- Geographisches Institut der Universität Bonn
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Richard Dikau, Bonn Geomorphologische Perspektiven integrativer Forschungsansätze in Physischer Geographie und Humangeographie Summary This paper provides a discussion of geomorphic contributions to ongoing debates about society-nature interactions in physical and human geography. It argues that the philosophical discourse related to ontological and epistemological issues has to be strengthened in geomorphology as a prerequisite for the intellectual interactions between human and physical geography. Geomorphic research in sediment cycles of erosion and deposition within biogeochemical cycle systems in the Holocene time scale deliver strong contributions to theories and conceptions about socio-economic metabolism and colonization of nature. This refers to PAGES Focus 5 programmes and other palaeo-ecological research activities which are definitely convinced that “historical analyses are a sine qua non in the search for a sustainable future”. 1. Einleitung Das DFG-Rundgespräch „Möglichkeiten und Grenzen integrativer Forschungsansätze in Physischer Geographie und Humangeographie“, das am 12.-13.11.2004 in Bonn stattfand, bot Gelegenheit, einen Diskussionsprozess fortzusetzen, der vor etlichen Jahren durch die Kommission für Geomorphologie der Bayerischen Akademie der Wissenschaften angestoßen wurde. Mit dem Symposium „Geomorphologie: Quo vadis?“ der Kommission im November 2002 sollte Stellung bezogen werden zur Position und Perspektive der deutschen Geomorphologie innerhalb der geographischen Disziplin und ihren Nachbarwissenschaften und zu zukünftigen Forschungsthemen. Unter Federführung des Arbeitskreises Geomorphologie der Deutschen Gesellschaft für Geographie wurden verschiedene Maßnahmen eingeleitet, die in der Entwicklung der Denkschrift „Oberfläche der Erde – Lebens- und Gestaltungsraum des Menschen“ münden, in der diese Perspektiven ausgearbeitet und publiziert werden sollen. Der vorliegende Aufsatz greift einige Aspekte dieser aktuellen Diskussion auf und richtet sich damit einerseits an die geomorphologische Disziplin. Weiterhin versucht sich der Aufsatz an möglichen Bezügen zwischen Entwicklungen der internationalen Geomorphologie und den aktuellen Diskursen der Natur-Kultur-Wechselwirkung in Human- und Sozialökologie. 2. Natur-Kultur-Dichotomie in der geomorphologischen Holozänforschung Die paläoökologische Analyse der Natur-Kultur-Wechselwirkungen ist eine sine qua non für eine nachhaltige Zukunft. Mit dieser Behauptung begründet DE VRIES (im Druck) die paläoökologische Holozänforschung unter drei zentralen Gesichtspunkten: • • • Die Verfügbarkeit einer Fülle neuer wissenschaftlicher Daten des globalen Wandels erlaubt bedeutende Fortschritte im Verständnis der zeitlichen Entwicklung des materiellen Metabolismus von Gesellschaften im Sinne von FISCHER-KOWALSKI u. HABERL (1998). Es liegen inzwischen ausreichend untersuchte Fallstudien zur Umweltgeschichte vor, die es erlauben, wissenschaftliche Hypothesen über die sozio-kulturelle Dynamik der Vergangenheit vorzuschlagen und zu testen. Die neuen Modellierungswerkzeuge und eine Vielzahl sozio-ökologischer Konzepte und Theorien erlauben es, verschiedene „Grand Stories“ zu erzählen, ohne einen wissenschaftlichen Realismus durch zu starke Vereinfachungen aufzugeben. 91 Als Geomorphologe betrachtet der Autor das Themenfeld integrativer Forschungsansätze in Physischer Geographie und Humangeographie traditionell als die Veränderung der Reliefform und der reliefformenden Prozesse durch den in einer physisch-materiellen Sphäre wirkenden Menschen. Die ontologische Dichotomie von Natur und Kultur oder von Umwelt und Gesellschaft wird damit bezogen auf die Schlüsselrolle des Menschen für die Erklärung der Veränderung der Energie- und Stoffflüsse terrestrischer Systeme des Holozäns ab Beginn des Neolithikums vor ca. 7.500 Jahren. Diese massive Umgestaltung hat zu den bekannten Folgen geführt, die sich mit Hangabtragung und Bodendegradation, der Sedimentdeposition am Hangfuß (Kolluvium), der Verfüllung von Tiefenlinien niedriger Ordnung und der Auenlehmdeposition in den Talauen der Flüsse höherer Ordnung und dem Sedimentaustrag in die Ozeane und Binnenmeere charakterisieren lassen. Die Umgestaltung der Systeme ist gewaltig. Mit Erosions- und Depositionsraten von regional mehreren Metern in weniger als 7.500 Jahren werden Sedimentflussraten von den Quellen zu den Speichern beschrieben, die in der Entwicklung terrestrischer Systeme der letzten Millionen Jahre vermutlich noch nie erreicht wurden. In den oberen Teilen zahlreicher Einzugsgebiete Mitteleuropas sind Tiefenlinien oder Hangfußbereiche mit bis zu 8 Meter mächtigen Hangfußkolluvien verfüllt, die Auenlehme der Flüsse erreichen mancherorts Mächtigkeiten von 6 oder mehr Metern. Die geometrische (geomorphometrische) Veränderung des Systems ist also beträchtlich. Ab Beginn des 19. Jahrhunderts kamen die ingenieurtechnischen Umgestaltungen der Fließgewässer hinzu, wobei der Rheinausbau das wohl bekannteste Beispiel Mitteleuropas ist. Die Flussmäander wurden durchstochen, die Ufer befestigt und nach 1950 der Staustufenbau vorangetrieben. Die direkten gesellschaftlichen Eingriffe in die Reliefformen und die Veränderungen der natürlichen Prozesse an der Formoberfläche umfassen ein weites Spektrum von Einzelphänomenen: • Direkte menschliche Eingriffe in die Erdoberfläche o Formung durch Aufschüttung, Terrassierung, Pflügen o Formung durch Steinbrüche, Bergbau, Tagebau, Sprengung, o Formung durch Wasserbau (Dämme, Flussbegradigung, Küstenverbau und -schutz) • Menschliche Veränderungen natürlicher Prozesse an der Formoberfläche o Verwitterung (Versalzung, Versauerung, Gesteinszersatz) o Hangerosion und -sedimentation (Bodenerosion durch landwirtschaftliche Nutzung, Desertifikation, Rodung, Urbanisierung, historische Bodenerosion, Dünenbildung und -wanderung) o Flusserosion- und Sedimentation (Staustufenbau, Fracht durch Hangerosion, Auensedimentation früher, heute und morgen) o Gravitative Massenbewegungen (Hangrutschungen, Murgänge, Hangbelastung und Hangunterschneidung durch menschliche Eingriffe, Sprengungen) o Senkungen der Erdoberfläche (Bergbau, Grundwasserentnahme, Permafrostschmelze) Erzeugung von Erdbeben (Stauseefüllung) Die paläoökologische Erforschung des Holozäns und der gesellschaftlich verursachten Veränderungen des „Systems Erde“ ist inzwischen weit entwickelt, so dass von zahlreichen Disziplinen und Forschungsprogrammen umfangreiches Material vorliegt (z.B. STEFFEN et al. 2002; ALVERSON et al. 2003; ROBERTS 2004). Begrifflichkeiten wie „Mensch-Umwelt-Kopplung im Holozän“, „Integration of human impact and the natural environment“ oder “The human impact” sind etabliert und gehören zum terminologischen Standard der Erforschung des globalen Wandels im Rahmen des IGBP (International Geosphere-Biosphere Programme) (STEFFEN et al. 2004). In Deutschland sind neue Erkenntnisse der Entwicklung von Geoarchiven durch das Schwerpunktprogramm „Wandel der GeoBiosphäre während der letzten 15.000 Jahre“ erbracht worden, das einen Beitrag zum IGBP Programm PAGES – PEP III geleistet hat (LITT 2003). 92 Dem Ansatz folgend, dass ein Verständnis der Natur-Kultur-Wechselwirkungen im Holozän ein Schlüssel für das Verständnis der aktuellen und zukünftigen Entwicklung terrestrischer Systeme darstellt, hat sich mit dem Focus 5 von IGBP – PAGES (Past Ecosystem Processes and HumanEnvironment Interactions) eine Forschungsgruppe etabliert (PAGES 2005; DEARING im Druck), die in dieser Themenstellung eine starke angewandte Problemorientierung regionalen und globalen Ausmaßes mit hoher gesellschaftlicher Relevanz sieht. Die durch die historische Entwicklung geschaffene aktuelle Systemkonfiguration bildet dabei nicht nur den Kontext heutiger Prozesse. Die Kenntnis der Entwicklungsmechanismen sowie der variablen Sensitivität und Robustheit des Systems im Laufe seiner Jahrtausende langen Veränderung bietet zentrale Grundlagen für die Abschätzung bzw. Modellierung des zukünftigen Systemverhaltens und damit für operative Maßnahmen einer nachhaltigen Entwicklung (OLDFIELD u. ALVERSON 2003; OLDFIELD u. DEARING 2003). Unter geomorphologischen Gesichtspunkten postuliert dieser Ansatz das System einer 3dimensionalen Reliefform, wie z.B. einen Hang oder ein Einzugsgebiet, das aus abiotischen und biotischen Komponenten und ihren Attributen besteht (Reliefform, oberflächennaher Untergrund, Böden, Vegetationsbedeckungstyp, Formsensitivität und -persistenz etc.) und das von externen Einflüssen der menschlichen Tätigkeit und des Klimas verändert wird. Eine wichtige, gesellschaftlich verursachte Veränderung liegt im Landnutzungswandel von einer Waldvegetation zum ackerbaulich genutzten System. Die Aufgabe besteht sodann in der Trennung der menschlichen von den klimatischen Einflüssen, was mit Hilfe von Proxydaten der deponierten Sedimente, oder/und unabhängig davon, durch archäologische, palnyologische, paläoklimatologische und historischgeographische Rekonstruktionen der Besiedlung und Landnutzung erfolgt. Analoger Schluss, multiple Hypothesen, Hermeneutik und historisch-narrative Methoden bilden übliche Komponenten der paläoökologischen Methodologie. Zeigt nun das Alter der Ablagerung des Sedimentes und die Phase des Landnutzungs- oder/und Klimawandels chronologische Parallelitäten, werden kausale Beziehungen formuliert. Für den Sedimentfluss bildet die menschliche Tätigkeit einen Einflussfaktor (forcing), der eine Systemreaktion (response) erklärt. Je detaillierter die Landnutzungsänderung in Raum und Zeit aufgelöst werden kann, desto stichhaltiger wird die Erklärung der Systemreaktion erfolgen können. Natürlich steht die holozäne Paläoforschung hier vor besonderen Problemen, da Prozesse und ihre Einflüsse aus Proxyparametern abgeleitet werden müssen, weil ja für den größten Teil der letzten 7.500 Jahre keine direkten Messdaten vorliegen. Der Zeitraum direkter Messdaten umfasst oftmals nur wenige Jahre oder Jahrzehnte. Die Sedimenttransporte im Rhein beispielsweise werden seit ca. 35 Jahren gemessen, Messreihen für die Bodenerosion auf landwirtschaftlichen Nutzflächen liegen in Mitteleuropa ab den 1950er Jahren vor. In diesen Ansätzen wird, zugespitzt formuliert, der Mensch / die Gesellschaft reduktionistisch als externer Einflussfaktor eines Systems betrachtet, der zu parametrisieren ist und als Modellkomponente Verwendung finden kann. Die Frage, warum ein Individuum oder eine Gesellschaft bestimmte Handlungen vornimmt, wird dabei nicht berührt (PITMAN 2005, S. 142-144; HOOKE 2000, S. 845). In Umkehrung der auf die Sozialwissenschaften bezogenen Aussage von F ISCHER-KOWALSKI u. ERB (2003, S. 257) kann somit formuliert werden, dass der Mensch / die Gesellschaft im Grunde den Charakter einer exogenen Störung trägt. Im Sinne der von VALSANGIACOMO (1998. S. 153) diskutierten wissenschaftstheoretischen Typisierung der Humanökologie basiert dieser Ansatz darauf, die Veränderungen von Ökosystemen als Naturphänomen zu sehen, das mit einem Kausalprinzip interpretiert wird und das keine „Sinn-Deutung“ der eingreifenden menschlichen Handlung vornimmt. Warum aber, so kann gefragt werden, muss der Sinn einer menschlichen Handlung bekannt sein, um verstehen zu können, warum in einem Seesediment ein bestimmtes Pollenspektrum oder eine bestimmte datierte Sedimentschicht deponiert wurde? 93 3. Der humanökologische Diskurs zur Überwindung der Natur-Kultur-Dichotomie Die geschilderten geomorphologischen bzw. paläoökologischen Paradigmen der Natur-KulturWechselwirkung sind durch den von MEUSBURGER u. SCHWAN (2003) herausgegebenen Band „Humanökologie – Ansätze zur Überwindung der Natur-Kultur-Dichotomie“, auf den hier speziell Bezug genommen wird, grundlegend in Frage gestellt und erschüttert worden. WEICHHART (2003, S. 16) schildert darin, dass sich auf naturwissenschaftlicher Seite „eine (in manchen Ausprägungsformen extrem naiv-empirizistisch anmutende) Auffassung“ finden würde, „bei der ‚Natur’ und ‚Kultur’ in essentialistischer Weise konzipiert sind. ‚Kultur’ wird dabei als artefaktenhafter Niederschlag menschlichen Tuns in Form von Landnutzungssystemen oder Kulturlandschaft gefasst. Die symbolhaft vermittelten Formen des gesellschaftlichen Naturbezuges bleiben weitgehend ausgeblendet. Auch die prozesshaften Elemente des Gesellschaft-Natur-Metabolismus werden höchst unzulänglich berücksichtigt. Diese ‚Kurzform’ einer naturalistischen Position kann noch immer als mainstream-Variante der Konzeptualisierung des Gesellschaft-Umwelt-Problems in der innerfachlichen Diskussion des deutschen Sprachraumes angesehen werden“. In derselben Sammlung wird von F ISCHER-KOWALSKI u. ERB (2003, S. 16) „auf der Suche nach einem sozialwissenschaftlichen Zugang zur biophysischen Realität“ der Ansatz eines gesellschaftlichen Stoffwechsels (Metabolismus) im Raum diskutiert. Als Grundlage und Begründung führen F ISCHERKOWALSKI u. ERB (2003, S. 257) dazu aus, dass die „Mainstream-Sozialwissenschaften Gesellschaft als hochkomplexe Einheiten auffassen, welche sich ausschließlich aus den eigenen internen Mechanismen erklären“ und dass aus Sicht dieser Sozialwissenschaften die Natur im Grunde den Charakter einer exogenen Störung tragen würde. Weiter wird der Metabolismus als historisch variables Phänomen „von Gesellschaft als materiell offenem System“ betrachtet, das aus der biophysischen Sphäre Ressourcen aufnimmt (Rohstoffe), diese transformiert (Nahrung und andere Produkte) und mit Zeitverzögerung wieder an die biophysische Sphäre abgibt (Abfälle, Emissionen). Die Durchdringung bzw. Verschneidung der biophysischen Sphäre und der gesellschaftlichen Sphäre erfolgt durch die „gesellschaftliche Kolonisierung natürlicher Prozesse“. Nach FISCHER-KOWALSKI u. ERB (2003, S. 270) beschreibt Kolonisierung „die dauerhafte, gezielte und intendierte Beeinflussung naturaler Prozesse durch die Gesellschaft als Vorleistung für die Befriedigung gesellschaftlicher Ansprüche an die natürliche Umwelt. Kolonisierung ist ein prozessuales Modell der Interaktion zwischen sozialen und naturalen Systemen“, das sowohl im naturwissenschaftlichen (Veränderung ökosystemarer Energieflüsse, genetische Rekombination, Bodenveränderung) als auch im sozialwissenschaftlichen Kontext (Kolonisation als gesellschaftliches Handeln, gesellschaftlicher Organisationsaufwand, Arbeit, Technik) zu erschließen ist. Von hoher Bedeutung ist weiterhin, dass Kolonisierung als historischer Prozess betrachtet wird, der mit Beginn des Neolithikums mit Einführung der Landwirtschaft begann. Diesen Überschneidungsbereich zwischen physischmaterieller Welt und Gesellschaft bezeichnet WEICHHART (2003, Abb. 1) als „hybrides System“, das aus hybriden Entitäten besteht, „die erst durch die Verknüpfung von spezifischen Handlungen mit einem spezifischen physisch-materiellen Milieu entstehen.“ Durch den Aneignungsprozess der physisch-materiellen Welt sei diese nun als immanenter Bestandteil von Gesellschaft anzusehen. Im Sinne von GODELIER (1986) ist damit Realität gleichzeitig materiell und mental-symbolisch aufzufassen. Voraussetzungen für eine Erforschung der Wechselwirkungen von Natur und Kultur liegen demnach im Sinne von ZIERHOFER (2002) darin, von einer Natur-Kultur-Dichotomie zu einem Natur-Kultur-Dualismus zu gelangen, der feststellt, dass die Illusion des Zusammenlebens der Menschen in und gegenüber einer schützenden Umwelt fallengelassen wird, weil es nie eine Umwelt hier und eine Gesellschaft dort gegeben habe. Für einen naturwissenschaftlich und historisch arbeitenden Geomorphologen sind diese hier äußerst verkürzt dargestellten Ansätze einer metabolischen Natur-Kultur-Interaktion nicht einfach nachzuvollziehen. Dass eine materielle Entität, wie z.B. ein Sedimentkörper, als mental-symbolisches Subjekt begriffen werden kann, muss erst einmal verstanden werden. Auch entziehen sich dem Naturwissenschaftler mitunter die tieferen ontologisch-epistemologischen Grundlagen dieses 94 Ansatzes. Allerdings ist transdisziplinäre Natur-Kultur-Forschung nicht zu haben, ohne die disziplinäre Grenze zu überschreiten und ein „Spielbein“ in den sozialwissenschaftlichen Paradigmen zu entwickeln. Das bedeutet auch, dass, wie BACCINI (2003, S. 303) betont, die interdisziplinäre Arbeit nur dann realisiert werden kann, wenn „alle Beteiligten einen Zusatzaufwand betreiben“, der in das Verstehen der anderen Disziplin investiert werden muss. Warum eine Sedimentbohrung „naiver Empirismus“ sein soll, erschließt sich einem Geomorphologen darüber hinaus nicht ohne weiteres. Allerdings, so soll auch betont werden, ändert sich dieser Standpunkt mit zunehmender wissenschaftsund erkenntnistheoretischer Ausbildung. Nach dem Ansatz einer metabolischen Natur-Kultur-Interaktion könnte demnach ein durch den Bodenerosionsprozess vom Hang zum Hangfuß durch Massenfluss transferiertes und dort deponiertes Sediment (Kolluvium) und der darin gespeicherte Kohlenstoff als Teil der physisch-materiellen Realität und gleichzeitig als Teil der menschlichen Gesellschaft angesehen werden. Das Kolluvium ist „history inscribed in nature“ (GODELIER 1986) und stellt damit ein hybrides System dar. Unter methodologischen Gesichtspunkten liegt hier eine Entität vor, die die Folgen des „Kolonisierungsregimes“ in Form eines Proxydatums beinhaltet und zur historischen Rekonstruktion dieser Folgen beitragen kann. Allerdings ist hier äußerste Vorsicht geboten, da der Sedimentproxy durchaus selbstorganisierte und nicht-lineare Signale enthalten kann, die den Kolonisator verschleiern können. Weiterhin haben die strukturellen Veränderungen des physisch-materiellen Systems massive Rückwirkungen auf gesellschaftliche Systeme nach sich gezogen. So verlaufen Bodendegradation und -zerstörung häufig nach Mechanismen positiver Rückkopplungen ab, wobei der agrarwirtschaftliche Systemkollaps dann erreicht ist, wenn die Bodenproduktivität zerstört ist. Die ontologischen Schwierigkeiten im Natur-Kultur-Diskurs werden allerdings nicht nur in der globalen Umweltforschung deutlich. Die gegenseitige Ausblendung naturund sozialwissenschaftlicher Zugänge bei der Naturgefahren- und -risikothematik bilden eines der Hindernisse für die von allen Seiten geforderte Transdisziplinarität, ohne die allerdings eine Naturkatastrophenforschung auch keinen nachhaltigen operativen Erfolg haben wird (DIKAU 2004; DIKAU u. WEICHSELGARTNER 2005). Es ist daher geboten, dass sich die Geomorphologie im Rahmen der Physischen Geographie und der physischen Umweltwissenschaften diesem Diskurs stellt. Die Umkehrung der Frage von WEICHHART (2003, S. 21) wie aus sozialwissenschaftlicher Sicht sinnvoll mit der physisch-materiellen Welt umgegangen werden könne, kann aus historischnaturwissenschaftlicher Perspektive der Geomorphologie dann beantwortet werden, wenn nicht nur die naturalistische Sedimentationsgeschichte rekonstruiert wird, sondern damit gesellschaftlich brisante Konsequenzen, z.B. in Form der Einbuße von Bodenproduktivität oder dem Verlust an Wasserspeichervermögen von Staubecken durch Sedimentation (VÖRÖSMARTY et al. 2003) verbunden werden. Dazu müssten Forschungsagenden erweitert werden, die mögliche Zugangspfade zu einem Natur-Kultur-Diskurs bilden und die zu einer integrativen Konzeptionalisierung der Natur-KulturWechselwirkung beitragen könnten. Zusammenfassend werden aus diesen Überlegungen folgende Hypothesen formuliert: • • • Ohne deutliche Intensivierung des wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Diskurses in der Geomorphologie wird ein ernstzunehmender Beitrag der Disziplin zur transdisziplinären Erforschung von Natur-Kultur-Wechselwirkungen nicht stattfinden können. Die geomorphologische Systemtheorie und ihre Weiterentwicklung im Sinne komplexen Systemverhaltens kann einen Beitrag zur Entwicklung von Modellen hybrider Natur-KulturSysteme bilden. Die nicht-lineare Veränderung von Struktur und Konstitution geomorphologischer Systeme im Holozän hat bis heute andauernde und in die Zukunft reichende Rückwirkungen auf die Gesellschaften, die diese Systeme kolonisieren und nutzen. Die geomorphologische 95 • Holozänforschung leistet einen wichtigen Beitrag für die Rekonstruktion dieser Strukturveränderungen. Sedimentfluss und -haushalt bilden zentrale geomorphologische Forschungsfelder für das Verständnis der biogeochemischen Energie- und Stoffkreisläufe im Sinne des Natur-KulturMetabolismus in variablen Raumzeiten. 4. Geomorphologische Ansätze als Beitrag zu einem Verständnis von Natur-KulturWechselwirkungen 4.1 Wissenschaftstheorie und Geomorphologie Die Behauptung von Richard CHORLEY (1978, S. 1) „Whenever anyone mentions theory to a geomorphologist, he instinctively reaches for his soil auger“ hat die Geomorphologengeneration des letzten Vierteljahrhunderts vorwiegend des angelsächsischen Sprachraumes nachhaltig beeinflusst (STODDART 1997). In einer weitgehend positivistisch geprägten deutschen Geomorphologie kann es allerdings durchaus passieren als „theorielastig“ bezeichnet zu werden, wenn über Fallstudien hinausgehende Ansätze und Konzeptionen diskutiert werden. Andererseits bemühen sich auch auf internationaler Ebene vergleichsweise wenig Vertreter der Disziplin um einen wissenschaftstheoretischen Diskurs. Immerhin wurde das in Deutschland bereits Anfang der 1980er Jahre publizierte Buch „Theorie der Geowissenschaften“ von ENGELHARDT u. ZIMMERMANN (1982) in die englische Sprache übersetzt. Trotz dieser allgemeinen Zurückhaltung hat sich in den letzten 15 Jahren ein internationaler Diskurs entwickelt, der sich um die wissenschaftstheoretische Basis und Weiterentwicklung sowie die Kohärenz und Divergenz der Disziplin bemüht (HAINES-YOUNG. u. PETCH 1986; RICHARDS 1990, 1994; BAKER u. TWIDALE 1991; BAKER 1996b; RHOADS u. THORN 1996; SLAYMAKER 1997; HARRISON 1999; RHOADS 1999; INKPEN 2005). Diese Entwicklung und Diskussion ist innerhalb der deutschen Geomorphologie auf wenig Resonanz gestoßen. Man mag hier einwenden, dass pragmatische, problemorientierte Forschungsansätze wissenschaftstheoretische Diskurse erübrigen. Jedoch erscheint es gerade vor dem Hintergrund divergierender geomorphogenetischer, reduktionistisch-deterministischer und angewandter Ansätze in der Geomorphologie (SLAYMAKER 1997, S. 334) sowie des längst überfälligen Diskurses zu Theorie und Methodologie der Natur-Kultur-Wechselwirkungen geboten, auch in Deutschland weit mehr Energie in die wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Grundlagen der Disziplin zu investieren. Vermutlich besteht eines der Probleme der heutigen „Mensch-Umweltforschung“ darin, dass in den Sozialwissenschaften diese Grundlagen einen weit bedeutsameren Stellenwert einnehmen. Durch dieses Ungleichgewicht wird nicht nur die inter- und intradisziplinäre Kooperation, sondern darüber hinaus eine integrative Konzeptualisierung erschwert oder verhindert. In einer zu dieser Fragestellung zentralen Publikation diskutiert RHOADS (1999) die Nützlichkeit des wissenschafts- und erkenntnistheoretischen Diskurses in der Physischen Geographie mit besonderer Betonung der geomorphologischen Disziplin. Folgende Behauptungen werden aufgestellt: • • • Konzeptionelle und erkenntnistheoretische Diskurse in der Geomorphologie befürworten in erster Linie pragmatische Ansätze, die in den USA auf die durch W.C. Peirce beeinflussten Ansätze von K.G. Gilbert und W.M. Davis zurückzuführen sind (zitiert in BAKER 1996a). Die Ansätze des erkenntnistheoretischen Realismus von RICHARDS (1990, 1994) führen zu der Forderung einer praktischen, problem-orientierten Geomorphologie. So wie BAKER (1996b) fordert RHOADS (1999) eine tiefgehende ontologisch-epistemologische Untersuchung der geomorphologischen Wissenschaft. RHOADS (1999) sieht zwar im gegenwärtigen wissenschaftspolitischen Klima die Vorteile pragmatischer Ansätze, die möglicherweise das Überleben der Disziplin sichern könnten, er hält sie aber wissenschaftlich für wenig anspruchsvoll und weiterführend. Jedoch sei die Fähigkeit zu einer kohärenten, wissenschaftlichen Identität innerhalb der Disziplin ebenso wichtig wie die angewandte 96 Seite, da Geomorphologen auch zahlreiche Themenfelder der Grundlagenforschung bearbeiten. Dazu sei es allerdings unabdingbar, dass sich die Disziplin mit grundsätzlichen ontologischepistemologischen Fragen befassen muss und darin eine der Voraussetzungen des Diskurses zwischen Physischer Geographie und der Humangeographie zu finden sei. Aus US-amerikanischer Sicht geht RHOADS (1999) noch weiter, indem er behauptet, dass das Fehlen des philosophischen Diskurses in der Physischen Geographie dazu geführt habe, dass • • • weder die Öffentlichkeit noch die akademische Welt ein klares Bild davon hätten, was Physische Geographen betreiben, der Zustand fehlender intellektueller Orientierung die Legitimation der Geographie als akademische Disziplin untergräbt, und dies der wichtigste Grund dafür sein könnte, warum Geographen nach wie vor unter vergleichbaren Disziplinen nur die „zweite Geige“ in der gesellschaftlichen Relevanz spielen würden. Weiterhin verschaffe uns unsere Zersplitterung eine ungünstige Ausgangsposition für die schnelle, kollektive und effektive Orientierung an den sich entwickelnden gesellschaftlichen Bedürfnissen. Gut entwickelte philosophische Beweisführungen, die die Bestimmung der Relevanz der Geographie nicht nur aus einer pragmatische Perspektive sondern auf ontologischer und epistemologischer Grundlage erklären, seien daher von stärkerem Gewicht als jede andere einseitige Rechtfertigung und darüber hinaus hilfreich, der geographischen Disziplin zu mehr Kohärenz zu verhelfen. Diese kritische Position gegenüber einer pragmatisch-anwendungsorientierten Fixierung der Physischen Geographie bzw. Geomorphologie wird auch von anderen nordamerikanischen Vertretern der Disziplin eingenommen (BAUER et al. 1999; PHILLIPS 1999). Die Forderung lautet dagegen, dass es an der Zeit sei, sich mit den Fragen einer geomorphologischen Systemtheorie, Theorien der Skalenabhängigkeit geomorphologischer Phänomene und der daran gekoppelten methodologischen Ansätze zu orientieren. 4.2 Systemtheoretische Diskurse in der Geomorphologie Die von Ludwig von Bertalanffy entwickelte Systemtheorie wurde in den 1960er und 1970er Jahren in die Physische Geographie eingeführt. Zeitgleich wurde durch die Arbeiten von STRAHLER (1950; 1952) ein nachhaltiger Paradigmenwechsel in der Geomorphologie eingeleitet, der die qualitativevolutionären Theorien der Reliefentwicklung im Sinne W.M. DAVIS (1899) durch eine auf Messungen beruhende Prozessgeomorphologie ablöste (dynamische Geomorphologie) (Abb. 1). Die von CHORLEY (1962), CHORLEY u. KENNEDY (1971) sowie CHORLEY et al. (1984) vorangetriebene Theorie geomorphologischer Systeme basiert auf einer Klassifikation von 5 Systemtypen unterschiedlicher Eigenschaften. Sie umfassen die Form (als 2-dimensionale Oberfläche), das Material (als 3-dimensionaler Körper), den Prozesses und ihre Wechselwirkungen. Weiterhin beinhaltet diese Typisierung variable Raum- und Zeitskalen der Systementwicklung, raumund zeitlich variable Systemsteuerungen durch externe Eingriffe sowie erste Ansätze zeitabhängiger, nichtlinearer Systemreaktionen (S LAYMAKER 1991, S. 429) (Tab. 1). Hier soll nicht grundlegendes Lehrbuchwissen wiederholt werden, jedoch erscheint es im Rahmen der aktuellen perspektivischen Diskussion in der deutschen Geomorphologie angebracht, das systemtheoretische Konzept kritisch zu reflektieren. 97 Abb. 1: Interpretation der paradigmatischen Entwicklungen in der Geomorphologie (nach A. RICHARDS 2002, S. 105, verändert). Komplexitt Paradigmatische Krise Forschungsaktivitt Quantitative Revolution Systemtheorie Geomorphogenetik Kreationismus/ Teleologie Zeit 1850 Prozesse 1900 1950 2000 Der von CHORLEY u. KENNEDY (1971) vorgeschlagene theoretische Ansatz einer „Physischen Geographie der Wechselwirkungen und Rückkopplungen“ sollte einer Spezialisierung physischgeographischer Disziplinen entgegenwirken und einen Rahmen bieten, um Kopplungen zwischen den Disziplinen und ihren spezifischen Untersuchungsobjekten zu erleichtern. Die gegen den systemtheoretischen Ansatz erhobene Kritik richtete sich v.a. gegen die Schwierigkeit der Umsetzung des theoretischen Ansatzes in den empirischen Bereichen der geomorphologischen Forschung (KENNEDY 2004). Dieser Position können SLAYMAKER u. SPENCER (1998) nicht folgen, die eher die grundsätzliche Fehlinterpretation des systemanalytischen Ansatzes in der Physischen Geographie beklagen und auf die systemtheoretisch angelegte globale Umweltforschung von Stoff- und Energiekreisläufen verweisen. Auch PHILLIPS (1999) beklagt die geringe Akzeptanz der allgemeinen Systemtheorie in der geomorphologischen Forschung und stellt fest, dass system-orientierte Ansätze die implizite Basis prozess-bezogener Theorien und Methodik sei. Unter Gesichtspunkten der disziplinären Kohärenz hat SLAYMAKER (1997) auf eine verstärkte Umsetzung des systemtheoretischen Ansatzes mit der Forderung gedrungen, dass auf dieser Grundlage der Sedimenthaushalt einen Ansatz liefern könnte, mit dem der Divergenz in der Disziplin entgegengewirkt werden könnte. Für die Geomorphologie bietet der systemtheoretische Ansatz und die Systemtypisierung ein Grundgerüst für die Strukturierung geomorphologischer Forschung und Lehre. Der Vorteil liegt auf mehreren Ebenen. Unter konzeptionellen Gesichtspunkten ermöglicht sie zum einen eine klare Trennung und Verbindung von Reliefgeometrie, Material und Prozess. Sie beinhaltet Prozessreaktionssysteme, d.h. Form-Prozess-Form-Rückkopplungen, und damit konzeptionelle und methodologische Möglichkeiten zur Entschlüsselung emergenter Systemeigenschaften. Das Prozessbzw. Kaskadensystem bietet eine Konzeption für die Sedimenthaushaltsmodellierung und damit für quantitative Ansätze der Analytik des Sedimentflusses in Bio-Geosystemen auf lokaler, regionaler und globaler Skale. Die geomorphologische Naturgefahrenforschung wird treffend mit dem Typ des Kontrollsystems bezeichnet, was die direkte menschliche Veränderung materiell-physischer Objekte zur Verminderung von Risiken betrifft. 98 Tab. 1: Klassifikation von geomorphologischen Systemtypen (nach CHORLEY u. KENNEDY 1971 und SLAYMAKER 1991, S. 429 verändert, vgl. DIKAU 1998, S. 10). Systemtyp Formsystem (statisches System) Beispiele toposequentielles Hangsystem, hydrologisches Einzugsgebiet, Hochgebirge Prozesssystem (Kaskadensystem) Hangsystem (Kopplung FelswandSturzhalde), fluviales System mit Kopplung der Hänge (Quellen) mit kolluvialen, alluvialen und marinen Speichern (Senken) Prozess – Reaktionssystem (FormProzesssystem) Hangsystem (freie Felswand und Schuttkegel) mit negativer Rückkopplung zwischen Form und Prozess Mesoskaliges, glazigenes (pleistozänes) Talsystem mit mikroskaliger, gravitativer (holozäner) Überprägung Geomorphogenetisches System Geomorphologisches Kontrollsystem Bodenschutz zur Verminderung von Bodenerosion, Gerinneverbau zu Verhinderung von Ufererosion Auswahl von Methoden 2-dimensionale Geomorphometrie, Reliefklassifikation, statistische Korrelation statischer Variablen Prozessmodelle, 3-dimensionale Volumenmodelle, Sedimentkaskadenmodelle, Sedimenthaushaltsmodelle, Ableitung von Sedimentflüssen aus Proxydaten der Geoarchive Prozessmodellierung mit zeitlicher Formenvarianz Multiskalige Reliefformanalyse („Reliefgeneration“), stratigraphische und chronometrische Modelle, abduktiver Schluss von Form und Material auf den Prozess Prozessmodellierung, ingenieur-technische Maßnahmen für die Risikoverminderung heuristische Gefahrenbewertung 4.3 Nichtlinearität und Komplexität geomorphologischer Systeme Der systemtheoretische Ansatz hat durch das „23rd Binghamton Symposium in Geomorphology“ (PHILLIPS u. RENWICK 1992) in der Geomorphologie eine Neubewertung und Weiterentwicklung erfahren (Abb. 1). PHILLIPS (1992) fasst diese Weiterentwicklung unter dem Begriff der nichtlinearen, dynamischen Systeme in der Geomorpholgie (nonlinear dynamical systems, NDS) zusammen, deren Grundlagen in der Mathematik, Physik und Chemie entwickelt wurden. Mit der Aufforderung, NDS als Weiterentwicklung der traditionellen Systemlehre zu begreifen, werden weitreichende Konsequenzen verbunden: • • Die Erforschung von Einzelprozessen oder Einzelkomponenten des Systems soll durch die Analyse des dynamischen Verhaltens des Gesamtsystems, seiner konstituierenden Komponenten sowie ihrer Kopplungen und wechselseitigen Anpassungen erweitert werden. Die Analyse geomorphologischer Systeme soll nach holistischen Grundsätzen erfolgen, um damit die bisherigen reduktionistischen Ansätze der Analytik von Einzelkomponenten des Systems zu überwinden. 99 Ebenso wie S LAYMAKER (1997) will PHILLIPS (1992) mit Konzepten der Systemanalytik divergenten Entwicklungen in der Disziplin entgegenwirken und Kopplungen mit anderen Komponenten des BioGeosystems erleichtern, um damit der paradigmatischen Krise der Geomorphologie (Abb. 1) entgegenzuwirken. Weiterhin sei von Vorteil, dass holistische Ansätze in den Kontext existierender, traditioneller Systemansätze der Geomorphologie gestellt werden können. Auf diese Weise, so ist PHILLIPS (1992) überzeugt, können die weit verbreiteten impliziten system-orientierten Ansätze mit einer erweiterten expliziten Systemtheorie gekoppelt werden. Der NDS-Ansatz ist von PHILLIPS (1999) sowohl unter theoretischen und phänomenologischen Gesichtspunkten rezipiert worden, wobei sich die Kritik aus der Disziplin in erster Linie auf die Probleme der Kopplung der NDS-Ansätze mit den empirischen Befunden der Feldforschung bezogen hat. PHILLIPS (2003) hat diese Kritik aufgegriffen und die Erweiterung des Ansatzes zur einer „Complex Nonlinear Dynamik (CND)“ vorgeschlagen. Wie DEARING (2004 S. 722) betont, bestehen mit den Ansätzen der nichtlinearen Systemanalytik nunmehr Möglichkeiten, bisher lediglich kausal mit externen Faktoren korrelierte und inkonsistente Feldbefunde besser verstehen zu können. Es soll allerdings auch betont werden, dass bereits Stanley SCHUMM (1979, 1991) die nichtlineare Reaktion fluvialer Systeme durch den Begriff des „complex response“ beschreibt. Danach entsteht die komplexe Reaktion eines fluvialen Systems dadurch, dass in einem bestimmten Zeitraum ein externer Einfluss (z.B. eine Ansenkung der Erosionsbasis) innerhalb des Systems zu räumlich variablen Reaktionen führen kann. Das heißt, dass Einschneidung und Deposition im selben Zeitraum räumlich benachbart auftreten können. Die Begründung für dieses Systemverhalten liegt in der räumlich variablen Konfiguration des Systems und in den Eigenschaften der Systemspeicher, die durch unterschiedliche interne Schwellenwerte bedingt eine variable Sensitivität aufweisen. Für die Erklärung externer klimatischer und gesellschaftlicher Einflüsse auf ein geomorphologisches System aus Proxydaten eines Geoarchives (z.B. kolluviale oder fluviale Sedimente) hat die nichtlineare, komplexe Systemreaktion bedeutende Konsequenzen, da kausale Ursache-Wirkungsbeziehungen nicht mehr ohne weiteres zur Erklärung des Phänomens herangezogen werden können. PHILLIPS (2003, S. 19) benennt mehrere phänomenologische Ursachen für nichtlineares, komplexes Systemverhalten: • • • • • • • • • Schwellenwerte (threshold), Masse- und Energiespeicher (storage effects) Sättigung und Entleerung (saturation and depletion) Selbstverstärkung durch positive Rückkopplung (self-reinforcing positive feedback) Anschwächung durch negative Rückkopplung (self-limitation) Konkurierende Wechselwirkungen (competitive relationships) Multiple Formen der Anpassung (multiple modes of adjustment) Selbstorganisation (self-organization) Hysterese (hysteresis) Die Nichtlinearität von Systemen wird häufig mit bestimmten Aspekten nichtlinearen Verhaltens, wie z.B. Chaos, Fraktale und Selbstorganisation in Verbindung gesetzt, jedoch sind nicht alle nichtlinearen Eigenschaften von Systemen komplexer Natur. Nichtlineare Systeme können einfach und vorhersagbar sein, was für komplexe Systeme und ihr emergent-musterbildendes oder skaleninvariates Verhalten nicht zutreffen muss. Das heißt, dass die Nichtlinearität von Systemen und ihre Kontingenz nur eine von zahlreichen Eigenschaften dieser Systeme darstellen. Die Konfiguration des Systems (geomorphometrische Struktur, Raumstruktur der Quellen und Senken, Hangcatenen, Flussnetzstruktur etc.) hat für das Verhalten fluvialer Systeme eine besondere Bedeutung (LANE u. RICHARDS 1997; TRIMBLE 1999; RICHARDS 2002). Diese Systemeigenschaften entstehen im Laufe der Entwicklung des Systems, sind damit zeitlich variabel und stellen jeweils neue Rahmenbedingungen für nachfolgende Prozesse dar. Sie bilden emergente Systemeigenschaften 100 (emergent properties, WASSON 2002). Zeitlich variable, quantitative Sedimenthaushaltsmodelle bilden eine Methodengruppe, mit der versucht werden kann, fluviale Erosion und Sedimentation im zeitlichen und räumlichen Kontext der Systemkonfiguration zu erfassen (DEARING et al. 2005). Erst dadurch können grundlegende Beziehungen zwischen Sedimentproduktion, -speicher und Speicherremobilisierung und den externen Einflüssen von Landnutzung und Klima aufgedeckt werden. Für ein kleines Einzugsgebiet demonstrierte TRIMBLE (1999) die zeitliche und räumliche Veränderlichkeit der Sedimentspeicherung in Kolluvien, Alluvionen und des zeitlich davon entkoppelten Sedimentaustrags. Zugleich begründet TRIMBLE (1999) damit die Notwendigkeit von Forschungsansätzen der quantitativen, zeit-abhängigen Beschreibung des Sedimenthaushaltes fluvialer Systeme (DEARING 2004). Der in der internationalen Forschung etablierte Begriff des Sedimenthaushaltes (sediment budget) bezieht sich auf sämtliche Komponenten des Systems in Form der vorhandenen Quellen und Senken sowie auf die zwischen ihnen stattfinden Sedimentflüsse (REID u. DUNNE 1996; SIDORCHUK 2003). Allerdings existieren aktuelle Sedimenthaushaltsmodelle für große Flusssysteme bislang kaum (WASSON 2002). Entsprechend sind die von MILLIMAN u. SYVITSKI (1992, S. 525) vorgelegten Schätzungen der heutigen jährlichen terrestrischen Sedimentflüsse in die Ozeane von 18-24 × 109 t) mit großen Unsicherheiten behaftet. Für längere Zeitskalen gestaltet sich die Rekonstruktion der Sedimentflüsse auf Grund der Datenausdünnung bedeutend schwieriger. Diese Ansätze können sich nicht auf Messdaten stützen, sondern müssen Proxydaten kolluvialer und alluvialer Sedimente zurückgreifen. Daher ist es bislang weitgehend unbekannt, welche Sedimentmengen seit Beginn der neolithischen Revolution mobilisiert, gespeichert und in die Ozeane ausgetragen worden sind. 4.4 Geomorphometrische Konfiguration des Raumes Unter den Gesichtspunkten, dass die Geomorphologie die Beziehung zwischen Prozess und Form zu erhellen hat, verwundert es, dass Taxonomien der Reliefformen, oder allgemeiner, die Konzeptualisierung des geomorphologischen Raumes, nur einen vergleichsweise geringen Stellenwert in der heutigen geomorphologischen Forschung einnimmt. Allein die einfache Frage, welche sedimentären Komponenten ein Makrosystem, wie etwa das Rheineinzugsgebiet, beinhaltet, oder wie diese qualitativ in einer Kaskadenstruktur räumlich gekoppelt sind, kann nur durch explizite Raumansätze beantwortet werden. Raum und Zeit müssen zusammen gedacht werden (MASSEY 1999, S. 274). Die geomorphologische Systemanalyse erfordert auf jeder Raumskale geomorphometrische Ansätze. Das Georelief ist ein räumlich und zeitlich multiskaliges Phänomen. Unter taxonomischen Gesichtspunkten kann es als aus verschachtelten, hierarchisch organisierten Formen und Formelementen betrachtet werden, die Ausdruck unterschiedlich alter Formungsprozesse sind. Die zeitliche Skale, in der eine einzelne Form zu betrachten ist, ist mit dem Raum durch die Größe dieser Form, ihre Persistenz und ihre Einbindung in das Gesamtrelief verknüpft. Diese räumliche Verschachtelung wird als Palimpsest beschrieben, was bedeutet, dass ältere, ggf. bereits abgeschlossene Formungsprozesse ihre Spuren im heutigen Georelief hinterlassen haben und dadurch integraler Bestandteil des rezenten Reliefs sind (CHORLEY et al. 1984, S. 9). Die Aufgabe der Geomorphometrie besteht darin, den geometrisch-topologischen Charakter der Komponenten des Palimpsests systematisch zu beschreiben und zu quantifizieren. Dabei ist es notwendig, einen multiskalen, systemaren Ansatz zu wählen. Diese Theorie liegt auch dem Ansatz der Reliefgenerationen Julius BÜDELs (1977) zugrunde. BÜDEL (1977) beschreibt geschachtelte, aus Raum-Zeitebenen aufgebaute Hierarchien erosiver Prozess-Reaktionssysteme sowie die Kopplung und Entkopplung von Systemkomponenten und geschachtelte Rückkopplungsmechanismen zwischen diesen Komponenten. 101 Die Geomorphometrie hat in der Entwicklung der deutschen Geomorphologie eine weit zurückreichende Tradition (R ASEMANN 2004). KUGLER (1974) entwickelte diesen Ansatz weiter und definiert einen taxonomisch konsistenten Reliefaufbau aus subordinierten Systemeinheiten auf unterschiedlichen räumlichen Skalen, die von der Pico- bis zur Megadimension reichen. Auf jeder Skale können Formfacetten, Formelemente, Formen und Formassoziationen definiert werden. Es handelt sich um einen polyhierarchischen Ansatz, mit dem die Struktur des Reliefs durch adäquate Attribute- und Objekteigenschaften abgebildet werden kann. Diese Systematik gestattet sowohl den Analyseweg der sukzessiven Zerlegung komplexer Systeme in einfachere Bausteine (top down) als auch den Weg der Systemsynthese durch Aggregation seiner Bauteile (bottom up). Die Umsetzung des gefügetaxonomischen Ansatzes in das Baukastensystem einer thematischen Karte erfolgte in der Bundesrepublik Deutschland durch das geomorphologische Kartierungssystem der Geomorphologischen Detailkarte 1:25.000 (BARSCH u. LIEDTKE 1980). Die Abbildung geomorphometrischer Ansätze in computer-gestützte Modelle ist ein weit über die Geomorphologie hinausgehendes Forschungs- und Anwendungsfeld, das zur Standardfunktionalität von GIS Technologien oder GIS-unabhängiger Softwareprodukte gehört. Trotz dieser Fortschritte und der einfachen Verfügbarkeit digitaler Geländemodelle und räumlicher geomorphometrischer Daten bestehen in der Reliefanalyse nach wie vor beträchtliche Defizite der semantischen Reliefgliederung und der quantitativen Reliefstrukturanalyse (DIKAU 1998; DIKAU u. SCHMIDT 1999; RASEMANN 2004). Weiterhin bietet die technische Entwicklung der Jahre im Bereich der Computer- und Softwareentwicklung sehr effektive Werkzeuge, die für die Modellierung der geomorphometrischen Informationsschichten, die Digitalisierung und die graphische Kartenerzeugung wesentliche Arbeitserleichterungen bedeuten (OTTO u. DIKAU 2004). 4.5 Sedimentfluss als Komponente des biogeochemischen Kreislaufes In ihrem Lehrbuch „Physical Geography and Global Environmental Change“ entwerfen S LAYMAKER und SPENCER (1998) die Konzeption eines Beitrages der Physischen Geographie zur globalen Umweltforschung. Er wird festgestellt, dass diese eine einmalige Gelegenheit dazu bieten würde, die Fragmentierung der Disziplin zu überwinden und zu einer holistischen Interpretation von Umweltsystemen zurückzukehren, wobei folgende Kernthesen formuliert werden: • • • • • Biogeochemische Kreisläufe sollten in Zukunft eine zentralere Rolle im Curriculum der Disziplin spielen, da Massenflüsse ohne ein tieferes Verständnis der Umweltchemie nicht ausreichend verstanden werden können. Sedimentkreisläufe wurden bisher zu stark unter Gesichtspunkten eines physikalischen Systemverhaltens verstanden. Sedimentkreisläufe und ihre Wechselwirkungen mit der Lithosphäre, Hydrosphäre, Biosphäre, Atmosphäre und mit der Gesellschaft sind ohne ihre Einbindung in einen biogeochemischen Kontext äußerst schwierig zu analysieren. Die Bemühungen der Modellierung der Komplexität von Umweltsystemen sollten weitergeführt werden. Die Potentiale von Fernerkundungs- und GIS-Technologien sollten weiter genutzt werden. Die Rolle der Gesellschaft bei der Veränderung der Erde und die Wichtigkeit kultureller und gesellschaftlicher Wertesysteme als Motor des globalen Wandels muss eine weitaus deutlichere Würdigung durch die Physische Geographie erfahren. Diese disziplinären Perspektiven folgen den Ansätzen der Analytik globaler Stoff- und Energiekreisläufe und ihre Beeinflussung durch gesellschaftliche Systeme als eines zentralen Themenfelds der Erforschung des globalen Wandels (STEFFEN et al. 2002; STEFFEN et al. 2004). Stoffflüsse werden als Bestandteil des biogeochemischen Kreislaufes verstanden, der einerseits Flüsse von gelöstem und partikulär gebundenem Kohlenstoff, Stickstoff, Phosphor oder Schwefel und andererseits die Sedimentflüsse umfasst. Flusseinzugsgebiete bilden einen zentralen terrestrischen Systemtyp dieser Stoffflüsse. Sie können als komplexe Kaskadensysteme aufgefasst werden, die auf 102 menschliche und klimatische Einflüsse sofort aber auch mit ausgeprägten Zeitverzögerungen reagieren können. Unter Gesichtspunkten der Kategorien des Prozess-Reaktionssystems führen diese Reaktionen zu Veränderungen des terrestrischen Systems selbst und der mit ihm gekoppelten atmosphärischen und ozeanischen Systeme. Das bedeutet, dass strukturelle Veränderungen des natürlichen oder bereits kolonisierten Systems Rückwirkungen auf die Gesellschaften haben, die diese Systeme für die Produktion oder für andere Zecke nutzen. Unter Gesichtspunkten des Sedimentkreislaufes sind folgende Komponenten zu rechnen: • • • • • Boden- und Produktivitätsveränderungen landwirtschaftlicher Nutzflächen Flusseinschneidungen Sedimentdepositionen auf Hängen, in Flussauen und Speicherwerken Beeinflussung der Flussdeltaentwicklung und von Küstenökosystemen Rückkopplungen mit dem globalen Klima durch Beeinflussungen der biogeochemischen Kreisläufe der Ozeane Nicht-lineares Verhalten bedeutet, dass der Sedimentfluss durch Zeitverzögerungen charakterisiert wird, die Tausende von Jahre betragen können. So kann in langen Zeitskalen beobachtet werden, dass alpine Flüsse heute immer noch auf die Materialbereitstellung der letzten Kaltzeit reagieren, d.h. dass die Zeitskale der Anpassung des Flusses an die veränderten klimatischen und geomorphologischen Bedingungen länger als 11.000 Jahre sein muss (CHURCH u. SLAYMAKER 1989). Die gesellschaftliche Kolonisierung kann den Sedimentaustrag aus Flusseinzugsgebieten um das 5-10fache, regional gar um das 100fache erhöhen (EINSELE u. HINDERER 1997; DEARING u. JONES 2003). In den mitteleuropäischen Flusssystemen mit einer langen Nutzungsgeschichte werden demzufolge heute Sedimente aufgearbeitet und ausgetragen, die seit Beginn des Neolithikums vor ca. 8.000 Jahren produziert wurden (STARKEL et al. 1991; BROWN u. QUINE 1999). Eine schlüssige Erklärung terrestrischer Sedimentflüsse setzt daher die Integration von Informationen langer Zeitskalen aus Geoarchiven voraus, die weit über die verfügbaren Zeitreihen direkter Messungen von Wasser- und Sedimentflüssen der letzten Jahre oder Jahrzehnte hinausgehen. Dieser Ansatz bildet die Grundlage des PAGES (Past Global Changes)-Projektes LUCIFS (Landnutzungs- und Klimaeinflüsse auf fluviale Systeme seit Beginn der landwirtschaftlichen Nutzung). LUCIFS zielt auf das Verständnis der Stoffflüsse in fluvialen Systemen auf globalen, regionalen und lokalen Skalen (WASSON 1996; WALLING u. FANG 2003; DIKAU et al. 2005). LUCIFS hat eine holozäne Forschungsperspektive. Der Ansatz des Sedimenthaushaltes bildet den zentralen analytischen Rahmen des Projektes, um die komplexen „Wechselwirkungen zwischen Natur und Kultur“ zu verstehen und um die Proxyparameter der Sedimentarchive mit den Zielparametern der Sedimentflüsse verknüpfen zu können. Die Schlussfolgerungen, die aus der holozänen fluvialen Systemforschung gezogen werden können, schließen neue Herausforderungen und Forschungsziele ein, wie z.B. Nichtlinearität, Wirkungen der räumlichen Skale oder die Struktur des Reliefs (WALLING 2003, S. 3180). 5. Perspektiven Durch die Diskussion von wissenschaftlichen Ansätzen der Geomorphologie sollte im vorliegenden Beitrag ausgelotet werden, welche Perspektiven und Potenziale sich für die Disziplin im Rahmen der humanökologischen Erforschung von Natur-Kultur-Wechselwirkungen ergeben könnten. Auch wenn die „Überwindung der Natur-Kultur-Dichotomie“ als Voraussetzung integrativer und transdisziplinärer Forschung für eine klassische Disziplin der Physischen Geographie langwierig sein wird, existieren heute geomorphologische Ansätze, die fundierte Beiträge zu den Konzepten des „biophysichen Metabolismus“ liefern können. Dazu muss sich die geomorphologische Disziplin allerdings weit stärker als bisher systemtheoretischen Ansätzen zuwenden und den Themenbereich der nichtreduktionistischen Erforschung von Stoffwechseln in ökologischen Systemen erschließen. 103 Die geomorphologische Holozänforschung bildet eine ausgezeichnete Grundlage für einen derartigen Beitrag. Einer der wenigen Versuche mit Bezug auf die Integration variabler Zeitskalen in Erklärungsansätze der Natur-Kultur-Wechselwirkungen wurde durch MESSERLI et al. (2000) publiziert. Die Autoren unterscheiden die früh- bis mittelholozäne Periode (ca. 9.000 – 1.000 BC), die historische Periode (ca. 1.000 AD bis 20. Jahrhundert) und die aktuelle Skale. Der Ansatz basiert auf der Hypothese, dass jede menschliche Gesellschaft durch zeitliche Trajektorien der Verwundbarkeit („trajectory of vulnerability“) beschrieben werden könne. Die hochgradig verwundbaren Gesellschaften der frühholozänen Jäger und Sammler entwickelten sich über weniger verwundbare hochproduktive agrarisch-urbane Systeme zu Gesellschaften der Gegenwart, die durch Bevölkerungswachstum und Übernutzung der Lebensgrundlagen wiederum durch hohe Verwundbarkeiten gekennzeichnet sind. Von hohem Interessen erscheinen hier weiterhin die zeitlich variablen Entwicklungen des Stickstoff-Metabolismus in Mitteleuropa für drei Zeitperioden der letzten 400 Jahre, die auf die Arbeiten von PFISTER (1984) zurückgehen. Die Recherchen des Autors zeigen aber auch, dass die Kommunikationsstränge zwischen den wissenschaftlichen Akteursgruppen der Humanökologie bzw. Sozioökologie (Beiträge in MEUSBURGER u. SCHWAN 2003) und der prähistorischen und historischen Paläoökologie des Holozäns (Beiträge in ALVERSON et al. 2003), noch nicht sehr weit entwickelt sind. Der von GODELIER (1986) geprägte Ausdruck der „history inscribed in nature“ kann treffsicher auf die zentralen Entitäten der geomorphologischen Holozänforschung angewendet werden. Es sind dies die Sedimentspeicher in Form kolluvialer und alluvialer Körper (DEARING et al. 2005), die im Sinne der sozial-ökologischen Terminologie hybride Komponenten sozial-ökologischer Systeme darstellen. Wenn dieser Forschungsansatz um die Bereiche der Sedimentflüsse und -kreisläufe und ihre systemtheoretische Einbindung in die terrestrischen biogeochemischen Kreisläufe erweitert wird, lassen sich ausgezeichnete transdisziplinäre Perspektiven für die geomorphologische Disziplin entwickeln (GREGORY 2000, S. 275ff.). Abschließend und plakativ soll auf Diskurse in der englischen Geographie verwiesen werden, in denen über integrative Forschungsansätze, Theorien und Methoden in der Physischen Geographie und Humangeographie diskutiert wird und theoretische, methodologische und programmatische Annäherungen versucht werden (RAPER u. LIVINGSTONE 1995; MASSEY 1999; LANE 2001; RAPER u. LIVINGSTONE 2001; MASSEY 2001; RICHARDS 2003; TRUDGILL u. ROY 2003; HARRISON et al. 2004; MATTHEWS u. HERBERT 2004; HUGGETT 2004). Eine Kopplung unserer laufenden Debatte in der deutschsprachigen Geographie mit diesen Diskursen sollte unser nächstes Ziel sein. Literaturverzeichnis ALVERSON, K. D, R. S. BRADLEY u. 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