NN_4_2016

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NN_4_2016
Nützliche Nachrichten 4 / 2016
Dialog-Kreis
„Die Zeit ist reif für eine politische Lösung im Konflikt zwischen Türken und Kurden“
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Redaktion Andreas Buro †, Mani Stenner †, Gisela Penteker, Memo Şahin, Luise Schatz
Redaktionsschluss: 18. April 2016
Dies sind keine Gefangene in Guantanamo oder Gefängnisinsassen von Abu Ghraib im Irak,
sondern Kurden, die die Altstadt von Diyarbakir (Sur) verlassen haben.
Sie wurden ausgezogen und in Siegespose der Presse vorgestellt.
(http://odatv.com/burasi-diyarbakir-0803161200.html, 8.3.16).
Friedenspolitisches Symposium
zur Erinnerung an Andreas Buro
Inhalt
Friedenspolitisches Symposium zur Erinnerung an Andreas Buro
Stoppt den Kreislauf der Gewalt in der Türkei!
Erdoğans Krieg gegen die Kurden
Türkei: Eskalierende Gewalt und Menschenrechtsverletzungen
Ohne Kommentar: Staatsterror in Cizre
Ausgangssperre in Yüksekova und Nusaybin
Idil nach 44 Tagen Zerstörung
Erdoğans Krieg gegen Kurden
„Nicht länger Schweigen!“ An alle Journalist_innen der Welt
Abstimmung über Aufhebung der Immunität
HDP Co-Vorsitzender Demirtas zu Gast in Berlin
Operationsgebiete entvölkern und zerbomben
Bericht zur BI/EGBW Delegationsreise im Februar 2016 in die Türkei
Erdoğans Medienpolitik „beunruhigt“ Obama König von Jordanien: Türkei schickt Terroristen nach Europa
Flüchtlingscamp für sunnitische Syrer inmitten alevitischen Gebiets
US-Regierung kritisiert Menschenrechtslage in der Türkei Türkische Hoteliers fürchten Touristenschwund
Das EU-Türkei-Abkommen ist rechtswidrig
Wegen Satire Botschafter einbestellt
Merkel erlaubt Böhmermann-Ermittlungen Verfassungsrichter Bertrams zu Böhmermann-Satire „Die Verbrechen begeht Erdoğan“
Offizieller Comic verherrlicht Märtyrer-Rolle
Freiheit für alle politischen Gefangenen
Erdoğan-Anhänger machen mobil
„Wir waren nicht mal so viel Wert wie Tiere“
Konstituierender Rat der föderalen demokratischen
Einheit von Rojava – Nordsyrien
Gespartes für Gutes
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Sonntag, 19. Juni 2016
Frankfurt, Saalbau Bockenheim
Schwälmer Str. 28, 60486 Frankfurt
Veranstalter: Komitee für Grundrechte und Demokratie,
Ärzte gegen den Atomkrieg – IPPNW,
Netzwerk Friedenskooperative, Dialogkreis,
Friedens- und Zukunftswerkstatt
11.00 Uhr
Begrüßung: Martin Singe,
Grundrechtekomitee
11.15 Uhr
Dr. Volker Böge, Friedensforscher:
Erinnerung an Andreas Buro:
Persönliches und Politisches
12.00 Uhr
Prof. Dr. Hanne-Margret Birckenbach,
Friedens- und Konfliktforscherin:
Friedenslogik statt Sicherheitslogik –
Zur Zukunft ziviler Konfliktbearbeitung
12.45 Uhr
Prof. Dr. Egbert Jahn, Friedensforscher:
Zivile Konfliktbearbeitung als Mittel zur
Kriegsprävention, Kriegsbeendigung
oder Nachkriegsgestaltung
13.30-14.30 Uhr Mittagspause
14.30-15.30 Uhr Podiumsgespräch:
Chancen ziviler Konfliktbearbeitung
im Nah-Mittel-Ost-Konflikt
mit Memo Sahin, Dialog-Kreis
Dr. Gisela Penteker, IPPNW,
Prof. Dr. Werner Ruf, Friedensforscher
Moderation: Dr. Matthias Jochheim, IPPNW
15.30-16.30 Uhr Podiumsgespräch: Zur Zukunft ziviler
Konfliktbearbeitung – wie realistisch ist
eine Überwindung der Militärpolitik
der Bundesrepublik bzw. eine
Zurückdrängung der militärischen
Interventionspolitik?
mit: Prof. Dr. Hanne-Margret
Birckenbach, Prof. Dr. Egbert Jahn,
Susanne Grabenhorst, IPPNW
Moderation: NN
16.30-17.00 Uhr Kurzstatements in Erinnerung
an Andreas Buro /
Filmmitschnitt aus Rede
17.00-18.00 Uhr Möglichkeit zur Begegnung
Anmeldung erwünscht:
martinsinge@grundrechtekomitee.de
Nützliche Nachrichten 4 /2016
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Stoppt den Kreislauf der Gewalt
in der Türkei!
Aufruf an die deutsche Bundesregierung und die Europäische Union
Heute wenden sich acht deutsche Friedensorganisationen
angesichts des erneuten Krieges im Südosten der Türkei an
die Bundesregierung.
Er findet weitgehend abseits der Aufmerksamkeit der
internationalen Öffentlichkeit statt – Terroranschläge, der
Krieg in Syrien und die Flüchtlingsfrage dominieren die
Tagesordnung.
Aber angesichts der Gewalt und der Menschenrechtsverletzungen in den vom Krieg zwischen türkischer Regierung und PKK betroffenen Regionen fordern wir, dass die
deutsche und europäische Politik nicht länger wegsehen
darf. Wir haben eine Petition gestartet, die unter
https://weact.campact.de/p/UrgentCallTurkey unterzeichnet werden kann.
Ein Hintergrundtext zu dem Thema ist auf unserer
Website zu finden: http://www.soziale-verteidigung.de/
international-gewaltfrei/stoppt-den-kreislauf-der-gewaltin-der-tuerkei/
Schließen Sie sich folgender Petition an, indem Sie
die Online-Petition zeichnen.
Die Petition
Sehr geehrter Herr Außenminister Steinmeier,
Angesichts der Gewalt und der Menschenrechtsverletzungen in der Türkei, vor allem den vom Krieg zwischen
türkischer Regierung und PKK betroffenen Regionen in der
Osttürkei, darf die deutsche und europäische Politik nicht
länger wegsehen. Wir fordern Sie
auf:
» Die Parteien des Konfliktes, insbesondere die
türkische Regierung und die PKK, zu einem
sofortigen Waffenstillstand und zur Wiederaufnahme
der Friedensgespräche aufzurufen;
» Die türkische Regierung aufzufordern, allen internationalen Menschenrechtsabkommen nachzukommen,
denen die Türkei beigetreten ist, und alle Maßnahmen
zu unterlassen, die die Zivilbevölkerung zum Teil
des Konflikts macht;
» Alle Waffenlieferungen in die Region zu stoppen;
» Alle Möglichkeiten in der Europäischen Union,
der OSZE und dem Europarat zu nutzen, um den
Menschenrechten für alle Bürgerinnen und Bürger
in der Türkei sowie allen sich dort aufhaltenden
Flüchtlingen Geltung zu verschaffen;
» Die OSZE einzuschalten und eine Beobachtungsmission zu entsenden.
Stoppt
den Kreislauf
der Gewalt in
der Türkei!
Zum Hintergrund
Im August 2015 begann erneut der gewaltsame Konflikt
zwischen der türkischen Regierung und bewaffneten kurdischen Gruppen in der Türkei, nachdem im Juli 2015 der türkische Präsident Erdoğan den Friedensprozess mit der PKK
aufgekündigt hatte. Damit wurden erste Ergebnisse eines
bereits bestehenden Friedensprozesses zunichte gemacht.
Opfer ist die Zivilbevölkerung.
Die türkische Armee setzt willkürlich Panzer und
schwere Waffen ohne Rücksicht auf die Zivilbevölkerung
ein. Stadtviertel werden bombardiert. Hunderte von Toten,
wochenlange Ausgangssperren in mehrheitlich von KurdInnen bewohnten Städten und Regionen sowie schwere
Menschenrechtsverletzungen haben zu einer humanitären
Krise geführt. Zudem nimmt die Türkei gleichzeitig die
kurdischen Siedlungsgebiete in Syrien unter Beschuss. Die
Lage wird sich wahrscheinlich verschlimmern, wenn die
Gewalt auf beiden Seiten nicht gestoppt werden kann.
Die deutsche Regierung schaut aber weg, im Verbund
mit der Europäischen Union. Sie hoffen, dass die türkische
Regierung Flüchtlinge davon abhalten wird, die EU zu erreichen, und die Außengrenzen schließt. Sie wollen auch das
NATO-Mitgliedsland Türkei nicht verärgern, das ein wichtiger NATO-Stützpunkt für den Krieg gegen den IS in Syrien
und Irak ist. Mit dieser Politik riskieren die europäischen
Regierungen eine neue Flüchtlingstragödie.
Am 16. Februar 2016 erklärte die Berichterstatterin der
Europäischen Union, Kati Piri, kurz nach ihrem Besuch in
Diyarbakır: „Im Südosten der Türkei mussten schätzungsweise 400.000 Menschen wegen der heftigen Kämpfe ihre
Häuser verlassen. In einigen Städten dauern die Ausgangssperren seit mehr als zwei Monaten an.“ Kati Piri ruft die
Europäische Union zudem auf, sich für einen sofortigen
Waffenstillstand und die Wiederaufnahme des türkisch-kurdischen Friedensprozesses einzusetzen.
Die Petition wurde initiiert von:
Bund für Soziale Verteidigung
Connection e.V.
Deutsche Friedensgesellschaft – Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG-VK)
Dialog-Kreis „Die Zeit ist reif für eine politische Lösung im
Konflikt zwischen Türken und Kurden“
Internationaler Versöhnungsbund – Deutscher Zweig
Komitee für Grundrechte und Demokratie
pax christi – Diözesanverband Limburg
War Resisters‘ International
https://weact.campact.de/petitions/stoppt-denkreislauf-der-gewalt-in-der-turkei
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D E R K O M M E N TA R
Erdoğans Krieg gegen die Kurden
Dr. Gisela Penteker
Trotz aller Sicherheitsbedenken hat sich auch in diesem
Jahr eine Gruppe von acht Personen als Delegation der
IPPNW auf den Weg in den Südosten der Türkei gemacht.
Wir führten Gespräche in Ankara, Diyarbakir, Mardin,
Cizre und Viransehir mit Parlamentariern, Journalisten, Gewerkschaftern und Menschenrechtlern, mit Taxifahrern und
Menschen auf der Straße. Wir spürten Wut, vor allem aber
Ratlosigkeit und Angst vor einem großen Krieg.
Mit vorher nicht vorstellbarer Grausamkeit kämpft
die türkische Regierung seit Monaten gegen die kurdische
Bevölkerung. Über soziale Medien erreichen uns auch in
Deutschland Bilder und Berichte über die Zerstörungen in
kurdischen Städten, es gibt sogar ein paar gute Fernsehdokumentationen. Trotzdem ist hier über den (Bürger)krieg
zwischen Kurden und Türken wenig bekannt. Die PKK gilt
den meisten als Terrororganisation und ihre Bekämpfung
wird im Rahmen des internationalen Krieges gegen den
Terror für richtig und notwendig gehalten. Leider ist zu
befürchten, dass sich bei der PKK und ihren kurdischen
Unterstützern die Hardliner durchsetzen und sie so spätestens mit Beginn des Frühlings ihrem Ruf gerecht werden.
Mehrere unserer GesprächspartnerInnen kritisieren, dass
die jugendlichen Barrikadenbauer mit ihrem bewaffneten
Widerstand dem Präsidenten erst den Vorwand für seinen
Angriff auf die Zivilbevölkerung in den Städten geliefert
hätten. Die dabei ausgeübte Gewalt durch Spezialeinheiten, Polizei und Militär ist allerdings völlig unverhältnismäßig. Gegen etwa 200 bewaffnete Aufständische stehen
15.000 bis 20.000 Soldaten. Mit schwerer Artillerie beschießen sie die betroffenen Stadtviertel und zerstören anschließend Haus für Haus. Fassungslos standen wir in den
Trümmern von Cizre, in denen Menschen mit versteinerten
Gesichtern nach den spärlichen Resten ihrer Habe suchten.
Am Tag unserer Abreise erfuhren wir durch die Medien,
dass die zerstörte Altstadt Sur von Diyarbakir weitgehend
von der Regierung beschlagnahmt wurde. Präsident
Erdoğan und Ministerpräsident Davutoglu haben angekündigt, die kurdischen Städte nach der „Säuberung“ schnell
und modern wieder aufzubauen. Uns schaudert bei dem
Gedanken an die neuen Hochhausviertel am Rande der
Städte Mardin und Diyarbakir, die mit kurdischer Tradition
und Lebensweise so gar nicht vereinbar sind. Die kurdischen Bürger haben Angst, dass in ihren Städten vermehrt
sunnitische, arabische Flüchtlinge aus Syrien angesiedelt
und so eine demografische Verschiebung zugunsten der
Regierungspartei AKP erreicht werden soll.
Viele Kurden sehen sich in einem Vernichtungskrieg.
Etwa 400.000 Menschen haben schon ihre Wohnungen ver-
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lassen oder verloren. Viele wollen nur noch weg aus der Region, da sie keine Hoffnung auf ein Leben in Frieden mehr
haben. Hier könnte sich eine neue Fluchtwelle nach Europa
ankündigen. Europas Politiker verschließen die Augen vor
dem Krieg, der hier stattfindet. Ihre Komplizenschaft mit
dem „Psychopathen von Ankara“, wie eine Gesprächspartnerin den Präsidenten nennt, wird von den Menschen mit
Bitterkeit kommentiert. Insbesondere die Wahlhilfe für
Erdoğan durch den Besuch von Frau Merkel im Wahlkampf
stößt auf heftige Kritik.
Die meisten Menschen, die wir treffen, sind überzeugt,
dass Erdoğan sie und die ganze Türkei ins Verderben führen
wird. Er habe sich alle Nachbarn zu Feinden gemacht, er
habe das Präsidialsystem, das er politisch nicht durchsetzen
konnte, einfach eingeführt und schere sich den Teufel um
bestehende Gesetze.“ Erdoğan ist das Gesetz und die AKP
ist der Staat“.
Die Polarisierung der Gesellschaft ist so weit fortgeschritten, dass niemand einen Ausweg erkennen kann.
Selbst ein erfahrener Politiker wie Ahmet Türk, der schon
viele Höhen und noch mehr Tiefen erlebt hat, wirkt ratlos
und verzweifelt. Ohne den auf der Gefängnisinsel Imrale
isolierten Abdullah Öcalan und ohne eine Vermittlung
durch eine integre Person oder Gruppe von außen, die
sowohl das Vertrauen der Menschen in der Türkei als auch
der USA und Europas genießt, sieht er sein Land in Blut und
Chaos versinken.
Vor den Wahlen im Juni 2015 schien es einen Konsens
darüber zu geben, dass die Kurdenfrage nur politisch gelöst
werden kann. Jetzt gehen die Stimmen der besonnenen
Politiker im Kriegsgetöse unter. Herr Öcalan, der vielleicht
noch Gehör finden könnte bei den jungen Kämpfern,
ist seit April 2015 schon wieder völlig isoliert auf seiner
Gefängnisinsel. Weder Familie, noch Anwälte oder gar
Vertreter der kurdischen Parteien haben Kontakt zu ihm.
Die Presse des Landes ist zunehmend gleichgeschaltet. In
Erwartung der Frühjahrsoffensive der PKK werden weitere
Polizei-, Militär- und Spezialeinheiten in die kurdischen
Gebiete verlegt.
Ein besorgter Bürger mit türkischem Hintergrund
rief bei mir an und bat mich, mit unseren Berichten nicht
zur weiteren Polarisierung beizutragen. Das ist sicher ein
berechtigtes Anliegen. Aber wenn wir berichten, müssen
wir das Unrecht beim Namen nennen und trotzdem einen
Ausweg aus der Spirale der Gewalt suchen.
Prof. Maserat und andere versuchen schon lange, eine
KSZMNO, eine Konferenz für Sicherheit und Zusammenarbeit im Mittleren und Nahen Osten ins Gespräch zu bringen. Bisher wird der Gedanke von der Politik nicht aufgegriffen. Stattdessen werden weiter Waffen in die Region
geliefert und Deals zur Flüchtlingsabwehr geschlossen, die
alle menschenrechtlichen und humanitären Verpflichtungen außer Acht lassen.
4
EREIGNIS-KALENDER
Türkei: Eskalierende Gewalt und
Menschenrechtsverletzungen
von War Resisters‘ International (WRI)
Einleitung
Seit August 2015 eskaliert der Konflikt zwischen der
türkischen Regierung und kurdischen Gruppen in Türkei-Kurdistan in einer neuen Spirale der Gewalt. Das hat zu
Hunderten von Toten auf beiden Seiten geführt und eine
zunehmende humanitäre Krise ausgelöst, die von schweren
Menschenrechtsverletzungen begleitet wird. Diese reichen
von willkürlicher Haft bis zu außergerichtlichen Ermordungen. Nur wenige Monate zuvor, am 28. Februar 2015, war
von der Regierung und der pro-kurdischen Demokratischen Partei des Volkes (HDP – Halkların Demokratik Partisi)
ein Zehn-Punkte-Friedensplan (Dolmabahçe Abkommen)
bekannt gegeben worden. 1 Das Abkommen war, so die
Berichte, von der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK - kurdische
Guerilla Partiya Karkerên Kurdistanê) unterstützt worden,
nachdem es bereits seit 2013 einen zerbrechlichen Waffenstillstand gab. Aber nach den allgemeinen Wahlen im Juni
2015, bei denen die regierende Partei für Gerechtigkeit und
Entwicklung (AKP – Adalet ve Kalınma Partisi) die absolute
Mehrheit verfehlte und die HDP in das Parlament einzog,
begann der Friedensprozess zu zerfallen.
Am 17. Juli 2015 erklärte Präsident Erdoğan (AKP),
dass er „unter keinen Umständen die Vereinbarungen des
Dolmabahçe Abkommens akzeptiere“ und dass „ein Abkommen nicht mit denen gemacht werde, die sich auf eine
terroristische Organisation (PKK) stützen. 2 Seitdem, wie der
führende Analyst für die Türkei der Internationalen Krisengruppe (ICG - International Crisis Group), Nigel Göksel, ausführt, „stellt Präsident Recep Tayyip Erdoğan eine Dekade
der Öffnung auf den Kopf, greift zurück auf Maßnahmen,
die Erinnerungen an die militärisch-dominierten 1990er
Jahre wachrufen. Am 28. Juli forderte er die Aufhebung der
Immunität der Abgeordneten, die die HDP anführen; zwei
Tage später wurden Ermittlungen gegen sie aufgenommen
wegen „Aufhetzung zur Gewalt und terroristischer Propaganda“. 3 Seitdem existiert in den kurdischen Provinzen der
Türkei Krieg und Unterdrückung.
Wahlen und zunehmende Spannungen
Bis zum 7. Juni 2015, den allgemeinen Wahlen, führten die
auf beiden Seiten eskalierenden Spannungen noch nicht zu
einem bewaffneten Konflikt. Als während des Wahlkampfes
klar wurde, dass die HDP die 10 Prozent-Hürde für den
Einzug ins Parlament schaffen würde, stiegen die gewaltsamen Angriffe gegen Büros der HDP und ihre UnterstützerInnen dramatisch an. 4 Das erreichte seinen Höhepunkt
während einer Demonstration der HDP in Diyarbakır – nur
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zwei Tage vor den Wahlen – wo bei einer Explosion vier
Menschen starben und Hunderte verwundet wurden. 5
Das Wahlergebnis war für Erdoğan und seine regierende Partei, die AKP, ernüchternd. Es war das erste Mal in
den letzten 13 Jahren, dass die AKP nicht genügend Sitze
erhalten hatte, um alleine eine Mehrheitsregierung zu
bilden. Der unerwartete Wahlerfolg der HDP war dafür eine
wesentliche Ursache. Die HDP erhielt 13,1 % der Stimmen,
übersprang nicht nur die 10 %-Hürde, sondern erhielt auch
80 Sitze im Parlament. 6 Ohne die Mehrheit der AKP war
auch offensichtlich, dass Präsident Erdoğan die von ihm geplanten Verfassungsänderungen nicht durchsetzen konnte,
mit denen er unter der Bezeichnung „Präsidentialsystem“
die Macht in seinem Amt konzentrieren wollte.
Unter diesen Umständen setzte Erdoğan auf eine Strategie einer kurzfristig angesetzten Neuwahl, mit der seiner
Überzeugung nach die AKP die notwendige Mehrheit im
Parlament wiedergewinnen könnte. Die ideologischen
Differenzen im neuen Parlament gaben ihm die Gelegenheit für eine Taktik, z.B. nur den Führer der AKP mit einem
Mandat zur Bildung einer Koalitionsregierung zu beauftragen, um zu verhindern, dass in der verfassungsmäßig
vorgeschriebenen Zeit tatsächlich eine Koalitionsregierung
gebildet werden konnte. Damit war der Weg für ihn frei,
Neuwahlen anzusetzen, die später auf den 1. November
2015 terminiert wurden.
Um eine Mehrheitsregierung nach der zweiten Wahl
stellen zu können, war für Erdoğan und die AKP insbesondere entscheidend, die Unterstützung für die HDP und
damit deren Stimmen einzudämmen. Der Krieg gegen
die PKK wurde wieder entfacht, um so die Möglichkeit zu
haben, die HDP mit der Bezeichnung „Unterstützer des
Terrors“ zu versehen und damit zu marginalisieren.
Eskalierende Gewalt in der Region
Am 20. Juli 2015 beging ein Selbstmordattentäter in Suruç
in der Nähe der syrischen Grenze ein Attentat gegen junge
SozialistInnen, die zusammengekommen waren, um nach
monatelangen Angriffen durch die ISIS den Wiederaufbau
in Kobane zu unterstützen. 33 Personen starben, viele wurden verwundet. 7
Am 22. Juli 2015 wurden zwei Polizisten in Ceylanpınar,
Şanliurfa, von kurdischen Kämpfern getötet. 8
Am 23. Juli 2015 wurde von der anderen Seite der
Grenze in Kilis das Feuer eröffnet und ein Soldat wurde
getötet. Es wurde erklärt, dass das Feuer von ISIS-Kräften
eröffnet worden sei. Kurze Zeit später bombardierten türkische Kampfflugzeuge den Ort, wo diese Kräfte stationiert
waren.
Am 24. Juli 2015 begannen Kampfflugzeuge die
Bombardierung der Kandilberge, wo die PKK ihre Lager hat.
Die PKK erklärte nun, dass „der Waffenstillstand keinen Sinn
mehr mache“.
5
Diese Erklärung markiert das Ende des 2013 erklärten
Waffenstillstandes zwischen dem türkischen Staat und der
kurdischen Guerilla. Nach zwei Jahren Hoffnung auf einen
dauerhaften Frieden in der Region kehrten Krieg und bewaffnete Konflikte in die Region zurück. Kurz nach diesen
Entwicklungen im Juli eskalierten die bewaffneten Konflikte und stiegen an auf eine katastrophalen Level, mit Auswirkungen auf Tausende von Zivilpersonen in den kurdischen
Provinzen der Türkei.
Krieg und Menschenrechtsverletzungen richten
sich auch gegen Zivilpersonen
Seit August 2015 verfolgt die AKP-Regierung eine Sicherheitspolitik, die schwere Verletzungen der Grundrechte
und -freiheiten in den Provinzen und Bezirken beinhalten,
die vor allem von KurdInnen bewohnt werden. Die große
Zahl der in die Region entsandten Sicherheitskräfte, die
Anzahl von Panzern und bewaffneten Fahrzeugen und die
Größe und der Umfang der Operationsgebiete zeigen, dass
die Vorbereitung dieser Maßnahmen schon lange zuvor
begonnen hatte. 9 Die PKK und die kurdische Bevölkerung
setzte als Antwort auf diese Vorbereitungen defensive Maßnahmen um, wie z.B. das Ausheben von Gräben und den
Bau von Barrikaden. Das verbanden sie in einigen Städten
wie Varto, Gever, Cizre, Silopi, Silvan und Nusaybin mit der
Erklärung sich „selbst zu verwalten“.
Schließlich wurden über 1,3 Millionen EinwohnerInnen
in den Stadtzentren und Bezirken von Şırnak, Mardin, Diyarbakır, Hakkari, Muş, Batman und Elazığ lang andauernde
und wiederholte Ausgangssperren auferlegt.
Während der in einigen Bezirken und Provinzen
weiterhin noch bestehenden Ausgangssperren und Operationen:
1. Wurden mehr als 186 Zivilpersonen, darunter Frauen,
Kinder und ältere Menschen, getötet, viele wurden verletzt. 10 Die zivilen Opfer sind Folge von Schüssen von
Sicherheitskräften auf den Straßen oder in den Häusern, von Geschütz- oder Artilleriebeschuss der Häuser
und von gesundheitlichen Notfällen, die aufgrund der
Ausgangssperren nicht medizinisch behandelt werden
konnten.
2. Wurden Wohnhäuser sowie Gebäude und Denkmäler
des historischen und kulturellen Erbes zerstört und
beschädigt. Hunderttausende Personen wurden vertrieben. 11 Wohngebiete wurden durch Beschuss von
Panzern, Artillerie und durch Bomben niedergebrannt
und gesprengt. Viele Zivilpersonen wurden unter den
Trümmern ihrer zerstörten Häuser verschüttet.
3. Konnten Werk- und Arbeitsstätten nicht öffnen, Geschäfte gingen in Konkurs und das soziale Leben brach
zusammen.
4. Wurde mit Eingriffen in das Telefonnetz das Recht auf
Information und Kommunikation eingeschränkt.
Nützliche Nachrichten 4 /2016
5. Wurden LehrerInnen aus der Region fortgeschickt und
die Schulen auf unbestimmte Zeit geschlossen.
6. Wurde die Gesundheitsfürsorge eingestellt. Damit
wird das Recht auf Zugang zu Gesundheitsleistungen
für Kranke, Kinder, Frauen und ältere Personen ernsthaft verletzt. Die Zahl der Anfragen an Krankenhäuser
und Notambulanzen sind um 90 % zurückgegangen.
7. Wurden Gesundheitszentren, Krankenhäuser und
andere Gesundheitseinrichtungen zu Militär- und
Polizeistandorten umfunktioniert. 12
8. Gibt es anhaltende Angriffe gegen Krankenpfleger(innen). 13
9. Können verletzte Zivilpersonen im Notfall nicht von
Krankenwagen und medizinischen Teams erreicht
werden. 14
10. Eröffnen die Sicherheitskräfte das Feuer auf diejenigen, die versuchen, Leichname zu bergen. 15 Deshalb
verbleiben die Leichname von getöteten Zivilpersonen
tagelang auf den Straßen. Es gibt Berichte über sich
zersetzende, durch wildlaufende Hunde verstümmelte
Leichname.
11. Weigern sich Sicherheitskräfte, die Leichname den
Familien zu übergeben. Beerdigungen sind verboten
und Leichname werden ohne Teilnahme und Genehmigung der Familien verbrannt. 16
12. Wurde die notwendige Versorgung der Zivilbevölkerung versagt, darunter auch der Zugang zu Grundbedürfnissen nach Essen und Wasser.
13. Gibt es willkürliche Verhaftungen. Zivilpersonen
wurden in Untersuchungshaft sowie außerhalb von
offiziellen Haftzentren und Polizeistationen gefoltert.
14. Werden Vergehen nicht sofort und öffentlich untersucht. Verfahren und Strafverfolgung von Angehörigen der Sicherheitskräfte, die an Vergehen beteiligt
sind, sind damit nicht möglich. Die Politik des Sonderrechts wird ausgeweitet und intensiviert.
15. Ist im gegenwärtigen Klima des Krieges Druck und
Zensur weit verbreitet, so dass es schwierig ist, richtige
und korrekte Informationen zu erhalten. 17
16. Sind alle zivilen Antikriegsbewegungen und Friedensgruppen einer Politik der Unterdrückung und
Einschüchterung seitens Erdoğan und Staatsvertretern
ausgesetzt. 18
17. Wurde Tahir Elçi, ein namhafter Menschenrechts- und
Friedensaktivist und Vorsitzender des Rechtsanwaltsvereins Diyarbakır, von der Polizei während einer
Pressekonferenz ermordet. Er hatte darin gegen die
Zerstörung eines historischen Denkmals im Bezirk Sur
in Diyarbakır protestiert. 19 Kurz vor seinem Tod erklärte
Tahir Elçi, die „PKK ist keine terroristische Organisation“.
Er war daraufhin einer Verleumdungskampagne der
Regierung und der Medien ausgesetzt. 20 Der Zugang
zu den Unterlagen über die Ermittlungen über seinen
6
Tod wurde eingeschränkt, Beweise wurden unterdrückt oder zerstört, um die Polizisten zu schützen, die
an seinem Ermordung beteiligt waren.
Obwohl die Ausgangssperren mit Verweis auf Artikel
11/C des Provinzverwaltungsgesetzes erklärt wurden, sind
sich die Juristen weitgehend einig darüber, dass das genannte Gesetz den zuständigen Gouverneur nicht berechtigt, ein Verbot zu verhängen, das die Rechte und Freiheiten
der ganzen Bevölkerung der Stadt oder Ortschaft derartig
einschränkt. 21 Nach Artikel 13 der Verfassung kann solch
eine Einschränkung nur durch „Gesetz“ ausgesprochen
werden. Die Erklärung einer Ausgangssperre durch Anweisung des Gouverneurs ist verfassungswidrig. Es ist sehr
beunruhigend, dass solch eine Maßnahme mit Auswirkungen auf eine beträchtliche Zahl von Bürgern, die in einer
bestimmten Region des Landes wohnen, völlig außerhalb
der parlamentarischen und rechtlichen Kontrolle erfolgt.
Sicherheitskräften ist es in bewohnten Gebieten, für
die kein Notstand oder Kriegsrecht erklärt wurde, aufgrund
der Verletzung des Prinzips, nur absolut notwendige Maßnahmen umzusetzen, nicht gestattet, schwere Waffen und
Gerät zu benutzen, ohne zuvor die Evakuierung der zivilen
Bevölkerung sicherzustellen. Bei Planung, Durchführung
und Kontrolle von Einsätzen, die angeblich dem Schutz der
Zivilbevölkerung vor unrechtmäßiger Gewalt dienen sollen,
ist nicht zu akzeptieren, wenn willkürliche und unangemessene Gewalt angewandt wird, die sich nicht in Übereinstimmung mit der Sorgfaltspflicht eines Staates in einer
demokratischen Gesellschaft befindet. Die todbringende
Gewalt, die gegenwärtig in den obengenannten Provinzen
und Bezirken von der Regierung der Türkei angewandt
wird, stellt eine grobe Verletzung des Prinzips der Verhältnismäßigkeit dar zwischen dem beabsichtigten Ziel und
der Gewalt, die für diese Ziele in einer demokratischen
Gesellschaft benutzt wird.
Obwohl es möglich gewesen war, die Zivilbevölkerung
aus der Konfliktregion zu bringen und ihr Recht auf Leben
zu schützen ohne sie zu Opfern zu machen. sind sie doch
durch tagelange Bombardierungen gezwungen, aus ihrem
Lebensumfeld zu fliehen. Nach vorliegenden Informationen befinden sich im Bezirk Sur in Diyarbakır von ursprünglich 25.000 nur noch 5.000–6.000 Personen. Medien
berichten, dass die Regierung die Sanierung der Region
Suriçi plant, die evakuiert wurde. 22 Diese Projekte zielen
darauf, die sozio-demografischen Strukturen der Stadt zu
ändern, sie zerstören die historische und kulturelle Struktur
und brechen das soziale Gedächtnis. Die Regierung begeht
auch ein Verbrechen dadurch, dass sie die widerständige
Bevölkerung, die seit Tausenden von Jahren in Kurdistan
lebt, und nun in ihrem Lebensraum kriminalisiert wird,
voneinander trennt.
Schlussfolgerungen
Obwohl die türkische Regierung sich darauf beruft,
„den Terror zu bekämpfen“ und versucht „die Angehörigen
der separatistischen Terrororganisationen zu fassen“, findet
tatsächlich ein Krieg gegen die eigene Bevölkerung statt.
Er hat zu weit verbreiteten Menschenrechtsverletzungen in
der Region geführt. Allein in der Zeit, in der dieser Bericht
geschrieben wird, wurden mehr als 20 Personen verwundet, darunter auch Kinder. Einige von ihnen sind schwer
verletzt und wurden in einem Keller in Cizre für mehr als
eine Woche festgehalten, während eine ganze Reihe von
Toten neben ihnen lagen. Sie hatten keinen Zugang zu
medizinischer Versorgung. 23 Trotz verschiedener dringender Aufrufe an die Sicherheitskräfte, den Verletzten medizinische Hilfe zukommen zu lassen, wurde dies verwehrt. Mit
dem Tod eines 16-jährigen, der mehr als eine Woche ohne
medizinische Versorgung überlebt hatte, stieg die Zahl
der Toten im Keller am 30. Januar auf sieben an. 24 Währenddessen hatten elf Frauen versucht, das Gebäude
zu erreichen, um die Verletzten dort herauszuholen. Sie
wurden von der Sondereinsatzpolizei verhaftet, die die
Ausgangssperren und die Sicherheitsoperationen in der
Stadt durchführt. 25
Fußnoten
1 Nigar Göksel: A New Cycle Begins in Turkey-PKK Conflict, blog.
crisisgroup.org, 11. August 2015, http://blog.crisisgroup.org/
europe-central-asia/2015/08/11/a-new-cycle-begins-in-turkey-pkk-conflict/
2 Daily Sabah: Erdoğan renounces Dolmabahçe declaration, says
HDP should try its best for PKK‘s disarmament, 17. Juli 2015, www.
dailysabah.com/kurdish-issue/2015/07/17/erdogan-renounces-dolmabahce-declaration-says-hdp-should-try-its-best-for
-pkks-disarmament
3 Nigar Göksel: A New Cycle Begins in Turkey-PKK Conflict, blog.
crisisgroup.org, 11. August 2015, http://blog.crisisgroup.org/
europe-central-asia/2015/08/11/a-new-cycle-begins-in-turkey-pkk-conflict/
4 Nach Angaben der Türkischen Menschenrechtsstiftung TİHV
wurden 2015 insgesamt 417 Gebäude der HDP angegriffen. Im
Vergleich dazu gab es 11 Angriffe gegen die regierende Partei AKP
und 4 gegen die wichtigste Oppositionspartei. Zwischen dem
6. und 8. September 2015 gab es zur gleichen Zeit mehr als 100
systematische Angriffe gegen Gebäude der HDP an verschiedensten Orten, bei denen Mitglieder der Osmanlı Ocaklar im Hintergrund agierten, einer rechten islamischen und nationalistischen
Gruppe, die der Regierung nahe steht.
5 www.theguardian.com/world/2015/jun/05/two-explosions-kurdish-peoples-democratic-party-rally-turkey; www.bbc.co.uk/
news/world-europe-33035450
6 Eine Übersicht der Wahlergebnisse vom 7. Juni 2015 findet sich
unter www.theguardian.com/world/live/2015/jun/08/turkey-election-2015-ruling-party-loses-majority-as-pro-kurdish-hdp-gainsrolling-report
Nützliche Nachrichten 4 /2016
7
7 Die Regierung hielt erneut die ISIS für verantwortlich für diesen
nahe Zeitungen davon und sagten, dass „ein Angehöriger der PKK
Angriff. www.independent.co.uk/news/world/middle-east/su-
während eines Konflikts getötet worden sei.“ Yurals Körper blieb
ruc-bombing-suicide-bomber-identified-10404689.html
tagelang im Leichenschauhaus bis er im Garten der nahegelege-
8 Die PKK erklärte zunächst, sie sei für diesen Angriff verantwortlich
als Vergeltung für den Selbstmordattentäterangriff in Suruç. Spä-
nen Moschee verbrannt wurde.
14 Trotz einer Einstweiligen Verfügung des Europäischen Gerichts-
ter wurde diese Erklärung zurückgezogen. Der Anschlag sei von
hofes für Menschenrechte (EGMR) starben zwei von drei Perso-
einer Gruppe namens Apocu Fedailer verübt worden, die nicht Teil
nen, die durch Feuer der Sicherheitskräfte verletzt worden sind,
der PKK ist. www.diken.com.tr/pkk-yoneticisi-karayilan-ceylanpi-
weil ihnen eine medizinische Behandlung verwehrt wurde. Der
nardaki-iki-polis-resmi-birimlerimizce-oldurulmedi
16-jährige Hüseyin Paksoy, auf den am 15. Januar 2016 geschos-
9 Nach Berichten nationaler Medien, wenn auch nicht offiziell
sen wurde und der auf eine Behandlung wartete, starb wegen
anerkannt, befinden sich etwa 10.000 Sicherheitskräfte in jedem
Blutverlusts am 18. Januar 2016. In gleicher Weise erging es dem
der Bezirke (Sur, Cizre, Silop) unter Ausgangssperre. Es ist auch
Verletzten Serhat Altun. Er starb nach zwei Tagen aufgrund feh-
bekannt, dass Hunderttausende gepanzerte Fahrzeuge (Panzer,
lender medizinischer Behandlung. Als bekannt wurde, dass Herr
Kanonen usw.), die speziell zur Kriegsführung konstruiert sind, in
Altun am 20. Januar 2016 gestorben war, wollte eine Gruppe von
die genannten Bezirke geschickt wurden.
Zivilisten, darunter der HDP-Abgeordnete Faysal Sarıyıldız und
10 Zwischen dem 16. August 2015 und dem 19. Januar 2016 waren in
stellvertretende Bürgermeister von Cizre, zum Todesort gehen, um
insgesamt 7 Provinzen (Diyarbakır, Şırnak, Mardin, Hakkâri, Muş,
den Leichnam aufzunehmen. Die Polizei eröffnete das Feuer und
Elazığ und Batman) und zumindest in 19 Bezirken mindestens 58
verwundete zehn von ihnen. Zwei der Verwundeten, Abdülhamit
Tage offiziell anerkannte unbeschränkte Ausgangssperren in Kraft.
Poçal und Selman Erdoğan starben im Anschluss.
Zumindest bei 1 Million und 370.000 Menschen waren das Recht
Siehe: http://sendika8.org/2016/01/cizrede-vurulan-imc-tv-kame-
auf Leben und der Zugang zu Gesundheitsdiensten verletzt. Nach
ramani-tekin-yaraliyken-iskence-gorduk/ und www.imctv.com.
Angaben des Dokumentationszentrums der türkischen Mensche-
tr/kameraman-refik-tekin-sivillere-ates-acildigi-anda-kayittaydi/.
rechtsstiftung TİHV starben innerhalb von 5 Monaten 186 Zivil-
Siehe auch die Einstweilige Verfügung des EGMR für einen weite-
personen (29 Frauen, 40 Kinder, 27 Personen über 60 Jahre) nur in
ren Verwundeten, Orhan Tunç; www.imctv.com.tr/aihmden-cizre-
den Zeiten der Ausgangssperren. Nach Angaben der Dokumenta-
de-yarali-olan-orhan-tunc-icin-de-tedbir-karari
tionsstelle des Menschenrechtsvereins İHD wurden zwischen dem
15 Der Leichnam von Taybet İnan, einer 57-jährigen Frau, die am
24. Juli 2015, als der Konflikt begann, und dem 6. Januar 2016, 259
19. Dezember 2015 durch Schüsse der Sicherheitskräfte starb,
Zivilpersonen durch offenes Feuer von Soldaten, Polizisten und
während sie von einem Besuch bei einer Nachbarin zurückkehrte,
Dorfschützern getötet. 134 von ihnen waren zivile Oper in Bezirken, die unter Ausgangssperren standen. 12 Zivilpersonen starben
lag acht Tage lang mitten auf der Straße.
16 Die türkische Regierung verfügte mit einer Neufassung des Foren-
2016 in Sur, Cizre und Silopi während der Ausgangssperren. Nach
sisch-medizinischen Erlasses vom 7. Januar 2016, dass Leichname,
Angaben des Informationszentrums der HDP wurden bis zum
die nicht innerhalb von drei Tagen von ihren Familien wegge-
6. Januar 2016 wegen der Ausgangssperren 152 Personen getötet.
bracht worden sind, durch die städtischen oder Regierungsbehör-
11 Die Moschee „Kurşunlu“ (die Bleierne Moschee), die zwischen
1516 und 1520 gebaut wurde und nach ihrer mit Blei versehenen
den verbrannt werden.
17 Can Dündar, Chefredakteur der Tageszeitung Cumhuriyet, und
Kuppel benannt wurde, befindet sich in der Konfliktzone in Sur,
Erdem Gül, Vertreter der gleichen Zeitung für das Büro in Ankara,
Diyarbakır, und wurde niedergebrannt. Die armenische Kirche
die darüber berichtet hatten, das der Geheimdienst MİT Waffen an
Surp Giragos und die armenisch katholische Kirche in Sur wurden
die syrische Opposition geliefert habe, wurden am 27. November
schwer beschädigt. die Stadtmauer von Diyarbakır, aufgeführt
2015 verhaftet, weil sie „geheime Dokumente zur Sicherheit
in der Liste der UNESCO für das Weltkulturerbe, das viertürmige
des Staates veröffentlicht haben mit dem Ziel der politischen und
Minarett und die Karanwanserei, die während der Zeit des Groß-
militärischen Spionage und Propaganda für terroristische Organi-
wesirs Rustem Pascha gebaut wurden, sind ebenfalls bedroht.
sationen“, obwohl sie keine Mitglieder der genannten Organisati-
12 Zum Beispiel wurden Scharfschützen auf dem Dach des Staatlichen Krankenhauses Cizre platziert und gepanzerte Fahrzeuge
onen sind.
18 Am 11. Januar 2016 unterzeichneten 1.400 AkademikerInnen, da-
im Eingang des Krankenhauses. Auch die Mund- und Zahnstation
runter 1.128, die an türkischen Universitäten arbeiten eine Erklä-
und das Gebäude des Gesundheitsamtes in Şırnak wurden zu
rung, in der sie zur Aufhebung der Ausgangssperren aufrufen und
Lagern umfunktioniert.
die Regierung auffordern, Bedingungen für eine friedliche Beile-
13 Der Krankenpfleger Adülaziz Yural, Mitglied der SES (Gewerk-
gung des Konflikts zu schaffen. (...mehr) Unter den Unterzeichner-
schaft der Gesundheits- und Sozialarbeiter) und Freiwilliger im
Innen sind Akademiker und Vordenker wie Noam Chomsky, David
Referenzzentrum in Cizre, wurde am 30. Dezember 2015 durch
Harvey, Immanuel Wallerstein, Judith Butler und Etienne Baliba.
einen Schuss in die Stirn getötet, als er in der Straße, in der er
Präsident Erdoğan gab daraufhin sofort eine Stellungnahme her-
lebte, einer verletzten Frau medizinische Hilfe leisten wollte. Eine
aus, in der er die UnterzeichnerInnen zu Zielen erklärte, woraufhin
Untersuchung nach seinem Tod zeigte, dass die Kugel von oben
durch die Medien eine landesweite Verleumdungskampagne und
nach unten eindrang. Am folgenden Tag berichteten regierungs-
Hexenjagd gegen die AkademikerInnen begann. Einige Rassisten
Nützliche Nachrichten 4 /2016
8
und ultranationalistischen Führer von kriminellen Organisationen
wurden durch das Verhalten der Behörden und der Medien gestärkt und bedrohten die AkademikerInnen mit dem Tod. Zudem
Ohne Kommentar:
Staatsterror in Cizre
wurden behördliche und staatsanwaltliche Ermittlungen gegen
die AkademikerInnen aufgenommen, einige von ihnen wurden
verhaftet.
19 www.bbc.co.uk/news/world-europe-34952954; www.hurriyetdailynews.com/hdp-co-chair-certain-that-bullet-from-police-weapon-killed-tahir-elci.aspx?pageID=238&nID=91922&NewsCatID=338
20 www.amnesty.org/en/documents/eur44/2719/2015/en/
21 Batman Bar Association Bulletin, p.6-8; www.batmanbarosu.org.
tr/Ebultenler/72/6/assets/common/downloads/publication.pdf
Siehe auch: www. birikimdergisi.com/guncel-yazilar/7331/hukuka-uygun-olmayan-sokaga-cikma-yasagi-hukuka-aykiri-midir#.
Vq9CwNJ97IU
22 www.hurriyet.com.tr/sura-kentsel-donusum-40034036;
www.milliyet.com.tr/sur-a-4-milyar-liralik-donusum-gundem-2173525/
Alltag in Cizre nach türkischem Staatsterror
23 http://dckurd.org/2016/01/26/condition-of-25-injured-trapped-in-a-basement-in-cizre-deteriorating/
24 www.bbc.com/turkce/haberler/2016/01/160130_cizre_yaralilar; Siehe auch das Interview mit einem der Personen, die im
Keller eingeschlossen waren: www.bbc.com/turkce/multimedya/2016/01/160126_aud_selincizre
25 www.diken.com.tr/cizrede-yaralilari-almak-icin-yuruyuse-gecen-11-kadin-gozaltina-alindi/
(War Resisters International: Escalating Violence
and Rights Violations of Civilians in Turkey, 31.1.2016.
Übersetzung: rf. Auszüge. Das Dokument wurde zusammengestellt unter Beteiligung von AktivistInnen der WRI aus der
Türkei. Der Beitrag wurde veröffentlicht in: Connection e.V.
und AG »KDV im Krieg« (Hrsg.): Rundbrief »KDV im Krieg«,
Ausgabe Februar 2016; www.connection-ev.org/article-2219)
Staatsterror türkischer Art
Können die Bewohner in Cizre das vergessen?
Nützliche Nachrichten 4 /2016
9
Hier wohnten mehrere Familien mit Kindern
Wird dieses Kind das Erlebte vergessen? Wird er, wenn er in
die Berge geht, auch von Europa als Terrorist abgestempelt?
Wenn ja, mit welchem Recht?
Gestern und heute. Vergangenheit und Gegenwart. Opa hat das
gleiche mehrmals erlebt. Nun ist sein Enkel dran. Wie lange noch?
Diese Blicke werden nie verzeihen!
Wer hat verloren? Diese mutige Frau oder die türkischen
Staatsterroristen?
Wem gehört die Zukunft in Cizre? Diesen Kindern oder
dem Terrorstaat?
Nützliche Nachrichten 4 /2016
Drei Generationen, gekennzeichnet vom Staatsterror
Was denken diese Menschen?
Werden sie sich dem Staatsterrorismus beugen?
10
Kann noch eine gemeinsame Zukunft der Türken und Kurden auf
diese Schutthaufen gebaut werden?
Unter Trümmerhaufen leben Menschen
(ANF, Cizre, Fotos von Ferhat Arslan, 7. bis 9. März 2016)
Nützliche Nachrichten 4 /2016
11
Ausgangssperre
in Yüksekova und Nusaybin
Nach einem Artikel in Radikal vom 13. März 2016 unter dem
Titel Yüksekova (Gever) ve Nusaybin'de (Nisêbin) sokağa
çıkma yasağı! wurde in Yüksekova und Nusaybin nun auch
eine Ausgangssperre angeordnet. (…) Zuvor hatte es in
Nusaybin eine Ausgangssperre zwischen dem 21. und
24. Dezember 2015 gegeben.
Das Portal T24 präsentierte am 14. März 2016 in einer
Meldung unter Nusaybin ve Yüksekova'da 20 bin asker ve
polisle operasyon başlatıldı unter Berufung auf eine Nachricht bei Hürriyet, dass bei den militärischen Operationen in
Nusaybin und Yüksekova 20.000 Soldaten eingesetzt werden. Man habe ca. 2.000 Ziele identifiziert, unter denen sich
Häuser und Schulen befänden, die von der PKK als Stützpunkte benutzt werden. In Yüksekova gebe es 10 Häuser,
die von der Organisation besetzt seien. Es wird erwartet,
dass sich die Operationen bis zu den Grenzen mit dem Iran
und Irak ausweiten, da auch die logistische Unterstützung
aus den Ikiyaka Bergen unterbunden werden soll.
In einem Kommentar in der Tageszeitung Radikal
vom 14. März 2016 geht der Journalist Oral Çalışlar unter
dem Titel Yüksekova auf die Befürchtungen der Einwohner
von Yüksekova ein. Mit einigen von ihnen habe er sich am
Vortage in Istanbul getroffen. Sie berichteten, dass nach
den Parlamentswahlen am 7. Juni 2015 dort eine Selbstverwaltung ausgerufen worden sei. Parallel dazu seien Gräben ausgehoben worden. Bei den Wahlen im letzten Jahr
erreichte die Halkların Demokratik Partisi (HDP = Demokratische Partei der Völker) 94 % der Stimmen. Die HDP stellt
alle 3 Abgeordneten der Provinz Hakkari. (…)
Seit Juli letzten Jahres habe die Jugendorganisation
der PKK, YDG-H in allen Teilen der Stadt mit der Ausnahme
der Hauptstraße die Vormacht inne. Nach einer Lösung
gefragt, machte Oral Çalışlar den Bewohnern von Yüksekova den Vorschlag, dass eine Delegation von Organisationen
der zivilen Gesellschaft eine Delegation zusammenstellen
und von den bewaffneten Mitgliedern der YDGH verlangen könnten, dass sie Barrikaden beseitigen und die Stadt
verlassen sollten. Bei einem Telefonat stellte sich heraus,
dass dies bereits geschehen sei, aber die YDGH'ler hätten
die Forderung abgelehnt. Große Zerstörungen durch das
unvermeidliche Eingreifen des Militärs scheinen daher
unausweichlich zu sein.
Laut einer Meldung in Radikal vom 22. März 2016 mit
der Überschrift İHD: Yüksekova'da siviller için koridor açılmalı hat die Zweigstelle Hakkari des Menschenrechtsvereins İnsan Hakları Derneği (IHD) eine Pressekonferenz abgehalten und dabei auf folgende Fakten hingewiesen: Schon
vor Beginn der Ausgangssperre in der Kreisstadt Yüksekova
am 13. März 2016 habe der Verein durch Gespräche mit
den Parteien der zu erwartenden Auseinandersetzungen
Nützliche Nachrichten 4 /2016
Gespräche geführt, um zivile Opfer zu vermeiden. Inzwischen seien 90% der Bevölkerung geflohen und es hielten
sich nur noch 13.000 Menschen in dem Ort auf. (Nach dem
Zensus von 2014 hatte der Kreis 117.440 Einwohner, DTF.)
Der IHD habe sich auch für 200 Menschen eingesetzt, die
im Stadtteil Zagros festgesetzt waren und dafür gesorgt,
dass die Zivilisten den Ort verlassen konnten.
(Demokratisches Türkeiforum e. V., info@tuerkeiforum.net,
www.tuerkeiforum.net)
Idil nach 44 Tagen Zerstörung
12
(http://anfturkce.net/kurdistan/idil-den-ilk-kareler, 31.3.16)
sprengte unsere Vorstellungskraft“.
Hinter den massiven Zerstörungen von Stadtvierteln
in der Altstadt von Diyarbakir, in Cizre und anderen Städten
stecke – so wurde der Gruppe immer wieder mitgeteilt –
offenbar eine gezielte Strategie der Regierung Erdoğan:
Durch die Vertreibung mehrerer tausend prokurdischer
Wählerinnen und Wähler aus den HDP-Hochburgen sowie
der geplanten Ansiedlung von vielen Tausend sunnitischer
syrischer Flüchtlinge möchte die Regierung Erdoğan die
Demographie in den kurdischen Gebieten der Türkei massiv verändern.
Die Kurdengebiete erlebten derzeit eine Arabisierung
sowie eine Islamisierung durch den Bau neuer Moscheen.
Diese Politik, die einhergehe mit schwersten Menschenrechtsverletzungen und der Einschränkung der Pressefreiheit werde durch die Milliarden-Überweisungen der EU an
die Türkei auch noch unterstützt.
Die Unterstützung von Flüchtlingen in der Türkei
sei wichtig und richtig, allerdings dürfe diese nicht dazu
führen, dass dadurch die kurdische Bevölkerung getötet
oder vertrieben wird. Alle Gesprächspartner betonten
übereinstimmend, dass die Rückkehr zum 2013 begonnenen türkisch-kurdischen Friedensprozess das Gebot der
Stunde sei, andernfalls drohe die Türkei in Krieg und Chaos
zu versinken.
Um den abgebrochenen Friedensprozess wiederzubeleben, bräuchte es eine Vermittlung von außen, unterstützt
insbesondere von der EU und den USA, die erheblichen
Einfluss auf das NATO-Land Türkei haben, so Ahmet Türk,
landesweit bekannter Oberbürgermeister der Großstadt
Mardin.
(IPPNW, PM, 24.3.16)
IPPNW
Erdoğans Krieg gegen Kurden
K A M PA G N E
Nach der Rückkehr von einer zweiwöchigen Reise nach
Ankara sowie in die Südosttürkei kritisiert eine achtköpfige
IPPNW-Reisedelegation unter Leitung von Dr. Gisela Penteker die aktuellen 24-Stunden-Ausgangssperren sowie den
massiven Kriegseinsatz der türkischen Streitkräfte gegen
die kurdische Zivilbevölkerung in mehreren Städten der
Südosttürkei.
„In vielen unserer Gespräche bezeichneten unsere
Dialogpartner es als Skandal, dass die EU-Politik wegen der
besonderen Rolle der türkischen Regierung in der Flüchtlingsfrage bisher zum Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung weitgehend schweigt. Speziell die deutsche
Bundesregierung wird wegen massiver Rüstungsexporte
in die Türkei als Unterstützung dieser Gewaltpolitik wahrgenommen“, so Dr. Gisela Penteker, die nach dem Besuch
in Cizre schockiert war: „Was wir an Leid erfahren und an
Zerstörung ganzer Straßenzüge in Cizre gesehen haben,
Nützliche Nachrichten 4 /2016
„Nicht länger Schweigen!“
An alle Journalist_innen der Welt
ISKU Informationsstelle Kurdistan e.V., Rojava
Seit Monaten sind die Stadt Nisêbîn (türk. Nusaybin) und
viele weitere Städte in Bakur (Nordkurdistan) einem barbarischen Krieg durch die türkische Armee ausgesetzt. Die
türkische Armee hat unfassbare Verbrechen und Gewalttaten gegen die Menschlichkeit des kurdischen Volkes
begangen. Hinzu werden in den betroffenen Städten die
Häuser der Einwohner_innen zerstört und niedergebrannt.
Die türkische Regierung unterdrückt auch die freien
Medien, die solche Verletzungen aufdecken wollen. Sie
verschließen all jenen Journalist_innen die Tür, die aus
dem Ausland kommen, um die Wahrheit in den kurdischen
13
Abstimmung
über Aufhebung der Immunität
ISKU Informationsstelle Kurdistan e.V., Türkei
Städten aufzudecken. Der türkische Präsident Recep Tayyip
Erdoğan wiederum droht Journalist_innen, egal ob Türk_
innen, Kurd_innen oder aus sonst einem Land stammend,
mit Konsequenzen, wenn diese versuchen, Fakten und
von der Armee begangenen Verbrechen aufzudecken. Er
lässt seinen Drohungen auf vielen Wegen Taten folgen.
Die Kampagne „Nicht länger Schweigen!“ wurde am 03.
April 2016 von Journalist_innen in Rojava und auf Initiative
von Journalist_innen der Vereinigung der Freien Medien
gegründet, um das Schweigen der Weltmedien und der
internationalen Gemeinschaft über die Geschehnisse
in der Stadt Nisêbîn, dem Gegenstück der in Nordsyrien
gelegenen Stadt Qamişlo und auch den anderen Städten in
Nordkurdistan, zu brechen.
Die Journalist_innen der Kampagne waren in der Lage,
von der syrischen Seite aus die Verletzungen der türkischen
Armee mit ihren Kameras zu dokumentieren. Sie beobachteten die Bombardements, Zerstörungen und das Abbrennen der Häuser. Außerdem wurde dokumentiert, wie
Granaten von türkischer Seite abgefeuert und in Qamişlo
einschlugen, was zu Toten und großem materiellen Schaden in der Stadt führte.
Die Kampagne „Nicht länger Schweigen!“ appelliert an
alle Journalist_innen der Welt, ihre moralische und menschliche Rolle einzunehmen und daran zu arbeiten, diese
gegen die kurdische Zivilbevölkerung gerichteten Übergriffe und Verbrechen in den Städten Nordkurdistans/Türkei
der Weltöffentlichkeit aufzudecken. Wörtlich heißt es: „Wir
laden Sie ein, Rojava (Westkurdistan) und die Stadt Qamişlo
zu besuchen, um diesen, vor den Augen der Welt vom türkischen Militär geführten, barbarischen Krieg auf die Stadt
Nisêbîn, welche ein Beispiel ist für das, was in den anderen
Städten Nordkurdistans passiert, zu dokumentieren.“
Die Vereinigung der freien Medien und die Kampagne „Nicht länger Schweigen!“ sind bereit, allen Journalist_innen und Menschenrechtsorganisationen, die Rojava
besuchen und die Übergriffe aufdecken wollen, logistische
Ausrüstung zu Verfügung zu stellen.
Kampagne „Nicht länger Schweigen!“ – Rojava
YRA – Vereinigung der Presse von Rojava
(http://civaka-azad.org/aufruf-der-kampagne-nichtlaenger-schweigen-an-alle-journalist_innen-der-welt/;
ISKU, 16.4.16)
Nützliche Nachrichten 4 /2016
Voraussichtlich am 20. April soll im türkischen Parlament
über die Aufhebung der Immunität von Abgeordneten
abgestimmt werden. Ein Gesetzentwurf der AKP über einen
Zusatz zum Paragraphen 83 der türkischen Verfassung,
der die Immunität von Abgeordneten regelt, soll diesen
Paragrafen „vorübergehend“ außer Kraft setzen. So soll der
Weg frei gemacht werden, „einmalig die Immunität aller
Abgeordneten aufzuheben“.
Allerdings ist in der Türkei jedem klar, dass es sich
dabei vor allem um die Aufhebung der Immunität der
Abgeordneten der Demokratischen Partei der Völker HDP
handelt. Da der Antrag ein Gesetz betrifft, das Teil der türkischen Verfassung ist, ist, wenn sie es nicht zu einem Referendum kommen lassen wollen, die AKP auf Unterstützung
der anderen Parteien angewiesen. Die Chefs von MHP und
CHP, Bahçeli und Kılıçdaroğlu haben ihre Unterstützung bereits zugesagt, Kılıçdaroğlu allerdings mit dem Zusatz, dass
ihm sehr wohl klar sei, dass „das Gesetz ein Verstoß gegen
die Verfassung ist“.
Der Co-Vorsitzende der HDP, Selahattin Demirtaş, kommentierte das Einverständnis zwischen AKP, CHP und MHP
dann auch mit den Worten: „Die Parteien der Opposition
sind vor dem Palast auf die Knie gegangen“, und bezeichnete die anstehende Abstimmung als im Parlament „historisch“ und appellierte an das Gewissen aller Abgeordneten,
das Richtige zu tun.
Die HDP gab dann auch eine schriftliche Erklärung ab,
nach der sie den Vorstoß der AKP in Sachen Aufhebung der
Immunität als „einen weiteren Stein im seit dem 7. Juli 2015
voranschreitenden Staatstreich des Palastes“ sieht, der „die
Grenzen der Gewaltenteilung mehr und mehr verwischen
lässt und letztlich auch die Liquidierung des Parlaments
beabsichtige“. „Sollte die Verfassung in der von der AKP
vorgesehenen Weise geändert werden, dann wäre das ein
Wendepunkt für die Türkei. Der Putsch von 12. September
(1980) hat die Türkei Jahrzehnte gekostet. Die Aufhebung
der Immunität wird in gleicher Weise der Türkei viele Jahre
kosten“ heißt es in der Erklärung der HDP.
14
Just in dem Moment, wo also alles geregelt zu sein
scheint, melden sich allerdings einige Abgeordnete der
CHP zu Wort. Die Abgeordneten der CHP Eren Erdem,
Sezgin Tanrıkulu, Fikri Sağlar, Mahmut Tanal, Barış Yarkadaş,
İlhan Cihaner, Hilmi Yarayıcı und Mehmet Tüm erklären
offen, sie werden dem Gesetzesentwurf nicht zustimmen,
ja sogar, dass sie bei der Abstimmung mit Nein stimmen
werden. Manche halten die Gesetzesänderung für eine
Wiederholung des „Staatsstreichs vom 2. März 1994“ und
meinen damit die Aufhebung der Immunität der Abgeordneten der kurdischen DEP, andere vermuten darunter einen
Schachzug Erdoğans, der sich bei Zeiten des Gesetzes
bedienen könnte, um sich unliebsamer Abgeordneter aller
Parteien entledigen zu können.
Der Vorstoß der Abgeordneten der CHP führte dazu,
dass ein als sicher geglaubtes Ergebnis nun wieder in Frage
gestellt wird. Einige Kommentatoren fragen sich bereits,
ob nicht auch damit zu rechnen sei, dass einige Abgeordnete der AKP bei der Abstimmung vom Vorstoß ihrer Partei
abspringen könnten oder finden es fraglich, ob die AKP
überhaupt der Unterstützung von auch nur 12 Abgeordneten der CHP sicher sein kann. Und diese benötigt sie selbst
in dem Falle, wenn alle Abgeordneten ihrer Partei und die
der MHP dem Entwurf zu stimmen. Es kann also noch viel
geschehen bis zur Abstimmung.
ANF, Cumhuriyet, 13./16.04.2016, ISKU
vom stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden Hişyar Özsoy,
der Co-Bürgermeisterin von Diyarbakir Gültan Kışanak und
dem HDP-Europavertreter Eyyüp Doru begleitet.
Die Gespräche verliefen allesamt sehr positiv. Neben
der Flüchtlingskrise, wurde vor allem der Rückschritt in
der Türkei, in Bezug auf demokratische Grundrechte zur
Sprache gebracht. Sämtliche Gesprächspartner erklärten
sich kritisch gegenüber dem Verhalten des türkischen
Staatspräsidenten Erdoğan und der türkischen AKP-Regierung hinsichtlich der Einschränkung von Meinungs- und
Pressefreiheiten und der drohenden Immunitätsaufhebung
von den Abgeordneten der HDP-Fraktion.
(http://civaka-azad.org/hdp-co-vorsitzender-selahattindemirtas-fuer-diplomatische-gespraeche-zu-gast-in-berlin/)
GASTBESUCH
HDP Co-Vorsitzender Demirtas
zu Gast in Berlin
Am 11. und 12. April 2016 führte eine Delegation der
Demokratischen Partei der Völker (HDP) um deren Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş unter der Organisation vom
Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit
e.V. diplomatische und politische Gespräche mit verschiedenen Vertretern der deutschen Bundesregierung und der
Oppositionsparteien.
Es kam u.a. zu Treffen mit dem deutschen Bundesaußenminister Frank Walter Steinmeier, dem Bundestagspräsidenten Nobert Lammert, der Vize-Präsidentin des deutschen Bundestages Claudia Roth, dem Vizekanzler und SPD
Vorsitzenden Sigmar Gabriel, dem außen- und sicherheitspolitischen Berater der Bundeskanzlerin Christoph Heusgen, dem Co-Vorsitzenden der Grünen Cem Özdemir und
den Co-Vorsitzenden der Linksfraktion Sarah Wagenknecht
und Dietmar Bartsch.
Die Delegation der Demokratischen Partei der Völker
wurde neben dem Co-Vorsitzenden Selahattin Demirtaş
Nützliche Nachrichten 4 /2016
„ A N T I - T E R R O R - S T R AT E G I E “
Operationsgebiete entvölkern
und zerbomben
Der türkische Staatspräsident Erdoğan scheint gewillt,
im Krieg gegen die kurdische Zivilbevölkerung radikalere
Wege einzuschlagen. Nachdem bereits sein Vorschlag,
„PKK-Anhängern“ die türkische Staatsbürgerschaft zu entziehen, breite Wellen geschlagen hatte, erläutert Erdoğan
bei einem Treffen, zu dem er die Gemeindevorsteher aus
verschiedenen Provinzen der Türkei nach Ankara geladen hatte, seine neue Idee. Der türkische Staatspräsident
erklärt, dass es durch Sprengfallen in den Reihen der
türkischen Sicherheitskräfte zu großen Verlusten komme
und man diese Verluste nur hinnehmen müsse, weil man in
besonderer Weise auf das Wohlbefinden der Zivilbevölkerung achte. Die Lösung aus diesem scheinbaren Dilemma
erläutert er mit folgenden Worten: „Wenn nötig, sollten wir
die Gebiete, in denen die Operationen stattfinden, vollstän15
dig räumen und die unbewohnbaren Wohnungen von der
Ferne sprengen.“
Angriffe des türkischen Staates in Nisêbîn,
Gever und Silopî
Bereits bei der Belagerung der Stadt Cizîr (Cizre) hat der
türkische Staat die Strategie des „Entvölkerns und Wegbombens“ geprobt. So wurde die Bevölkerung der belagerten Stadtteile zunächst durch wochenlang anhaltende
Ausgangssperren aufgerieben und zur Flucht gedrängt,
bevor diejenigen, die sich weigerten zu gehen, grausam
massakriert wurden. Rund 150 Menschen kamen bei den
Angriffen des türkischen Staates allein in Cizîr ums Leben,
hunderte Häuser sind unbewohnbar. Die Bilder aus der
Stadt gleichen denjenigen der zerstörten Städte in Syrien.
Ähnlich schlimm ist der Zustand auch in Sur, der historischen Altstadt von Amed (Diyarbakir).
Diese Strategie will nun der türkische Staatspräsident
auch in den Städten Nisêbîn (Nusaybin), Gever (Yüksekova)
und Silopî (Silopi) umsetzen. In allen drei Städten halten
die Angriffe der staatlichen Sicherheitskräfte an. Es kommt
immer wieder zu Auseinandersetzungen mit den Zivilen
Verteidigungseinheiten (YPS – Yekîneyên Parastina Sivîl),
die ihre Stadtteile gegen die Angriffe des türkischen Staates
zu schützen versuchen. Laut Angaben der YPS werden die
türkischen Sicherheitskräfte bei ihren Angriffen auch von
Dschihadisten, die entweder dem IS oder der Al-Nusra
Front zuzuordnen sind, unterstützt. Mehrere Dschihadisten
seinen bereits bei den Kämpfen getötet worden.
Sieben Tote in Silopî an einem Tag –
Einwohner fliehen vor den Angriffen
In der Stadt Silopî sind bei den Angriffen des türkischen
Staates alleine am 6. April mindestens sechs Zivilisten
ermordet worden. Die türkischen Sicherheitskräfte setzten am Vormittag zwei Stadtteile unter Raketenbeschuss.
Mehrere Wohnungen, in denen sich zum Zeitpunkt des
Beschusses Zivilisten aufhielten, wurden dabei getroffen.
Nach dem Tod der sieben Personen begannen die Einwohner der Stadt ihre Häuser zu verlassen und zu fliehen. Rund
50 Einwohner aus Silopî, darunter auch Mitglieder der
Demokratischen Partei der Regionen (DBP), wurden zudem
durch die Polizei festgenommen.
1.000 Türkische Spezialeinsatzkräfte
möchten versetzt werden
Unterdessen wurde bekannt, dass rund 1.000 Mitglieder der Spezialeinsatzkräfte der Polizei einen Antrag auf
Versetzung in eine andere Abteilung gestellt haben. Dabei
handelt es sich um Polizeikräfte, die seit Anbeginn der Ausgangssperren im Kampf gegen die kurdische Bevölkerung
eingesetzt werden. Die Betroffenen beklagen, Probleme in
der Verwaltung, zu geringe Ausruhzeiten und mangelhafte
Nützliche Nachrichten 4 /2016
Verpflegung. Zum Teil werde man zu 48 Stunden anhaltenden Operationen gezwungen. Insgesamt mache sich das
Gefühl breit, dass sie nun für die Fehler, die im Lösungsprozess gemacht wurden, büßen müssen. Ercan Taştekin,
Vorsitzender des türkischen Think-Tanks für die Untersuchung von Sicherheitsstrategien (GÜSAM), erklärt vor dem
Hintergrund dieser Meldung, dass die Spezialeinsatzkräfte
das Gefühl haben, dass ihr Leben für wertlos gehalten
werde und man sie als menschliche Minensuchgeräte
missbrauche.
(PM von Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für
Öffentlichkeitsarbeit, 7.4.16,
http://civaka-azad.org/erdogans-neue-anti-terrorstrategie-operationsgebiete-entvoelkern-und-wegbomben/)
Trotzt allem blüht die Natur, Batman/Kurdistan,
© ANF – Ferhat Arslan
Bericht zur BI/EGBW
Delegationsreise im Februar 2016
in die Türkei
Manfred Brinkmann
Vom 15.–18. Februar 2016 fand auf Einladung der türkischen Bildungsgewerkschaft Egitim Sen eine Delegationsreise von EGBW und Bildungsinternationale nach Ankara
statt. An der Delegation unter Leitung der britischen EGBW
Präsidentin und Generalsekretärin der National Union of
Teachers (NUT) nahmen Kolleginnen und Kollegen von
neun BI-Gewerkschaften aus Großbritannien, Frankreich,
Schweden, Dänemark, Niederland, Griechenland, Zypern
und Deutschland teil. Für die GEW nahmen Süleyman Ates
und Manfred Brinkmann an der Delegation teil.
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Ziel der Reise war es, ein Zeichen der Solidarität mit
Egitim Sen und gegen eine weitere Eskalation der Gewalt zu setzen sowie vor Ort Informationen zu sammeln,
um Öffentlichkeit herzustellen über die Situation in den
Kriegsgebieten der Türkei. Ursprünglich sollte das Delegationsprogramm auch nach Diyarbakir in den Südosten
der Türkei führen, was aber aufgrund von Reisewarnungen
verschiedener Außenministerien geändert wurde, sodass
alle Gespräche in der türkischen Hauptstadt stattfanden.
Zu den Gesprächspartnern während des sehr dichten
viertägigen Programms gehörten
»» Egitim Sen Generalsekretärin Sakine Esen Yilmaz,
Egitim Sen Präsident Kamuran Karaca, KESK Präsident
Lami Özgen und weitere Vorstandsmitglieder der
Bildungsgewerkschaft
»» VertreterInnen des Dachverbands der Ärztekammern
((http://www.ttb.org.tr/en/)
»» VertreterInnen der Menschenrechtsorganisation INSAN HAKLARI DERNEGI/KOMELAYA MAFEN MIROVAN
(http://en.idh.org.tr/)
»» Lehrerinnen und Lehrer aus den umkämpften Städten
Diyarbakir Sur, Silvan, Nusaybin, Cizre and Silopi
»» UnterzeichnerInnen des AkademikerInnen-Aufrufs für
den Frieden (http://barisicinakademisyenler.net/)
»» Leiter der EU-Delegation in der Türkei, Hansjörg Haber,
und weitere MitarbeiterInnen der EU-Delegation
»» Die Sozialreferentin der deutschen Botschaft in
Ankara, Ute Gohla, und weitere MitarbeiterInnen der
Botschaft
»» Eine Lehrerin und Verletzte des Anschlags mit mehr
als 100 Toten in Ankara im Oktober 2015 gegen eine
Friedensdemonstration
Die Reise bot die Möglichkeit zu Informationen aus
erster Hand und vermittelte einen tiefen Einblick in die Situation der von Krieg und Gewalt betroffenen Menschen im
Südosten der Türkei. Egitim Sen hatte dazu ein Video vorbereitet und Zahlen und Fakten zusammengetragen. Mehr
als 1.500 Schulen sind geschlossen, 360.000 Schülerinnen
und Schüler können nicht zur Schule gehen, fast 17.000
Lehrerinnen und Lehrer dürfen nicht unterrichten. Etwa
15.000 Schülerinnen und Schüler können keine Abschlüsse
machen. Schulen und andere öffentliche Gebäude werden
von Polizei und Militär besetzt und in die Kriegsstrategie
einbezogen. In den Klassenzimmern schreiben die Militärs
an Schultafeln: „Jetzt machen wir hier Bildung“ Lehrer werden von Sicherheitskräften bedroht: „Warum habt ihr nicht
AKP gewählt?“
Mit Tränen in den Augen und sichtlich traumatisiert
berichteten Lehrerinnen und Lehrer aus Diyarbakir, Cizre
und Silopi von den Gräueln, die sie in ihren Städten erlebt
hatten. Bis Anfang Februar wurden 224 tote Zivilisten gezählt, darunter Kinder und Frauen. Leichen liegen tagelang
auf den Straßen und können nicht beerdigt werden. In
Nützliche Nachrichten 4 /2016
mehreren Städten im Südosten der Türkei herrscht seit
Wochen Ausgangssperre. Es gibt keinen Strom, kein Wasser,
die Menschen können ihre Häuser nicht verlassen. Wer sich
dennoch auf die Straße wagt, läuft Gefahr, erschossen zu
werden.
Medizinerinnen berichteten uns, dass selbst Sanitäter
beschossen und getötet werden. Zwei Drittel der Beschäftigten im Gesundheitssystem in den umkämpften Städten
seien geflohen. Das Gesundheitszentrum in Diyarbakir
wurde von Polizei und Militär in Beschlag genommen.
Geburten müssen Zuhause ohne ärztliche Hilfe stattfinden.
Mediziner, die in den umkämpften Städten geblieben sind
und Verletzte behandeln, werden beschuldigt, Terroristen
zu unterstützen.
Forderungen nach Frieden und Kritik an der Kurdenpolitik der AKP-Regierung werden kriminalisiert. Justiz
und Presse werden eingeschüchtert. Egitim Sen beklagt,
dass mehr als 2.400 Mitglieder aufgrund von Protesten
gegen die Regierungspolitik Repressalien und Verfolgung
ausgesetzt sind. Zu ihnen gehören auch Egitim Sen Generalsekretärin Sakine Yilmaz und Lami Özgen, Lehrer und
Vorsitzender des Dachverbands KESK der Gewerkschaften
des öffentlichen Dienstes , die angeklagt sind wegen Unterstützung terroristischer Organisationen und die Türkei
nicht verlassen dürfen. Es wurde die Befürchtung geäußert,
dass die Regierung Egitim Sen und KESK unter staatliche
Aufsicht stellen und deren gewählte Führung auswechseln
oder die Gewerkschaftsorganisationen gleich ganz verbieten werde.
Von Repressalien betroffenen sind auch die rund 2.200
AkademikerInnen, die einen Aufruf für den Frieden unterzeichnet haben, der die türkische Regierung auffordert, die
Kampfhandlungen in den Kurdenregionen einzustellen
und für eine friedliche Lösung des Kurdenkonflikt plädiert.
Bei einem Treffen mit VertreterInnen der AkademikerInnen
von verschiedenen türkischen Universitäten – darunter
auch zwei Deutschen, wurde von Drohungen, Entlassungen, Verhaftungen, Anklagen und Reiseverboten berichtet,
mit denen die UnterzeichnerInnen konfrontiert sind. Sie
werden als Verräter und Staatsfeinde verunglimpft und
zum Teil sogar von ihren StudentInnen bedroht.
Der Krieg im Südosten der Türkei hat eine neue (noch)
innertürkische Fluchtbewegung ausgelöst. Mehrere
hunderttausend Menschen haben die umkämpften Städte
verlassen und sind meist zu Freunden und Verwandten in
die nähere Umgebung geflohen. Auch syrische Bürgerkriegsflüchtlinge, von denen mehr als zwei Millionen in
der Türkei Schutz suchen, sind von den Kämpfen in den
türkischen Kurdenregionen betroffen. Verschiedentlich
wurde geäußert, dass Europa mit zusätzlichen Flüchtlingen
aus der Türkei rechnen müsse, falls die Gewalt im Kurdenkonflikt weiter eskaliert. Mehrfach wurde Enttäuschung
und Kritik am Schweigen Europas und insbesondere der
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Bundesregierung gegenüber dem Krieg im Südosten der
Türkei geäußert. Europa verrate seine Werte. Es sei falsch zu
glauben, mit Erdoğan lasse sich eine Lösung in der Flüchtlingsfrage finden. Im Gegenteil seien die Militäreinsätze der
türkischen Regierung gegen die Kurden im eigenen Land
und im syrischen Grenzgebiet für das Flüchtlingselend mit
verantwortlich.
In einer Pressekonferenz bekundete die EGBW Präsidentin und Delegationsleiterin Christine Blower die Solidarität der europäischen Bildungsgewerkschaften mit ihrer
Schwestergewerkschaft Egitim Sen und rief zu einem Ende
der Gewalt und zu Friedensverhandlungen auf. Sie verwies
darauf, dass am 21. Februar weltweit der Tag der Herkunftssprache begangen wird und das es das Recht eines jeden
Kindes sei, in seiner Herkunftssprache unterrichtet zu
werden. Seitens der Egitim Sen wurden die europäischen
Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Delegation dazu aufgefordert, weitere Delegationen in die Türkei zu schicken
und über die Situation in den Kriegsgebieten zu berichten.
Gemeinsam mit EI/ETUCE soll im Juni eine internationale
Konferenz in der Türkei stattfinden, die sich mit dem Recht
auf Bildung, der Situation von SchülerInnen und Lehrkräften in Konfliktgebieten sowie mit Menschen- und Gewerkschaftsrechten beschäftigen soll.
(GEW Hauptvorstand, manfred.brinkmann@gew.de,
www.gew.de/internationales/)
Erdoğan mit der Pressefreiheit zum Ausdruck gebracht.
Auf die Frage, ob Erdoğan ein autoritärer Präsident sei,
antwortete Obama: „Es ist kein Geheimnis, dass es ein paar
Entwicklungen in der Türkei gibt, über die ich beunruhigt
bin.“ Er habe dies Erdoğan auch selbst gesagt, als er ihn am
Donnerstag im Weißen Haus empfangen habe.
Zwangsverwaltung, Anklage, Einschüchterung
In der Türkei war kürzlich die regierungskritische Zeitung
„Zaman“ unter Zwangsverwaltung gestellt worden. Außerdem läuft ein Spionage-Prozess gegen zwei führende
Journalisten der Zeitung „Cumhuriyet“. Auch auf einen
Satire-Beitrag des NDR-Magazins extra 3 über Erdoğan
reagierte die türkische Regierung heftig. Der Beitrag hatte
sich kritisch mit Verletzungen der Meinungs- und Pressefreiheit in der Türkei sowie mit dem Vorgehen türkischer
Sicherheitskräfte gegen Kurden im Südosten des Landes
auseinandergesetzt. Die türkische Regierung bestellte
deshalb den deutschen Botschafter ein und verlangte eine
Löschung des Beitrags.
Dem Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung
"Cumhuriyet", Can Dündar und dem Korrespondenten
Erdem Gül droht eine lebenslange Haftstrafe.
Auch in den USA nahm Erdoğan Stellung zum Thema
Pressefreiheit: Journalisten, die in der Türkei verhaftet worden seien, säßen nicht wegen der Ausübung ihres Berufes
im Gefängnis, sagte er bei einer Rede im Brookings-Institut
in Washington. Sie seien Mitglieder einer terroristischen
Vereinigung. Doch nicht jeder der Anwesenden hätte diese
Worte hören sollen, wenn es nach dem Willen Erdoğans
gegangen wäre. Seine Leibwächter hatten zu Beginn der
Veranstaltung versucht, einen oppositionellen Reporter
aus dem Saal fernzuhalten. Amerikanische Sicherheitsleute
verhinderten dies.
Erdoğans Medienpolitik
„beunruhigt“ Obama
„Es gibt keinen Zweifel daran, dass Präsident Erdoğan
mehrmals demokratisch gewählt wurde, aber seine Einstellung gegenüber der Presse könnte die Türkei auf einen Pfad
führen, der beunruhigend wäre.“ Mit diesen deutlichen
Worten hat US-Präsident Barack Obama seine Besorgnis
über den Umgang des türkischen Staatschefs Recep Tayyip
Nützliche Nachrichten 4 /2016
„Wir haben viel Geduld gezeigt“
Im Interview mit CNN mahnte Erdoğan die Medien, trotz
aller Kritik doch einen fairen Umgang mit der Politik zu pflegen. „Wir sollten Kritik nicht mit Beleidigungen und Diffa18
mierung verwechseln“, sagte Erdoğan im Gespräch mit der
Journalistin Christiane Amanpour. Es müsse doch Grenzen
geben - auch in der Satire.
Es sei nicht in Ordnung, „ein Thema in einer Karikatur
bis zur Unkenntlichkeit zu verbiegen“, sagte Erdoğan weiter. Er halte es für natürlich, in einer solchen Situation auch
Anwälte einzuschalten, „um zu seinem Recht zu kommen“.
Aber er führe keinen Krieg gegen die Medien. „Wir haben
nie etwas getan, um die Medienfreiheit einzuschränken“,
sagte Erdoğan. Im Gegenteil: Die türkische Regierung habe
mit den Medien viel Geduld gezeigt.
(http://www.tagesschau.de/ausland/erdogan-tuerkei-cnn-amanpour-pressefreiheit-satire-103.html, 2.4.16)
König von Jordanien: Türkei
schickt Terroristen nach Europa
Wie das Middle East Eye (MEE) berichtet, habe Abdullah bei
einem Treffen mit US-Abgeordneten am 11. Januar in Washington gesagt, dass „die Flüchtlingskrise und die Anwesenheit von Terroristen unter ihnen kein Zufall seien“: „Die
Tatsache, dass Terroristen nach Europa gelangen, ist Teil
der türkischen Politik, und obwohl die Türkei dafür immer
wieder getadelt wird, machen sie, was sie wollen“, sagte Abdullah laut einem Protokoll, das MEE eingesehen habe. Bei
dem Meeting waren demnach die Senatoren John McCain,
Bob Corker, Mitch McConnell und Harry Reid anwesend.
Der Bericht stammt vom Chefredakteur der Publikation, David Hearst. Hearst arbeitete zuvor als außenpolitischer Redakteur für den Guardian. MEE arbeitet nach professionellen journalistischen Kriterien, weshalb der Bericht
glaubwürdig erscheint.
Der König von Jordanien sagte weiter, dass kein Zweifel daran bestehe, dass die Türkei der Terror-Miliz IS helfe,
Öl zu exportieren. Abdullah schilderte die Türkei als strategisches Problem in der Region: „Die Türkei wollte in Syrien
eine religiöse Lösung finden, während wir nach moderaten
Gruppen im Süden suchen. Jordanien ist für eine Lösung
eingetreten, die eine religiöse Option nicht zulassen würde.“ Diese Divergenzen zwischen den Alliierten wirkten sich
auch im Kampf gegen den IS aus: „Wir werden gezwungen,
taktische Lösungen gegen ISIL zu suchen, können aber das
strategische Problem nicht lösen. Wir verzichten darauf,
weil die Türken in strategischer Hinsicht nicht auf unserer
Seite stehen.“
Abdullah sagte, dass die Türkei nicht nur islamistische
Gruppen in Syrien, sondern auch in Libyen und Somalia
unterstütze. Es gäbe eine „Radikalisierung, die in der Türkei
hergestellt wird“. Er fragte die US-Senatoren, warum die
Türken die somalische Armee trainieren.
Nützliche Nachrichten 4 /2016
Abdullah forderte die Amerikaner auf, sich bei den
Präsidenten des Kosovo und von Albanien zu erkundigen.
Beide Politiker würden die EU bitten, sich ihrer anzunehmen, bevor dies Erdoğan täte.
Der jordanische Außenminister Nasser Judeh sekundierte Abdullah bei dem Treffen und sagte, dass „die Türkei
die Flüchtlinge nach Europa geschickt“ hätte, als die Russen
mit ihren Bombardements einen Korridor im Norden Syriens unmöglich gemacht haben.
An diesem Wochenende wird der türkische Premier
Ahmet Davutoglu in Jordanien zu einem Besuch erwartet.
Der Leak dürfte zeitlich gezielt platziert worden sein, weil
Jordanien den Druck auf die Türkei erhöhen will.
(Deutsche Wirtschafts Nachrichten, 26.3.16,
http://deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/2016/03/ 26/
koenig-von-jordanien-tuerkei-schickt-terroristen-nacheuropa/)
Flüchtlingscamp für sunnitische
Syrer inmitten alevitischen Gebiets
Von Elke Dangeleit
In der südtürkischen Provinz Kahramanmaras, in der überwiegend alevitische Kurden leben, soll neben einem alevitischem Dorf ein Containercamp für 27.000 sunnitische Syrer
entstehen. Die Bevölkerung ist besorgt und protestiert.
Viele sehen darin einen weiteren Versuch der türkischen
Regierung, die kurdisch geprägten Gebiete zu islamisieren
und die kurdische Kultur zu vernichten.
Die Geschichte vom Zerfall des Osmanischen Reiches
und die Entstehung des türkischen Nationalstaates sind
geprägt von zahlreichen Massakern an der nicht-muslimischen Bevölkerung und der Assimilierung von ethnischen
und religiösen Minderheiten.
Mit der Gründung der Türkischen Republik wurde aus
dem Vielvölkerstaat ein Nationalstaat, in dem sich unter
dem Begriff „Türke“ fortan alle identifizieren sollten. Dies
ging - im Unterschied zu den meisten europäischen Staaten
- einher mit der Verleugnung und Zerstörung der alteingesessenen Kulturen. Ihre Religion, Sprache, Bräuche, traditionelle Kleidung wurden verboten. (…)
Ziel war die Unterwerfung, Zerstreuung und Assimilierung der Minderheiten. Deren Geschichte sollte aus dem
kollektiven historischen Gedächtnis gestrichen werden.
Was ja auch teilweise gelungen ist. Gerade bei den älteren
Kurden gibt es heute einen nicht zu vernachlässigenden
Anteil an assimilierten, konservativen Kurden, die ihre eigene Kultur ob des Anpassungsdruckes, oder um wirtschaftlich zu überleben, verdrängt haben. Ihre Kinder sprechen
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nicht mehr ihre Muttersprache, weil diese bis vor wenigen
Jahren in der Türkei verboten war.
Heute gibt es wieder eine Rückbesinnung auf die
kulturellen Wurzeln. Viele junge Kurden und Kurdinnen
lernen wieder ihre Sprache, zelebrieren ihre Feste wie das
Newroz-Fest, was die türkische Regierung immer wieder
versucht zu verbieten oder umzudeuten als türkische
Folklore der „Bergtürken“. Der Kampf gegen die kurdische
Kultur erlebt heute erneut einen Höhepunkt.
Wieder wird versucht, durch die Zerstörung von Dörfern und historischen Gebäuden in den kurdisch geprägten
Städten und dem vermeintlichen modernen Wiederaufbau
der TOKI-Sozialbau-Siedlungen, die der Region angeblich
Fortschritt und Wohlstand bringen sollen – tatsächlich aber
die Gentrifizierung vorantreiben –, die kurdische Geschichte zu eliminieren.
Das Massaker von Kahramanmaras
Das Massaker von Kahramanmaras im Jahr 1978, keine
40 Jahre her, ist bei den alten wie jungen Aleviten noch
sehr präsent. 1978 wurden in Maras, wie die Provinz unter
Aleviten genannt wird, bei einem Pogrom hunderte von
Aleviten von ultranationalistischen Türken getötet, über
500 Häuser und 300 Betriebe geplündert. Noch heute
verbietet die türkische Regierung Gedenkveranstaltungen
an das Massaker.
Jedes Jahr wird die Gedenkveranstaltung in Maras
von Polizisten gewaltsam aufgelöst. Nun soll neben einem
alevitischen Dorf ein Flüchtlingscamp für über 27.000
Flüchtlinge gebaut werden. Höchstwahrscheinlich mit den
zugesagten Milliarden aus Europa. Auf dem Gebiet des
Containercamps sollen sich mehrere alevitische Heiligenstätten befinden, die für das Camp zerstört werden sollen.
Sensible Provinz
Ali Öztunc, ein Mitglied der sozialdemokratischen, kemalistischen Oppositionspartei CHP berichtet, dass das Terrain
für das Camp eigentlich als Naturschutzgebiet galt und
gesetzwidrig konfisziert wurde. Die lokalen Behörden wurden in den Entscheidungsprozess nicht mit einbezogen. So
weiß niemand, wer da eigentlich angesiedelt werden soll.
Befürchtet wird, dass sich unter den Geflüchteten IS-Mitglieder oder Kämpfer der al-Nusra befinden könnten, die
aufgrund der Erfolge der SDF und der europäischen Allianz
aus Nordsyrien fliehen mussten.
Die Hurriyet Daily News berichtet, dass die Gemeinden
sehr unruhig sind und dass Maras aufgrund des Massakers
1978 zu den sensiblen Provinzen in der Türkei gehört, wo
keine zusätzlichen Spannungen geschaffen werden sollten.
Die Dorfbewohner haben einen Appell an die Behörden gerichtet, in dem ihre Befürchtung zum Ausdruck
gebracht wird, dass syrische Dschihadisten dort angesiedelt werden sollen. Dass sie sich nicht generell gegen die
Nützliche Nachrichten 4 /2016
Unterbringung von Flüchtlingen aussprechen, darauf legt
Salman Akdeniz, der Vorsitzende des Pir Sultan Abdal Kulturvereins (PSAKD) wert:
„Um Missverständnisse zu vermeiden: Unser Einspruch
richtet sich nicht gegen die Flüchtlinge. Wir sind über die
Bestimmung der Unterkünfte beunruhigt und die Möglichkeit, dass Dschihadisten des IS und der al-Nusra-Front
hierher kommen und uns in den syrischen Bürgerkrieg
verstricken.”
(http://www.heise.de/tp/druck/mb/artikel/47/47935/1.html,
13.4.16)
US-Regierung kritisiert
Menschenrechtslage in der Türkei
Die US-Regierung hat die Menschenrechtslage in der
Türkei scharf kritisiert. Ankara habe die Anti-Terror-Gesetze
sowie das Gesetz zur Bestrafung von Beleidigungen des
Staatschefs dazu benutzt, „legitimen politischen Diskurs
und investigativen Journalismus zu unterdrücken“, heißt es
im alljährlich veröffentlichten Bericht des Außenministeriums zur „globalen Lage der Menschenrechte“. Darin wird
den türkischen Behörden vorgeworfen, „Journalisten und
normale Bürger“ zu verfolgen und Medienorganisationen
unter staatliche Kontrolle zu bringen. Das Ministerium
kritisiert ferner, dass es im Kampf gegen die verbotene
Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) schwere Menschenrechtsverletzungen gebe. So gebe es „glaubhafte Vorwürfe“, dass
es zu „willkürlichen und gesetzeswidrigen Tötungen“ durch
die Sicherheitskräfte gekommen sei. (…)
US-Präsident Obama hatte sich bei einem Washington-Besuch des türkischen Staatschefs Erdoğan im März
besorgt über dessen Umgang mit der Pressefreiheit gezeigt. Erdoğan dagegen bestritt, dass die Medienfreiheit in
seinem Land unterdrückt werde.
(Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Projektbüro
Türkei, 1.-15.4.16, www.fnst-turkey.org)
Türkische Hoteliers fürchten
Touristenschwund
Die Serie von Anschlägen in der Türkei wirkt sich negativ
auf die Tourismusbranche aus. Laut dem Türkischen Hotelverband TÜROB ist in diesem Jahr vor allem mit einem
starken Rückgang deutscher Touristen zu rechnen. Viele
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Reservierungen seien bereits aus Sicherheitsbedenken
storniert worden. Erst kürzlich sind bei einem Bombenanschlag auf der beliebten Istiklal-Einkaufsstraße in Istanbul
vier ausländische Touristen ums Leben gekommen.
Besonders in der Ferienzeit wird sich das Ausbleiben
deutscher Touristen bemerkbar machen. So verzeichnet
der Deutsche ReiseVerband (DRV) für die Sommermonate
einen Rückgang von 40 Prozent im Vergleich zu den Buchungen des Vorjahres. Stieg die Anzahl deutscher Touristen in der Türkei 2015 noch um 6 Prozent auf 5,58 Mio., so
lässt sich in den ersten beiden Monaten des Jahres 2016
bereits ein Verlust von 10 Prozent im Vergleich zur selben
Zeitspanne im Jahr 2015 beobachten. Auch ein starker
Rückgang der russischen Touristen wird erwartet, was nicht
zuletzt an den politischen Spannungen zwischen der Türkei
und Russland liegen dürfte. Deutsche und russische Hotelgäste stellten 2015 die beiden größten Touristengruppen
in den Ferienregionen der türkischen Ägäis und der Region
um Antalya dar.
(Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Projektbüro
Türkei, 1.-15.4.16, www.fnst-turkey.org)
Flüchtling, der aus Griechenland wieder in die Türkei
zurückgeführt wird, soll ein anderer syrischer Flüchtling
aus der Türkei in der EU aufgenommen werden. „Will ein
syrischer Flüchtling sicher nach Europa, muss er laut dem
EU-Türkei-Deal darauf hoffen, dass ein anderer Syrer erst
sein Leben auf dem Meer riskiert, aufgegriffen und wieder
abgeschoben wird. Dieser Tauschhandel zwischen der EU
und der Türkei ist menschenverachtend und rechtswidrig“,
sagt Selmin Çalışkan, Generalsekretärin von Amnesty International in Deutschland.
Der aktuelle Vorschlag der EU-Kommission sieht
vor, dass die griechischen Behörden die Asylverfahren
aller Flüchtlinge durchführen sollen, die Europa über die
griechischen Inseln erreichen. „Die Europäische Union ist
verpflichtet, jedem Flüchtling ein individuelles Asylverfahren in Griechenland zu bieten. Seit Jahren ist bekannt, dass
es in Griechenland kein funktionierendes Asylverfahren
gibt. Das Land steht vor einer dreifachen Herausforderung:
Es muss jetzt sehr schnell sein Asylsystem so verbessern,
dass es die Qualitätsstandards der EU tatsächlich erfüllt.
Hinzu kommt die humanitäre Versorgung Zehntausender
Flüchtlinge – und das alles mitten in einer Wirtschaftskrise.
Die übrigen 27-EU-Staaten dürfen ihre Verantwortung jetzt
nicht auf Griechenland abwälzen, sondern müssen ihren
Partnerstaat unterstützen.“
„Die Türkei kann gar kein sicherer Drittstaat sein, denn
sie ist nicht für alle Flüchtlinge sicher. Daher dürfen keinesfalls schutzbedürftige Menschen aus Europa in die Türkei
abgeschoben werden“, so Çalışkan. „Amnesty International
hat dokumentiert, dass die Türkei syrische und irakische
Flüchtlinge in deren von Krieg und Gewalt zerrüttete
Heimatländer abgeschoben hat. Hinzu kommt, dass die Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten katastrophal
ist, weil 90 Prozent sich außerhalb der Flüchtlingscamps
ohne Schutz und Unterstützung durchschlagen müssen.
Ihre Kinder haben oft keinen Zugang zu Schulbildung und
es gibt bisher selten eine Arbeitserlaubnis, um sich somit
eine Lebensperspektive aufzubauen“, so Çalışkan weiter.
Das EU-Türkei-Abkommen
ist rechtswidrig
Die EU kann ihren Plan, Flüchtlinge in die Türkei abzuschieben, nur dann verfolgen, wenn sie die Türkei als „sicheren
Drittstaat“ deklariert. Dieser Plan ist menschenrechtswidrig,
weil er gegen das Recht auf individuellen Flüchtlingsschutz
verstößt.
Die Europäische Union steht kurz davor, sich in der
Flüchtlingsfrage auf ein mehr als fragwürdiges Tauschgeschäft mit der Türkei einzulassen: Für jeden syrischen
Nützliche Nachrichten 4 /2016
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„Mit diesen Vorschlägen geben Europas Politiker nur
vor, Flüchtlinge schützen zu wollen. Tatsächlich würde sich
die Situation von Flüchtenden durch die Vereinbarung verschlechtern, und Europa würde sich erneut seiner globalen
Verantwortung zur Aufnahme von Flüchtlingen entziehen“,
sagt Çalışkan.
Amnesty fordert daher: „Die 28 EU-Regierungen
müssen den beabsichtigten Tauschhandel ablehnen, wenn
sie wirklich daran interessiert sind, Flüchtlingen zu helfen
und zu verhindern, dass noch mehr Menschen in der Ägäis
ertrinken“, so Çalışkan. Allein in diesem Jahr sind bisher
448 Menschen bei dem Versuch gestorben, über die Ägäis
nach Griechenland zu kommen. „Das wichtigste Ziel dieses
EU-Gipfels muss sein, dass die Europäische Union endlich
umfassende sichere Zugangswege für Flüchtlinge schafft
und eine gesamteuropäische Lösung findet, bei der die
Schutzbedürftigkeit der Menschen im Mittelpunkt steht
und nicht die Abschottung.“
(http://www.amnesty.de/2016/3/14/das-eu-tuerkei-abkommen-ist-rechtswidrig?destination=startseite)
vom 17. März mit dem Titel „Erdowi, Erdowo, Erdoğan“. In
der an diesem Abend in der ARD ausgestrahlten Sendung,
die sonst regelmäßig im NDR-Fernsehen läuft, hieß es unter
anderem: „Er lebt auf großem Fuß, der Protz vom Bosporus“.
Dazu werden Bilder von Erdoğans neuem Palast gezeigt,
der wegen seiner Größe und Kosten umstritten ist.
DJV gratuliert „extra 3“
Auch wurden die jüngsten Angriffe auf die Pressefreiheit in
der Türkei in dem Beitrag thematisiert. So hieß es zu Bildern
von der Abführung eines Journalisten und der Erstürmung
einer Redaktion: „Ein Journalist, der irgendwas verfasst, was
Erdoğan nicht passt, ist morgen schon im Knast.“
Der DJV bezeichnete die diplomatische Intervention
Erdoğans als „lächerlich“. „Der türkische Machthaber Erdoğan hat offenbar die Bodenhaftung verloren“, sagte der
DJV-Vorsitzende Frank Überall. „Wenn er wegen einer Satire
den deutschen Botschafter in den Senkel stellt, haben die
Macher von ,extra 3‘ ins Schwarze getroffen. Glückwunsch
dazu!“
Drastische Maßnahmen gegen kritische Medien
DJV-Chef Überall erklärte weiter: "Seine (Erdoğans) außenpolitische Empörung ist so lächerlich, dass er sich zum
Gespött der sozialen Netzwerke gemacht hat." Über das
berechtigte Gelächter dürfe aber nicht übersehen werden,
dass „die Verfolgung kritischer Journalisten in der Türkei
bittere Realität ist.“
Er hoffe, dass der deutsche Botschafter in Ankara den
türkischen Präsidenten auf die Bedeutung des Grundrechts
Pressefreiheit hingewiesen habe, sagte Überall. Kritiker im In- und Ausland werfen Erdoğan und der
Regierung in Ankara vor, mit immer drastischeren Mitteln
gegen kritische Journalisten und Medien vorzugehen.
Auch die EU beklagt einen zunehmenden Druck auf die
Medien in dem Beitrittsbewerberland. Die Regierung weist
die Vorwürfe zurück.
Wegen Satire
Botschafter einbestellt
Der Diplomat musste sich bereits vergangenen Dienstag
(22. März) im Außenministerium in Ankara wegen eines
Liedes über Präsident Recep Tayyip Erdoğan rechtfertigen.
Ein türkischer Diplomat, der anonym bleiben wollte,
hat dies bestätigt. Zudem solle auch die Verbreitung der
Satire gestoppt werden. Er sagte: „Wir haben verlangt, dass
die Sendung gelöscht wird.“
Bei der Unterredung ging es dem Bericht zufolge um
eine knapp zweiminütige Satire aus der Sendung „extra 3"
Nützliche Nachrichten 4 /2016
Wegen „Präsidentenbeleidigung“ vor Gericht
Zudem brachte Erdoğan zuletzt neben Journalisten und
Bloggern auch vermehrt einfache Bürger, darunter auch
Jugendliche, wegen „Präsidentenbeleidigung“ vor Gericht.
Am Wochenende hatte Erdoğan Diplomaten scharf
kritisiert, weil sie einen Prozess gegen zwei prominente
Journalisten besucht haben. Das entspreche nicht dem
diplomatischen Protokoll, sagte Erdoğan bei einem Treffen
von Geschäftsleuten in Istanbul. Das Verfahren gegen die
beiden Journalisten wegen Spionage hat im Ausland für
viel Aufmerksamkeit und Kritik gesorgt.
Bei der Folgesendung von Extra 3, am 30. März wurde
die Kritik an Erdoğan fortgesetzt: „Wenn Sie Kritik hören
wollen, dann gucken Sie extra 3. Wenn Sie keine Kritik hören wollen, treffen Sie die Bundeskanzlerin.“
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Christian Ehring erklärte: „Wir setzen auf Deeskalation
und wollen uns mehr auf die Gemeinsamkeiten besinnen.
Wir sind ein kleines Satiremagazin. Erdoğan ist der größte
Komiker seines Landes.“
(https://www.ndr.de/fernsehen/sendungen/extra_3/extra-3-Der-Irrsinn-der-Woche,sendung494848.html;
http://www.t-online.de/nachrichten/ausland/internationalepolitik/id_77390604/-extra-3-erdogan-beschwert-sich-ueber-satire-bei-botschafter.html)
Merkel erlaubt
Böhmermann-Ermittlungen
Die Bundesregierung hat den Weg für eine Strafverfolgung des ZDF-Satirikers Jan Böhmermann nach §103 StGB
wegen der Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts frei gemacht. Bundeskanzlerin Angela Merkel gab
die Entscheidung in einer Stellungnahme im Kanzleramt
persönlich bekannt.
„Im Rechtsstaat ist es nicht Sache der Regierung, sondern von Staatsanwaltschaften und Gerichten, das Persönlichkeitsrecht und andere Belange gegen die Presse- und
Kunstfreiheit abzuwägen“, sagte Merkel. Die Ermächtigung
zur Strafverfolgung des speziellen Delikts der Beleidigung
von Organen ausländischer Staaten bedeute „weder eine
Vorverurteilung des Betroffenen noch ein Vorgreifen
der Entscheidung über Grenzen der Kunst-, Presse- und
Meinungsfreiheit, sondern lediglich, dass die rechtliche
Prüfung der unabhängigen Justiz überantwortet wird und
nicht die Regierung, sondern Staatsanwaltschaften und
Gerichte das letzte Wort haben werden.“
Merkel betonte in ihrer Erklärung, dass Deutschland
eng mit der Türkei verbunden sei. Die Lage der Medien in
der Türkei und das Schicksal einzelner Journalisten in der
Türkei erfüllten die Bundesregierung ebenso mit großer
Sorge wie Einschränkungen des Demonstrationsrechts. (…)
Koalition will § 103 StGB abschaffen
Die Bundeskanzlerin kündigte zugleich an, dass die Koalition noch in dieser Wahlperiode ein Gesetz zur Abschaffung
des § 103 StGB verabschieden werde, das 2018 in Kraft
treten solle. Der Paragraf sei „für die Zukunft entbehrlich“,
erklärte die Kanzlerin. Diese Einschätzung sei unabhängig
vom aktuellen Verfahren.
Merkel hatte durch ihre frühzeitige Äußerung zu Böhmermanns „Schmähgedicht“, die sie der Regierung in Ankara telefonisch übermittelte und über Regierungssprecher
Steffen Seibert auch öffentlich gemacht hatte, die Debatte
Nützliche Nachrichten 4 /2016
selbst mit angeheizt. Der türkische Präsident Recep Tayyip
Erdoğan empfand die im ZDF ausgestrahlte Satire als Beleidigung und beharrt auf einer Bestrafung des Moderators.
(http://www.tagesschau.de/eilmeldung/merkel-erklaerung-zu-boehmermann-101.html)
Es gibt im Netz eine Petition „Freiheit für Böhmermann“, die innerhalb von wenigen Tagen (18.4.16) von
über 237.000 Menschen unterschrieben wurde.
https://www.change.org/p/freiheit-f%C3%BCr-b%C3%B6hmermann-freeboehmi
Dieter Hallervorden hat sich der Karawane der
Erdoğan-Kritiker angeschlossen: Erdoğan, zeig mich an!
Erdoğan, Erdoğan, Deutschland ist nicht Kurdistan!“
Wer möchte, kann seinen Beitrag anhören: https://
soundcloud.com/sunrockstudios/erdogan-zeig-mich-an
Verfassungsrichter Bertrams zu
Böhmermann-Satire
„Die Verbrechen begeht Erdoğan“
Der Vize-Ministerpräsident der Türkei, Numan Kurtulmus,
hat von einem „schweren Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ durch Böhmermann gesprochen. Sein Gedicht
habe nicht nur Präsident Erdoğan, sondern alle 78 Millionen
Türken beleidigt. Der Verfassungsrichter Bertrams erklärt
im Interview mit der FR über den Satiriker Jan Böhmermann
folgendes: „Das ist nun blanker Unsinn. Verbrechen gegen
die Menschlichkeit begeht nicht Böhmermann mit seinem
Gedicht, sondern Erdoğan, der kurdische Städte bombardieren lässt. Aber das zählt nach dem Flüchtlings-Deal mit
Ankara derzeit offenbar nicht mehr. (…)
Es wäre innenpolitisch auch verheerend, wenn sie
Erdoğans Begehren nachkäme. Sie würde damit nicht nur
Jan Böhmermann, sondern gleichsam die Meinungs- und
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Kunstfreiheit an einen Autokraten und Despoten ausliefern,
der bürgerliche Freiheiten im eigenen Land auf gröbste
Weise missachtet.“
(Frankfurter Rundschau, 13.4.16; http://www.fr-online.de/
politik/boehmermann-satire--die-verbrechen-begeht-erdogan-,1472596,34080576.html)
Offizieller Comic
verherrlicht Märtyrer-Rolle
Die türkische Religionsbehörde Diyanet verherrlicht in
einem Comic für Kinder den Märtyrertod. Ein Vater schildert
seinem Sohn, wie ehrenwert das Sterben als Märtyrer sei,
berichtete die regierungskritische türkische Tageszeitung
„Cumhuriyet“ am Montag.
„Willst du ein Märtyrer sein?“, fragt ein Sohn seinen Vater. Der antwortet: „Es ist sehr schön, ein Märtyrer zu sein.“
Und weiter: „Natürlich würde ich ein Märtyrer sein wollen.
Wer will schon nicht in den Himmel?“
In einer anderen Szene heißt es: „Märtyrer sind im Himmel so glücklich, dass sie zehnmal Märtyrer sein wollen.“
Oder: „Ich wünschte, ich könnte auch ein Märtyrer sein.“
Die Diyanet macht immer wieder Negativschlagzeilen.
Im Jänner veröffentlichte die Religionsbehörde eine Stellungnahme, in der sie sexuelle Lust gegenüber der eigenen
Tochter als hinnehmbar beschrieb. Es sei tolerierbar, wenn
der Vater seine Tochter küsse oder streichle, hieß es in dem
online veröffentlichten Schreiben.
Vor allem Mehmet Görmez, der seit 2010 Leiter der
Diyanet ist, wird des öfteren kritisiert. Im Mai 2015 sorgte sein Dienstwagen, der nach offiziellen Angaben rund
300.000 Euro gekostet haben soll, für Aufsehen. Görmez
gab den Mercedes S 500 nach Kritik der Opposition zurück.
Gegründet wurde die Diyanet 1924. Die Behörde ist
zuständig für alle Religionsangelegenheiten, etwa für die
sunnitisch ausgerichteten Religionsunterricht oder die
Nützliche Nachrichten 4 /2016
Ausbildung der Imame. Sie verwaltet zudem die mehr als
85.000 Moscheen im Land.
(http://religion.orf.at/stories/2765307/, 28.3.16)
Freiheit für alle politischen
Gefangenen
Der 18. März ist der Internationale Tag für die Freiheit der
politischen Gefangenen. Ein solcher Tag ist derzeit insbesondere für die Türkei bitter notwendig.
Unter der Führung von Präsident Recep Tayyip Erdoğan führt das AKP-Regime in den kurdischen Gebieten
im Südosten der Türkei einen brutalen Krieg gegen die
Zivilbevölkerung. Kritiker*innen der autoritären Politik des Regimes werden mundtot und demokratischen
Bestrebungen rücksichtslos zunichte gemacht. Über 6.000
Oppositionelle sind bislang festgenommen worden, viele
davon Mitglieder und Politiker*innen der „Demokratischen
Partei der Völker“ (HDP). Die türkische Armee überschreitet
Grenzen – mit Panzern nach Syrien gegen das kurdische
Selbstverwaltungsprojekt Rojava, mit Kampfflugzeugen in
den Nordirak gegen Stellungen der PKK-Guerilla. Nach wie
vor unterstützt das NATO-Land die Terrormilizen des IS mit
Geld, Waffen und offenen Grenzen.
Um vor Krieg und Zerstörung fliehende Menschen
an einer Weiterreise nach Europa zu hindern, hat die EU
– insbesondere die Bundesregierung – ausgerechnet das
AKP-Regime zum Hauptakteur erkoren. Die derzeitigen
Verhandlungen mit der Türkei über den Austausch von
Flüchtlingen sind unmenschlich und rechtlich fragwürdig.
Der Preis für diese Kollaboration sind Geldforderungen,
Reiseerleichterungen, ist ein beschleunigtes EU-Aufnahmeverfahren, und vor allem Schweigen zum staatlichen Terror.
Bisher haben sich seit dem PKK-Betätigungsverbot von
1993 allerdings alle Bundesregierungen Zugeständnisse
der Türkei dadurch erkauft, im Gegenzug (noch) härter
gegen die PKK in Deutschland vorzugehen. Im Oktober
2010 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, auch
die PKK als „terroristische Vereinigung im Ausland“ nach
§129b StGB einzustufen. Der politische Charakter dieses
Paragrafen zeichnet sich dadurch aus, dass für Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft eine Ermächtigung des
Bundesjustizministeriums erforderlich ist. Diese ministeriellen Entscheidungen müssen aber weder begründet noch
kann gegen sie geklagt werden. Sie folgen einzig außenpolitischen Opportunitätserwägungen.
Allein im vergangenen Jahr wurden fünf kurdische
Aktivisten festgenommen.
Derzeit befinden sich in U- bzw. Strafhaft: Kenan
BAȘTU, Ahmet ÇELIK, Mustafa ÇELIK, Mehmet DEMIR, Bedrettin KAVAK, Muhlis KAYA und Ali ÖZEL.
24
Keinem der Angeklagten oder Verurteilten werden
individuelle Straftaten vorgeworfen. Sie wurden/werden
als angebliche Regional- oder Gebietsleiter der PKK in
Deutschland für alle Aktivitäten und militärische Auseinandersetzungen der Guerilla in Türkei/Kurdistan in Haftung
genommen, für die nach deutscher politischer und juristischer Lesart allein die PKK verantwortlich sei. Die Kriegsverbrechen und Menschenrechtsverletzungen des türkischen
Regimes spielen in den §129b-Verfahren eine nur untergeordnete Rolle. Eine derartig einäugige Politik muss endlich
beendet werden.
Deshalb fordert AZADÎ
»» Rücknahme der Verfolgungsermächtigungen nach
§ 129b Abs. 1 Satz 3 StGB
»» die Einstellung aller § 129b-Verfahren
»» die Freilassung aller kurdischen politischen
Gefangenen
»» die Aufhebung des PKK-Betätigungsverbots
»» ein Ende der Komplizenschaft mit dem türkischen
Regime
»» den Stopp jeglicher Waffenlieferungen an die Türkei
»»
(AZADÎ e.V. – Rechtshilfefonds für Kurdinnen und Kurden in
Deutschland, azadi@t-online.de, 17.3.16)
Erdoğan-Anhänger machen mobil
Von Nick Brauns
Türkische Nationalisten wollen am 10. April bundesweit gegen die kurdische Befreiungsbewegung und die Arbeiterpartei Kurdistans, PKK, auf die Straße gehen. »Die türkische
Community in Deutschland will die Sache nun selbst an
sich reißen«, heißt es drohend in einem Aufruf zu einem sogenannten »Friedensmarsch für die Türkei und EU«. Schon
diese Titulierung erscheint als Täuschung der deutschen
Öffentlichkeit, ebenso wie die deutsche Bezeichnung
der zeitgleich für Hamburg, Frankfurt am Main, Stuttgart,
Nürnberg, München, Köln und Hannover angekündigten
Aufmärsche als »Protest gegen den Terror der PKK und des
IS«. Denn der türkischsprachige Aufruf ist überschrieben
mit »Alles für das Vaterland – Märtyrer sind unsterblich –
Das Vaterland ist unteilbar« und richtet sich offensichtlich
nicht gegen die von Ankara unterstützten Dschihadisten
des »Islamischen Staates« (IS), sondern gegen die kurdische
Befreiungsbewegung. Unter solchen Losungen wird derzeit
auch in der Türkei zu Demonstrationen mobilisiert, mit
denen die Angriffe der Armee auf kurdische Städte propagandistisch begleitet werden.
In Deutschland firmiert als Veranstalter ein bislang
unbekanntes »Deutsches Neue Türken-Komitee« (AYTK),
Nützliche Nachrichten 4 /2016
das beim Internetunternehmen Facebook mit dem Zusatz
»Unabhängige Vaterlandsliebende« firmiert. In seiner
Selbstdarstellung nennt sich das AYTK unabhängig und
überparteilich. Unter seinen Mitgliedern seien demnach
Türken wie Kurden, Sunniten wie Aleviten, Mitglieder der
Regierungspartei AKP ebenso wie der Oppositionsparteien
bis hin zu Kommunisten.
Für eine angeblich neue Gruppe dürfte es kaum
möglich sein, gleichzeitige Aktionen in sieben Großstädten
zu starten. Vielmehr dürfte die AKP-Regierung mit Hilfe
des Geheimdienstes MIT im Hintergrund die Fäden ziehen.
Auch das Angebot der AYTK, arbeits- oder wohnungslosen Türken oder türkischstämmigen Strafgefangenen in
Deutschland soziale und rechtliche Unterstützung zukommen zu lassen, deutet auf eine starke, mit dem türkischen
Staat verbundene Struktur hin.
Zu den Aufmärschen am Sonntag mobilisieren so
der Regierung in Ankara nahestehende Verbände wie die
AKP-Lobbyorganisation UETD, der mit dem staatlichen Religionsamt verbundene Moscheendachverband DI TIB, aber
auch offen neufaschistische Gruppen wie die Grauen Wölfe.
Dies erfuhr junge Welt aus den Kreisen linker Organisationen türkeistämmiger Migranten.
Für den Schutz der Aufmärsche durch Freiwillige und
private Sicherheitskräfte sei gesorgt, heißt es in einem
der Aufrufe, die AYTK im Internet verbreitet. So soll der
Security-Unternehmer Timur Yüksek zugesagt haben, die
Demonstrationen von seinen Leuten begleiten zu lassen,
um »Eskalationen am Rande der Kundgebungen durch extremistische PKK-Sympathisanten vorzubeugen«, meldete
das nationalistische Webportal Turkishpress. Yüksek, der
auf seiner Facebookseite neben dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan posiert und das Präsidialamt
als seinen Arbeitgeber angibt, ist laut Turkishpress für den
Personenschutz des türkischen Premiers und des Staatschefs zuständig. Erdoğans Personenschützer scheuen sich
nicht, auch im Ausland rabiat gegen Kritiker vorzugehen.
Das hatten sie während der jüngsten Auslandsreisen des
Präsidenten in die USA und nach Ecuador unter Beweis
gestellt, wo sie auf Journalisten und Menschenrechtsaktivisten einprügelten.
Im Aufruf zur Demonstration in Frankfurt wird eine
»zunehmende Feindseligkeit« beklagt, »die durch radikale
kurdische Nationalisten auch innerhalb der Einwanderercommunitys in Deutschland und zum Teil durch Medien
geschürt wird«. Die türkischsprachige Selbstdarstellung der
AYTK richtet sich allerdings weniger gegen vermeintliche
kurdische Terroristen als gegen »sogenannte Akademiker«
aus der Türkei, die als Vaterlandsverräter und Feiglinge
diffamiert werden. So wurden auf Erdoğans Befehl hin in
der Türkei Ermittlungsverfahren wegen Terrorpropaganda
gegen zahlreiche Wissenschaftler eingeleitet, die im Januar
einen Friedensappell gegen den Krieg in den kurdischen
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Landesteilen unterzeichnet hatten. Nun sollen offenbar
auch Erdoğan-Kritiker in der türkischen Diaspora eingeschüchtert werden.
»Das AKP-Regime scheint entschlossen zu sein, seinen
schmutzigen Krieg nach Deutschland zu übertragen«,
warnt daher ein Bündnis aus 15 türkischen und kurdischen
Migrantenvereinigungen, darunter die Alevitische Gemeinde Deutschlands sowie der kurdische Dachverband NavDem, vor rassistischer Hetze.
(Junge Welt, 5.4.16)
Y E Z I D I N I N I S - G E FA N G E N S C H A F T
„Wir waren nicht mal
so viel Wert wie Tiere“
(Foto: http://www.yazda.org/yazidi-woman-demandsinternational-action-at-un-security-council/)
von Kathrin Weckesser
Nadia Murad ist 19 Jahre alt, als am 15. August 2014 Kämpfer der Terrorgruppe „Islamischer Staat“ in ihr Heimatdorf
Kocho im Nordirak einfallen. Es ist der Sommer, als der
IS weite Regionen Syriens und des Irak erobert. Für die
Yeziden wird es zum Überlebenskampf. Fast alle von ihnen
fliehen aus Todesangst aus dem Sindschar, dem letzten
mehrheitlich von Yeziden bewohnten Gebiet, denn der IS
bezeichnet die religiöse Minderheit als Teufelsanbeter und
verfolgt sie extrem. Tausende yezidische Männer, die dem
IS in die Hände fallen, werden getötet, Frauen und Kinder
entführt und versklavt. Auch sechs von Nadias Brüdern und
Halbbrüdern überleben den Angriff der Radikalislamisten nicht: Als sie sich weigern, zum Islam zu konvertieren,
werden sie vor Nadias Augen grausam hingerichtet. Doch
Nadias Leidensweg ist damit nicht zu Ende: Sie muss ebenso mit ansehen, wie IS-Kämpfer ihre Mutter umbringen.
Es ist ein Blutbad, was der IS in dem Dorf anrichtet: Innerhalb einer Stunde töten die Extremisten über 300 Männer
Nützliche Nachrichten 4 /2016
(andere Quellen sprechen von 600) sowie ältere Frauen, die
man nicht mehr versklaven kann. Die restlichen Frauen und
Kinder nehmen die IS-Kämpfer gefangen und verschleppen
sie mit Bussen nach Mossul. Nadia ist eine von ihnen. Sie
erinnert sich noch genau, wie die Gefangenen bereits auf
dem Weg nach Mossul gedemütigt, berührt und verletzt
werden. Drei Tage hält der IS Nadia und die anderen Gefangene aus Kocho in Mossul fest, um sie anschließend unter
den Kämpfern des IS als „Geschenke zu verteilen“. Einige
Frauen sind so verzweifelt, dass sie sich selbst das Leben
nehmen. Der Zeitschrift Time sagte Nadia: „Ich wollte mich
nicht umbringen, aber ich wollte, dass sie mich töten.“
Nadia wird an einen Mann, der Frau und Tochter hat,
als Sklavin gegeben und dort in einem einzelnen Zimmer
eingesperrt. Seine Frau und seine Tochter sieht sie nie, ihren
Peiniger und weitere Wächter dafür umso mehr. Bereits in
der ersten Nacht wird sie geschlagen, muss sich ausziehen
und wird in einen Raum mit den Wächtern gesteckt, die
sich alle an ihr vergreifen, bis sie bewusstlos wird. Immer
wieder begehen die Männer Verbrechen an ihrem Körper
bis sie ohnmächtig wird. Der UNO berichtet sie später, dass
sie nach einem gescheiterten Fluchtversuch geschlagen
und zur Bestrafung von sechs Kämpfern vergewaltigt
wurde. Auch schildert sie, dass sie und andere junge Frauen
dazu gezwungen wurden zu beten, bevor sich die Männer
sexuell an ihnen vergriffen. So wollte ihr erster Peiniger, der
Mann mit Frau und Kind, dass sie die Religion wechselt und
Muslimin wird. Doch Nadia weigerte sich jedes Mal.
Seit ihrer erfolgreichen Flucht aus der IS-Gefangenschaft kämpft Nadia Murad dafür, dass die internationale
Staatengemeinschaft die Gräueltaten an den Yeziden als
Genozid anerkennt. So schilderte sie auch schon vor der
UN die Verbrechen, die der IS am yezidischen Volk begeht.
Der Mann ist nur einer von Nadias Sklavenhalter. Wie
viele der anderen jungen Frauen wird sie immer wieder als
Sklavin weiter verkauft. „Wir waren nicht mal so viel Wert
wie Tiere. Sie vergewaltigten Frauen in Gruppen. Sie taten
was man sich nicht vorstellen kann.“ Im November 2014
gelingt ihr schließlich die erfolgreiche Flucht – nach drei
Monaten der Folter und des Missbrauchs. Sie bahnt sich
ihren Weg über ein Flüchtlingslager, um schlussendlich Asyl
in Stuttgart zu suchen.
Heute kämpft Nadia aktiv für die Anerkennung des
Genozids an den Yeziden durch den „Islamischen Staat“,
der – so Nadia – das yezidische Volk gezielt und organisiert
zerstören will. Dafür reist sie um die ganze Welt. Sie hat
Ägyptens Präsident Abdel Fattah el-Sisi getroffen, sowie bei
der UN in New York ihre Geschichte in einer eindrucksvollen
Rede erzählt. Mitte Dezember 2015 schilderte sie vor dem
UN-Sicherheitsrat die Verbrechen, die IS-Extremisten an Yeziden verüben: „Vergewaltigung wird benutzt, um die Frauen und Mädchen zu zerstören und um sicherzustellen, dass
sie niemals wieder ein normales Leben führen können.“
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Nadia traf auch Ende 2015 mit Griechenlands Präsident
Prokopis Pavlopoulos zusammen: „Ich rufe Sie auf, meine
Stimmer der Europäischen Union zu übermitteln, denn
tausende Frauen und kleine Kinder werden weiterhin als
Geiseln festgehalten“, sagte sie in Athen. „Wenn ich spreche,
dann nicht nur in meinem Namen, sondern im Namen aller
betroffenen Frauen und Kinder in der Kriegszone.“
Nadias unermüdlicher Einsatz verlangt Anerkennung.
Das sehen auch irakische und norwegische Politiker so
und nominierten sie am 05. Januar 2016 für den Friedensnobelpreis 2016. Nach einem Treffen mit Nadia reichte der
norwegische Politiker Audun Lysbakken – nachdem die
irakische Regierung ihre Unterstützung bereits zugesichert
hatte – offiziell die Nominierung beim fünfköpfigen Nobelpreis-Komitee ein. Gegenüber der Nachrichtenagentur AP
erklärte Lysbakken: „Wir möchten einen Friedenspreis, der
die Welt dazu aufrüttelt, gegen sexuelle Gewalt als Waffe im
Krieg zu kämpfen.“
(https://gfbvberlin.wordpress.com/2016/03/08/nadia-muradyezidin-is-un/, Weltfrauentag, 8.3.16)
Konstituierender Rat der
föderalen demokratischen
Einheit von Rojava – Nordsyrien
Vom konstituierenden Rat des Föderalsystems in Rojava-Nordsyrien ergeht Folgendes: An die syrische, regionale
und internationale Öffentlichkeit.
Dem Aufruf der Gesamtkoordination der Gebiete der
Demokratischen Autonomie (Cizîre, Kobanî, Afrîn) folgend,
organisierten die verschiedenen Teile der Gesellschaft, die
politischen Kräfte und Parteien sowie gesellschaftlichen
Aktivist_innen aus den oben genannten und den aus den
Händen der Terrororganisationen neu befreiten Gebieten
ein breites Treffen, um eine umfassende politische Perspektive zur Überwindung des Chaos in Syrien zu finden. Als
Abgeordnete dieser Gebiete haben wir am 16. und 17. März
unsere Versammlung abgehalten. Das von uns dargelegte
Nützliche Nachrichten 4 /2016
Ergebnis wollen wir dem Andenken der Gefallenen unserer Völker widmen, den Gefallenen, die mit ihrem Blut die
größten und heldenhaften Legenden wahr gemacht und
mit legendärer Tapferkeit große Opfer gebracht haben.
Ihnen gilt unser Respekt. Durch ihr Beispiel haben unsere
Völker diesen Schritt erreicht.
Als Ergebnis dieses Treffens wurden
folgende Beschlüsse gefasst:
1. Ein zukünftiges Syrien wird für alle Bevölkerungsgruppen Syriens sein; dies wird durch ein föderales und
demokratisches System auf Grundlage der Beteiligung
aller Gruppen erreicht werden.
2. Es soll für die Gründung eines föderalen demokratischen Systems in Rojava-Nordsyrien gearbeitet werden.
3. Die Wahl von gemeinsamen Ko-Vorsitzendenden
durch den Rat wurde durchgeführt sowie ein Komitee
von 31 Mitgliedern gebildet.
4. Das Komitee soll innerhalb von sechs Monaten einen
Gesellschaftsvertrag vorbereiten und ein umfassendes
politisches und rechtliches Konzept für dieses System
erarbeiten.
5. Alle Komitees und Dokumente des Rates erkennen die
Erklärung der Vereinten Nationen über die individuellen und kollektiven Rechte an, die ihrem Inhalt nach
den Aufbau eines demokratischen Gesellschaftssystems versichern. Die Teilnehmenden dieses Treffens
betonen ebenfalls ihre tiefe Verbundenheit zu Syrien
und sehen das neu gegründete System als einen Teil
davon. Gleichzeitig bekennen sie sich zum Grundsatz
des Friedens und der Verbundenheit mit allen Völkern
der Region und bringen dieses Projekt im Dienste aller
voran.
6. Die Freiheit der Frau ist Grundprinzip des föderalen
demokratischen Systems. Die Frau hat das Recht auf
gleiche Teilnahme und Teilhabe an allen sie betreffenden Entscheidungen. Es besteht gleiche Repräsentation auf allen Ebenen des gesellschaftlichen und
politischen Lebens.
7. Jeder Teil der Gesellschaft, der unter dem föderalen
System von Rojava-Nordsyrien lebt, kann nach eigenem Ermessen politische, wirtschaftliche, kulturelle
und gesellschaftliche Beziehungen und demokratische Formen der Zusammenarbeit ausüben sowie
an der Ausübung des Glaubens und der Kultur auf
regionaler und staatsübergreifender Ebene teilhaben;
auf eine Weise, dass die Beziehungen nicht Ziel und
Möglichkeiten des syrischen demokratischen Föderalismus entgegenstehen.
8. Die Gebiete, die von der Kontrolle von Terrororganisationen befreit werden, haben das Recht gemäß den
Prinzipien Teil des föderalen demokratischen Systems
von Rojava-Nordsyrien zu werden.
27
9. Das Ziel des föderalen demokratischen Systems von
Rojava-Nordsyrien auf regionaler Ebene besteht in
der Verwirklichung des demokratischen Föderalismus
im Mittleren Osten sowie im Vorantreiben föderaler
und demokratischer Prinzipien auf politischer, wirtschaftlicher, kultureller und gesellschaftlicher Ebene
sowie zwischen den verschiedenen gesellschaftlichen
Gruppen im Mittleren Osten. Auf dem Weg der Überwindung der nationalstaatlichen Grenzen besteht die
Möglichkeit ein friedliches, sicheres und gemeinschaftliches Zusammenleben zu erreichen.
10. Das föderale demokratische System soll innerhalb der
territorialen Integrität Syriens verwirklicht werden.
An die Völker Syriens, Kurdistans und Rojavas, an alle
gesellschaftlichen Schichten und Gruppen: Wir erleben
heute eine historische Phase und befinden uns in einer
bedeutenden Situation. Syrien erlebt in unserer heutigen
Zeit tragischste und schlimmste Zustände. Diese Situation,
die Syrien in den Grundfesten erschüttert hat, umfasst Millionen Flüchtlinge und hunderttausenden Toten, nicht zu
reden von den großen Zerstörungen. Trotz alledem sehen
wir in Rojava während der vergangenen Jahre eine fortgeschrittene Erfahrung, die mit dem Blut der Gefallenen verteidigt wurde. Auf dieser Grundlage ist klar zu sehen, dass
der Erfolg von Rojava innerhalb dieser Zeit viele Möglichkeiten und Errungenschaften hervorgebracht hat. Dies wird
als eine echte Möglichkeit für den Aufbau eines föderalen
demokratischen Systems in Rojava-Nordsyrien gesehen.
Wir glauben und vertrauen darauf, dass dies ein Beispiel für
die Überwindung des Chaos in Syrien sein kann.
Auf Grundlage der historischen Entscheidungen, die
wir getroffen haben, laden wir dazu ein, dass die Frauen als
Repräsentation des freien Lebens, die Jugend, die Vereinigungen, die Arbeitenden, die verschiedenen Teile unserer
Bevölkerung und alle gesellschaftlichen Teile diesen Entscheidungen ihre Aufmerksamkeit schenken, sich an ihnen
beteiligen und so den Aufbau des föderalen demokratischen Systems organisieren. Wir laden alle demokratischen,
fortschrittlichen Kräfte, die für die Menschheit arbeiten,
ein, uns in unseren Bemühungen zu unterstützen. Für die
Selbstbestimmung, gemeinsames Leben und die Verbundenheit der Völker.
Konstituierender Rat der föderalen
demokratischen Einheit von Rojava – Nordsyrien
(Civaka Azad - Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit
e.V., news@civaka-azad.org, 17.3.16)
Nützliche Nachrichten 4 /2016
Memo Sahin, Rebecca Schon, Uwe Eichner und Jürgen Neitzert
Gespartes für Gutes
Erstmals hat die GAG Immobilien AG im vergangenen Jahr
digitale Weihnachtsgrüße versendet. Im Vergleich zum
herkömmlichen Postweg wurden dabei 1.500 Euro eingespart – Geld, das Kölns größte Vermieterin jetzt für einen
guten Zweck weitergegeben hat. Der Vorstandsvorsitzende Uwe Eichner überreichte die Spende an Bruder Jürgen
Neitzert und Memo Sahin von Pro Humanitate. „Der Verein
ist ein langjähriger Kooperationspartner, mit dem wir beste
Erfahrungen gemacht haben“, begründet Eichner die Wahl.
Das neueste Projekt, für das auch die Spende bestimmt ist,
kommt Flüchtlingen zugute, die auf der Suche nach Schutz
und Sicherheit nach Köln gekommen sind.
Seit Mitte November 2015 leben zehn minderjährige
und unbegleitete Flüchtlinge in zwei GAG-Wohnungen
in der Höhenberger Germaniasiedlung. Pro Humanitate
betreut die 14 bis 17 Jahre alten Jugendlichen rund um die
Uhr. „Wir kümmern uns ums Essen, organisieren Sprachkurse und Sportangebote und vermitteln Kontakte zur
Nachbarschaft“, erzählt Bruder Jürgen. Damit hat er schon
viel erreicht und den Jugendlichen ein Stück Heimatgefühl
vermittelt.
In Porz-Zündorf, wo der Verein schon seit rund fünf
Jahren Hausaufgabenhilfe anbietet, baut Pro Humanitate ab 2016 ein Betreuungs- und Begleitungszentrum für
Flüchtlinge auf. In einem leerstehenden Ladenlokal, das
von der GAG zur Verfügung gestellt wird, organisiert Pro
Humanitate ein breit gefächertes Angebot für Flüchtlinge
aus umliegenden Unterkünften. „Vorgesehen sind Deutschunterricht, eine Mutter-Kind-Gruppe, eine Jugendgruppe oder die Begleitung und sprachliche Unterstützung der
Flüchtlinge bei Behördengängen. Und natürlich bemühen
wir aus auch um gute Kontakte zur Nachbarschaft“, erläutert Memo Sahin. „Ein Betreuungszentrum für Flüchtlinge
ist hochaktuell und notwendig. Das unterstützen wir
gerne“, begrüßt Uwe Eichner das Vereinsengagement.
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Derzeit wird das Ladenlokal für die neue Nutzung vorbereitet. Voraussichtlich im Mai kann Pro Humanitate dort seine
Arbeit starten.
Bruder Jürgen macht bereits seit 21 Jahren Jugendarbeit im GAG-Veedel Vingst, die Franziskaner sind dort
bereits seit mehr als 40 Jahren aktiv. Der Vingster Jugendtreff, ein Container hinter dem Bürgerzentrum an der
Würzburger Straße, ist Anlaufstelle für Jugendliche mit
Migrationshintergrund aus dem Stadtteil und Umgebung.
Im Spätsommer 2009 wurden mit tatkräftiger Hilfe der GAG
Immobilien AG die maroden alten Container gegen drei
aufgearbeitete Überseecontainer ausgetauscht. Zu den
regelmäßigen Angeboten zählen die schulische und berufliche Qualifizierung durch Nachhilfe und Bewerbungstraining, sportliche Aktivitäten, hauptsächlich Fußball, Fahrten
ins In- und Ausland sowie die Vermittlung demokratischer
Prinzipien durch Plan- und Rollenspiele. In einer Mädchengruppe werden Mädchen unterschiedlicher Herkunft und
aus sozial schwachen Familien gefördert und bei schulischen Problemen unterstützt.
Hinweis auf sonstige Infostellen
Azadi, azadi@t-online.de; www.nadir.org/azadi/
Demokratisches Türkeiforum,
info@tuerkeiforum.net, www.tuerkeiforum.net
Civaka Azad – Kurdisches Zentrum für
Öffentlichkeitsarbeit e.V., info@civaka-azad.org,
www.civaka-azad.org
Gesellschaft für bedrohte Völker, nahost@gfbv.de,
www.gfbv.de
ISKU | Informationsstelle Kurdistan e.V.,
isku@nadir.org; www.nadir.org/isku/
Kurdmania.com, Portal für Politik & Kultur,
www.kurdmania.com
Kurdisches PEN-Zentrum, webmaster@pen-kurd.org,
www.pen-kurd.org
Kurdistan Report, www.kurdistanreport.de
Mezopotamian Development Society,
MESOP@online.de, www.mesop.de
NAVEND – Zentrum für kurdische Studien e.V.,
info@navend.de, www.navend.de
The Turkish Economic and Social Studies Foundation
(TESEV), www.tesev.org.tr/eng/
Zentrum für Türkeistudien, www.zft-online.de
Für die Bereitstellung der Karikaturen
danken wir Klaus Stuttmann sehr.
http://www.stuttmann-karikaturen.de
Nützliche Nachrichten 4 /2016
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