kostenlosen
Transcription
kostenlosen
EU.L.E.N-SPIEGEL Wissenschaftlicher Informationsdienst des Europäischen Institutes für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften (EU.L.E.) e.V. Der EU.L.E.N-SPIEGEL ist unabhängig und werbefrei • ISSN 1863 - 1495 • www.das-eule.de Schlaraffenländer Von Monika Niehaus Kulinarische Klassiker 3 Italien: Pizza e Pasta 7 Bayern: Hopfen und Salz, Gott erhalt‘s 11 Sri Lanka: Currys 15 Polen: Borschtsch 19 Kannibalismus 24 Impressum 25 Facts & Artefacts 28 Besondere Erkenntnis 1 / 2012 18. Jahrgang Die mittelalterliche Handschrift Carmina Burana nennt es das Land Cucania, die Franzosen Pays de Cocagne, die Italiener Paese di Cuccagna, die Engländer Cockaigne, die Flamen Luilekkerland, die Deutschen Schlaraffenland. Wer in dieses Utopia gelangen will, wo Wein, Milch und Honig fließen und einem die gebratenen Tauben in den Mund fliegen, muss sich je nach Lesart erst mühsam durch Berge von Hirseoder Buchweizenbrei oder Parmesankäse futtern oder nach der englischen Version sieben Jahre bis zum Hals durch Schweinedreck waten. Doch dann findet er sich an einem Ort wieder, an dem sämtliche Moralvorstellungen auf den Kopf gestellt sind: Faulheit und Völlerei sind Tugenden, Sport (damals „Fleiß“ genannt, also körperliche Arbeit) und Diät (damals „Mäßigung“) gelten als Sünde. Kochkünstler Vom Mittelalter bis in unsere Tage hat der Mensch, egal wo er lebt, die gleiche Grundvorstellung vom Glück: satt zu werden, ohne sich dafür zu Tode zu schinden. Während sich im fleißigen Deutschland das Wort Schlaraffenland von Sluraff, dem Faulenzer, dem faulen Affen ableitet, steckt im französischen Cocagne das lateinische Wort coquere („kochen“). Cocagne - das bedeutete kochen, was die Küche hergab, bis sich die Tische unter der Last von Pasteten, Torten und kunstvoll garnierten Fleischgerichten bogen. Der Hochadel ließ es sich immer wieder angelegen sein, seinen Reichtum zu zelebrieren, und mit Szenen wie aus dem Schlaraffenlande die soziale Distanz gegenüber seinen Untertanen zu festigen. Bei Festbanketten wurden nicht nur demonstrativ ungeheure Mengen an gebratenen Mastochsen, Kapaunen, Spanferkeln und Rebhühnern aufgefahren, manche Küchenchefs statteten ihre Kreationen sogar mit Automaten aus, was die Illusion hervorrief, die gebratenen Spanferkel seien lebendig und böten sich, Messer und Gabel im Rücken, den Tafelnden eilfertig zum Verzehr an. Liebfrauenmilch Der Wein floss dabei zwar nicht in Flussbetten, wie es in alten Handschriften heißt, aber Tischspringbrunnen, aus denen unterschiedliche Rebsorten sprudelten, waren üblich. Eine besondere Version verblüffte das Publikum beim Regierungsantritt Karls V. im Jahre 1515. „Bei dieser Gelegenheit“, schreibt der Schlaraffenlandforscher Herman Pleij, „brachte man es fertig, drei nackte, auf dem Rücken liegende Frauen darzustel len, aus deren Brüsten Milch sowie 2 Editorial Rot- und Weißwein flossen. Die Zuschauer bekamen Stielaugen, denn alles war so lebensecht gemacht, dass man dachte, es handele sich bei den Sprudeldamen um echte Frauen mit magischen Kräften.“ den zwischen dem unauslöschlichen Trieb nach Sättigung und der alles beherrschenden Sucht nach der Hungereuphorie, wie sie für Anorektiker kennzeichnend ist. Anschauen, nicht anfassen Männeken Pils Auch mangelte es nicht an Brunnen mit Knäblein, die mit kräftigem Strahl Bier spendeten. Eine Reminiszenz an diese Idee des Schlaraffenlandes bietet das Männeken Piss, bei dem allerdings ein weniger edles Getränk hervorsprudelt. Als Pieter Brueghel der Ältere um 1567 sein berühmtes Gemälde „Das Schlaraffenland“ schuf, wurde seine niederländische Heimat gerade vom spanischen Heer mit Feuer und Blut überzogen. Die Erfahrung von Zerstörung und Not war für die Menschen der damaligen Zeit beklemmend real, und bekanntlich ist es die Erfahrung des Hungerns, die die Phantasie anregt und von überreichlichen Speisen träumen lässt. Heute leidet kaum ein Europäer unter Nahrungsmangel, dennoch nimmt die Zahl der Menschen zu, die glauben, dem Hunger im Rahmen einer „besonderen Ernährungsform“ frönen zu müssen. Sie fürchten sich vor der Ess-Sünde, zu der sie das reichhaltige Angebot im Schlaraffenland von Discountern und Fast-Food-Restaurants verführen könnte. Was Wunder, dass mit dem selbst auferlegten Verzicht Ess-Phantasien blühen. Bei Magersüchtigen beispielsweise dreht sich das ganze Denken nur noch ums Essen, ständig komponieren sie neue Menüs im Kopf, aber sobald auch nur die Vorspeise vor ihnen steht, reagieren sie mit Panik. Nur die ätherische Nahrung, die imaginäre Speise, das Bild bedient die Sucht und schafft Frie- So sehnen sich auch die Menschen einer Überflussgesellschaft wieder nach einem Schlaraffenland, in dem unbeschwert getafelt und danach geruht werden kann, und seine Bewohner dennoch jung und schön bleiben. Den Weg ins Land dieser Träume weisen längst nicht mehr die Märchenbücher, sondern das Fernsehen. Dort werden uns täglich Speisen aufgetischt, die wir zwar sehen, aber nicht schmecken können. Im virtuellen Schlaraffenland zaubern Fernsehköche, die jüngsten Emporkömmlinge der TV-Prominenz, rund um die Uhr immer exotischere kulinarische Kreationen. Und wie bei den üppig gedeckten Tischen des historischen Adels, die das gemeine Volk nur hungrig begaffen konnte, heißt es: Nur anschauen, nicht anfassen. In unseren Gourmettempeln wird immer ausgefallener, aufwendiger und teurer gekocht, um das Publikum zu beeindrucken. Für den Hausgebrauch werden die traditionellen und damit meist sehr nahrhaften Gerichte ferner Kulturen sogleich in eine „leichte Fitnessküche mit frischen Kräutern“ umgearbeitet, die mit dem Original nur noch den Namen teilen. Dabei sind die Küchen der Welt seit jeher darauf bedacht, aus begrenzten Ressourcen möglichst viel „Schlaraffenland“ zu zaubern – damit ein jeder herzhaft zulangen kann. Am Ende wollen alle satt und zufrieden sein, ohne dafür ein kleines Vermögen ausgeben zu müssen. EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012• © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de Italien 3 Kulinarische Klassiker Von Andrea Fock und Udo Pollmer Pizza e Pasta Pizza und Pasta sind die kulinarischen Speerspitzen, mit denen Italien die Welt erobert hat. Pizzerien prägen das Italienbild in der Fremde mehr als das Colosseum, die Squadra Azzurra und die Mafia zusammen. Dabei ist eine Pizza eigentlich nichts anderes als ein heiß serviertes Weizenbrot, das wahlweise mit Käse, Salami oder Schinken belegt ist. Nur, dass der Belag schon vor dem Backen auf den Hefeteig kommt. Seit wann es Pizzen gibt, lässt sich heute nicht mehr feststellen. Auffällig ist jedoch, dass sich heutige neapolitanische Pizzaöfen nur wenig von den Öfen unterscheiden, die Archäologen in Pompeji vorgefunden haben. fen, lege artis mit Vorteig und langer, kühler Führung. Das Ergebnis ist um eine ganze Klasse bekömmlicher als die aufgebackenen Tiefkühlbrötchen vom „Frische-Bäcker“. Das erklärt übrigens auch einen Teil des Erfolgs der Pizzerien in Deutschland. Die wenigsten Bäcker sind noch in der Lage, einen vernünftigen Hefeteig herzustellen, was früher offensichtlich genau umgekehrt war: Im 15. Jahrhundert kam bei vornehmen Italienern nur deutsches Brot auf den Tisch.2 Pizzaöfen erzielen ganz besondere Ergebnisse. Ihre optimale Temperatur liegt bei 485 Grad, sodass der Fladen bereits nach 60 bis 90 Sekunden fertig ist. Zum Vergleich: Unsere Backöfen erreichen höchstens 280 Grad, gebacken wird bei fallender Temperatur. Und das dauert. Da unsere Backöfen nicht für Pizza-Temperaturen ausgelegt sind, schmecken die Pizzen vom heimischen Herd etwas anders. Aufgrund der längeren Backzeit trocknen die Beläge an und werden strohig. Diese extrem hohe Temperatur ist der grundlegende Unterschied zu einem belegten Fladenbrot. Beim klassischen Pizzateig findet dank der extrem kurzen Backzeit kein fermentativer Abbau von Antinutritiva wie beim deutschen Brot statt. Deshalb eignet sich nur Weißmehl zum Pizzabacken, je heller, desto besser. Vollkornpizza gehört nicht umsonst zum Unappetitlichsten, was sich aus Getreide herstellen lässt. Schon den alten Römern war die Kleie gerade gut genug, um daraus Hundekuchen zu backen.1 In guten Pizzerien nimmt man möglichst wenig Hefe, lässt dafür aber den Teig noch richtig rei- Neapoletanisches Fingerfood C Brogi (1850-1925): Maccheronaio napoletano Pasta - aus der Not geboren Warum backen und kochen die Italiener aus ihrem Weizenmehl keine knusprigen Baguettes oder Brötchen, sondern lieber Pizza und Pasta? Anders als in Deutschland gedeiht in Italiens sonnigem Klima der Durum- EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de 4 Italien weizen besonders gut. Durum (Triticum durum) enthält weniger elastisches Klebereiweiß, daher lässt sich daraus kein voluminöses Gebäck herstellen, sondern nur Fladenbrote oder Pasta. In dieser Hinsicht ähnelt der Durum dem Emmer (Triticum di- Hauptsache fett: Schwein, Sardine & Olive Italien gilt als das Land des Olivenöls – doch das wäre viel zu kurz gegriffen, spielen doch durchaus auch andere Fette hier eine Rolle. Bis Mitte des 18. Jahrhunderts diente zum Backen neben Olivenöl auch Schweineschmalz. Schließlich hielten die Landwirte dort reichlich Schweine, aus denen man so berühmte Spezialitäten wie Parmaschinken oder Lardo, den lang greiften, gekräuterten Speck herstellt. Schmalz kam auch in die Piadine, ein süditalienisches Fladenbrot. Erst als die Tomate das Terrain eroberte (s.u.), wurde das Schmalz ganz gegen Olivenöl ausgetauscht. Die Wahl des Fettes in Abhängigkeit vom Klima schlägt sich auch in anderen europäischen Gebäckspezialitäten nieder: Der elsässische Flammkuchen wird logischerweise mit Schmand, also Milchfett bestrichen, und unser Brot mit Butter geschmiert. Auch die traditionelle Küche Italiens verzichtet nicht auf Butter. Natürlich gehört sie nicht auf die Pizza: Bei Temperaturen von fast 500° C, die direkt auf den etwa fünf Millimeter dünnen Fladen einwirken, würde die Butter aufgrund ihres Eiweißgehaltes sofort verbrennen. Also übernimmt das Olivenöl deren Rolle. Besser aufgehoben ist das Milchfett in so delikaten Mischungen wie der Bagna Cauda, einer fetten Soße mit Anchovis und Knoblauch. Es gibt so viele Rezepte wie Köche, aber die meisten Mischungen bestehen je etwa zur Hälfte aus Olivenöl und Butter, die im Wasserbad miteinander amalgamiert werden. Bagna Cauda wird wahlweise als Dip, Fondue oder warme Sauce für Gemüse verwendet. Naheliegend, dass es sich hier um eine Piemonteser Spezialität handelt, denn dieser Landstrich grenzt an die Schweiz, und seine saftigen Weiden erlauben die Haltung von Milchvieh. Im übrigen Italien und selbstredend an der Küste trägt neben Oliven vor allem Fisch wie Anchovis, Sardinen, Sardellen, Makrelen, Thunfisch und Aal zur Deckung des Fettbedarfs der Bürger bei. coccum), der Weizenart der alten Römer.11 Während sich die Historiker streiten mögen, wer denn nun die Nudel erfunden habe, sprechen praktische Gründe dafür, dass die italienische Pasta bis auf die alten Römer zurückgeht. Ihre Erfindung ist geradezu unvermeidlich, wenn die Getreidevorräte ständig dem Angriff von Schädlingen ausgesetzt sind. Doch der Reihe nach: Für die Völker des Mittelmeerraumes war bekanntlich seit Jahrtausenden Getreide, im Besonderen die alten Getreidearten wie der Emmer, ein haltbares, lange lagerfähiges Grundnahrungsmittel. Aber mit dem Aufstieg des Römischen Reiches mussten immer größere Lager angelegt werden, aus denen die römischen Kaiser einmal monatlich das Volk mit Getreide beglückten; eine Aufgabe, die heutigen Logistikern den kalten Schweiß auf die Stirn treiben würde. Hatte Rom 264 v.u.Z. noch 100.000 Einwohner, waren es wenige Jahrhunderte später bereits eine Million! Um diese Menschenmassen zu ernähren, organisierte die Obrigkeit ein Versorgungssystem, das von Sizilien über Nordafrika bis in den Nahen Osten reichte. Nachschubschwierigkeiten durch Missernten oder Schiffsunglücke sorgten oft genug dafür, dass das Volk hungern musste. Selbst wenn dsd Getreide unversehrt die römischen Kornspeicher in Ostia erreichten, war es gefährdet: Ratten, Mäuse, Käfer und anderes Geziefer freuten sich ebenfalls auf das nahrhafte Futter. Kaiser Nero musste einmal (62 v.u.Z.) den Inhalt sämtlicher Getreidespeicher der Stadt in den Tiber entleeren, weil er selbst Hungernden nicht mehr zuzumuten war. Den Brotkorb höher gehängt Die Römer machten das Korn haltbar, indem sie es rösteten. Dieses war bei den klassischen Getreidearten wie Gerste oder Einkorn unverzichtbar, um die Spelzen abtrennen zu können.1 Viele Suppen basierten auf geröstetem Getreide. Die Röstung erhöhte nicht die Bekömmlichkeit durch Abbau der Antinutritiva, sondern tötete Schädlinge damit zuverlässig ab, aber nach dem Rösten war das Korn natürlich wieder dem Getier ausgesetzt. Dagegen half dann das Mahlen, denn es machte jedwedes Ungeziefer samt den im Getreide enthaltenen Gelegen platt. So gewann man erneut Zeit zum Lagern. Natürlich war auch das Mehl nicht gegen einen neuen Befall gefeit, außerdem konnte es jetzt leichter verschimmeln. Zwei naheliegende Technologien schufen Abhilfe: Die erste war das Backen, vor allem, wenn man den Vorgang einmal wiederholte. Das Ergebnis war eine Art Schiffszwieback, der – sofern man ihn sicher in trockenen Tongefäßen lagerte – sehr lange haltbar war. Aber auch einfaches Backen erfüllte seinen Zweck. Aus dem kleberschwachen Emmer buk man vorwiegend Fladenbrote, und je trockener sie waren, desto länger hielten sie sich. Dieses Prinzip nutzen übrigens auch die Skandinavier mit ihrem Knä- EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de Indem man die Nudeln in langen Teigbahnen aufhing, wurde damit auch allerlei krabbelnden Insekten sowie Mäusen und Ratten der Zutritt verwehrt, ein in vielen Kulturen übliches Verfahren zur Aufbewahrung von Speisen. Bei der traditionellen italienischen Pastaherstellung wurde der Teig mehrfach mit Wasser angefrischt und bis zur Trockenbrüchigkeit stehengelassen.9 Dadurch hatten vor allem die malzeigenen Enyzme Gelegenheit die Antinutritiva abzubauen, ein Prozess, der erst beim langsamen Trocknen in der Seebrise sein Ende findet. Dadurch entsprach das Resultat in etwa der Wirkung des Hefevorteigs wie bei der Pizza. Allerdings setzen beide Verfahren die Verwendung von hellem Mehl voraus - egal ob mit oder ohne Hefe, mit oder ohne Seebrise. Die Gewinnung von hellem Mehl ist technologisch keine sonderliche Herausforderung und war bei den Römern üblich, ihre Weißmehlbäcker nannten sich Similiginarii.1 Ohne Weißmehl keine Pizza und keine Nudel. Parmesan e Pomodori Während die italienische Küche mit ihren Hartweizenteigen aus Weißmehl eine antike römische Tradition fortsetzt, ist ihr zweites Kennzeichen neuzeitlich: die Tomate. Die Spanier brachten die roten Früchte in ihre Ländereien nach Italien, also in das Königreich Neapel, zu dem auch Sizilien gehörte. Man betrachtete das Kraut mit seinen hübschen gelben Blüten und dekorativen Früchten anfänglich als Zierpflanze. Hartnäckig hielt sich die Vorstellung, nicht nur das Nachtschattengewächs sei giftig, sondern auch seine Früchte. Dabei sollten wir nicht vergessen, dass die älteren Tomatensorten sicherlich noch erhebliche Gehalte an Alkaloiden aufwiesen.5 Jedenfalls gedieh das tropische Gewächs aus dem heißen Mittelamerika in Süditali- ens Klima prächtig, und es ist sehr wahrscheinlich, dass die Pflanzen mithilfe der Gärtner hie und da den Sprung über hochherrschaftliche Gartenzäune schafften. Die ärmere Bevölkerung dürfte die Früchte schon aus purem Hunger verzehrt haben. Italien 5 Nach ihrer anfänglichen Ablehnung erwärmten sich aber auch die besseren Kreise für die rote Frucht aus der Neuen Welt. Man kochte sie, um sie dann in Scheiben ge- IBVderBLE 2008 cke – sie müssen wegen der langen Wintermonate viel Vorratshaltung betreiben. Die zweite Technologie bestand darin, Mehl mit Wasser anzuteigen, in dünne Lagen auszurollen und in der Sonne trocknen zu lassen. Der Mehlbrei wurde nicht mal wie Brotteig mit Hefe gelockert. Damit war die Nudel geboren. Eher aus Zufall, weil man nach einer Methode suchte, das Mehl haltbarer und zugleich besser genießbar zu machen, um so die Unwägbarkeiten der nächsten Getreidelieferungen abzufedern.10 Züchtung machts möglich: Tomatenvielfalt schnitten und in Mehl gewendet zu frittieren. Oder sie wurden in Öl gebraten und mit Grüner Minze und Knoblauch gewürzt. Bis die Pomo d’ori (Goldäpfel) an die Spaghetti oder auf die Pizza kamen, dauerte es aber noch eine Weile. Erst um das Jahr 1770 war die Tomatensoße bekannt, wie wir einem italienischen Kochbuch entnehmen können, dem „Il cuoco galante“, von Vincenzo Corrado (1734-1836).10 Bulgur Auch die arabische Küche verwendet Durumweizen für eines ihrer Grundnahrungsmittel, den Bulgur. Dies ist wie die Pasta eine gekochte und nicht gebackene „Mehl“-Speise. Für traditionellen Bulgur wird Durum gekeimt, getrocknet und ein Teil der Randschichten entfernt. Industriell werden die Körner unter Druck mit Heißdampf bzw. heißem Wasser behandelt, damit die Stärke gelatiniert, dann werden die Körner getrocknet und geschält. Es geht aber auch umgekehrt: Erst wird geschält, dann grob gemahlen und zuletzt mit heißem Wasser gelatiniert. Egal wie, alle Verfahren sind darauf bedacht, die Antinutritiva zu entfernen. Durch diese Art der Entgiftung des Korns ist es möglich, Bulgur sogar für Rohkost zu verwenden. Für den erfrischenden Salat Tabbouleh weicht der Koch seinen Bulgur eine Dreiviertelstunde in Salzwasser ein und gibt dann zu den nussartig schmeckenden Körnchen Petersilie, Tomaten, Zwiebeln und Minze. EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de 6 Italien Der Durchbruch ließ aber noch auf sich warten. Neapolitanische Aquarelle aus dem frühen 19. Jahrhundert zeigen die Maccheroni stets mit geriebenem Käse, der sich dank seines Gehaltes an Glutamat auch im Norden wachsender Beliebtheit erfreute. Die Grazerin Katharina Prato empfahl 1858 in ihrem berühmten Kochbuch zu Maccheroni den Parmesan.12 Ihre Kollegen Habs und Rosner, die Autoren des 1894 in Wien erschienenen „Appetitlexikons“, waren begeistert: „Die Macceroni werden recht eigentlich erst durch die Parmesanzuthat ein anständiges Gericht ... Dabei nahrhaft und nicht schwerer verdaulich als jedes andere Gewürz, ist er in der That eine ‚Schmackreizung’ erster Klasse, wirklich ‚Manna für den Mund und Balsam für den Gaumen’.“6 Doch schon beginnen in Italien die frischen Tomaten dem teuren Parmesan den Rang abzulaufen. Belegt sind „Vermicelli co‘ le pommodore” erstmals für das Jahr 1839 in dem neapolitanischen Kochbuch von Ippolito Cavalcanti. Gebildete Italiener konnten Cavalcantis Kochbuch den Rat entnehmen, Tomatensoße nur auf Nudeln, nicht aber auf Fleisch, Fisch und Gemüse zu geben, da sich hierfür Butter wesentlich besser eigne.3 Esskultur dank Nudeln mit Soße Jedenfalls erwies sich die Tomate auch für unsere Tischkultur als folgenreich: Denn die flüssige Soße machte die Vermicelli glitschig, was das Schlucken erleichterte, aber auch dazu führte, dass sie nicht mehr mit den bloßen Fingern gegessen werden konnten, ohne sich vollzukleckern. Und so brachte die Nudelsoße in bürgerlichen Haushalten ein damals durchaus noch ungebräuchliches Werkzeug auf den Tisch: die Gabel. Im Übrigen ist die Gabel mit den vier Zinken, die heute weltweit Tische ziert, das Modell, das ursprünglich zum Spaghettiessen entworfen wurde.10 Dass sich die Tischsitten an die wenig nahrhafte Tomate anglichen und nicht umgekehrt, muss an deren besonderen Inhaltsstoffen liegen. Dazu gehören mutmaßlich das eine oder andere NachtschattenAlkaloid und natürlich der ungewöhnlich hohe Gehalt an Serotonin und Tryptamin. Daraus leiten sich beim Simmern der Tomatensoße interessante stimmungsbeeinflussende Stoffe ab, wie beispielsweise Dimethyltryptamin oder Bufotenin.4, 7, 8 (Vgl. EU.L.E.N-SPIEGEL 6/08-1/09) Inzwischen hat es sich ja herumgesprochen, dass der Welterfolg der italienischen Küche gleichermaßen auf dem natürlichen Glutamatgehalt ihrer Zubereitungen beruht. Denn die beiden typischen Zutaten italienischer Kochkunst, die Tomatenmatsche und der Parmesankäse, sind reichlich mit dieser appetitanregenden Aminosäure gesegnet. Die beiden großen europäischen Küchen, nämlich die französische Haute Cuisine mit ihrer konzentrierten Fleischbrühe, der Consommé, und die italienische Küche nutzen somit die gleiche kulinarische Strategie. Und selbst in Japan, einer Küche, die traditionell Zutaten mit hohem Glutamatgehalt wie Thunfischbrühe und Meeresalgen einsetzt, haben Spaghetti mit Tomatensoße bei Jugendlichen althergebrachten Gerichten den Rang abgelaufen. Respekt! Literatur 1. André J: L’alimentation et la cuisine à Rome. Klincksiek, Paris 1961 2. Beckmann J: Beytraege zur Geschichte der Erfindungen. Zweytes Stück. Leipzig 1781 3. Cavalcanti I: Cucina Teorico-Practica. Cucina Casareccia in Dialetto Napoletano. G Palma, Napoli 1839 4. Diem S, Herderich M: Reaction of tryptophan with carbohydrates: identification and quantitative determination of novel β-carboline alkaloids in foods. Journal of Agricultural and Food Chemistry 2001; 49: 2486-2492 5. Frohnde D, Pfänder HJ: Giftpflanzen. WVG, Stuttgart 2004 6. Habs R, Rosner L: Appetit-Lexikon. CG Sohn, Wien 1894 7. Kärkkäinen J et al: Potentially hallucinogenic 5-hydroxytryptamine receptor ligands bufotenine and dimethyltryptamine in blood and tissues. Scandinavian Journal of Clinical and Laboratory Investigation 2005; 65: 189-199 8. Ly D et al: HPLC analysis of serotonin, tryptamine, and the hydroxycinnamic acid amides of serotonin and tyramine in food vegetables. Journal of Medicinal Food 2008; 11: 385-389 9. Maurizio A: Die Geschichte der Pflanzennahrung. Parey, Berlin1927 10. Milioni S: Columbus Menu: Italian Menu after the First Voyage of Christopher Columbus, 1492-1992. Italian Trade Commission, New York 1992 11. Nesbitt M, Samuel D: From staple crop to extinction? The archaeology and history of the hulled wheats. In: Padulosi S et al (Eds): Hulled Wheats. IPGRI, Rome 1996: 41-100 12. Prato K: Die süddeutsche Küche auf ihrem gegenwärtigen Standpunkte. Leykam, Graz 1858 EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de Hopfen und Salz Gott erhalt‘s Der Gerstensaft leidet nämlich unter einem Kaliumüberschuss und kann damit bei regelmäßigem Genuss einen Mangel an seinem Gegenspieler, dem Natrium, verursachen.6 Die Niere benötigt aber Natrium, um Wasser ausscheiden zu können, andernfalls kommt es langfristig zu Ödemen, Schwellungen von Gehirn und Lunge. Aus diesem kühlen Grunde zieht es den notorischen Biertrinker stets zum Salz, zum Natriumchlorid. Sesambrezeln sind im Biergarten also kontraindiziert. Die Brezel entstand ursprünglich aus einem besonders harten Teig, der nach dem „Brechen“ nicht gebacken, sondern in Salzwasser gesotten wurde.18 Die namensgebende „Lauge“ kam erst später in Gebrauch. Dazu wurden Asche mit Ätzkalk oder Eierschalen mit Salzwasser gekocht, in das die Teiglinge vor dem Backen getaucht wurden.9 Fertige Natronlauge gibt’s erst seit einem Jahrhundert. Doch egal wie – die Brezeln enthalten durch die Behandlung mehr Natrium, ein Effekt, der durch das Bestreuen mit Salz noch verstärkt wurde. Münchner Stadtmuseum, Sammlung Fotografie, Archiv Kester Bei der bayerischen Küche denkt man vor allem an bäuerlich-deftiges Essen – doch das gibt’s überall auf der Welt. Etwas Besonderes ist aber die Biergartenkultur mitsamt der Brotzeit. Um den inneren Zusammenhang dieses kulinarischen Ensembles zu klären, müssen wir ausnahmsweise mit dem Getränk beginnen, dem Bier! Die übrigen Schmankerl wie Brez’n, Weißwürscht und Radi sollen nur Bekömmlichkeit und Nährwert des bajuwarischen Grundnahrungsmittels optimieren. Ketzerkost Die populäre Vorstellung, die Brezel sei ein altes Kulturgut der Römer, das von den Christen übernommen wurde, ist nur schwer nachvollziehbar: Die Brezel soll durch ihre Verschlingung an gekreuzte Arme erinnern, einer Gebetshaltung der Urchristen. Deshalb hätten diese beim Abendmahl statt Oblaten fleißig Brezeln geknuspert. Und womöglich, statt einen Schluck Wein, eine Maß Bier geleert. Doch im Mittelalter, als der Begriff Brezel sich aus einem lateinischen Brachiola („gekreuzte Arme“) gebildet haben soll, wurden nur Ketzer mit gekreuzten Armen dargestellt – als Zeichen ihrer Gottesleugnung. 13 Da ist es wahrscheinlicher, dass sich das Wort Brezel vom Lateinischen bracchiatus für „verzweigt“ ableitet und nichts mit der etymologischen Frömmelei zu tun hat.14 Bayern 7 Die Kunst der Verführung Brezn-Verkäuferin auf dem Oktoberfest anno 1921 Rohkost für Grantler Der Salzzufuhr wegen passt auch der Rettich ins kulinarische Bild. Der ernährungsbewusste Bayer bereitet seinen Radi vor dem Verzehr mit einer ausgeklügelten Technik zu. Er schneidet ihn spiralförmig in dünne Scheiben, wodurch sich der Rettich schließlich wie eine Ziehharmonika auseinanderziehen lässt, um ihn so auch innerlich mit reichlich Salz versorgen zu können. Dann übt er sich so lange in Geduld, bis der Rettich Wasser lässt. Sobald sich eine ansehnliche Pfütze gebildet hat, wird der Radi genüss- EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de 8 Bayern lich verspeist. Schließlich deckt der Gast seinen Flüssigkeitsbedarf in Form von Bier und nicht von Rohkost. Mit einem frischen Rettich würde er sogar mehr Wasser zu sich nehmen als mit der gleichen Menge eines landestypischen Bieres. Der Rettich ist ein bewährtes Functional Food, denn seine Senföle wirken desinfizierend und regen den Gallenfluss an. Da der biergartengängige Bayer aber auch sprichwörtlich als Grantler gilt, erscheint eine regelmäßige Stimulation der Galle vom volksmedizinischen Standpunkt aus vernünftig. Dies gehörte einst zum A und O der Medizin, als sie noch der sogenannten Säftelehre anhing. Aus naheliegenden Gründen sollte dies möglichst im Freien stattfinden, da die schwefelhaltigen Senföle nicht ohne Folgen bleiben. Wenn diese sich im Laufe des Besuches lautstark Luft machen, bietet eine Krachlederne ein zünftiges Ambiente. Aus den Anfängen der Lebensmittelanalytik Bestimmung des Stammwürzegehaltes mit Lederhose, Bank und Sanduhr. Löste die bis dahin gebräuchlichen Daumenschrauben und Halseisen zur Wahrheitsfindung ab. Joseph Puschkin (1827-1880), Bierbeschau Die Krachlederne taugte sogar zur Bieranalyse, zumindest solange es noch keine chemischen Labors gab. Um den Stammwürzegehalt des Maibocks zu bestimmen, d.h., herauszufinden, ob auch genügend Malz zum Brauen verwendet worden war, wurde eine Maß auf eine Bank gegossen. Dann setzten sich drei Herren in die Lache. Blieben die Lederhosen nach einer Stunde braven Sitzens beim Aufstehen kleben, sodass die Bank ein wenig gelupft wurde, entsprach die Stärke des Bieres der Verbrauchererwartung.8 Wurst zum Bier, das rat ich Dir! Wer sich schon vormittags im Biergarten tummelt, bestellt zum Frühschoppen gern ein Paar Weißwürste. Sie bestehen traditionell aus Kalb- und Schweinefleisch, gekochten Schwarten, Kalbskopfhäuten sowie reichlich Wasser. Heute gibt man stattdessen Eis zur Kühlung in den Kutter sowie Kutterhilfsmittel – aber kein Pökelsalz. Gewürzt wird mit Salz, Pfeffer, Muskat, Zitronenschale und frischer Petersilie. Nach dem Abfüllen in Schweinsdärme wird die Masse eine halbe Stunde lang bei etwa 70°C gebrüht. Das sorgt für eine gewisse, wenn auch nicht optimale Haltbarkeit. Ohne Kühltechnik verdarb die Wurst schnell, weshalb die Weißwürste früher das 12-Uhr-Läuten der Kirchenglocken nicht mehr hören durften – ein, wie es damals hieß, „unerbittliches Lebensgesetz“.11 Bei der heutigen Hygieneund Kühltechnik ist diese Regel nur noch von nostalgischem Wert. Die Weißwurst ist keine Erfindung der Neuzeit. Sie ist lediglich der Nachfolger der einstmals berühmten Altmünchner „Bockwurst“.4 Der Name rührt daher, dass sie jeweils im Mai als solide Grundlage zum kräftigen Bockbier, das hochprozentiger und damit länger haltbar ist, genossen wurde. Mit unserer heutigen Bockwurst hatte sie also nichts zu tun. Schon die Altmünchner Bockwurst wurde in weite Schweinsdärme gefüllt, gebrüht und vor dem Verspeisen in irdenen Töpfen warmgehalten – so wie später die Weißwurst. Diese ist nur eine im wahrsten Sinne des Wortes abgespeckte Variante, eine Light-Version mit (damals) teuren Gewürzen wie Zitronenschale und Muskatblüte. Da Bier dem Körper nur Kohlenhydrate liefert, sorgt die eiweiß- und fetthaltige Wurst für eine ausgeglichenere Nährstoffbilanz. Ohne Eis kein Preis Warum gehören zu einem Biergarten Kastanien und keine Linden oder Ahornbäume? Die Rosskastanie ist ja kein heimischer Baum, sondern eine Zuagroaste. Sie stammt aus Asien und gelangte über den Balkan nach Bayern. Nun, die Kastanie macht das Bier haltbarer. Aber nicht, weil man dem Gerstensaft geheimnis- EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de volle Rosskastanienextrakte zusetzte, sondern weil Kastanienbäume als dichtlaubige und schnell wachsende Schattenspender die Bierkeller vor der Sommersonne schützen – Linden würden mit ihren tief reichenden und verzweigten Pfahlwurzeln schon mal einen Keller sprengen. Trinken gegen den Alkoholismus In frostarmen Wintern bekamen die Brauereien naturgemäß Probleme mit der Eisversorgung. Und so verdanken wir unsere Kühlschränke und Gefriertruhen den wetterbedingten Nöten der Brauereien. Denn Carl Linde konstruierte im Auftrag einer Münchner Brauerei 1876 die erste Kühlmaschine. Damit war es endlich möglich, ganzjährig untergäriges, lagerfähiges Bier zu brauen, wo auch der internationale Name „Lager“ für ein „Helles“ herrührt. Dieser etwas alkoholreichere Gerstensaft konnte endlich auch ins Ausland geschickt werden. Im Gegensatz zu ihren norddeutschen Kollegen verfügten die Münchner nicht über probate Wasserwege Ohne Fleiß kein Eis - Eisernte im Klöntal – die Isar ist viel zu Lithographie von J. Weber, Neue Alpenpost, 17. März 1877, Repro flach, um das Bier in großem Stil auf Schiffen mit ausreichendem Tiefgang in die anDas große Problem der Brauer war nun mal grenzenden Länder zu exportieren. Sie wadie Kühlung. Sommers konnte nur obergären auf den beschwerlichen Landweg angeriges Bier (obergärige Hefe tut ihren Dienst wiesen. Erst der Ausbau des Straßen- und auch bei höheren Temperaturen) gebraut Schienennetzes und die Kühltechnik erwerden, dessen Qualität und Haltbarkeit jemöglichten im 19. Jahrhundert einen weltdoch zu wünschen übrig ließen. Das helle, weiten Export des Münchner Lagerbiers. gut haltbare untergärige Bier ließ sich früher Nicht zufällig war die allererste Fracht der leider nur in der kalten Jahreszeit brauen. ersten deutschen Eisenbahn - zwischen Die Bierwürze musste vor der Gärung soNürnberg und Erlangen - ein Fass Bier.16 gar bis auf 5 Grad gekühlt werden. Damit endete die Brausaison für UntergäriDie Technik des untergärigen Bierbrauens ges Anfang April. Das Märzenbier war frübreitete sich alsbald von Bayern nach Böhher das letzte „gute“ Bier, daher der Name. men und Norddeutschland aus. Das hatte Natürlich ließ die Branche nichts unversucht, einen beachtlichen sozialen Fortschritt zur Folge. Denn das „bairisch Bier“ erwies sich um das schmackhaftere untergärige Helle als probates Mittel gegen den Alkoholisbis weit in den Sommer zu kühlen, z.B. wurmus. Was aus heutiger Sicht völlig absurd den die Bierkeller mit Eisblöcken bestückt, klingt, ist offenbar eine historische Tatsache. die man im Winter von den gefrorenen Seen Wer zur Entspannung nach einem langen, geerntet hatte. Die Schatten spendenden schweißtreibenden Arbeitstag in einer ManuKastanien lockten im Sommer Gäste an, die faktur seinen Durst mit Branntwein löschte, sich gern an der Quelle niederließen, die war schnell sturzbetrunken. Die bayerische richtige Biergartenkultur entstand allerdings Brautechnik erlaubte die Produktion eines erst vor 200 Jahren. Im Januar 1812 wurde schmackhaften Bieres, das bekömmlicher der Ausschank am Keller durch einen Erlass und der Geselligkeit förderlicher war als der seiner Majestät König Maximilian I. legaliSchnaps, der sedierende Hopfen tat sein siert. Die Brotzeit mussten die Gäste allerdings selbst mitbringen, denn eine Bewirtung Übriges. So wurden die Deutschen Biertrinker - zu Lasten des Branntweins.7, 15, 17 mit Speisen war den Wirten nicht gestattet. EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de Bayern 9 10 Bayern Zaubertrank Nubierbier Es ist müßig, auf die zahlreichen pharmakologisch interessanten Kräuterzusätze beim Brauen einzugehen, die einmal weltweit genutzt wurden, und von denen heute praktisch nur der Hopfen übrig geblieben ist. Aber es gibt bzw. gab einen Wirkstofftyp, den niemand im Bier erwarten würde: potente Antibiotika, wie kürzlich bei Ausgrabungen in Nordafrika ans Licht kam. Denn unter UVLampen leuchteten die Knochen der antiken Mumien verdächtig auf. Wie Analysen zeigten, kam die Fluoreszenz durch Ablagerungen von Tetracyclinen zustande – probate Antibiotika, die sich bis heute in der Arztpraxis und dem Schweinekoben bewähren. Zwanzig Liter schäumendes, frisches Hirsebier im sandgekühlten Tonkrug Literatur 1. Arimoto-Kobayashi S et al: Inhibitory effects of heterocyclic amine-induced DNA adduct formation in mouse liver and lungs by beer. Journal of Agricultural and Food Chemistry 2005; 53: 812-815 2. Armelagos GJ et al: Tetracycline consumption in prehistory. In: Nelson M et al: Tetracyclines in Biology, Chemistry and Medicine. Birkhäuser, Basel 2001: 217-235 3. Basset EJ et al: Tetracycline-labeled human bone from ancient Sudanese Nubia (a.d. 350).Science 1980; 209: 1532-1534 4. Bauer R: Zum hundertfünfzigsten Jubiläum der Münchner Weißwurst. Stadtarchiv der Landshauptstadt München, ohne Jahr 5. Fabsits T: Use of antibiotics in prehistory – the prevalence of tetracycline labelled osteons in early christian populations of Sudanese Nubia (550-850 AD). Diplomarbeit, Universität Wien 2008 6. Fenves AZ et al: Beer potomania. Clinical Nephrology 1996; 45: 61-64 7. Hübner R, Hübner M: Trink, Brüderlein trink. Edition Leipzig, Calbe 2004 8. Kirst E: Meilensteine des gesundheitlichen Verbraucherschutzes. Deutsches Tierärzteblatt 2009; H.3: 336-343 9. Kosler B, Krauß I: Die Brez’l. Edition Infotainment, München 1993 10. Keith M, Armelagos GJ: Naturally Occurring Dietary Antibiotics and Human Health. In: Romanucci-Ross L et al: The Anthropology of Medicine. Preager Press, New York 1983. Foto: M Richard, Namibia 2007 Als Quelle erwies sich das Hirsebier, das vor gut 1500 Jahren von den Nubiern gesüffelt wurde, die in der Gegend um den heutigen Assuanstaudamm lebten. Tetracycline stammen weder aus der Bierhefe, dem Hopfen noch dem Malz, sondern werden von Bakterien erzeugt, den Actinomyceten.10 Actinomyceten sind im Boden allgegenwärtig, über die in Erdmieten und Tongefäßen gelagerten Körner gelangten sie in die Maische. Hirsebrei hätte viel zu wenig von diesem Antibiotikum enthalten. Also mussten die Nubier die Tetracycline irgendwie aufkonzentriert haben, und das geht nur beim Bierbrauen. Denn in der Maische wird es für die Actinomyceten ungemütlich, weil ihnen die Lactobazillen mit ihrer Milchsäureproduktion das Leben schwer machen. Um sich der garstigen Konkurrenten zu erwehren, bilden sie ihrerseits auch chemische Kampfstoffe, in diesem Falle reichlich Tetracyclin. Der Antibiotikumgehalt des Bieres wurde auch dadurch garantiert, dass die Brauer der Maische etwa zehn Prozent übrig behaltenes Tetracyclinbier als Starterkultur zusetzten.12 11. Lissner E: Wurstologia. Schaefer, Frankfurt/Main 1929 12. Nelson ML et al: Brief communication: mass spectroscopic characterization of tetracycline in the skeletal remains of an ancient population from Sudanese Nubia 350-550 CE. American Journal of Physical Anthropology 2010; 143: 151-154 13. Pasquinelli B: Körpersprache. Bildlexikon der Kunst, Bd 15. Parthas, Berlin 2007 14. Pfeifer W (Ed): Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. Akademie-Verlag, Berlin 1993 15. Spode H: Die Macht der Trunkenheit. Leske + Budrich, Opladen 1993 16. Struve E: Die Entwicklung des Bayerischen Braugewerbes im neunzehnten Jahrhundert. Duncker & Humblot, Leipzig 1893 17. Uhr D: Alles über den Durst. Meininger, Neustadt/ Weinstraße 1979 18. Zedler JH: Grosses vollständiges Universal-Lexicon aller Wissenschafften und Künste. Halle und Leipzig 1733, Dritter Band, Spalte 1324 Der jüngste Nubier, in dessen Knochen Tetracycline nachgewiesen wurden, war gerade mal zwei Jahre alt.3, 5, 12 Es steht zu vermuten, dass er seine Antibiotika ebenfalls nicht über seinen morgendlichen Hirsebrei abbekam, sondern über eine tägliche Ration Bier.2 Diese Form der Ernährung dürfte die Kindersterblichkeit damals deutlich vermindert haben. EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de Sri Lanka 11 Currys Dies liegt aber weniger an dem dort heimischen schwarzen Pfeffer, der schon vor zwei Jahrtausenden die römische Handelsflotte diese Insel vor Indiens Südostküste ansteuern ließ, sondern an den Portugiesen. Anfang des 16. Jahrhunderts gründeten sie dort Handelsniederlassungen, weil die Insel so lukrative Waren wie Edelsteine und Zimt bot. Im Gegenzug bereicherten sie die ceylonesische Küche mit zwei Nachtschattengewächsen, die sie aus ihren Besitzungen in der Neuen Welt mitbrachten, der Tomate und dem Chili. Sie eroberten sich schnell einen Stammplatz in der Küche. Der dauerhafte Erfolg der scharfen Schoten auf Sri Lanka ist bemerkenswert. Das dort eigentlich „exotische“ Gewürz trägt zum Aroma der Speisen nämlich herzlich wenig bei, denn neben seiner Schärfe hat es keinen charakteristischen Eigengeschmack zu bieten – Chili bedient, sinnesphysiologisch betrachtet, nur die Schmerzrezeptoren im Mund. Damit sollte für ihn angesichts des reichhaltigen Angebotes an altbewährten Scharfmachern der Gewürzinsel wie Pfeffer, Senf und Ingwer, die ebenfalls ein ausgeprägtes Eigenaroma verströmen, eigentlich kein Platz mehr in der Küche sein. Doch weit gefehlt. Am Geschmack also kann es nicht liegen, dass die Chilis eine sowieso schon scharfe Küche bereichern durften; es muss einen anderen Grund für die innige Liebe der Singhalesen zu dem amerikanischen Importgewürz geben. Nun, vielleicht weil es ihnen half, zwei der brisantesten gesundheitlichen Probleme der Tropen zu lösen. Eines ist die unerträgliche, lähmende Hitze. Chilis brennen zwar wie Feuer, aber paradoxerweise ist es gerade das, was sie so wirksam macht. Denn das scharfe Capsaicin der Chilis senkt die Temperatur im Inneren des Körpers, und dadurch wird das Leben erträglicher. Die Hitze wird über die Haut nach außen abgeleitet, wodurch zunächst ein Wärmegefühl entsteht, zugleich werden aber auch einige Wärmerezeptoren ausgeschaltet, sodass die Hitze nicht mehr in dem Maße empfunden wird.19 Dieser Effekt setzt eine gewisse Dosis voraus, und deshalb sind üppige Mengen Chilis in tropischen Gerichten ein Muss. Das gilt auch für das zweite Problem, die Parasiten. Sie lauern überall und sind für die niedrige Lebenserwartung in vielen tropischen Ländern verantwortlich. Der Scharfstoff Capsaicin „ätzt“ gewissermaßen die Würmer aus dem Verdauungstrakt, bevor sie sich darin häuslich niederlassen können. Deshalb wird in vielen Ländern mit geringem Hygienestandard und hohem Infektionsdruck extrem scharf gegessen. Der Chili ist daher ein echtes Nahrungsergänzungsmittel – er beugt dort tatsächlich Krankheiten vor. pixabay Unter Curry versteht man hierzulande meist nur ein pseudo-indisches gelbes Pulver zum Bestreuen einer Currywurst, aber in Asien werden alle mit den vielfältigen Currypulvern oder -pasten gewürzten Gerichte als „Currys“ bezeichnet. Sie sind überall in den Tropen äußerst beliebt, und viele zeichnen sich durch ihre beißende Schärfe aus. Auch für den hartgesottensten europäischen Gaumen sind diese nahrhaften Soßen in der Regel zu scharf, selbst dann, wenn sie wie üblich mit ungewürztem Reis verspeist werden. Besonders „heiße“ Currys kommen bei den Bewohnern Sri Lankas auf den Tisch. Mit Gewürz und Spucke fängt man eine Mucke Für Europäer sind die Tropen eine lebensfeindliche Region. Die Kolonialreiche forderten nicht nur von den unterworfenen Völkern einen hohen Blutzoll, sondern auch von den Kolonialherren, die der heißen Klimazonen nicht angepasst waren. Am heftigsten wü- EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de 12 Sri Lanka Gift im Essen hält gesund Wenn’s darum geht, das Überleben ihrer Geschöpfe zu sichern, ist die Natur höchst erfinderisch. Im südlichen Europa, wo die Malaria jahrtausendelang heimisch war, ist darum eine relativ harmlose Erbkrankheit noch heute vertreten: Es handelt sich um einen Enzymmangel, der die Blutkörperchen vor den Malariaparasiten schützt. Das Enzym heißt „Glucose-6-Phosphat-Dehydrogenase“, kurz G6PD. Der G6PD-Mangel ist mit circa 400 Millionen Betroffenen einer der häufigsten angeborenen Enzymdefekte der Welt.24 An ihm lässt sich die Bedeutung der Malaria in der Geschichte der Menschheit ermessen. Doch der G6PD-Mangel hat auch seinen Preis: nämlich Insulinresistenz und Fettsucht – also das altbekannte metabolische Syndrom.22 Saubohnen Seine volle Schutzwirkung entfaltet der G6PD-Mangel aber erst in Verbindung mit dem richtigen Menü. Rohe Ackerbohnen (Vicia faba), auch Sau- oder Pferdebohnen genannt, enthalten zwei spezielle Wirkstoffe, Isouramil und Divicin. Nach dem Verzehr gelangen sie ins Blut, wo sie reaktiven Sauerstoff bereitstellen – ja, hier gibt es sie wirklich, die berühmten „freien Radikale“. Der Gendefekt verhindert deren schnelle Entgiftung, und so bleibt ihnen genug Zeit, die Malaria-Erreger plattzumachen. In Malariagebieten sind die frischen rohen Bohnen daher ein wichtiges Nahrungsmittel, ja sie gelten als Delikatesse, weil sich die Infizierten danach besser fühlen. An der Adriaküste liebt man einen Snack aus unreifen Saubohnen mit Pecorino-Käse. Verzehrt ein Mensch mit G6PD-Mangel aber zu viel rohe Bohnen, erkrankt er an Favismus. Das ist eine Lebensmittelvergiftung, die auch mal tödlich verlaufen kann.14 Menschen, die nicht von Malaria bedroht sind, meiden solche Gifte natürlich und kochen ihre Bohnen möglichst gründlich - je länger, desto besser. Maniok Ein weiteres Lebensmittel, das zur Behandlung der Malaria genutzt wird, ist der Maniok, auch Cassava genannt (Manihot esculenta). Dieses Wolfsmilchgewächs wehrt seine Fraßfeinde mit dem giftigen Linamarin ab. Schwere Vergiftungen mit Linamarin – namentlich Konzo, eine Lähmung tete unter den Neuankömmlingen die Malaria. Die einheimische Bevölkerung hatte sich im Laufe der Generationen auf diese Bedrohungen eingestellt – und auch wenn es zunächst unglaublich klingen mag, höllisch scharfe Currys sind ein probates Mittel gegen diese weitverbreitete Tropenkrankheit. Um die Wirkung zu entschlüsseln, hilft uns abermals die geschmacklich sinnlose Kombination von Pfeffer (Piper nigrum) und Chili weiter. Die Malaria wird bekanntlich von einzelligen Parasiten verursacht, die sich in den roten Blutkörperchen einnisten. Der wichtigste Scharfstoff des schwarzen Pfeffers ist das Piperin, das bis ins menschliche Blut gelangt. Dort bindet es an Bluteiweiße und verändert die Durchlässigkeit der Zellmembranen der roten Blutkörperchen.28 Und genau das macht den Malariaparasiten den Garaus. Das Piperin des Pfeffers ist also ein Malariamittel.7, 13 Es ist zwar deutlich weniger wirksam als die später entdeckte Chinarinde (von div. Chinarindenbäumen Cin- Der giftige Milchsaft wird aus dem geriebenen und eingeweichten Maniok ausgepresst. A. Hugentobler, Ecuador 2004 chona ssp.), aber das lässt sich mit einer höheren Dosis ausgleichen. Je mehr Pfeffer im Essen, desto höher die Piperin-Pegel im Blut. Darum musste der Pfeffer – so wie später auch das Chinin – tagtäglich genossen werden. Leider wirkt Piperin nur in hoher Dosierung gegen den Blutparasiten. Also wurde die Gewürzmischung durch weitere Wirkstoffe optimiert. Da bot sich die Gelbwurz (Curcuma ssp.)26 mit ihrem typisch gelben Farbstoff Curcumin an, das übrigens als Lebensmittelzusatzstoff die E-Nummer 100 trägt. Verfüttert man E 100 an malariakranke Mäuse, sinkt der Befall mit Parasiten um 80-90 Prozent.21,23 Da Capsaicin und Piperin sich gegenseitig verstärken,29 ergänzen sich diese beiden Gewürze pharmakologisch.12 Doch die echten Currys helfen nicht nur gegen Malaria, sondern auch gegen andere gefährliche Einzeller, insbesondere gegen Trypanosomen, die schwere Tropenkrankheiten wie die Chagas-Krankheit, die Schlafkrankheit und die Leishmaniose ver- EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de Sri Lanka 13 der Beine – sind in Malariagebieten recht häufig. Die These, Malaria würde durch die Blausäure bekämpft, die aus dem Linamarin des Manioks freigesetzt wird, 10, 11 haben wir bereits vor 15 Jahren im EU.L.E.N.-SPIEGEL postuliert (Heft 5/1996,S.11). Inzwischen bestätigte sich, dass vor allem Personen mit Sichelzellanämie vom Linamarin profitieren.27 sen Schutz vor Malaria gewähren4 und deren Wirksamkeit durch geeignete Speisen wie Cassava erhöht werden dürfte. Absinth Warten auf die grüne Fee Absinth-Trinker, Edgar Degas, 1876 Darüber hinaus muss es aber einen weiteren Mechanismus geben. In Thailand verschwand die Malaria, als die Wälder gerodet und Maniok-Plantagen angelegt wurden. 1980, als der Maniok-Markt zusammenbrach, pflanzte man Gummi- und Obstbäume an und die Malaria kehrte zurück.3 Da die Sichelzellanämie in Thailand relativ selten ist, sollten wir die zahlreichen weiteren Erbdefekte nicht aus den Augen verlieren, die ebenfalls einen gewis- Der Absinth war ursprünglich ebenfalls ein Malariamittel, genau wie die weitaus bekannteren gallebitteren Chininlimonaden, die vor allem die britischen Soldaten in den Kolonien täglich trinken mussten. Allerdings lag der Gehalt an Chinin weitaus höher als heute beim „Indian Tonic“, das keinerlei malariapräventive Wirkung mehr hat. Die französischen Kolonialtruppen bekamen von den Militärärzten stattdessen Absinth verabreicht, der alkoholische Auszüge einer anderen bitteren Pflanze enthielt, dem Wermut (Artemisia absinthium L.). Nach ihrer Rückkehr aus Algerien machten die Soldaten das Getränk in ihrer Heimat populär. Alsbald wurde der Likör jedoch als gefährliche Droge gebrandmarkt und sein Konsum verboten. Die Wirksamkeit von Wermut gegen Malaria war zwar volksmedizinisch wohlbekannt, aber da dem Absinth psychedelische Wirkungen nachgesagt wurden, weigerte sich die westliche Medizin, das Mittel auch nur zu testen. Der entscheidende Inhaltsstoff Artemisin ist nicht nur außergewöhnlich effektiv, sondern hat auch weniger Nebenwirkungen als die üblicherweise verordneten Medikamente. Auf Druck der Pharmakologen aus der 3. Welt hat sich die WHO mittlerweile sehr für dieses vorzügliche Mittel stark gemacht.31 ursachen.5, 8, 17 Offenbar wirken sie auch gegen die Amöbenruhr und den Erreger der Tuberkulose.25 Die Pharmaindustrie versucht darum seit Jahren fieberhaft, die Wirkstoffe von Pfeffer und Curcuma chemisch abzuändern, damit sie ihre Mittel patentieren kann.6, 18 Bei den Currys gilt die alte Regel des Hippokrates tatsächlich: Eure Nahrungsmittel sollen eure Heilmittel sein. staunlicherweise hält sich diese FischSpezialität etwa eine Woche lang selbst bei 30 Grad im Schatten frisch. Natürlich spielt hier auch der Salzgehalt eine Rolle, aber das eigentliche Geheimnis heißt Goraka, die zuerst sonnengetrockneten und danach geräucherten Fruchtschalen des Gummigutt-Baums (Garcinia quaesita, syn: G. gummi-gutta, syn. G. cambogia). In alter Frische: Ambul Thiyal Zunächst senken die extrem sauren Früchte aufgrund ihres hohen Gehaltes an Hydroxyzitronensäure den pH-Wert des Currys auf 3,5, was Fäulniserregern wenig behagt. Doch damit nicht genug. Da mit anderen sauren Zutaten wie Zitrone oder Tamarinde sich die Haltbarkeit von Ambul Thiyal nicht nennenswert verlängern lässt,1, 2, 9, 30 braucht man für eine tropentaugliche Konserve schon heftigere Geschütze, nämlich die antimikrobiellen Benzophenone der Gorakas wie das Garcinol.15, 16, 20 Dadurch wird beim Thunfisch die sonst unvermeidliche Bildung von Histamin und anderer bakterieller biogener Amine unterbunden. Diese Form der Frischhaltung bei „Zimmertemperatur“ Das feuchtwarme Tropenklima bietet Bakterien und Schimmelpilzen in Lebensmitteln ideale Vermehrungsbedingungen. Vor der Erfindung des Kühlschranks stellte der schnelle Verderb jeden Koch vor eine echte Herausforderung, zumal die Mikroben reichlich Gifte, insbesondere kanzerogene Schimmelgifte bilden. In den Tropen ist der durch Mykotoxine verursachte Leberkrebs eine bedeutende Todesursache. Eine wunderbare Konservierungsmethode stammt aus dem heißen Süden Sri Lankas und das Ergebnis heißt Ambul Thiyal, ein sauer-würziger Thunfischcurry. Er- EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de 14 Sri Lanka ist den Menschen von Indien bis Malaysia natürlich nicht verborgen geblieben. Bei uns sind Benzophenone nur zur Konservierung für Kosmetika zugelassen. In unseren Breiten schützt uns Hygiene vor Bakterien, Pilzen, Viren und Parasiten. In den heißen Ländern aber soll die reichliche Verwendung antibiotischer Rinden, Früchte, Kapseln und Schoten, die wir in Unkenntnis ihrer tatsächlichen Funktion naiverweise als Gewürze bezeichnen, Schutz bieten. So müssen wir uns nicht eingestehen, dass in den Küchen dieser Welt starke Konservierungsmittel zentraler Bestandteil traditioneller Rezepturen sind. Literatur 1. Amarasinghe BDY, Jayaweera V: Extension of the shelf life of Ambul Thiyal. Research Contributions Presented At The Ninth Session of the Indo Pacific Fishery Commission Working Party on Fish Technology and Marketing. Cochin, India 1994; 514: 159-170 2. Amarasinghe BDY et al:The preservative effect of goraka in fish processing. Annual Scientific Sessions of the National Aquatic Resources Agency 1994: 7-8 3. Brinkman UK: Economic development and tropical disease. In: Wilson ME et al (Eds): Disease in evolution: global changes and emergence of infectious diseases. Annals of the New York Academy of Sciences. 1994; 740: 303-311. 4. Carter R, Mendis KN: Evolutionary and historical aspects of the burden of malaria. Clinical Microbiology Reviews 2002; 15: 564-594 5. Céline V et al: Medicinal plants from Yaneshu (Peru): Evaluation of the leishmanicidal and antimalarial activity of selected extracts. Journal of Ethnopharmacology 2009; 123: 413-422 6. Da Silva Ferreira W et al: Novel 1,3,4-thiadiazolium-2-phenylamine chlorides derived from natural piperine as trypanocidal agents: chemical an biological studies. Bioorganic & Medicinal Chemistry 2008; 16: 2984-2991 7. Elford BC et al: Parasite regulated membrane transport processes and metabolic control in malaria-infected erythrocytes. Biochemical Journal 1995; 308: 361-374 8. 9. Fang J et al: Isolation and characterization of complex I, rotenone-sensitive NADH: ubiquinone oxidoreductase, from the procyclic forms of Trypanosoma brucei. European Journal of Biochemistry 2001; 268: 3075-3082 Jena BS et al: Chemistry and biochemistry of (-)-hydroxycitric acid from Garcinia. Journal of Agricultural and Food Chemistry 2002; 50: 10-22 10. Kamalu BP: The adverse effects of long-term cassava (Manihot esculenta Crantz) consumption. International Journal of Food Science and Nutrition 1995; 376: 65-93 11. Kamalu BP: Cassava (Manihot esculenta Crantz) in the aetiology of kwashiorkor. Nutrition Research Reviews 1993; 6: 121-135 12. Kerb R et al: Pharmacogenetics of antimalarial drugs: effects on metabolism and transport. Lancet Infectious Diseases 2009; 9: 760-774 13. Kirk K et al: Enhanced choline and Rb+ transport in human erythrocytes infected with the malaria parasite Plasmodium falciparum. Biochemical Journal 1991; 278: 521-525 14. Krauth-Siegel RL, Schirmer RH: Redoxprozesse bei Malaria und Trypanosomiasis als Ansatzpunkte für die Chemotherapie. Nachrichten aus Chemie, Technik und Laboratorium 1989; 37: 1026-1034 15. Mackeen M et al: Antifungal Garcinia acid esters from the fruits of Garcinia atroviridis. Zeitschrift für Naturforschung 2002; 57c: 291-295 16. Masullo M et al: Polyisoprenylated benzophenones and an unusual polyisoprenylated tetracyclic xanthone from the fruits of Gacinia cambogia. Journal of Agricultural and Food Chemistry 2008; 56: 52055210 17. Maya JD et al: Mode of action of natural and synthetic drugs against Trypanosoma cruzi and their interaction with the mammalian host. Comparative Biochemistry and Physiology 2007; 146A: 601-620 18. Mishra S et al: Synthesis and exploration of novel curcumin analogues as antimalarial agents. Bioorganic & Medical Chemistry 2008; 16: 2894-2902 19. Muth J, Pollmer U: Das Geheimnis des Chilis. EU.L.E.n-Spiegel 2005; 11 (3): 3-11 20. Naldoni FJ et al: Antimicrobial activity of benzophenones and extracts from the fruits of Garcinia brasiliensis. Journal of Medicinal Food 2009; 12: 403-407 21. Nandakumar DN et al: Curcumin-artemisinin combination therapy for malaria. Antimicrobial Agents and Chemotherapy 2006; 50: 1859-1860 22. Park J et al: Overexpression of glucose-6-phosphate dehydrogenase is associated with lipid dysregulation and insulin resistance in obesity. Molecular and Cellular Biology 2005; 25: 5146-5157 23. Reddy RC et al: Curcumin for malaria therapy. Biochemical and Biophysical Research Communications 2005; 326: 472-474 24. Ruwende C et al: Natural selection of hemi- and heterozygotes for G6PD deficiency in Africa by resistance to severe malaria. Nature 1995; 376: 246-249 25. Sawangjaroen N et al: Effects of Piper longum fruit, Piper sarmentosum root and Quercus infectoria nut gall on caecal amoebiasis in mice. Journal of Ethnopharmacology 2004; 91: 357-360 26. Singh S: From exotic spice to modern drug? Cell 2007; 130: 765-768 27. Soranzo N et al: Positive selection on a highsensitivity allele of the human bitter-taste receptor TAS2R16. Current Biology 2005; 15: 1257-1265 28. Suresh DV et al: Binding of bioactive phytochemical piperine with human serum albumin: a spectrometric study. Biopolymers 1997; 86: 265-275 29. Suresh D, Srinivasan K: Influence of curcumin, capsaicin, and piperine on the rat liver drugmetabolizing enzyme system in vivo and in vitro. Canadian Journal of Physiology and Pharmacology 2006; 84: 1259-1265 30. Thadhani V et al: Effect of exogenous histidine and Garcinia cambogia on histamine formation in skipjack (Katsuwonus pelamis) homogenates. International Journal of Food Science and Nutrition 2002; 53: 29-34 31. Wright CW: Artemisia. Taylor & Francis, London 2002 EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de Polen 15 Borschtsch, Barszcz, борщ Über das Ausmaß des einstigen BarszczSuppen-Areals gibt der schweizerisch-polnische Botaniker Adam Maurizio Auskunft: „Die eingesäuerten Blätter und Stiele gaben einen Aufguss, „Barszcz“ genannt. ... Dieser echte ursprüngliche Barszcz war ungemein verbreitet, er war bekannt in Nord- und Osteuropa, im ganzen nördlichen Asien bis nach Kamtschatka und im nördlichen und nordwestlichen Küstenstrich Nordamerikas.“ Die dicken Stängel und die großen Blätter der stattlichen Pflanze versprechen nicht nur eine ergiebige Ernte, sondern auch einen würzigen Geschmack, denn als naher Verwandter von Petersilie, Dill und Sellerie (Familie Apiaceae, bzw. Umbelliferae) zeichnet sich der Bärenklau durch eine Vielzahl aromatischer Inhaltsstoffe aus. Allerdings enthalten diese Doldenblütler auch Furocumarine, Substanzen, die bei empfindlichen Menschen zu bösen Ekzemen führen können, man denke nur an ei- nen nahen Verwandten des Barszcz, den berüchtigten Riesenbärenklau (Heracleum mantegazzianum). Und nicht zuletzt zählen auch veritable Giftpflanzen zu den Doldenblütlern, z.B. der Schierling (Conium maculatum), dessen Alkaloid Coniin einst Sokrates den Garaus machte. Da sich viele Doldenblütler mit ihrem meist weißen, schirmförmigen Blütenstand und den gefiederten Blättern zum Verwechseln ähneln, war beim Sammeln größte Vorsicht angezeigt. C Fischer wikimedia Nicht nur beim Wodka, auch wenn’s um den Borschtsch geht, beanspruchen Polen wie Russen, die deftige süßsaure Suppe aus Rote Bete, Kohl, Suppenfleisch und saurer Sahne erfunden zu haben. Aber damit nicht genug, die slawische Seele erhitzt sich zudem heftig an der Frage, ob Rote Rüben tatsächlich zu ihren klassischen Ingredienzen gehören. Dabei entbehrt dieser Streit eigentlich jeder Grundlage, denn so wie die Geschichte des Königreichs Polen oder des Zarenreichs ihren Lauf nahm, erfuhr auch der Ur-Borschtsch tiefgreifende Wandlungen, bis er seinen Weg in unsere Imbissbuden antreten konnte. Ursprünglich war der heute rote Borschtsch ziemlich grün, denn seine Hauptzutat war Barszcz. So heißt der Wiesenbärenklau (Heracleum sphondylium) auf Polnisch und Russisch. Mit diesem bis zu ein Meter fünfzig hohen Doldenblütler ergänzte die Landbevölkerung Osteuropas früher ihre oft karge oder eintönige Kost. Die Staude wächst übrigens auch hierzulande überall an Ufern oder auf feuchten Wiesen. Wiesenbärenklau Der Stoff, aus dem die Sünden sind Die Zubereitung des Barszcz war simpel: Blätter und Stängel wurden mit Wasser übergossen und etwa eine Woche lang stehen gelassen. Dabei setzte ähnlich wie beim Sauerkraut eine Milchsäuregärung ein. Die allgegenwärtigen Hefen und Bakterien sorgten dabei auch noch für ein bis zwei Prozent Alkohol. Deshalb verwendete man den Barszcz nicht nur als Suppengrundlage, sondern man seihte ihn ab und trank ihn bei Malaisen jeglicher Art als probates Hausmittel.6, 7, 8 Dabei dürfte dessen niedriger Alkoholgehalt nicht der entscheidende Beweggrund für den Konsum EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de 16 Polen gewesen sein, denn dafür hatte man den Kwass, das erfrischende „Bier“ aus vergorenem altbackenem Schwarzbrot, gesäuertem Mehl oder allerlei Obst und Blattwerk. Für die Attraktivität des Barszcz-Getränkes dürften wohl eher andere Stoffe gesorgt haben. Chemische Analysen fehlen leider, da dieses Getränk nicht mehr hergestellt wird. Aber einen ersten Hinweis liefert der Umstand, dass die Samen und Knollen des Bärenklaus ein paar Prozent Myristicin enthalten könnten,3 das Halluzinogen der Muskatnuss. Zudem gibt es vielsagende Berichte zur Wirkung eines Produktes, das weit im Osten Russlands aus dem vergorenen Gemüse erzeugt wurde: des Barszcz-Schnaps‘. Volle Dröhnung wikipedia Die Destillation erfordert gewisse technische Kenntnisse, die erst von den Kosaken nach Kamtschatka mitgebracht wurden. Bis dato aßen die ansässigen Itelmen die Pflanze nur als Barszczgemüse oder delektierten sich am Zucker, der beim Trocknen der Stängel austrat. Für die Maischebereitung gaben die Kosaken zur Erhöhung des Zuckergehalts noch Beeren dazu, namentlich Rauschbeeren (Vaccinium uliginosum) oder die des Blauen Geißblatts (Lonicera caerulea). Dieser Wald-und-Wiesen-Fusel hatte es in sich, wie der deutsche Forschungsreisende Georg Wilhelm Steller aus Kamtschatka berichtete: „So kamen die Kosaken, nachdem sie aus allerhand Beeren, Kräutern, ja sogar aus faulen Fischen probiret Branntewein zu machen, hinter dieses Kraut, und nachdem sie wahrgenommen, daß es sich bei der Zubereitung stark und geschwind fermentire und betrunken mache, angefangen in Kesseln mit hölzernen Deckeln, woran sie gezogene Röhre applicirt, Branntewein zu destilliren ... Es hat aber dieser Branntewein folgende, besondere Eigenschaften: ... die Leute werden sehr geschwind davon betrunken, und im Trunk ganz unsinnig und toll, ganz blau in dem Gesichte, wer nur einige Schalen davon getrunken, wird die ganze Nacht hindurch von den seltsamsten und abenteu- erlichsten Phantasien und Gesichtern beunruhiget, und den andern Tag so ängstlich, traurig und unruhig, als wenn man die größten Missetaten begangen hätte ...“15 Offenbar steckt auch im sibirischen Bärenklau einiges, auf das man besser verzichtet. Steller berichtet nämlich weiter, dass der Schnaps aus ungeschälten Stängeln noch weitaus schlimmere Auswirkungen hatte, wohl eine Folge der diversen Cumarine und Furocumarine, aber auch des Octanols und seiner Ester, die sich im ätherischen Öl der Pflanze finden4: „Wenn man dieses Kraut nicht abschälet, sondern nur in vier Teile spaltet und trocknet, bekommet man zwar eben so viel Branntewein, welcher aber so ungesund ist, daß die Leute davon Steckflüsse bekommen, und am ganzen Leib blau anlaufen.“ Sündenbabel Man ahnt, welche umwerfenden Wirkungen dann später polnische Barsczc-Schnäpse gehabt haben müssen, als sich die Destillierkunst im Westen auszubreiten begann. Denn im Gegensatz zu den meisten anderen Kulturen gelangten in Polen die BärenklauStängel ungeschält in die Brennmaische. Der Bärenklau sorgte auch ohne Brennblase für eine Begeisterung, wie Steller sie in dieser Form bisher nur aus Regionen mit Weinbau oder Milchwirtschaft kannte: „Wenn das Kraut gesammelt wird, so gehet es eben so her wie bei der Weinlese, oder in der Butterwoche, wer Unzucht treiben will, gehet nur auf das Feld, wo man aller Orten bereitwillige Mädgens ohne Widerrede in dem Gras findet, und kan niemand sein Gesinde härter strafen, als wo er sie diese Zeit zu Hause behält: und haben die Mädgens die Manier, daß sie allezeit die abgeschnittene Stengel bundweis liegen lassen, wo sie dabey geschändet worden, und kan man im Spazierengehen allezeit die Rammelplätze an diesen Objectis fascibus erkennen.“ Lieber rot als tot Im 16. Jahrhundert bekam der wildwachsende Bärenklau scharfe Konkurrenz aus dem Hausgarten: Damals gelangte nämlich die Rote Bete (Beta vulgaris ssp. vulgaris) aus Italien zuerst nach Deutschland und dann nach Polen. Dort fand die Rübe ein ideales Klima, alsbald stieg sie neben dem Kohl zu einer der wichtigsten Gemüsearten auf.1 Ein Grund war wohl, dass die Rote Bete länger verfügbar war: Die ers- EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de ten Rüben lassen sich bereits im Juli ernten und können bis tief in den Winter im Hausgarten oder der Miete gelagert werden. Nicht so der Bärenklau, der nur sommers und frisch genutzt werden kann. Bereits um 1660 stellte man Barszcz in Polen offenbar bevorzugt mit Rote Bete her.12 Adam Maurizio, Botanik-Professor und Lebensmittelforscher aus dem 19. Jh., gibt ein Rezept zum Besten: „In Polen wird die Suppe wie folgt bereitet: süße rote Rüben werden gereinigt, geschält und in dünne Scheiben geschnitten, gelangen in ein irdenes Gefäß, wo sie mit weichem Wasser soweit übergossen werden, daß sie ganz bedeckt und etwa 2-3 Finger hoch darüber steht. Das mit einem Leintuche bedeckte Gefäß wird an einen warmen Ort gestellt ... und nach 6-7 Tagen ist der Barszcz fertig. Nun wird er zum Gebrauch durch ein leinenes Tuch geseiht (um ihn von der Pilzdecke und den Rübenscheiben zu trennen), oder man stellt ihn einfach an einen kühlen Ort.“ Der auf diese Weise erhaltene Barszcz ist eine ziemlich viscose manchmal fadenziehende Flüssigkeit von himbeerroter Farbe, von aromatischem Geruch und angenehm süß-säuerlichem Geschmack.“ 9 sie doch erhebliche Mengen L-Dopa, sprich Dihydroxyphenylalanin5 – einen Baustein der roten Rübenfarbstoffe. L-Dopa gelangt direkt ins Hirn und wird dort in den Neurotransmitter Dopamin umgewandelt. Als Medikament kann es Euphorie hervorrufen und zu Abhängigkeit führen.14 Zur Wirkungsverstärkung tragen sogenannte MAO-Hemmer bei, die den Abbau des L-Dopa im Körper blockieren. Diese stecken im Borschtsch als typischer Inhaltsstoff in Form von Tyrosin, einer wichtigen Vorstufe der Rote-Bete-Farbstoffe. Polen 17 Nastrowje Doch im Laufe der Zeit kam es immer weniger auf den Gehalt an psychotropen Wirkstoffen an, auch der Alkoholgehalt spielte keine Rolle mehr. Denn nun erfreute sich das Wodkatrinken allgemeiner Beliebtheit. Das erste Mal wurde Wodka in Polen urkundlich zu Beginn des 15. Jahrhunderts erwähnt, und um 1580 war Posen zur Hauptstadt der polnischen Wodkabrennerei aufgestiegen. Parallele Entwicklungen gab es übrigens auch in Deutschland, wo sich der Es handelt sich also nicht mehr um eine typische Milchsäuregärung, sondern um eine „schleimige Gärung“, die Suppe soll sich „ziehen“; neben Milchsäure entstehen auch Dextran und Mannit.11 Dafür verantwortlich ist das „Froschlaichbakterium“ (Leuconostoc mesenteroides), das zuckerhaltige Lösungen in kurzer Zeit in Gallerten verwandelt. Die leichtverdaulichen Dextrane sorgen für das typische „vollmunWeichbild von Bolscherezk dige“ Mundgefühl. Mit alDas vielfältige kulturelle Angebot in Kamtschatkas Metropolen inspirierte die Kosaken, lerlei neuen Zutaten wie ungewöhnliche Alkoholika zu erzeugen. Kupferstich A Hogg, London o. Jahr Gemüse, Fleisch oder der polnischen Wurst ergab dies die Grund- Korn Anfang des 17. Jahrhunderts zunächst lage vieler Suppengerichte, vergleichbar vor allem in den Städten steigender Beliebtdem Suppenfond der französischen Küche. heit erfreute. In der Getreide-Exportnation Polen13 war es möglich, Brotgetreide vermehrt in Alkohol zu verwandeln. Und saubeAnders als der Bärenklau enthält die Rote rer Wodka ist natürlich wesentlich bekömmRübe keine toxischen Rauschdrogen. Dielicher als jeder Barszcz-Brand, in dem eisen Mangel gleicht sie auf allseits bekömmgentümliche Heracleum-Stoffe schwimmen. licherem Wege ein klein wenig aus, enthält EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de 18 Polen Fastfood Während es mit der Güte der Spirituosen bergauf ging, ging es mit dem roten Borschtsch allmählich bergab. Aus einem zeitaufwendig fermentierten Gericht, das sich im katholischen Polen auch als Fastenspeise eignete, wurde im 20. Jahrhundert ein sättigender Schnelleintopf, dessen saurer Geschmack kurzerhand mit einem kräftigen Schuss Essig erzeugt wurde. Da der Wodka nach und nach zum flüssigen Grundnahrungsmittel wurde,2 brauchte man eine deftige Grundlage für den Alkohol. Daher steckt im modernen Rote-Rüben„Borschtsch“ jede Menge Fleisch und Fett, oder er wird – vor allem in Russland - noch mit Sauerrahm (Smetana) angereichert. Der Weg zum aktuellen Barszcz war weit. Aus einem mehr oder weniger berauschenden grünen Bärenklaugemüse entstand zunächst ein rotes Gärprodukt aus Rote Bete und schließlich unser bekannter Borschtsch, ein saurer, roter Eintopf, der mit dem ursprünglichen Barszcz außer dem Namen nichts mehr gemein hat. Adam Maurizio beklagte sich 1931 dann auch bitter: „Der saure Aufguß des Heracleums heißt wohl in allen slawischen Sprachen wie die Pflanze selbst: Barszcz oder ähnlich. Ganz gleichen Namen haben die Aufgüsse der Nachkommen mitbekommen. Nun hat die Eile der Zeitgenossen der nachdenklichen milchsauren Gärführung ein Ende bereitet. Sie bringt es fertig, mit Essig sauer gemachte Suppe mit roten Rüben, „polnische Borszczsuppe“ zu nennen; so in deutschen Kochbüchern. Mit diesem mißratenen Sprößling stirbt aus die edle Sippe der ursprünglichen milchsauren Getränke.“10 Literatur 1. Czyzowska A, Libudziz E: The influence of lactic acid fermentation process of red beet juice on the stability of biologically active colorants. European Food Research and Toxicology 2006; 223: 110-116 2. Debowska B: Polen. In: Dominé A et al (Hrsg): Culinaria. Könemann, Köln 1999 3. Hegnauer R: Chemotaxonomie der Pflanzen, Band 9, Birkhäuser, Basel 1990 4. Iscan G et al: Bioactive essential oil of Heracleum sphondylium ssp. ternatum (Velen.) Brummitt. Zeitschrift für Naturforschung 2003; 58c: 195-200 5. Kugler F et al: Determination of free amino acid compounds in betalainic fruits and vegetables by gas chromatography with flame ionization and mass spectrometric detection. Journal of Agricultural and Food Chemistry 2006; 54: 4311-4318 6. Luczaj L: Dziko rosnace rosliny jadalne w ankiecie Józefa Rostafinskiego z roku 1883. Wiadomosci Botanicze 2008; 52: 39-50 7. Luczaj L, Szymanski WM: Wild vascular plants gathered for consumption in the Polish countryside: a review. Journal of Ethnobiology and Ethnomedicine 2007; 3: e17 8. Luczaj L: Changes in the utilization of wild green vegetables in Poland since the 19th century: a comparison of four ethnobotanical surveys. Journal of Ethnopharmacology 2010; 128: 395-404 9. Maurizio A: Die Geschichte unserer Pflanzennahrung. Parey, Berlin 1927 10. Maurizio A: Geschichte der gegorenen Getränke. Parey, Berlin 1931 11. Panek MK: Mikroby oraz chemizm kismenia barsczczu. (Bakteriologische und chemische Studien über die „Barsczcz” genannte Gährung der roten Rüben). Etude bacteriologique et chimique du „barsczcz“ produit de la fermentation de la betterave rouge. Bulletin International de l’Academie des Sciences de Cracovie 1906; 1: 5-45 12. Pieroni A, Gray C: Herbal and food folk medicines of the Russlanddeutschen living in Künzelsau/ Thaläcker, South-Western Germany. Phytotherapy Research 2008; 22: 889-901 13. Schilling H: Aufbruch und Krise. Deutschland 15171648 in: Siedler Deutsche Geschichte. Siedler, Berlin 1994 14. Spigset O, von Scheele C: Levodopa dependence and abuse in Parkinson’s disease. Pharmacotherapy 1997; 17: 1027-1030 15. Steller GW: Beschreibung von dem Lande Kamtschatka. JG Fleischer, Frankfurt 1774 EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de Kulinarisches Armageddon Kannibalismus 19 von Monika Niehaus Wenn es heute noch ein kulinarisches Tabu gibt, dann ist es der Verzehr von Menschenfleisch. Was in Notlagen wie Flugzeugabstürzen mit Schaudern noch als überlebensnotwendig akzeptiert wird, gilt als unvorstellbar und unverzeihlich, wenn es beispielsweise um den netten Nachbarn von nebenan geht. Dabei ist der sogenannte Gourmetkannibalismus ein weltweites Phänomen.26 Es begleitet uns, seit unsere Vorfahren Steinwerkzeuge benutzen, und reicht bis weit in die Neuzeit.4, 5, 6, 12, 13, 14, 15, 17, 34, 39 Warum ist das so? Die Antwort erscheint ebenso simpel wie verstörend: Weil’s schmeckt! Rumpfes höben sie auf, um damit ihre süßen Kartoffeln zuzubereiten.“30 Auf den Fidschis und im Kongo wurde Menschenfleisch gern konserviert, in der Karibik und auf den Salomonen wurden Gefangene gelegentlich kastriert, das erhöhte den Masterfolg.35 Die Maori bevorzugten Gehirn, Schulter und Gesäß; die Xhosa in Natal begeisterten sich als wahre Gourmets für den strengen Hautgout, den gut abgehangenes Menschenfleisch verströmt; andere schätzten es in Öl mazeriert oder in Bananenblättern gedünstet.35 Hier ein paar Kostproben aus der reichhaltigen Literatur über den Genuss von Menschenfleisch: Die Fidschi-Insulaner vergleichen Menschenfleisch (puaka balava, Langschwein) mit Schweinefleisch (puaka dina, Kurzschwein), und ziehen es sogar der vierbeinigen „Kurzversion“ vor.10 Aber auch die schwarzafrikanischen Völkergruppen der Baja, Pambia, Manjema, Wadai und Haussa, um nur einige Beispiele zu nennen, ziehen Menschenfleisch allen anderen Fleischsorten vor. Als man den südafrikanischen Basuto (heute: Sotho, eine Bantu-Ethnie) Rindfleisch anbot, um sie vom Kannibalismus abzubringen, wiesen sie das Angebot nach einer Kostprobe dankend zurück.3 Leibspeise Die Frauen der Fore auf Neuguinea aßen Menschen, weil sie „köstlich“ schmecken.26 Gleiches galt für Gesellschaften auf den Salomonen, auf der Inselgruppe Neukaledonien und in Neuseeland. Ein neuseeländischer Häuptling namens Touai, der um 1818 eine Zeit lang in London lebte, gesteht, am meisten vermisse er „Menschenfleisch. Er sei es leid, englisches Rindfleisch zu essen … Frauen- und Kinderfleisch schmecke für ihn und seine Landsleute am besten, während die Maori das eines 50-jährigen Mannes vorzögen und hierbei wieder einen Schwarzen lieber mochten als einen Weißen. Seine Landsleute äßen das Fleisch niemals roh, und das Fett des Grillfeier Kupferstich von Théodore de Bry aus dem Jahr 1593 nach der Erzählung «Voyage au Brésil» von J Le Moyne de Morgues 1562 Busenfreunde In China sind im 11. Jahrhundert Menschenfleischrestaurants eine häufige Erscheinung, und die Gerichte aus den Schlachtkörpern von Männern, Frauen und Kindern haben spezielle Namen,35 während die Feinschmecker im modernen China im Laufe der Kulturrevolution es vor allem auf die Leber der „Klassenfeinde“ abgesehen hatten.39 EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de 20 Kannibalismus Die afrikanischen Baja-Könige am Albertsee aßen nur Frauen und Mädchen. AobaHäuptlinge (Neue Hebriden, heute Vanuatu) verzehrten nur die Brüste junger Mädchen, ebenso hielt es der tatarische Hochadel. Und in den 1960er Jahren verspeiste der König von Süd-Kasai (international nicht anerkannter Staat während der Kongo-Wirren) im Rahmen eines ausgedehnten Gela- schweige denn bis in jüngste Zeit gibt, befinden Sie sich in guter Gesellschaft. Als der Bioarchäologe Christy G. Turner 1967 behauptete, die Anasazi, prähistorische Pueblo-Indianer im Südwesten Nordamerikas, die bis dato als friedfertige Ackerbauern galten, seien Kannibalen gewesen, stieß er bei seinen Kollegen und Indianervertretern auf Empörung.17 Daran sollte sich Jahrzehnte lang nichts ändern. Hexenjagd Genussmenschen Ute Düll 2012 ges einen Minister und fünf Parlamentarier, wie ein Pariser Wochenblatt berichtet. Den 1964 angestrengten Verleumdungsprozess gegen das Blatt verlor Seine Majestät.35 Über Geschmack lässt sich bekanntlich trefflich streiten, doch in der Regel herrschte folgender Konsens: Frauen und Kinder schmeckten besser als Männer, Schwarze besser als Weiße und junge Menschen besser als alte.3, 35 Wenn es eine Mahlzeit gibt, die in allen Küchen der Welt gleich beliebt war, dann gut zubereitete Artgenossen. Damit lässt sich „Langschwein“ zweifelsohne als Weltküche bezeichnen, als wahres internationales Gericht, das uns Menschen kulinarisch einigt und unsere Kulturen schon seit Jahrtausenden begleitet – der älteste Nachweis für kulinarischen Kannibalismus stammt übrigens aus Europa, aus einer altsteinzeitlichen Höhle in Gran Dolina (Spanien), wo unsere Vorfahren bereits vor 800.000 Jahren diesem Genuss frönten.14, 15, 17 Wenn Sie jetzt immer noch nicht glauben wollen, dass es so etwas jemals gab, ge- Einer der Wortführer der KannibalismusSkeptiker ist der amerikanische Anthropologe William Arens, der in seinem Buch „The Man-eating Myth“ (Der Mythos vom Menschenfresser)2 den Kannibalismus als Legende geißelte, der allein der Ausbeutung der Naturvölker diene. Historische Augenzeugenberichte wie denjenigen von Hans Staden, der Mitte des 16. Jahrhunderts über Kannibalismus bei brasilianischen Indios berichtete,28 lehnte er als Seemannsgarn ab. Aber Staden ist nicht allein: Vom 16. bis ins 19. Jahrhundert gab es so zahlreiche glaubhafte Beschreibungen von Augenzeugen unterschiedlicher Nationalitäten und Professionen, darunter der berühmte englische Entdecker James Cook, dass die globale Verbreitung des Kannibalismus damals zum Allgemeinwissen gehörte.1, 9, 11, 16, 23, 28, 36, 37 Arens lehnt die Berichte von Augenzeugen mit dem Hinweis ab, es sei noch nie von einem Anthropologen ein solcher Fall berichtet worden. Das ist kaum verwunderlich, denn dieses Fachgebiet begann sich erst Ende des 19. Jahrhunderts zu etablieren. Dennoch berichtet einer der namhaftesten Vertreter der Zunft, Pierre Clastres,8 ausführlich von einem solchen Festmahl. Aber auch handfeste materielle Beweise wie menschliche Knochenfunde, die verräterische Spuren aufweisen, lassen die Kannibalismus-Skeptiker nicht gelten: Sie behaupten, es handele sich um die Überreste ritueller Bestattungen, kriegerischer Handlungen, Hexenhinrichtungen oder Opfer von Raubtieren. Freitags frische Fischer „Die Arbeit der katholischen Missionare in Neuguinea“, vertraute der amerikanische UN-Botschafter Adlai Stevenson einmal dem Schauspieler und Spötter Peter Ustinov an, „beginnt Früchte zu tragen. Wie Statistiken zeigen, kommen freitags inzwischen vorwiegend Fischer auf den Tisch.“33 EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de Das Ende eines Mythos Um diesen Einwänden zu begegnen, stellte das Ehepaar Turner 1992 eine Reihe von Kriterien auf: • Waren die menschlichen Knochen absichtlich aufgebrochen, • wiesen sie Schnittspuren auf, • wurden sie gegart, • zeigten sie Zeichen einer Bearbeitung auf Amboss-Steinen, • fehlten Wirbel oder waren sie zerdrückt was auf die Extraktion von Fett und Mark hinweist, so könne man davon ausgehen, dass es sich um Kannibalismus handelt.6, 31, 32 gische Pendant zu Clintons Ausspruch, er habe die Marihuanazigarette zwar angezündet, aber nicht inhaliert“, spottete White.17 Kannibalismus 21 Inzwischen ist ein weiteres Kriterium für kulinarischen Kannibalismus hinzugekommen: Isabel Cáceres und ihr Team fanden in Spanien an menschlichen Wirbeln und Rippen aus der Bronzezeit Zahnabdrücke und Nagespuren,6 die, wie Vergleichsuntersuchungen mit Schimpansen-Bissspuren24 zeigen, nicht von einem Raubtier, sondern von einem großen Primaten stammen – da bleibt im bronzezeitlichen Europa nur der Homo sapiens. Aber selbst wenn es sich tatsächlich um Kannibalismus handeln sollte, wandten die Gegner ein, dann niemals zum Nahrungserwerb, sondern allein aus rituellen Gründen, ein Ahnenkult beispielsweise. Also machten sich Turners Kollegin Paola Villa und ihre Mitstreiter in Spanien erneut an die Arbeit und definierten Kriterien für den gastronomischen Kannibalismus: • Wenn menschliche und tierische Überreste in ähnlicher Weise zerlegt waren, • die markhaltigen Röhrenknochen in ähnlicher Weise aufgeschlagen wurden, • wenn menschliche und tierische Überreste auf demselben Müll landeten, • die brauchbaren Stücke bei der Zubereitung ähnlich behandelt wurden, so kann man davon ausgehen, dass keine rituellen, sondern rein kulinarische Gründe vorlagen.6, 34 Die Gegner gaben nicht nach: Schön und gut, aber es lasse sich schlicht nicht beweisen, dass menschliche und tierische „Haxen“ auf die gleiche Weise zubereitet worden seien. Doch, dies lasse sich sehr wohl beweisen, konterte der Evolutionsbiologe Tim D. White: Dies erkenne man am pot polishing (wörtlich „Kochtopf-Polieren“), eine fettige Glätte, die die Endstücke von Knochen zeigen, wenn sie beim Umrühren ständig an der Wand von Tongefäßen schaben. Sie wurde an zubereiteten Tier- wie Menschenknochen nachgewiesen.17, 38 „Manche … Anasazi und Neandertaler verarbeiteten ihre Kollegen. Sie häuteten sie, grillten sie, trennten ihre Muskulatur ab, durchtrennten ihre Gelenke, brachen ihre Röhrenknochen mit Amboss und Hammersteinen auf, zermalmten ihre Schwammknochen und taten die Stücke in einen Topf. Zu sagen, sie hätten sie dann nicht gegessen, ist das archäolo- Immer auf dem Sprung Staden28 beschreibt sich als „Essen auf Abruf“, das jederzeit auf dem Grill landen konnte. Auf diesem Holzschnitt nähert er sich mit gebundenen Beinen dem Häuptling Cunhambebe. Die Indios rufen: „Da kommt ja unser Essen gehüpft.“ Vom Topf in den Nachttopf Den Todesstoß versetzte den Kannibalismus-Skeptikern ausgerechnet ein rund 850 Jahre alter Koprolith (fossiles Exkrement), den ein wohlgesättigter Anasazi nach dem Mahl an seiner Herdstelle bei Cowboy Wash in Colorado absetzte. Der Pathologe Richard Marlar und seine Kollegen wiesen in diesem Koprolithen humanes Myoglobin nach, ein Eiweiß, das nur in der menschlichen Skelettund Herzmuskulatur vorkommt: Die Anasazi hatten Menschen also nicht nur zubereitet, sondern auch verzehrt, verdaut und ausgeschieden.22 Noch 1997 hatte der Archäologe Paul Bahn seinen Kollegen White herausgefordert: „Offen gesagt, sehe ich nicht, EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de 22 Kannibalismus wie er das [i.e. kulinarischen Kannibalismus] beweisen kann, es sei denn, man findet ein Stück menschlichen Darm mit menschlichem Knochen oder Gewebe darin.“17 Drei Jahre später hatte er seinen Beweis. Glaubenssachen Der katholischen Kirche kann nicht völlig entgangen sein, dass dieser Art des Nahrungskonsums auch bei uns gefrönt wurde – warum sonst wurden hiesige Bußfertige in mittelalterlichen Beichtspiegeln regelmäßig nach Sünden wie dem Verzehr von Menschenfleisch gefragt?25 Natürlich untersagten Missionare auch ihren Schäfchen diese Kost stets aufs Schärfste, also frönten sie ihrer Tradition fürderhin im Verborgenen. Im 19. Jahrhundert nehmen die Augenzeugenberichte allmählich ab. Frei nach dem Motto „Was nicht sein darf, das nicht sein kann“ wurden und werden westliche Reisende und Forscher, die überzeugende Belege für Kannibalismus fanden, der Verleumdung ursprünglicher Gesellschaften geziehen. So warf man auch dem Pathologen Marlar vor, er würde mit dem Nachweis, dass die Anasazi Kannibalen waren, die Indianer „entmenschlichen“. Brian Billman, der leitende Archäologe der Koprolithen-Fundstelle, meinte dazu nur trocken: „So verhalten sich Menschen nun leider einmal!“– sprich, das Auftischen von Artgenossen ist ein typisches Merkmal unserer Spezies.19 William Arens ist Wissenschaftler genug, inzwischen zuzugeben: „Ich denke, die methodische Vorgehensweise ist solider geworden und es gibt heute mehr Belege für Kannibalismus als zuvor.“17 Anders seine Kollegin Andrea Zeeb-Lanz, die den steinzeitlichen Fundort im pfälzischen Herxheim mitbetreut. In dieser Siedlung, die von nicht einmal 100 Personen bewohnt worden war, entdeckten die Archäologen die Überreste von mehr als 1000 Opfern. „Mittlerweile wissen wir genau, dass Menschen nach einer festgelegten Prozedur auseinandergenommen wurden“, so Zeeb-Lanz. „Zuerst wurden Arme und Beine abgetrennt, und beim Zerlegen des Oberkörpers wurden die Rippen direkt an der Wirbelsäule abgeschnitten. All das entspricht der Zurichtung von Schlachtvieh.”21 Dennoch lehnt Zeeb-Lanz den Begriff Kannibalismus entschieden ab und bemüht stattdessen das Transzendentale: „Vielleicht entwickelte sich eine neue religiöse Bewegung, die sich in neuen außergewöhnlichen Ritualen manifestierte“.20 Schmeckt Menschenfleisch? Offensichtlich - weil’s bekommt. Und warum bekommt’s? Weil’s fett ist. Wie wichtig die Versorgung mit tierischem Fett für den Menschen schon immer war und noch immer ist, zeigt die Muttermilch: Sie enthält fast vier Mal soviel Fett wie Eiweiß. Und auch gut genährte Exemplare der Spezies Homo weisen einen relativ hohen Fettanteil auf. Das ist den Liebhabern dieser Spezialität nicht verborgen geblieben, und so weiß der deutsche Afrikaforscher Georg Schweinfurth (1836–1925) über die Monbuttu zu berichten: „Von allgemeinstem Gebrauch indessen ist bei ihnen das Fett der Menschen; dies [ist] für sie der Inbegriff aller ihrer kulinarischen Genüsse.27 Und so waren es in der Regel auch die fettesten Teile, die kulinarisch besonders begehrt waren – dementsprechend fanden die Brüste der Frauen auch bei Tisch ihre Liebhaber. „Es gibt kein Ding noch Speise“, so der Arzt Gerolamo Manfredini im späten 15. Jahrhundert, „das zur Ernährung des Menschen geeigneter ist als das menschliche Fleisch“.7 Perfekt auf die artspezifische Physiologie zugeschnittene Eiweiße und mehr Fett als in jagdbarem Wild – diese physiologischen Vorzüge registriert das Bauchhirn des Gourmets und signalisiert „lecker“. Das ist ernährungsphysiologisch so simpel, dass die eigentliche Frage, die wir uns stellen sollten, nicht ist, warum Kannibalismus früher allgemein verbreitet war, sondern warum wir diesen Brauch weitgehend aufgaben. Schwein gehabt! Das Ende des kulinarischen Kannibalismus wurde durch die Domestikation von Rindern, Ziegen, Schafen und Schweinen eingeläutet.18 Die Versorgung mit tierischem Fett besserte sich nämlich erst, als Haustiere domestiziert und gemästet wurden: Kuh und Ziege geben fette Milch, Schaf und Schwein ebensolches Fleisch. So ist eine der ältesten Haustierrassen denn auch das Fettschwanzschaf, das selbst heute noch weltweit einen Anteil von rund 25 Prozent aller Schafe hält. Noch älter ist das Hausschwein, dessen Fleisch seit rund 9000 Jahren geschätzt wird, und wer eine fette Sau mit ihren schlanken wilden Kollegen vergleicht, sieht auf dem ersten Blick, worauf es den Verbrauchern ankam: aufs Fett. Völker, denen Kurzschwein & Co. eine sichere Versorgung mit Fett boten, konnten daher auf „Langschwein in Kokosmilch“ verzichten und Gefangene nutzbringender einsetzen. EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de Wie eng fettes Vieh und Kannibalismus zusammenhängen, zeigt die Hochkultur der Azteken. Da die Azteken praktisch kein Vieh und somit auch keine Lasttiere hatten, perfektionierten sie den Kannibalismus und transportierten ihre Nahrung als „wandelndes Vieh“ in Form von wohlgenährten Gefangenen in die Hauptstadt. Dazu der Anthropologe Marvin Harris: „Sie behandelten ihre Gefangenen auf dieselbe Art wie die Farmer des Getreidegürtels im Mittelwesten ihre Mastschweine.“ Als eine Art Gulasch mit Pfeffer, Tomaten und Kürbisblüten mundete es den Azteken am besten. Die Zahl derer, die Jahr für Jahr verspeist wurden, wird auf bis zu 250.000 geschätzt.18 Naschkatzen Also alles Schnee von gestern? Nicht ganz: Noch vor 100 Jahren wurden auch in Deutschland Menschen konsumiert. Mumia aegyptica vera war einst ein Renner in den Apotheken; sie sollte, meist in Pulverform verabreicht, vor allem bei Kranken und Kindern die gleichen wunderbaren Wirkungen entfalten wie heute die Vitamine. Um den Bedarf zu decken, wurden in Ägypten antike Begräbnisstätten geplündert – dabei kamen nicht nur mumifizierte Vorfahren in den Handel, sondern für ärmere Schichten auch einbalsamierte Ibisse, Katzen und Krokodile. Doch da dies alles nicht reichte, widmeten sich die Zulieferer vor Ort der Eigenfabrikation frischer Mumien, hergestellt aus Gefangenen oder Sklaven, die getötet, einbalsamiert und abgehangen wurden. Aber auch hiesige Apotheker erkannten die geschäftliche Gunst der Stunde und fertigten die begehrte „Mumia“ im stillen Kämmerlein.7, 29 Für unsere Gesundheit sind wir offenbar bereit, auch über Leichen zu gehen – dann lieben wir unseren Nächsten nicht nur, wir haben ihn buchstäblich zum Fressen gern! Literatur Spezialitäten aus deutschen Apotheken Gemahlene ägyptische Mumie Medizinhistorisches Museum: Sammlung Kugener, Keramik nach hist. Vorlage 1997 Für Kulturen, die über Landwirtschaft, namentlich über eine effektive Tierhaltung verfügten, wurde der Kannibalismus als Methode der Nahrungsbeschaffung unwirtschaftlich. Nun war die Sklavenhaltung produktiver, denn ein Gefangener, der jahrzehntelang Schweine hütet, bringt mehr Nutzen als ein einmaliges Festmahl. Da war es dann an der Zeit, den Genuss von Menschenfleisch zu tabuisieren und Kannibalismus als barbarisch zu verdammen.18 Erst mit dem Verzicht auf die traditionelle Spezialität konnte der Ekel vor Menschenfleisch verinnerlicht werden, so wie sich viele Mitteleuropäer heute vor Hundespießchen, Katzenbraten oder Pferdewurst ekeln, die früher auch bei uns und heute noch anderenorts mit großem Genuss verspeist werden. 1. Andrée R: Die Anthropophagie. Von Veit, Leipzig 1887 2. Arens W: The Man Eating Myth: Anthropology and Anthropophagy. Oxford University Press, Oxford 1979 3. Askenasy H: Cannibalism. Prometheus, New York 1994 4. Boulestin B et al: Mass cannibalism in the Linear Pottery Culture at Herxheim (Palatinate, Germany). Antiquity 2009; 83: 968–982 5. Braun D. R.: Australopithecine butchers. Nature 2010; 466: 828 6. Cáceres I et al: Evidence for bronze age cannibalism in El Mirador Cave (Sierra de Atapuerca, Burgos, Spain). American Journal of Physical Anthropology 2997; 133: 899–917 7. Camporesi P: Das Brot der Träume. Campus, Frankfurt/Main 1990 8. Clastres P: Cannibals. The Sciences 1998; 3: 3235 9. Cook J: Entdeckungsfahrten im Pazifik. Erdmann, Stuttgart 1983 10. Crawfurd J: On cannibalism in relation to ethnology. Transactions of the Ethnological Society of London 1866; 4: 105-124 11. Curtis J: Shipwreck of the Stirling Castle. George Virtue, London 1838 12. Degusta, D: Fijian cannibalism: osteological evidence from Navatu. American Journal of Physical Anthropology 1999; 110: 215–241 13. Defleur A: Neanderthal cannibalism at Moula-Guer- EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de Kannibalismus 23 24 Kannibalismus cy, Ardèche, France. Science 1999; 286: 128-131 14. Fernández-Jalvo Y et al: Evidence of early cannibalism. Science 1996; 271: 269-270 15. Fernández-Jalvo Y et al: Human cannibalism in the early pleistocene of Europe (Gran Dolina, Sierra de Atapuerca, Burgos, Spain). Journal of Human Evolution 1999: 37; 591–622 26. Rhodes R: Gourmet cannibalism in New Guinea tribe. Nature 1997; 389: 11 27. Schweinfurth G: Im Herzen von Afrika 1868-1871. Erdmann, Stuttgart 1984 28. Staden H: Brasilien: Historia von den nackten, wilden Menschenfressern. Erdmann, Stuttgart 2006 16. Festitics de Tolna R: Chez les cannibals. Librairie Plon, Paris 1903 29. Sugg R: Mummies, Cannibals and Vampires. Routledge, London 2011 17. Gibbon A: Archaeologists rediscover cannibals. Science 1997; 277: 635-637 30. Tannahill R: Fleisch und Blut. Goldmann, München 1979 18. Harris M: Wohlgeschmack und Widerwillen: Die Rätsel der Nahrungstabus. Klett-Cotta, Stuttgart 1989 31. Turner CG, Turner JA: The first claim for cannibalism in the Southwest: Walter Hough’s 1901 discovery at Canyon Butte Ruin 3, Northeastern Arizona. American Antiquity 1992; 57: 661-682 19. Holden C: Molecule shows Anasazi ate their enemies. Science 2000; 289: 1663 20. Holzhaider H: Die Sprache der Knochen. Süddeutsche Zeitung vom 3.6.2011 21. Latusseck RH: Kannibalismus in der Pfalz: Menschen wurden wie Schlachtvieh zerlegt. Weltonline vom 7.12.2009 22. Marlar RA et al: Biochemical evidence of cannibalism at a prehistoric Puebloan site in Southwest Colorado. Nature 2000; 407: 74-78 23. Paton JG: The Story of John G. Paton: The true story of thirty years among South Sea cannibals. Hodder & Stoughton, London 1889 24. Pickering TR, Wallis J: Bone modifications resulting from captive chimpanzee mastication: implications fort the interpretation of pliocene archaeologicals faunas. Journal of Archaeological Science 1997; 24: 1115-1127 25. Pleij H: Der Traum vom Schlaraffenland. S Fischer, Frankfurt 2000 32. Turner CG: Cannibalism in Chaco Canyon: The Charnel Pit excavated in 1926 at Small House Ruin by Frank H.H. Roberts, Jr. American Journal of Physical Anthropology 1993; 91: 421-439 33. Ustinov P: Dear me. Arrow Books, London 1998 34. Villa P et al: Cannibalism in the Neolithic. Science 1986; 233: 431-437 35. Villeneuve R: Histoire du cannibalisme. Le Livre Club du Libraire (ohne Jahr, aber nach 1964) 36. Ward H: Five years with the Congo cannibals. Chatto & Windus, London 1891 37. Westmark MT: Trois ans en Congo: Cannibals de Haut-Fleuve. L Danel, Lille 1887 38. White TD: Menschenfresserei in der Altsteinzeit. Spektrum der Wissenschaft 2001; 11: 38-45 39. Zheng Yi: Scarlet Memorial, Tales of Cannibalism in modern China. Westview, Boulder 1996 Impressum Kontakt: Herausgeber: Heiner Höfener E-Mail: HHoefener@das-eule.de Europäisches Institut für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften (EU.L.E.) e.V. Dr. med. vet. Manfred Stein, Am Kiebitzberg 10, D-27404 Gyhum Internet: http://www.das-eule.de Vorstand und V.i.S.d.P.: Dr. med. vet. Manfred Stein, Gyhum Redaktion: Heiner Höfener (Chefredaktion) Dipl.-Biol. Andrea Fock Dr. med. Gunter Frank Dipl. oec. troph. Jutta Muth Dr. rer. nat. Monika Niehaus Dipl.-Übersetzerin Kirsten Nutto Dipl.-Ing. Jürgen Pfuhl Lebensmittelchemiker Udo Pollmer Dr. med. Dipl.-Ing. Peter Porz (Internist) Dipl.-Lebensmitteltechnologin Ingrid Schilsky Dr. med. vet. Manfred Stein Grafische Gestaltung: Grafikdesigner Karl-Ludwig Leiter Bauzeichnerin Ute Düll Abdrucke: Der Abdruck einzelner Beiträge ist nur mit Genehmigung durch das EU.L.E. und bei entsprechender Quellenangabe gestattet. Erbeten werden zwei Belegexemplare. Der EU.L.E.N-SPIEGEL oder Teile daraus dürfen nicht zu Werbezwecken eingesetzt werden. Wissenschaftlicher Beirat: Prof. Dr. Michael Böttger, Hamburg Dr. Hans F. Hübner, MD, Berlin Prof. Dr. Dr. Heinrich P. Koch, Wien Prof. Dr. Egon P. Köster, Dijon Spenden: EU.L.E. e.V. ist als gemeinnützig und besonders förderungswürdig anerkannt. Spenden sind steuerabzugsfähig. Hamburger Sparkasse, Konto 1261 175978, BLZ 200 505 50. Bezug: Bezug des EU.L.E.N-SPIEGELS ist durch Fördermitgliedschaft oder Abonnement möglich. Beides kostet 92.- Euro für Privatpersonen und 499.- Euro für Firmen (institutional subscription). Bestellformular unter http://www.das-eule.de/ oder bei der Mitgliederverwaltung: Jutta Muth, Heinrich-Hesse-Straße 9, 35108 Rennertehausen, Fon ++49/ (0) 6452 / 7624, E-Mail: JMuth@das-eule.de EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de Bananen: Das Ende vom Lied Bei der Banane hat der Kunde nicht wie beim Apfel die Wahl zwischen Cox Orange, Gravensteiner oder Boskoop, sondern muss sich fast ausschließlich mit der Sorte „Cavendish“ begnügen. Da sie geschmacklich akzeptiert wird und sich auch noch unbeschadet über die Weltmeere transportieren lässt, wäre dies eigentlich nicht weiter schlimm. Leider geht die Sorte langsam in die Knie, denn ihr setzen immer mehr Schädlinge zu. Mittlerweile hat nicht nur der Bananenrüsselkäfer (Cosmopolites sordidus) aus Südostasien den Sprung in die lateinamerikanischen Anbauzentren geschafft, auch Bananenwurzelnematoden (Radopholus similis), Pilzerkrankungen wie die Schwarze Sigatoka (Mycosphaerella fijiensis) und diverse von Fusarien ausgelöste Welkekrankheiten setzen „Cavendish“ immer heftiger zu. Ertragseinbußen begegnet man daher mit einem immensen Pestizideinsatz. Dies schadet nicht nur den Plantagenarbeitern und der Umwelt, es verursacht auch hohe Kosten. Wenn eine Sorte verbraucht ist, wird sie gegen eine neue, schädlingsresistente ausgetauscht. So löste auch „Cavendish“, die Anfang der 1950er in Südchina entwickelt wurde, die bis dahin übliche „Gros Michel“ ab. Ein würdiger Nachfolger für „Cavendish“ ist noch nicht in Sicht. Experten befürchten, dass die Sorte schon in wenigen Jahren ausgemustert werden muss, falls es nicht gelingt, sie mit neuen Resistenzgenen aufzurüsten. Beim Apfel würde man neuen Krankheiten und Schädlingen mit Resistenzzüchtung begegnen, indem man entsprechende Gene einkreuzt. Doch bei der Banane ist das wesentlich schwieriger. Denn die Früchte bilden sich parthenocarp, d.h. sie entstehen ohne Befruchtung. Deshalb enthalten sie auch keine Samen. Die Blüten der meisten Kulturbananen sind steril. Deshalb kann man verschiedene Bananen auch nicht miteinander kreuzen, um neue, bessere Sorten zu erzielen. Da die zahlreichen und harten Samen der Stammformen die Obst-Banane ungenießbar machen würden, musste man die Stauden seit Anbeginn der Kultur vegetativ durch Schößlinge vermehren. Die „Cavendish“-Stauden stammen von einem einzigen Klon ab und haben daher alle das gleiche Genom – ein gefundenes Fressen für Schädlinge jeder Couleur. Wollte man warten, bis bei den Pflanzen in absehbarer Zeit von selbst passende Mutationen auftreten, die zu Resistenzen führen, kann man genauso gut auf einen Sechser im Lotto hoffen. Facts & Artefacts Bisher griff man vor allem zur Mutationszüchtung, um das Erbgut der Pflanze zu verändern. Meist benutzt man als Strahlungsquelle das radioaktive Cobalt 60. Die bestrahlten Schösslinge werden dann normal vegetativ vermehrt, ausgepflanzt und geprüft. Natürlich lassen sich mit der Mutationszüchtung alle möglichen Eigenschaften beeinflussen, allerdings erfordert dies die Bestrahlung einer riesigen Zahl von Proben, und dann heißt es, auf einen glücklichen Zufall zu hoffen. Aktuell versuchen lateinamerikanische Wissenschaftler dem Windbruch bei der Banane mit Gammastrahlen beizukommen. Tropische Stürme verursachen in den Erzeugerländern erhebliche Verluste, und niedrigere Stauden bieten dem Wind naturgemäß weniger Angriffsfläche. Manchmal hilft auch die Suche nach historischen Sorten weiter. Unter der Leitung von Andreas Bürkert entdeckten Wissenschaftler von der Universität Kassel 2009 im Oman eine ursprüngliche, vermutlich aus Indien stammende Sorte. Diese reagiert auf den Befall mit dem Bananenrüsselkäfer mit einer verstärkten Produktion von Phenylphenalenonen. Und diese Phytoalexine bekommen den Insekten gar nicht. Zumindest ließe sich damit eines der Schlaglöcher im Genom der Banane ausbessern. Doch im Falle der „Cavendish“ ist es praktisch aussichtslos, sie ohne Gentechnik mit den Erbanlagen der Omanbanane auszustatten, denn eine Bestäubung der sterilen Blüten bleibt ein fruchtloses Unterfangen. Und ob Kreuzungsprodukte der Omanbanane mit Sorten, die fruchtbare Blüten tragen, in Farbe, Form, Nährwert, Größe und Geschmack in absehbarer Zeit an „Cavendish“ heranreichen werden, ist eher unwahrscheinlich. Hier bahnt sich ein ernsthafter Zielkonflikt an: Wenn der deutsche Verbraucher auch künftig auf seiner gewohnten Banane und der Forderung nach Gentechnikfreiheit besteht, sollte er sich wieder regionalen Früchten wie Mispeln, Sanddorn oder Hagebutten zuwenden. Literatur Bermúdez-Caraballoso I et al: Mutant plantains (Musa spp.) with height reduction obtained by in vitro mutagenesis. Euphytica 2010; 176: 105-112 Bürkert A et al: Ecology and morphological traits of an ancient Musa acuminata cultivar from a mountain oasis of Oman. Genetic Resources and Crop Evolution 2009; 56: 609-614 Sun D et al: Cloning and analysis of Fusarium wilt resistance gene analogs in ‘Goldfinger’ banana. Molecular Plant Breeding 2009; 7: 1215-1222 EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V • www.das-eule.de 25 26 Facts & Artefacts Verbortes Mineralwasser Mineralwasser wird aufgrund seines Gehaltes an Mineralien geschätzt. Leider können sich darunter auch allerlei giftige Stoffe befinden. Denn in den unterirdischen Wasseradern kommt das edle Nass auch mit mineralischen Giften in Berührung. Dazu zählt das Element Bor. Verbindliche Grenzwerte fehlen. Natürliche Mineralwässer enth alt en teilweise zehnmal mehr Bor als die WHO für Trinkwasser vert retbar hält. (Journal of Consumer Protection and Food Safety 2010; 5: 459-463) Warnung vor Probiotika Kalifornische Pharmazeuten warnen vor dem Einsatz von Probiotika bei Patienten, die unter einer Infektion mit Clostridium difficile leiden. Dabei seien eine Reihe von sekundären Fungämien durch den probiotischen Keim Saccharomyces boulardii aufgetreten. (Emerging Infectious Diseases 2010; 16: 1661-1665) Süße Weine Die Beobachtung von Winzern, dass Weine auch unabhängig von der Zuckermenge eine gewisse Süße entwickeln können, stieß bei Chemikern bislang eher auf Kopfschütteln. Jetzt zeigte sich, dass bei der Autolyse von Weinhefen in der Tat süße Peptide freigesetzt werden. (Journal of Agricultural and Food Chemistry 2011; 59: 2004-2010) Asthma durch Baden Das Umweltbundesamt weist da rauf hin, dass Kinder durch ge chlortes Wasser beim Babyschwim men eine Prädispositon für Asthma entwickeln können. Verantwortlich dafür scheint Trichloramin zu sein. Aufgrund der hygienischen Risiken kann jedoch auf eine Desinfektion des Badewassers nicht verzichtet werden. (Bundesgesund- heitsblatt 2011; 54: 142-144) Folsäure wichtige Krebsursache Baggott JE et al: Meta-analysis of cancer risk in folic acid supplementation trials. Cancer Epidemiology 2012; 36: 78-81 Folsäure gilt als Vitamin, weil es ein Methylgruppendonator ist. Das bedeutet auch, dass es die DNA methylieren kann. Unter Toxikologen gilt dies definitionsgemäß als Voraussetzung für eine krebsfördernde Wirkung. Aus dieser Logik heraus werden Folsäure-Blocker (Antifolate) zur Therapie von Krebs, namentlich Brustkrebs verordnet. Das bekannteste Medikament dieser Art ist Methotrexat. Bei einer Recherche in der Datenbank Pubmed wurden zum Thema Folsäure und Krebs mehr als 1100 Studien identifiziert. Der Datenmüll enthielt immerhin sechs große prospektive Studien von über einem Jahr Dauer, die zur Auswertung herangezogen werden konnten. Wurden supplementierte Personen mit den Placebogruppen verglichen, lag die Krebsrate mit Folsäure im Schnitt um etwa 20 Prozent höher. Das Konfidenzintervall betrug 1.05 – 1.39. Demnach sollte das Resultat verwertbar sein. Bei der Analyse zeigte sich weiter, dass die Krebsrate mit der Dauer der Einnahme anstieg. Anmerkung: Da der Verkauf von Folsäure erhebliche finanzielle Vorteile verspricht, ist zu erwarten, dass die Originaldaten tendenziell zugunsten der Supplementierung verzerrt wurden. Insofern wird der krebsfördernde Effekt der Folsäure derzeit wohl noch unterschätzt. Das Max-Rubner-Institut warnt in einer Pressemitteilung vor Multivitaminsäften, da die Folsäure überdosiert würde, um bei Erreichen des Mindesthaltbarkeitsdatums noch die deklarierten Mengen aufzuweisen. Dadurch würde die tolerierbare Tagesdosis überschritten. (MRI: Frisch abgefüllt – schnell überdosiert. Pressemitteilung vom 12.3.2012) Kräuter statt Bier Begemann K et al: Ärztliche Mitteilungen bei Vergiftungen 2010. BfR, Berlin 2012 Junge Menschen sind naturgemäß daran interessiert, die Welt und ihre Wunder zu erforschen. Dazu gehören auch Erfahrungen mit bewusstseinserweiternden Drogen. Selbstredend achten sie darauf, möglichst risikoarme und legale Produkte auszuprobieren. Aufgrund des guten Rufes von Kräutern stoßen „Kräutermischungen“ auf reges Interesse; namentlich Mixturen, die laut Etikett Bestandteile des Großblättrigen Löwenohrs, des Sibirischen Löwenschwanzes, des Falschen Marihuanas oder des Indian Warriors enthalten sollen. Diesen Pflanzen werden im Internet psychodelische Effekte nachgesagt. Als Mischung gelangen sie meist unter dem Namen „Spice“ oder als „Räuchermischung“ in den Handel. Da Kräutern nichts illegales anhaftet, finden sie lebhaften Zuspruch. Allerdings enthalten die Mixturen in aller Regel nicht die deklarierten Bestandteile, sondern allerlei Laubwerk, dem synthetische Cannabinoide aufgesprüht wurden. Dadurch kommt es zu einer Rauschwirkung, wenn sie als Tütchen geraucht, als Tee getrunken oder per Wasserpfeife inhaliert werden. Da einige dieser synthetischen Cannabinoide eine höhere pharmakologische Potenz aufweisen als THC, der Hauptwirkstoff von Haschisch, werden immer wieder Vergiftungen beobachtet. EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de Facts & Artefacts Gedeckelte Garnelen Van Poucke C et al: Investigation into the possible natural occurence of semicarb azide in Macrobrachium rosenbergii prawns. Journal of Agricultural and Food Chemistry 2011; 59: 2107-2112 Die belgische Lebensmittelüberwachung wunderte sich, dass sie im Gegensatz zu anderen Ländern immer wieder Felsengarnelen (Giant Prawns) wegen Semicarbazidrückständen beanstanden musste. Semicarbazid wurde der deutschen Öffentlichkeit vor einigen Jahren als Rückstand in Babykostgläschen bekannt. Man benötigte die Substanz, um geschäumte Deckel luftdicht abschließen zu können. Darüber hinaus ist sie auch ein Abbauprodukt von Nitrofuranen. Die wiederum werden (oftmals illegal) gegen bakterielle Infektionen bei Geflügel und Garnelen eingesetzt. Zunächst zeigte sich, dass die Untersuchungsergebnisse in anderen Ländern deshalb günstiger ausfielen, weil dort nur das Fleisch untersucht wurde, während die belgischen Chemiker auch die Panzer unter die Lupe nahmen. Darin sind die Semicarbazid-Gehalte aber um ein Vielfaches höher als im Fleisch. Es gab aber noch eine Überraschung: Garnelen, die für experimentelle Zwecke in nitrofuranfreiem Wasser gehältert wurden, bildeten selbst ein klein wenig Semicarbazid. Damit handelt es sich bei dem Umweltgift gleichermaßen um einen Naturstoff. Hungertod durch Heilpflanzen Gurley ES et al: Fatal outbreak from consuming Xanthium strumarium seedlings during time of food scarcity in northeastern Bangladesh. PLoS ONE 2010; 5: e9756 In Bangladesh kam es im Gefolge der schweren Überschwemmun gen zu zahlreichen Todesfällen durch ungewöhnliche Lebensmittelvergiftungen. Um ihren Hunger zu stillen, aßen die Menschen eine beliebte und universell genutzte Heilpflanze, die Gewöhnliche Spitzklette (Xanthium strumarium). Ihre Blätter werden mancherorts als Gemüse konsumiert und ihre Samen bei Nahrungsmangel oft zu Mehl und Brot verarbeitet. Die Pflanze enthält als toxisches Wirkprinzip Carboxyatractylosid. Durch eine Überdosis kam es bei zahlreichen Personen zu Erbrechen, Leberschäden und neurologischen Symptomen, die zunächst zu Bewusstlosigkeit und schließlich zum Tode führten. Anmerkung: Auch wenn in deutschen Lehrbüchern fleißig die Mär von Vitaminmangelzuständen bei Hungersnöten verbreitet wird, handelt es sich meist um Vergiftungen, entweder weil die Menschen Verschimmeltes und Verdorbenes essen oder weil sie in ihrer Not ihre Mägen mit Wildkräutern und fragwürdigen Sämereien füllen. Dass hier Vitamine helfen können, hat ganz andere Gründe: Bei manchen Toxinen, insbesondere bei einigen Schimmelpilzgiften, haben sich einige Vitamine – vor allem aus der B-Gruppe – als Gegenmittel erwiesen. Ballaststoffe floppen Eine niederländische Langzeitstudie, die Männer und Frauen im Alter von 13 bis 36 Jahren untersuchte, fand keinen Zusammenhang zwischen der Ballaststoffaufnahme und der Häufigkeit des Metabolischen Syndroms. Ballaststoffe konnten weder Insulinsensivität noch Übergewicht positiv beeinflussen. (Journal of Human Nutrition and Dietetics 2010; 23: 601-608) Süßer Schwindel Der Süßstoff Sucralose hat eine bittere Nebenwirkung: Er reagiert schnell und effektiv mit Vitamin B12. Da viele gesundheitsbewusste Zeitgenossen auf tierische Lebensmittel verzichten, sind sie grenzwertig damit versorgt. Die Verwendung von Sucralose dürfte also nicht ohne Folgen bleiben. (Food & Chemical Toxicology 2011; 49: 750-757) Synthetisches HDL Die Pharmaindustrie will der Arteriosklerose künftig mit Lipoprotein-Mimetika Paroli bieten. Das sind Stoffe, die beispielsweise das HDL-Cholesterin nachahmen. Mittels Nanotechnologie sollen nun anorganische HDL-Partikel erzeugt werden. Mit diesem enormen Aufwand hofft man die Wirkung des Cholesterins auf synthetischem Wege zum Vorteil des Patienten nachahmen zu können. (Trends in Molecular Medicine 2010; 16: 553-560) Melamin in Gemüse Nicht nur Milch wird in China mit Melamin verfälscht, auch bei Düngemittel soll so ein höherer Stickstoffgehalt vorgetäuscht werden. Das brachte Forscher auf die Idee, einmal zu prüfen, ob Pflanzen entsprechende Rückstände enthalten. In der Tat können Pflanzen Melamin aufnehmen, aber nicht weiter verstoffwechseln. (Zhongguo Turang Yu Feiliao 2010 (1) 11-18) EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de 27 28 Besondere Erkenntnis Ferkel auf’m Pott Die taiwanesische Regierung subventioniert den Bau von Toiletten – und zwar für die Schweine des Landes. Bei den Klos handelt es sich um 20 Zentimeter hohe Stahlkisten mit einem Gitterrost als Deckel, die täglich geleert werden. Sie erinnern ein wenig an das klassische Ein-EimerSystem, wie es vor den Zeiten der Kanalisation bei uns verbreitet war. Nun muss das Borstenvieh aber erst noch davon überzeugt werden, auf die Toilette zu gehen. Um die Ferkel auf den Geschmack zu bringen, wird die Stahlkiste beim ersten Mal mit etwas Kot gefüllt, bevor die Ferkel aufgestallt werden. In den ersten Tagen ist es erforderlich, den Boden des Stalles gründlich zu reinigen. Sobald alle Ferkel gelernt haben, auf ihre Klokiste zu klettern, bevor sie ihr Geschäft verrichten, klappt es dann von ganz alleine. Der Sinn der Übung sind Wassereinsparungen von bis zu 80 Prozent. (Anon: Toiletten für Schweine. DLGMitteilungen 2011; H.4: 9) Suche Job – Finde Ernährungsberaterin So langsam scheinen den Volkserziehern die Beratungswilligen auszugehen, oder wie kommt man sonst auf die Idee, gerade im Arbeitsamt auf Kundenfang zu gehen? Ein Forscherteam der Univeristät Greifswald jedenfalls sieht hier großes Potential. Es befragte fast 800 Arbeitslose, die gerade zum Beratungsgespräch ins Arbeitsamt trotteten. Ergebnis: Arbeitslose rauchen mehr, trinken mehr und greifen häufiger zu illegalen Drogen. Noch dazu sind sie etwas kräftiger gebaut, schließlich suchen mehr Bauarbeiter einen neuen Job als Bankdirektoren. Der BMI ist zudem, welch erstaunliche Erkenntnis, bei älteren Personen höher als bei jüngeren. Und die Alten sind auch nicht wirklich sportbegeistert. Danach befragt, wie sie ihre eigene Gesundheit einschätzen, antworteten knapp 10 Prozent der Arbeitslosen, ihre Gesundheit wäre exzellent, über 20 Prozent fühlten sich sehr gesund, 50 Prozent gesund. Lediglich 13 Prozent beurteilten ihre Gesundheit als passabel und weniger als 5 Prozent als schlecht. Eigentlich sollte das die ForscherInnen froh stimmen. Demnach beeinträchtigen weder die Arbeitslosigkeit noch der Verzicht auf Äpfel das gesundheitliche Selbstwertgefühl nennenswert. Man hätte Schlimmeres erwartet, zumal Sozialwissenschaftler gern beklagen, dass Arbeitslose häufiger krank sind und deshalb eine sozialpädagogische Betreuung benötigen. Wie dem auch sei. Mit diesem Ergebnis ist es schwierig, einen großartigen Beratungsbedarf zu begründen. Da hilft nur noch die Statistik. Also splittete man die Probanden flugs in zwei Gruppen. In der Gruppe 1 (bessere Gesundheit) waren nur Personen, die ihre Gesundheit als ex- zellent oder sehr gut beurteilten. Das trifft für ein knappes Drittel der Teilnehmer zu. Die Gruppe derer, die ihre Gesundheit als „gut“ einschätzten – immerhin die Hälfe aller Teilnehmer – wurde in „schlechtere Gesundheit“ umdefiniert und mit dem Rest in einen Topf geworfen. Und schon waren die Übergewichtigen, Inaktiven und Gemüsemuffel mehrheitlich in dieser Gruppe zu finden. Damit ließen sich wiederum 2/3 der Arbeitslosen als „beratungsbedürftig“ definieren. Die Forscher waren begeistert, dass fast 80 Prozent der angesprochenen Personen die Befragung mitmachten – versuchen Sie das mal in einer Fußgängerzone! Auf die Idee, dass die Menschen froh sind, wenn sie bei dem unangenehmen, meist frustrierenden, mit viel Warterei verbundenen Gang zum Arbeitsamt ein bisschen auf andere Gedanken kommen, sind sie wohl nicht gekommen. Dafür machte diese Erfolgsquote übermütig. Jetzt empfehlen die Forscher, den Arbeitslosen im Job-Center mitzuteilen, wie schlecht es ihnen geht und sie anschließend mit mit Gesundheitserziehungsmaßnahmen zu traktieren, wenn Sie denn schon mal da sind. Denn zum Arbeitsamt müssen sie immer wieder und sind insofern leichte Beute. Dabei wäre es für die Ernährungs- und GesundheitsberaterInnen aus Gründen der Prävention sicherlich gesünder, sie würden, statt in den langen Gängen der Arbeitsämter ihren Opfern aufzulauern, regelmäßig zu körperlicher Gartenarbeit an der frischen Luft im öffentlichen Grün herangezogen. Dort könnten sie beiläufig auch die vielen gesunden Kräuter naschen, die sie ihrer Kundschaft so gern an die Leber legen. Freyer-Adam J et al: Health risk factors and self-rated health among job-seekers. BMC Public Health 2011, 11: e 659 EU.L.E.N-SPIEGEL • Nr. 1 / 2012 • © EU.L.E. e.V. • www.das-eule.de