Sand im Getriebe - Südwestfalen

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Sand im Getriebe - Südwestfalen
TITELSTORY
Zeitarbeit
Sand im Getriebe
Die Konjunkturkrise bremst den Jobmotor Zeitarbeit kräftig aus
B
is vor kurzem wurde die Zeitarbeit Jahren hat sich Zahl der Leiharbeiter ver- keiten in der Automobilindustrie treffen die
in einem Atemzug mit Begriffen wie vierfacht. Nach Angaben der Bundesagen- Zeitarbeitsbranche besonders hart.
Die Branche müsse sich in den kommen„Boombranche“, „Wachstumsmotor“ tur für Arbeit lag die Zahl der Leiharbeiter
und „Sprungbrett für Chancenlose“ genannt. Anfang 2008 bei rund 800.000, das sind 2,4 den Jahren auf schwierige Zeiten einstellen,
Vor knapp einem Jahr berichtete SÜD- Prozent aller sozialversicherungspflichtig dessen ist sich auch Frank Henter, GeschäftsWESTFALEN MANAGER über die erstaun- Beschäftigten. Folgerichtig rechnete das In- führer des Personaldienstleisters Tremonia in
Dortmund, bewusst:
liche
Entwicklung
„Die derzeitige Wirteiner Zunft, die polaNach Angaben der Bundesagentur für Arbeit lag die Zahl der Leiharbeiter Anfang 2008 bei
schaftskrise geht natürrisiert. Für die Einen
rund 800.000, das sind 2,4 Prozent aller sozialversicherungspflichtig Beschäftigten.
lich auch an der Branche
ist die Zeitarbeit eine
Dienstleistung, von der die Wirtschaft pro- stitut für Wirtschaftsforschung Halle (IWH) der Personaldienstleister nicht vorbei. Es wird
fitiert. Denn sie bietet ihr die Möglichkeit, für die kommenden zehn Jahre damit, dass eine Marktbereinigung geben, das heißt eine
Arbeitskräfte nach Auftragslage einzuset- von allen Branchen die Arbeitnehmerüber- ganze Reihe gerade kleinerer Unternehmen
zen und auf Veränderung flexibel reagieren lassung am stärksten wachsen werde – auf werden mangels Liquidität die Tore schließen
zu können. Für die Anderen ist Zeitarbeit vier bis fünf Millionen Leiharbeiter. Für das müssen.“ Obwohl Henter trotz allem für sein
menschenunwürdige Ausbeutung, weil zu Jahr 2010 prognostizierte das IWH einen Unternehmen die Zukunft insgesamt eher posigeringe Löhne bezahlt würden und die Ar- Anstieg auf über eine Million. Doch da hatte tiv sieht, mache sich die angespannte Situation
beitnehmer auf Zeit permanent um ihren man noch die Rechnung ohne die Finanzkri- bemerkbar. „Auch unsere UnternehmensgrupJob bangten. Fakt ist: In den letzten zehn se gemacht. Vor allem die Absatzschwierig- pe verzeichnet einen deutlichen Rückgang der
Industrie
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Zeitarbeit
Nachfrage, besonders im Automotivebereich.
In der zweiten Jahreshälfte haben wir rund 200
Mitarbeiter weniger beschäftigen können als
noch im vergleichbaren Zeitraum 2007. Leider
konnten nicht alle Kolleginnen und Kollegen
gehalten werden, allerdings sind wir von unserer Kundenstruktur sehr gut aufgestellt, so
dass wir vielen in der Automotive Branche
beschäftigten Mitarbeitern Alternativen in anderen Branchen anbieten konnten“, versichert
Henter. Besonders im Bereich Lager, Logistik
und Handel könnten diese Mitarbeiter weiter
ihrer Beschäftigung nachgehen. „Wer in seiner
Liquidität und Präsenz gut aufgestellt sei, habe
gute Chancen auch jetzt weiter zu wachsen“,
ist sich Henter sicher.
Viele Zeitarbeitsfirmen haben aber keine alternative Beschäftigung mehr für ihre Arbeitnehmer,
deshalb sehen vor allem die Gewerkschaften
Schwarz. Für sie ist die Zeitarbeit schon seit
eh und je „der große Schrecken“, wie Die Welt
einmal titelte. Durch die Zeitarbeit besteht die
Gefahr, dass das Lohnniveau runtergezogen
wird, denn Zeitarbeiter verrichten für weniger Geld oft die gleiche Arbeit wie Festangestellte. Zeitarbeiter werden schlecht bis gar
nicht in die Belegschaft eines Unternehmens
integriert und lassen sich schlecht in Interessengemeinschaften organisieren, weil sie stän-
Schwerpunkte der Leiharbeit
Von allen Beschäftigten in
Leiharbeit arbeiten...
im verarbeitenden
Gewerbe
61,1 %
TITELSTORY
dig „auf dem Sprung“ sind. Die Beschäftigung
von Zeitarbeitern führt so zu einer zweigeteilten Belegschaftsstruktur. All das schwächt
die Macht der Gewerkschaften. Hätten die
Gewerkschaften geahnt, welche Ausmaße die
Zeitarbeit annimmt, hätten sie 2003 dem damaligen SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang
Clement wohl kaum grünes Licht für die Lockerung der Leiharbeits-Regeln gegeben. Die
Liberalisierung sollte mit dazu beitragen, die
hohe Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, weil Firmen schneller Beschäftigung schaffen, wenn
sie sich nicht langfristig binden müssen. Das
Arbeitnehmerüberlassungsgesetz sah eigentlich die Gleichbehandlung von Leiharbeitern
und Stammbelegschaft vor, doch viele Unternehmen schlossen erst gar keine Verträge
mit dem DGB, sondern mit einer ganz neuen
Gewerkschaft, die sich formiert hatte: Die Tarifgemeinschaft Christliche Gewerkschaften
Zeitarbeit, die mit dem Arbeitgeberverband
Mittelständische Personaldienstleister ein eigenes Tarifwerk erstellte. Dieses Tarifwerk lässt
geringere Löhne zu – teilweise bis zur Hälfte
von dem, was die Stammbelegschaft verdient.
Mit der Konkurrenz der Christlichen Gewerkschaften hatte der DGB nicht gerechnet, schon
gar nicht damit, dass das Modell Zeitarbeit
derart einschlägt. Der DGB-Vorsitzende Michael Sommer sprach Anfang Dezember im
Deutschlandradio von „Scheingewerkschaften,
die Quasi-Tarifverträge abgeschlossen haben“
und von „Arbeitgebern, die sich, obwohl sie
keinen einzigen Arbeitnehmer haben, der unter einen solchen Tarifvertrag fällt, diese Tarifverträge anwenden und so tun, als ob sie damit
das Gesetz umgehen könnten.“ Genau diese
Lücke müsse zugemacht werden, so Sommer.
Der DGB fordert eine Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes und die IG-Metall versucht mit Leiharbeitskampagnen, die sie
im Frühjahr 2008 gestartet hat, die Leiharbeiter
zu organisieren – was wiederum den Personaldienstleistern ein Dorn im Auge ist.
Jetzt, wo die Finanzkrise auch die Personaldienstleister unter Druck setzt, sieht der DGB zum
einen unzählige Zeitarbeitsplätze gefährdet und
18,1 %
in Dienstleistungen
20,8 %
in übrigen
Branchen
Berechnungen Bellmann 2007
Quelle: IAB-Betriebspanel 2006
©Hans Böckler-Stiftung 2007
zum anderen weiteren Anlass für heftige
Zweifel an der Daseinsberechtigung der Personaldienstleister. Dem DGB spielt die Situation
in die Karten, denn es ist für sie wie eine Bestätigung, dass das Arbeitnehmerüberlassungsmodell nicht das Allheilmittel ist und dass der
Jobmotor Zeitarbeit langsam verreckt. Das
Verhältnis zwischen den Gewerkschaften und
der Personaldienstleistungsbranche ist also
angespannter denn je: „Die Gewerkschaften
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Zeitarbeit
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Spitzen sowie stark verkürzte Reaktionszeiten
auf Marktanforderungen. Zwingende Voraussetzungen um im nationalen und internatioMitarbeiter in der gewerblichen Zeitarbeit* im Jahresdurchschnitt
nalen Geschäft bestehen zu können. Das lässt
sich auch durch noch so opportunistische
700.000
614.000
Thesen nicht wegdiskutieren.“
600.000
IG Metall-Chef Huber verlangt von den
500.000
Zeitarbeitsfirmen, ihre Gewinne einzusetzen,
500.000
um die Beschäftigung zu halten. Doch leich375.000
ter gesagt, als getan. Selbst beim Marktfüh323.000
400.000
rer Randstad sei laut Medienberichten der
276.000
Nettogewinn im dritten Quartal 2008 um 20
300.000
Prozent auf 78,5 Millionen Euro eingebrochen.
200.000
Weltmarktführer Adecco verzeichnet von Juli
bis September 2008 ein Minus von 23 Prozent
100.000
beim Ertrag, Manpower gar von 29 Prozent.
Seit einigen Wochen haben die Perso0
naldienstleister die Möglichkeit für ihre Be2003
2004
2005
2006
2007
schäftigten bei der Bundesagentur für Arbeit
*Geschäftszweck ausschließlich oder überwiegend Arbeitnehmerüberlassung
Kurzarbeitergeld für ihre Mitarbeiter beanQuelle: Bundesagentur für Arbeit, Stichtag 31.12.2007
tragen. Allerdings würden den Firmen enge
©Bundesverband Zeitarbeit Personal-Dienstleistungen e.V. (BZA), Berlin
Grenzen gesetzt. Eine Zahlung sei nur dann
möglich, wenn eine nicht nur kurzfristige
versuchen „auf Hauen und Stechen“ dem einiger – in meinen Augen – unverantwort- Auftragsschwankung vorläge, bei der auch in
Mitgliederschwund entgegen zu wirken“, sagt licher Politiker und Funktionäre über die Wie- absehbarer Zeit kein Folgeauftrag zu erwarten
Frank Henter und zitiert aus einem Bericht dereinführung von gesetzlichen Restriktionen wäre. Für das kommende Jahr erwartet die
der FAZ vom 10. April 2008. Darin wurde der für die Personaldienstleistungsbranche been- Bundesagentur 3,265 Millionen Arbeitslose,
IG Metall-Vorsitzende Berthold Huber zitiert det würde. Unsere Branche hat hinreichend 30 000 mehr als 2008. Experten zufolge könnte
mit den Worten: „Die Mitgliederentwicklung bewiesen, dass wir DER Jobmotor in Deutsch- das die drohenden Massenentlassungen auf
ist die absolute Priorität, auf Hauen und Ste- land der vergangenen Jahre sind. Die meisten hinauszögern, wenn nicht sogar teilweise verhindern. Bislang hatte
chen.“ Tremonia-Chef
sich die Bundesagentur
Henter verurteilt den
Ingrid Hofmann, Vizepräsidentin des Bundesverbands Zeitarbeit (BZA) erklärte in
gegen Kurzarbeitergeld
„brutalen“ Hinterton
Welt-online: „Jetzt passiert doch genau das, wofür die Zeitarbeit da ist:
für
Zeitarbeitskräfte
und gibt sich selbst
Sie dient als Puffer für eine atmende Fabrik."
gewehrt mit dem Arversöhnlich: „Es wäre
sicher sinnvoller in einen konstruktiven Dia- Arbeitslosen, die in den vergangenen Jahren gument, dass Vermittlungsprobleme zum belog mit allen Arbeitgeberverbänden der Perso- wieder in Lohn und Brot gekommen sind, trieblichen Risiko der Verleiher gehören. Doch
naldienstleistungsbranche zu gehen, als ihnen haben eine Arbeit bei Personaldienstleitern nun stuft sie das Risiko doch als unzumutbar
hausgemachte Programme aufoktruieren zu gefunden.“ Die Personaldienstleiter trügen in hoch ein. Der Bundesagentur für Arbeit wird
wollen. Wir sind dialogbereit.“ Aus Sicht des zweifacher Hinsicht zur Arbeitsplatzsiche- nun Eigennutz vorgeworfen: Entlassen die
Personaldienstleisters sei hier die Politik ge- rung bei, so Henter. „Wir ermöglichten der Zeitarbeitsfirmen ihr Leute, steigt die Zahl
fragt, die Wogen zu glätten: „Es wäre es sehr deutschen Wirtschaft eine deutliche höhere der Arbeitslosen, was der Arbeitslosenstatistik
hilfreich, wenn endlich die leidige Diskussion Flexibilität bei der Abdeckung von saisonalen nicht gerade gut aussehen ließe.
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Zeitarbeit
Frank Henter, Vorsitzender Geschäftsführer der
Tremonia Dienstleistungsges. mbH in Dortmund.
Ingrid Hofmann, Vizepräsidentin des
Bundesverbands Zeitarbeit (BZA) erklärte in
Welt-online: „Jetzt passiert doch genau das,
wofür die Zeitarbeit da ist: Sie dient als Puffer für eine atmende Fabrik." Aus Sicht der
Arbeitnehmer und der Branchen-Kritiker ist
dies das hässliche Gesicht der Zeitarbeit. Aus
Sicht der Arbeitgeber und der Befürworter ist
die Krise der Beweis, wie wichtig Zeitarbeit
für die Flexibilisierung der Produktion ist.
Derzeit sichere die Zeitarbeit sogar Stammarbeitsplätze, so Hofmann.
„Wenn die Krise vorbei ist, wird unsere
Branche daher noch wichtiger sein als zuvor" prognostiziert die BVZ-Vizepräsidentin.
Thomas Bäumer, ebenfalls Vizepräsident des
BZA meint:„In der zweiten Jahreshälfte 2009
wird sich die Spreu vom Weizen trennen.“
Besonders kleineren Firmen, die sich auf
die Autobranche konzentriert haben, drohe
das Aus. Autoexperte Ferdinand Dudenhöffer rechnet damit, dass etwa 80.000 Zeitarbeitsstellen in der Industrie und abhängigen
Zulieferbetrieben wegfallen könnten. Immer
mehr Autohersteller trennen sich von ihren
Leiharbeitern. Nach Medienangaben müssen bei Ford in Köln rund 400 Fließbandarbeiter gehen, 250 sind es bei Porsche, 500
beim Werkzeugmaschinenbauer Trumpf, 500
beim Motorenhersteller Deutz und 500 beim
Zulieferer- und Rüstungskonzern Rheinmetall. Auch BMW im Werk Leipzig hat sich
von einem Teil seiner Zeitarbeiter getrennt.
Volkswagen, Opel und Mercedes bauen ebenfalls Stellen ab. Der Lkw-Hersteller MAN soll
TITELSTORY
sogar mehr als 3000 geliehene Arbeitnehmer
zurück zum Verleiher geschickt haben. Die
Folgen spüren auch Zulieferfirmen wie Continental, der auf die Arbeitskraft von 5000
Zeitarbeitern verzichtet.
Nach Einschätzung der Gewerkschaft
ver.di droht bis zu 120.000 Leiharbeitern wegen der Konjunkturkrise die Arbeitslosigkeit.
Im schlimmsten Fall wären es knapp 120.000
Menschen, die ihren Job verlieren würden,
sagte ver.di-Experte Gerd Denzel der Thüringer Allgemeinen. Ex-Bundeswirtschaftsminister Wolfgang Clement, Vorsitzender
eines Forschungsinstituts der Zeitarbeitsfirma Adecco, sagte der Zeitung, die Zeitarbeit
werde gewiss eine signifikante Anzahl von
Mitarbeitern verlieren. Von einer Systemkrise könne aber keinesfalls gesprochen
werden. Der Jobabbau treffe vor allem gering
Qualifizierte in der Automobilindustrie und
bei deren Zulieferern. „Dieser Abschwung
trifft nicht die Zeitarbeit im Ganzen“, wurde
Clement zitiert.
Der Branchenverband der Personaldienstleister geht davon aus, dass von den
rund 800.000 Leiharbeitern eine hohe fünfstellige Zahl wegfällt.
Die Zeitarbeitsunternehmen erwarten erst in
den nächsten Monaten stärkere Auswirkungen des
Abschwungs. „Ich rechne dann mit deutlichen
Umsatzrückgängen“, wird Thomas Reitz,
Deutschland- Chef von Manpower, zitiert.
Die Zahl der Zeitarbeitnehmer werde aber
nur im schlimmsten Fall um zehn Prozent
abnehmen, also um bis zu 80.000. Ähnliche
Prognosen gibt es beim Wettbewerber Adecco. Das Forschungsinstitut der Bundesagentur für Arbeit (IAB) ist zuversichtlicher. Dort
rechnet man für 2009 wie auf dem gesamten
Arbeitsmarkt lediglich mit einer Stagnation.
„Es wird voraussichtlich keine Einbrüche bei
der Zeitarbeit geben, aber auch keine weitere
Expansion“, sagt Eugen Spitznagel, Leiter der
Forschungsgruppe Arbeitszeit und Arbeitsmarkt beim IAB.
Frank Henter sieht für seine Dortmunder Unternehmensgruppe keine existenzbedrohende Gefahr. Man werde sich wie in
den letzten 27 Jahren auch weiterhin durch
Seriosität und Zuverlässigkeit am Markt behaupten können: „Wir sind Teil der deutschen
Wirtschaft und sitzen daher alle im gleichen
Boot. Im Interesse aller, besonders aber auch
im Interesse aller Beschäftigten, erhoffe ich
mir von der Politik bei den zukünftig anstehenden Entscheidungen Besonnenheit und
Weitsicht“, sagt Henter. (to)
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