Friss Vogel oder stirb

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Friss Vogel oder stirb
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Thema Friss Vogel oder stirb
Bauwelt 24 | 2008
Die Bürde einer unendlichen Geschichte, so der Autor, schleppten Architekten hinter
sich her, und das mache es ihnen schwer, von den probaten Entwurfsmethoden abzuweichen. Doch sie erreichen den Markt nicht mehr. Dort hat sich viel getan: Was gestern
ein Auftraggeber war, ist heute ein Konsument, der gewohnt ist, seine Wünsche nicht
zu äußern, sondern sie sich durch die Produktvielfalt im Internet wecken und bestätigen zu lassen. Erfüllt werden sie, indem er ordert. Zurückgeben kann er immer noch.
Aber nicht ein ganzes Haus. Um das marktgerecht zu produzieren, gibt es inzwischen
eine Reihe technologischer Hilfsmittel.
Wenn Architekten sich gegen den technologischen Fortschritt
entscheiden, bereiten sie ihren eigenen Untergang vor. Längst
sind weniger skrupellose Berufsgruppen dabei, sich bedenkenlos ihren Weg in die Domäne Architektur zu bahnen. Was
Möbelfirmen, Nachhaltigkeitsexperten, Generalunternehmer
und Manager jedweder Couleur heute anzubieten haben, ist so
umfassend, dass Martin Simpson von Arup Associates Recht
behalten könnte, wenn er behauptet: „Architekten werden eines Tages gar nicht mehr gebraucht. Es sei denn als Fassadenkünstler.“ Um diesem Schicksal zu entgehen, müssen Architekten ihre eigene Nachfrage organisieren, das heißt, sie müssen sich mit Techniken anfreunden, die Wünsche bei dem
potentiellen Auftraggeber wecken, um sie dann zu befriedigen. Wenn einer gewitzt genug ist, steht ihm ein ganzes Arsenal – vom Branding bis Feedback– zur Verfügung, um sich zur
Geltung zu bringen.
Ich werde in meinem Aufsatz über neue Entwurfs- und Baumethoden sprechen, aber nur unter dem einen Aspekt: Wie erhöhen wir die Marktchancen für die Architektur? Andere sollen
darüber spekulieren, welche Auswirkungen die neuen Technologien auf die ästhetische, politische und soziale Kompetenz
der Architekten haben werden. Das ist nicht mein Thema.
Eine Lanze für die Revolution
Friss Vogel oder stirb
Die neuen Technologien und die Zukunft der Architektur
Essay: David Celento
Der Text von David Celento
erschien zuerst 2007 unter
dem Titel „Innovate or
Perish“ in Harvard Design
Magazine 26.
„Innovation ist etwas, was die meisten Leute für sinnvoll und
nützlich halten. Um überhaupt als innovativ gelten zu können, müssen die Architekten sich und ihre Entwürfe mehr denn
je den Nutzern andienen und sich intensiver mit den jeweils
gegebenen Bedingungen befassen. Anders gesagt: Sie müssen
von vornherein auf ein gewisses Feedback aus sein und eine
Rückkopplung mit den physischen wie den kulturellen Gegebenheiten anstreben und können sich deshalb kein Vorgehen
mehr leisten, bei dem es nur um die bekannten, konventionellen Arbeitsschritte geht: Bestandsaufnahme, Entwurf, Ausführungsplanung.“
Ali Rahim, „Catalytic Formations: Architecture and Digital Design“, 2006
Während einige wenige Stararchitekten mit Lob überhäuft
werden, sind die Aussichten für viele andere in der Zunft eher
düster. 2005 gaben nur zwei Prozent der britischen Architekten an, sie seien „sehr zufrieden“ mit ihrem Job. Die Architekten bildeten das Schlusslicht in einer Befragung unter dreißig verschiedenen Berufsgruppen, bei der sich sogar die Beamten als die „Glücklicheren“ erwiesen. Dass Großbritannien
hier kein Einzelfall ist, hat Dana Cuff schon 1991 in ihrem Artikel „Architecture, the Story of Practice“ nachgewiesen. Viele
der Kriterien, nach denen man früher Architekten beurteilte,
sind uns abhanden gekommen, weil es nur noch um eins geht:
Erfolg oder Misserfolg. Dafür gibt es zwei Gründe, der eine ist
eher methodologischer, der andere eher kultureller Natur. Architekten gehören zu den wenigen Berufsgruppen, die eine
Arbeit im Auftrag eines anderen ausführen, ansonsten wird
die Gesellschaft mit fertigen Produkten überflutet. Das erweist sich als Problem, das umso größer ist, je weniger der Auftraggeber versteht, welche Art Produkt Architektur ist und
welcher Anstrengungen es bedarf, um sie zu produzieren, und
der deshalb auch nicht bereit ist, sie angemessen zu finanzieren. Andrerseits geben die neuen digitalen Technologien dem
Architekten ungeahnte Möglichkeiten an die Hand, um Entwurf und Ausführungsplanung zu vereinfachen und zu beschleunigen. Die werden bisher allerdings nur zögernd und
unter Vorbehalt genutzt. Viele Architekten können sich bis
heute nicht damit abfinden, dass sie die Sicherheit des Probaten aufgeben sollen, einige stellen sich einfach blind.
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Der New Yorker Architekturkritiker Paul Goldberg gehört zu
denen, die für neue Technologien und veränderte Geschäftsmethoden plädieren. Sein Argument lautet: Die Menschen
sind heute visuell viel besser ausgebildet als je zuvor und haben einen unstillbaren Hunger nach Status. Deshalb sei es
höchste Zeit, dass Architekten sich um die potentiellen Wünsche ihrer Kunden schon im Vorfeld kümmerten. Auf dem
Fixed Income Forum von 2004 ließ er in einem Text mit dem
Titel „Does Architecture Matter“ Folgendes verlauten: „Der
junge Mann, der heute einen BMW oder einen Audi fährt
(seine Eltern hatten ein Oldsmobil), tut das nicht nur, weil
ihm das Design besser gefällt, sondern auch, weil solche Markennamen einen Status signalisieren, und auf diesen Status,
den man käuflich erwerben kann, kommt es heute vielen Leuten an.“ Warum verzehren sich die Menschen dann nicht nach
Gebäuden von der Qualität eines BMW? Ganz einfach: Es geht
nicht. Noch wird Architektur als Unikat angeboten. Architekturschriftsteller wie Dan Willis, Stephen Kieran oder James
Timberlake propagieren Methoden wie BIM (Building Information Modelling, bei dem alle Daten vernetzt werden und
jede Änderung im Gebäudegrundriss automatisch in Massenberechnung oder Kostenplan eingeht), wie individualisierte
Massenfertigung, wie Parametric Design (eine Weiterentwicklung von CAD, man beginnt nicht mit Maßen oder Modulen,
sondern mit Bauteilen wie Türen und Fenstern) oder Digital
Fabrication (ein Programm, das materielle, dreidimensionale
Modelle aus auf Computern gespeicherten CAD-Daten erzeugt). Solche Autoren beschwören die Allgegenwart des Com-
puters und agieren als „Ratgeber für den furchtlosen Architekten“, der sich nicht scheut, Bauteile online zu bestellen.
Ihr Insiderwissen lässt sie die neuen Technologien irgendwo
zwischen sensationellen Aussichten und gefährlichen Untiefen einordnen.
Maßanfertigung oder Was uns die Geschichte lehrt
Die Frage, die die Architekten beschäftigen sollte, ist doch:
Zeichnen sie weiterhin Unikate, oder können sie sich vorstellen, ein Produkt in vielerlei Varianten anzubieten? Die Übersättigung des Marktes mit Fertigprodukten hat nicht nur das
Konsumentenverhalten beeinflusst, es blieb auch für die Anbieter von maßgearbeiteten Artikeln nicht ohne Folgen. Ein
Blick zurück: Die Zahl der Maßschneidereien, einst ein blühender Handwerkszweig, hat sich infolge der Massenproduktion zwischen 1920 und 1990 auf ein Sechzehntel verringert.
Die Industriegesellschaften haben, ohne zu zögern, Passform,
handwerkliche Verarbeitung und Haltbarkeit gegen billige
Preise, immer mal was Neues, Markennamen, Modeerscheinungen und schnelle Befriedigung eingetauscht. Ein Narr, der
glaubt, die Architektur bliebe davon unberührt. „Die Architektur, mal vergröbert als Industriezweig interpretiert, hat es
einfach nicht für nötig gehalten, ein überragendes, zeitgemäßes, populäres Produkt auf den Markt zu bringen, das sich
mit anderen erfolgreichen Markenartikeln messen kann...
Umso weniger die Architektur von den Wachstumsbranchen
lernt, umso weniger Zeit und Geld hat sie zur Verfügung, um
in dem ihr angemessenen Maßstab und der ihr angemessenen
Qualität ein Produkt herzustellen, mit dem sie die Entwicklung herumreißt.“ So Michael Benedikt im Harvard Design
Magazine von 1999.
Die Verbraucher von heute haben überhaupt kein Gefühl
mehr dafür, wie kompliziert es ist, sich für ein maßgefertigtes
Produkt, welcher Art auch immer, zu entscheiden und es herzustellen zu lassen, ganz zu schweigen von dem Produkt Architektur. Konfrontiert mit den vielen Möglichkeiten und Interdependenzen beim Bauen fühlen sich die Klienten verloren,
denn das Einzige, was sie kennen, sind fertige Massenartikel
im Angebot. Anstatt nun begeistert auf diesen komplizierten
Entstehungsprozess einzugehen, quälen sie sich mit Selbstvorwürfen, weil sie so viel Wünschbares auf dem Weg ausschlagen mussten. Es mag Bauherren geben, die diesen anregenden und kostspieligen Prozess genießen, aber die meisten sind
doch durch die Bequemlichkeit konditioniert, mit der sie Fertigprodukte übers Internet ordern können, die ihnen am
nächsten Tag geliefert werden.
Schnelle Prototypen – schnelle Fertigung
Schön wäre es, wenn die Schwierigkeiten mit den Bauherren
die einzigen Probleme der Architekten wären. Weil nur wenige Innovationen speziell auf die Bauindustrie zugeschnitten
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sind, schlägt Toshiko Mori vor, die Architekten sollten sich ein
Praxismodell ausdenken, bei dem sie „die Fortschritte, die auf
anderen Gebieten erzielt werden, kreativ in ihr eigenes Arbeitsfeld übersetzen“. Zu den von den Architekten kaum beachteten – hingegen von Industriedesignern und Herstellern
vehement begrüßten – Innovationen gehören zum Beispiel
die Rapid-Prototyping-Verfahren, die auch jetzt schon alles
Mögliche können, aber noch viel mehr versprechen.
Sie wurden 1986 erstmalig als Ergänzung zu 3D-Systemen eingeführt, es waren quasi stereolithografische Laserdrucker
(SLA), mit denen es möglich wurde, aus flüssigen Duromeren
Schicht um Schicht dreidimensionale Modelle aufzubauen.
SLA gibt es bis heute, wurde aber durch andere Verfahren zur
Herstellung von Prototypen ergänzt. Man kann inzwischen
Modelle in Gips, Plastik, Gummi, Harzen und pulverbeschichtetem Metall fertigen. Zu Anfang war die Größe der Modelle
auf 1000 Cubic inches (16.387 Kubikzentimeter) beschränkt,
doch die Drucker wurden während der letzten zwanzig Jahre
so weiterentwickelt, dass sie heute in null Komma nichts einen lebensgroßen Menschen hervorzaubern. Vom Rapid-Prototyping aus nachgiebigen Materialien war es dann nur noch
ein Schritt zur Rapid-Fabrication hoch komplizierter fester
Teile, die im Maschinen- und Flugzeugbau und in der Medizin
direkt eingesetzt werden. Die Rapid-Prototyping-Industrie
boomt, Maßstab und Qualitätsanspruch wachsen, während
die Preise nach unten gehen. Wir haben inzwischen so etwas
wie einen 3D-Drucker-Wahn. Professor Hod Lipson von der
Cornell University gibt seit kurzem unter fabathome.org Anweisungen, wie man sich für 2400 Dollar seinen eigenen Drucker baut, der mehr kann als andere, zum Beispiel Modelle in
Schokolade gießen.
Wenn dieser Trend sich hält, werden wir eines Tages ganze
Häuser im Maßstab 1:1 aus dem Drucker herauslassen, außerdem wissen wir, dass die digitalen Designer am Ende ihres Studiums darauf brennen, Formen durch den Drucker zu produzieren, die so ungewöhnlich sind, dass man sie per Hand nicht
mehr bauen könnte.
Inzwischen lassen sich relativ große dreidimensionale Teile
aus Beton fertigen (bis zu sechs Meter Länge, vier Meter Höhe
und zwei Meter Dicke). Die Prototypen stammen von Behrokh
Khoshnevis, der an der University of Southern California arbeitet. Er sieht keine Schwierigkeiten darin, die Rapid-Fabrication im Maßstab immer weiter voranzutreiben, vor allem weil
die Materialkosten immer weniger ins Gewicht fallen und
die Forschungsgelder fließen. Haben Architekten sich erst einmal an den Umgang mit Rapid-Fabrication gewöhnt, können
sie ganz entspannt je nach Bedarf dies oder das entwerfen:
komplexe Unikate oder Multiple von der Stange. Zuerst werden es nur Bauteile sein, später ganze Häuser. 1957 konzipierte
ein Team am MIT für Disney Land das sogenannte „Monsanto
House of the Future“ in Plastik. Wenn es jetzt, fünfzig Jahre
später, um „Houses of the Future“ geht, dann hat das mit dem
kombinierten Einsatz von Digital-Design und automatisierter Rapid-Fabrication zu tun. Keine Sorge, solche Häuser müssen sich nicht auf ein vereinfachtes Adobe-Design einlassen,
sie könnten traditionell oder avantgardistisch daherkommen und wären in jedem Material denkbar, in jeder Farbe,
mit jedweder Oberfläche, transparent oder transluzent. Komplett mit faltbaren Kinderzimmern ausgestattet, würden sie
wahrscheinlich in zähflüssiger Form aus der Düse gepresst
und könnten Formen annehmen, die Gaudí vor Neid erblassen ließen. Ornamente könnten die Häuser überwuchern,
denn sie hätten nichts mehr mit Lohnkosten zu tun. Häuser
wie diese würden die traditionellen Pfosten-Riegel-Konstruktionen ein für allemal ablösen und trotzdem die alten Formen
und Materialien durch Imitation weiterleben lassen. Die monolithischen Bauteile könnten aber auch ein Spielfeld für Modernisten aller Art werden. In die laser-gedruckten Teile lassen
sich nicht nur Leerrohre integrieren, sondern auch Duschen,
Waschbecken, Schränke, Regale und anderes Mobiliar. Die
Folge wäre eine gewaltige Reduktion der am Bau beteiligten
Gewerke, mit anderen Worten, weniger Bauzeit und weniger
Koordinationsfehler. Elektrizität könnte über Circuit Boards
wie in Computern oder Autos zusammengesteckt werden,
wer braucht noch traditionelle Verkabelungen und ortsgebundene Auslässe, wenn er ein Netzwerk direkt unter der Gebäudehaut hat.
Umweltschützer sollten jubilieren, wenn von gedruckten Häusern die Rede ist, denn 92 Prozent des allfälligen Bauschutts
sind Folge von Abriss oder Modernisierung. Das würde sich
dramatisch ändern, denn gedruckte Gebäude sind fast komplett recycelbar, weil sie in Komponenten zerlegbar wären und
ihre Bestandteile wie bei der Mülltrennung der jeweils richtigen Weiterverwertung zugeführt werden könnten. Außerdem
wären die Architekten dann auch in der Lage, die konstruktiven Teile selbst zu analysieren und zu bewerten, sie könnten
sich mehr trauen und würden den Statikern einen Teil ihrer
Kompetenz streitig machen. Für die Klienten aber läge der
Vorteil vor allem darin, dass Materialeinsatz, Kosten und Bauzeit schon vor Baubeginn ziemlich genau zu bestimmen sind.
The Fall
Regie
Peter Whitehead
Drehbuch
Peter Whitehead
Kamera
Peter Whitehead
Darsteller
Paul Auster, H. Rap Brown,
Stokely Carmichael, Ossie
Davies, Allen Binsberg, Tom
Hayden, Robert Rauschenberg
120 Minuten
Großbritannien, 1969
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Was natürlich passieren kann, ist, dass sich dies alles als Bumerang für die Architekten erweist, denn die Bauherren
könnten anfangen, ihre Traumhäuser selbst zu entwerfen: Der
Entwurf ließe sich mit Google Free 3D-Modeler „Sketchup“ bewerkstelligen, der Bau mit gelaserten 3D-Bauelementen vom
Markt. Was dabei rauskäme, könnte die Kritikerszene eine
ganze Weile beschäftigen.
Parametric Design
Weil das Parametric Design der Rapid Fabrication in die Hände
spielt, ist John Nastasi vom Architecture Product Lab am Stevens Institute of Technology Hoboken der Meinung, dass der
Umgang mit Parametric Design zu den zehn oder zwölf
Grundfertigkeiten gehöre, über die ein Architekt, der sich auf
digitales Entwerfen einlässt, verfügen müsse. Parametric Design macht es möglich, alle Veränderungen, die ein Entwurf
durchmacht, festzuhalten und zugleich die Geschichte dieser Veränderungen zu speichern, so dass die Verhältnisse, die
durch eine veränderte Entscheidung entstanden sind, bis zu
ihrem Ausgangspunkt zurückverfolgt werden können. Nehmen wir ein ganz einfaches Beispiel: eine Öffnung in der
Wand. Sie würde, so auf jeden Fall die gängige Praxis bei der
Produktfertigung, in der Wandmitte vorgesehen (gleichgültig,
wie hoch die Wand ist). Bei der Präzision, mit der Maschinen
heute arbeiten, wäre sie auf tausendstel von Zentimetern genau platziert. Schränkt das nicht doch den Architekten in seiner Entwurfsfreiheit ein? Greg Lynn vom Office dA in Boston
und Ali Rahim, der Direktor des Penn’s Graduate Design Research Studio, haben sich deshalb mit dem Animationsprogramm Maya beschäftigt und es für ihre Zwecke adoptiert,
denn es ist, was den Entwurf betrifft, sehr viel anpassungsfähiger und richtet sich weniger nach den Zwängen der Produktion. Maya hat eine Reihe von Vorteilen: Die Manipulation
mathematischer Algorithmen durch MEL (Maya Embedded
Language) kann komplexe Formen bis hin zum Wolkenkratzer selbständig erzeugen (was die Studenten von Kostas Terzidis an der Graduate School of Design der Harvard University,
HYPERLINK „http://de.wikipedia.org/wiki/Harvard_University“, begeistert tun). MEL kann Studentenmodelle im Handumdrehen in Prototypen verwandeln und daraus anschauliche Nutzerperspektiven generieren. Die Anzahl der parametrisch herstellbaren Verhältnisse werden nur noch durch die
Datenmenge oder durch die Fantasie der Designer begrenzt.
Der Vorteil für den Architekten: Er kann aus einem einzigen
Entwurf eine Reihe ähnlicher Entwürfe ableiten, das heißt, er
kann auch aus einem komplizierten Entwurf vereinfachte, am
Anfang nicht voraussehbare, höchst unterschiedliche Varianten ziehen, die nur für diejenigen überraschend sein dürften,
die das System nicht kennen.
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BIM – Building Design Management
Schon das Parametric Design ist viel mehr als nur ein Feuerwerk formaler Experimente. Beim Building Design Management (BIM) wird die Parametric Design Software mit tabellarischen Kalkulationen verschränkt. Alle Änderungen, ob im
digitalen Modell oder in der Massenberechnung, werden automatisch auf beiden Ebenen registriert und einander angeglichen. In dem Maße, in dem BIM eine Visualisierung des
Projekts lange vor Baubeginn ermöglicht, verhindert das Programm, dass Unklarheiten entstehen oder dass Fehler unaufgedeckt bleiben. Mit anderen Worten: Das Programm spart
dem Bauherrn Kosten. Das American Institute of Architects
(AIA), das inzwischen ein Technology and Architectural Practice Committee unterhält, hat neuerdings einen Preis für hervorragende Leistungen mit BIM gestiftet. Theoretisch ist BIM
sozusagen die Erfüllung aller Wünsche, praktisch aber werden die Wünsche nicht erfüllt, wenn man nicht einiges dafür
opfert. Darauf komme ich noch zurück.
Vladimir Bazjanac vom Lawrence Berkeley National Laboratory kann kaum an sich halten, den allgegenwärtigen Fortschritt beim Entwerfen zu bejubeln. Entsprechend schließt er,
dass Architektur, die nicht durch die prüfende dreidimensionale Vorausschau von BIM durchgegangen sei, nur ein „Überzeuge-baue-und-bete-Produkt“ sein könne. Für Bazjanac ist
BIM eine Möglichkeit, mit der Architekten, was den Zeitplan
betrifft, der Konkurrenz der Hersteller von Fertigteilen oder
Fertighäusern begegnen können. In Teilen hat er recht, was er
aber nicht bedenkt, ist Folgendes: Bei der Produktherstellung
fallen auch kleinste Abweichungen ökonomisch ins Gewicht,
während das Honorar des Produktdesigners eher vernachlässigt werden kann. Bei der Architektur ist das ganz anders. Chris
Kasabach, Direktor des Product Marketing bei BodyMedia
(einem Lieblingskind von Cooper Hewitt), argumentiert umgekehrt: Gerade weil es die digitalen Designmodelle gibt,
haben Industriedesigner ihre Arbeitsweise komplett umgestellt. Sie lassen sich in einer viel zu frühen Phase auf die Logik
von Herstellungsprozessen ein, und daraus folgt, dass während der Entwicklung des Prototyps viele Umstellungen und
Anpassungen notwendig werden.
Wer denn dafür bezahle, wurde Kasabach gefragt: „Natürlich
die Produzenten der Prototypen“, soll er geantwortet haben,
„für sie ist das Design Nebensache, nichts weiter als eine notwendige, der Produktion vorausgehende Phase, mehr nicht.“
Trotz allem, was Architektur und Produktmanagement unterscheidet, hat die General Services Administration GSA (eine
unabhängige Agentur der US-Regierung zur Unterstützung
und Verwaltung der Bundesbehörden) inzwischen entschieden: Für bestimmte ausgewählte Projekte verlangt sie seit
2003 von den Architekten ein BIM-Modell, alle staatlich geförderten Projekte brauchen zumindest einen Teilnachweis durch
BIM, und für alle zukünftigen Projekte ist BIM Pflicht. Die
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GSA-Forderung beruht auf einer nachweisbaren Kostenreduktion, weil nachträgliche Änderungen dadurch immer seltener
werden, was 10 Prozent der Baukosten erspart.
Unbestreitbar ist: Die Bauherren werden profitieren. Und die
Architekten? Ich habe zu diesem Thema Luciana Burdi interviewt, sie arbeitet im Management der Capital Asset im Staat
Massachusetts. Es ging mir vor allem um die Architektenhonorare bei BIM-Projekten, bei denen die zusätzliche Leistung
nicht geltend gemacht werden kann. Sie argumentierte folgendermaßen: „Architekten werden dafür bezahlt, dass sie möglichst fehlerfreie Gebäude liefern. Ich sehe nicht ein, dass sie
zusätzlich dafür bezahlt werden sollen.“
Für den Bauherrn ist das, was BIM kann, natürlich einsichtig,
denn er will Kosten sparen. Leider setzt die Wunderwaffe BIM
den Architekten ungerechtfertigt unter Druck: Der Bauherr
verlangt nun ein in jeder Hinsicht ausgereiftes Produkt, obwohl er weiß, dass er ein Unikat in Auftrag gegeben hat. Dennoch muss man wissen: BIM verfügt zwar über ein ziemlich
umfangreiches Repertoire, um Fehler zu reduzieren, kann aber
Fehler nicht ganz ausschließen. Luciana Burdi beklagte sich
darüber, dass eines der durch BIM geprüften Objekte einen
dramatischen Konstruktionsfehler aufwies, den der Architekt
doch bitte vor Baubeginn hätte bemerken und aufdecken müssen. Hier übersieht sie vollkommen, dass BIM den Architekten
dreifach belastet: Er hat mehr Arbeit, weniger Einkommen und
haftet quasi doppelt. Trotz allem benutzen 34 Prozent der Architekten irgendeine Form von BIM, die meisten tun das allerdings im Entwurfsstadium, um ihre Vorentwürfe durch grobe
Kostenschätzungen und Massenberechnungen zu prüfen. Das
gesamte BIM-Programm wird selten angewandt. Dazu wären
zwei Voraussetzungen nötig: Erstens muss der Architekt sein
eigenes Datenmaterial behalten dürfen, damit er bei typologisch ähnlichen Projekten darauf zurückgreifen kann, denn
erst dann werden sich die Anschaffungskosten des Programms
allmählich amortisieren. Das aber verhindert die GSA, die Anspruch auf das gesamte Datenmaterial erhebt. Zweitens müssen die Architekten, weil es sich ja hier um ein Programm aus
der Produktherstellung handelt, ziemlich früh mit entsprechenden Experten zusammenarbeiten, um das digitale BIMModell überhaupt zu erarbeiten. Auch das wird durch die GSA
erschwert, weil man dort weiterhin auf traditionellen Ausschreibungen besteht.
Bisher war die Gruppe mit der besten Lobbyarbeit für die Architekten, wenn es um günstige Bedingungen für das Arbeiten
mit BIM ging, das AIA TAP Committee. Nun hat aber Stephen
Hagan, der Direktor des GSA Knowledge Center, während der
vergangenen vier Jahre für das AIA Komitee gearbeitet und
war 2006 dessen Chairman. Als ich Douglas Paul vom AIA
fragte, ob die Position von Stephen Hagan bei der GSA sich
nicht zu ungunsten der Architekten auswirken könne, war er
überrascht. Nein, diese Frage habe noch keiner gestellt, und
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Hagan wäre ein guter Kerl. Wenn ich also der Erste bin, der
sich darüber wundert, muss man sich dann nicht doch fragen, wer beim AIA die Fäden zieht? Die Kapazitäten von BIM
sind gut dokumentiert, und die Software wird sich weiter verbessern. Trotzdem ist die Herstellung eines kompletten BIMModells im Einzelfall für den Architekten mehr Last als Erleichterung, denn die dafür aufgewendeten Zeiten und Kosten
übersteigen die normalerweise für Entwurf und Ausschreibung vorgesehenen bei weitem. Die Entwicklung eines kompletten BIM-Modells ist fast so aufwendig wie der Bauprozess
selbst und macht nur bei Massenfertigungen Sinn.
Es gäbe natürlich auch die Möglichkeit, ein einzelnes Modell
bei ausreichender Bezahlung zu entwickeln – doch dieser Fall
scheint mir mehr als unwahrscheinlich. Ein zugegebenermaßen schwaches, aber einleuchtendes Beispiel aus der Produktherstellung wäre dies: Boeing wird gefragt, ob sie die Sonderanfertigung eines einzelnen Flugzeugs übernehmen würden.
Der Kunde erhebt Anspruch auf das gesamte Datenmaterial,
dessen Erarbeitung etwa fünf Jahre dauern würde, verpflichtet
Boeing, nur dieses eine Flugzeug herzustellen, verlangt, dass
die Teile fehlerfrei funktionieren, und will nicht viel mehr
dafür zahlen als für ein normales Standardflugzeug ähnlicher
Größe. Boeing würde die Anfrage nicht einmal beantworten,
aber die Architekten konkurrieren um Aufträge, die ihnen
ganz ähnliche Konditionen aufzwingen.
Der digitale Baumeister
„Was dem zwanzigsten Jahrhundert in seinen Anfängen fehlte,
war der Impuls, von jetzt an ganz anders zu bauen. Heute
haben wir Mittel und Wege, Informationen sofort und komplett
zu übermitteln. So können Forschungsergebnisse, Entwürfe
und Bauten in einer Weise vernetzt werden, die es, seit mit
der Renaissance die Spezialisierung begann, nie zuvor gegeben hat.“
Kieran and Timberlake, 2003
Die Baumeister von ehedem haben sowohl gezeichnet als
auch gebaut. Doch schon vor Jahrhunderten haben Architekten auf ihre direkte Beteilung am Bau verzichtet und ihr Wissen in zweidimensionalen Zeichnungen zu Papier gebracht,
die dann spezialisierten Gewerken als Anweisung dienten.
Heute sehen wir einer schnellen Veränderung dieser Form der
Arbeitsteilung zu, ausgelöst durch die digitalen Fabrikationsprozesse. Angefangen hat es 1971 mit Computer Geometric
Design bei Renault. Ein gutes Beispiel von heute ist das viel gepriesene Guggenheim Museum in Bilbao, das zwar wegen seiner kunstvoll gebauschten Formen so berühmt geworden ist,
bei dem aber der Einsatz digitaler Fabrikationsprozesse noch
viel sensationeller ist, ein Durchbruch geradezu. Ebenso sensationell ist die Tatsache, dass Gehrys Büro die Verantwortung
für die Fertigungspräzision aller Teile übernahm. Es ist vielleicht keine so große Neuigkeit, dass die digitale Kommunika-
tion das alte Konzept des Baumeisters – bisher allerdings nur
für einige wenige Architekten – wieder belebt. Vor etwa dreißig Jahren war es die berüchtigte Jersey Devil Architectural
Group, die „Zeichnen und Bauen“ wieder in eins fassen wollte,
das heißt, sie verlangte, dass Planung und Ausführung in einer Hand bleiben. Die Akademien haben sich inzwischen des
Themas wieder angenommen, was pädagogisch interessant
ist, denn es eröffnet den Dialog zwischen Entwurf und Tektonik neu. Am besten vertreten wird das Konzept durch das anerkannte Rural Studio an der Auburn University, das 1993 von
Samuel Mockbee gegründet wurde. Aber auch viele andere
Schulen haben inzwischen das Lehrangebot „Design-Build“ in
ihr Curriculum aufgenommen. Meist geht es dabei um die digitale Produktion von Elementen für solarbetriebene Häuser
(an den Universitäten gibt es einen „Solar Decathlon“ genannten Wettbewerb), es geht um die Erprobung von Materialien,
um formale Experimente oder auch um kollektive Initiativen.
Was nun daraus folgt, ist, dass mehr und mehr junge Architekten sich für das Machbare beim Bauen interessieren, wenn
nicht gar begeistern.
„Design-Build“ geht heute in zwei verschiedene Richtungen.
Die eine, vertreten durch die weitaus größere Gruppe der Bauunternehmer, befasst sich vor allem mit Profitmaximierung,
die kleinere, aber interessantere Gruppe beschäftigt sich mit
Produktoptimierung. Es gibt einige wenige Architekturbüros,
die sich auf das Zusammenspiel zwischen Entwerfen in 3D
und Produzieren in 3D geworfen haben. Was sie produzieren,
sind dreidimensionale Objekte, dreidimensionale Fassaden
und komplette Gebäude. Sie provozieren mit Lust und experimentieren viel mit Parametric Design. Zu ihnen gehören Bill
Massie, Dekan an der Architekturfakultät von Cranbrook,
Thom Faulders von BEIGE in Berkeley, das kanadische Büro
Forsythe + MacAllan Design Associates, Evan Douglas Studio
in New York, ShoP Architects in New York, John Nastasi, Direktor des Architecture Product Lab am Stevens Institute, und
Byoung-Soo Architects aus Seoul. Dass ihre Versuche inzwischen so bekannt geworden sind, heißt doch, dass auf diesem
Feld auch talentierte Anfänger mit Erfolgen rechnen können.
Ein weiterer Grund, weswegen Architekten „Design-Build“ für
sich beanspruchen sollten, ist der schnelle Wandel in der Bau-
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industrie. Man erwartet, dass schon 2010 mehr Bauten nach
diesem Modell entstehen werden als nach der klassischen Methode: Entwurf–Ausschreibung–Bau. Für Architekten, die den
Mut haben, aus den probaten Methodologien auszusteigen,
liegen hier ungeahnte Möglichkeiten: mehr denkbare Komplexität, mehr Kontrolle, mehr Wirtschaftlichkeit. Ehrgeizige
Architekten könnten, wenn sie ihre Entwurfsideen und Materialversuche auf bestimmte Aufgabenfelder konzentrieren, unabhängig von dem Maßstab, in dem sie arbeiten, den Titel Baumeister erneut für sich in Anspruch nehmen.
Vorfertigung
In einer Studie des British Department of Trade and Industry
wird festgestellt, dass, wenn man Häuser in Serie vorfertigt,
die Vorteile überwiegen: Man spart Zeit auf der Baustelle, wird
unabhängig vom Wetter, hat kaum noch Probleme durch die
Koordination von Gewerken, auch nicht durch Arbeitskräftemangel oder Engpässe bei der Lieferung, es gibt weniger Abfall, der Verbrauch von Wasser und Energie reduziert sich, Präzision und Qualitätskontrolle wachsen, und viele Teile können
später weiterverwendet werden. Alles zusammengenommen
ergeben diese Faktoren eine größere Wirtschaftlichkeit und
eine geringere Umweltbelastung, deshalb werden die Transportkosten für das fertige Objekt zu Recht vernachlässigt. Häuser in Vorfertigung (einschließlich Wohnmobilen) machen
weltweit einen Umatz von 54 Milliarden Dollar, wobei 80 Prozent auf die USA entfallen. Die USA führen die Statistik an,
gleich darauf folgt Japan. Lateinamerika ist der am schnellsten
wachsende Markt. 97 Prozent aller Fertighäuser werden nur
einmal bewegt, von der Fabrik aufs Grundstück. Obwohl bekannt war, dass Fertighäuser wahrscheinlich energiesparend
und gut detailliert sind, hat man in den USA relativ lange gebraucht, sie auch kulturell zu akzeptieren, zu schrecklich
waren die Bilder von aufeinandergestapelten Mobile Homes,
die allmählich zusammensackten und deren Räder wie verkümmerte Organe heraushingen – eine nicht vorhersehbare
Folge von Steuergesetzen und Flächennutzungsverordnungen. Solchen Bildern versuchen das Dwell Magazine und dreißig andere Neo-Modernisten inzwischen mit ihren Entwürfen
unter www.fabprefab.com entgegenzuwirken. Viele der Modelle kommen ganz ohne Fundamente aus.
Warum ist die Vorfertigung zwischenzeitlich erlahmt? Meine
Vermutung ist, dass auch heute einige wichtige Hürden noch
nicht genommen sind. Die Hindernisse sind in sturen Gemeinderäten zu suchen, in veralteten Flächennutzungsplänen, sie haben mit Wettbewerbsgremien zu tun, die Neuerungen fürchten, und mit längst überholten Normverträgen. Die
Vorbehalte greifen zurück auf den Massenwohnungsbau nach
dem Zweiten Weltkrieg, als Vorfertigung (siehe Lewittown)
im doppelten Sinn als billig galt: wirtschaftlich wie kulturell.
Vergessen war, dass die Firma Sears, Roebuck and Company bereits lange davor Fertighäuser verkauft hatte (mehr als 100.000
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zwischen 1908 und 1940), die weder billig noch irgendwie anstößig waren und von denen viele heute unter Denkmalschutz stehen. In den alten Verkaufskatalogen von Sears verbergen sich Schätze, die Zukunft haben – und man kann dort
erkennen, wie Wünsche zuerst geweckt und dann durch industrielle Fertigung erfüllt werden. Alles darin Angebotene
ist weder auf ein regionales Wunschspektrum noch auf bestimmte Fertigungssysteme beschränkt. Kieran und Timberlake haben viele der Sears-Weisheiten in ihrem neuen Prototyp
„Loblolly House“ aufgegriffen, das von Bensonwood Homes gebaut und von LivingHomes vervielfältigt wird. LivingHomes
ist bekannt für seine umweltfreundlichen Vorfertigungsmethoden. Von Steven Glenn, dem Gründer von LivingHomes,
stammt der Spruch: „Wenn du dein Produkt besser, billiger
und umweltfreundlicher machen willst, brauchst du ein
hohes Maß an technologischer Vernetzung.“
Machen wir uns klar: Es gibt einen Paradigmenwechsel, was
Wohnkonzepte betrifft. Der Abenteurer greift immer noch
zum Wohnmobil (in den USA RV = Recreational Vehicle genannt). Es gehört, obwohl nicht immer dort eingeordnet, in
die Reihe der vorgefertigten Wohnhäuser. Wohnwagenanhänger waren einst so populär, dass Roger Babson, als er 1935 den
Börsenkrach voraussagte, um seine Mitbürger weiter zu schockieren, gleich noch hinzufügte: „In zwanzig Jahren wird jeder zweite Amerikaner in einem Anhänger wohnen.“ Bis zum
Zweiten Weltkrieg gab es sage und schreibe 400 amerikanische Firmen, die Wohnwagenanhänger produzierten. Doch
in diesem Punkt vertat sich der Prognostiker: Er hatte den
Krieg nicht vorausgesehen, der die Industrie lahmlegte. Heute,
da sich der Lebensstil der kinderreichen Familien dem der Ruheständler annähert, wächst der Markt für Wohnmobile mit
rasanter Geschwindigkeit. Eine Studie der University of Michigan macht deutlich, dass heute jeder zwölfte Autofahrer
in den USA ein Wohnmobil besitzt und dass jeder sechste
plant, sich innerhalb der nächsten fünf Jahre eins anzuschaffen, um darin temporär oder dauerhaft zu wohnen. Ausstattung und Kaufbedingungen lassen kaum einen Wunsch offen:
Anschluss an Datennetze, praktikable Ausstattung (Heimkino
inklusive), Energieeinsparung, Tanken mit Biodiesel, Einsatz
von Solarenergie und eine einfache Finanzierung (plus Steuervorteile für Zweitwohnungen). Noch einleuchtender aber ist
das Argument: Man kann sich niederlassen, wo man will, und
hat immer „alles dabei“. Im Entwerfen von mobilen Wohnformen liegt eine ungeheure Chance für die Architekten, die
sie bisher nicht ergriffen haben, außer vielleicht Christopher
Deam mit seinen Arbeiten für Breckenridge und Airstream.
Architekten könnten und sollten die Nutzungsmöglichkeiten
des mobilen Wohnens erweitern und technologisch hochgerüstete Serien mit austauschbaren Elementen entwickeln, die
sich über Land und Wasser transportieren lassen. Und mit
etwas Geschick wird keine davon so aussehen wie die Ungeheuer, die unsäglich hässlich am Rande von Autobahnausfahrten gastieren.
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Da wäre noch ein anderes Argument. Es gibt inzwischen so
viele Schiffscontainer, dass man sie zweimal um den Äquator
wickeln könnte. Mobile Wohnkonzepte, die auf deren Normmaß eingehen, würden Sinn machen, wirtschaftlich vor allem.
Es gibt eine Reihe von Architekten, die ziemlich erfinderisch
mit den Maßen von Schiffscontainern umzugehen wissen. In
Los Angeles sind es Wes Jones von Jones Partners und Jennifer
Siegal vom Office for Mobile Design, in San Francisco Hybrid
Design, in New York LOT-EK und in Bernardsville, New Jersey,
Adam Kalkin von Quick House Design. Deren Projekte haben
zwar den Charme von Ripped Jeans im Designer Look, doch
die breite Masse wird sich an der groben Verarbeitung der Container wahrscheinlich stoßen. Trotzdem kann man von diesen Designern lernen: Sie haben standardisierte Tragsysteme
entwickelt, die sich an den Maßen von weltweit verbreiteten
Transportcontainern orientieren. Deshalb werden auch andere
standardisierte Tragsysteme denkbar, die anderen Designern
die Chance gäben, Wohncontainer zu entwickeln, die, wenn
darauf abgestimmt, für Massenanfertigung und Massenkonsum tauglich wären. In seiner grundsätzlichen Studie „Mass
Customization“ von 2004 beschreibt Joseph Pine genau diese
Vorgehenswiese, die auf Recherchen beruht, die er zwölf Jahre
früher gemacht hat. Wie die Suiten, die Piikkio Works für
Kreuzfahrtschiffe entwickelt, können auch andere Wohnkapseln die Assoziation mit Schiffscontainern nahezu unmöglich machen.
Zurück zu den Wohnwagenanhängern und wo man sie lässt.
Sie gehören nicht wirklich in Auffahrten, auf Campingplätze
oder auf ein verlassenes Lagerhausgelände, es geht auch nicht
nur um ihre tägliche Beweglichkeit trotz festem Standort, sondern sie müssen sich schleppen, stapeln, aneinander befestigen und wieder lösen lassen, um attraktive ländliche, vorstädtische oder städtische Agglomerate zu bilden, als Alternative
zu Feriensiedlungen oder Alten- und Studentenwohnheimen.
Man könnte sie unauffällig zwischen Hochhäuser oder Wohnsiedlungen schieben, man könnte sie aber genauso gut als vitales, flüchtiges Provisorium auffällig werden lassen. In den
USA von heute sind ein Drittel der Menschen Mieter. Ein
neues Konzept für mobiles Wohnen könnte die Leute mit
kleinem Einkommen wieder zu Hausbesitzern machen. Stellen Sie sich vor, Sie könnten für Ihr Neugeborenes schon ein
ausbaufähiges Wohnmobil reservieren, und wenn der Sohn
oder die Tochter flügge werden und das Nest verlassen, nehmen sie es einfach mit und zahlen, wo auch immer sie sich auf
Zeit niederlassen, keine Miete, sondern nur eine Standgebühr.
So können sie sich ausprobieren, ihre Wünsche kennenlernen, ihre Berufswahl treffen.
Ein kompaktes Wohnkonzept dieser Art, wenn es technisch
ausgereift und mit genug praktischen Annehmlichkeiten ausgerüstet ist, nenne ich JumpBox. Ich stelle mir vor: Die Container werden in einschlägigen Fachzeitschriften vorgestellt und
analysiert, bestimmte Marken werden zum Image und ge-
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nauso begehrenswert wie manche Autos. Das haltbare Gehäuse kann jederzeit aufgerüstet werden und lässt sich an
Moden, neue Technologien oder ein größeres Budget anpassen. Man weiß, dass jährlich ein Sechstel der US-Bürger umzieht. Umziehen wäre ein Leichtes, wenn man es befreien
könnte von all dem zeitraubenden und teuren Drum und
Dran, das mit dem Suchen einer neuen Wohnung beginnt und
mit dem Ein- und Auspacken von tausend lieb gewordenen
Einzelstücken endet (man kann den Vorgang durchaus mit
einer Scheidung oder dem Tod eines nahen Verwandten vergleichen). Stattdessen stände da ein schmucker kleiner Wohncontainer bereit, den man in Stunden dorthin bewegen könnte,
wo man die nächste Zeit seines Lebens verbringen will. Man
denke nur an all die eingesparte Energie! Also sollten die Architekten endlich Massenprodukte für das Wohnen entwerfen und mit einem riesigen Sortiment von Alternativen und
Extras ergänzen. Außerdem könnten sie „Andock-Muster“ für
städtebauliche Konglomerate entwickeln. Was wir heute erleben, ist, dass viele Besitzer von Wohnmobilen aufs Land ziehen, weil die Stadt ihnen keine adäquaten Standflächen bietet.
Wenn Städte sich eines Tages entschließen sollten, auch für
die Wohnmobilbesitzer attraktive Standorte auszuweisen, würden sie auf vielen Ebenen vom Zuzug dieser „creative people“
profitieren. Nicht zuletzt würde der Pendlerverkehr weniger,
und die Steuereinnahmen wüchsen.
Allgegenwärtige Computer
Mark Weiser, der unbestrittene Vater des Gedankens, alle
Technologie müsse immanent werden, schrieb 1991: „Die einzig richtigen Technologien sind diejenigen, die sich irgendwann unsichtbar machen. Sie verbinden sich mit den Dingen
des täglichen Lebens, bis sie eines Tages ununterscheidbar
werden.“ Entsprechend könnten feinfühlige Sensoren, wie sie
in Handys oder Kleidungsstücken verwendet werden, in intelligente Bauten integriert, unschätzbare Informationen über
die Nutzer und ihre Angewohnheiten übermitteln. Aufgrund
dessen ließen sich Funktion und Design immer weiter verbessern. Was 1946 in der Spionagetätigkeit der Sowjets seinen Ursprung hatte, nämlich die in Objekten des täglichen Gebrauchs versteckte, computerüberwachte Kontrolle, ist heute
fast etwas Selbstverständliches. Wir kennen sie von Reisepässen, Kreditkarten, Hotelschlüsseln, automatisierten Parksystemen und bei der Ausleihe in Bibliotheken. Das System, das
sich Radio Frequency Identification (RFID) nennt, hat für Architekten Folgendes parat (aufgelistet von Christion W. Thomsens in „Visionary Architects. From Babylon to Virtual Reality“, 1994): Türen, die sich beim Durchschreiten von selbst
öffnen, Licht- und Tonanpassung an den jeweiligen Standort
bzw. die Stimmung des Bewohners, Jalousien, die sich von
selbst nach Lichteinfall regeln, automatische Müllsortierung,
digitale Beschilderung in jeder gewünschten Sprache, Räume,
die sich Nutzungsmustern anpassen und Kaffeemaschinen,
die in Aktion treten, sobald man erwacht.
Branding und Kaufwunsch
Für alles, was der Architektur an Technologie zuwächst, muss
es vorher Wünsche gegeben haben. Sie entstehen nicht von
selbst, sondern müssen geweckt werden. Ich glaube Banwari
Mittal, der 2006 in seinem Artikel über „I, Me, and Mine“ nachdenkt und dann zu dem Schluss kommt, dass unsere kulturelle Identität mehr und mehr von Markenartikeln abhängt,
und dass wir, wenn wir zum Kollektiv der Konsumenten gehören wollen, uns unweigerlich mit populären Markenartikeln umgeben werden. Der selbst gestrickte Pullover von Oma
ist passé. Eigentlich ist es ein Widerspruch in sich, dass die
Leute ihre Individualität durch Massenartikel und Branchennamen nach außen tragen. Allmählich fangen aber auch wir
an zu begreifen, was Anthony Alofsin uns in seinem Buch
„The Struggle for Modernism“ (2002) sagen wollte: Alles, was
von der Norm abweicht, ist nur eine Antwort auf die Wünsche
und Vorstellungen von Visionären, Häretikern und Hippies.
Den durchschnittlichen Konsumenten interessiert nichts weniger als das. Wir erinnern uns auch an den bösen Artikel
von Michael Sorkin, der unter dem Titel „Brand Aid“ 2006 im
Harvard Design Magazine erschien. Dort schrieb er: „Beim Erfolg eines Konsumartikels, welcher Art auch immer, gilt das
Markenzeichen als ausschlaggebender Faktor ... Wie wir inzwischen wissen, ist Berühmtheit das Maß, mit dem in Brandworld gemessen wird.“ Seit einige Stararchitekten inzwischen
auch von Laien wie Markenzeichen gehandelt werden (Rem
Koolhaas, Frank O. Gehry, Zaha Hadid, Michael Graves, Philippe Starck ...), mag allein deren Ruhm schon Wünsche wecken. Das funktioniert allerdings nur, wenn der Name als Markenzeichen gelesen wird.
Peggy Deamer wägt in ihrem Artikel „Branding the Architectural Author“ (auf Deutsch erschienen in StadtBauwelt 170,
2006) Ruhm ab gegen Branding. Sie schreibt: „(Architektur) erfüllt kaum einen der Ansprüche, die für Ruhm unerlässlich
scheinen: Unnahbarkeit und die eindeutige Zuordnung von Urheber und Werk. Andererseits ist jeder Bau einzigartig durch
seine Größe, seine Kosten und die Dauer der Herstellung, er
entzieht sich eigentlich schon dadurch den Mechanismen des
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Branding (Wiederholung, Wiederkennbarkeit, Zugänglichkeit). Deshalb ist beides, Ruhm wir Branding, in der Architektur schwer fassbar.“ Wie mir scheint, will Peggy Deamer die
Bedeutung von Branding schmälern, denn sie schreibt an anderer Stelle: „Ruhm hängt immer noch irgendwie mit Kreativität zusammen, während Branding ausschließlich eine Frage
des Geldes ist.“
Hier würde ich einwenden: Der Erfolg von Massenprodukten
ist keineswegs nur eine Frage des Branding, sondern beruht
auf einem wesentlichen breiteren Fundament, das aus Leistung, Wert, Haltbarkeit, Vertrauen und Wunscherfüllung gebaut wird. Branding ist nicht das Ziel, sondern der Weg, um
Produkte ins Rampenlicht zu stellen. Ich erinnere daran (und
distanziere mich dabei von Peggy), dass OXO Good Grips für
ihre Küchengeräte nicht über neunzig Preise gewonnen hätten, wenn sie einzig das Palindrom ihres Namens als Werbung
eingesetzt hätten.
Richtig ist, dass Firmen und Markenzeichen ihren Erfolg mit
Verkaufsstatistiken belegen können. Bei ihnen geht es um
Quantitäten. Anders bei Architekten, die eher um den Nachweis ihrer Qualitäten in Form von Veröffentlichungen und
Preisen buhlen, manchmal geht es auch darum, wer welcher
Prominenz nahesteht und wer den Juryvorsitz hat. Legen
diese verschiedenen Methoden, sich anzubiedern, etwa nahe,
dass es den Herstellern an Kreativität und den Architekten an
Realitätssinn fehlt? Architekten, die wirklich auf Erfolg aus
sind, haben verschiedene Möglichkeiten, sich und ihre Arbeit
zum Markenzeichen zu machen. Weil es aus dem Stand heraus fast unmöglich ist, könnten sie sich zum Beispiel mit Firmennamen assoziieren, wie es Michael Graves mit Lindal
Cedar Homes und der Firma Target gemacht hat (800 ihrer Produkte stammen von ihm). Was in einer solchen Partnerschaft,
wie einer Beziehung, zählt, ist das Geben und Nehmen von
beiden Seiten.
Wünsche wecken
Architekten glauben fälschlicherweise, dass Klienten an der
Entstehung ihrer Häuser beteiligt werden wollen. Was die Architekten dabei umtreibt, ist ihr Wunsch, unersetzlich zu sein.
De facto aber bestätigt sich das nicht. Die Menschen umgeben
sich am liebsten mit Dingen, die sie irgendwo schon gesehen
haben, und die beste Fundgrube für Wünsche ist das World
Wide Web, wo man nach Herzenslust suchen und bestellen
kann. Die Welt des Online ist ein machtvolles Instrument, das
Architekten noch entdecken müssen, allein wegen der vielfältigen Möglichkeiten für Querverweise, Visualisierungen und
Interaktionen. Man kann Preise und Leistungen vergleichbar
machen und erhält gleichzeitig statistische Angaben über
Konsumentenverhalten – es gibt nichts Besseres, um sein Produkt zu optimieren. Genau das macht uns Bensonwood Houses
seit langem mit seinem Gebäude-Konfigurator im Netz vor.
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Meist braucht der Architekt für seinen Auftritt nicht mehr als
ein dreidimensionales virtuelles Modell, denn im Internet dominiert das Virtuelle.
Ein vorbildliches Beispiel für einen Online-Auftritt findet sich
unter www.miniusa.com, wo wir unseren höchst persönlichen Mini Cooper selbst entwerfen können. BMW schwört,
dass es dafür zehn Millionen Möglichkeiten gebe, bis hin zur
Luxusausstattung mit Bang & Olufsen Stereo. Man kann seine
Wünsche eingeben, sie werden gespeichert, der Preis wird ermittelt. Architekten könnten mit ähnlichen Angeboten auf
diesen Markt gehen und online mit ihren potentiellen Klienten kommunizieren, sich in deren Träume hineinversetzen
und weiter optimieren. Ein Prozess, der für beide Seiten fruchtbar wäre. Ein eher provokativer Vorstoß in diese Richtung war
2004 der Resi-Rise-Skyscraper (komplett mit online Bestellsystem), den KOL/MAC auf der Biennale in Venedig vorgestellt haben.
Wie geht es weiter?
Auf der Konferenz „Practice, Politics and the Polis“ von 2007
hat sich John Habraken, ehemals Head of Architecture an der
MIT, folgendermaßen geäußert: „Die Moderne war eine Zeit
des Übergangs. Heute muss die Architektur sich in alle Richtungen informieren, beweglich bleiben und auf persönliche
Wünsche eingehen können.“ Selbst der ehrwürdige Frei Otto
macht sich Sorgen. Er schreibt: „Die Architektur steht an einer
Schwelle. Die Trends der letzten Dekade sind inzwischen
überholt, und es gibt nur einige wenige Bauten, die so perfekt
sind, dass sie als zukunftsweisend gelten können.“ Angesichts
der dramatischen und unvorhersehbaren gesellschaftlichen
Veränderungen, denen wir ausgesetzt sind, steht die Architektur am Scheideweg.
Doch die Architekten zögern. Sie schleppen die alte, seit Jahrhunderten verfestigte Arbeitsweise hinter sich her und denken immer noch in Unikaten. Diesen Ballast müssen sie abschütteln, und zwar schnell. Drei Bedingungen würde ich an
den Anfang setzen: Zuerst muss eine Feedback-Schlaufe eingerichtet werden, die im Produkt-Design etwas Selbstverständliches ist und bei der Architektur absolut fehlt, womit dann
auch eine tiefer gehende Analyse und Bewertung unserer Arbeit möglich wäre, was zu Anpassung und Weiterentwicklung
führt. Das Zweite wäre die Abwägung zwischen dem Entwerfen von Unikaten und Produkten in Serie. In welchen Quantitäten denken wir eigentlich? Bei Unikaten haben wir keine
Chance, die neuen Technologien sinnvoll zu integrieren. Drittens muss der bekannte Wunsch der Klientel nach Status und
kollektiver Identität von den Architekten endlich ernst genommen werden.
Man kann natürlich auch weiter um die weltweite Homogenität der Architektur bangen, Tatsache aber ist, dass die Konsu-
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mentenwünsche für jedwedes Produkt (ja, einschließlich der
Architektur) sich in den letzten zehn Jahren signifikant verändert haben, weil man über Internet alles ins Haus bringen
lassen kann, was das Herz begehrt. Wir wissen bereits, dass
Verbraucher sich auch für die Architektur Alternativen wünschen, die jenseits der erotisierten oder post-rationalistischen
Entwürfe liegen und nur einfach, wie Ali Rahim es ausdrückt,
„brauchbar, bilderreich und nachhaltig sind“. Um also ihre
Marktchancen zu erhöhen und Begehrlichkeiten zu wecken,
muss die Architektur sich mit den neuen Technologien einrichten und sie für ihre Zwecke nutzbar machen, sie muss sich
außerdem mit den Vorlieben der Verbraucher beschäftigen
und durch Produktangebote und Branding darauf eingehen.
Durch Austausch mit den Konsumenten könnten Architekten
ihre Vorgehensweise laufend korrigieren, und sie hätten einen
Weg, um Erfolg quantitativ zu messen. Was sie von all den
Stimmen unabhängig machen würde, die alle zehn Jahre die
ästhetische und soziale Verantwortung der Architektur neu
formulieren. Dabei kann kein Architekt mithalten, geschweige
denn der Laie, denn Architekturzeitschriften, die auf der Höhe
der Zeit sein wollen, finden sich selten am Zeitungsstand direkt neben „Vanity Fair“ und „The Economist“. Die Fertighauskataloge, in Briefkästen gestopft, haben in den letzten zwanzig Jahren mehr Einfluss auf den Geschmack der Leute gehabt
(und sie außerdem zu einer Wertschätzung von Design erzogen) als alle Architekturpäpste zusammen, die ohnehin nur
einem Kreis von Eingeweihten predigen und das Laienpublikum außer Acht lassen, das aber nun mal für die Existenz der
Architekten sorgt.
Meine Überlegungen müssten von hier aus weiterführen, aber
die moralischen Fragen überlasse ich anderen. Sicher ist, dass
Architekten alle Möglichkeiten, die ich hier angedeutet habe,
nutzen müssen, um ein Publikum zu erreichen, bei dem sich
technologische, funktionale und auf die Umwelt bezogene
Ansprüche längst eingenistet haben. Fragen wir uns doch:
Könnte jemand besser für die Aufgabe gerüstet sein als die Architekten, die ohnehin die Zukunft im Auge haben und seit eh
und je unzählige Spezialisten koordinieren? Was vor ihnen
liegt, ist unendlich einfach und mehr als beängstigend, denn
sie müssen eine Geschichte über Bord werfen, die viele tausend Jahre alt ist.
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