Beispielklausur Fach: Deutsch im 1. Semester Themenbereich

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Beispielklausur Fach: Deutsch im 1. Semester Themenbereich
Beispielklausur
Stand: 10.11.2007
Fach: Deutsch im 1. Semester
Themenbereich: Inhaltsangabe und Analyse / Interpretation von Kurzgeschichten und
anderen epischen Kleinformen
Eine Beispiellösung finden Sie unterhalb dieser Klausur.
Die Beispielklausuren stellen nicht den Anspruch repräsentativ zu sein, sondern sollen eine
grobe Orientierung ermöglichen. Inhalte, Schwerpunktsetzungen und Formen von Klausuren
können, im durch Lehrpläne und Richtlinien vorgegebenen Rahmen, von Kurs zu Kurs unterschiedlich sein und sich auch zwischen Kollegbereich, FHR-Profilklasse, Abendgymnasium
und Abi-Online unterscheiden. In Klausuren wird natürlich nicht der gesamte Unterrichtsstoff
abgefragt, sondern es wird eine willkürliche Auswahl getroffen.
Versuchen Sie doch einmal selbst, die Aufgaben zu lösen, um Ihr Können auf die Probe zu
stellen...
Dieses Dokument stammt von der Homepage des
Weiterbildungskollegs Emscher-Lippe.
www.wbk-el.de
Klausur Nr. 2 (Kurzprosa) – 19.12.06
Kurs: _____
Name: _________________________
Schreiben Sie eine kurze Einleitung, eine Inhaltsangabe (8–10 Sätze) und
eine sich daran anschließende Analyse / Interpretation mit Schlussteil der
Kurzgeschichte von Gabriele Wohmann. Berücksichtigen Sie dabei auch
das Analyseraster, das Sie im Unterricht erhalten haben. Belegen Sie wichtige Aussagen durch Zitate.
Viel Erfolg!
Gabriele Wohmann
Wirklich verrückt (Kurzgeschichte, 1979)
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Es hatte damit angefangen, dass Gunda sagte:
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– Ich habe zufällig die Badezimmertür aufgemacht, die vom Schlaf-
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zimmer, die sich nicht zuschließen lässt. Vernünftige Hausbewohner schie-
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ben die kleine Kommode vor oder klemmen die Stuhllehne unter die Klinke.
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Nun, da offen war, ging ich hinein, und da stand sie unter der Dusche, das
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Wasser schoss über sie, über die wirklich grässliche, unbeschreibliche Gri-
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masse, die sie machte. Und johlend empfing sie mich, total verrückt, es gibt
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keine andere Möglichkeit.
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Es leuchtete ihnen allen ein. Feixend unter dem Strahl der Brause! Das
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war kein kindischer Übermut wie zum Beispiel Werners dröhnender Ge-
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sang, mit dem er beim Baden das Haus füllte, oder wie Luzias Waschlap-
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penspiel, die Zelluloidfische Gustavs.
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– Sie hatte ein ganz und gar irrsinniges Gesicht, berichtete kurz danach
Ilse. Sie hockte im Vorratskeller, es war einfach schrecklich.
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Also: wenn man sie mal einen Augenblick allein ließ, fing sie an, sich
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albern aufzuführen, sich was herauszunehmen, fing mit Gehässigkeiten an.
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Schließlich waren Kinder im Haus, das Haus wimmelte von Kindern, we-
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nigstens auf die hätte sie Rücksicht nehmen können. Oder war sie verrückt,
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war sie wirklich verrückt, war es Wahnsinn?
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Bald häuften sich die Berichte.
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– Nicht zu sagen, wie ich mich erschreckt habe, erzählte Marion, die als
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beherzt galt. Diesmal war's im Bügelkeller, und sie sang, sie hatte ihr komi-
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sches Haar steif hochgekratzt mit ihren Händen, die mir entgegenfuhren, als
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ich die Tür aufmachte, ihre Hände leer, nichts, was sie, bevor ich kam, ge-
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trieben haben könnte. Aha: sie hatte also im Keller gefaulenzt; andere zogen
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indessen ihre Kinder auf, schrieben, rechneten, sorgten vor, putzten Silber.
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Sie hatte sich dort nur einfach so aufgehalten.
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Man kam aber noch mit ihr ins Gespräch. Sie brachte es immer wieder
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fertig, zwischendurch normal zu erscheinen, so raffiniert war sie, sie bog
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den kleinen Finger ab, wenn sie die Teetasse an die gespreizten Lippen führ-
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te, sie räusperte sich, bevor sie sprach, sie schlug die Beine übereinander,
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machte alles wie die anderen. Sie hatte die Frechheit zu sagen:
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– Ich hab mir nichts dabei gedacht, ihr Lieben. Zugegeben: es kam mir
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manchmal komisch vor, Fratzenschneiderei, verrückt, aber nicht ernstzu-
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nehmen.
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Immer öfter wurde sie erwischt. Die große, vieläugige Familie bewachte
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sie. Überall schnitt sie ihre schauderhaften Gesichter, auf den Treppen und
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Fluren des weiträumigen Hauses; Grimassen, die wie Gift wirkten. Ehe sie
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dann in das Stadium kam, in dem sie nur noch weinte, behauptet sie:
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– Wirklich und wahrhaftig, es war nur Quatsch, ich hab's gemacht, um
mich abzulenken.
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Abzulenken! Das waren keine Ausflüchte, das war Hohn.
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Dann geschah das, was niemand vorausgesehen hatte: als die Sanitäter
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erschienen, als sie, zwei nette, anständige Männer, den Wagen dicht vor den
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Hauseingang fuhren, um es ihr bequem zu machen beim Einsteigen und um
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die Peinlichkeit zu mildern, da riss sie sich los, da schrie sie:
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– Warum habt ihr mich nicht gefragt, warum habt ihr niemals gefragt,
was mit mir los ist?
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Sie zerraufte sich ihr Haar, das einmal voll Glanz, schmiegsames Blond,
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eine Reihe von Männern hingerissen hatte. Daran erinnerten sie sich
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schwach, jetzt fiel es ihnen ein. Nettes ausgesprochen hübsches Haar hatte
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sie gehabt. Schade drum. Und wonach denn gefragt? Sie sahen zu, wie die
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Sanitäter es fertigbrachten, sie mit behutsamer Gewalt ins Auto zu schaffen.
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Nie gefragt? Gewiss: da gab es eine Liebesaffäre. Gunda erzählte irgendwas
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von einem Mann, der sich erschossen hatte oder erschossen wurde oder der
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jemand erschoss. Fragen? Danach etwa? Unangenehm genug, dass sie über-
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haupt damit zu tun gehabt hatte. Reichlich überspannt, sich nachträglich mit
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so etwas zu beschäftigen. Und schließlich: wenn sie diesen Kerl, Mörder,
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Selbstmörder oder Ermordeten je geliebt haben sollte - was anderes würde
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dadurch bewiesen als ihr Wahnsinn?
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Beispiellösung
Es handelt sich hier nicht um eine Musterlösung, sondern um eine reale Studierendenklausur, die zwar
mit sehrgut benotet wurde, aber natürlich trotzdem Fehler enthalten kann.
Die Kurzgeschichte „Wirklich verrückt“ wurde geschrieben von Gabriele Wohmann und im
Jahr 1979 veröffentlicht. Sie handelt von einer mehrköpfigen Familie, in der ein Familienmitglied von den anderen als verrückt eingestuft wird. Letztendlich lassen sie die Person von
Sanitätern abholen und setzen sich damit nicht weiter auseinander. Da die Geschichte aus
der Sicht der Familie erzählt wird, kann man schnell erkennen, dass diese der Person offenbar wenig Gefühle entgegen bringt.
In der Geschichte geht es um eine von ihrer Familie als verrückt eingestufte Frau. Die verschiedenen Familienmitglieder beschreiben ihre Erfahrungen, die sie mit ihrer Angehörigen
gemacht haben und sind sich einig, dass diese Familienangehörige verrückt sei. Überwiegend geht es dabei offenbar um „grässliche, unbeschreibliche Grimasse[n], die sie macht[].“
(Z. 6-7) oder um ihr merkwürdiges Verhalten. Sie verurteilen sie und beobachten sie sehr
intensiv. Eines Tages kommen Sanitäter und holen sie ab. Als sie mitgenommen wird, ruft
sie: „Warum habt ihr mich nie gefragt, warum habt ihr niemals gefragt, war mit mir los ist?“
(Z. 47-48)
Am Schluss der Geschichte erfährt man einen möglichen Grund für ihr sonderbares Verhalten, Gunda, eine Familienangehörige, berichtet nebenbei, dass die Kranke einmal eine Liebesaffäre mit jemanden hatte, der ums Leben gekommen ist.
Die Personen, um die es in der Kurzgeschichte geht, gehören offenbar alle zu einer Familie.
Am Anfang der Geschichte berichtet eine Familienangehörige, deren Name Gunda ist, für
den Leser ohne erkennbare Emotionen, wie sie die als verrückt abgestempelte Angehörige,
in der Dusche beim Grimassenschneiden erwischt hat. Als Leser würde man davon ausgehen, dass eine Familie sich Sorgen macht, wenn ein offenbar vorher gesundes Familienmitglied sich auf einmal sonderbar verhält und nicht mehr dieselbe ist. Das wird in dieser Geschichte jedoch nicht erkennbar. Die Familienmitglieder sammeln Beweise, für ihre vorgefasste Meinung, dass die Angehörige verrückt sei und stellen keine Überlegungen an, wie
man ihr helfen könnte, oder was der Auslöser für ihr Verhalten ist.
Weiterhin ist in der Geschichte die Rede von dem Familienmitglied Ilse, die durch die Aussage „Sie hatte ein ganz und gar irrsinniges Gesicht“ (Z. 13) der Meinung von Gunda beipflichtet.
Aus Sicht der Familie wird berichtet, dass die betreffende Angehörige, „wenn man sie mal
einen Augenblick allein ließ“ (Z.15), sonderbare Dinge tut, sich gehässig benimmt oder rein
gar nichts tut. Marion, eine weitere Familienangehörige, erzählt, dass sie eines Tages in den
Keller kam und die Angehörige sang: „..sie hatte ihr komisches Haar steif hochgekratzt mit
ihren Händen, die mir entgegenfuhren, als ich die Tür aufmachte...“ (Z.22-23). Offensichtlich
hat das Marion Angst gemacht, sie sagt jedoch nicht, ob sie daraufhin mit der Angehörigen
geredet hat, oder sie zu ihrem Verhalten befragt hat.
Aus Sicht der Familie wird dies gewertet, man erfährt, dass die Angehörige offensichtlich
Kinder hat, um die sie sich nicht kümmert, während sie selbst faulenzt und ihre Zeit im Keller
verbringt. Aus Sicht des Leser überlegt man sich, das es der Angehörigen vermutlich einfach
nicht möglich ist, sich um ihre Kinder zu kümmern, da sie mit ihrer eigenen psychischen Verfassung bereits überfordert ist.
Man bemerkt, dass in der Familie keiner das Verhalten der Angehörigen als Krankheit sieht,
für die sie selbst nicht verantwortlich ist, sondern, dass sie die Familienangehörige, ausschließlich als Störfaktor ansehen der sie beunruhigt und den sie loswerden möchten.
Einige Male redet die Betroffene auch selbst. An scheinbar guten Tagen sagt sie Dinge wie:
„Ich hab mir nichts dabei gedacht, ihr Lieben. Zugegeben: es kam mir manchmal komisch
vor, Fratzenschneiderei, verrückt, aber nicht ernstzunehmen.“ (Z.33-35) Es wird im Text
deutlich, dass die Familie sie bewacht und jederzeit nur auf weitere merkwürdige Dinge die
sie tut, wartet. Ihr Zustand verändert sich offenbar, ehe „sie dann in das Stadium kam, in
dem sie nur noch weinte“ (Z. 38–39).
Scheinbar fühlen sich die Familienmitglieder von ihr verspottet, „Das waren keine Ausflüchte,
das war Hohn.“ (Z.42). Sie können vermutlich mit der Situation nicht umgehen, wissen nichts
über Depressionen und geben sich auch keine Mühe, mit der Betroffenen das Gespräch zu
suchen. In der heutigen Zeit und als Leser der Kurzgeschichte, möchte man der Betroffenen
gerne zu einer Therapie raten. Man hat Mitleid damit, dass sich niemand richtig um die Angehörige kümmert und sie der Familie anscheinend so wenig am Herzen liegt, so dass die
sie einfach nur loswerden will.
Die Kurzgeschichte ist im Jahr 1979 geschrieben worden, zu dieser Zeit stand das Thema
Depressionen und die psychische Gesundheit noch nicht so im Vordergrund, wie es inzwischen der Fall ist. Ich vermute, die Familie denkt sich, dass sich die Betroffene einfach mal
zusammen reißen sollte.
Als die Sanitäter kommen, um die Angehörige abzuholen, ruft sie ihrer Familie zu: „Warum
habt ihr mich nicht gefragt, warum habt ihr niemals gefragt, was mit mir los ist?“ (Z.47-48).
Hier erkennt man, dass die Betroffene ihre eigene Situation doch relativ klar sieht und sich
ihre Gedanken darüber gemacht hat. Auch ihre Enttäuschung wird erkennbar.
Am Ende der Geschichte erfährt man einige Einzelheiten, dass ihr Haar, welches sie sich
zerrauft, früher einmal blond und voller Glanz war und eine Reihe von Männern hingerissen
hat. Sie war demnach eine hübsche Frau, das fällt der Familie beiläufig auf, während die
Sanitäter sie abholen.
Man spürt keinerlei Einsicht, ausgehend von der Familie, denn man liest das die Angehörigen sich fragen: „Und wonach gefragt?“ (Z.52) Sie wissen nicht, was das ganze mit ihnen zu
tun haben soll. Schließlich ist sie ja verrückt und nicht die restlichen Familienmitglieder.
Und dann, zum Ende der Geschichte, glaubt man fast, dass die Familie sich jetzt doch einige
Gedanken macht. Gunda erzählt, dass die Angehörige einmal eine Liebesaffäre hatte und
„erzählt irgendwas von einem Mann, der sich erschossen hatte oder erschossen wurde oder
der jemand erschoss“ (Z. 54–56) Als Leser fragt man sich, wie die Familie diesen Sachverhalt nicht genau kennen kann. Man denkt, dass sie wissen sollte, in wen jemand aus ihrer
Mitte verliebt war und wie derjenige zu Tode gekommen ist. Auf welche Art auch immer. Aber offenbar hatte dafür niemand Interesse. Im Nachhinein schämen sie sich nur für ihre Angehörige, dafür, „dass sie überhaupt damit zu tun gehabt hatte“ (Z. 57–58). Das ist scheinbar
charakteristisch für diese Familie, dass niemand auffallen darf, ob angenehm oder unangenehm, um von ihr akzeptiert zu werden.
Das die Betroffene sich überhaupt noch mit der Geschichte des Erschossenen beschäftigt
hat, betrachten die Mitglieder als sehr übertrieben, was darauf schließen lässt, dass die Familie anscheinend sehr gefühlskalt ist. Durch den letzten Satz: „Und schließlich: wenn sie
diesen Kerl, Mörder...je geliebt haben sollte – was anderes würde dadurch bewiesen als ihr
Wahnsinn?“ (Z. 58–60) ist jegliche Sympathie des Lesers für die Familie der Betroffenen,
falls je vorhanden, verflogen.
Diese Engstirnigkeit ist mir, meiner Meinung nach, in älteren Geschichten oder Filmen, häufiger aufgefallen. Man vermisst das Mitgefühl und die Fähigkeit, sich in andere hineinzuversetzen.
Ich denke, dass Eltern und die Familie sich heutzutage viel öfter von ihrem Herzen lenken
lassen und weniger auf die Etikette achten. Letztendlich ist es bei den meisten Leuten heutzutage doch eher so, dass sie versuchen die Dinge, die sie nicht nachvollziehen können,
trotzdem hinzunehmen. Früher war der gesellschaftliche Druck und die Angst was die Leute
oder Nachbarn über einen reden, meiner Meinung nach, doch größer, als er es heute ist.
Zumindest bei den Leuten aus den Gesellschaftsschichten die ich kenne. Es hat aber auch
eben viel damit zu tun, ob man sich in andere hineinversetzen kann und sich für seine Mitmenschen und nicht nur sich selbst interessiert.