Gelebte (Nicht)Nachhaltigkeit: Mechanismen
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Gelebte (Nicht)Nachhaltigkeit: Mechanismen
Gelebte (Nicht)Nachhaltigkeit: Mechanismen Manfred Prisching Inhalt I Systemprobleme • Steigerungsspiel • Gegenmodelldefizite • Technokratische Illusionen • Resilienz und Kollaps II Soziale Dilemmaprobleme • Allmenden • Soziale Grenzen des Wachstums • Tretmühlen • Steigerungsmechanismen III Wahrnehmungsprobleme • Kognitive Leichtigkeit • Framing von Informationen • Nichtwahrnehmung • Reduktion der kognitiven Dissonanz • Allmählichkeit • Unglaubwürdigkeit IV Kalkulationsprobleme • Low Cost Hypothese • Moral hazard • Zukunftsdiskontierung V Lebensstilprobleme • Äußere Möglichkeiten • Lebenszufriedenheit • Rebound VI Reformprobleme • Moral suasion • Nudge • Preise • Katastrophen • Schlussbemerkung I. Systemprobleme Steigerungsspiel • Aktuelle Probleme – Nicht durch Bevölkerungswachstum (Malthus), sondern durch steigenden Reichtum. Wachstumsreligion & TINA ‐ Ideologien der Modernität und des Marktes ‐ Der Einzelne und das „System“: Konflikt der Paradigmen Gegenmodelldefizite Decoupling Degrowth / Steady‐state Problem der Wohlstandsdiskussion Grundlegendes Problem, schwierige Plausibilität Plausibler ist die einfache Variante: Wachstum = Einkommen = Wohlstand Technokratische Illusionen Steigerung der Ressourcenproduktivität Aktuell: Effizienzsteigerung Zukünftig: Technologische Innovationen Visionär: Geo‐Engineering etc. Resilienz & Kollaps LANGSAMKEIT UND SCHNELLIGKEIT VON ENTWICKLUNGEN RESILIENZ VERSUS KIPPEFFEKTE Resilienz = Widerstandsfähigkeit eines Systems gegen Störungen VULNERABILITÄT = Verletzlichkeit, Instabilität COLLAPSE‐SZENARIEN Joseph Tainter: Kollaps • • Gesellschaften lösen auftretende Probleme Sie steigern dadurch ihre Komplexität – Differenzierungen, Spezialisierungen, Koordinationsmechanismen, Kommunikationserfordernisse • • • Steigende Kosten/ Ressourceneinsatz Auftretende Probleme werden durch weitere Komplexitätssteigerung bewältigt Ab einer gewissen Schwelle übersteigen die Kosten dieses Ressourceneinsatzes die möglichen Erträge Jared Diamond: Kollaps Feindliche Nachbarn Klimaschwankungen (günstiges Klima/ wachsende Bevölkerung, um günstigere Phase/ Stress/ Konflikte/ Selbstzerstörung) Umweltschäden (Abholzen von Wäldern, Bodenerosion, Bodenversalzung durch falsche Bewässerung…) Verlust von Handelspartnern Kollaps Falsche Reaktion auf Veränderungen (Festhalten an traditionellen Verhaltensweisen, mangelnde Anpassung) II. Soziale Dilemmata Allmenden • A = gemeinschaftlicher Besitz bzw. gemeinschaftliche Nutzungsrechte – Rahmenbedingung: statische Gesellschaft – Bei mehr Ertrag durch höhere Nutzung „starke Regeln“ nötig. GEFANGENENDILEMMA Ressourcennutzung, Emissionen • Kooperation wäre für alle das beste • Gleiche Bedingungen, gutes Ergebnis. Es gibt jedoch einen Anreiz für jeden, die Spielregeln zu durchbrechen. • Für jeden ist es das Beste, wenn sich die anderen an Regeln halten, er selbst aber nicht. • Wenn ich mich an Regeln halte, die anderen aber nicht, bin ich dumm/ ausgebeutet/ tot.. • Ergebnis: Keiner hält sich an die Regeln, alle sind in schlechter Situation. TRAGEDY OF THE COMMONS Allmende der Gegenwart: Meer > Walfang… • Lukrative Ausweitung des Walfangs, Großschiffe • Dezimierung der Wale • Intensivierung der Fischerei, Wettlauf: • Wer schneller ist, bekommt noch etwas, bevor es aus ist. • Wer sich „nachhaltig“ verhält, ist der Dumme, denn dann hat er selbst nichts und es bleibt den anderen mehr; das Desaster ist am Ende das gleiche. Fischfangmenge Fishing Power Kapazität x(a) Total landings of bottom‐living fish species into England and Wales (closed circles) and the United Kingdom (open circles) by British vessels from 1889 to 2007. (b) Estimated total fishing power of large British trawlers registered to England and Wales from 1889 to 2007. Closed circles indicate sail trawlers, open circles i ndicate steam trawlers and closed triangles indicate motor trawlers. Soziale Grenzen des Wachstums Paradoxe soziale Prozesse. Viele Güter können auch in der stärksten Wachstumsgesellschaft nicht für alle bereitgestellt werden ‐ Technische Grenzen > einsame Villa. ‐ Positionelle Güter > Grenzen der Vergleiche. Tretmühlen • Identitätsmechanismus – Materielle Güter als Teil des erweiterten Selbst. • Statusmechanismus – Ein Wettlauf, der nicht gewonnen werden kann. • Anspruchsmechanismus – Rasche Normalisierung aller Errungenschaften. • Multioptionsmechanismus – Mehr Möglichkeiten/Optionen sind immer besser • Rat race III. Wahrnehmungsprobleme Kognitive Leichtigkeit/ Nichtwahrnehmung • Cognitive ease … das haben wir schon immer so gemacht… • Mere‐exposure‐ … es ist immer gut gegangen… Effekt … wir haben damit Erfolg gehabt… • Priming auf Geld • Framing • Reduktion der kognitiven Dissonanz • Confirmation bias • Attributionsfehler … VERDRÄNGUNG/ DRINGLICHKEIT Die Politik ist jederzeit mit einer Überfülle von Problemen konfrontiert > Überlastung. Probleme des Tages drängen sich vor: die nächste Pressekonferenz… • Probleme, die „irgendwann“ in den nächsten 30 Jahren auftreten werden, werden verdrängt/ verschoben. • Probleme, die erst „später“ auftreten werden (langfristige Reformnotwendigkeiten), werden verdrängt/ verschoben. BLACK SWAN • Unwahrscheinlichkeit • Ein schwarzer Schwan ist ein “Ausreißer“, jenseits „normaler“ Erwartungen. • Er hat extreme Auswirkungen. • Hinterdrein können wir erklären, warum das Phänomen aufgetreten ist. Schwarze Schwäne können deshalb auftreten, WEIL mit ihnen nicht gerechnet wird (9/11). Alle Risikoanalysen rechnen mit bisherigen Erfahrungen, deshalb sind alle falsch. Die Geschichte ist „offen“. Black swans sind die wichtigen Ereignisse. (Grundlegende wissenschaftliche Durchbrüche/ technologische Neuerungen sind nicht planbar. Ideologie der Projekt‐Dummheiten.) Seltene Ereignisse/ Stimmungslagen Dow Jones 1975‐2008 Dow Jones 1975‐2009 INKREMENTALISMUS SHIFTING BASELINES ALLMÄHLICHKEIT Nichtwahrnehmbarkeit kleiner Veränderungen („Salami‐Taktik“) • Langsame Prozesse, small steps > zum Beispiel globale Erwärmung • Anpassung der Erfahrungen • Anpassung der Generationen an das neue Klima (Kinder kennen nichts anderes) SKLEROSE DES ERFOLGES Vergangene Erfolgsgeschichten hemmen Anpassungsprozesse • Verfestigung von Strukturen • Standardisierung von Abläufen • Schließung von Positionen Bisheriger Erfolg rechtfertigt Praktiken. Misserfolgssignale werden nicht wahrgenommen. ‐ Signale sind Zufälle. ‐ Alles gut gegangen. ‐ Es gibt einzelne Schuldige. ‐ Intensivierung des Bisherigen. UNGLAUBWÜRDIGKEIT VERZERRTE RISIKOEINSCHÄTZUNG Menschen haben eine inadäquate Risikoeinschätzung. • Angst vor Gewalt, Terror, Flugzeugabsturz… • Keine Angst vor Autounfall, Infektionen im Krankenhaus… Flugzeugabstürze auf der ganzen Welt: rd 800‐900 Tote/a Autounfälle rd 500 Tote/a in Österreich Nosokomiale Infektionen: Rund 50.000 Todesfälle/ Jahr in Europa. (USA rd 5‐15% der Patienten erwerben eine Infektion, rd 44000‐98ooo Tote/a.) NORMALE KATASTROPHEN Charles Perrow In hochtechnologischen/ komplexen Systemen sind Katastrophen „normal“ = können nicht verhindert werden. >> Trotz einer Vielzahl von redundanten Sicherungssystemen. 1. Komplexität der Zusammenhänge lässt die unwahrscheinlichsten Kombinationen nicht voraussehen. 2. Enge Koppelung löst immer weitergehende Konsequenzen in „Nachbarbereichen“ aus. 3. Während der Katastrophe wissen die Hilfskräfte lange Zeit nicht, was in dem System überhaupt los ist. IV. Kalkulationsprobleme Low Cost hypothesis Q: Diekmann MORAL HAZARD Maßnahmen zur Beseitigung einer Gefahr > veränderte Kalkulationen der Akteure • Absicherungsmaßnahmen für Gelände > Besiedlung gefährdeter Zonen • Dammbauten gegen Überflutung > Attraktivität der Grundstücke für Hausbau • Katastrophenhilfe durch den Staat nach einem Desaster > in Zukunft höheres Risiko eingehen • Versicherung gegen Naturgefahren > steigende Risikofreudigkeit Zukunftsdiskontierung V. Lebensstilprobleme Strukturelle Möglichkeiten • Zumutbarkeit einer Lebensstil‐Reflexion oder –Änderung • Beispiele – Vorhandensein von Containern zur Mülltrennung – Vorhandensein eines öffentlichen Verkehrs – Zwiespältigkeit von Automatismen Rebound (a) Ausweitung des Verbrauchs (b) Ausweitung anderer Aktivitäten Jürgen Fleiss Lebenszufriedenheit • Botschaft des • Empirische materialistischen Glücksfaktoren Individualismus – Sex/ Partnerschaft, Zusammensein mit • Alternative 1: mehr Freunden, gemeinsames Sozialprodukt erhöht Essen und Entspannung nicht den Wohlstand • Alternative 2: mehr Sozialprodukt senkt den Wohlstand VI. Reformprobleme Moral suasion • Priming auf Geld, „Mehr“, Konsum…. – Perversion einer Konsumkultur, die falsche Botschaften aussendet; Verstärkung für die nächste Generation • Alternativer Hedonismus – Flair für andere Prioritäten – Radikale Variante: Freiwillige Einfachheit = voluntary simplicity, downshifting, slow food… Nudge • Libertärer Paternalismus > kleine Anstöße – zB Standardvariante als „normale“ Entscheidung Preise • Preise beeinflussen Nachfrage – Korrekte Bewertung externer Effekte – Preismechanismen bei ökologischen Reformen – Incentives in die falsche Richtung: Pendlerbeihilfe • Preisanstiege durch wachsende Nachfrage Theorie der Desaster‐ Wirksamkeit von Katastrophen • Katastrophen wirken. • Sie müssen sich ins Bewusstsein prägen, um Bequemlichkeit zu überwinden. • Sie führen zu einem veränderten Blick auf die Wirklichkeit. • Sie dürfen nicht extrem zerstörend sein (im Zerfall der Zivilisation sind Gewaltkonflikte wahrscheinlich.) Katastrophen Katastrophen‐ mechanismus Preis‐Mechanismus Überredung (moral suasion) Politische Reformen Desaster Mechanism – overcoming the continuity model Size/ intensity of desaster Large disasters Level of intensive and long‐ term consequences for the system Medium disasters Level of sustainable impression > change of behavior, expectations Small disasters 48 Beispiel Blackout • Steigendes Stromausfall‐Risiko • – Verbreitung des Blackouts über Regionen, auch über nationale Grenzen – Instabilität steigt auch durch Verflechtung > größere Ausfälle pflanzen sich fort – Instabilität durch Alternativenergie, Hacker‐Angriffe etc. • Langsamer Wiederaufbau des Stromnetzes – Hochfahren kann bis zu einer Woche dauern Es handelt sich bei Überlegungen zum Katastrophen‐Management um keine „abstrakte“ Krisendiskussion. Großflächige Krise in Österreich Nach sechs Stunden – Ausfall von Industrie, Schienenverkehr – Ausfall der Kommunikation: Internet, Telefon, Mobilnetz – Ausfall Wasserversorgung (Pumpen) – Ausfall der Tankstellen > private und öffentliche KFZ – Ausfall von Polizei, Rettung, Feuerwehr – Ausfall Geldversorgung (Automaten), Geschäfte (Kassen) • Zwischen 7 und 24 Stunden – Ausfall von Notaggregaten (zB in Krankenhäusern) – Ausfall des Abwassersystems – Zusammenbruch der behördlichen Kommunikation • Mehr als 24 Stunden – Ausfall Bundesheer – Beispiel: Problem Leichenbeseitigung Inhalt I Systemprobleme • Steigerungsspiel • Gegenmodelldefizite • Technokratische Illusionen • Resilienz und Kollaps II Soziale Dilemmaprobleme • Allmenden • Soziale Grenzen des Wachstums • Tretmühlen • Steigerungsmechanismen III Wahrnehmungsprobleme • Kognitive Leichtigkeit • Framing von Informationen • Nichtwahrnehmung • Reduktion der kognitiven Dissonanz • Allmählichkeit • Unglaubwürdigkeit IV Kalkulationsprobleme • Low Cost Hypothese • Moral hazard • Zukunftsdiskontierung V Lebensstilprobleme • Äußere Möglichkeiten • Lebenszufriedenheit • Rebound VI Reformprobleme • • • • • Moral suasion Nudge Preise Katastrophen Schlussbemerkung