Spitzbergen – im Land der Eisbären
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Spitzbergen – im Land der Eisbären
Spitzbergen – im Land der Eisbären Spitzbergen, die Inselgruppe inmitten eines der härtesten maritimen Gebiete der Arktis, bietet nicht nur atemberaubende Landschaften. Die Inseln dienten auch als Sprungbrett für die Eroberung des Nordpols – eine geschichtsträchtige Region und zudem Heimat von Rentier, Robbe, Walross und dem König der Arktis, dem Eisbär. Text und Fotos: Daniel B. Peterlunger Es gibt Tage, die nie enden wollen. Und manchmal ist das fantastisch: Als das Flugzeug kurz vor Mitternacht in Longyearbyen landet, scheint die Sonne. Nie wird sie in den nächsten zehn Tagen untergehen, jetzt, im August, um den 80. Breitengrad Nord. Golden leuchten die Häuser der Hauptsiedlung von Spitzbergen, in der bloss zweitausend Menschen leben. Es ist still, alles schläft, nichts bewegt sich. Nur unten im Hafen wiegt sich ein rotes Schiff sanft in der schwachen Dünung des kleinen, geschützten Adventfjords, der in den Isfjord übergeht – dahinter beginnt das offene Meer. «Eisverstärkt» durch den Sommer Obwohl wir uns in der Arktis befinden, heisst unser warmes, schwimmendes Zuhause «Antarctic Dream». Ein Hinweis auf das zweite bevorzugte Fahrgebiet des Schiffes: Die Antarktis am anderen Ende der Welt – wenn es jeweils dort Sommer ist. Das 1958 in Holland gebaute Expeditionsschiff, kompetent geführt von zwanzig chilenischen Seeleuten, ist 81 Meter lang und besitzt, da es im Unterwasserbereich verstärkt ist, die Eisklasse 1D. Kapitän Ernesto Barria Vargas ist lizenzierter Eismeister, das Schiff darf durch schwach eisbedecktes Meer fahren – wenn es denn kann. Ein Eisbrecher ist die Antarctic Dream nicht, besitzt aber ein 2500 PS-Diesel-Elektro-Antriebssystem wie auf Eisbrechern üblich. Damit erübrigt sich ein klassisches Getriebe, ein mechanisch empfindliches Element, das keine schnelle Schubumkehr zulässt von «volle Kraft voraus» – und falls das Schiff trotzdem im Eis stecken bleibt – auf zurück. Kurs Südwest, dann Nordwest. Die schmale Insel Prinz Karl Forland lassen wir steuerbords liegen und fahren mit elf Knoten gegen leichtes Schneetreiben in die taghelle Nacht hinein. Am nächsten Morgen stechen gezackte Berge schneeweiss in den blauen Himmel, der Name «Spitzbergen» macht Sinn. «Wären Entdecker und Namenstifter damals in Longyearbyen angelandet, die Inselgruppe hiesse wohl Plattbergen!», meint ein Geologe an Bord. Die Inseln, internationales Territorium unter norwegischer Verwaltung, besitzen nebst spitzigen Bergen überraschend vielfältige Landschaftsformen. Da gibts dank Millionen kleiner Pflanzen und Blümchen berauschend farbige Tundra, anderswo Permafrost böden, Polarwüsten, schmale Täler, umwerfende Faltungen – Spitzbergen oder Svalbard, wie es die Norweger nennen, bietet sich wie ein offenes Lehrbuch der Geologie dar, mit gewaltigen Gletschern als Buchzeichen. Zu einem solchen wollen wir hin! Doch vor dem ersten Landfall müssen alle Gäste an einer Schulung teilnehmen: Erklärung der Richtlinien der Association of Arctic Expedition Cruise Operators, der internationalen Vereinigung der Veranstalter von Arktis-Expeditionskreuzfahrten: Das richtige Verhalten zum Schutz der sensiblen Umwelt gehört zu den Aeco-Regeln, deren Einhaltung Expeditionsleiter und Meeresbiologe Troels Jacobsen aus Dänemark überwacht. Zudem befinden wir uns in Eisbärenland, etwa 1500 sollen hier leben. Das zwingt zu Disziplin beim Landgang, beim Wandern: Immer schön zwischen den Jungs mit den Gewehren bleiben! Wird ein Eisbär in Notwehr erschossen, gäbe es eine Untersuchung wie bei einem «normalen» Mordfall, weiss und fürchtet Troels. Um Konflikte zu vermeiden, gehen wir erst an Land, nachdem der Strand mit Ferngläsern abgesucht und als «bärenfrei» klassiert wurde. So fällt beispielsweise später auf der Reise im Freemansund, einer schmalen Seestrasse mit starker Gezeitenströmung, der Landgang aus: Verteilt auf wenige Seemeilen wartet am Ufer ein gutes Dutzend Eisbären auf Treibeis und Robben, ihrem Lieblingsfutter. Respektvoller Abstand und Rücksicht sind in der sensiblen Arktis Pflicht. Dinner on the rocks Das Expeditionsschiff ist eisverstärkt, ideal um im Sommer in der Arktis zu navigieren. Hinter uns krachts! Dem Gletscher im Kongsfjord fällt plötzlich ein grosser Zacken ab. Gut, dass wir im Zodiac mit Sicherheitsabstand zur Gletscherkante fahren. Die vom Brocken ausgelöste Welle kann Zodiacs nichts anhaben. Ringel- und Bartrobben tauchen ab, Raubmöven und Papageitaucher lassen sich nicht stören – es kracht hier oft. Wegen der Klima erwärmung immer öfters. Die Arktis ist ein Fiebermesser und zeigt an, wie die Erwärmung der Welt flott steigt. Das wird beim nächsten Landgang in Ny London deutlich: Wir wandern auf einen 380 Meter hohen schneebedeckten Berg, zu dessen Füssen eine nach 1920 verlassene Marmor-Abbaustelle liegt. Camp Mansfield ist eine historische Stätte, ein Openair-Museum inklusive verrostetem Teekessel. «Das ist kein Schrott, es ist Geschichte», sagt mit unnachahmlich ernsthaftem Schmunzeln und professoral gelegter Stirnfalte unser Expeditions-Historiker, Chris Gilbert. Alle Objekte, die von vor 1945 stammen, gelten als Kulturerbe – das kann auch ein krummer Nagel sein. Auf der anderen Seite des Fjords liegt Ny Alesund. Der ehemalige Kohlebergbauort ist heute ein internationales Forscherdorf. Die Aussicht vom Berg ist umwerfend. Die klare Sicht durch die hochsommerlich eiskalte Luft von zwei Grad Celsius zeigt: Was ältere Seekarten als Halbinsel darstellen, stimmt nicht mehr. Der Gletscher zog sich zurück und gab eine Seestrasse frei – die vermeintliche Halbinsel ist eine Insel! Der Wind frischt auf, als wir durch den Fjord fahren. In den Panorama-Fenstern des Speisesaals ziehen in warmes Licht getauchte Berge, Gletscher und schön blaue Eisberge vorbei. Derweil serviert die multi nationale 13-köpfige Crew (eine Neuseeländerin, eine Schottin, ein Argentinier, ein Malaie, neun Philippinos), die sich um «Hotelbetrieb» und Restaurant kümmern, das Essen: Dinner on the rocks. ein: Als wir das Weibchen auf dem Treibeis entdecken, lässt der Kapitän, ein enthusiastischer Fotograf, anhalten. Madame Ursus Maritimus, laut offizieller Bezeichnung, erhebt sich. Sie schwimmt und springt von Scholle zu Scholle bis sie ein paar Meter neben unserem roten Rumpf stehenbleibt und uns tief – hungrig? – in die Augen schaut. Eindrücklich! Anhosen und Aushosen Ob die Sonne scheint oder Nebel das Schiff verschluckt, der Wind bläst meist aus Sektor Nord – knapp 600 Seemeilen sind es bis zum Nordpol. Unter Berücksichtigung des Wind-Chill-Factors, der Windkühle, beträgt die Temperatur oft minus 20 Grad Celsius. Oder weniger. Vor und nach jedem Landgang findet deshalb, wie ein Gast aus Deutschland treffend bemerkt, das «Anhosen- und Aushosen-Ritual» statt: mehrschichtig warm anziehen ist Pflicht. Besonders heute, im Rijpfjord, benannt nach jenem holländischen Kapitän, der mit Willem Barents segelte, als sie 1596 Spitzbergen entdeckten. Am Fjord ende vor dem Gletscher sitzt das grösste Raubtier unseres Planeten: ein Eisbär! Ganz langsam, ganz still schleichen wir mit den Schlauchbooten zwischen Eisbergen und Schollen hindurch näher – bis das Tier uns entdeckt! Und genauso interessiert guckt, wie wir. Näher als etwa 35 Meter fahren wir nicht ran. Eisbären sind hervorragende Schwimmer, die bis zu 150 Kilometer zurücklegen. Am nächsten Tag, auf knapp 81 Grad Nord, dem nördlichsten Punkt der Spitzbergen-Umrundung, hält ein neugieriger Eisbär den Sicherheitsabstand nicht Zum Nordpol – und nie mehr zurück Spitzbergen diente vor rund hundert Jahren als Basis lager für die erstmalige Eroberung des Nordpols. Expeditionen, die oft tödlich endeten. Wie jene des Schweden Salomon August Andrée. 1897 startete das Team mit einem Gasballon und ward nie mehr gesehen. 33 Jahre später fand man die Toten, Tagebücher und Fotoplatten. Arktische Kälte wirkt konservierend, die Fotos liessen sich entwickeln, das Drama rekonstruieren. Schon zwei Tage nach dem Start war der vereiste Ballon über dem Packeis abgestürzt. Ein 3monatiger Überlebenskampf begann und endete, wo wir jetzt stehen: Am Grab der Männer auf Kvitøya, der abgelegenen Insel im Osten Spitzbergens. Die Insel ist nahezu vollständig vergletschert. Die Männer hatten zwar Eisbären geschossen, doch fehlte ihnen die Kraft, das Fleisch zu braten. Rohes Eisbärenfleisch enthält Trichinen, Fadenwürmer, an denen sie wahrscheinlich qualvoll starben. Die Sonne bescheint die Stelle, ihre raue Vergangenheit, ihre herbe Schönheit. Plötzlich funkt die Brücke: Wind 33 Knoten, auffrischend, Nebel, zurück! Irgendwo da draussen liegt unser Schiff: Fünf klirrend kalte, spritzige Seemeilen Sehenswertes in Longyearbyen dbp. Das Svalbard-Museum, eine von der EU preisgekrönte Ausstellung, präsentiert auf unterhaltsame und spannende Weise die Natur- und Kulturgeschichte einer Region, die seit 400 Jahren vom Menschen besucht, ausgebeutet (Kohleabbau, Walfang), erforscht und auch touristisch genutzt wird. Das Airship-Musem stellt die Geschichte der versuchten Eroberung des Nordpols per Luftschiff dar: Originaldokumente und Exponate, unter anderem von der grössten, je in der Arktis durchgeführten Rettungsaktion – sehenswert! Travelhouse Oceanstar organisiert vom 20. bis 30. Juli 2011 eine exklusive, vom Schweizer Peter Balwin geleitete Spitzbergen-Expeditionsreise mit der «Ant arctic Dream». Kosten: ab 7640 Franken. Tel. 043 211 71 47, www.oceanstar.ch Die Reportage wurde unterstützt von Travelhouse Oceanstar und SAS Scandinavian Airlines, der einzigen Fluggesellschaft, die Spitzbergen anfliegt. Rijpfjord Kvitøya Ny-Ålesund Longyearbyen Freemansund Burgabukta 78 seaside marina.ch november 10 november 10 marina.ch seaside 79 durch beissenden Wind und Nebel. Das Meer hat zwei Grad Celsius. Dem GPS sei Dank, taucht nach der kalten Fahrt über knapp drei Meter hohe Wellen eine Silhouette auf: Nie freut man sich mehr, ein gut geheiztes Schiff zu sehen. Die Antarctic Dream verhält sich auch bei stärkerem Seegang stabil. Auf der Brücke, die jederzeit allen Gästen offensteht, gibts GPS und Radar, doch die Offiziere arbeiten umsichtig wie früher mit Seekarte und Zirkel. Wohnliche Kabinen, eine gemütliche Bibliothek, ein bequemer Speisesaal mit Bar, in dem rund um die Uhr Kaffee, Tee und Snacks bereit stehen, aber vor allem eine tolle Crew, die sich charmant um die 52 Gäste kümmert – das Leben an Bord der Antarctic Dream ist angenehm. Dazu trägt auch das junge, motivierte Expeditions-Team (zwei Geografen, ein Historiker, zwei Meeresbiologen) bei: Sie halten Vorträge und ihre Begeisterung für die Arktis lässt sie immer alternative Lösungen finden, wenn einmal ein geplanter Landgang wegen zu vielen Eisbären oder Schlechtwetter ausfällt. Wechselhaft ist es: vier Jahreszeiten – aber hitzefrei! – rauschen innert Stunden vorbei und schaffen jeweils neue, fantastische Stimmungen und Farben. So wie jetzt. Der Nebel ist weg. Wir fahren entlang der längsten Gletscherabbruchkante der Welt: 190 Kilometer. Diese Blautöne! Der Sound des Eises Spitzbergen ist voller Überraschungen: Mal spiegeln sich in einer Lagune stille Berge. Dann findet man verbleichte Holzhausreste der Pomoren, jener russischen Jäger, die im 18. Jahrhundert hier jagten. Ein paar Kilometer weiter glaubt man sich auf den Mond versetzt und erklimmt einen Hügel, den noch nie jemand betreten hat. Dann wieder grüne Moosteppiche, in denen man beim Gehen weich versinkt. Im Meer treiben zartrosa Quallen vorbei, Rentiere stehen auf orangefarbiger Tundra – es ist eine Pracht. Natur pur. An strömungsexponierten Küsten findet sich, was die zivilisierte Welt weit im Süden ins Meer schmiss: Plastikzeugs. Nur wunderbare Eisberge, Schollen und glitzernde Eiskrümel gibts hingegen im Hornsund, in der Burgerbukta, einer märchenhafte Bucht: Still im Zodiac sitzend, knackt, knallt und knistert es rundherum – das Konzert des Eises, wenn die Sonne darauf scheint. Elf Tage sind schnell vorbei – obwohl es wegen der nie untergehenden Sonne eigentlich nur ein einziger wundersam langer Tag war. Wenig Segler wagen sich auf eigenem Kiel in die hohen Breiten, wo Walrosse Hafenmeister spielen. marina.ch Ralligweg 10 3012 Bern Tel. 031 301 00 31 marina@marina-online.ch www.marina-online.ch Tel. Abodienst: 031 300 62 56 80