magazin - Memory Biografie
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magazin der Alice Salomon Hochschule Berlin alice 19/2010 Neue hochschulpolitische Entwicklungen Neues aus der Hochschule: � Fröbel-Stiftungsprofessur besetzt Aus der Praxis: � Biografiearbeit mit Kindern Schwerpunktthema: � � Kommentar zur Hochschulpolitik Rückblick-Ausblick: Rektoratswechsel Aus der Praxis Projekt Lebensbuch – Biografiearbeit mit Kindern und Jugendlichen an der Schule Isabel Morgenstern, M. A. Montagnachmittag in einer Realschule in Moabit. Ich stehe in einem Klassenzimmer mit elf lärmenden Schüler/-innen der 7. Klasse, die zwischen den Bänken herumrennen. Nach einem anstrengenden Schultag fällt ihnen zum Fach Deutsch als Zweitsprache nur eins ein: „Bitte nicht schon wieder schreiben!“ Die Lehrerin kommt, und endlich sitzt jeder an seinem Platz. Ich gebe wie immer einen Plüsch-Smiley herum. Die Kinder kennen das Verfügung, um auszudrücken, wie es ihnen geht. Heute probiere ich eine neue Variante aus: Ich frage sie, wenn ihr momentanes Befinden eine Farbe wäre, welche das wäre. Die Idee kommt an, wir hatten in der Woche zuvor das Thema Gefühle sind wie Farben. „Ich fühle mich heute blau, nein, eher grünblau, so wie Elenas Schal.“ – „Das sieht aus wie das Meer in Griechenland“, wirft ein Junge ein, und das Mädchen sagt „Ja stimmt, da wäre ich gerade gerne.“ Die Kinder sind sehr präzise, erfinden sogar ginnen: Ein Freund/Eine Freundin ist für mich … Die meisten fangen zu schreiben an. Freundschaft ist ihr Thema, und sie wissen, dass Rechtschreib- und Grammatikfehler in diesem Stadium unwichtig sind. Überarbeitet und verschönert wird später. Es macht Spaß, zu beobachten, wie die Atmosphäre intensiver wird. Sie sind neugierig: Wer ist wessen Freundin, und wer von denen, die genannt werden, ist hier in der Gruppe? Später lasse ich die Kinder einen Brief an einen Freund schreiben. Ich habe einige Alternativen dabei, falls der Protest gegen das Schreiben zu groß wird, doch es klappt. Auch die Lehrerin ist immer wieder erstaunt, was in den Stunden am Nachmittag alles entsteht und wie konzentriert die Kinder bei der Sache sind. Von der Idee zur Vereinsgründung Moabiter Schüler/-innen bei der Gestaltung ihrer Lebensbücher kleine Ritual und werden etwas ruhiger. Die Antworten auf die Frage: „Wie geht es dir heute?“ fallen meist einsilbig aus. „Gut“ oder „schlecht“, manchmal auch „mittel“. Den Schüler/-innen steht ein begrenzter aktiver Wortschatz zur 34 neue Farbtöne und hören einander zu – schließlich steht kein fremder Unterrichtsstoff im Mittelpunkt, sondern sie selbst. Nach einem Aufwärmspiel geht es heute um das Thema Freundschaft. Ich teile Blätter aus, die mit dem Satz be- Die Idee zum Projekt Lebensbuch entstand während meines Masterstudiums Biografisches und Kreatives Schreiben an der ASH. Auf der Suche nach Möglichkeiten, Schreibkurse zu geben, stieß ich im Sommer 2008 auf einen Aufruf zum Einreichen von Projektvorschlägen in meinem Stadtteil. Unter anderem waren Vorschläge zur autobiografischen Spurensuche gewünscht, und ich hatte die Idee, mit Moabiter Schüler/-innen Lebensbücher zu gestalten. Ich fragte Mitstudierende, ob sie Lust hätten, sich zu beteiligen, und wir trafen uns mit einer Projektberaterin von Vielfalt in der Mitte. Sie fand unseren Vorschlag gut, erklärte uns jedoch, dass Privatpersonen keine Mittel beantragen können. So kam es zur Gründung von Memory Biografie- und Schreibwerkstatt e. V. Aus der Praxis Was sind Lebensbücher? Lebensbücher bestehen aus einzelnen Seiten, die jede/r Autor/-in im Laufe des Kurses gestaltet. Es gibt drei Themenbereiche: Das bin ich – Das ist meine Familie und meine Herkunft – So stelle ich mir meine Zukunft vor. Die Kinder bzw. Jugendlichen werden bei der Gestaltung angeleitet, wobei ein Reflexionsprozess angeregt wird, der über die eigene Person hinausreicht. Sie erfahren mehr über sich selbst und ihre Familie, aber auch über ihre Mitschüler/-innen und deren Hintergrund. Hier entstehen Anlässe zu reflektieren, z. B.: Was ist eine richtige Familie und wer gehört dazu? Kann man gleichzeitig deutsch und türkisch, griechisch oder arabisch sein? Jeder Schüler hat am Ende ein eigenes Buch erstellt, in dem Fotos, eigene Texte, Gedichte, Briefe, ausgefüllte Fragebögen, selbst gemalte Bilder und Collagen enthalten sind. Zum ersten Mal habe ich von Lebensbüchern im Zusammenhang mit der National Community of Women Living with HIV/AIDS in Uganda gehört, wo Mütter Bücher über sich selbst und ihre Familie für ihre Kinder schreiben. Als ich begann, nach Varianten für Kinder zu forschen, stieß ich u. a. auf Modelle in Afrika und Großbritannien. In Deutschland wurde die Arbeit mit Lebensbüchern in der Jugendhilfe insbesondere durch die Psychologin Irmela Wiemann und die Pädagogin Doris Lattschar bekannt gemacht. Für den niedrigschwelligen Einsatz von Lebensbüchern an Schulen gab es bisher keine Modelle. So war es unsere Aufgabe, das Konzept aus der Jugendhilfe in den Rahmen des Schulunterrichts zu übertragen und durch eigene Ideen – u. a. aus dem kreativen Schreiben – zu ergänzen. Diese Arbeit bringen wir in unseren laufenden Projekten zum Abschluss, indem wir pädagogische Begleitmaterialien für die schulische und außerschulische Kinderund Jugendbildung erstellen. Inzwischen interessiert sich ein Verlag dafür, voraussichtlich erscheinen die Materialien im 1. Halbjahr 2011 als Buch. Kinder deutscher Herkunft, die das Fach Deutsch als Zweitsprache sonst nicht besuchen. Wichtig ist in unserer Arbeit ein ressourcenorientierter Ansatz. Die Schüler/innen sollen sich bestärkt fühlen: „Ich bin eine Fußballerin, die gut Fußball spielt.“ – „Ich bin auf dem Weg, Ärztin zu werden.“ – „Ich bin Moabit, und das ist mein Gebiet.“ Kontakt: memory-verein@gmx.de Projekt Lebensbuch – ein Schulprojekt in Moabit Als Projektpartnerin konnten wir die Hedwig-Dohm-Schule in Moabit gewinnen, wo wir von Oktober 2008 bis Dezember 2009 zwei Kurse im Rahmen des regulären Schulunterrichts durchgeführt haben. Ab kommendem Schuljahr, nach Einführung der Sekundarschule, findet das Projekt dort im außerschulischen Nachmittagsprogramm statt. Wir sind gespannt, wie die Schüler/innen unser Angebot aufnehmen. Von den elf Kindern im eingangs beschriebenen Kurs waren zwei Freiwillige dabei – mehr Platz war nicht, da pro Trainerin bzw. Lehrkraft nur 5−6 Kinder teilnehmen können. Einige Schüler/-innen standen auf einer Warteliste und konnten nicht teilnehmen, darunter auch Literatur: – The Ten Million Memory Project and Memory Work web.uct.ac.za/depts/cgc/Jonathan/index.htm – Lattschar, B./Wiemann, I. (2008): Mädchen und Jungen entdecken ihre Geschichte. Grundlagen und Praxis der Biografiearbeit. Weinheim: Juventa. – Ryan, T. / Walker, R. (2004): Wo gehöre ich hin? Biografiearbeit mit Kindern und Jugendlichen. Weinheim: Juventa. 35 Inhalt Editorial 3 Impressum 3 Neues aus der Hochschule Fröbel Stiftungsprofessur besetzt Pflegewissenschaftliche Promotion einer ASH-Absolventin Neue Studiengangsleitung im Master Biografisches und Kreatives Schreiben Veröffentlichung des OECD-Expertenberichts HiASH – Studierende beraten Studierende Mit internationalen Studenten in Berlins „Dunklen Welten“ Baumaßnahmen an der Hochschule 5 5 5 alice tagt Rückblick: Arbeitskreis „Rechnungswesen/Controlling“ der Hochschulkanzler Treffen der Kriminologen Profis für Krippen an der ASH Ausblick: Konferenz „Pflege ist Zukunft“ Tagung „Unwirtliche Zeiten“ 9 6 6 7 8 8 9 10 10 11 11 Studium & Lehre Das Mentoring-Programm der ASH Kunst und Wiederholbarkeit im Studium und Methoden Sozialer Arbeit Die Methode Zukunftswerkstatt alice in Bewegung – mehr Sport an der ASH 12 12 Forschung Institut für angewandte Forschung Mehr Handlungsspielraum in der Physiotherapie Mental Health Promotion und psychosoziale Gesundheits versorgung – eine Auslandsdozentur in Ostafrika Das Geschlecht läuft immer mit – zum Forschungsprojekt „Gender in Forschung, Lehre und Weiterbildung“ Österreichs Alternative zu Hartz IV Kennen – Erkennen – Anerkennung in der Ergo- und Physiotherapie 19 19 19 14 16 18 22 24 26 28 Aus der Praxis Schulkampagne zieht erstes Fazit Finanzkrise und soziale Folgen Biografiearbeit mit Kindern und Jugendlichen an der Schule Zirkus Internationale e. V. kämpft gegen Bildungsarmut 30 30 31 Schwerpunktthema Neuere hochschulpolitische Entwicklungen in Berlin und darüber hinaus – ein Kommentar der langjährigen Rektorin der ASH Prof. Dr. Christine Labonté-Roset Europäischer und Deutscher Qualifikationsrahmen – welche Bedeutung haben sie für Hochschulen? 38 34 36 38 40 „Wir wollen die interdisziplinären Potenziale der Hochschule weiter ausbauen“ – ein Interview mit dem neuen Rektorat „Der erste akademische Studiengang für Erzieher/-innen war ein Dammbruch“ – ein Interview mit der ehemaligen Rektorin Prof. Dr. Christine Labonté-Roset „Wir haben für mehr Transparenz gesorgt“ – ein Interview mit dem ehemaligen Prorektor Prof. Dr. Heinz Cornel Hommage an Christine Labonté-Roset Internationale Stimmen zu Prof. Dr. Christine Labonté-Roset Impressionen der feierlichen Rektoratsübergabe 42 46 49 52 55 58 Internationale alice Aktivierende Gemeinwesenarbeit im brasilianischen Serra Negra „An die Kakerlaken gewöhnt man sich“ – ein Auslandspraktikum in Bangladesch Nach dem Seminar: Ab auf die Piste! – ein Auslandssemester in Österreich 60 alice und ihre Alumni Angst nehmen und Zuversicht geben – Katja Bielig Kinderschutz: den Fehlern auf der Spur – Kay Biesel 65 65 66 Menschen Neuberufungen: Prof. Dr. Michael Brodowski Prof. Dr. Rahel Dreyer Prof. Dr. Jutta Hartmann Prof. Dr. Heinz Stapf-Finé Prof. Dr. Hartmut Wedekind Neue Verwaltungsmitarbeiter/-innen: Annett Eckloff Claudia Engelmann Caroline Hahn Franziska Holz Joachim Kuck Hans-Jürgen Lorenz Maria Molito Elina Nurmela Emeritierte Professor/-innen: Brigitte Geißler-Piltz 67 67 67 67 68 69 70 71 71 71 72 72 73 73 74 74 75 75 Ausgezeichnet! Frauenrechtlerin aus Sierra-Leone erhält Alice Salomon Award 2010 Poetik Preisträgerin Rebecca Horn erhält Hessischen Kulturpreis 2010 77 Lesestoff 78 Die letzte Meldung 81 Termine, Termine 82 60 62 64 77 77