Predigt am 4. Sonntag nach Trinitatis 2015 - Gemeinde

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Predigt am 4. Sonntag nach Trinitatis 2015 - Gemeinde
Predigt am 4. Sonntag nach Trinitatis 2015
Kanzelgruß
Text: 1. Petrus 3:8-17
Liebe Gemeinde,
„Jeder kleine Spießer macht / das Leben mir zur Qual, / denn er spricht nur immer von Moral. /
Und was er auch denkt und tut, / man merkt ihm leider an, / dass er niemand glücklich sehen kann.
Sagt er dann: Zu meiner Zeit / gab es sowas nicht!
Frag' ich voll Bescheidenheit / mit lächelndem Gesicht:
Kann denn Liebe Sünde sein? / Darf es niemand wissen, / wenn man sich küsst, / wenn man einmal
alles vergisst, / vor Glück?“ – sang Zarah Leander 1938 im Film „Der Blaufuchs“.
Vor vielen Jahren, es war in einer südbadischen evangelischen Kirchengemeinde, da haben ganz
besonders bibeltreue junge Männer einer recht strengen Glaubensrichtung öfter mal gepredigt. Der
Pfarrer hatte sein Kanzelrecht großzügig ausgelegt und seine predigtfreien Sonntage damit gesichert.
Diese Studenten hielten den guten Alemannen an mehreren Sonntagen derart derb und drastisch
den Spiegel vor, dass diese sich beim Oberkirchenrat beschwerten. Die feurigen Prediger erhielten
Kanzelverbot und durften fortan nicht mehr die brave Gemeinde als verderbt und sündig
beschimpfen. Offenbar hatten sie das so gemacht.
Meine erste Predigt überhaupt hatte ähnliche Vorzeichen. In der Gemeinde, aus der meine Mutter
stammt, durfte ich als Theologiestudent auch den Ortspfarrer entlasten. Das war Anfang der
Achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Es herrschte der Kalte Krieg und in Ost und West wurden
gefährliche Atomwaffen aufgestellt. Ich dachte es besonders gut und ausgewogen zu machen und
predigte gegen die atomare Aufrüstung in Ost und West. Nun war ich sehr sehr aufgeregt und
erinnere mich noch gut daran, dass ich fast vor Aufregung von der Kanzel gefallen wäre. Nun war zu
jener Zeit in dieser Gemeinde nördlich von Karlsruhe das Kernforschungszentrum in voller Blüte und
die Kommune hat sehr davon profitiert. Die Rentnerinnen und Rentner fuhren gerne mit dem
Fahrrad durch den Hardtwald, um „im Atom“ günstig Kaffee und Kuchen zu speisen. Auch meine
Oma war mit ihren Freundinnen gerne dabei. Nun fiel in der Predigt tatsächlich das Wort „Atom“ –
aber keineswegs im Blick auf das Kernforschungszentrum. Offenbar hatte ich in meiner großen
Anspannung sehr streng und böse geschaut, von der Kanzel herab. Jedenfalls gab es zwei Wochen
lang empörte Anrufe im Pfarramt. Wenn dieser junge Mann noch einmal gegen „das Atom“ predigen
sollte, werde man aus der Kirche austreten …
Dann dieses Bild in der Zeitung letzte Woche. Ein völlig zerstörter Lamborghini unter der Leitplanke in
einer Kurve am Staatsberg. Am Freitagabend bin ich von Freiburg kommend dran vorbeigefahren und
habe noch die Kreidezeichnung der Unfallaufnahme auf der Straße gesehen. Der Fahrer dieses
Sportwagens hatte einen BMW überholt und war dabei wohl in den Kleinwagen einer Frau gerast.
Hoffentlich leben noch alle. Ein Wunder wäre das. Und ich habe mir so gedacht: Der Fahrer des BMW
hat vielleicht auch noch Gas gegeben, damit ihn der teure und PS-starke Lamborghini-Fahrer nicht
überholt. Und es ist dann auf Kosten der unbeteiligten Autofahrerin im Kleinwagen gegangen.
Jemand meinte gestern, der Fahrer gehöre eingesperrt und solle lebenslang nicht mehr Auto fahren
dürfen. So ein Lamborghini kostet übrigens je nach Ausstattung gerne mal so viel wie ein bis zwei
Einfamilienhäuser …
Das Motto des 4. Sonntags nach Trinitatis lautet „Gemeinde der Sünder“. Das klingt unmodern,
ungewöhnlich. Es scheint unserem Menschenbild zu widersprechen. Was heißt das überhaupt? Das
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ist doch in Vergessenheit geraten – das, was man mit „Sünde“ bezeichnet. Ich habe die Beispiele
aufgezählt, die irgendwie mit „Sünde“ zu tun haben und damit, wie man damit umgeht.
Und besonders spannend ist an diesem Motto, dass es sich auf uns selber bezieht, auf alle, die sich
zur Gemeinde der Christenmenschen zählen – was soll das denn. Da stellt sich dann die Frage: Wie
reden wir von der Sünde so, dass diese Rede gut tut und heilsam wirkt – also so, dass wir unsere
Sünde erkennen und dann auch los werden? Dazu mag es helfen, noch etwas genauer zu klären, was
wir unter „Sünde“ denn verstehen sollen.
Eine schöne Definition von Sünde gab mir vor einiger Zeit ein Schüler: „Sünde ist etwas, was ich
bereuen muss, wenn ich es gemacht habe“ – Sünde ist also irgendwie etwas Verbotenes, etwas, was
man besser nicht tun sollte. Sünder sind dann also Personen, die so etwas tun, was sie dann bereuen
müssen, wenn sie es getan haben. Und Sünder sind dann entweder zusammen oder als
Einzelpersonen in Gefahr, aus der Gemeinschaft zu fallen, sich selber auszugrenzen. Der Begriff
„Sünde“ ist ein Beziehungsbegriff. Er beschreibt die Beziehung zu Gott, und zwar als negativ. Wer
sündig ist und so lebt, dass er oder sie ständig etwas zu bereuen hat, ist im Unreinen mit Gott, lebt
nicht in guter Gemeinschaft mit Gott und mit den Menschen.
Unser heutiger Predigttext geht anders vor, da wird positiv ausgesagt, wie Christenmenschen sein
und leben sollen, damit sie eben gerade nicht als Gemeinde der Sünderinnen und Sünder da stehen.
Es ist ein ganz konstruktiver und positiver, Mut machender Text. Er steht im 1. Petrusbrief:
08
Schliesslich: Seid alle eines Sinnes, voller Mitgefühl, liebt einander, übt Barmherzigkeit, seid
demütig!
09
Vergeltet nicht Böses mit Bösem, nicht üble Nachrede mit übler Nachrede. Im Gegenteil:
Segnet, denn ihr seid dazu berufen, Segen zu erben.
10
Denn wer das Leben lieben will und gute Tage sehen möchte, der halte seine Zunge im Zaum,
fern vom Bösen, und seine Lippen, dass sie nichts Heimtückisches sagen.
11
Er gehe aber dem Bösen aus dem Weg und tue Gutes, er suche Frieden und jage ihm nach.
12
Denn die Augen des Herrn sind gerichtet auf die Gerechten und seine Ohren ihrer Bitte
zugewandt; das Antlitz des Herrn aber steht gegen die, die Böses tun.
13
Und wer wird euch etwas antun, wenn sich euer Eifer auf das Gute richtet?
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Doch auch wenn ihr um der Gerechtigkeit willen leiden müsst - selig seid ihr. Den Schrecken,
den sie verbreiten, fürchtet nicht, und lasst euch nicht irremachen!
15
Den Herrn aber, Christus, haltet heilig in euren Herzen. Seid stets bereit, Rede und Antwort
zu stehen, wenn jemand von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist.
16
Tut es jedoch mit Sanftmut und Ehrfurcht, mit einem guten Gewissen, damit die, die euren
guten Lebenswandel in Christus schlechtmachen, beschämt werden, wenn sie euch in Verruf
bringen.
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Denn es ist besser, Gutes zu tun und - wenn es der Wille Gottes ist - zu leiden, als Schlechtes
zu tun und zu leiden.
Die Predigttexte aus den neutestamentlichen Briefen sind oft ziemlich theoretisch, der heute nicht,
wie ich finde. Er redet von der Sünde ohne das Wort selbst zu erwähnen. Das gefällt mir besonders
gut. Er bietet Verhaltensmuster an und ich als Hörer des Wortes kann selber prüfen, ob es mich
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betrifft. Vielleicht neige ich ja gar nicht zu übler Nachrede – vielleicht ja nur, wenn es einen
dringenden Grund dafür gibt …
Nein im Ernst – mir ist dieser schreckliche Unfall deshalb eingefallen, weil ich mich sehr gut in den
BMW-Fahrer hinein versetzen kann. Da fallen mir Szenen auf der A 5 ein. Ich überhole Lastwagen, da
schießt von hinten ein pfeilschneller Maserati heran und blinkt und blendet auf und ab und berührt
schon fast die Stoßstange meines Autos. Ich fühle mich bedroht und bremse leicht. Das ist: „Böses
mit Bösem“ vergelten. Oder: Ich fahre das Simonswälder Tal runter und jemand will mich überholen,
jemand der schon die ganze Zeit hinter mir gedrängelt hat und nun gebe ich Gas, eine Art
Wettrennen wird darauf, auch wieder „Böses mit Bösem“ vergolten. Beide Verhaltensmuster in mir
sind Straftatbestände, aber theologisch sind sie auch als Sünde zu bezeichnen, denn sie gefährden
Leben. Inzwischen habe ich daran gearbeitet und mir angewöhnt die Drängler innerlich zu segnen
und dann auch äußerlich mit dem Kreuzeszeichen zu bezeichnen.
Ein Bibeltext wie der heutige lädt uns ein zur Selbstprüfung. Der 1.Petrusbrief richtet sich ganz
zeitlich besonders an Menschen im Glauben. Sie sind in besonderer Gefahr. Denn eigentlich wollen
sie ja das Gute und das Richtige, das dem Leben Dienende tun – doch sind sie in der Gemeinde nicht
allein. Da gibt es andere Leute, solche vielleicht, die anders sind und andere Schwerpunkte haben.
Und wenn ich nun nicht bekomme, was ich will, oder wenn die Spielregeln mir nicht gefallen, dann
kann es schon sein, dass ich schlecht über andere rede, „heimtückisch“ nennt es unser Text. Da zucke
ich schon zusammen, wenn ich daran denke, wie ich mit denen in Gedanken umgehe, die „hintenrum
reden“.
Bin ich, sind wir frei von solchen Gedanken und Gefühlen – das alles läuft auf die entscheidende
Frage hinaus: Wie bekommen wir ein derart gutes Gewissen, dass „die, die unseren guten
Lebenswandel in Christus schlechtmachen, beschämt werden, wenn sie uns in Verruf bringen.“
Die Antwort auf diese Frage steht auch im Text: „Den Herrn aber, Christus, haltet heilig in euren
Herzen. Seid stets bereit, Rede und Antwort zu stehen, wenn jemand von euch Rechenschaft fordert
über die Hoffnung, die in euch ist.“ Was ist das für ein herrlicher Gedanke! Wie oft erkläre ich
äußerst wortreich, warum etwas so ist und so zu sein hat wie es ist und weshalb man dies so und so
tun muss, oder warum wir Dinge so und so entscheiden mussten. Und alles läuft auf Rechenschaft
und Rechtfertigung des eigenen Tuns hinaus, auf Selbstrechtfertigung und Rechthaberei! Wie
entspannend ist es, was hier steht: Wo ist Deine Hoffnung, aus der Du lebst? Gib mir Rechenschaft
über die Hoffnung, die Dich trägt und die dich weich macht und liebevoll, vergebungsbereit. Dann
wird Dein Gewissen rein und Du kannst frei aufschauen und atmen. Dann kann jeder sehen: Die Liebe
Christi trägt uns – auch als Gemeinschaft, in der nicht alle immer die gleiche Meinung haben – ja, wo
wir auch Gegensätze aushalten müssen.
So wird die Liebe Gottes, die wir in uns tragen und die uns trägt und unsere Beziehungen heilen will,
zum Schlüssel unseres Glaubens. In der Hoffnung auf Jesus Christus, der aus Liebe unsere Rettung ist,
werden wir als Gemeinde der Sünder zur Gemeinde der Erlösten – jetzt schon, heute schon!
Die Frage, ob denn Liebe Sünde sein könne, wird von Zarah Leander dann auch beantwortet:
„Niemals werde ich bereuen, / was ich tat, / und was aus Liebe geschah,
das müsst ihr mir schon verzeihen, / dazu ist sie ja da!
Liebe kann nicht Sünde sein, / doch wenn sie es wär' / dann wär's mir egal –
lieber will ich sündigen mal, / als ohne Liebe sein!“
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In diesem Sinne kehre ich am Ende der Predigt zum ersten Vers des Textes zurück: „Schliesslich: Seid
alle eines Sinnes, voller Mitgefühl, liebt einander, übt Barmherzigkeit, seid demütig!“
Amen.
Pfarrer Dr. Lutz Bauer
Baumannstraße 35
D-78120 Furtwangen
+49 7723 91141
bauer@ekibreg.de
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