Outsourcing nach Indien: der Tiger auf dem Sprung
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Outsourcing nach Indien: der Tiger auf dem Sprung
Aktuelle Themen 335 Indien Spezial 11. Oktober 2005 Outsourcing nach Indien: der Tiger auf dem Sprung Indien stellt das Back-Office der Welt. Der Subkontinent dominiert als wich- tigster Offshoring-Standort den globalen Handel mit IT-Dienstleistungen (ITO) und IT-gestützten Geschäftsprozessen (BPO). Indien repräsentiert derzeit 44% des globalen Marktes für IT- und BPO-Offshoring; der weltweite Marktwert liegt zurzeit bei rd. USD 40 Mrd. Die gesamten Umsätze Indiens mit Software, IT-Dienstleistungen, BPO und Hardware betrugen 2004/05 gut USD 28 Mrd. (siehe Grafik). Bis 2007 erwarten wir einen Anstieg auf über USD 56 Mrd. Vormachtstellung aus guten Gründen. Indiens entscheidender komparativer Vorteil liegt in seinen gut ausgebildeten englischsprachigen Fachkräften, die zu niedrigen Löhnen und Gehältern arbeiten. Aber auch eine auf internationale Integration gerichtete Wirtschaftspolitik und das globale Netzwerk der indischen Emigranten begründen und sichern seine weltweite Vormachtstellung. Zukünftig Engpässe beim Nachwuchs. Es bleibt das Risiko, dass selbst Indiens riesiger Pool an Hochschulabsolventen die anhaltend hohe Nachfrage nach Fachkräften nicht nachhaltig bedienen kann. Die Qualität vieler Universitäten fällt ab gegenüber den Leuchttürmen des indischen Hochschulsystems. Nur etwa 10-20% des Nachwuchses kommen für das internationale Geschäft in Frage. Und der Nachfragedruck steigt. Bereits heute ist die Fluktuation hoch (15-30%) und die Gehälter der Experten steigen um 12-15 % pro Jahr. Die Ausbildung auf eine breitere Grundlage zu stellen und schon in der primären Schulausbildung hohe Maßstäbe zu setzen, ist daher das Gebot der Stunde für die indische Bildungspolitik. Die großen indischen Konzerne emanzipieren sich von heimischen Standortproblemen. Auch der drohenden Konkurrenz stellen sich die indischen Autor Jürgen Schaaf +49 69 910-46830 juergen.schaaf@db.com Editoren Maria L. Lanzeni Antje Stobbe Offshore-Unternehmen pro-aktiv. Sie expandieren nach USA und Europa und rekrutieren Fachkräfte aus anderen Schwellenländern. Qualitativ steigen sie die Wertschöpfungsleiter hinauf und bieten höherwertigere Dienstleistungen wie Beratung und wissensintensive Prozesse (Knowledge Process Outsourcing) an. Ihre Strategien sind vielversprechend und die Weichen stehen weiter auf Wachstum. Indien: Anhaltend hohe Dynamik im Markt für IT/ITES-BPO Mrd. USD 60 Hardware Publikationsassistenz Sabine Kaiser 40 Deutsche Bank Research Frankfurt am Main Deutschland Internet: www.dbresearch.de E-Mail: marketing.dbr@db.com Fax: +49 69 910-31877 DB Research Management Norbert Walter 50 ITES-BPO 30 20 IT-Services und Software 10 0 99 00 01 02 03 04 05 06 07 Quellen: DB Research, NASSCOM, 2005 Aktuelle Themen 335 2 11. Oktober 2005 Outsourcing nach Indien Indiens Wirtschaftsmotor läuft auf Hochtouren. In den vergangenen zehn Jahren ist die indische Volkswirtschaft um durchschnittlich etwa 6% pro Jahr gewachsen. Die Aussichten sind günstig, dass die indische Wachstums-Lokomotive mit unverminderter Geschwindigkeit in die Zukunft fährt. Werden die Weichen entsprechend gestellt, kann Indien in den kommenden 10 bis 15 Jahren sogar mit durch1 schnittlich 7-8% pro Jahr wachsen. Damit wird Indien das stärkste Wachstum der wichtigsten Industrie- und Entwicklungsländer aufweisen, wenn auch von einem extrem niedrigen Niveau aus. Business Process Outsourcing IT- gestützte Geschäftsprozesse Kundenbetreuung (Voice und Non-Voice) — — — — Call-Center (eingehende und ausgehende Anrufe) Telefonmarketing Kundenerhebungen E-Mail-Betreuung HR und Gehaltsabrechnung Wachstumsmotor Offshore-Outsourcing — — — Indiens Wachstum wird zu einem beachtlichen Teil vom Geschäft mit Software und IT-basierten Dienstleistungen getragen. Die Schwerpunkte der indischen Angebotspalette liegen in der Softwareentwicklung und bei Softwareprodukten. Darunter fallen Systemintegration, Anwendersoftware-Pakete (z.B. MS Office), Unternehmenssoftware (ERP, CRM etc.), Entwicklung und Wartung von Applikationen oder Hosting-Dienste. Das zweite Standbein ist die Übernahme kompletter unterstützender Geschäftsprozesse, das so genannte Business Process Outsourcing (BPO). Ausschreibungen Aus- und Weiterbildung Gehaltsabrechnung / HR-Verwaltung Finanz- und Rechnungswesen, Buchhaltung — — — — Steuerberatung Risikomanagement Finanzanalyse und -berichtswesen Rechnungs-/Mahnwesen Auftragsabwicklung BPO ist eine spezielle Art des Outsourcing. Allgemein werden beim Outsourcing Leistungen von außen bezogen, die bisher intern erbracht worden sind. Dabei werden sowohl Dauer als auch der Gegenstand der Leistung vertraglich fixiert. Beim BPO wird ein kompletter Unternehmensprozess an ein Drittunternehmen gegeben. Darunter fallen Kundenbetreuung über Telefon (Call-Center) oder E-Mail, aber auch Personalverwaltung oder Gehaltsabrechnung, Bilanzbuchhaltung, Forderungsabwicklung, Beschwerdewesen etc. Oft handelt es sich dabei um IT-gestützte Prozesse bzw. ITES-BPO (IT enabled services-business process outsourcing, siehe Übersicht). Content-Entwicklung — — — Animation Dokumenten-Management Geografische Informationssysteme Einkauf, Logistik Fremdvergabe Onshore Outsourcing Offshore Outsourcing Eigenerstellung OffshoringOffshoring-Typen Interne inländische Leistungserstellung Captive Offshoring National International Quellen: DB Research, OECD, McKinsey, 2003, 2004 Werden diese Prozesse über große Distanzen hinweg in Niedriglohnländer verlagert, spricht man von Offshore-Outsourcing oder kurz: Offshoring. Bei Verlagerungen an Tochterfirmen oder bei Beteiligungen im Ausland verbleiben die Prozesse in der Organisation. Dann handelt es sich um das so genannte Captive-Offshoring (siehe Diagramm 1). Das größte Back-Office der Welt 1 Amerika dominierende Nachfrage-Region — Der globale Markt für IT- und BPO-Offshoring liegt derzeit bei rd. USD 40 Mrd. Nach Angaben des indischen Branchenverbandes NASSCOM repräsentiert Indien damit 44% des weltweiten Volumens. Allerdings weichen andere Schätzungen zur Dimension des globalen Offshoring-Marktes durchaus von diesen Anga- Indische Software Exporte nach Ländern Rest Japan 4% 7% Europa 26% Das indische Angebot dominiert den globalen Offshoring-Markt. Als Standort der ersten Wahl zieht Indien den Löwenanteil der international gehandelten IT-basierten Dienstleistungen und des BPOGeschäfts an. Mitte der 90er Jahre und nach der Jahrtausendwende schlugen zweistellige Wachstumsraten im BPO-Markt zu Buche, und das Segment wird weiter dynamisch wachsen: Amerika 63% 1 Quelle: NASSCOM, 2002 11. Oktober 2005 2 Zum makroökonomischen Umfeld und den mittelfristigen Perspektiven Indiens siehe Asuncion-Mund, Jennifer (2005). Indien im Aufwind: Ein mittelfristiger Ausblick. Aktuelle Themen, Indien Spezial, DB Research, Frankfurt am Main. 3 Aktuelle Themen 335 2 ben ab (siehe Box). Wichtigster Handelspartner Indiens im ITund BPO-Segment sind die USA (siehe Grafik 2). Herausforderung für die Statistik Zweifellos hat die Bedeutung des Offshoring seit Mitte der 90er Jahre deutlich zugenommen. Das genaue Ausmaß zu bestimmen, bereitet gleichwohl erhebliche Probleme, besonders auf internationalem Niveau. — Für die meisten Industrieländer liegen zwar Daten zu Computer- und Informationsdiensten und geschäftsunterstützenden Dienstleistungen vor. Für viele Schwellenländer, allen voran Indien, werden diese Bereiche aber recht grob unter „andere geschäftsunterstützende Dienstleistungen“ zusammengefasst. — Außerdem kann Offshoring in sehr unterschiedlichen Formen auftreten, was es erheblich erschwert, die Ströme statistisch zu erfassen. Offshoring in Form von internationalem Outsourcing fällt unter grenzüberschreitenden Handel. Bei Captive Offshoring liegen dagegen Direktinvestitionen im Ausland (FDI) vor. — Speziell in Schwellenländern berichten Firmen z.T. unpräzise an die statistischen Ämter, da die Definitionen im Dienstleistungssektor schwer verständlich oder die Liefermodalitäten unklar sind. Insofern überraschen statistische Ungereimtheiten nicht, ihr Ausmaß kann dennoch erschrecken. Eine Untersuchung der OECD vergleicht Exportdaten Indiens mit den Importangaben der jeweiligen Handelspartner aus Nordamerika, der EU und Japan. Für den Bereich „Dienstleistungen“ und „Dienstleistungen ohne Reise und Verkehr“ können 75 bis 91% des ausgewiesenen Exportvolumens Indiens für die Jahre 2000 bis 2002 nicht mit Importdaten der anderen Länder erklärt werden. Für den Bereich „Computer und Informationsdienstleistungen“ sind es im selben Zeitraum sogar über 95%. Quellen: DB Research, OECD, 2004 Anhaltend hohe Dynamik im Markt für IT/ITES-BPO Mrd. USD 60 Hardware ITES-BPO 50 40 30 20 IT Services und Software — Die gesamten Umsätze Indiens im In- und Ausland in den Teilbereichen Software, IT-Dienstleistungen, ITES-BPO und 3 Hardware betrugen im abgelaufenen Fiskaljahr 2004/05 gut USD 28 Mrd. Bis 2007 erwarten wir einen Anstieg auf über USD 56 Mrd. (siehe Grafik 3). — Das Hauptgeschäft mit Software und IT-Dienstleistungen betrug 2004 USD 16,5 Mrd. Gut USD 12 Mrd. oder fast 3/4 der Umsätze entfallen dabei auf den Export. Bis zum Jahr 2007 erwarten wir einen Anstieg der Gesamtumsätze um durchschnittlich 25% p.a. auf dann gut USD 32 Mrd. Sie weisen damit weiterhin ein hohes, robustes Wachstum auf. Wachstumsraten von 50% und mehr binnen einen Jahres werden wir allerdings nicht mehr sehen. Die Exporte werden fast USD 26 Mrd. betragen. Damit werden sie rd. 4/5 des Gesamtumsatzes ausmachen (siehe Grafik 4). — Der Wert der IT-basierten Geschäftsprozesse (BPO), die exportiert werden, lag 2004 bei gut USD 5 Mrd. Bis 2007 wird der Wert der BPO-Exporte auf USD 14 Mrd. ansteigen, und sich damit in diesem Zeitraum fast verdreifachen (siehe Grafik 5). Dieses Segment stellt den dynamischsten Teilmarkt des indischen Offshoring-Angebots dar. Das inländische BPO-Geschäft in Indien ist relativ unbedeutend. Es macht derzeit nur etwa 10% des Gesamtmarktes bzw. USD 600 Mio. aus. Indiens komparative Stärken im ITO/BPO-Markt Die Gründe für Indiens Aufstieg zur IT-Weltmacht sind vielfältig. Sie können unterteilt werden in die Ressourcenausstattung Indiens, seine Wirtschaftspolitik, nachfrageseitige Gründe und historische Besonderheiten. Das riesige Heer der anglophonen Programmierer… Indiens entscheidender komparativer Vorteil liegt in einem riesigen Pool an gut ausgebildeten Fachkräften, die niedrige Gehälter beziehen. — Das Angebot an Arbeitskräften per se erscheint unerschöpflich. Allein die Bevölkerung von aktuell 1,08 Mrd. Menschen ist in dem bevölkerungsreichsten Land der Welt nach China mehr als 13mal so hoch wie in Deutschland. Außerdem ist die Bevölkerung jung und das Bevölkerungswachstum hoch. Von 2003 bis 2020 dürfte sich das Arbeitskräfteangebot in Indien um rund 250 Mio. Menschen erhöhen. Das sind etwa 15 Mio. pro Jahr. — Zurzeit arbeiten rd. 700.000 Fachkräfte in den Bereichen ITgestützte Dienstleistungen und BPO, und damit ein Viertel mehr als im Vorjahr (siehe Grafik 7). Mitte der 80er Jahre waren es noch unter 7.000. Bis 2007 wird sich die Gesamtzahl auf 1,45 Mio. bis 1,55 Mio. Beschäftigte erhöhen. Zum Vergleich: In 10 0 2 99 00 01 02 03 04 05 06 07 Quelle: DB Research, NASSCOM, 2005 3 3 4 OECD (2005). Information Technology Outlook 2004, Chapter 2. Globalisation of the ICT sectors and international sourcing of ICT-enabled services, Paris: OECD. McKinsey schätzen den Wert der 12 wichtigsten Märkte für IT- und BPO-Offshoring im selben Jahr auf USD 26 Mrd. McKinsey Global Institute (2003). Offshoring: is it a win-win game? McKinsey Global Institute. Einen guten Überblick über weitere Schätzungen gibt das WTO Yearbook (2005), Chapter C: Offshoring services: recent developments and prospects, S. 275. Das indische Fiskaljahr dauert von April bis März. Im Folgenden wird das entsprechende Kalenderjahr benannt, d.h. 2004 steht für Fiskaljahr 2004-05. 11. Oktober 2005 Outsourcing nach Indien Deutschland arbeiten gegenwärtig etwa 376.000 Beschäftige in den Bereichen Software und IT-Dienstleistungen. Indische Software und IT: Export getriebener Boom … arbeitet gut und günstig Mrd. USD 35 30 25 20 15 10 5 0 99 00 01 02 03 04 05 06 07 Binnenmarkt Export 4 Quellen: DB Research, NASSCOM, 2005 ITES-BPO-Exporte weisen höchstes Wachstum auf 16 70 14 60 12 50 % gg. Vj. (rechts) 10 8 4 Aus Sicht der westlichen Kunden sind aber die Gehälter allein nicht entscheidend. Sie kalkulieren mit den Gesamtkosten eines Engagements im Ausland. Zusätzliche Kosten entstehen durch Telekommunikationsinfrastruktur, das Management (anteilig) und das Einrichten des Arbeitsplatzes. Selbst wenn man alle spezifischen Zusatzkosten eines Offshoring-Projekts einkalkuliert, können über Lohnarbitrage Einsparungen von 20-40% realisiert werden (siehe Grafik 6). Einsparungen durch Offshoring 40 20-40% 30 Mrd. USD (links) 6 Indische Fachkräfte arbeiten zu deutlich niedrigeren Löhnen als amerikanische oder europäische. Deutsche bzw. US-amerikanische nicht-leitende IT-Professionals verdienen etwa USD 50-70.000 pro Jahr. Das Einkommen eines indischen IT-Angestellten mit 1-2 Jahren Berufserfahrung liegt bei etwa USD 8.000. Berufseinsteiger verdienen etwa USD 6.500 pro Jahr. 20 10 2 0 0 99 00 01 02 03 04 05 06 07 15-20 60-65 5 Quellen: DB Research, NASSCOM, 2005 5-10 100 5-10 60-80 Beschäftigung im IT Sektor steigt weiterhin stark Indische IT Beschäftigte in '000 800 700 600 500 400 Kosten- Einsparung basis Personal Zusätzliche ITK-Kosten Zusätzl. Mgmt. Kosten Anpassungskosten vor Ort Offshore KostenBasis 6 Quellen: DB Research, Basis: McKinsey, 2003 300 200 100 0 00 01 02 03 04 05 IT Software und Services (CAGR 24%) ITES-BPO (CAGR 54%) Quelle: DB Research, NASSCOM, 2005 11. Oktober 2005 Vergleicht man unterschiedliche Offshoring-Standorte, muss weiter differenziert werden. Ausgaben für Steuern, Ausbildung, Nutzung der Infrastruktur etc. können von Land zu Land unterschiedlich sein. Aber auch im Vergleich mit anderen Offshore- und NearshoreStandorten bietet Indien das günstigste Gesamtpaket (siehe Grafik 8). Das bestätigt auch der Location-Attractiveness-Index, der qualitative und Kostenaspekte in einem Gesamt-Score bündelt (siehe Übersicht 12 auf S. 14). 7 5 Aktuelle Themen 335 Indische Hightech-Cluster Offshore Standorte: Indien mit bestem Angebot Spezialisierung und regionale Konzentration von Universitäten und Unternehmen USD p.a. (laufende Kosten), pro Mitarbeiter Indien Philippinen Malaysia Indien • Personal- u. ManageBeschäf- mentkosten tigte • Rekrutierung u. Training Delhi BPO, IT IIT Delhi, Delhi College of Engineering, Delhi University Department of Computer Sciences, Roorkee University of Engineering u.a. HCL Technologies, NIIT Ltd., CMC Ltd. Hyderabad Bombay Mix aus Software, Call-Centern und Financial BPO Software, BPO J.N. Technological University, Hyderabad University Osmania University, Kakatiya University u.a. IIT Bombay; Bombay Universität, Bajaj Institute of Management u.a. TCS, PCS, Tata Infotech, Mastek, Aptech Datamatics, SiIverline Infrastruktur Unternehmen Russland 14.450 5.300 5.500 11.000 7.700 211 232 232 232 • ITK und Versorgung 992 1.476 • Arbeitsplatz 1.520 1.605 1.584 1.584 1.900 1.900 580 1.000 2.600 Satyam Computer Services Ltd. Bangalore Software, IT Steuern IISc; Universität Visvesraya, College of Engineering, SKSJ Technology Institute, II of Management Bangalore u.a. Universitäten China • Steuern 0 0 0 3.350 0 Infosys Technologies Ltd., WIPRO Information Technologies Quelle: Kumar, 2001 Gesamt 8.023 8.813 14.716 11.416 21.980 Quellen: DB Research, McKinsey, 2005 8 Tertiäres Ausbildungssystem mit Leuchttürmen Software/IT wichtigster Teilmarkt Anteil am Gesamtumsatz, in % ITES-BPO 21% Software/IT 59% Hardware 20% Quelle: DB Research, NASSCOM, 2005 9 Six Sigma Das Six Sigma Konzept wurde in den frühen 80ern von Motorola während einer Qualitätsinitiative entwickelt. Der Begriff stammt ursprünglich aus der Statistik und bezeichnet NullFehler-Qualität. Unterliegt ein Prozess der Normalverteilung nach Gauß, ist er durch Mittelwert und die Standardabweichung Sigma eindeutig beschreibbar. Unter bestimmten Randbedingungen befinden sich dann nahezu 100% aller Ergebnisse dieses Prozesses in einem Bereich, der 6 x Sigma umfasst (= 99,99966%). Mit anderen Worten: in einem Prozess, der Six Sigma erfüllt, entstehen unter bestimmten Bedingungen nur 3,4 fehlerhafte Ergebnisse bezogen auf 1 Million Möglichkeiten. 6 Vielfach wird Indiens Aufstieg zum Global Player auch auf sein Hochschulsystem zurückgeführt. Einen besonders guten Ruf genießen die sieben Indian Institutes of Technology (IIT) und die sechs Indian Institutes of Management (IIM). Darüber hinaus gibt es interessante neue Institutionen mit Berufsorientierung, wie z.B. die Indian Institutes of Information Technology (IIIT). Diese sollen die Kluft zwischen den Eliteuniversitäten und den traditionellen Hochschulen überbrücken. Allerdings zeichnen die IITs in Indien nur für einen sehr geringen Teil des akademischen Nachwuchses 4 verantwortlich (ca. 1% des jährlichen Outputs an Ingenieuren) . Sogar innerhalb der IITs werden große Unterschiede in der Reputation deutlich. Den fünf älteren und etablierten Institutionen wird ein weitaus besseres Standing zugesprochen als den neueren. In den nächsten Jahren dürften aber auch die neueren IITs und IIMs zunehmend Anerkennung finden. Demgegenüber fällt die Qualität der normalen Universitäten deutlich ab. Außerdem ist es um die primäre Ausbildung (Grundschulen) sehr viel schlechter bestellt als um die universitäre. Schließlich sind die regionalen Unterschiede sehr groß. Universitäten und Institute mit Rang und Namen finden sich vor allem in den indischen Hightech-Clustern, die auch Unternehmen anziehen (siehe Übersicht links). Insofern erwecken die reinen Absolventenzahlen einen zu positiven Eindruck des Fachkräftepotenzials Indiens. Die indischen Player: Qualität setzt sich durch… Indiens IT- und BPO-Unternehmen haben hohe Ansprüche an die Qualität ihres Leistungsangebots. Dass sie Vergleiche auf globaler Ebene nicht scheuen müssen, belegt die hohe Zahl der Softwareund BPO-Unternehmen, die nach international anerkannten Qualitäts-Standards zertifiziert sind (Six Sigma, CMM Level 5 und ISO 9000). Von den 80 Software-Unternehmen, die 2003 weltweit mit CMM Level 5 bewertet wurden, stammten 60 aus Indien. Level 5 ist dabei der höchste Wert, den ein Software-Unternehmen erreichen kann (siehe Erläuterungen S. 6,7). 4 Kapur, Devesh (2002). The Causes and Consequences of India’s IT Boom. India Review 1(2), April 2002, 91-110, S. 100. 11. Oktober 2005 Outsourcing nach Indien ... und big is powerful Capability Maturity Model (CMM) Das Capability Maturity Model CMM beschreibt und bewertet Methoden und Verfahren in der Software-Entwicklung. Es wurde am Software Engineering Institute der Carnegie Mellon University entwickelt. Die Anwendung entsprechender Verfahren leitet deutliche Verbesserungen bei der Software-Entwicklung und -Wartung ein. Auf dem Wege von einer „unreifen“ zu einer „reifen“ Software-EntwicklungsOrganisation definiert das CMM fünf Stufen, die aufeinander aufbauen. Sie bilden die Grundlage für eine kontinuierliche, sukzessive Prozessverbesserung: 1. Initial, 2. wiederholbar, 3. definiert, 4. gesteuert, 5. optimierend. Level 5 ist der höchste Wert, den eine Organisation, die Software entwickelt, erreichen kann. Die (großen) Anbieter von BPO-Dienstleistungen wachsen rasant und weisen hohe Gewinne aus. Sie erreichen inzwischen z.T. eine höhere Marktkapitalisierung als die Konkurrenz aus den Industrieländern. Ihre Wirtschaftskraft versetzt die großen indischen Player in die Lage, aufwendige internationale Projekte zu stemmen. Die in langen Jahren aufgebaute Reputation und Prominenz der Markennamen erleichtern die Akquise der entsprechenden Aufträge. Rolle der Politik: Vom Saulus zum Paulus Neben der günstigen Ressourcenausstattung hat auch die Wirtschaftspolitik Indiens eine gewichtige Rolle gespielt. Sie hat dabei einen beachtlichen Gesinnungswandel vollzogen. Zwei wichtige Phasen können hier unterschieden werden. Bremse gelockert… Das Jahr 1984 markiert die erste entscheidende wirtschaftspolitische Wende. Premier Rajiv Gandhi leitete die Abkehr von der Strategie der technologischen Autarkie, der pauschalen Importsubstitution und des Export-Pessimismus ein. Die Softwareindustrie wurde als Branche anerkannt und die Importzölle auf PCs und Software von 100 auf 60% gesenkt. Aber auch die bis dahin betriebene Abschottungspolitik hatte bereits den ein oder anderen Grundstein für die späteren Erfolge der indischen IT-Branche gelegt. Sie isolierte zwar die heimische HardwareBranche. Das bewirkte aber, dass sich die Schwerpunkte auf den Softwarebereich konzentrierten. Noch 1978 sah sich IBM gezwungen, Indien zu verlassen, weil das Unternehmen sich weigerte, die drakonischen Auflagen des „Foreign Exchange and Regulations Act“ zu befolgen. IBMs Weggang führte zu einem stärken Einsatz von Mikro- und Mini-Computern in indischen Unternehmen. Diese arbeiten weitgehend mit dem Betriebssystem UNIX. Als UNIX weltweit an Bedeutung gewann, profitierten die indischen Programmierer von 5 ihrem Wissensvorsprung. … und Gas gegeben Die zweite Phase des wirtschaftspolitischen Aufschwungs beginnt in den späten 80er Jahren. Sie markiert den Richtungswandel zur aktiven industriepolitischen Förderung der Software-Branche. Förderung durch Software Technology Parks IT-Branche profitiert von Wirtschaftsreformen 1989 wurde die autonome Gesellschaft STPI gegründet. Sie richtete die Software Technology Parks (STP) ein. Darin wird verlässliche und qualitativ hochwertige Infrastruktur (Strom, Telekommunikationsleitungen, Satelliten-Verbindungen etc.) bereitgestellt. Diese überbrückt die Engpässe einer ansonsten sehr dürftigen Infrastrukturlandschaft. Die Regierung gewährt in den Parks Steuerbefreiungen. Außerdem gibt es in den STPs keine Beschränkung für ausländische Beteiligungen. Bis Juli 2004 wurden insgesamt 40 STPs eingerichtet. 20 weitere sind für die nächsten acht Jahre geplant. Im März 2004 beherbergten die STPs insgesamt 4.644 Firmen. Davon exportieren gut drei Viertel Softwareprodukte. Die Wirtschaftsreformen von 1991 waren zwar allgemeiner Natur, kamen aber speziell der IT-Branche zugute. Softwarefirmen, die keine Kredite bekamen, konnten verstärkt auf Eigenkapitalzufuhr bauen, nicht zuletzt durch ausländische Investoren. Diese Signale veranlassten viele der multinationalen Unternehmen, Nieder5 11. Oktober 2005 Naranya Murthy, N.R. (2000). Making India a significant IT player. In Romila Thapar (Hrsg.), India. Another Millenium. New Delhi: Penguin books. 7 Aktuelle Themen 335 lassungen in Indien zu eröffnen. Von den 95 multinationalen Unternehmen, die 1999 in Indien ansässig waren, kamen drei Viertel nach 6 1990 ins Land. Historische Entwicklung: globale Nachfrage im Wandel Aber nicht nur Indiens Ressourcenausstattung und seine Wirtschaftpolitik begründen seinen Erfolg als wichtigster internationaler Outsourcing-Standort. Indiens Outsourcing-Branche stieß auch auf einen starken Bedarf aus den Industrienationen. Aufstieg der IT erhöht globale Experten-Nachfrage Hohe IT-Investitionen in den 90er Jahren… Seit Anfang der 90er Jahre nahmen die Investitionen in Informationstechnologie deutlich zu. Finanzdienstleister und natürlich die Soft- und Hardwarehersteller selbst investierten besonders stark. Erstere versprachen sich durch den intensiven Einsatz moderner Informationstechnologien einen strategischen Vorteil gegenüber ihren Wettbewerbern. Entsprechend hoch war der Bedarf an Programmierern, Software-Architekten und sonstigen Fachkräften. … führten zu Personalengpässen Die große Nachfrage führte zu Kapazitätsengpässen, speziell in den USA als dem größten IT-Markt. Die Personalengpässe in dieser Phase wurden in den USA auf zwei verschiedenen Wegen gelöst. Zum einen wurden spezielle Aufenthaltsgenehmigungen an ausländische Fachkräfte vergeben. Dabei dominierten die indischen Arbeitskräfte: 43% der zwischen Oktober 1999 und Februar 2000 ge7 währten H-1B Visa gingen an indische Fachkräfte. Zum Ende des Jahres waren es rund 200.000. Zum anderen vergaben amerikanische Unternehmen IT-Projekte nach Indien bzw. gründeten Tochterfirmen vor Ort. Das Y2K-Problem: die Gunst der Stunde Software-Experten auf der Suche nach Millennium-Bugs Das Y2K-Problem rückte Indien ins internationale Rampenlicht und brachte der indischen IT-Industrie den entscheidenden Wachstumsschub. Software-Experten mussten abertausende Zeilen Programmiersprache durchgehen und nach „Millennium Bugs“ absuchen. Für diese zeitraubende und kostspielige Arbeit waren westliche ITExperten oft zu teuer. Außerdem waren Unix-Experten zur Kontrolle von Großrechnern knapp. In dieser Phase bewiesen sich die indischen Softwarefirmen global als kompetente und verlässliche Geschäftspartner, und zwar zu niedrigen Kosten. Der Grundstein für umfangreichere und komplexere Projekte war gelegt. Der Wandel der IT zur Commodity „IT doesn’t matter“ Die Jahrtausendwende markierte das Ende der New Economy Euphorie. Der Stellenwert der Informationstechnologie hat sich seither deutlich verändert. Zwar bildet sie unstrittig das Rückgrat der Wirtschaft und ist insofern unverzichtbar geworden. Ihre Allgegenwärtigkeit reduziert aber ihre strategische Bedeutung. Bestimmte Bereiche sind zur Massenware (Commodity) degeneriert. Außerdem führte der Kostendruck z.B. in der von einer Ertragskrise geschüttelten Finanzindustrie dazu, dass diese ihre IT-Budgets reduzierte. In der Konsequenz verlagern immer mehr Unternehmen Teile ihrer IT- 6 7 8 Kumar, Nagesh und K.J. Joseph (2004). National Innovation Systems and India’s IT Capability: Are there any lessons for ASEAN Newcomers? RIS-Discussion Papers 72/2004, Tabelle 5. Desai, Mihir A., Devesh Kapur und John McHale (2002). The Fiscal Impact of High Skilled Emigration: Flows of Indians to the U.S. 11. Oktober 2005 Outsourcing nach Indien Infrastruktur an den Markt (Outsourcing) bzw. in andere Länder (Offshoring). Indien profitiert Speziell Indien hat vom globalen Trend des Aus- und Verlagerns profitiert. Mit der Reputation und dem Vertrauen ausgestattet, die die ersten Gehversuche einbrachten, hat die Dimension und Komplexität der Projekte zugenommen, die westliche Firmen nach Indien vergeben. Nicht mehr nur relativ einfache Programmieraufgaben und Call-Center-Dienste, sondern zunehmend ganze Geschäftsprozesse bis hin zu Beratungsaufgaben werden inzwischen nach Indien vergeben. Indische Diaspora: Kontaktpflege Internationales Netzwerk indischer Auswanderer Schließlich spielt neben den angebots- und nachfrageseitigen Gründen das globale Netzwerk der im Ausland lebenden Inder eine nicht zu unterschätzende Rolle. Speziell die indische Diaspora in den USA hat viel zum Aufstieg der indischen Outsourcing-Industrie beigetragen. Die indischen Auswanderer knüpften die ersten Kontakte, um international Verträge abzuschließen, und pflegen sie weiterhin. Dieses internationale Netzwerk wirkt dabei auf verschiedenen Ebenen. Neben der großen Bevölkerungsgruppe der Inder in den USA fallen vor allem ihr hoher Bildungsstand und die große Zahl der Fach- und Führungskräfte in Hightech-Firmen ins Gewicht. Aber auch die Führungskräfte in Indien selbst sind oftmals Rückkehrer mit Berufserfahrung aus den USA. — Im März 2001 waren mehr als eine Million Einwohner in den USA sesshaft, die in Indien geboren wurden. Das sind doppelt so viele wie 1990. — Bereits in den 70er und 80er Jahren stellten die Inder die zweitgrößte Gruppe der ausländischen Doktoranden (nach den Taiwanesen). 2002 besaßen drei Viertel der US-Inder im erwerbsfähigen Alter einen Bachelor- oder höherwertigen Abschluss. 38% dieser Altersgruppe indischer Abstammung besitzt einen „Masters“-Abschluss oder ist promoviert. In der einheimischen Vergleichsgruppe sind es dagegen nur 9%. — Der Anteil der Firmen im Silicon Valley, die von Indern geleitet werden, nahm von 3% der Neugründungen zwischen 1980 und 1984 auf 10% der Neugründungen zwischen 1995 und 2000 zu. Danach lag er wahrscheinlich noch höher. — Schätzungen zufolge werden 95% der internationalen Unternehmen im STP in Bangalore von Indern geleitet, die im Ausland gelebt und gearbeitet haben, und zwar überwiegend in den 8 USA. Ausblick: Stolpersteine aus dem Weg räumen Trotz seines beträchtlichen Potenzials muss Indien noch einige Hemmnisse auf dem Wachstumspfad beseitigen, will es seine Erfolgsgeschichte fortschreiben. Indischer Talente-Pool auf Dauer nicht ausreichend Qualifizierter Nachwuchs wird knapp Indiens größtes Problem ist, dass der qualifizierte Nachwuchs knapp wird. Trotz der großen Bevölkerung kann das Angebot an Ingenieuren mit der rasant gestiegenen Nachfrage nicht Schritt halten. Außerdem genügt nur ein geringer Teil den hohen Ansprüchen der internationalen Konzerne. Jährlich kommen zwar zu den 8 11. Oktober 2005 Ghemata, Pankaj (2000). The Indian software industry Millennium. Harvard Business School, MA. Paper No N9-700-036. 9 Aktuelle Themen 335 1,75 Mio. Ingenieuren 130.000 Absolventen hinzu. Allerdings erreichen davon nur 10 bis 20% das Qualifikationsniveau, das die großen Konzerne erwarten. Entweder reichen ihre Englischkenntnisse oder das in der universitären Ausbildung vermittelte Fachwissen nicht aus. Hinzu kommt, dass immer noch viele Studenten und Hochschulabsolventen ins westliche Ausland migrieren. Bildungspolitik gefordert Die Ausbildung auf eine breitere Grundlage zu stellen und bereits in der primären Schulausbildung hohe Maßstäbe zu setzen, ist daher das Gebot der Stunde. Ziel der indischen Bildungspolitik sollte ferner sein, das Niveau aller Universitäten in Richtung der Standards seiner Spitzeninstitute zu heben. Nachfrage und Fluktuation treiben Gehälter in die Höhe Hohe Abwanderungsraten Druck auf Gehälter in Indien Jahreseinkommen, USD 35.000 30.000 25.000 20.000 15.000 10.000 5.000 0 2000 2001 2002 2003 2004 Projektmanager (CAGR = 23%) 10 Margen sinken im Schnitt Operative Ebit-Margen der 5 großen indischen Player (von - bis in %) 40 35 30 25 20 15 10 5 0 2002 2003 2004 Quelle: DB Research, Unternehmensangaben, 2005 Die hohen Abwanderungsraten drücken den Nachfrageüberhang in der Branche aus. Speziell den kleineren, aber auch den ausländischen Firmen fällt es schwer, ihre erfahrenen Angestellten zu halten. Zu stark ist die Konkurrenz der etablierten Großen, die mit höheren Gehältern, Aktienoptionen sowie arbeitnehmerfreundlichen Konditionen locken. In der Konsequenz steigen die Gehälter. Durchschnittliche Gehaltssteigerungen von nominal 12–15% stellen die Regel dar. Je nach Qualifikation oder Berufserfahrung liegen die Steigerungsraten deutlich darüber (siehe Grafik 10). Hinzu kommen Kosten für sonstige Pakete, um die Belegschaft zu halten, etwa für Parkanlagen, Restaurants, Fitness-Studios, Schwimmbäder und Golfplätze für die Mitarbeiter. Konkurrenz droht durch andere Schwellenländer… Junior Software-Entwickler (CAGR = 13%) Quellen: Strategic Review, NASSCOM, 2005 Die hohe Abwanderung der qualifizierten Fachkräfte stellt eine Hürde dar. In den Call-Centern beträgt die Fluktuation über 50% pro Jahr. Je höher die Anforderungen an die Qualifikation der Mitarbeiter sind, desto schwieriger ist es, adäquaten Ersatz zu finden. Bei den IT-Anbietern beträgt die Abwanderungsrate 15-30%, im BPOBereich erreicht sie in einigen Fällen sogar 40%. 11 Nicht nur Indien verfügt über viele englischsprachige, gut ausgebildete und hoch motivierte Arbeitskräfte. Auch andere Schwellenländer mit vergleichbaren Voraussetzungen schielen auf das indische Erfolgsmodell und wollen es nachahmen. Pakistan, Bangladesch, 9 Sri Lanka, die Philippinen und perspektivisch China lauern bereits in den Startblöcken. Aber auch die osteuropäischen Staaten stellen speziell für westeuropäische Kunden eine attraktive Alternative dar. … und westliche Konkurrenz in Indien Die großen IT-Dienstleister aus dem Westen wie Accenture, IBM Global Services oder EDS sowie Beratungshäuser wie CSC bauen zunehmend eigene Entwicklungskapazitäten in Indien auf und aus. Sie konkurrieren mit den heimischen Firmen sowohl um die indischen Arbeitskräfte als auch um ausländische Aufträge. Diese Konstellation treibt die Löhne in die Höhe und drückt die Margen (siehe Grafik 11). Allerdings weisen die indischen Platzhirsche einen Kompetenzvorsprung von 10 bis 15 Jahren vor der internationalen Konkurrenz 9 10 Zum Potenzial Chinas als Konkurrent oder Kooperationspartner Indiens in der Software-Entwicklung siehe Yahya, Faizal (2002). The Dragon Arises: China’s Challenge to India in Software Development. India Review 1(4). S. 91-122. 11. Oktober 2005 Outsourcing nach Indien 10 auf. Außerdem begegnen sie dem Kostendruck pro-aktiv, indem sie selbst nach qualifiziertem Personal im Ausland (Pakistan, Bangladesch, China) suchen, und damit ihre Kapazitäten ausweiten. Und in der Organisation internationaler Teams liegt schließlich ihre Kernkompetenz. Inzwischen beschäftigt z.B. Infosys mehr als 19.000 Angestellte mit 38 Nationalitäten in 16 Ländern. Schwache Infrastruktur: Klotzen statt Kleckern Schlechte Verkehrswege… … und unzureichende Strom- und Wasser-Versorgung Die physische Infrastruktur Indiens lässt immer noch sehr zu wünschen übrig. Sowohl die schlechten Verkehrswege als auch die regelmäßigen Stromausfälle behindern die weitere Expansion der Wirtschaft. Die Straßen sind in einem schlechten Zustand und oft verstopft. Die veraltete Eisenbahn erschwert den Transport von Gütern und Menschen. Ähnlich ist die Situation bei Häfen und Flughäfen. Korrekturen stehen jedoch auf der politischen Agenda: Bis 2010 sollen USD 50 Mrd. pro Jahr in den Ausbau der Infrastruktur fließen. Auch die unzuverlässige Strom- und Wasserversorgung behindert die weitere Entwicklung Indiens. Speziell die größeren IT-Firmen – aber auch große Unternehmen aus anderen Branchen – mussten bislang in eigene kleine Kraftwerke investieren, um die Risiken von Stromausfällen zu verringern. Im Januar 2002 produzierte Indien 120.000 Mega Watt (MW) Strom. In den nächsten zehn Jahren will die Regierung die Gesamtkapazität um weitere 100.000 MW ausweiten. Insgesamt kommen die Verbesserungen der physischen Infrastruktur aber nur schleppend voran. Ökonomische und geopolitische Risiken bestehen weiterhin Stabilitätsrisiken beachten Nicht vergessen werden darf, dass Indien trotz seiner hohen Wachstumsraten immer noch typische Merkmale eines Entwicklungslandes aufweist. Das Pro-Kopf-Einkommen liegt mit zurzeit USD 685 p.a. noch deutlich unter dem Niveau von Indonesien (USD 1.000) und beträgt nur ein gutes Viertel des thailändischen Pro-Kopf-Einkommens (USD 2.700). Selbst die IT-Infrastruktur bezogen auf die Gesamtbevölkerung ist rückständig im Vergleich zu anderen Ländern. Ferner bestehen das Risiko politischer Instabilität durch die hohe Einkommensungleichheit und ein erhöhtes militärisches Risiko. Trotz der Entspannung in der jüngeren Vergangenheit schwelt der Kaschmir-Konflikt immer noch, und häufige Sicherheitskontrollen erschweren das Reisen innerhalb Indiens. Investoren und Kunden müssen sich dieser Risiken bewusst sein und sie gegen die Vorzüge abwägen, wenn sie ein Engagement in Indien planen. Weiterer Aufstieg angepeilt Die großen indischen IT-Dienstleister stellen sich den Herausforderungen und setzen weiter auf Wachstum. Dazu bedienen sie sich verschiedener Strategien. Sie expandieren geostrategisch in die Heimatmärkte ihrer westlichen Kunden, bieten höherwertige Dienstleistungen an und integrieren Kapazitäten aus anderen Schwellenländern in ihre globalen Organisationen. Höhere Stufen der Wertschöpfungsleiter erklimmen Komplexere Aufgaben: Beratung… Die indischen Anbieter von BPO und IT- Dienstleistungen erweitern ihre Angebotspalette. Die Entwicklung geht weg von der einfachen Programmierung und schlichten IT-basierten Prozessen. So wie die 10 11. Oktober 2005 Diana Farrel vom McKinsey Global Institute schätzt diesen Vorsprung für die gesamte indische IT und BPO-Branche relativ zur chinesischen. Siehe China and India: The race to growth (2004). The McKinsey Quarterly, Special Edition: China today, S. 111-120. 11 Aktuelle Themen 335 Unternehmen den Schritt vom einfachen Programmieren zum Angebot ganzer Geschäftsprozesse erfolgreich vollzogen haben, folgen weitere Schritte. Die Anbieter streben nach komplexeren Aufgaben, die höhere Margen abwerfen. Besonders attraktiv sind Beratungsdienstleistungen. Sie stellen inzwischen das profitable Hauptbetätigungsfeld der westlichen Weltmarktführer dar, die aus dem klassischen IT-Geschäft stammen und ihre Geschäftsmodelle veredelt haben. Dieser Weg erscheint auch für die indischen Konzerne gangbar. Rising Star "Knowledge Process Outsourcing" … und wissensbasierte Dienstleistungen im Angebot Daneben testen Anbieter und Kunden immer mehr Prozesse, die spezifisches Know-how erfordern. Das so genannte Knowledge Process Outsourcing (KPO) gewinnt zunehmend an Bedeutung. Zwar werden die Arbeitsergebnisse wie beim ITES-BPO überwiegend IT-basiert verarbeitet und übermittelt. Kern des KPO ist aber das Expertenwissen der indischen Mitarbeiter. Auch wenn KPO – im Vergleich zum BPO – weniger standardisiert und eher ergebnisoffen ist, eignet es sich aber durchaus, um offshore erbracht zu werden. Gleichwohl sind die Abläufe komplexer und stellen höhere Anforderungen an die Kommunikation und Abstimmung der Geschäftspartner. Insgesamt werden z.T. Wachstumsraten von 30-50% für die 11 nächsten Jahre erwartet. Konkrete Beispiele sind: — die detaillierte Analyse von Röntgenbildern durch indische Radiologen für amerikanische Krankenhäuser; — Übersetzung und Bearbeitung von medizinischen und psychologischen Forschungstexten; — Remote-Beratung durch medizinische Spezialisten; — das Zusammenfassen von amerikanischen Gerichtsurteilen durch indische Juristen für einen US-amerikanischen Anbieter von Wirtschaftsdaten; — die redaktionelle Auswahl von Beiträgen für eine internationale Nachrichtenagentur (Bangalore); — Risikomanagement, Internetrecherche (Business intelligence), und Aktienanalyse für Finanzdienstleister (Mumbai); — oder die Bilanz-Analyse mittelständischer Unternehmen und 12 Risikomodellierung für ganze Branchen für Banken. Expansion in den Westen… Büros in USA und Europa… Die großen Player indischer Herkunft greifen die angestammten Märkte ihrer Kunden an. Zum einen werden Dependancen und Büros in den USA und Europa eröffnet. So soll der erste Kontakt zwischen Anbieter und Kunde erleichtert werden und auf dem vertrauten Terrain der potenziellen Kunden stattfinden. Zum zweiten kaufen indische Anbieter kleine und mittlere Unternehmen auf, um über Akquisitionen schneller Zutritt zu vielversprechenden Märkten zu erlangen als über organisches Wachstum möglich erscheint. Diese geografische Expansion geht einher mit einer ausgeweiteten und qualitativ höherwertigen Angebotspalette. 11 12 12 Martorelli, William und Stephanie Moore (2005). Offshore Knowledge Process Outsourcing Emerges. Forrester Research. Huws, Ursula, Simone Dahlmann und Jörg Flecker (2004). Outsourcing of ICT and related services in the EU. A status report. Hrsg: European Foundation for the Improvement of Living and Working Conditions. Luxembourg: Office for Official Publications of the European Communities. 11. Oktober 2005 Outsourcing nach Indien … und Integration anderer Schwellenländer … und Kapazitäten in Schwellenländern Der drohenden Konkurrenz aus anderen Schwellenländern begegnen die international agierenden Häuser pro-aktiv. Sie bauen Kapazitäten auf in Pakistan, Bangladesh, den Philippinen oder China. Aber auch die osteuropäischen Länder werden in das Portfolio der Standorte aufgenommen. Ihre Experten und die geografische und kulturelle Nähe zum Westen Europas qualifizieren die osteuropäischen Staaten als hoch attraktive Regionen, auch wenn das Gehaltsniveau über dem indischen liegt. Fazit: Aufstieg noch nicht beendet Weichen stehen auf Wachstum Intellektueller Nachwuchs von zentraler Bedeutung Indiens Outsourcing-Sektor hat einen bemerkenswerten Aufstieg hinter sich. Seine Vormachtstellung als Standort für IT-Outsourcing und BPO ist derzeit unangefochten. Die indischen Anbieter werden allerdings nicht tatenlos zusehen, wie andere Schwellenländer das indische Erfolgsmodell kopieren. Trotz einiger Hindernisse stehen die Weichen weiterhin auf Wachstum. Zwar treibt die große internationale Konkurrenz, verbunden mit Engpässen beim professionellen Nachwuchs, die Löhne in die Höhe und zehrt an den Gewinnen. Aber die globale Nachfrage nach IT-Experten und Know-how zu relativ günstigen Konditionen bleibt hoch. Außerdem wagen sich die indischen Firmen auf bislang unbekanntes Terrain. Geographisch stoßen sie in die westlichen Märkte vor und integrieren Ressourcen aus anderen Schwellenländern. Qualitativ steigen sie die Wertschöpfungsleiter hinauf und bieten höherwertigere Dienstleistungen wie Beratung und wissensintensive Prozesse (Knowledge Process Outsourcing) an. Beide Strategien sind vielversprechend. Allerdings tut Indien gut daran, die Ausbildung seiner Fachkräfte in der Breite und in der Tiefe auf solideren Grund zu stellen sowie die regionalen Unterschiede zu beseitigen. Der intellektuelle Nachwuchs – in Qualität und Zahl – wird auch in Zukunft die Entwicklung Indiens maßgeblich bestimmen. Jürgen Schaaf (+49 69 910-46830, juergen.schaaf@db.com) 11. Oktober 2005 13 Aktuelle Themen 335 Länderattraktivität für Outsourcing und Offshoring Rang Humankapital (Ausbildung und Land Score* Verfügbarkeit) Kostenvorteil (Löhne, Steuern u.a.) Umwelt** Kernkompetenz IT-Dienstleistungen Arbeitsintensive Verarbeitung, Elektrogeräte Elektrogeräte Verarbeitendes Gewerbe (Maschinenbau, Zwischenprodukte) 1 2 Indien China 7,12 5,61 Sehr hoch Hoch Sehr hoch Sehr hoch Mittel Gering 3 4 Malaysia Czech Rep. 5,59 5,58 Mittel Mittel Hoch Hoch Hoch Hoch 5 6 7 8 Singapur Philippinen Brasilien Polen 5,45 5,45 5,44 5,33 Hoch Mittel Mittel Mittel Mittel Sehr hoch Hoch Hoch Sehr hoch Gering Mittel Hoch 9 Ungarn 5,29 Mittel Hoch Hoch 10 11 Thailand Mexiko 5,20 5,12 Gering Mittel Sehr hoch Hoch Gering Mittel 12 Argentinien 5,07 Mittel Sehr hoch Gering 13 Südafrika 4,98 Mittel Hoch Mittel 14 Portugal 4,71 Mittel Mittel Hoch 15 Vietnam 4,70 Sehr gering Sehr hoch Sehr gering 16 Russland 4,65 Mittel Sehr hoch Sehr gering 17 18 Irland Türkei 4,49 4,44 Hoch Gering Sehr gering Hoch Sehr hoch Sehr gering Finanz- und Hightech-Zentrum IT-Dienstleistungen, Call-Center Fertigung, Export einfacher Güter Verarbeitendes Gewerbe (Maschinenbau, Zwischenprodukte) Verarbeitendes Gewerbe (Maschinenbau, Zwischenprodukte) Elektrogeräte, Export einfacher Güter Verarbeitendes Gewerbe (Maschinenbau, Zwischenprodukte) Einfache Güter, Verarbeitendes Gewerbe, Finanzdienstleistungen Einfache Güter, Verarbeitendes Gewerbe, Finanzdienstleistungen Bekleidung, Metallverarbeitung, Dienstleistungen Arbeitsintensive Verarbeitung, Export einfacher Güter Arbeitsintensive Verarbeitung, Export einfacher Güter Hochwertige IT-Dienstleistungen Einfaches verarbeitendes Gewerbe, Bekleidung *Gesamt-Score AT Kearney Attractiveness Index ** (Infrastruktur, politische Stabilität, Eigentumsrechte) Quelle: AT Kearney, 2004 14 12 11. Oktober 2005 Aktuelle Themen Indien Spezial Indien rückt aufgrund seiner beeindruckenden wirtschaftlichen Entwicklung zunehmend ins Blickfeld der Welt. Diese Entwicklung ist auf den Liberalisierungsprozess in den vergangenen beiden Jahrzehnten und die Öffnung des Landes für die Weltwirtschaft zurückzuführen. Unsere Reihe "Indien Spezial" befasst sich mit Indiens wachsender ökonomischer und politischer Bedeutung und deren Auswirkungen für Asien und die Welt. Unter anderem behandeln wir die jüngste Entwicklung Indiens sowie die Reformen, die das Land noch durchführen muss, um alle Vorteile einer funktionierenden Marktwirtschaft zu genießen. Darüber hinaus gehen wir auf folgende Punkte ein: regionale und geopolitische Implikationen der zunehmenden Bedeutung Indiens, Handels- und Investitionsbeziehungen zwischen Indien und Deutschland, Aussichten für den IT-Sektor, Kapitalmarktinstitutionen und Ausblick für die Kapitalmärkte, Pensionsfondsreformen in Indien und China, derzeitige und künftige fiskalische Entwicklung in Indien und Ausblick für den Bankensektor in Indien und China. Indien im Aufwind: ein mittelfristiger Ausblick.......................................................................................3. Juni 2005 Die erste Publikation der Reihe "Indien Spezial" unterstreicht die Bedeutung Indiens als Megathema der Deutsche Bank Research. Wir bewerten Indiens Potenzial, die am schnellsten wachsende Volkswirtschaft der nächsten 10-15 Jahre zu werden – Grund dafür sind die günstige demografische Entwicklung und der wachstumsfreundliche Reformkurs, den das Land angesteuert hat. Die Studie ermittelt auch diejenigen Branchen und Industrien, die am ehesten von Indiens Aufstieg profitieren werden. Outsourcing nach Indien: der Tiger auf dem Sprung .................................................................... 6. Oktober 2005 Indien dominiert als wichtigster Offshoring-Standort den globalen Handel mit IT-Dienstleistungen (ITO) und IT-gestützten Geschäftsprozessen (BPO). Seine Stärke liegt in den gut ausgebildeten englischsprachigen Fachkräften, die zu niedrigen Löhnen arbeiten. Allerdings kann der qualifizierte Nachwuchs an Ingenieuren mit der rasant gestiegenen Nachfrage kaum Schritt halten. Der Druck auf die Löhne steigt. Hier ist die Bildungspolitik gefragt, die Ausbildung auf breitere Grundlage zu stellen. Der zunehmenden Konkurrenz aus anderen Schwellenländern stellt sich der Tiger dagegen pro-aktiv: Indien expandiert nach USA und Europa, rekrutiert Fachkräfte aus anderen Schwellenländern und steigt qualitativ die Wertschöpfungsleiter hinauf. Unsere Publikationen finden Sie kostenfrei auf unserer Internetseite www.dbresearch.de Dort können Sie sich auch als regelmäßiger Empfänger unserer Publikationen per E-Mail eintragen. Für die Print-Version wenden Sie sich bitte an: Deutsche Bank Research Marketing 60262 Frankfurt am Main Fax: +49 69 910-31877 E-Mail: marketing.dbr@db.com © 2005. Deutsche Bank AG, DB Research, D-60262 Frankfurt am Main, Bundesrepublik Deutschland (Selbstverlag). Alle Rechte vorbehalten. Bei Zitaten wird um Quellenangabe „Deutsche Bank Research“ gebeten. Die in dieser Veröffentlichung enthaltenen Informationen beruhen auf öffentlich zugänglichen Quellen, die wir für zuverlässig halten. Eine Garantie für die Richtigkeit oder Vollständigkeit der Angaben können wir nicht übernehmen, und keine Aussage in diesem Bericht ist als solche Garantie zu verstehen. 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