Überschrift groß

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Überschrift groß
Gnade sei mit euch und Friede von dem, der da war und der da ist und der da kommt. Amen.
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Vergeltet niemandem Böses mit Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann.
18
Ist's möglich, soviel an euch liegt, so habt mit allen Menschen Frieden.
19
Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem Zorn Gottes; denn es
steht geschrieben (5.Mose 32,35): „Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der
Herr.“
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Vielmehr, „wenn deinen Feind hungert, gib ihm zu essen; dürstet ihn, gib ihm zu trinken. Wenn du das tust, so wirst du feurige Kohlen auf sein Haupt sammeln“ (Sprüche
25,21-22).
21
Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.
Der Herr segne an uns dies Wort. Amen.
„Wir wohnten im dritten Stock mitten in der Stadt und haben uns nie etwas zuschulden kommen lassen. Auch mit Dörfelts von gegenüber verband uns eine jahrelange Freundschaft, bis
die Frau sich kurz vor dem Fest unsere Bratpfanne auslieh - und nicht zurückbrachte.“
Mit diesem Satz, liebe Gemeinde, beginnt eine kleine Geschichte von Gerhard Zwerenz,
unter der Überschrift „Nicht alles gefallen lassen…“
Aus der Perspektive des Sohnes wird von zwei Familien erzählt, die eine jahrelange Freundschaft verbindet. Doch das Ausleihen einer Bratpfanne, die vergessen wird zurückzugeben,
führt dazu, dass aus der Freundschaft eine erbitterte Feindschaft wird, die mit einem blutigen
Rachefeldzug endet.
Dieser Rachefeldzug beginnt ganz harmlos. Nachdem die Mutter auch nach dreimaliger Ermahnung die besagte Bratpfanne nicht zurückerhält, macht sie ihrem Ärger im Gespräch mit
einer Nachbarin Luft und bezeichnet Frau Dörfelt als „Schlampe". Ein gefundenes Fressen
für die Nachbarschaft – und einen Tag später weiß die ganze Straße vom Zwist zwischen
den beiden Familien. Leidtragender ist Hans, der Jüngste in der Familie, der von den DörfeltSöhnen daraufhin windelweich geprügelt wird.
Der Kleinkrieg zwischen den Familien ist eröffnet. Und schon bald sind es nicht mehr nur die
Kinder, die aufeinander losgehen:
„Weil wir nun Dörfelts nicht über den Weg trauten, installierte Herbert, mein ältester Bruder,
der bei einem Optiker in die Lehre geht, ein Fernrohr am Küchenfenster. Da konnte unsere
Mutter –wir anderen waren alle unterwegs – die Dörfelts beobachten.
Augenscheinlich verfügten diese über ein ähnliches Instrument, denn eines Tages schossen
sie von drüben mit einem Luftgewehr herüber. Ich erledigte das feindliche Fernrohr dafür mit
einer Kleinkaliberbüchse – an diesem Abend ging unser Volkswagen unten im Hof in die
Luft. (...)
Am nächsten Morgen schon wurde die Straße durch ein mörderisches Geschrei geweckt.
Wir lachten uns halbtot, Herr Dörfelt, der früh als erster das Haus verließ, war in eine tiefe
Grube gefallen, die sich vor der Haustür erstreckte. Er zappelte ganz schön in dem Stacheldraht, den wir gezogen hatten, nur mit dem linken Bein zappelte er nicht, das hielt er fein still,
das hatte er sich gebrochen.
Bei alledem konnte der Mann noch von Glück sagen - für den Fall nämlich, dass er die Grube bemerkt und umgangen hätte, war der Zünder einer Plastikbombe mit dem Anlasser seines Wagens verbunden…“
Sie merken schon, liebe Gemeinde, der Autor der Geschichte verlässt bewusst den Boden
der Realität und lässt den Familienstreit zu einer überzogenen Groteske werden. Die beiden
Familien fahren im wahrsten Sinne des Wortes „schärfere Geschütze" auf: Zunächst sind es
Flakgeschütze und Granatwerfer, die einander beschießen, bis die Familien zu guter Letzt
mit Atomwaffen aufeinander losgehen und alles in Schutt und Asche legen… Und so endet
die Geschichte schließlich mit dem Bekenntnis: „Natürlich sind wir nun alle tot, die Straße ist
hin, und wo unsere Stadt früher stand, breitet sich jetzt ein graubrauner Fleck aus. Aber eins
muss man sagen, wir haben das Unsere getan, schließlich kann man sich nicht alles gefallen
lassen. Die Nachbarn tanzen einem sonst auf der Nase herum.“
Grotesk – nicht wahr? - So grotesk, dass man schmunzeln muss, und dennoch ging es mir
so, dass mir beim Lesen der Geschichte das Lachen im Halse stecken bleibt. Zwar geht es
in der Realität dann wohl doch nicht so weit, dass eine entliehene Bratpfanne immer zum
atomaren Kräftemessen werden muss – und dennoch denke ich, dass diese Geschichte uns
einen Spiegel vorhält.
Denn so ganz fremd ist mir das, was in dieser Geschichte erzählt wird, eben doch nicht.
Wenn mein Bruder und ich als Kinder miteinander stritten – wir hatten ein gemeinsames
Zimmer – ist es schnell handgreiflich geworden. Zum Glück war es dann „nur“ eine eingetretene Tür, die von unserem Bruderzwist zeugte. Doch das Gefühl, das uns damals immer
wieder beherrschte, war: „Wie du mir, so ich dir!“ und „Rache ist süß!“
Und ganz ehrlich, liebe Gemeinde: Sind wir Erwachsenen so ganz anders? - Ich denke an
die vielen Geschichten am Arbeitsplatz, wo Menschen systematisch von anderen gemobbt
werden. Ich denke an den aufgestauten Ärger, der sich irgendwann doch gegenüber Dritten
Luft macht und das eigentliche Gegenüber meines Ärgers nicht mehr im besten Licht erscheinen lässt.
Mit Granaten und Raketen gehen wir in unserem alltäglichen Umfeld vielleicht nicht gerade
aufeinander los. Anderswo – ich denke aktuell an die Ukraine und immer wieder an Israel hingegen schon. Und ist die Spirale der Gewalt erst einmal in Gang geraten, dann ist sie nur
noch schwer zu stoppen: Ihr lebt im Reichtum und schert Euch nicht darum, dass anderswo
Menschen in Armut und Elend sitzen – wir zeigen Euch, dass Eure schöne reiche Welt vor
uns nicht sicher ist! – Und eh wir uns versehen stehen wir an den Ruinen eines World Trade
Centers und bedauern den Tod von Tausenden von Menschen. Da braucht es dann schon
die angemessene Reaktion: Und so wird ein Land mit Krieg überzogen – mit blutigen Anschlägen in Afghanistan und anderswo – oder mit Bombenanschlägen auf U-Bahnen in europäischen Hauptstädten – oder mit Selbstmordattentaten, jüngst zur Fußball-WM in Nigeria.
Was für ein Wahnsinn, in dem wir leben! – Die Geschichte von Gerhard Zwerenz ist wahrhaftig von unserer Realität nicht weit entfernt. Was für ein Wahnsinn, mag auch schon Paulus
sich gedacht haben, als er sich das Leben in seiner Zeit vor Augen führte. Denn Rache und
Gewalt haben wohl schon immer menschliches Miteinander geprägt.
Und so ist es, als würde Paulus uns bei den Schultern fassen und kräftig durchschütteln.
Seine Worte sind überdeutlich, wenn er uns einschärft: „Vergeltet niemandem Böses mit
Bösem. Seid auf Gutes bedacht gegenüber jedermann. Ist's möglich, soviel an euch liegt, so
habt mit allen Menschen Frieden… Lass dich nicht vom Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem.“
„Haltet Frieden miteinander, überwindet das Böse mit Gutem!“ - „Typisch christlich" möchte
man dazu fast sagen. Wunderschöne Worte sind das, fraglos. Und es wär geradezu paradiesisch, wenn es uns gelänge, so miteinander zu leben.
Doch unsere Welt sieht anders aus – auch unter uns Christinnen und Christen. Denn der
„Feind", von dem Paulus spricht – der Feind, dem wir sogar zu essen und zu trinken geben
sollen, das ist nicht etwa der Feind einer anderen Nation oder der Feind einer anderen Religion. Paulus richtet sich mit seinen Worten an Christinnen und Christen, die damals im Rom
gelebt haben. Er gibt Ihnen Anweisungen, wie sie bei Konflikten untereinander in der eigenen Gemeinde miteinander umgehen sollen.
„Haltet Frieden miteinander – überwindet das Böse mit Gutem!“ – Das würde ich ja gerne.
Und doch merke ich, dass mich dieser Anspruch manchmal überfordert. Manchmal ist die
Verletzung, die mir jemand anderes zufügt einfach zu groß, als dass ich freundlich lächelnd
auch noch die linke Backe hinhalten könnte. Manchmal brodelt die Wut in mir und das Verlangen danach, dass das erfahrene Unrecht einen Ausgleich braucht, in mir zu hoch, als das
ich mir in christlicher Demut alle meine Rachegelüste verbieten könnte. Dieses typische Idealbild eines Christenmenschen, der alles bereitwillig erduldet und verzeiht, der niemandem
grollt und - in sich ruhend - keiner Fliege etwas zuleide tun könnte, dieses Bild ist manchmal
zu groß für mich, als dass ich es mit meiner Person verwirklichen könnte.
Doch ist das überhaupt notwendig? Ist das überhaupt ein angemessenes Bild eines Christen, einer Christin, das uns Paulus da vor Augen hält? - Wenn ich mir die Worte des Paulus
nämlich genauer anschaue, dann fällt mir vor allem eins auf: Hier ist überhaupt nicht die Rede davon, dass wir gar keine Rachegelüste in uns haben dürften. Hier ist überhaupt nicht die
Rede davon, dass wir voller Gleichmut alles Leid, das wir erfahren, auf uns zu nehmen haben. Und hier ist auch überhaupt nicht die Rede davon, dass das Erleiden von Bösem gar
keine Vergeltung erfordert.
Nein, ganz selbstverständlich spricht Paulus hier von Zorn, von Rache und Vergeltung. Und
wo Unrecht erlitten und Gerechtigkeit mit Füßen getreten wird, da kann es auch für Paulus
nicht sein, dass dies mit dem scheinbar ach so christlichen Mantel der Geschwisterlichkeit
und der Nächstenliebe vorschnell überdeckt wird.
Nein, auch Paulus vertritt die Auffassung, dass Unrecht vergolten, dass Opfern Gerechtigkeit
zuteilwerden muss. Doch Paulus schärft uns gleichzeitig ein, dass nicht wir es sind, die Unrecht zu vergelten haben: „Rächt euch nicht selbst, meine Lieben, sondern gebt Raum dem
Zorn Gottes; denn es steht geschrieben (5. Mose 32, 35): Die Rache ist mein; ich will vergelten, spricht der Herr."
Das heißt doch: Im Vertrauen darauf, dass Gott es ist, der erlittenes Unrecht vergelten wird –
im Vertrauen darauf, dass uns durch Gott Gerechtigkeit zuteilwird, können wir unsere Wut
und unsere Verzweiflung auch in Gottes Hand legen. Das Stillen unseres Verlangens nach
Rache kann ich getrost aus der Hand geben – „denn die Rache ist mein, ich will vergelten
spricht der Herr".
Frage: Kann dann ein „Gott der Rache“ noch der Gott sein, an den wir glauben? – Nun, vielleicht müssen wir uns von Paulus auch in unserem Verständnis von „Rache" hinterfragen
lassen. Vielleicht sieht die Rache, die Gott vollzieht anders aus, als das, was wir nach
menschlichem Ermessen dafür halten. Das griechische Verb (ekdikhsis), das dem Wort Rache zugrunde liegt, kann nämlich mehre Bedeutungen haben. Es kann die Bedeutung von
„sich rächen" haben, es kann aber auch so viel bedeuten wie „sich Recht verschaffen“, „jemandem zu seinem Recht verhelfen".
Wenn von dem rächenden Gott die Rede ist, dann ist somit zunächst einmal von einem Gott
die Rede, der erlittenes Unrecht ernst nimmt, der die Opfer von Unrecht und Gewalt nicht
vergisst, sondern sie zu ihrem Recht kommen lässt. Wenn von dem rächenden Gott die Rede ist, dann ist immer von einem Gott die Rede, der begangenes Unrecht ernst nimmt, der
Täterinnen und Täter zur Verantwortung zieht und der sie bei ihren Taten behaftet.
Wie diese Rache konkret aussehen wird, dürfen wir getrost Gott selbst überlassen. Gänzlich
vernichtend wird sie allerdings kaum sein. Denn der Mensch, der mir Unrecht tut – der
Mensch, von dem Paulus als „Feind" spricht – dieser Mensch hört trotz seiner Schuld nicht
auf, ein Kind Gottes zu sein, - so wie auch wir da, wo wir anderen Unrecht tun, nicht aufhören, ein Kind Gottes zu sein.
Gott ist ein Gott der Gerechtigkeit. Vor ihn dürfen wir sie bringen: Unseren Zorn, unser Verlangen nach Vergeltung, unsere Sehnsucht danach, gerächt zu werden. Auf diese Weise
geht unsere Wut und unser Zorn nicht ins Leere – und dennoch kann so die Spirale von Gewalt, die nur allzu menschlich zu sein scheint, durchbrochen werden.
Gott ist ein Gott der Gerechtigkeit – ein Gott der Opfer zu ihrem Recht verhilft und der Täter
zur Verantwortung zieht. Das ist die Botschaft des Paulus an die Gemeinde von Rom – das
ist die Botschaft des Paulus an uns heute Morgen.
Wo wir uns dessen bewusst werden, können wir darauf verzichten, unsere Rachegelüste
selbst in die Tat umzusetzen. Wo wir uns dessen bewusst werden, können wir darauf vertrauen, dass Gott zur Rechenschaft zieht und Recht verschafft.
Und weil die Rache Gottes ist, muss nicht ich zum Rächer werden.
Weil Gott es ist, der Gerechtigkeit schafft, kann ich neue Schritte wagen – Schritte auch denen entgegen, die mir Unrecht tun.
Amen.
Der Friede Gottes, der höher ist als alle Vernunft, bewahre unsere Herzen und Sinne in
Christus Jesus.
Amen.
Klaus Gruzlewski