Nr. 227]
- Stößer, A.: 1,6 Opfer pro Eierfresser und Jahr. In: Veganismus-Forum, 19.07.03 11:29. URL:
http://veganismus.ch/foren/read.php?f=13&i=286&t=286
Für die Erörterungen rund um das Thema Eierfresser danke ich Herrn Dr. Hans-Peter Schifferle, Chefredaktor
des Schweizerdeutschen Wörterbuchs - Schweizerisches Idiotikon.
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