Auswirkungen digitaler Piraterie 2012
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Auswirkungen digitaler Piraterie 2012
Auswirkungen digitaler Piraterie auf die Ökonomie von Medien Untersuchung der Effekte von Urheberrechtsverletzung auf die Film-, Musik- und Games-Wirtschaft in Deutschland und der Region Berlin-Brandenburg Dirk Martens Jan Herfert Tobias Karbe House of Research, Berlin Bericht einer Untersuchung im Auftrag des Medienboard BerlinBrandenburg GmbH mit Unterstützung des G.A.M.E. Bundesverband der Entwickler von Computerspielen e. V. Berlin, 7. Juni 2012 HOUSE OF RESEARCH GMBH Institut für Medien- und Marktforschung Fischerhüttenstr. 81a, D-14163 Berlin www.house-of-research.de Tel. +49 (30) 700 103-0 Mitgliedschaften: ESOMAR is the world association of research professionals. Founded in 1948 as the European Society for Opinion and Marketing Research ESOMAR unites 5,000 members in 100 countries, both users and providers of opinion and marketing research. ESOMAR's mission is to promote the use of opinion and market research for improving decision-making in business and society world-wide. Berufsverband Deutscher Markt- und Sozialforscher e.V. Das media.net berlinbrandenburg ist das branchenübergreifende Bündnis für Unternehmen der Kreativwirtschaft in der Hauptstadtregion von Musik und Film über TV und Multimedia bis hin zu Werbung und Design. House of Research arbeitet nach den Qualitäts- und Datenschutzbestimmungen der Verbände der Markt- und Sozialforschung. Inhalt Zusammenfassung .................................................................................................................... 1 1. Einleitung .......................................................................................................................... 3 2. Zur Methode ..................................................................................................................... 4 3. Entwicklung und Strukturen digitaler Piraterie................................................................... 5 4. Musik ................................................................................................................................ 9 4.1 Wirtschaftliche Entwicklung ....................................................................................... 9 4.2 Piraterieumfang ....................................................................................................... 11 4.3 Effekte digitaler Piraterie auf die ökonomische Entwicklung ..................................... 14 4.4 Substitutionsrate...................................................................................................... 19 4.5 Schadensausmaß ..................................................................................................... 21 5. Film ................................................................................................................................. 23 5.1 Wirtschaftliche Entwicklung ..................................................................................... 23 5.2 Piraterieumfang ....................................................................................................... 26 5.3 Effekte digitaler Piraterie auf die ökonomische Entwicklung ..................................... 27 5.4 Substitutionsrate...................................................................................................... 28 5.5 Schadensausmaß ..................................................................................................... 30 6. Games ............................................................................................................................. 32 6.1 Wirtschaftliche Entwicklung ..................................................................................... 32 6.2 Piraterieumfang ....................................................................................................... 35 6.3 Effekte digitaler Piraterie auf die ökonomische Entwicklung ..................................... 39 7. Fazit ................................................................................................................................ 40 8. Anhang ............................................................................................................................... I 8.1 Glossar ........................................................................................................................ I 8.2 Teilnehmer der Expertengespräche ...........................................................................IV 8.3 Abbildungsverzeichnis ................................................................................................V 8.4 Tabellenverzeichnis ....................................................................................................V 8.5 Literatur ....................................................................................................................VI Zusammenfassung Zusammenfassung Durch die Digitalisierung und insbesondere das Internet sind Urheberrechtsverletzungen zu einem Massenphänomen geworden. Die vorliegende Studie untersucht den hierdurch in den Branchen Musik, Film und Games verursachten ökonomischen Schaden. Hierzu wurden zahlreiche internationale Studien herangezogen, Prädiktoren und Modelle zur Abschätzung von volkswirtschaftlichen Verlusten entwickelt und durch Experteninterviews und Workshops mit der Praxis kontrastiert. Die zunächst für das Bundesgebiet errechneten Ergebnisse wurden zudem anhand von Marktanteilen in den jeweiligen Mediengattungen auf die Region BerlinBrandenburg heruntergebrochen. Besonders groß sind die Verluste in der Musikindustrie: Im Jahr 2010 lag der Umsatz in Deutschland mit rund 1,7 Mrd. Euro brutto bereits nominal (also ohne Berücksichtigung von Preissteigerungen) um 37 Prozent oder 979 Mio. Euro unter dem Umsatz des Jahres 2000. Bereinigt um die allgemeine Steigerung des BIP fällt der Verlust nochmals höher aus. Zwar sind die Umsätze mit MP3s bis 2010 auf 204 Mio. Euro kontinuierlich gestiegen, doch vermögen sie die Verluste bei Weitem nicht zu kompensieren. Zeitgleich mit dem Aufstieg von Napster begann Ende der 1990er Jahre der Rückgang des Absatzes von Musikprodukten, und zwar sowohl von Alben als auch von Singles. Die von einigen Fachleuten propagierte „Single-Markt-These“, nach der ein vermehrter Absatz von (MP3-) Singles für den Absatzrückgang von Alben verantwortlich sei, wird durch diese Untersuchung widerlegt: Weltweit gingen die Single-Verkäufe erst ab ca. 2004 nach oben – also ca. 7 Jahre nach dem Beginn des Absatzeinbruchs bei den Alben. Der wirtschaftliche Schaden, der auf Urheberrechtsverletzungen zurückzuführen ist, wird allein für Deutschland und das Jahr 2010 auf 524 Mio. Euro geschätzt, das entspricht rund 54 Prozent des nominalen Verlustes des Jahres 2010 gegenüber 1999. Bedingt durch die Dateigröße von Videos ist die Filmwirtschaft erst seit Mitte der 2000er Jahre durch die Etablierung von Breitbandinternet ernsthaft vom Problem digitaler Piraterie betroffen. Die spektakuläre Schließung von kino.to hat bislang zu keinem nachhaltigen Rückgang der illegalen Nutzung geführt, nach wie vor sind insbesondere Kinofilme auch in hoher Bildqualität im Netz zu finden – oftmals schon vor dem Kinostart. Verglichen mit der Musikindustrie haben sich die Umsätze in der Filmwirtschaft in den vergangenen Jahren dennoch relativ gut entwickelt. Trotz der eher geringen nominalen Umsatzrückgänge ist für das Jahr 2010 von einem volkswirtschaftlichen Schaden in Höhe von rund 156 Mio. Euro auszugehen. Durch die weiterhin zunehmende Verbreitung von Breitbandinternetanschlüssen mit Flatrate-Tarifen ist auch für die kommenden Jahre von einer Zunahme dieses Schadens auszugehen. Die Games-Industrie gilt als ein wichtiger Motor der Creative Industries und spielt zudem eine wichtige Rolle für den Technologiestandort Deutschland. Von 2000 bis 2010 hat sich der Branchenumsatz in Deutschland von 874 Mio. auf rund 1,6 Mrd. Euro um 80 Prozent erhöht und befindet sich nun etwa auf dem Niveau der Musikindustrie. Wie kein anderer Medieninhalt waren Games von Beginn an von Piraterie betroffen. Inzwischen haben sich die Geschäftsmodelle ausdifferenziert: So gibt es z. B. Browsergames mit kostenfreiem Zugang, die sich über den Verkauf virtueller Güter (Itemselling) oder Werbung finanzieren. Auch diese Items werden allerdings zunehmend auch illegal verbreitet. Konsolenspiele bieten einen gewissen Kopierschutz über die Hardware, der zwar auch umgangen werden kann, dies ist jedoch mit finanziellem Aufwand und/oder dem Risiko von Beschädigungen an der Konsole verbunden und nimmt 1 Zusammenfassung daher nicht die Dimension der Piraterie in anderen Medienbereichen an. Wie die vorliegende Untersuchung anhand eines Fallbeispieles zeigt, werden insbesondere illegale Kopien von PCGames in großer Zahl im Internet verbreitet. Auf ein Modell zur Schadensabschätzung wird für den Games-Bereich allerdings verzichtet, da im Gegensatz zur Musik- und Film-Branche hierzu noch keine Studien vorliegen, die eine ausreichende Grundlage bieten würden. In allen untersuchten Medienbereichen lässt sich ein gemeinsamer Trend beobachten: Die illegale Verbreitung urheberrechtlich geschützter Werke findet immer weniger über Peer-topeer-Netzwerke (P2P) und zunehmend über Filehoster statt. Im P2P-Netzwerk ist jeder Empfänger gleichzeitig auch Sender und wird damit auch als Verbreiter illegaler Kopien haftbar. Die Filehoster hingegen ermöglichen Anonymität: Wenige professionelle Nutzer laden teilweise automatisiert große Mengen illegaler Kopien auf den Server hoch – für den Download genügen Links, die z. B. über Foren verbreitet werden. Von den Urhebern abgemahnte und von den Filehostern daraufhin gelöschte Kopien werden von den Uploadern schnell wieder nachgeladen. Die illegalen Kopien der Uploader bieten attraktive Inhalte, die Traffic erzeugen, den die Filehoster vermarkten – z. B. über Werbung und Premium-Accounts. Von diesen Einnahmen werden anteilige Provisionen an die Uploader gezahlt, was diese wiederum animiert, immer mehr möglichst attraktive illegale Kopien hochzuladen. Von diesen oft erheblichen Umsätzen erhalten die Urheber selbstverständlich keinen Anteil. Dieses System der illegalen Verbreitung von urheberrechtlich geschützten Werken zu stoppen, ist bislang nicht gelungen: Eine Arbeitsgruppe zum Thema Urheberrecht innerhalb der Enquetekommission „Internet und digitale Gesellschaft“ des Deutschen Bundestages kommt nach zahlreichen Expertenanhörungen und Beratungen zu dem Ergebnis, dass die Rechte der Urheber zu schützen seien. Die Maßnahmenempfehlungen bleiben allerdings noch vage. Abmahn-Anwälte haben teils drakonische Strafen für Bagatellfälle durchgesetzt, die den Interessen der Urheber eher geschadet haben. Die Sperrung ausländischer Dienste durch deutsche Zugangsanbieter bleibt umstritten. Um das Piraterieproblem zu bekämpfen, gibt es im Wesentlichen drei Ansätze: 1. Warnung und bei Nichtbefolgung Sanktionierung der Nutzer (ein entsprechendes dreistufiges Warnhinweismodell wird beispielsweise in Frankreich praktiziert), 2. Konzentration der Haftung auf die Anbieter, die den illegalen Uploadern systematisch Anonymität gewähren (A/B/C-Approach1) sowie 3. Aufklärung insbesondere junger Menschen im Rahmen medienpädagogischer Maßnahmen. Von allen drei Maßnahmen ist anzunehmen, dass sie einen wirksamen Beitrag zur Eindämmung der Piraterie leisten können. 1 Der „A/B/C-Approach“, ein Ansatz, der von dem unabhängigen Labelbetreiber Stefan Herwig in Zusammenarbeit mit einem seiner Künstler entworfen wurde, und vom Verband Unabhängiger Musikunternehmen (VUT) befürwortet wird, basiert auf dem Grundkonzept, nicht die Rechtsverfolgung gegen Privatnutzer zu verschärfen, sondern eher die Haftung von Piraterie-Plattformen wie Megaupload neu zu definieren und deren Geschäftsmodelle aus dem juristischen Graubereich zu holen, in dem es sich aktuell befinden. Danach geht die Haftung vom Urheberrechtsverletzer dann auf kommerziell agierende Diensteanbieter über, wenn die Gewährung von Anonymität der Nutzer Grundlage deren Geschäftsmodells ist und somit ein zivilrechtlicher Zugriff auf den Verursacher unmöglich gemacht oder unverhältnismäßig erschwert wird. eBay wäre z. B. nicht davon betroffen, denn hier können die Nutzer bei strafbaren Handlungen wie z. B. bei Markenpiraterie oder Betrug mit bezahlten Waren juristisch verfolgt werden. Filehoster wie Hotfile, uploaded.to und viele andere, die Urheberrechtsverletzungen auf ihren Servern nicht nur systematisch dulden, sondern deren Geschäftsmodelle zu einem großen Teil darauf basieren, würden danach jedoch weitgehend für Rechtsverletzungen haftbar gemacht werden können. Hierdurch soll eine Co-Regulation der nutzergenerierten Inhalte über diese Portale erreicht werden, die gleichzeitig nutzerbetriebene Rechtsverletzungen minimieren soll, ohne dass es zu Massenabmahnungen auf Nutzerebene kommt. Dieser Ansatz könnte möglicherweise auch zur Eindämmung von Persönlichkeitsrechtschutzverletzungen (Stichwort: Cybermobbing) oder Jugendmedienschutzverstößen wirksam beitragen. 2 Einleitung 1. Einleitung Die Umwälzungen im Zuge der Digitalisierung stellen die Medienwirtschaft seit einigen Jahren vor immer neue Herausforderungen, ihre Produkte vor unbefugten Zugriffen zu schützen. In aktuellen Debatten gehen die Meinungen darüber auseinander, ob und inwieweit die illegale Verbreitung und Nutzung medialer Inhalte die wirtschaftliche Entwicklung im Medienbereich negativ beeinflusst. In der vorliegenden Studie werden bisherige Erkenntnisse zur Medienpiraterie in den Branchen Musik, Film und Games zusammengetragen und diskutiert. Auf der Basis dieser Sekundäranalyse wird dargelegt, welche Fakten für und welche gegen die Existenz eines wirtschaftlichen Schadens sprechen. Schließlich werden im Rahmen von Modellrechnungen Näherungswerte für die Bezifferung des Einflusses illegaler Mediennutzung auf die genannten Wirtschaftszweige ermittelt. Hierbei stehen die primären Auswirkungen auf Umsätze und Beschäftigung im Vordergrund. Die Musikwirtschaft war als erste der genannten Branchen von Piraterie betroffen. Das MP3Format und erste Abspielprogramme für den PC standen schon Mitte der 90er Jahre zur Verfügung. Durch das Weglassen von für den Menschen unhörbarer Frequenzen konnten Tondateien so stark verkleinert werden, dass sie für die damals noch deutlich kleineren Speichermedien und für die geringen Bandbreiten bei Datenfernübertragungen zunehmend handhabbar wurden. Spätestens mit der Jahrtausendwende hatten sich zahlreiche Internetplattformen etabliert, die diese neue Technologie nutzten, um Musikstücke in großen Mengen kostenlos anzubieten. Die Computerpresse griff diesen Trend auf und verbreitet unverblümt, wie man illegal oder zumindest in rechtlichen Grauzonen das Bezahlen umgehen kann. So titelte etwa die Computer Bild: „Nie mehr Musik kaufen müssen!“ und erklärte im Heft, wie man kostenlos 30 Millionen Songs herunterladen könne. Abbildung 1: Titelseite der Computer Bild vom 7. 12. 2009 Was in der Musik bereits Ende der 90er Jahre einsetzte, begann im Filmbereich ca. ein halbes Jahrzehnt später. Durch die steigende Anzahl an Breitbrandverbindungen haben immer mehr 3 Zur Methode Menschen die technische Möglichkeit, auch die im Vergleich zu Musikstücken viel größeren Video-Dateien herunterzuladen. In das Bewusstsein Vieler rückte diese Tatsache durch das deutschsprachige Streaming-Portal Kino.to, das laut der Pressemitteilung der Generalstaatsanwaltschaft Dresden zuletzt vier Millionen Nutzer täglich meist aus dem deutschsprachigen Raum gehabt haben soll. Die jüngste der drei relevanten Branchen, die Games-Wirtschaft gilt in Deutschland als Zukunftsbranche, die in den letzten Jahren ein hohes Wachstumstempo vorzuweisen hatte. Piraterie könnte das Wachstum dieses Wirtschaftszweiges und damit den Games-Standort Deutschland in Mitleidenschaft ziehen. Während die Tatsache, dass die illegale Nutzung urheberrechtlich geschützter digitaler Werke in Teilen der Bevölkerung weit verbreitet ist, unbestritten ist, gibt es bezüglich der wirtschaftlichen Folgen für die betroffenen Branchen durchaus unterschiedliche Schlussfolgerungen. So gibt es z. B. die Ansicht, dass die Nutzung von Raubkopien den Umsatz mit legalen Produkten nicht mindern, sondern sogar erhöhen würde, die Nutzer würden die Raubkopien also nur zum Kennenlernen verwenden und sich das Original bei Gefallen dann trotzdem kaufen. Die überwiegende Mehrheit der Forscher geht jedoch vom gegenteiligen Zusammenhang aus und erbringen verschiedene Nachweise für die Schädigung der Wirtschaft durch Piraterie. 2. Zur Methode Grundlage der Untersuchung ist eine Sekundäranalyse der vorhandenen Literatur zum Thema „Urheberrechtsverletzungen digitaler Medien“, wobei ein besonderes Augenmerk auf die Forschungsarbeiten gelegt wird, die den quantitativen Umfang der Urheberrechtsverletzungen und deren Einfluss auf die Absatzentwicklung abschätzen. Darüber hinaus wurden mit einer Reihe von Branchenvertretern Experteninterviews sowie in der Games-Branche zusätzlich ein Workshop durchgeführt (vgl. Tabelle 11). In den Kapiteln zu Musik, Film und Games wird jeweils zunächst die wirtschaftliche Entwicklung der Branche in den vergangenen Jahren nachgezeichnet. Anschließend wird das Ausmaß der Piraterie über die zuvor ermittelten illegalen Downloads, Brennaktivitäten, StreamingNutzungen und Ähnlichem bestimmt2 und mit der ökonomischen Entwicklung der Branche ins Verhältnis gesetzt. In einem nächsten Schritt wird anhand der vorhandenen Literatur eine Substitutionsrate 3 ermittelt, die als wichtige Grundlage für die modellhafte Schadensberechnung dient. Für diese Berechnung werden dann die Mengen illegal erworbener Medieninhalte mit der Substitutionsrate multipliziert um die Menge pirateriebedingter Absatzverluste zu ermitteln. Zum Schluss werden die Durchschnittspreise für die durch Piraterie substituierten Güter nach Marktpreisen bestimmt. Dies geschieht über den Quotienten aus Umsatz und Ab- 2 Für die Anzahl der Kopien stehen insbesondere aus der „Studie zur digitalen Content-Nutzung“ Informationen zur Verfügung (s. u.). In die Schadensberechnung gehen ausschließlich solche Kopien von Medieninhalten ein, die eindeutig illegal erworben wurden und somit als Piraterie zu identifizieren sind. 3 Die Substitutionsrate wird definiert als Anzahl der durch illegale Kopien entgangenen Käufe dividiert durch die Gesamtzahl illeg aler Kopien. Sie gibt also den Anteil der Kopien an, die gekauft worden wären, wenn sie nicht stattdessen illegal bezogen word en wären. 4 Entwicklung und Strukturen digitaler Piraterie satz. Der wirtschaftliche Schaden wird also in Endverbraucherpreisen bemessen. Eine schematische Darstellung der Schadensberechnung zeigt Abbildung 2. Abbildung 2: Berechnungsweg für die Ermittlung von Piraterieschäden Anzahl illegaler Einheiten x Substitutionsrate Absatzverlust x Ø-Preis = Umsatzverlust Um zusätzlich ausweisen zu können, welcher Anteil des Gesamtschadens zum einen auf die in Deutschland produzierten Inhalte entfallen und welche zum anderen konkret in der Medienregion Berlin-Brandenburg entstehen, wurden folgende Schritte ergänzt: Zum einen wurde anhand der Marktanteile der hierzulande umgesetzten Güter aus deutscher Produktion der Anteil der Umsatzverluste für die hier produzierende Wirtschaft berechnet. Zum anderen wurde der wirtschaftliche Schaden für Berlin-Brandenburg bestimmt, indem der zuvor ermittelte gesamtdeutsche Schaden mit dem Marktanteil der berlinbrandenburgischen Unternehmen in der jeweiligen Branche multipliziert wurde. Zur Bedeutung der Ergebnisse soll hier bereits darauf hingewiesen werden, dass es sich um Schätzwerte handelt. Die Ermittlung des ökonomischen Schadens mittels Piraterieumfang und Substitutionsrate stellt ein Modell dar. Da sowohl das Ausmaß der Piraterie als auch die Substitutionsrate in den drei Branchen anhand der verfügbaren Daten nur näherungsweise bestimmbar ist, sind auch die berechneten monetären Schäden durch Piraterie als Orientierungswerte zu verstehen, die einer gewissen Schwankungsbreite unterliegen. Im Rahmen dieser Arbeit werden die sekundären Schäden nicht näher betrachtet, obwohl sie gleich wohl vorhanden und von bedeutsamer Größe sind. Hierzu zählen Verluste bei Zulieferern und mittelbar verbundenen Branchen sowie der Verlust von Arbeitsplätzen. Dies bleibt einer gesonderten Untersuchung vorbehalten. 3. Entwicklung und Strukturen digitaler Piraterie Das Feld der Piraterie ist untrennbar verknüpft mit dem Werdegang und dem Stand moderner Technik. Um das Wechselspiel zwischen den illegalen Nutzern und den Erzeugern zu verstehen ist es unerlässlich, die technischen Bedingungen dieser Beziehung zu beachten. Daher sollen vorab die wichtigen technologischen Komponenten und ihre sehr verschiedenen Einflüsse auf die beiden Parteien beleuchtet werden. Die Verlaufsgrafik in Abbildung 3 zeigt, wie die Musik-, Film- und Games-Wirtschaft in den letzten Jahren und Jahrzehnten Marktwachstum durch neue Technologien generieren konnte. In den 80er Jahren sorgte die Einführung der CD als neues Trägermedium für Musik für einen deutlichen Umsatzanstieg in den darauffolgenden Jahren. Der gleiche Prozess ließ sich auch nach der Einführung der DVD 1998 beobachten. Auch hier hat der Umstieg auf ein digitales Speichermedium zu einem erheblichen und nachhaltigen Wachstum im Videomarkt geführt. 5 Entwicklung und Strukturen digitaler Piraterie Abbildung 3: Technische Innovationen und Marktwachstum der Branchen in Deutschland 3000 Umsatz in Mio. Euro 2500 Einführung der CD Etablierung des 3D-Kinos Etablierung der MP3Technologie 2000 1500 Einführung der DVD Etablierung der Multiplexkinos 1000 500 Einführung der Blu-ray Einführung der Next-Gen Konsolen Games Video Musik 2010 2009 2008 2007 2006 2005 2004 2003 2002 2001 2000 1999 1998 1997 1996 1995 1994 1993 1992 1991 1990 1989 1988 1987 1986 1985 0 Kino Quelle: Bundesverband Audiovisuelle Medien (BVV Medien) 2011:7 (Zahlen der GfK); Darstellung House of Research Technische Innovationen bergen nicht nur große Chancen für die wirtschaftliche Entwicklung in den Kreativ-Branchen, sondern zugleich auch Risiken, wenn nämlich die Vorteile einer effizienten Komprimierung und Mobilisierung von Kulturprodukten neue Möglichkeiten mit sich bringen, diese Produkte unentgeltlich zu nutzen, zu vervielfältigen und weiterzugeben. Die Voraussetzungen für die verbreitete digitale Piraterie im Musikbereich wurden bereits Mitte der 90er Jahre geschaffen. Eine Gruppe um Karlheinz Brandenburg forschte an der Universität Erlangen an einem neuen Kompressionsverfahren für Audiodateien. Das Ergebnis war das heute als Standard geltende MP3-Format (ISO MPEG Audio Layer 3), das eine effiziente Kompression mit nur sehr geringen Klangverlusten erlaubte (Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen IIS 2005). Diese technologische Entwicklung hatte für die Verbreitung von Musikdateien eine entscheidende Bedeutung: Die Internetbandbreiten waren zu dieser Zeit noch sehr begrenzt und ließen eine Übermittlung von unkomprimierten Audiodateien kaum zu. Erst die Möglichkeit zur Kompression von Musiktiteln erlaubte den Austausch von Musik im Internet im heute bekannten Maße. Als 1998 der Peer-to-peer-Dienst Napster startete, war der Zulauf groß. Zu verlockend war für viele die Möglichkeit, sich hier aus der vermeintlichen Anonymität des Internets kostenlos zu bedienen. Und zu gut waren die Kopien, die vom Original oft nicht unterscheidbar waren. Napster, das zuletzt 80 Millionen registrierte Nutzer vorweisen konnte (Green 2002:2),wurde zwar 2001 aufgrund erfolgreicher Klagen des RIAA (Recording Industry Association of America) vom Netz genommen, doch erschienen kurz nach deren Stilllegung im Netz viele neue Peer-to-peerPortale (kurz: P2P-Portale), die ihren Nutzern die Möglichkeit gaben, untereinander illegal Dateien auszutauschen. Die Ipoque GmbH aus Leipzig, die zwischen 2006 und 2009 ihre jährlichen Analysen des Internetverkehrs unter dem Titel „Internet Study“ veröffentlichten, kam zu dem Schluss, dass im letzten Untersuchungszeitraum 2008 die P2P-Netzwerke alleine über die Hälfte des Internetverkehrs ausmachten, wobei das Netzwerk BitTorrent mit einem Anteil von 6 Entwicklung und Strukturen digitaler Piraterie 71 Prozent unter den P2P-Netzwerken der Hauptverursacher ist (Schulze und Mochalski 2009:8). Die Filmwirtschaft hat darüber hinaus noch mit einer weiteren Form der Urheberrechtsverletzung im Internet zu kämpfen. Streaming-Portale ermöglichen es, Filme und Serien direkt auf der Internetseite des Anbieters anzuschauen. Die Daten eines Films werden parallel zum Abspielen zwischengespeichert (Buffering) – der Nutzer muss deshalb nicht warten, bis der ganze Film heruntergeladen wurde, sondern der Film startet in der Regel bereits nach wenigen Sekunden. Einer der größten Anbieter für Streaming-Inhalte in Deutschland war die Seite kino.to, deren Website im polynesischen Inselstaat Tonga betrieben wurde, deren Betreiber indes in Deutschland saßen. Aufgrund eines Strafantrags der Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen e. V. nahm eine Sonderermittlungseinheit der Generalstaatsanwaltschaft Dresden am 8. Juni 2011 bei einer groß angelegten Razzia in über 20 Wohnungen und Geschäftsräumen der Betreiber und in Rechenzentren 13 Personen fest, die der Bildung einer kriminellen Vereinigung, Geldwäsche und Steuerhinterziehung angeklagt werden. Urheberrechtsabgaben wurden nicht entrichtet, die Gewinne der Betreiber lägen nach Auskünften der Generalstaatsanwaltschaft im siebenstelligen Euro-Bereich (Generalstaatsanwaltschaft Dresden 2011). Neben Demonstrationen gegen die Stilllegung des Portals legten sympathisierende Computer-Hacker daraufhin als Vergeltung die Internetpräsenz der GVU durch gezielte Attacken lahm (Reißmann 2011). Diese Reaktionen zeugen von dem geringen Unrechtsbewusstsein, das in dieser Szene vorherrscht. So ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Seite Kino.to schon kurze Zeit nach der Stilllegung durch neue, ähnliche Seiten ersetzt wurde (siehe Abbildung 4). Weltweite Besucherzahlen illegaler Film-Seiten in Prozent der Internetnutzer Reichweite in Deutschland relevanter FilmStreaming-Plattformen in Prozent der weltweiten Internetnutzer Abbildung 4: Quelle: Alexa.com. Stichtag 10.10.2011 Mit der Stilllegung der Seite Kino.to Ende Juli 2011 gehen die Besucherzahlen schlagartig zurück. Nahezu zeitgleich schnellt die Nutzung der Seite Movie2k.to auf eben das Niveau hoch, das Kino.to zuvor hatte. Mit dem Start der Seite Kinox.to, die in jeder Beziehung der Seite Kino.to entspricht, erfährt auch diese einen enormen Zulauf. Unstrittig ist, dass das Streamen von Filmen und andere illegale Mediennutzungsformen längst zu einem Massenphänomen geworden sind und keiner kleinen Gruppe von technikaffinen Heavy-Usern mehr vorbehalten bleiben. Laut einer repräsentativen Befragung im Auftrag der Filmförderanstalt (FFA), haben allein im ersten Halbjahr 2011 17 Prozent aller Internetnutzer und sogar 31 Prozent der Männer zwischen 18 und 29 Jahren illegale Medieninhalte gestreamt 7 Entwicklung und Strukturen digitaler Piraterie oder heruntergeladen (Filmförderungsanstalt FFA 2011: 19). Nach einer 2011 veröffentlichten Studie von Envisional entfallen 23,76 Prozent des weltweiten Datenaufkommens (ohne Pornografie) im Internet auf die Verbreitung von Raubkopien (Envisional Ltd 2011:2). Und auch die jährlichen Befragungen der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) im Auftrag des Bundesverband Musikindustrie (BVMI) ergeben, dass sich 2010 insgesamt 3,7 Mio. Deutsche und 6 Prozent der Gesamtbevölkerung mit illegalen Inhalten über das Internet versorgen (Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:11). Die Verwertung von illegalen Medieninhalten findet inzwischen auf Grundlage einer organisierten Aufgabenteilung statt. Internetpiraterie ist zu einem sehr einträglichen Geschäft geworden, mit dem die Beteiligten viel Geld verdienen können. Die GVU identifiziert drei Ebenen, über die die Verwertung stattfindet (vgl. Abbildung 5). Auf der sogenannten Release-Ebene befinden sich kleine konspirativ organisierte Gruppen, die die erste Kopie eines Inhaltes erstellen. Sie verfügen in der Regel über ein sehr hohes technisches Know-how und stehen untereinander im Wettbewerb, bei dem es vor allem darum geht, innerhalb der Szene einen gewissen Ruhm zu erlangen. Die Motivation ist hier zwar auch finanzieller Natur, denn es fließt Geld von den Portalbetreibern an die Personen, die die Kopien erstellen und hochladen. Für viele Hacker liegt der Anreiz aber eher in der Herausforderung, die Kopierschutzmaßnahmen erfolgreich zu umgehen. Abbildung 5: Verbreitungsebenen illegaler Medieninhalte im Internet Release-Ebene knacken Kopierschutz und laden hoch Portalbetreiber erwerbsmäßige illegale Verbreitung oder Vermittlung der Inhalte Nutzer Quelle: Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen e.V. (GVU) 2010:5 Auf der zweiten Ebene befinden sich die Anbieter und Vermittler. Sie sorgen für eine möglichst große Verbreitung der erstellten Kopie und sind vor allem finanziell motiviert. Erhebliche Einnahmen werden zum einen über Werbeeinblendungen auf den Portalseiten und zum anderen über Abonnements generiert („Premium Accounts“), mit denen die Downloads der Nutzer priorisiert werden: Inhalte können schneller heruntergeladen werden, oder entfallen durch künstlich eingebaute Zwangspausen, mit denen die Filehoster teilweise die Downloads verzögern, um den Absatz ihrer Premium Accounts zu fördern. Der Aufwand bleibt für diese Gruppe dabei relativ gering, da die Kopien nicht selbst erstellt werden. Das Geschäft mit den illegalen Kopien erreicht auf dieser Ebene inzwischen sehr professionelle Ausmaße. Auf der untersten Ebene befinden sich die eigentlichen Nutzer, deren Zahl auch deshalb immens groß ist, weil zur Nutzung der illegalen Kopien weder große Kenntnisse, noch besondere Software notwendig ist. Das zentrale Motiv dieser Gruppe ist vor allem der kostenlose Bezug von Mediendateien. Sie handeln teils aus Unwissenheit, teils aus mangelndem Unrechtsbewusstsein: Die Portalseiten vermitteln oftmals eine seriöse Anmutung, zudem wird die Nut8 Musik zung mittlerweile als Massenphänomen wahrgenommen und mangels Sanktionen als gesellschaftlich toleriertes Kavaliersdelikt eingestuft. Laut der Befragungen der Gesellschaft für Konsumforschung wissen 20 Prozent der deutschen Bevölkerung und immerhin vier Prozent der Downloader nicht, dass das Herunterladen von geschützten Medieninhalten rechtliche Konsequenzen haben kann (Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:69). 2011 haben 17 Prozent aller Internetnutzer und 31 Prozent aller Männer zwischen 18 und 29 Jahren illegale Medieninhalte genutzt oder heruntergeladen (Filmförderungsanstalt FFA 2011b:20). 2008 verursachten die P2P-Netzwerke alleine über die Hälfte des Internetverkehrs, wobei hier das Netzwerk BitTorrent mit einem Anteil von 71 Prozent unter den P2P-Netzen der Hauptverursacher ist (Schulze und Mochalski 2009:8). Knapp 24 Prozent des weltweiten Datenaufkommens (ohne Pornografie) im Internet gehen auf die Verbreitung von Raubkopien (Envisional Ltd 2011:2). Insgesamt 3,7 Millionen Deutsche versorgen sich mit illegalen Inhalten über das Internet, das sind knapp sechs Prozent der Gesamtbevölkerung ab 10 Jahren (Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:11) 20 Prozent der deutschen Bevölkerung und immerhin vier Prozent der Downloader wissen nicht, dass das Herunterladen von geschützten Medieninhalten rechtliche Konsequenzen haben kann (Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:69). 4. Musik Im Folgenden werden die Auswirkungen der physischen und digitalen Piraterie auf die deutsche Musikwirtschaft analysiert. Diese Branche ist bereits am längsten und aktuell wohl auch am stärksten von Piraterie betroffen. Gleichzeitig ist das Phänomen illegaler Inhaltenutzung für den Musikbereich am besten erforscht, was dazu führt, dass die Untersuchung dieser Branche am umfangreichsten ausfällt. Im ersten Teil des Kapitels wird im ersten Teil Stand und Entwicklung der Musikbranche, ihrer Umsätze und ihrer Beschäftigung erläutert. In den darauf folgenden Abschnitten wird der Umfang der Musik-Piraterie und ihr Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung der Musikwirtschaft behandelt. Schließlich wird mithilfe der ermittelten Substitutionsrate der ungefähre ökonomische Schaden durch Piraterie berechnet. 4.1 Wirtschaftliche Entwicklung Die Musikwirtschaft umfasst zunächst sämtliche Wirtschaftszweige, die an der Herstellung eines Musikartikels bis zum Verkauf an den Endverbraucher mitgewirkt haben. Das Produkt für den Endverbraucher kann sowohl die Form von Tonträgern (CD, DVD, Vinyl, MC) als auch von rein digitalen Produkten (kostenpflichtiger bzw. werbefinanzierter Stream oder Download) annehmen. Umsatzzahlen der Musikindustrie bemessen sich schließlich an den Verkäufen physischer und digitaler Musikartikel zu Endverbraucherpreisen inklusive der Mehrwertsteuer. Aus Abbildung 6 wird die Umsatzentwicklung der letzten zehn Jahre ersichtlich. Ausgehend vom Basisjahr 1999 wird auf Grundlage des Wachstums des Bruttoinlandsprodukts (BIP) zudem die Umsatzentwicklung der Branche dargestellt, wenn sie sich durchschnittlich, also gemäß dem BIP-Wachstum entwickelt hätte. Sie stellt eine ungefähre Schätzung für den Verlauf der Umsätze dar wie er sich möglicherweise ohne den Einfluss der Digitalisierung und der Piraterie entwickelt hätte. 9 Musik Abbildung 6: Umsätze aus Musikverkäufen in Deutschland (Endverbraucherpreise in Euro) 3.500 2.648 2.729 2.851 2.883 2.900 2.934 3.011 3.135 3.210 3.142 3.116 82 88 144 173 204 1.629 1.577 1.465 BIP-konforme Entwicklung 1.718 1.885 1.964 2.322 2.495 30 1.782 500 2.630 1.000 13 1.868 2.000 1.500 digital physische Tonträger inkl. GVL 2.500 2.648 Umsatz in Mio. Euro 3.000 2.891 0 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Quelle: Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011a:12; International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) 2011:46; House of Research Wie die Grafik verdeutlicht, haben die Umsätze der Musikindustrie zwischen 1999 und 2010 mit physischen Tonträgern inklusive der Verwertung von Leistungsschutzrechten (GVL) bereits nominal um 1,183 Mrd. Euro oder 45 Prozent abgenommen. Die Umsätze mit digitalen Musikstücken per Download oder Streaming (die seit 2004 separat ausgewiesen werden) haben seit 2007 um 132 Prozent zugenommen und betrugen im Jahr 2010 in Deutschland 204 Millionen Euro. Dies verminderte den Verlust auf 0,979 Mrd. bzw. 37 Prozent. Mit dem digitalen Geschäft konnten also die Verluste aus dem Bereich der physischen Tonträger bei Weitem nicht kompensiert werden. Legt man das durchschnittliche BIP-Wachstum als Maßstab an, dann beträgt der Umsatzverlust nach den zwölf betrachteten Jahren sogar –1,447 Mrd. Euro oder –46 Prozent. Als Nächstes soll ein Blick auf den Arbeitsmarkt in der Musikbranche geworfen werden. Da die Grenzen zwischen den Branchen der Musikwirtschaft, Zuliefererbranchen oder dem Handel oft fließend sind, soll hier der Wirtschaftszweig der Herstellung, Vervielfältigung und Vermarktung von Musik als Indikator für die gesamte Musikindustrie dienen. Abbildung 7 zeigt die Entwicklung der Beschäftigtenzahlen in der Tonträgerindustrie. Allein die Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter ist seit dem Jahr 1999 von 13.000 in der Musikproduktion beschäftigter Personen auf 8.099 Personen um 38 Prozent zurückgegangen. Dies entspricht in etwa den Umsatzrückgängen auf dem Tonträgermarkt (siehe Abbildung 6). Zu beachten ist hier zum einen, dass sich hierin Verluste bei den selbstständig Tätigen, die in dieser Branche einen großen Anteil ausmachen, noch nicht widerspiegeln. Zum anderen stellen die Beschäftigtenzahlen auch noch keinen ausreichenden Indikator für die Beschäftigungsverhältnisse dar. 10 Musik Entwicklung der Beschäftigtenzahlen in der Tonträgerindustrie nach Befragungen des BVMI 16.000 14.000 Beschäftigung Musikindustrie 12.000 8.099 8.148 8.400 8.650 Gesamtmarktkonforme Entwicklung 9.200 9.700 9.800 4.000 10.200 6.000 11.400 8.000 12.200 10.000 13.000 Anzahl der sozialversciherungspflichtig Beschäftigten Abbildung 7: 2.000 0 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 4 Quelle: Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011a - für 2000 liegen keine Werte vor. Häufig werden ökonomische Talfahrten nicht nur von nominell sinkender Beschäftigung, sondern auch von einer Zunahme prekärer Arbeitsverhältnisse (zeitliche Befristung, schlechtere Bezahlung, mehr Teilzeit-Jobs) auf Kosten von Normalarbeitsverhältnissen begleitet, die sich nicht in der Statistik niederschlagen. „Die Beschäftigung im Musikmarkt wird insgesamt kleinteiliger und verlagert sich immer mehr zur Teilzeitbeschäftigung. Die Beschäftigtenzahlen bleiben so weitgehend stabil oder steigen sogar an, bei gleichzeitig sinkenden Löhnen.“ Stefan Herwig, dependent, Mindbase Strategic Consulting Es bleibt festzuhalten, dass sich die Umsatzrückgänge aus Musikverkäufen bereits deutlich in sinkender Beschäftigung niederschlagen, was nicht ohne Folgen für Qualität und Vielfalt der Musikangebote bleiben dürfte. 4.2 Piraterieumfang Einer Befragung durch das Institut für Strategieentwicklung zufolge besteht der Musikbestand von 37 Prozent aller sog. „Webaktiven“5 in Deutschland zu einem Großteil oder vollständig aus illegal kopierter Musik, nur 21 Prozent besitzen ausschließlich legal erworbene Musik (Wöbken u. a. 2010:4). Zu den wichtigsten Untersuchungen zur Musikpiraterie in Deutschland gehört die Studie zur digitalen Content-Nutzung (DCN-Studie, bis 2010 noch unter dem Namen „Brennerstudie“ bekannt), die seit 2002 einmal jährlich von der GfK u. a. im Auftrag des Bundesverbands Musik- 4 Aus der amtlichen Statistik lassen sich die Zahlen in den Kernbranchen der Musikproduktion (Herstellung, Vervielfältigung und Vermarktung von Tonträgern) nicht exakt im Zeitverlauf ermitteln, da hier abweichende Definitionen verwendet werden und die relevanten Wirtschaftszweige in einer für diesen Kontext nicht sinnvollen Art konsolidiert wurden, weshalb hier auf die Angaben des BVMI zurückgegriffen wurde. 5 Webaktive wurden definiert als Internetnutzer zwischen 14 und 64 Jahren, die mindestens vier der folgenden Aktivitäten regelmäßig betreiben: Eigenes Blog oder Homepage betreiben, Kommentare in Blogs anderer Nutzer hinterlassen, Bewertungen und Testberichte schreiben, Kritiken und Kommentare zu Büchern, Filmen und CDs erstellen, eigene Fotos ins Netz stellen, Profile in Community-Plattformen besitzen, Beiträge in Diskussionsforen schreiben, Videos erstellen oder Lexikonbeiträge schreiben bzw. überarbeiten (z. B. Wikipedia). Die Grundgesamtheit besteht aus 6,67 Millionen Deutschen, repräsentative Onlinebefragung, n=1.056. 11 Musik industrie durchgeführt wird. Die Studie ermittelt jedes Jahr die Hardware-Bestände von CDund DVD-Brennern in deutschen Haushalten und untersucht, wie und in welchem Umfang Musik und andere Medieninhalte gebrannt, gespeichert oder weitergegeben werden. Für die Studie wird ein Panel befragt, das repräsentativ für die 63,7 Mio. Deutschen ab 10 Jahren ist. Die Stichprobe umfasst 10.000 Personen. Musik gehört laut der GfK-Befragung von 2010 nach wie vor zu den beliebtesten Inhalten, die gebrannt werden. 27 Prozent der Bevölkerung ab 10 Jahren, das sind 17 Mio. Personen, haben 2010 CDs oder DVDs gebrannt bzw. ließen diese von anderen Personen brennen. Dabei wurden ca. 122 Mio. CDs und knapp 14 Mio. DVDs erzeugt. Berücksichtigt man die um den Faktor 7,8 höhere Speicherkapazität von DVDs, dann ergibt sich die Zahl von 228 Mio. „CD-RÄquivalenten“6 (Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:69). Jedoch handelt es sich nicht bei jeder Vervielfältigung von Musik-CDs/DVDs um Piraterie. Das Kopieren einer eigenen Original-Musik-CD/DVD für die Verwendung im engsten Kreis stellt nach derzeitigem deutschen Recht noch keinen urheberrechtlichen Verstoß dar. Das Kopieren von fremden CDs/DVDs, bereits kopierten CDs/DVDs, illegal erworbenen Musikstücken von anderen Tonträgern (MP3s), oder die Vervielfältigung zu kommerziellen Zwecken ist dagegen illegal. Wir unterscheiden deshalb zwischen CDs/DVDs, die von eigenen Originalen gebrannt wurden, und solchen, die von anderen Quellen stammen. In die Schadensberechnung gehen später nur die CD-R-Einheiten ein, die mit größter Wahrscheinlichkeit keine sogenannte „Privatkopie“ darstellen und zu einem noch zu bestimmenden Anteil einen regulären Kauf verhindern. Abbildung 8 zeigt die Mengen der im Jahr 2010 gebrannten CD-R-Einheiten nach ihrer jeweiligen Herkunft. Abbildung 8: Reichweite gebrannter Musik-CDs/DVDs in Deutschland 2010 160 von kostenlosen Web2.0-Plattformen 140 von einem Handy mit MP3-Player, einer anderen Person CD-R-Einheiten in Mio. 120 von anderen Personen (per E-Mail, MMS usw.) geschickt worden 100 von einem MP3-Player, einer anderen Person 80 141 60 11 1 1 2 7 9 Musikstücke, die von Radio, Internetradio oder von Podcastsendungen aufgenommen wurden von kostenlosen Internetseiten 11 40 11 11 20 21 von kostenlosen Internettauschbörsen von einem Computer/USB-Stick einer anderen Person von bereits kopierten/gebrannten CDs/DVDs 0 eigene Original-CD/DVD / legale Internetseiten Quelle der Kopie andere Quellen von geliehenen Original-CDs/DVDs Quelle: Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:71; eigene Berechnung und Darstellung 6 Die 228 CD-R-Einheiten setzen sich zusammen aus 122 Mio. gebrannten CDs und 13,6 Mio. gebrannten DVDs, die 106 CD-RÄquivalenten entsprechen (13,6 x 7,8). 12 Musik Der größte Teil aller gebrannten CD-R-Einheiten stammt von eigenen Original-CDs/DVDs bzw. von legalen und kostenpflichtigen Internetseiten. Zwar besteht auch hier die Möglichkeit, dass diese illegal zum Zweck des Verschenkens an Dritte außerhalb des engsten Kreises oder gar Verkaufens gebrannt wurden, da hierzu jedoch genauere Angaben fehlen, unterstellen wir hier grundsätzlich kein illegales Handeln. Der andere Teil, rund 87 Mio. CD-R-Einheiten können dagegen als widerrechtliche Weiterverbreitung von Musik gelten und ist damit für die Schadensberechnung relevant. Beziffert man nun eine CD-R-Einheit mit 13 Tracks (der durchschnittlichen Anzahl Tracks pro CD), so ergibt sich eine Gesamtmenge von 1.126 Mrd. Musiktracks, die illegal vervielfältigt wurden. Da auf diese Tonträger jedoch nicht nur Audiotracks, sondern auch eine viel höhere Zahl komprimierter MP3-Dateien kopiert werden können, ist diese Anzahl von 1.126 Mrd. Musikstücken als sehr konservative Schätzung bzw. als Untergrenze anzusehen. Ein ähnliches Ausmaß haben die illegalen Musik-Downloads. 2010 haben rund 3,1 Mio. Personen (4,9 % der deutschen Bevölkerung ab 10 Jahren) Musik aus illegalen Quellen heruntergeladen (Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:63). In Abbildung 9 wird die Entwicklung des Volumens von Musikdownloads aus illegalen Quellen zwischen den Jahren 2000 und 2010 dargestellt. Anzahl illegaler Musikdownloads in Deutschland 2000 bis 2010 800 598 442 377 312 316 258 2004 2005 2006 2007 2008 2009 185 374 2003 412 602 2002 2 383 622 200 492 400 208 221 234 4 600 Anzahl der herunterladenden Personen in Mio. 6 Albumtracks Einzeltracks Personenzahl 316 Anzahl Tracks in Mio. Stück 1.000 260 Abbildung 9: 0 0 2000 2001 2010 Quelle: Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2010:23; Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:63; House of Research. Albumtracks errechnet aus Anzahl Alben multipliziert mit 13 (durchschnittliche Anzahl Tracks pro Album). Ausweis von Alben und Personen erst ab 2004. Nachdem die Anzahl illegal heruntergeladener Einzeltracks bis 2002 rapide anstieg, ist sie seitdem kontinuierlich zurückgegangen. 2010 wurden insgesamt 185 Millionen Musiktitel illegal heruntergeladen. Als Ursache sieht der Bundesverband der Musikindustrie die konsequente Verfolgung der illegalen Musikbeschaffung durch zivilrechtliche Verfahren (Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2009:26), bei denen mit Hilfe von Abmahnungen Schadensersatzansprüche geltend gemacht werden. Die damit verbundene öffentliche Wahrnehmung dieser Verfahren löste ein verändertes Bewusstsein über die Konsequenzen von illegalen Downloads in der Szene aus. Legt man das Augenmerk allerdings auf die Entwicklung der illegal beschafften Alben, so lässt sich insgesamt eine Zunahme der heruntergeladenen Menge feststellen. Diese hat sich von 17 Mio. Alben in 2004 auf 46 Mio. Alben in 2010 nahezu verdreifacht. Berechnet man pro Album wieder eine Anzahl von 13 Einzeltracks, stellt sich die Entwicklung des gesamten Ausmaßes illegaler Musikdownloads anders dar. Seit dem Jahr 2000 wächst die Anzahl heruntergeladener 13 Musik Musiktitel um durchschnittlich 11,3 Prozent jährlich und umfasst im Jahr 2010 rund 783 Mio. Stück. Zu einer mittlerweile gängigen Art des Musikspeicherns zählt außerdem das Streamripping. Hierbei werden auf sowohl illegalen als auch legalen Streaming-Portalen Musikvideos abgespielt und mittels spezieller Software als Audiodatei auf der eigenen Festplatte abgespeichert. Die beliebteste Software hierzu trägt den bezeichnenden Namen „Free YouTube to MP3 Converter“. Etwa 7 Mio. Personen haben diese und ähnliche Techniken 2010 angewendet und rund 115 Mio. Einzeltracks sowie 26 Mio. Tracks in Alben abgespeichert (Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b: 35; 58; 60). In den meisten dieser Fälle dürfte es sich hierbei um das Mitschneiden von legalem Webradio oder YouTube-Musikvideos handeln. Diese sind nach heutiger Rechtsprechung nicht illegal und fließen nicht in die Schadensberechnung ein. Gleichwohl handelt es sich um unentgeltlich bezogene Musik, die legale Käufe in gewissem Umfang verhindern. Weniger gut erfasst aber nicht minder eindrucksvoll sind die Zahlen derjenigen, die Medieninhalte per Festplattentausch bezogen haben. Rund 11 Mio. Personen nutzten 2010 diese Möglichkeiten, um Medieninhalte von anderen Personen zu beziehen. Das Kopieren ganzer Mediatheken von der Festplatte Dritter erfordert kaum Aufwand. Ist eine externe Festplatte erst einmal mit dem eigenen PC verbunden, so lassen sich schnell und ohne die Gefahren eines Online-Bezuges (rechtliches Risiko; Risiko durch Schadprogramme) große Datenmengen tauschen. Überdies ist anzunehmen, dass sich die Bestände durch so erworbene Musik mit jeder Sitzung erhöhen und entsprechend größere Mengen bei der nächsten Sitzung getauscht werden können. Wir schätzen die Anzahl derart beschaffter Musiktitel auf 150 Stück pro Person und Jahr (siehe Abbildung 10). Abbildung 10: Kostenlos bezogene Musik per Festplattentausch und Streamripping in Deutschland 2010 Tausch per Festplatte (Schätzung) Single-Tracks 406 Album-Tracks Streamripping (nicht illegal) 115 0 26 100 200 300 400 500 Zahl der unbezahlten Musikbezüge in Mio. Stück Quelle: Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b, 28ff; Schätzung House of Research Die Zahl kostenloser und rechtlich bedenklicher Musikbezüge erhöht sich damit um 547 Mio. Musik-Tracks durch den Tausch per Festplatte und das Speichern von Musik-Streams auf nun insgesamt 2,456 Mrd. Musikstücke, die unentgeltlich und illegal oder auf rechtlich bedenkliche Weise bezogen wurden. Die Menge eindeutig illegal bezogener Musik, also exklusive Streamripping, beläuft sich auf 2,315 Mio. Musiktracks. 4.3 Effekte digitaler Piraterie auf die ökonomische Entwicklung Wenn es um die Frage geht, ob und wie stark die Urheberrechtsverletzungen an Musikinhalten einen Einfluss auf den Absatz von Musik haben, gehen die Meinungen weit auseinander. Der 14 Musik direkte Nachweis ist schwierig und wird von verschiedenen Studien mit unterschiedlichen Methoden zu erbringen versucht. Im Folgenden sollen diese Ergebnisse diskutiert werden. Einige der Arbeiten kamen zu dem Ergebnis, dass entweder kein statistischer Zusammenhang zwischen dem illegalen Download und den Umsatzverlusten der Musikwirtschaft besteht (Oberholzer-Gee und Strumpf 2004; van Eijk, Poort, und Rutten 2010; vgl. Tanaka 2004) oder sogar ein umgekehrter (vgl. Andersen und Frenz 2007; Huygen u. a. 2009). Bei letzteren werden oft sog. „Sampling-Effekte“ als Erklärung angeführt. Beim Sampling-Effekt wird davon ausgegangen, dass illegale Downloads gerne zum Probehören heruntergeladen werden, aber im Anschluss trotzdem, bei Gefallen, ein legaler Kauf stattfindet. Da dieses Verhalten zur Entdeckung bisher unbekannter Künstler führe, wirke sich das Filesharing positiv auf die Musikverkäufe aus. Blackburn stellt in seiner Studie den Sampling-Effekt dem Substitutionseffekt gegenüber und kommt zu dem Schluss, dass der Substitutionseffekt bei sehr bekannten Künstlern deutlich stärker ist, aber für unbekannte Künstler der Sampling-Effekt überwiegt. Durch die Dominanz von wenigen, international bekannten Künstlern in der Musikindustrie wirken sich die illegalen Downloads insgesamt jedoch negativ auf die Verkäufe aus (Blackburn 2004:47f). Diese These wird auch von einer neueren Studie von Düsing gestützt, nach der insbesondere die große Masse der Hörer von Mainstream-Musik dazu neigt, Musikkäufe durch illegal beschaffte Songs zu ersetzen (Düsing 2010). Die Frage nach einem Sampling-Effekt ist eng verknüpft mit der Frage, warum Personen, die besonders viel Musik herunterladen (Heavy-User), auch besonders viel Musik kaufen. Geht man davon aus, dass sich die Musikaffinität in der Kaufaktivität von Musik widerspiegelt, so zeigen Abbildung 11 und Abbildung 12 zweifelsfrei, dass die Altersgruppen mit der größten Musikaffinität heute zu den Gruppen mit den meisten Musikdownloads zählen. Zwar kaufen diese Gruppen auch immer noch verhältnismäßig viel Musik, was die Illusion eines SamplingEffektes erzeugt, doch sind diese Käufe bei den 20- bis 29-Jährigen seit 1999, also seit Beginn des digitalen Musikbezugs, im großen Stil um 56 Prozent zurückgegangen. Abbildung 11: Anteil Personen, die 2010 Musik-Downloads getätigt haben Anteil der in der jeweiligen Altersgruppe 50% Männer (Ø 23) Frauen (Ø 15) 40% 30% 44% 20% 10% 36% 28% 23% 27% 18% 25% 12% 0% 10-19 J. 20-29 J. 30-39 J. 40-49 J. 11% 5% 50+ J. Basis: 63,7 Mio. Personen ab 10 Jahren in Deutschland Quelle: Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:62 15 Musik Abbildung 12: Umsatzentwicklung im deutschen Tonträgermarkt nach Altersgruppen 1999 vs. 2008 700 1999 2008 Umsatz in Mio. Euro 500 300 100 -100 -30% 303 646 691 20 bis 29 Jahre -15% -53% 438 326 287 212 10 bis 19 Jahre -56% 30 bis 39 Jahre +12% -7% 373 40 bis 49 Jahre 208 194 163 182 50 bis 59 Jahre 60 + Jahre Quelle: Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2009a Die Sampling-Effekt-These sieht einen positiven kausalen Zusammenhang zwischen Downloadhäufigkeit und Musikkäufen. Tatsächlich besteht ein negativer Zusammenhang, der von einer dahinterliegenden Musikaffinität der Jugendlichen überdeckt wird. Darüber hinaus muss auch die Scheinkorrelation zwischen hoher Downloadaktivität und erhöhter legaler Musiknutzung noch differenzierter betrachtet werden. Trennt man nämlich die Nutzer legaler Bezugsquellen von denen illegaler Quellen, so besteht bei Weitem kein eindeutiger Zusammenhang mehr zwischen Internetnutzung und Kaufaktivität. Tabelle 1 macht klar, dass Nutzer von illegalen und legalen sowie die Nutzer ausschließlich illegaler Bezugsquellen den mit Abstand kleinsten Käuferanteil physischer und digitaler Musik ausmachen und durchschnittlich das wenigste Geld für Musik ausgeben. Tabelle 1: Ausgaben für Musik nach Download-Aktivität 2010 GesamtBevölkerung Basis in Mio. Käuferanteil (digital u. physisch) Durchschn. Ausgaben für Musik pro Käufer Personen, die davon… 2010 Musik heruntergeladen Nutzer ausschl. legaler Quellen haben Nutzer legaler und Nutzer ausschl. illegaler Quellen illegaler Quellen 63,7 12,1 9,0 3,1 1,5 39 % 51 % 54 % 36 % 27 % 56 € 52 € 57 € 35 € 18 € Nutzer illegaler Quellen: Personen, die angegeben haben, Musik-Downloads von Tauschbörsen, Sharehostern, privaten Websites, Blogs, Foren, FTP-Servern oder Newsgroups getätigt haben. Die Basen der Nutzer enthalten Rundungsdifferenzen und addieren sich deshalb nicht zu 12,1 Mio. Quelle: Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:65 Dass der Umsatzrückgang bei den 20- bis 29-Jährigen nicht auf ein allgemein sinkendes Interesse an Musik zurückführbar ist, wie ebenfalls vermutet werden könnte, belegen überdies nicht nur die besonders hohen Musikdownloads bei diesen Altersgruppen. Die jährlich durchgeführte JIM-Studie aus Jugend, Information, (Multi-) Media des Medienpädagogischen Forschungsverbundes Südwest zeigt zumindest für die Altersgruppe der dort untersuchten 12- bis 19-Jährigen, dass keineswegs weniger Musik genutzt wird: Danach gehörte im Jahr 2010 Musikhören nach wie vor zu den wichtigsten Medienbeschäftigungen von Jugendlichen: Auch für die anschließenden Altersgruppen der jungen Erwachsenen ist eine gegenläufige Entwicklung nicht anzunehmen (Medienpädagogischer Forschungsverbund 2010). Ein Sampling-Effekt, bei dem ein illegaler Download einen legalen Kauf nach sich zieht, tritt zwar teilweise in Erscheinung, kann jedoch den negativen Effekt illegaler Downloads auf die Musik-Umsätze bei Weitem nicht kompensieren. Mit der Zunahme von Breitband- 16 Musik Internetanschlüssen hat sich vielmehr der Umsatz der Musikindustrie in Deutschland umgekehrt proportional zurückentwickelt (siehe Abbildung 13). Abbildung 13: Umsätze der Musikindustrie und Breitbandabdeckung in Deutschland 1973-2010 35 2500 30 Umsätze 25 2000 1489 1575 500 1623 1652 1706 1748 1753 15 1816 2201 1000 2365 20 2630 1500 2648 Umsatz in Mio. Euro Breitbandanschlüsse 0 10 5 Anzahl Breitbandanschlüsse je 100 Einwohner 3000 0 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Quellen: Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2009b, 13 (Endverbraucherpreise inkl. MwSt. ohne GVL); EUROSTAT 2011; House of Research Gerade auch im internationalen Vergleich wird deutlich, dass es sich bei der Gleichzeitigkeit verstärkter Internetnutzung und regressiver Umsatzentwicklung keineswegs um einen Zufall handelt. So fand die Einführung der schnellen Internetanschlüsse in Frankreich zu einem späteren Zeitpunkt statt als z. B. in Deutschland: Daher setzte dort der Umsatzrückgang mit einer entsprechenden Verzögerung ein (EUROSTAT 2011). Gegen diese Auffassung, derzufolge aus dieser Entwicklung ein Zusammenhang zwischen illegalen Downloads und Umsatzverlusten abzuleiten ist, argumentiert neben den Verfechtern des Samplingeffekts auch Tschmuck, der davon ausgeht, dass nicht illegale Downloads, sondern ein ebenfalls um die Jahre 2002 bis 2004 einsetzender Trend zu Single-Käufen auf Kosten von Alben-Käufen (siehe Abbildung 14) für die Umsatzeinbrüche auf dem Musikmarkt verantwortlich sei, da sich mit Singles nicht der gleiche Umsatz erzielen lasse, wie mit Alben. Eine verstärkte Internetnutzung biete hier die Möglichkeit einer selektiveren Musiknutzung, da sich die Kunden besser im Vorhinein über die Musikangebote informieren könnten und nur noch die Stücke kaufen würden, die ihnen auch gefallen. In Abbildung 14 wird die Absatzentwicklung von Singles (inkl. MP3) und Longplay-Alben vergleichend veranschaulicht. 17 Musik Abbildung 14: Weltweite Absatzentwicklung von Musikmedien 4.000 Einbruch digitale Alben Anzahl verkaufter Exemplare in Mio. 3.500 CDs MCs 3.000 LPs 2.500 Singles 2.000 1.500 Einbruch 1.000 500 2009 2007 2005 2003 2001 1999 1997 1995 1993 1991 1989 1987 1985 1983 1981 1979 1977 1975 1973 0 Quelle: International Federation of the Phonographic Industry (IFPI) 2010:85; Darstellung House of Research Tatsächlich nehmen die Singleverkäufe 2003 rapide zu, ein Trend, der sicherlich mit der Breitbandnutzung zu erklären ist. Die Albenverkäufe, die weitgehend von den CDs getragen werden, befinden sich hier jedoch schon seit einigen Jahren im Niedergang. Der eigentliche Einbruch des Musikabsatzes, und zwar sowohl der Singles als auch der Albenverkäufe, setzte bereits um das Jahr 1997 ein und ist auf die Etablierung der MP3-Technologie zurückzuführen, ist also höchstwahrscheinlich eine Folge der Internetpiraterie und der physischen Piraterie, denn sowohl der Musiktausch via Internet als auch das CD-Brennen werden durch das MP3-Format begünstigt. Tschmucks Annahme einer gleichzeitigen Kehrtwende von Alben- zu Singlekäufen lässt sich also, was die Absatzzahlen angeht, nicht bestätigen. Die Single-Markt-Hypothese, nach der steigende Single-Verkäufe hauptursächlich für sinkende Umsätze der Musikindustrie seien, muss somit als widerlegt gelten. Dennoch ist die Möglichkeit der besseren und gezielteren Musikselektion über das Internet für einen Teil des Absatzrückgangs verantwortlich. Gleichzeitig stellt die digitale und trägerlose Form des Musikdownloads einen erheblichen Effizienzgewinn dar, der zu geringeren Produktionskosten führte. Geringere Umsätze müssen also nicht zwangsläufig zu proportional geringeren Gewinnen führen (vgl. die in Kapitel 4.1 dargestellte Umsatzentwicklung). „Seit 2005 ist es immer schwerer geworden, Wertschöpfung zu generieren und neue Künstler aufzubauen. Der Live-Markt hat sich gut entwickelt, aber die Tour-Frequenz lässt sich nicht beliebig steigern. Die Verluste aus dem Tonträgergeschäft können damit bei Weitem nicht kompensiert werden.“ Stefan Herwig, dependent, Mindbase Strategic Consulting In der Bilanz dieser Debatte ist somit von einem negativen Einfluss der Urheberrechtsverletzungen auf den Absatz von Musikprodukten auszugehen. Hierbei wird zur Kenntnis genommen, dass die Umstellung auf den digitalen Markt und die damit einhergehenden Selektionsvorteile sowie die fallenden Preise infolge der größeren Effizienz durch digitale Musikprodukte einen Teil der Regression im Musikgeschäft erklären. Der Einfluss der Piraterie auf die Umsatzrückgänge wurde allerdings ebenfalls nachgewiesen. 18 Musik 4.4 Substitutionsrate Ziel der folgenden Literaturanalysen ist die Annäherung an eine realistische Substitutionsrate. Diese gibt wieder, wie viel der illegal heruntergeladenen Musik tatsächlich gekauft worden wäre, wenn es die Möglichkeit der illegalen Beschaffung nicht gegeben hätte. Damit bietet die Substitutionsrate die Grundlage für die Modellrechnung zur Ermittlung des wirtschaftlichen Schadens. Einen der umfassendsten Ansätze zur Bestimmung des wirtschaftlichen Schadens durch Urheberrechtsverletzungen liefert die Untersuchung „Aufbau einer digitalen Wirtschaft“ des französischen Beratungsunternehmens TERA Consultants. Im Auftrag der Internationalen Handelskammer (ICC) wurden die Umsatzeinbußen und Arbeitsplatzverluste der Kreativwirtschaft durch Piraterie in der Europäischen Union beziffert. Unter Abwägung der verschiedenen untersuchten Studien bestimmt TERA eine Substitutionsrate für den deutschen Musikmarkt von 10 Prozent, womit sie im unteren Bereich der Spannweite bleiben, die sich bei den meisten Studien zwischen 10 und 30 Prozent erstreckt. Eine Substitutionsrate von 10 Prozent wird dementsprechend als konservative Schätzung bzw. als Mindestwert verstanden. Ein sehr ambitionierter Versuch, den genauen Zusammenhang zwischen illegalen Downloads und dem Rückgang der Musikverkäufe zu bestimmen, ist eine viel zitierte Studie von Alejandro Zentner (Zentner 2003:10). Diese Arbeit wurde in ihrer ersten Fassung bereits 2003 veröffentlicht und bezieht sich auf Daten, die zwischen 2001 und 2002 in einer repräsentativen Befragung zu MP3-Downloads, Internetzugang und dem Einkommen erhoben wurden (ebd.: 15f.). Dabei handelt es sich um eine durch Napster induzierte Phase der illegalen Musikdownloads. Die rechtlichen Folgen dieser Urheberrechtsverletzungen wurden zu diesem Zeitpunkt noch nicht in dem Maß öffentlich wahrgenommen wie heute weshalb ein besonders ehrliches Antwortverhalten zu dieser Zeit vermutet werden kann. Zentner kam in seiner Regressionsanalyse zu folgenden Ergebnissen: Jugendliche und Studenten weisen zwar eine erhöhte Musikaffinität auf, die sich positiv auf die Kaufwahrscheinlichkeit auswirke, doch verfügten diese auch überdurchschnittlich häufig über schnelle Internetzugänge und eine hohe Internet-Affinität. Daher nutzten sie öfter Filesharing-Angebote, was wiederum die Kaufwahrscheinlichkeit so stark mindere, dass sich schließlich beim illegalen Musik-Download eine Substitutionsrate von 30 Prozent ergebe (ebd.: 20ff.). Die Autoren Rafael Rob und Joel Waldfogel von der Universität Pennsylvania führten 2006 ebenfalls eine statistische Studie zu den Auswirkungen des illegalen Downloads durch. Hierfür wurden College-Studenten zu ihrem Kauf- und Downloadverhalten sowie zu ihrer Zahlungsbereitschaft im Bereich Musik befragt. Zusätzlich wurden Kontrollvariablen erhoben, wie beispielsweise das Einkommen, die Musikaffinität, Internetnutzung und Internetgeschwindigkeit. Rob und Waldfogel kommen schließlich auf eine Substitutionsrate von 20 Prozent für Alben, die eine breitere Musikrichtung abdecken und auf eine Substitutionsrate von 10 Prozent für die gesamte Stichprobe. Das Manko dieser Studie liegt allerdings in ihrer schlechten Repräsentativität, da hier lediglich College-Studenten befragt wurden, eine Gruppe, die womöglich ein besonderes, von der Gesamtbevölkerung abweichendes Kauf- und Downloadverhalten zeigt. Eine Untersuchung der Autoren Andersen und Frenz von 2007 kam zu dem Schluss, dass die illegalen Downloads sich positiv auf die Verkaufszahlen auswirken. Die zugrunde liegenden Telefoninterviews unter 2.100 kanadischen Haushalten wurden repräsentativ für die kanadi19 Musik sche Bevölkerung ab dem Alter von 15 Jahren durchgeführt. Die Studie kommt zu dem Ergebnis, dass für 12 illegal heruntergeladene Musikstücke, die Musikverkäufe um 0,44 CDs erhöht werden. Das Canadian Intellectual Property Council kam 2011 in einer Revision dieser Studie allerdings zu einer völlig anderen Erkenntnis. So haben 75 Prozent der Filesharer und 63 Prozent der Heavy-User angegeben, dass sie zumindest einen Teil der Songs legal erworben hätten, wenn es die P2P-Alternative nicht gegeben hätte. Für Heavy-Filesharer wurde eine Substitutionsrate von 33 Prozent ermittelt (Canadian Intellectual Property Council (CIPC) 2011:6). Diese Substitutionsrate kann allerdings nicht auf alle Filesharer übertragen werden, weshalb die Ergebnisse des CIPC nur begrenzt aussagekräftig sind. Die Autoren Adrian Adermon und Che-Yuan Liang (2010) haben das Inkrafttreten des IPRED7Gesetzes in Schweden dazu genutzt, die Auswirkungen auf den Internettraffic und die Verkäufe von Musik und Filmen zu beobachten. Mit der Einführung des Gesetzes am 1. April 2009 erhöhte sich das Risiko, für den illegalen Austausch von Daten im Internet zivilrechtlich belangt zu werden, erheblich. Mithilfe des Vergleiches zwischen dem Internettraffic vor und nach der Einführung des IPRED-Gesetzes wurde die Differenz als Anteil der illegalen Internetnutzung identifiziert. Kurz nach Inkrafttreten des IPRED-Gesetzes fiel der Internettraffic um 22,5 Prozent. Die physischen Musikverkäufe stiegen in den sechs Monaten nach dem Gesetz um 26,5 Prozent, die legalen Internetdownloads um 48,2 Prozent (Adermon und Liang 2010:8). Insgesamt kommen die Autoren zu dem Schluss, dass die Piraterie einen starken Einfluss auf die Musikverkäufe hat. Als Substitutionsrate für physische Tonträger wird ein Wert von 51 Prozent ermittelt, für digitale Musikverkäufe gar eine Substitutionsrate von 86 Prozent. Fraglich bei der Studie, darauf machen Adermon und Liang aufmerksam, bleibt die Prüfung auf mögliche Drittvariablen. Das Experiment weist einen Vorher-Nachher-Effekt signifikant nach. Inwieweit aber noch weitere Faktoren auf die Ergebnisse Einfluss nehmen, konnte nicht untersucht werden. In Tabelle 2 werden die Substitutionsraten dargestellt, die durch die verschiedenen Studien ausgewiesen wurden. Tabelle 2: Übersicht Musik-Substitutionsraten Studie Zentner (2003) Rob & Waldfogel (2006) TERA (2010) Adermon & Liang (2010) CIPC (2011) Substitutionsrate 30 % 10 % 11 % 51 % 33 % bei Heavy-Filesharern Die hier dargestellten Studien kommen aus verschiedenen methodischen Kontexten zu unterschiedlichen Substitutionsraten. Studien, die auf Befragungen basieren, unterliegen mitunter dem Einfluss der sog. „sozialen Erwünschtheit“. Dieser Effekt, bei dem Befragte in Interviewsituationen zu vermeintlich konformen Antworten tendieren, tritt insbesondere bei peinlichen oder heiklen Fragen auf (vgl. z. B. Esser 1986). Fragen nach dem illegalen Download von Mediendateien zählen auf jeden Fall zu den heiklen, die bei einem Teil der Befragten zur Untertreibung wenn nicht zur Negation führt, wodurch in der Konsequenz die Substitutionsraten 7 Die „Intellectual Property Rights Enforcement Directive“ (IPRED) ist eine Richtlinie der Europäischen Union zum Schutz des intellektuellen Eigentums und zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen (siehe Europäische Union 2004). 20 Musik eher unterschätzt werden. Adermon und Liang kommen mit ihrem monokausalen Modell zu einer sehr hohen Substitutionsrate, die jedoch mangels Integration weiterer Einflussfaktoren in die Analyse schwer zu validieren ist. Als Basis der späteren Schadensberechnungen lehnen wir uns deshalb an die Ergebnisse von Zentner sowie den Arbeiten des Canadian Intellectual Property Council. Beide Studien basieren auf Befragungen, wobei die Untersuchung Zentners zu einer Zeit stattfand, in der das Antwortverhalten weit weniger durch ein erst in jüngster Zeit entstandenes Unrechtsbewusstsein geprägt war, als in späteren Studien. Die CIPC-Analysen scheinen ebenfalls weniger durch soziale Erwünschtheit verzerrt, da hier Absichtserklärungen abgefragt wurden und die Interviewten hier keinen bereits begangenen Rechtsverstoß zugeben mussten. Somit wird für diese Studie eine Substitutionsrate von 30 Prozent angenommen, ein Wert also, der sich in der Mitte des Spektrums zwischen 11 und 51 Prozent befindet. Der Musikbezug über die externen Festplatten, USB-Sticks und ähnlichen Speichermedien, bei dem erhebliche Mengen an Musik getauscht werden, ersetzt legale Musik in geringerem Maße, da hier in der Regel wenig selektiv vorgegangen wird. Für derart beschaffte Musikstücke setzen wir eine reduzierte Substitutionsrate von 10 Prozent an. 4.5 Schadensausmaß In der nachfolgenden Modellrechnung wird der wirtschaftliche Schaden, den die MusikPiraterie an der deutschen Musikwirtschaft verursacht, näherungsweise berechnet. Dabei werden, wie in Kapitel 2 beschrieben, mittels Piraterieumfang und Substitutionsrate zunächst die durch Piraterie entgangenen Musikkäufe errechnet. Anschließend werden diese mit den jeweiligen Durchschnittspreisen für die illegal erworbenen Güter multipliziert. Die Menge illegal beschaffter Musik ergibt sich aus der Summe nicht für den Eigenbedarf gebrannter Musik und illegaler Musikdownloads. Hinzu kommt die Anzahl der Musikstücke, die per externer Festplatte, USB-Stick, LAN-Verbindung und anderem mehr übertragen wurden (siehe Abbildung 15). Abbildung 15: Menge illegal beschaffter Musiktitel in Deutschland 2010 (in Mio.) 406 insg. 2.315 Mio. Tracks Herunterladen 783 Brennen 1126 Tausch per Festplatte (Schätzung) Quelle: Berechnungen House of Research auf Grundlage der GfK-Zahlen Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b Tabelle 3 stellt die Determinanten der Schadensberechnung dar. Multipliziert man die Anzahl entgangener Käufe mit dem Durchschnittspreis für Musiktitel, so beläuft sich der Gesamtschaden der Musikumsätze durch Piraterie auf 524 Mio. Euro, das entspricht 35 Prozent der Musikverkäufe im Jahr 2010 in Deutschland. Besonders zu beachten bei der Berechnung des Schadens auf Basis der Marktpreise ist, dass gerade im Musikbereich die Preise während der letzten drei Jahre sowohl absolut als auch insbesondere relativ zum Verbraucherpreisindex erheblich gesunken sind, was sich zum Teil erst durch das Angebot an kostenlosen illegalen 21 Musik Angeboten ergab (Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011a:18). Würde man einen früheren Preisindex heranziehen, läge der wirtschaftliche Schaden entsprechend höher. Tabelle 3: Berechnung des ökonomischen Schadens in der Musikindustrie für das Jahr 2010 Format Pirateriemenge (Stück) Substitutionsrate Absatzverlust (Stück) Durchschnittspreis Umsatz-verlust Anteil deutin Deutschland scher Produkgesamt tionen Umsatzverlust im Verkauf deutscher Musikprodukte Singletrack 185 Mio. 30% 56 Mio. 0,85 € 47 Mio. € 48,8% 23 Mio. € Albumtracks 598 Mio. 30% 179 Mio. 0,85 € 153 Mio. € 48,8% 75 Mio. € Albumtrack 1.126 Mio. 30% 338 Mio. 0,85 € 288 Mio. € 48,8% 141 Mio. € Zwischenergebnis 1.909 Mio. 30% 573 Mio. 489 Mio. 48,8% 239 Mio. 406 Mio. 10% 41 Mio. 35 Mio. € 48,8% 17 Mio. € 2.315 Mio. 26% 613 Mio. 524 Mio. 48,8% 256 Mio. Musik Download Gebrannte CDs/DVDs Musikbezug per Festplatte Singletrack Gesamt 0,85 € Quelle: House of Research; Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:48; Der Durchschnittspreis für Singles ist der gemittelte Wert aller verkauften digitalen und physischen Singles im Jahr 2010. Bei den Alben wird analog verfahren. Sämtliche Abs atzund Pirateriemengen werden überdies in Tracks (bzw. Musikstücken) angegeben, um die Zahlen vergleichbar zu machen. Bei einem Marktanteil deutscher Produkte auf dem deutschen Markt von durchschnittlich 48,8 Prozent ergibt sich ein Schaden für die deutsche Musikwirtschaft von 256 Mio. Euro im Jahr 2010. Nicht berücksichtigt sind hierbei die Kosten für die Ermittlung und Haftbarmachung der illegalen Anbieter, der Preisverfall infolge kostenloser Angebote oder sonstige Folgekosten. Ebenfalls in der Schadensanalyse nicht enthalten sind Bezug und Weitergabe per E-Mail, Bluetooth und anderer Formen der nicht massenhaften Musikübermittlung. Wie in Kapitel 4.1 gezeigt wurde, bleibt die rückläufige Entwicklung in der deutschen Musikindustrie nicht ohne Folgen für die Beschäftigung in dieser Branche. In den Jahren zwischen 1999 und 2010 ging diese laut Befragungen des BVMI um insgesamt 37,7 Prozentpunkte zurück. Der Schaden im Raum Berlin-Brandenburg wird auf der Grundlage des Anteils der berlinbrandenburgischen Wirtschaftsleistung an der gesamtdeutschen Musikwirtschaft berechnet. Letztlich ergibt sich der Umsatzverlust für Berlin-Brandenburg als Faktor aus dem Prozentsatz des berlinbrandenburgischen Umsatzanteils am gesamtdeutschen Umsatz und dem gesamtdeutschen Schaden durch Musik-Piraterie (Tabelle 4). Tabelle 4: Umsatzverlust in der Musikwirtschaft in Berlin-Brandenburg 2010 Umsatzverlust in Deutschland Anteil Berlin-Brandenburg am deutschen Markt Umsatzverlust in Berlin-Brandenburg 524 Mio. € 5% 26,2 Mio. € Quelle: House of Research. Der Marktanteil Berlin-Brandenburgs am deutschen Markt ergibt sich aus dem Verhältnis der Umsätze in Berlin-Brandenburg zu den Umsätzen in Deutschland in den Wirtschaftszweigen Vervielfältigung von bespielten Tonträgern, Tonstudios und Herstellung von Hörfunkbeiträgen sowie selbstständige Komponisten und Musikbearbeiter der amtlichen Statistik. Der Umsatzschaden der Musikwirtschaft in Berlin-Brandenburg beläuft sich diesem Modell zufolge auf gut 26 Mio. Euro. Betrachtet man nur die Umsätze aus berlinbrandenburgischen Musikproduktionen, beträgt der Schaden rund 13 Mio. Euro. 22 Film Allerdings sind nicht nur monetäre Verluste und negative Auswirkungen auf die Beschäftigung zu verzeichnen. So haben sich in der Musikwirtschaft auch die Produktionsbedingungen stark verändert. Der Aufbau junger neuer Künstler erfordert in der Anfangsphase Investitionen vor allem in Tourneen, CDs und Marketingaufwendungen. Diese Investitionen lassen sich immer weniger über eine erfolgreiche zweite und dritte Veröffentlichung refinanzieren, weil mit dem eventuellen Erfolg auch die illegalen Downloads zunehmen. In der Folge bleiben Investitionen in junge Talente immer häufiger aus, wodurch die Vielfalt deutscher Musikkunst zwangsläufig und in zunehmendem Maße verringert wird. „Vor allem für junge Musiker ist es schwierig bis unmöglich geworden, Partner zu finden, die in sie und ihre Karriere investieren. Ohne Investitionen werden Künstler aber in aller Regel nicht bekannt genug, um ihren Lebensunterhalt aus ihrer künstlerischen Arbeit zu bestreiten.“ Mark Chung, Verband unabhängiger Musikunternehmen e. V. Seit der Etablierung der MP3-Technologie Ende der Neunziger Jahre haben die Umsätze im deutschen Musikgeschäft um 43 Prozent abgenommen (Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011a:12). Die Zahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter in der Musikproduktion ist seit dem Jahr 1999 um 38 Prozent zurückgegangen (Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011a). Der Musikbestand von 37 Prozent aller Webaktiven besteht vollständig oder zu einem Großteil aus illegal kopierter Musik, nur 21 Prozent besitzen ausschließlich legal erworbene Musik. (Wöbken u. a. 2010:4). 2010 werden etwa 1,13 Mrd. Musikstücke illegal (keine „Privatkopien“) auf CDs/DVDs gebrannt und 783 Mio. Musikstücke illegal aus dem Internet heruntergeladen (Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:70). Der Umsatz aus Musikverkäufen, der durch die 20- bis 29-Jährigen und damit der Gruppe mit der größten Musikaffinität entstand, ist zwischen 1999 und 2008 auf fast ein Drittel geschrumpft. Die gleiche Gruppe zeigte 2010 die größte Downloadaktivität (Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:62). Nach dem IPRED-Gesetz in Schweden 2009, das die Haftbarmachung von illegalen Downloadern erleichterte, sank die gesamte schwedische Internetaktivität um 22,5 Prozent, im gleichen Zeitraum stiegen die legalen physischen Musikverkäufe um 26,5 Prozent und die legalen Downloads um 48,2 Prozent an (Adermon und Liang 2010:8). Der Wert der 2010 in Deutschland illegal beschafften Musik beträgt schätzungsweise 2 Mrd. Euro (House of Research). Der Umsatzschaden für die Musikwirtschaft durch Piraterie beträgt 2010 in Deutschland schätzungsweise 524 Mio. Euro (House of Research). 5. Film In diesem Teil geht es um die ökonomischen Effekte der Piraterie auf die Filmwirtschaft. Wie in Kapitel 4 werden dazu die relevanten Umsatz- und Beschäftigtenzahlen vorgestellt. Darauf folgt die Bemessung der illegal erworbenen Filmmengen. Nach der Auseinandersetzung mit der Debatte um den kausalen Zusammenhang zwischen Piraterie und Filmwirtschaft kann letzten Endes der ökonomische und arbeitsmarktstatistische Schaden abgeschätzt werden. 5.1 Wirtschaftliche Entwicklung Die Umsatzzahlen im Filmgeschäft setzen sich zusammen aus den Verkäufen von Kinokarten und dem Verkauf und Verleih von DVDs, VHS-Kassetten und Blu-Ray-Discs sowie dem digitalen Verwertungskanal Video-on-Demand (VoD). Der in Abbildung 16 dargestellte Verlauf der Umsatzentwicklung seit 2000 zeigt, dass die Filmindustrie – im Gegensatz zur Musikindustrie – nicht mit kontinuierlichen Umsatzverlusten kon23 Film frontiert ist. Im Vergleich der Jahre 2000 bis 2008 stiegen die Umsätze sogar leicht an. In den einzelnen Teilbranchen der Filmwirtschaft fallen allerdings Schwankungen auf. Abbildung 16: Umsätze aus Filmverkäufen in Deutschland zu Endverbraucherpreisen 3.000 117 2.500 22 193 219 VHS-Verkauf 1189 1258 1242 1313 1295 1053 713 8 119 242 Blu-Ray-Verkauf DVD-Verleih DVD-Verkauf 2006 2007 2008 920 2005 976 2004 795 2003 758 2002 814 2001 745 893 Kino 850 500 13 170 960 1.000 407 423 283 1 48 259 VoD 987 1.500 315 4 14 273 212 141 383 41 12 1322 327 273 1323 2.000 824 Umsatz in Mio. Euro 199 44 2009 2010 0 2000 Quelle: Bundesverband Audiovisuelle Medien (BVV Medien) 2011:15ff; Filmförderungsanstalt (FFA) 2011:5; House of Research Ab 2004 hat sich die 1998 eingeführte DVD gegenüber der VHS komplett durchgesetzt. In diesem Prozess fand nicht nur ein Wechsel des Mediums statt, sondern ein insgesamt starker Zuwachs des Videomarktes (183 % zwischen 2000 und 2004). Aktuell wird die Blu-Ray-Disc als neues Trägermedium auf dem Markt etabliert. Die Etablierung der 3D-Technologie im Kino sorgte 2009 wiederum für einen deutlichen Anstieg der Kinoumsätze, die allerdings im letzten Jahr wieder leicht zurückgingen. Trotzdem behält der Umsatz ein hohes Niveau und durchbricht damit den Abwärtstrend, der seit 2002 zu beobachten war. Seit dem Jahr 2009 ist zudem eine weitere Entwicklung zu beobachten: Mit dem legalen Online-Handel über Video-on-Demand-Plattformen wurden 2009 noch etwa 8 Mio. Euro, 2010 bereits 22 Mio. Euro umgesetzt. Dies geschah auch infolge der sinkenden Preise für legale Online-Filme, was zu einer Verdreifachung der Käuferzahl in nur einem Jahr beitrug (Bundesverband Audiovisuelle Medien (BVV Medien) 2011:15ff). „Je mehr einfach zugängliche und einfach bezahlbare legale Angebote es gäbe, desto weniger Piraterie würde es geben.“ Nadja Lichtenhahn, UFA Film & TV Produktion GmbH Die Filmindustrie ist ein sehr arbeitsteiliger Wirtschaftszweig mit verschiedenen angrenzenden oder nachgelagerten Branchen. Bei der Ermittlung der Beschäftigungsentwicklung ist es also notwendig, Schlüsselindikatoren festzulegen, die möglichst viel über die wirtschaftliche Situation der Filmbranche aussagen. Zu nennen sind hier vor allem die Filmproduktion, die Kinos sowie der Videoverleih (siehe: Abbildung 17). 24 Film Abbildung 17: Entwicklung der Beschäftigtenzahlen in der deutschen Filmwirtschaft 2003 bis 2008 Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter 45.000 39.321 39.445 39.399 4.130 3.722 3.485 39.648 40.333 40.838 3.360 3.188 2.916 8.329 8.116 Videotheken 40.000 35.000 30.000 11.034 9.546 8.788 8.173 Film- und Videofilmherstellung 25.000 20.000 15.000 10.000 Kinos 24.157 25.213 25.334 24.082 24.949 26.261 2003 2004 2005 2006 2007 2008 Gesamtmarkt-konforme Entwicklung 5.000 0 Quelle: Statistisches Bundesamt 2011; House of Research Wie die Grafik verdeutlicht haben sich die verschiedenen Teilbereiche der Filmwirtschaft zwischen 2003 und 2008 unterschiedlich entwickelt: Während die Film- und Videoherstellung mit einem Plus von gut 2.100 Stellen um 9 Prozent zunahm, nahmen die sozialversicherungspflichtig Beschäftigten in den Kinos um 26 Prozent (-2.900) und in den Videotheken sogar um 29 Prozent (-1.200) ab. Insgesamt nahm die Beschäftigung in der Filmwirtschaft um 4,8 Prozent ab. Wäre die Beschäftigung ab dem Jahr 2003 allerdings im gleichen Maße gestiegen, wie die Gesamtbeschäftigung in der Bundesrepublik (+3,9 %), so hätten 2008 nicht 40.290, sondern 43.677 Menschen im Kernbereich der Filmwirtschaft gearbeitet. Wie im vorangegangenen Kapitel muss allerdings auch hier darauf hingewiesen werden, dass diese Dokumentation der Beschäftigungsentwicklung nur eine begrenzte Aussagekraft hat - werden bei diesen Betrachtungen doch Veränderungen von Beschäftigungsverhältnissen nicht sichtbar. Wichtiger noch spiegeln diese Zahlen auch keine Verluste bei den Selbstständigen und Freiberuflern wider, die in der Filmbranche einen hohen Anteil ausmachen (auf diese wird noch gesondert in Kap. 5.5 eingegangen). Auch sind aus diesen Zahlen keine Verschiebungen von Vollzeit- zu Teilzeitstellen erkennbar. Deutlicher wird die Lage der Filmwirtschaft, wenn man die Umsätze der Kernbranchen betrachtet (siehe Abbildung 18). Umsätze in den drei Kernbranchen der Filmwirtschaft in Mio. € Abbildung 18: Umsätze der drei Kernbranchen der Filmwirtschaft in Deutschland 2000 und 2008 9.000 8.000 7.000 6.000 Videotheken 7.125 415 1.355 +12% Kinos -25% -10% 5.000 -3% 4.000 3.000 7.945 372 1.316 Film- und Videofilmherstellung BIP-konforme Entwicklung 5.355 2.000 3.668 1.000 0 2000 2008 Quelle: Statistisches Bundesamt; House of Research Die Umsätze aller drei wichtigen Filmwirtschaftszweige sind zwischen den Jahren 2000 und 2008 um ein Viertel zurückgegangen. Es liegt auf der Hand, dass auch die Beschäftigung davon 25 Film betroffen sein dürfte, wenn sich dies auch nicht in den Zahlen der versicherungspflichtig Beschäftigten niederschlägt und womöglich in veränderten Arbeitsverhältnissen seinen Ausdruck findet. 5.2 Piraterieumfang Analog zum Kapitel 4 wird im Folgenden die Filmpiraterie genauer beleuchtet – mit dem Ziel, die Verbreitung illegaler Filmkopien näherungsweise zu beziffern. Urheberrechtsverletzungen von Filmen über das Internet treten erst seit wenigen Jahren im großen Umfang auf. Grund hierfür ist die deutlich höhere Datenmenge, die für einen Film übertragen werden muss. Die Internetbandbreiten mussten zunächst eine gewisse Geschwindigkeit erreichen und die Flatrate zum Standardtarif werden, um den Download vom Zeit- und Kostenaufwand her attraktiv zu machen. Das Ausmaß der Filmpiraterie in Deutschland ist bislang nicht komplett überschaubar. Aus der GfK-Panelbefragung geht hervor, dass 2010 etwa 2 Mio. Personen illegal Filme im Internet heruntergeladen haben, 1,8 Mio. davon beziehen ihre Filme ausschließlich illegal und laden im Schnitt 30 Filme jährlich herunter, woraus sich eine Menge von 54 Mio. illegal heruntergeladener Filme im Jahr 2010 ergibt. Nur 33 Prozent aller Webaktiven8 besitzen ausschließlich legal erworbene, 58 Prozent besitzen teilweise, zu großen Teilen oder ausschließlich illegal erworbene Filme (Wöbken u. a. 2010:4). Laut einer Studie der Monitoring-Firma Opsec Security standen im Untersuchungszeitraum zwischen dem 01.10.2008 und dem 30.09.2009 40 Prozent aller aktuell laufenden Kinofilme im Internet zum illegalen Download zur Verfügung. Der Zeitpunkt, ab dem die illegale Kopie eines Filmes im Internet abrufbar war, lag im Schnitt bei sieben Tagen nach dem Kinostart. 30 Prozent der Filme waren bereits vor ihrem Kinostarts in den illegalen Tauschbörsen verfügbar (OpSec Security GmbH 2009). Das weitaus wichtigere Phänomen bezüglich der Filmpiraterie dürfte aber das illegale Streamen, also das kostenlose Ansehen von Filmen ohne Download sein. Nach Schließung der Seite Kino.to 2011, der bis dahin beliebtesten Plattform für illegale Film-Streams in Deutschland, sind die Nutzerzahlen der Seite movie2k.to in die Höhe geschnellt. Diese liegt im Dezember 2011 auf Platz 63 der meistbesuchten Internetseiten in Deutschland (Alexa.com: 08.12.2011). 24 Prozent der deutschen Gesamtbevölkerung halten das Ansehen von aktuellen Kinofilmen auf illegalen Streaming-Plattformen für rechtlich erlaubt (Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:11). 1,3 Mio. Personen nutzten 2010 laut der GfK-Befragung illegale StreamingPortale, wie bspw. Kino.to um Filme herunterzuladen oder anzusehen. Geht man davon aus, dass Personen, die Streaming-Portale nutzen, ebenso viele Filme online schauen, wie die Personen, die Filme illegal herunterladen, so sind pro Nutzer 30 Filme jährlich und eine Gesamtzahl von 39 Mio. gestreamten Filmen anzunehmen. Das dies eher konservativ geschätzt ist, lässt sich auch aus der Begründung eines der Kino.to-Urteile ableiten, das sich wiederum auf Sachverständigengutachten stützt. Danach seien allein im Zeitraum vom 01. September 2010 bis 08. Juni 2011 „neu freigeschaltete Links zu Raubkopien von Filmwerken (…) mindestens 1.748.168.454 mal“ nachweislich angeklickt worden – dies entspricht gut 6,2 Mio. Klicks pro 8 Zur Definition vgl. Fußnote 5, S. 9. 26 Film Tag. Wie viele dieser Klicks dann zu einem kompletten gestreamten Film führten oder vorzeitig beendet wurden, ist allerdings unbekannt (Justiz in Sachsen, 2011). Auch das Ausmaß an von Person zu Person weitergegebener Filme via Festplattentausch ist nicht eindeutig zu beziffern. Die Zahl derer, die Medieninhalte per Festplatte tauschen beträgt 10,83 Mio. (Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:11). Wir gehen hier, ähnlich wie im Musikbereich davon aus, dass mindestens ein Viertel derer, die generell Medieninhalte (Musik, Software, Filme etc.) per externer Festplatte oder anderweitig direkt von anderen Personen beziehen, Filme auf der eigenen Festplatte abspeichern. Laut GfK-Befragungen hat jeder Dritte, der Filme auf seiner Festplatte gespeichert hat, diese von einem Computer, USB- oder Memorystick einer anderen Person. Die Annahme von zehn Filmen pro Person und Jahr erscheint als Untergrenze realistisch. Die Zahl derart weitergegebener Filme beliefe sich unter diesen Annahmen auf geschätzte 27 Mio. Bezüglich der Reichweite von mit Filmen bebrannten DVD-Rohlingen gibt es hingegen deutliche Befunde. Abbildung 19 zeigt das Ausmaß der Brenneraktivität sowie die Mengen illegal heruntergeladener, gestreamter oder direkt von anderen Personen bezogener Filme im Jahr 2010. Abbildung 19: Menge illegal heruntergeladener oder illegal genutzter Filme 2010 Gesamt 185 Brennen 65 Herunterladen 54 Streamen (Schätzung) 39 Festplattentausch (Schätzung) 27 0 50 100 150 200 Menge illegal genutzter oder erworbener Filme in Mio. Stück Quelle: Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:10ff Somit beläuft sich die Menge an illegal genutzten oder gespeicherten Filmen auf mindestens 185 Mio. im Jahr 2010. Perspektivisch wären für eine detailliertere Erforschung der Piraterie im Filmbereich die Ermittlung von Nutzerzahlen im Bereich des Film-Streamens sowie zu per Festplattentausch weitergegebener Filme unabdingbar 5.3 Effekte digitaler Piraterie auf die ökonomische Entwicklung Wie sich der illegale Bezug von Filminhalten – dessen Umfang im vorangegangenen Kapitel umrissen wurde – in ökonomischer Hinsicht auf die Filmindustrie auswirkt, wird im Folgenden anhand von Forschungsarbeiten zu diesem Thema diskutiert. Ein niederländisches Forschungsteam um Annelies Huygen führte eine repräsentative Onlinestudie unter 1500 Niederländern ab 15 Jahren mit Internet-Anschluss durch, um das Kaufverhalten von „Filesharern“ zu untersuchen. Zu diesen sind nach der genannten Studie jene 44 27 Film Prozent der Online-Bevölkerung zu zählen, die in den letzten 12 Monaten Online-Medien heruntergeladen haben (Huygen u. a. 2009:63ff) 9. Das Ergebnis der Befragung: Filesharer kaufen pro Jahr deutlich mehr DVDs als die Kontrollgruppe (12 vs. 7). Allerdings wurde auch in dieser Studie nicht die jeweilige Affinität kontrolliert. Menschen, für die Filme im Leben eine besonders hohe Wichtigkeit besitzt – was insbesondere in der Adoleszenzphase und im frühen Erwachsenenalter oft der Fall ist – geben tendenziell mehr Geld für Filme aus. Aus demselben Motiv beschaffen sie sich aber auch öfter Filme illegal, z. B. noch nicht angelaufene Kinofilme. Ohne die Möglichkeit, sich diese Filme kostenlos illegal beschaffen zu können, würde diese Gruppe mit Sicherheit mehr Geld für Filme ausgeben. Ein Sampling-Effekt – das hieße, die Filme würden zusätzlich gekauft, obwohl man sie schon als illegale Kopie besitzt – tritt allenfalls marginal auf und kann den negativen, kaufersetzenden Effekt bei Weitem nicht kompensieren. Eine 2006 veröffentlichte Studie der Autoren Bounie, Bourreau und Waelbroeck beschäftigte sich mit der Filmpiraterie unter Mitgliedern einer französischen Universität. Dabei wurden Studenten sowie Angestellte und Professoren nach Ihrem Kaufverhalten und Konsum von illegalen Kopien befragt. Die Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass der Konsum von illegalen Kopien nur einen geringen negativen Effekt auf die Kinobesuche, allerdings einen sehr starken Einfluss auf das Kaufen und Ausleihen von Videos hat (Bounie, Bourreau, und Waelbroeck 2006:27f.). Piraterie führe bei manchen dazu, dass sie gar keine Filme mehr kaufen würden, dies sei vor allem bei denen der Fall, die ohnehin wenig Videos im Jahr kaufen. Diejenigen, die aber noch Filme kaufen, würden nach wie vor etwa gleich viele pro Jahr kaufen, dies träfe vor allem auf Vielseher zu, die illegal bezogene Filme lediglich zusätzlich zu den legal gekauften Filmen konsumieren würden. Die Autoren Vany und Walls haben untersucht, wie viele illegale Angebote eines exemplarischen Hollywoodfilms im Internet gleichzeitig zur Kinoverwertung existieren und welchen Einfluss deren Anzahl auf die Kinoeinnahmen hat. Das Ergebnis der ökonometrischen Analysen war ein eindeutig negativer Effekt der illegalen Downloads auf die Kinoeinnahmen, der mit insgesamt 41,7 Millionen Dollar Verlust beziffert wurde (Vany und Walls 2007:300). Zusammenfassend kann davon ausgegangen werden, dass sich ein größerer legaler Filmkonsum von Filesharing-Nutzern nicht auf deren illegale Aktivitäten zurückführen lässt, sondern auf deren erhöhter Affinität zum Medium Film, etwa aufgrund ihres Alters. In der Bilanz der Debatte ist von einem überwiegend negativen Einfluss der digitalen Piraterie auf Filmumsätze auszugehen. 5.4 Substitutionsrate Rob und Waldfogel, die Autoren der bereits in Kapitel 4.4 thematisierten Studie zum Einfluss der Piraterie auf die Musikindustrie, führten ein Jahr danach eine ähnliche Arbeit zum Einfluss auf die Umsätze der US-amerikanischen Filmwirtschaft durch (Rob und Waldfogel 2007). Bei der Studie wurden Studenten der Universität von Pennsylvania gefragt, auf welche Art und Weise (legal oder illegal) sie in den letzten vier Jahren Filme bezogen haben. Um Scheinkorre- 9 Dieselben Studienergebnisse wurden erneut von van Eijk et al. im Jahr 2010 veröffentlicht. 28 Film lationen in der Studie auszuschließen, wurden Kontrollvariablen wie Einkommen, Alter, Filmaffinität oder die Geschwindigkeit des Internetanschlusses erhoben. Die Studie ergab, dass der Konsum illegaler Kopien in der untersuchten Stichprobe ein Randphänomen war. Nur 5,2 Prozent der Nutzungen waren illegal (3,1 % gebrannt, 2,1 % heruntergeladen). Allerdings haben diese illegalen Nutzungen die legalen Nutzungen um 3,5 Prozent reduziert. Setzt man die Reduktion von 3,5 Prozent zu den 5,2 Prozent illegaler Nutzungen in Beziehung, so ergibt sich eine Substitutionsrate von ca. 67 Prozent. Bei der Bewertung dieser Studie muss bedacht werden, dass die gewählte Stichprobe aus 500 Studenten bestand; sie ist also nicht repräsentativ für die allgemeine Bevölkerung. In der repräsentativen Längsschnittstudie „Consumer File Sharing of Motion Pictures“ von Hennig-Thurau, Henning und Sattler von der Universität Weimar wurde das Nutzungsverhalten von 1.075 Filmnutzern in drei aufeinanderfolgenden Onlinebefragungen erfasst (HennigThurau, Henning, und Sattler 2007). In jeder der drei Befragungen wurde erfasst, ob die Absicht besteht, sich bestimmte Filme anzusehen und in welcher Form eine Rezeption geplant ist. Auf der Grundlage der erhobenen Daten konnten die Autoren spezifische Substitutionsraten für die Kino- und DVD-Verkäufe sowie für den DVD-Verleih nennen. Die Substitutionsrate für Filme im Kino liegt nach den Erkenntnissen der Studie bei 12,6 Prozent, für DVD-Verkäufe bei 10,5 Prozent und für den DVD-Verleih bei 14 Prozent. Die Ergebnisse von Hennig-Thurau et al. sind für die vorliegende Untersuchung zum Urheberrechtsschaden besonders relevant, da hier ein für die deutsche Bevölkerung repräsentativer Ansatz gewählt wurde. Die Ausweisung der Substitutionsraten auf mehreren Stufen der Filmwertschöpfungskette bietet zudem die Möglichkeit, die Berechnung des wirtschaftlichen Schadens für die verschiedenen Zweige der Filmindustrie differenziert vorzunehmen. Die TERA-Studie „Aufbau einer digitalen Wirtschaft“ (TERA Consultants 2010) wertet die Ergebnisse einer Befragung von IPSOS, die 2007 in Großbritannien durchgeführt wurde aus (IPSOS MediaCT 2007:17). Auf Basis der von den Befragten angegebenen legalen Nutzungsalternativen („Wenn sie den Film nicht illegal geschaut hätten, wie dann?“) berechnete TERA verschiedene Substitutionsraten für digitale und physische Piraterieformen. Tabelle 5: Substitutionsraten der Filmpiraterie nach TERA Consultants TERA-Studie 2010 Digitale Piraterie Kino 5% DVD-Verkauf 10 % DVD-Verleih 0% VoD/legaler Download 10 % Quelle: TERA Consultants 2010:28; IPSOS MediaCT 2007:17; eigene Darstellung Physische Piraterie 10 % 5% 5% 10 % Wie auch die Autoren der TERA-Studie selbst anmerken, handelt es sich bei erhobenen Nutzungsalternativen um reine Absichtserklärungen der Befragten, die ein hohes Maß an Ungenauigkeit mit sich bringen. Die Substitutionsraten wurden deshalb nach Angaben der Autoren vermutlich deutlich zu niedrig geschätzt. Die vorgestellten Studien weisen aufgrund verschiedener Erhebungsmethoden und Stichproben unterschiedliche Substitutionsraten aus. In Tabelle 6 werden die Arbeiten noch einmal zusammenfassend gegenübergestellt. 29 Film Tabelle 6: Übersicht Film-Substitutionsraten Studie Substitutionsrate Rob & Waldfogel (2007) 67 % Hennig-Thurau et al. (2007) 12,6 % für Kinobesuche 10,5 % für DVD-Verkäufe 14 % für DVD-Verleih TERA-Consultants (2010) 5 % für Kinobesuche 10 % für DVD-Verkäufe 0 % für DVD-Verleih 10 % für Video-on-Demand Es wurde bereits angemerkt, dass sowohl die Studie von Rob/Waldfogel als auch die Berechnungsgrundlage von TERA-Consultants Defizite aufweisen. Erstere kann nicht als repräsentativ gewertet werden und kommt auf einen sehr hohen Wert für die Substitutionsrate, der nicht in Einklang mit den Erkenntnissen anderer Forschungsarbeiten steht. TERA hingegen setzt die Rate sehr niedrig an und bezieht sich auf Daten, die aus Absichtserklärungen der Befragten resultiert. Im Gegensatz dazu wurde in der Studie von Hennig-Thurau et al. eine Panelbefragung eingesetzt, bei der nicht nur eine beabsichtigte zukünftige Nutzung, sondern ex post auch das manifeste Filmnutzungsverhalten erhoben wurde, wodurch sich eine höhere Validität der Ergebnisse ergibt. Aber auch die Tatsache, dass sich diese Studie auf den deutschen Markt bezieht, macht sie zur bestmöglichen Grundlage zur Bestimmung des wirtschaftlichen Schadens der Filmindustrie in Deutschland. Damit ersetzen piratisierte Filme einen Kinobesuch mit einer 12,6-prozentigen, DVD-Käufe mit einer 10,5-prozentigen und das Leihen einer DVD mit einer 14-prozentigen Wahrscheinlichkeit. Gestützt werden diese Schätzungen auch durch eine Analyse der GVU. Danach sind die Verleihvorgänge in deutschen Videotheken laut des Media Control Index in der Woche nach der Schließung von Kino.to am 8. Juni 2011 um 29 Prozent gegenüber dem Vorjahreszeitraum angestiegen. Anfang Juli 2011 gab es sogar einen Anstieg um 41 Prozent, um dann mit dem Aufkommen neuer illegaler Anbieter, die an die Stelle von Kino.to getreten sind, wieder dauerhaft ins Minus zu drehen (GVU, 2012: 19). 5.5 Schadensausmaß Anhand der zusammengetragenen Informationen zum Umfang der Piraterie im Filmbereich sowie der Substitutionsverhältnisse wird nun eine Quantifizierung des wirtschaftlichen Schadens vorgenommen. Ausgangspunkt hierfür ist die Anzahl an Filmen, die illegal bezogen werden. Diese ergibt sich aus der Summe der nicht für den Eigenbedarf gebrannten CDs/DVDs, der illegalen FilmDownloads, der über Streaming-Portale illegal abgespeicherten Filme und der als illegale Streams angesehenen Filme und Filmdateien, die via Festplattentausch weitergegeben wurden. Insgesamt wurden 2010 185 Mio. Filme illegal angesehen oder kopiert (vgl. Kapitel 5.2, Abbildung 19). Beim Einsatz der Substitutionsrate ist nun zu berücksichtigen, dass Hennig-Thurau et al. unterschiedliche Substitutionsraten für die verschiedenen Vermarktungswege ermittelt haben. So ersetzt ein illegal bezogener oder geschauter Film häufiger das Ausleihen einer DVD 30 Film als den Kauf einer Kinokarte. Da Daten über die illegalen Nutzung allerdings nichts darüber aussagen, welche Form der Filmnutzung substituiert wird – ob also beispielsweise jemand, der einen Film auf Kino.to ansieht, stattdessen eher ins Kino gegangen wäre, oder DVD gekauft hätte –, wird die Gesamtzahl illegaler Nutzungen entsprechend der Marktanteile der verschiedenen Filmformate aufgeteilt. Hierzu wird die Gesamtmenge illegaler Käufe oder Nutzungen von 185 Mio. Filmen mit den jeweiligen Marktanteilen (Kinoumsätze, Umsätze aus DVDVerleih, Umsätze aus DVD-Verkauf) multipliziert. Tabelle 7 zeigt die Absatz- und Umsatzverluste nach Gewichtung der Absatzanteile für die verschiedenen Formen des Filmverkaufs. Tabelle 7: Piraterie, Absatzverlust und Schaden der deutschen Filmwirtschaft in Deutschland 2010 Format Absatzanteil der Filmvertriebswege Illegale Kopien (Stück) Substitutionsrate Absatzverlust in Filmen Durchschnittspreis Kino 39 % 73 Mio. 13 % 9 Mio. DVD32 % 59 Mio. 11 % 6 Mio. Verkauf DVD29 % 53 Mio. 14 % 7 Mio. Verleih Gesamt 100 % 185 Mio. 23 Mio. Quelle: House of Research. Preisangaben in Endverbraucherpreisen 7,27 € UmsatzAnteil deut- Umsatzverlust verlust in scher Produk- der deutschen Deutschl. tionen Filmprodukgesamt tion 67 Mio. € 27,4 % 18 Mio. € 11,51 € 72 Mio. € 27,4 % 20 Mio. € 2,38 € 18 Mio. € 27,4 % 5 Mio. € 156 Mio. € 43 Mio. € Der in Deutschland im Jahr 2010 durch Film-Piraterie entstandene wirtschaftliche Schaden für Kino, DVD-Verkauf und DVD-Verleih beträgt demnach ca. 156 Mio. Euro. Dies entspricht 6 Prozent der Umsätze in 2010. Anhand des Marktanteils deutscher Filme im eigenen Land lässt sich zusätzlich errechnen, wie hoch die Verluste speziell für die deutsche Filmproduktion sind. Der Verband Spitzenorganisation der Filmwirtschaft (SPIO) gibt für den deutschen Film einen Marktanteil von 27,4 Prozent am deutschen Markt im Jahr 2009 an (Spitzenorganisation der Filmwirtschaft 2011:95). Daraus ergibt sich ein Gesamtschaden für die inländische Filmproduktion von 43,2 Mio. Euro im Jahr 2010. Bei der Betrachtung dieser Ergebnisse ist allerdings zu berücksichtigen, dass unter anderem das noch wenig erforschte Phänomen des illegalen Film-Streamings möglicherweise folgenschwerer ist, als hier angenommen wurde (siehe Kapitel 5.1). Auch kann vermutet werden, dass gerade Streaming-Portale wie Kino.to und deren Nachfolger (vgl. Abbildung 4) zu einer hohen Substitution von Kinobesuchen führen, da die Filme hier zeitnah zum Kinostart oder sogar davor angeboten werden. Der Schaden für die Filmwirtschaft in Berlin-Brandenburg ergibt sich aus dem Faktor des Schadens der deutschen Produzenten und dem Marktanteil der berlinbrandenburgischen Filmproduktion. 31 Games Tabelle 8: Umsatzverluste der Filmwirtschaft durch Piraterie in Berlin-Brandenburg 2010 Umsatzverlust in Deutschland Anteil Berlin-Brandenburg am deutschen Markt Umsatzverlust in Berlin-Brandenburg 156 Mio. € 14 % 22,5 Mio. € Quelle: House of Research. Der Marktanteil Berlin-Brandenburgs am deutschen Markt ergibt sich aus dem Verhältnis der Umsätze in Berlin-Brandenburg zu den Umsätzen in Deutschland in den Wirtschaftszweigen Film- und Videofilmherstellung, Filmverleihund Videoprogrammanbieter/Vertrieb, Kinos, Videotheken der amtlichen Statistik. Bei einem Anteil von 14 Prozent der berlinbrandenburgischen an der gesamtdeutschen Filmwirtschaft beträgt, so die Annahme, auch der Umsatzschaden in Berlin-Brandenburg 14 Prozent des gesamtdeutschen Piraterieschadens und somit etwa 22,5 Mio. Euro. Auch für die deutsche Filmwirtschaft gilt, dass Absatzschwierigkeiten infolge von Filmpiraterie nicht folgenlos für die Art und Weise der Beschäftigung sowie für die Qualität und Vielfalt der produzierten Filme bleiben können. Der monetäre ökonomische Schaden bildet also nur einen Teil des Problems ab. Die illegale Filmplattform Movie2k liegt auf Platz 63 der meistbesuchten Internetseiten in Deutschland (Alexa.com: 08.12.2011). Nur 33 Prozent aller Webaktiven besitzen ausschließlich legal erworbene Filme. 58 Prozent besitzen teilweise, zu großen Teilen oder ausschließlich illegal erworbene Filme (Wöbken u. a. 2010:4). 24 Prozent der Bevölkerung halten das Ansehen von aktuellen Kinofilmen auf illegalen Streaming-Plattformen für legal (Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:11). Die Umsätze der deutschen Kinos und Videotheken haben zwischen 2003 und 2008 um 27 Prozent abgenommen (Statistisches Bundesamt). 2 Mio. Personen laden durchschnittlich 30 Filme jährlich herunter. 1,8 Mio. Personen davon laden ihre Filme ausschließlich illegal herunter (Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:10ff). Im Schnitt liegen Filme sieben Tage nach ihrem Kinostart zum illegalen Download bereit. 30 Prozent der Filme sind einer Studie zufolge bereits vor ihrem Kinostart in den illegalen Tauschbörsen verfügbar. (OpSec Security GmbH 2009). Der Wert, der 2010 in Deutschland illegal beschafften Filme beträgt schätzungsweise 1,3 Mrd. Euro (House of Research). Der Umsatzschaden für die Filmwirtschaft durch Piraterie beträgt 2010 in Deutschland schätzungsweise 156 Mio. Euro (House of Research). 6. Games Im folgenden Kapitel werden die Auswirkungen der digitalen Urheberrechtsverletzungen auf die Games-Wirtschaft analysiert. Analog zu den Kapiteln 4 und 5 findet eine Auseinandersetzung mit dem aktuellen Forschungsstand statt. Aufgrund der mangelhaften Datenlage kann eine Schadensberechnung, wie in den Kapiteln über Musik und Film für die Games-Branche jedoch nicht erfolgen. 6.1 Wirtschaftliche Entwicklung Mit der Verbreitung von Computerspielen für PCs, Konsolen TV-Geräte oder sog. Handhelds (z. B. dem Gameboy oder der 2005 erschienenen mobilen Spielekonsole DS von Nintendo) sowie durch ein immer breiteres Angebot an Spielen für verschiedene Zielgruppen, hat auch der Anteil der Personen zugenommen, die diese Spiele nutzen. Am weitesten verbreitet sind aktuell die PC-Games, die von 17,2 Mio. Personen in Deutschland genutzt werden. Die zweit32 Games größte Gruppe bilden die Spieler von Konsolen mit 9,2 Mio. Personen. Mobile Konsolen werden von 6,7 Mio. Deutschen genutzt. Abbildung 20: Gamer nach Spieleplattformen in Deutschland 2010 PC 17,2 Konsole 9,2 Handheld 6,7 0 2 4 6 8 10 Gamer in Mio. 12 14 16 18 20 Quelle: Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e.V. 2011, 3 Computerspiele werden sowohl zum physischen Kauf auf CD-ROM (Boxed Games) als auch zum digitalen und kostenpflichtigen Download angeboten (Online Distribution). Zu den sog. Boxed Games werden zum Teil Erweiterungen über downloadable Content (DLC) angeboten – zum Teil besteht diese in Multiplayer-Online Spielmöglichkeiten. Massively Multiplayer Online Games werden hingegen auch als Abo (also gegen eine feste monatliche Gebühr) angeboten. Neben diesen kostenpflichtigen Spielen gibt es zahlreiche Free-to-play-Angebote. Der Großteil der Browsergames funktioniert nach dem Modell, bei dem die Umsätze nicht über Softwareverkauf, sondern über Itemselling (den Verkauf virtueller Güter wie z.B. Waffen oder andere Hilfsmittel sowie diverse Zusatzinhalte) oder Werbung (Bannerwerbung, In-GameAdvertisement etc.) generiert werden (Medienboard Berlin-Brandenburg GmbH 2008:6). Der Gamesmarkt erfuhr in den Jahren zwischen 2000 und 2008 ein außergewöhnliches Wachstum von durchschnittlich etwa 7 Prozent, womit er sich deutlich besser entwickelt hat als das Bruttoinlandprodukt (BIP). Im Zuge der Wirtschaftskrise sind die Umsatzzahlen jedoch nach 2008 leicht zurückgegangen und lagen 2010 bei 1,557 Mrd. Euro (vgl. Abbildung 21). Abbildung 21: Umsätze mit Computer- und Videospielen in Deutschland 2000 bis 2010 2.000 Umsatz in Mio. 1.394 1.591 1.563 1.557 500 1.160 1.000 874 Umsatz in Mio. Euro 1.500 2000 2006 2007 2008 2009 2010 BIP-konforme Entwicklung 0 Basis: Downloads und physische Datenträger in Endverbraucherpreisen inkl. MwSt. Quellen: Bundesverband Audiovisuelle Medien (BVV Medien) 2011, 6; Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e.V. (BIU) 2011a, 3 Ein Vergleich der unterschiedlichen Umsatzentwicklungen einzelner Spieleplattformen, dargestellt in Abbildung 22, zeigt, dass der Aufschwung der letzten Jahre auf den gestiegenen Verkauf der Konsolenspiele zurückzuführen ist. 33 Games Abbildung 22: Games-Umsätze nach Spieleplattform in Deutschland 2006 bis 2010 2000 Umsatz in Mio Euro 1500 1394 1591 1563 2008 2009 Konsolen 1557 1160 1000 500 0 2006 Gesamtumsatz 2007 PC Games 2010 Handheld Quelle: Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e.V. (BIU) 2011:7 Auffällig ist die Tatsache, dass gerade die Umsätze derjenigen Plattformen zurückgingen, die ‚anfälliger’ für Piraterie sind. Es erscheint plausibel, dass die Publisher ihre Inhalte zunehmend als Konsolen-Spiele vermarkten, da dieser Vertriebsweg bessere Möglichkeiten bietet, die Inhalte vor illegalen Zugriffen zu schützen. Während die offene PC-Plattform viele Möglichkeiten bietet, die Kopierschutzmechanismen der Spiele auszuhebeln, liegt die Hürde nämlich bei Konsolenspielen deutlich höher. Hier ist die Umgehung des Kopierschutzes meist nur mithilfe von Manipulationen der Hardware zu bewerkstelligen. Im Folgenden soll ergänzend zu den Umsätzen ein Blick auf die Beschäftigungsentwicklung im Games-Sektor geworfen werden. Hierbei wird unterschieden zwischen Beschäftigten aus dem Bereich Entwicklung und Herstellung (Developer) und jenen aus dem Bereich Vertrieb und Marketing (Publisher). Diese beiden Sektoren sollen hier als Schlüsselindikator herangezogen werden – wobei nicht vernachlässigt werden sollte, dass die Games-Branche mittlerweile enorm arbeitsteilig geworden ist und natürlich mit einer Reihe weiterer Branchen der technischen oder beraterischen Dienstleistung verknüpft ist (Medienboard Berlin-Brandenburg GmbH 2008:6). Abbildung 23: Entwicklung der Beschäftigtenzahlen in der deutschen Games-Wirtschaft 2007 bis 2009 4.000 Anzahl sozialversicherungspflichtig Beschäftigter 3.500 3822 3198 3.198 3.000 3.233 3.067 2673 2.548 2.500 2.000 Developer (Schätzung) 2.132 Publisher 1.782 1.500 1.000 500 1.066 891 1.274 Gesamtmarktkonforme Entwicklung 0 2007 2008 2009 Quelle: Statistisches Bundesamt 2011, Schätzung House of Research. Anmerkung zur Schätzung der Developer: Das Statistische Bundesamt veröffentlicht keine Beschäftigtenzahlen im Wirtschaftszweig der Games-Entwicklung. Die hier dargestellten Beschäftigtenzahlen wurden auf Grundlage von Schätzungen des BIU berechnet, der von einem Verhältnis der Publisher-Unternehmen zu den Developer-Unternehmen von 50:100 im Jahr 2007 ausgeht. Dementsprechend wurden die Developer hier mit der doppelten Anzahl der Publisher beziffert (Medienboard Berlin-Brandenburg GmbH 2008:23). In Abbildung 23 werden die Beschäftigtenzahlen für die Games-Wirtschaft in den Jahren zwischen 2007 und 2009 dargestellt. Die Games-Branche reagierte demnach sehr direkt auf die ersten Zeichen der Wirtschaftskrise im Spätsommer 2008, konnte aber bereits 2009, dem Jahr, 34 Games in dem die meisten Medienbranchen die größten krisenbedingten Rückgänge verzeichneten, die Mitarbeiterzahl von 2007 deutlich übertreffen. Die dargestellte Entwicklung beruht auf Zahlen der amtlichen Statistik (Publisher) bzw. einer Ableitung daraus (Developer). Nach inoffiziellen Schätzungen von Branchenverbänden liegen diese Zahlen jedoch deutlich höher und liegen allein bei den Publishern bei bis zu 12.000 bis 15.000 Beschäftigten10. Die Differenz zu den amtlichen Zahlen erklären sich zum größten Teil durch die freien Beschäftigungsverhältnisse, die in dieser Branche weitverbreitet sind. 6.2 Piraterieumfang Wie bereits erwähnt, gibt es kaum Studien, die sich speziell mit Piraterie im Games-Bereich und den genauen Zahlen illegal beschaffter Spiele befassen. Einer der Gründe liegt sicher darin, dass digitale Spiele lange Zeit nicht in demselben Maße die breite Bevölkerung angesprochen haben, wie es Musik- oder Filmprodukte tun. Im Folgenden sollen einige Studien vorgestellt werden, die zumindest Hinweise auf das Ausmaß der Urheberrechtsverletzungen bieten. Der GfK-Panelbefragung zufolge ist die Zahl der mit PC- und Konsolenspielen bebrannten DVDs und CDs von 44,1 Mio. im Jahr 2005 auf 12,7 Mio. im Jahr 2010 kontinuierlich gesunken (siehe Abbildung 24). Abbildung 24: Entwicklung der Anzahl mit Games bebrannter CDs und DVDs in Deutschland zwischen 2005 und 2010 Anzahl mit Games bebrannter CDs und DVDs in Mio. Stück 50 40 30 20 44 31 21 10 20 17 13 0 2005 2006 2007 2008 2009 2010 Quelle: Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b, 23 Im Jahr 2010 luden zudem 3,6 Mio. Personen PC-Games und Konsolenspiele aus dem Internet herunter oder nutzten diese online, wobei die GfK hier nicht zwischen legal und illegal unterscheidet. Dem Institut für Strategieentwicklung zufolge ist 2010 der Bestand an Games bei 26 Prozent der Webaktiven teilweise, zu einem großen Teil oder vollständig illegal beschafft worden (Wöbken u. a. 2010:4). Was die konkrete Anzahl illegaler Downloads angeht, konnten keine überprüfbaren Quellen gefunden werden. Fest steht aber, dass sie einen bedeutenden Anteil der heruntergeladenen Daten ausmachen, schließlich gehören gerade die Gamer zu den computer- und internetaffinen Bevölkerungsgruppen und zeigen diesbezüglich besondere Kompetenzen. Diese sind vor allem dann erforderlich, wenn Nutzerlizenzen zu ‚knacken’ oder 10 G.A.M.E. Bundesverband der Entwickler von Computerspielen e.V. 35 Games zu fälschen sind. Zu derartigen Aktivitäten existieren bislang allerdings keine validen Zahlen, was weitere Studien notwendig macht. Um Raubkopien einzudämmen, greifen die Produzenten von Games (und auch anderer Medien) auf verschiedene Strategien zurück: Neben Kopierschutzmaßnahmen und Zusatzprogrammen, die die Legalität der betreffenden Software prüfen werden häufig Unternehmen hinzugezogen, die sich auf das „Tracken“ der Seiten von Filehostern spezialisiert haben. Mit spezieller Software spüren sie URLs auf, die zu den illegal platzierten Inhalten auf der Website des Filehosters führen. Daraufhin mahnen sie die Betreiber ab, diesen speziellen Inhalt von der Seite zu entfernen. Betreiber tun dies zwar in der Regel mehr oder weniger schnell, doch tauchen gleichzeitig immer wieder neue URLs mit demselben Inhalt auf. Wie das in der Praxis funktioniert, kann am Beispiel des PC-Rollenspiels „Dungeon Siege 3“ verdeutlicht werden, das am 17. Juni 2011 veröffentlicht wurde. Der deutsche Trackingdienstleister File Defense Service untersuchte ab einer Woche vor Veröffentlichung des Games insgesamt 45 Filehoster für einen Zeitraum von sechs Wochen von der Kalenderwoche 23 bis 28 des Jahres 2011 und entdeckte dabei insgesamt rund 44.000 URLs, die zu illegalen Kopien dieses Produktes führten. Da die Filehoster i. d. R. die Inhalte in Pakete zu je ca. 100 MB aufteilen und das Spiel knapp 4 GB groß ist, verbergen sich hinter den 44.000 Adressen also ca. 1.100 komplette Kopien des Spiels. Die Aufteilung hat unter anderem den Vorteil, dass bei Übertragungsfehlern nur das defekte Paket nachgeladen werden muss. Außerdem bietet das partitionierte Angebot verschiedene Möglichkeiten, kostenpflichtige (illegale) Downloads attraktiver erscheinen zu lassen – beispielsweise indem bei kostenfreien Angeboten die Anzahl der Downloads pro Tag beschränkt wird oder indem Zwangspausen zwischen dem Herunterladen mehrerer Pakete eingefügt werden. So wird der Druck auf die Nutzer erhöht, einen kostenpflichtigen PremiumAccount zu bestellen. Wie Fehler! Ungültiger Eigenverweis auf Textmarke. zeigt, tauchten bereits eine Woche vor der Veröffentlichung 320 Kopien des Games auf, in der Veröffentlichungswoche selbst waren es dann nochmals knapp 228 Kopien. Die wöchentlich abnehmende Zahl illegaler Kopien ist durch die Aktivität des Tracking Dienstes begründet, der alle Fundstellen sofort bei den Filehostern abmahnte. Dennoch tauchen jede Woche neue Kopien auf. Tabelle 9: Auf Filehostern aufgespürte illegale Kopien des Games „Dungeon Siege PC 3“ Kalenderwoche 2011 URLs 23 12.793 24 (Veröffentlichungswoche) 9.111 25 7.907 26 3.145 27 5.370 28 5.684 Summe 44.010 Quelle: House of Research, Auswertung der Rohdaten von File Defense Service Anzahl Kopien 320 228 198 79 134 142 1.100 In dem hier untersuchten Zeitraum von sechs Wochen wurden insgesamt 1.100 illegale Kopien aufgespürt. Die Anzahl der im Umlauf befindlichen illegalen Kopien und die Geschwindigkeit, mit der diese immer wieder hochgeladen werden, vermittelt einen ersten Eindruck vom Ausmaß der Piraterie. Allerdings sagt es noch nichts darüber aus, wie oft die einzelnen Kopien heruntergeladen werden. 36 Games Die Verbreitung der illegalen Kopien erfolgt im Wesentlichen über Linksammlungen und über Foren, in der Regel solche, die sich thematisch mit dem Spiel oder mit Games im Allgemeinen befassen. Eine der Linksammlungen ist Gwarez, auf der nach eigenen Angaben knapp 6.000 Games mit übersichtlicher Oberfläche verfügbar gemacht werden. Auch das Spiel Dungeon Siege PC 3 befindet sich darunter. Nach dessen Download-Zähler wurde dieses Game allein über Gwarez bis Kalenderwoche 40/2011, also 18 Wochen nach Veröffentlichung, 10.923-mal heruntergeladen (vgl. Abbildung 25). Abbildung 25: Illegale Verbreitung des Games Dungeon Siege PC 3 auf einer Linksammlung für Games Gwarez ist allerdings nur eine von zahlreichen Linksammlungen und die meisten Downloads werden über Foren initiiert. Nach Einschätzungen im Rahmen der Experteninterviews wurde das (multilinguale) Spiel Dungeon Siege PC 3 in den ersten 18 Wochen nach Veröffentlichung ca. 600.000 Mal heruntergeladen, davon ca. 83.000 Mal aus Deutschland. „Die Zahl der illegalen Downloads von Dungeon Siege PC 3 liegt nach unserer Schätzung bei mindestens 100.000 durch Linksammlungen und mindestens 500.000 über Foren. Ungefähr ein Sechstel davon kommt aus dem deutschsprachigen Raum. Das Spiel war sechs Wochen in unserer Beobachtung, danach fielen alle Schranken.“ Volker Rieck, File Defense Service Von Dungeon Siege PC 3 wurden im selben Zeitraum lt. Media Control ca. 10.000 Exemplare in Deutschland regulär verkauft, auf jedes verkaufte Spiel kämen somit ca. 8 weitere, die illegal über das Internet bezogen werden. 37 Games Eine Tatsache, die in diesem Zusammenhang nicht ganz außer Acht gelassen werden sollte, ist, dass nicht alle der illegal heruntergeladenen Spiele tatsächlich installierbar sind oder installiert werden: Aufgrund von der Industrie hochgeladener „Fake-Dateien“, allgemeiner technischer Probleme beim Download, der Unfähigkeit, die „gehackten“ Programme zu installieren oder wegen aufkommender Furcht vor Viren werden nicht alle heruntergeladenen Games auch tatsächlich installiert. Für die vorliegende Studie bietet Dungeon Siege PC 3 dennoch ein eindrückliches Fallbeispiel, die Zahl der Downloads kann jedoch nicht unbedingt als repräsentativ gelten. Nach den Zahlen der GfK haben 3,6 Mio. Personen im Jahr 2010 Spiele heruntergeladen oder online genutzt (Bundesverband Musikindustrie e. V. (BVMI) 2011b:10). Bei einem Absatz im selben Jahr von 24,6 Mio. PC-Spielen wären bei einem Verhältnis 1:8 204 Mio. PC-Spiele illegal heruntergeladen worden. Auf jede der 3,6 Mio. Personen, die 2010 PC-Spiele herunterladen haben, entfielen dann knapp 57 illegal heruntergeladene Spiele, eine Zahl, die nicht sehr realistisch erscheint. Auch Experteneinschätzungen zufolge ist der für Dungeon Siege PC 3 ermittelte Faktor nicht repräsentativ für alle Produkte aus diesem Bereich. Dennoch vermittelt der Fall einen Eindruck von der enormen Nachfrage nach dem Angebot von unlizenzierten PC-Spielen. Die internationale Interessenvertretung Business Software Alliance (BSA) veröffentlicht jedes Jahr eine Studie zum weltweiten Ausmaß der Software-Piraterie. Die BSA stützt sich bei ihrer Untersuchung auf Daten, die von der International Data Corporation (IDC) und vom Marktforschungsinstitut IPSOS erhoben werden. IPSOS führt dabei in 32 Ländern eine Umfrage unter insgesamt 15.000 Privatpersonen durch und fragt detailliert nach Software, die in den letzten zwölf Monaten auf dem Computer installiert wurde, um schließlich eine Piraterierate zu ermitteln. Diese ergibt sich aus dem Anteil unlizenzierter Software an der Gesamtzahl aller installierten Softwareeinheiten. In Tabelle 10 werden die Werte für Deutschland und andere europäische Märkte dargestellt. Danach ist in Deutschland gut ein Viertel (27 %) der auf privaten Computern installierten Programme nicht legal erworben worden, sie entsprechen einem Wert von rd. 1,6 Milliarden Euro. Tabelle 10: Software-Piraterie in fünf Ländern der EU Piraterierate Deutschland Frankreich UK Spanien Italien 27 % 39 % 27 % 43 % 49 % 2 1,4 1,11 1,43 Wert der nicht-lizenzierten 1,6 Software (in Mrd. Euro) Quelle: Business Software Alliance (BSA) 2011:9 Die von der BSA herausgegebene Piraterierate umfasst allerdings sämtliche Softwareeinheiten und trennt nicht zwischen Spielen und Business- sowie sonstiger Software. Verlässliche Rückschlüsse auf die Menge an illegal beschafften Games lassen sich also nicht ziehen. Abschließend muss vermerkt werden, dass sich bezüglich des Umfangs von illegal beschafften Games erhebliche Forschungslücken auftun. Insbesondere auf dem Feld illegaler Downloads von Computerspielen besteht noch großer Forschungsbedarf. 38 Games 6.3 Effekte digitaler Piraterie auf die ökonomische Entwicklung Auch die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Zusammenhang zwischen digitaler Piraterie und ökonomischer Entwicklung des Games-Marktes hat erst in Ansätzen stattgefunden. Bereits 2009 stießen Huygen et al. bei ihrer Untersuchung auf das Problem, dass keine Studien existieren, die eine Aussage über die Höhe der durch Piraterie substituierten legalen Käufe erlauben (Huygen u. a. 2009:101). An dieser Datenlage hat sich bis heute nichts Wesentliches geändert. Es existiert lediglich eine Einschätzung für den gesamten Softwarebereich in der TERA-Studie. (Hier wird eine Rate von 50 Prozent verwendet, allerdings fehlt als Basis eine nachvollziehbare Datengrundlage; TERA Consultants 2010:45). Eine Antwort auf die Frage, inwieweit der illegale Bezug von Games Einfluss auf die legalen Käufe hat, erfordert also noch weiterführende empirische Untersuchungen. Für eine bessere Einschätzung des Zusammenhangs zwischen Games-Piraterie und ökonomischer Entwicklung ist eine genaue Betrachtung der Nutzungseigenschaften hilfreich. Computerspiele waren lange Zeit eher ein Nischenprodukt für vornehmlich männliche Jugendliche. Das hat sich allerdings gewandelt. Neue Spielkonzepte und intuitive Steuerungen der Spielkonsolen führten dazu, dass Games für ein immer breiteres Publikum interessant wurden Ein weiterer wichtiger Aspekt im Zusammenhang mit Piraterie von Computerspielen sind ihre sehr ausgereiften Kopierschutzmaßnahmen. Im Gegensatz zu Film oder Musik haben die Produzenten von Computerspielen schon sehr früh Softwarelösungen eingesetzt, um die illegale Vervielfältigung ihrer Produkte zu verhindern. Diese werden allerdings oftmals nach kurzer Zeit von Crackern ausgeschaltet. Infolgedessen findet ein regelrechter Wettkampf zwischen den Produzenten und Cracker-Gruppierungen statt. Dieser Umstand führte zu folgenden Entwicklungen: Legale Spieler müssen häufig spezielle Programme zusätzlich zu den Spielen installieren, um dem Spiel die Überprüfung der Legalität ihrer Kopie zu ermöglichen. Rigide Kopierschutzmaßnahmen haben mitunter zur Folge, dass einige Spieler sich lieber die illegale Version eines Spieles ohne die Kopierschutzmaßnahmen besorgen, als sich das Spiel zu kaufen (Schmidt 2009:3). Im Bereich der Online-Games sind die Schutzmöglichkeiten der Anbieter bislang besser. Onlinespiele, bei denen Spieler über das Internet zusammenspielen, werden immer beliebter. Jeder, der an diesen teilnehmen möchte, muss sich mit den Servern des Herstellers verbinden, wobei die Spielekopie überprüft werden kann. Wenn eine Kopie mehrfach verwendet wird bzw. anderweitig auffällig geworden ist, dann wird der Zugang zum Onlinespiel gesperrt. Erfolgreiche Umgehungen dieser Maßnahmen in größerer Zahl sind nicht bekannt. Daraus folgt, dass Onlinespieler nach wie vor auf legale Kopien angewiesen sind. Allerdings kann beobachtetet werden, dass auch kostenpflichtige Items zunehmend illegal verbreitet werden. Die Nutzung illegaler Games auf Handhelds und TV-Konsolen ist ebenfalls nur unter gewissen Voraussetzungen möglich. Während bei der Handheld-Konsole Nintendo DS der Einschub einer speziellen Hardware, dem sog. R4-Modul, in den SD-Kartenschacht genügt, muss bei der Playstation 3 (PS3) von Sony die Betriebssoftware manipuliert werden. Bei der Konsole Wii von Nintendo und bei der Xbox von Microsoft ist der Einbau zusätzlicher Module notwendig. Die Manipulationen an Wii, Xbox und PS3 gehen jedoch mit Risiken einher – so erlischt nicht nur die Garantie, sondern es könnten auch Schäden am Gerät entstehen. Es ist deshalb davon aus- 39 Fazit zugehen, dass illegale Konsolenspiele deutlich weniger genutzt werden, als es ihrem Anteil im Kaufmarkt entspricht. Nur 34 Prozent aller Webaktiven besitzen ausschließlich legal erworbene Games (Wöbken u. a. 2010:4). Der Umsatz aus PC-Spielen ist seit 2006 trotz steigender Umsätze der Games-Wirtschaft um 12,5 Prozent zurückgegangen (Bundesverband Audiovisuelle Medien (BVV Medien) 2011, 6; Bundesverband Interaktive Unterhaltungssoftware e.V. (BIU) 2011a, 3). Das Spiel Dungeon Siege 3 wurde in den 18 Wochen nach seiner Veröffentlichung über 10.000-mal von nur einer einzigen Internetplattform illegal heruntergeladen. Nach Experteneinschätzungen wurde es insgesamt etwa 83.000-mal in Deutschland illegal kopiert (File Defense Service). 2011 sind in Deutschland 27 Prozent der auf privaten Computern installierten Softwareeinheiten illegal beschafft worden (Business Software Alliance (BSA) 2011, 9). 7. Fazit Die Auswirkungen der Digitalisierung sind vielfältig und erfordern gerade von den bestehenden Medien umwälzende Anpassungsprozesse. Der Druck geht dabei insbesondere von den im Internet besonders aktiven Personen aus (6,7 Mio. in Deutschland), von denen 37 Prozent in Befragungen angaben, dass zumindest ein Großteil ihrer Musik illegal kopiert wurde, 29 Prozent nennen den Großteil ihrer Filme illegal und 11 Prozent nutzen überwiegend illegal erworbene Games. Von denjenigen, die das jeweilige Medium grundsätzlich nutzen, gaben 51 Prozent der Gamer, 59 Prozent der privaten Filmkonsumenten und sogar 79 Prozent der Musiknutzer an, auch illegale Medien zu nutzen. Dabei beschränkt sich das Problem, keinesfalls – wie häufiger angenommen – auf sogenannte ‚Heavy User’. Personen mit geringerer Affinität zur Musik beziehungsweise zum Film (und dies ist die Majorität) laden zwar weniger illegal aus dem Netz herunter, doch ersetzen diese Downloads dann sehr viel häufiger legale Käufe, als dies bei Personen mit hoher Affinität zum Medium der Fall ist. Die illegale Verbreitung verlagert sich dabei zunehmend von P2P-Netzwerken zu FilehostingDiensten. Deren professionelle Betreiber haben zum Teil profitable Hehler-Systeme aufgebaut, die die Uploader am Gewinn beteiligen, der über Werbeeinblendungen (insbesondere für Pornografie und Glücksspiel), kostenpflichtige Premium-Accounts, Abo-Fallen u. a. m. generiert wird. Abmahnungen von Urhebern verursachen einen hohen Aufwand, zeigen aber kaum Wirkung, da die gelöschten illegalen Kopien sofort durch neue ersetzt werden. Weitere Verbreitungsquellen sind Streaming-Plattformen. Kostenlose „Streamripping“-Programme, mit denen die hier präsentierte Musik extrahiert und als MP3 gespeichert werden kann, sind ein Massenphänomen geworden. Illegale Filmportale wie der kino.to – Nachfolger movie2k.to erfreuen sich nach wie vor – trotz der Schließung von kino.to – wachsender Beliebtheit. In der Musikwirtschaft spielt ein Sampling-Effekt nur eine marginale Rolle: Nur sehr musikaffine Personen sind bereit, für ein Musikstück oder ein Album Geld auszugeben, das sie schon als illegale Kopie besitzen. Die Mehrheit besitzt keine hohe Musikaffinität und hier führt der Besitz einer illegalen Kopie in den seltensten Fällen zu einem zusätzlichen Kauf desselben Stücks, insbesondere wenn das illegale Digitalisat von seinem Original nicht zu unterscheiden ist. Saldiert man dies, sind die Auswirkungen der Piraterie im Musikbereich stark negativ. Der pirateriebedingte Schaden in den Kernbereichen der Musikindustrie im Jahr 2010 beläuft sich nach den Ergebnissen der in Kapitel 4.5 entwickelten Modellrechnung deutschlandweit auf insgesamt 524 Mio. Euro. Davon entfallen 256 Mio. Euro auf Musikprodukte aus deutscher Herstel40 Fazit lung. Auf die Musikwirtschaft in der Region Berlin-Brandenburg entfallen davon insgesamt ca. 26 Mio. Euro. Insgesamt kann man die Adaption der Musikindustrie an die Internetökonomie bislang noch als ausbaufähig bezeichnen. Neue Musikstreamingdienste wie Simfy, Rdio, Deezer, das in Deutschland mangels Einigung mit der GEMA noch nicht verfügbare Spotify oder der heute legale Dienst Napster könnten einen Lösungsansatz bieten. Sie bauen auf einem hybriden Geschäftsmodell auf und ermöglichen einen kostenlosen werbefinanzierten oder einen kostenpflichtigen werbefreien (Premium-) Zugang auf 13 Mio. Songs und mehr. Allerdings sollen die Rechteinhaber nur Cent-Bruchteile pro gestreamten Musiktitel erhalten, weshalb viele IndieLabels ihr Repertoire bereits wieder aus den Diensten herausgenommen haben11. Die Einführung des sog. IPRED-Gesetzes, mit dem eine effizientere Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen im Internet möglich wurde, führte in Schweden im Jahr 2009 in der Folge zu einem drastischen Rückgang der illegalen Downloads. Gleichzeitig kam es beim legalen MusikStreaming-Dienst Spotify zu einem rasanten Kundenansturm. Allerdings ebbte dieser Effekt schon nach wenigen Monaten wieder ab als klar wurde, dass Urheberrechtsverletzungen durch illegale Downloads vermutlich nicht sanktioniert werden würden. Nichtsdestoweniger verzeichnet Spotify Ende 2012 weltweit 10 Mio. registrierte Nutzer, von denen 8 Mio. den werbefinanzierten Zugang nutzen und 2 Mio. zu den zahlenden Abonnenten zählen. Das deutet darauf hin, dass es einen legalen Absatzmarkt für digitale Musik gibt, der in Deutschland bei Weitem noch nicht ausgeschöpft wird. Auf der anderen Seite zeigt die Untersuchung aber auch, dass es einen harten Kern von Personen gibt, der kaum bereit ist zu bezahlen, wenn es eine risikolose kostenlose Alternative gibt. In der Filmbranche sind illegale Raubkopien, die in großer Zahl über das Internet verbreitet werden, erst mit der starken Verbreitung schneller Internetzugänge zu einem ernsten Problem geworden. Auch die Stilllegung des in Deutschland bekannten illegalen Streaming-Portals Kino.to konnte die Ursache dafür nicht beseitigen, denn es sind schnell neue, sehr ähnliche Portale entstanden, die zum Teil auf denselben organisatorischen Strukturen beruhen und dieselben Inhalte nutzen. Die Zugriffszahlen dieser Portale legen nahe, dass das illegale Streamen von Filmen in Deutschland unvermindert anhält. Der Umsatzverlust für die deutsche Filmwirtschaft durch Piraterie beträgt im Jahr 2010 im Minimum 156 Mio. Euro. 43 Mio. Euro Schaden entstanden dabei allein für die Produzenten deutscher Filme. Auf die Region BerlinBrandenburg entfallen Umsatzeinbußen von ca. 23 Mio. Euro. Im Filmbereich gibt es in Deutschland etliche legale Angebote für das Streaming von Videos, darunter die Angebote von Fernsehsendern, Kabelnetzbetreibern, Telefonanbietern oder originären Anbietern mit einem teils sehr umfassenden Angebot, das im Prinzip ab DVD-Start verfügbar ist. Die Nutzung erfolgt über monatliche Abo-Modelle oder nach einer anfänglichen Anmeldung im Pay-per-Use Verfahren. Ein fehlendes legales Angebot ist also sehr wahrscheinlich nicht die Ursache dafür, dass ca. 2 Mio. Deutsche im Jahr 2010 illegal Filme heruntergeladen haben. Viele Filme sind jedoch illegal bereits kurz nach Kinostart und oftmals auch schon davor online verfügbar. Für einen nennenswerten Sampling-Effekt, nach dem illegale Streams 11 Vgl. Anita Klingler: „Simfy und Spotify verlieren Songs von über 200 Independent-Labels“, in: zdnet, 22.11.2011, online verfügbar unter http://www.zdnet.de/news/41558171/simfy-und-spotify-verlieren-songs-von-ueber-200-independent-labels.htm 41 Fazit lediglich als Trailer genutzt werden, um sich den Film dann bei Gefallen nochmals kostenpflichtig anzuschauen, wurden (zumindest bei guter Bildqualität des illegalen Materials) keine Hinweise gefunden. Die Games-Branche ist in den letzten Jahren schnell gewachsen und entwickelte sich zu einem der Motoren in der Kultur- und Kreativwirtschaft. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Verbreitung und Nutzung von Raubkopien auch hier ein Massenphänomen darstellen. Dutzende in Deutschland relevante Filehoster bieten unzählige urheberrechtlich geschützte Games zum illegalen Download an und haben daraus profitable Geschäftsmodelle entwickelt. Vorgeschaltete Portale, die auf die Inhalte der Filehoster verlinken, bieten auch wenig webaffinen Nutzern die Möglichkeit, sehr leicht an illegale Inhalte zu gelangen. Wie im Filmbereich sind auch neue Games oft schon vor der offiziellen Veröffentlichung illegal zu bekommen. Die Schätzung von wirtschaftlichen Schäden oder Arbeitsplatzverlusten ist aufgrund der Datenlage jedoch bislang nicht möglich. Über die ökonomischen Folgen der Piraterie hinaus dürfen auch die kulturellen Wirkungen nicht übersehen werden, die wiederum zuerst in der Musikindustrie zutage treten. Die Labels beklagen die mangelnde Refinanzierbarkeit der Anfangsinvestitionen in junge Künstler: Viele Produktionen scheitern daran, die Break-even-Schwelle zu erreichen und die Ausgaben für Touren und Marketing wieder einzuspielen. Zwar sind die Umsätze hier lt. Bundesverband der Veranstaltungswirtschaft bis 2008 gestiegen, doch zuletzt lediglich aufgrund gestiegener Eintrittspreise bei rückläufigen Besucherzahlen. Eine Kompensation pirateriebedingter Verluste über steigende Einnahmen aus dem Live-Geschäft ist kaum möglich. In der Folge werden immer weniger Investitionen in junge Künstler getätigt. Auch im Bereich der Filmwirtschaft hat Piraterie nicht nur einen primären ökonomischen Einfluss auf die Produktionsseite. So könnten die Filmfördermittel ohne Piraterie häufiger zurückgezahlt und somit mehr deutsche Produktionen gefördert werden. Es muss darüber hinaus angenommen werden, dass auch das voranschreitende Sterben des Kinos als Kulturraum durch den illegalen Filmkonsum befördert wird. 42 8. Anhang 8.1 Glossar BitTorrent: ->Filesharing-Netzwerk, z. B. das schwedische ThePirateBay Bluetooth: In den 1990er Jahren entwickelte Technologie zur Datenübermittlung über sehr kurze Distanz per Funktechnik. Mit der Technik lassen sich kleinere Datenmengen wie Musiktitel oder Kurznachrichten zwischen Handys oder Laptops ohne großen Aufwand übertragen. Blu-Ray Disc (BD): Digitales, optisches Speichermedium mit hoher Kapazität zur Speicherung von hoch aufgelösten Filmen; Nachfolger der DVD. Browsergames: Online Computer-Videospiele, zu dessen Anwendung keine Software außer dem Browser benötigt wird. Die Software befindet sich auf einem Server, zu dem alle oder auch nur registrierte Internetnutzer Zugang haben und sich an dem Spiel beteiligen können. Seit einigen Jahren gewinnen Browsergames enorm an Bedeutung für die Games-Branchen. Buffering: Beim Streamen von Mediendateien aus einem Netzwerk (z. B. Filmportalen) werden die Daten kurzzeitig lokal zwischengespeichert, um diese nahezu zeitgleich mit dem Herunterladen auf dem Rechner des Anwenders wiederzugeben. Aufgrund dieser temporären Speicherung kann es sich auch beim Streaming um die verbotene Herstellung einer Kopie handeln. Businesssoftware: Wird in Abgrenzung z. B. zu Games verwendet und bezeichnet Software, die vorwiegend in Unternehmen oder Organisationen gewerbsmäßig eingesetzt wird. Filehoster (auch Sharehoster): Internetdienstanbieter, die Daten auf ihrem Server zur Verfügung stellen. Die Anwender der Filehoster können diese Daten kostenlos oder kostenpflichtig nutzen oder herunterladen. Da sie üblicherweise eine anonyme Nutzung erlauben, werden sie vor allem zur illegalen Verbreitung urheberrechtlich geschützter Werke genutzt. Die Betreiber erzielen Gewinne durch Werbeeinblendungen (insbesondere Pornografie), kostenpflichtige Premium-Accounts, die priorisierte Downloads ermöglichen und oftmals auch Abo-Fallen. Filesharing: Eine bei einem Filesharing-Dienst hochgeladene Datei kann durch Klick auf einen Link heruntergeladen werden, eine gesonderte Anmeldung ist für den Empfänger der Datei nicht nötig. Im Zusammenhang mit der digitalen Piraterie wird mit dem Filesharing meist die illegale Verbreitung urheberrechtlich geschützter Medieninhalte verstanden. Der nötige Download-Link wird z. B. über Foren oder über ->Linksammlungen verbreitet. Beispiele sind der schweizer Anbieter Rapidshare, Megaupload oder Netload. GEMA: Die Gesellschaft für musikalische Aufführungs- und mechanische Vervielfältigungsrechte verwaltet die Rechte von 63.000 Mitgliedern und einer Million ausländischer Berechtigter. Bei der öffentlichen Aufführung von Musik (z. B. im Radio, auf Konzerten, in Lokalen) zieht die GEMA Gebühren für die Nutzung der Werke ein und schüttet diese an deren Urheber (Komponisten, Texter, Autoren) aus. GVL: Die Gesellschaft zur Verwertung von Leistungsschutzrechten mbH nimmt die Rechte der Interpreten und Tonträger- bzw. Bildtonträgerhersteller wahr. Die GVL hat die ->GEMA beauftragt, die ihr zustehenden Ansprüche geltend zu machen. Hack: Ein Programmcode, der eine Software so manipuliert, dass sie trotz Schutzmaßnahmen illegal lauffähig gemacht wird bzw. die Kopierschutzmaßnahmen umgangen werden. I Handhelds: Kleine, tragbare und während der Benutzung in der Hand zu haltende Geräte, wie Handys oder Smartphones. Der Begriff des Handhelds wird aber bevorzugt für die tragbaren Spielekonsolen wie z. B. dem Gameboy verwendet. Heavy-User: In der Marktforschung eine Person, die eine Verhaltensweise überdurchschnittlich intensiv oder häufig ausübt. IPRED: Die Intellectual Property Rights Enforcement Directive ist eine Richtlinie der Europäischen Union zum Schutz des intellektuellen Eigentums und zur Bekämpfung von Urheberrechtsverletzungen (Ursprungsfassung aus dem Jahr 2004). Sie dient als Orientierung für die jeweiligen Parlamente zur Implementierung entsprechender nationaler Gesetze. Itemselling: Geschäftsmodell der Games-Branchen, bei dem Einnahmen aus dem Verkauf von virtuellen Spielzusätzen generiert werden. Die Spielzusätze, die gegen reales Geld zu erwerben sind, werten meist die virtuellen Identitäten der Spieler auf, die dann bessere Chancen bei der Spielezielerreichung haben. Konsolen (auch Spielekonsolen): Elektronische Geräte, die ausschließlich für Videospiele entwickelt werden und meist mit einem TV-Monitor verbunden werden. Mobile Konsolen (Handhelds), wie der Gameboy oder der Nintendo DS bieten Spielemöglichkeiten ohne weitere technische Hilfsmittel. Link-Sammlung: Webseite, auf der Links zu i. d. R. illegalen Download-Dateien präsentiert werden. Durch thematische Gliederung und Suchfunktion wird den Besuchern ein sehr leichter Zugang zu den gewünschten Mediendateien verschafft. Deren optisch oftmals professionelle Anmutung suggeriert, dass es sich um eine legale Seite handele. MP3: Verfahren zur starken Kompression digital gespeicherter Audiodateien. Das Ergebnis solch einer Kompression ist eine Datei im MP3-Format, das von den meisten digitalen Abspielgeräten mit nur geringen Klangverlusten wiedergegeben werden kann. One-Click-Hoster: Wird synonym für ->Filesharing-Dienste verwendet. Eine dort hochgeladene Datei kann durch Klick auf einen Link heruntergeladen werden, eine gesonderte Anmeldung ist für den Empfänger der Datei nicht nötig. Peer-to-peer-Netzwerke: In einem „P2P“-Netzwerk werden die Rechner aller seiner Nutzer inkl. deren Plattenspeicher zusammengeschaltet. Je mehr sich beteiligen, desto größer ist der verfügbare Speicher und desto mehr Inhalte stehen zur Verfügung. Bei diesem kollaborativen System stellt jeder, der aus dem Netzwerk Dateien herunterladen will, auch selbst welche auf seiner Festplatte den anderen Nutzern zur Verfügung, jeder Empfänger ist gleichzeitig auch Sender. Da die Nutzer auch als Verbreiter in Erscheinung treten, werden sie uneingeschränkt haftbar. Deshalb verlagert sich die illegale Nutzung zunehmend von P2P-Netzwerken zu ->Filesharing-Anbietern. Piraterierate: Maßeinheit zur Bemessung des Piraterieumfangs in einem Land. Sie ist definiert als der Anteil unlizenzierter Software an der Gesamtzahl aller installierten Softwareeinheiten. Je höher die Menge an unlizenzierter Software im Verhältnis zur legal erworbenen Software, desto größer wird die Piraterierate. Laut Business Software Alliance (BSA) betrug 2010 die Piraterierate in Deutschland 27 Prozent, was bedeutet, dass 27 Prozent der gesamten in Deutschland auf privaten Computern installierten Software unlizenziert ist. Privatkopie: In § 53 Absatz 1 Satz 1 UrhG geregelte Schrankenbestimmung des Urheberrechts, die es Privatpersonen erlaubt, bis zu 7 Kopien eines legal erworbenen Originals für die eigene Verwendung und zur Weitergabe an den engsten Kreis anzufertigen. Das Anfertigen von Kopien illegal erworbener oder bereits kopierter Exemplare ist illegal, ebenso die Veröffentlichung oder die kommerzielle Verwendung einer Kopie. II Sampling-Effekt: Beim Sampling-Effekt wird davon ausgegangen, dass das illegale Herunterladen von Mediendateien zu Umsatzsteigerungen führe, da die Nutzer auf diese Weise z. B. neue Musik erschließen würden, die sie dann auch legal kaufen würden. Mit der vorliegenden Untersuchung wurde diese These widerlegt. Soziale Erwünschtheit: Ein in der Sozialwissenschaft häufig beobachtetes Phänomen, bei dem das Antwortverhalten von Befragten durch die Antizipation einer Erwartungshaltung des sozialen Umfelds beeinflusst wird. Befragte neigen dann dazu, Antworten zu geben, von denen sie annehmen, sie seien sozial erwünscht. Das Problem taucht insbesondere bei Befragungen zu intimen oder heiklen Fragen, z. B. begangenen Rechtsverletzungen auf. Streaming (auch Streamen): Beim Streaming werden Video- oder Musikdateien aus einem Rechennetz empfangen und zeitgleich mit diesem Empfang wiedergegeben. Durch ->Buffering werden dabei Aussetzer vermieden. Streamripping: Mit spezieller Software wird eine als kontinuierlicher Datenstrom heruntergeladene Mediendatei dauerhaft als Datei gespeichert. So kann z. B. mit einem kostenlosen Programm ein Musikvideo auf YouTube „gestreamt“ und dabei eine Musikdatei im MP3-Format gespeichert werden. Substitutionsrate: Anzahl durch illegale Kopien entgangene Käufe dividiert durch die Gesamtzahl illegaler Kopien. Je mehr legale Käufe durch illegale Kopien ersetzt werden, desto größer die Substitutionsrate. Trackingservice: Internetdienstanbieter, der illegalen Verkehr auf Internetseiten beobachtet. URL: Der Uniform Resource Locator ist die Webadresse. Video-on-Demand: Möglichkeit, digitales Videomaterial auf Anfrage von einem Internetanbieter meist als ->Streaming legal zu beziehen. III 8.2 Teilnehmer der Expertengespräche Tabelle 11: Teilnehmer der Expertengespräche Name Firma/Organisation Andrea Schneider Branche Typ Ort Allianz Deutscher Produzen- Leiterin der Hauptgeten - Film & Fernsehen e.V. schäftsstelle (Produzentenallianz) Film Verband Berlin Prof. Dr. Oliver Castendyk Allianz Deutscher Produzen- Wissenschaftlicher ten - Film & Fernsehen e.V. Direktor (Produzentenallianz) Film Verband Berlin Heiko Wiese SPIO - Spitzenorganisation der Filmwirtschaft Justiziar Film Verband Wiesbaden Helge Sasse Senator Entertainment AG Vorstand Film Verleih und Produktion Berlin Hartmut Köhler ZIEGLER FILM GmbH & Co. KG Herstellungsleiter und Produzent Film/TV Produktion Berlin Nadja Lichtenhahn UFA Holding Justiziarin Film/TV Produktion Potsdam Dr. Matthias Leonardy GVU - Gesellschaft zur Verfolgung von Urheberrechtsverletzungen e.V. Geschäftsführer Games / Film Verband Berlin Birgit Roth G.A.M.E. - Bundesverband der Entwickler von Computerspielen e. V. Geschäftsführerin Games Verband Berlin Dr. Martin Franz Crytek GmbH General Counsel Games Produktion Frankfurt/M. Volker Rieck Halycon Media GmbH&Co.KG Geschäftsführer Games Produktion Reinfeld FDS File Defense Service UG Geschäftsführer Games Tracking Dienst Reinfeld Wolfgang Duhr bitComposer Games GmbH Geschäftsführer Games Produktion Eschborn Britta Lüerßen Bundesverband Musikindustrie e.V. Lt. Marktforschung & Entwicklung Musik Verband Berlin Eva Kiltz VUT - Verband unabhängiger Musikunternehmen e.V. Geschäftsführerin Musik Verband Berlin Mark Chung VUT - Verband unabhängiger Musikunternehmen e.V. Vorstandsvorsitzender Musik verband Berlin Freibank Music Publishing Geschäftsführer Musik Label Hamburg/Berlin Horst Weidenmüller !K7 Inhaber Musik Label Berlin Stefan Herwig dependent Geschäftsführer Musik Label Gelsenkirchen Mindbase Strategic Consulting Geschäftsführer Musik Beratung Gelsenkirchen Motor Entertainment GmbH Geschäftsführer Musik Label/Verlag Berlin Prof. Tim Renner Funktion Anm.: Mit den Vertretern der Games-Wirtschaft außer GVU, sowie mit Eva Kiltz und Mark Chung vom VUT erfolgten die Interviews im Gruppengespräch bzw. Workshop. IV 8.3 Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Abbildung 2: Abbildung 3: Abbildung 4: Abbildung 5: Abbildung 6: Abbildung 7: Abbildung 8: Abbildung 9: Abbildung 10: Abbildung 11: Abbildung 12: Abbildung 13: Abbildung 14: Abbildung 15: Abbildung 16: Abbildung 17: Abbildung 18: Abbildung 19: Abbildung 20: Abbildung 21: Abbildung 22: Abbildung 23: Abbildung 24: Titelseite der Computer Bild vom 7. 12. 2009................................................................................... 3 Berechnungsweg für die Ermittlung von Piraterieschäden ................................................................ 5 Technische Innovationen und Marktwachstum der Branchen in Deutschland ................................... 6 Weltweite Besucherzahlen illegaler Film-Seiten in Prozent der Internetnutzer.................................. 7 Verbreitungsebenen illegaler Medieninhalte im Internet ................................................................. 8 Umsätze aus Musikverkäufen in Deutschland (Endverbraucherpreise in Euro) ................................ 10 Entwicklung der Beschäftigtenzahlen in der Tonträgerindustrie nach Befragungen des BVMI.......... 11 Reichweite gebrannter Musik-CDs/DVDs in Deutschland 2010 ....................................................... 12 Anzahl illegaler Musikdownloads in Deutschland 2000 bis 2010 ..................................................... 13 Kostenlos bezogene Musik per Festplattentausch und Streamripping in Deutschland 2010 ............. 14 Anteil Personen, die 2010 Musik-Downloads getätigt haben .......................................................... 15 Umsatzentwicklung im deutschen Tonträgermarkt nach Altersgruppen 1999 vs. 2008.................... 16 Umsätze der Musikindustrie und Breitbandabdeckung in Deutschland 1973-2010.......................... 17 Weltweite Absatzentwicklung von Musikmedien ........................................................................... 18 Menge illegal beschaffter Musiktitel in Deutschland 2010 (in Mio.) ................................................ 21 Umsätze aus Filmverkäufen in Deutschland zu Endverbraucherpreisen .......................................... 24 Entwicklung der Beschäftigtenzahlen in der deutschen Filmwirtschaft 2003 bis 2008 ..................... 25 Umsätze der drei Kernbranchen der Filmwirtschaft in Deutschland 2000 und 2008 ........................ 25 Menge illegal heruntergeladener oder illegal genutzter Filme 2010................................................ 27 Gamer nach Spieleplattformen in Deutschland 2010...................................................................... 33 Umsätze mit Computer- und Videospielen in Deutschland 2000 bis 2010 ....................................... 33 Games-Umsätze nach Spieleplattform in Deutschland 2006 bis 2010 ............................................. 34 Entwicklung der Beschäftigtenzahlen in der deutschen Games-Wirtschaft 2007 bis 2009 ............... 34 Entwicklung der Anzahl mit Games bebrannter CDs und DVDs in Deutschland zwischen 2005 und 2010 ............................................................................................................................................. 35 Abbildung 25: Illegale Verbreitung des Games Dungeon Siege PC 3 auf einer Linksammlung für Games ................ 37 8.4 Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Tabelle 2: Tabelle 3: Tabelle 4: Tabelle 5: Tabelle 6: Tabelle 7: Tabelle 8: Tabelle 9: Tabelle 10: Tabelle 11: Ausgaben für Musik nach Download-Aktivität 2010 ....................................................................... 16 Übersicht Musik-Substitutionsraten .............................................................................................. 20 Berechnung des ökonomischen Schadens in der Musikindustrie für das Jahr 2010.......................... 22 Umsatzverlust in der Musikwirtschaft in Berlin-Brandenburg 2010................................................. 22 Substitutionsraten der Filmpiraterie nach TERA Consultants .......................................................... 29 Übersicht Film-Substitutionsraten ................................................................................................. 30 Piraterie, Absatzverlust und Schaden der deutschen Filmwirtschaft in Deutschland 2010 ............... 31 Umsatzverluste der Filmwirtschaft durch Piraterie in Berlin-Brandenburg 2010.............................. 32 Auf Filehostern aufgespürte illegale Kopien des Games „Dungeon Siege PC 3“ ............................... 36 Software-Piraterie in fünf Ländern der EU ..................................................................................... 38 Teilnehmer der Expertengespräche ................................................................................................ IV V 8.5 Literatur Andersen, Birgitte, und Marion Frenz. 2010. „Don’t blame the P2P file-sharers: the impact of free music downloads on the purchase of music CDs in Canada“. Journal of Evolutionary Economics, 715-740. Andersen, Brigitte, und Marion Frenz. 2007. The Impact of Music Downloads and P2P File-Sharing on the Purchase of Music: A Study for Industry Canada. London: Department of Management der University of London. Angelopoulos, Christina. 2009. Filtering the Internet for Copyrighted Content in Europe. Strasbourg: Institute for Information Law (IViR), University of Amsterdam. Arbeitskreis der Industrie- und Handelskammern Berlin und Brandenburg. 2010. Konjunkturreport 2010 der Industrie- und Handelskammern in Berlin und Brandenburg. Müllrose: Industrie und Handelskammer (IHK). Baizza, Achmed. 2009. Die Unterhaltungsindustrie gegen das Filesharing. Eine rechtliche und gesellschaftliche Betrachtung. herausgegeben von Jakob F. Dittmar. Berlin: Verlag der TU Berlin. 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