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März 2004 Für unsere Hörer M und RÜ-Bezieher Annette-Allee 35 - 48149 Münster Tel.: 0251-98109-0 - Fax: -98109-62 http://www.alpmann-schmidt.de AS aktuell Zivilrecht Verbraucherschutzrecht Rückgaberecht bei Unmöglichkeit der Rückgabe? Otte/Kapitza ZGS 2004, 54 ff. Das für Verbraucher im BGB vorgesehene Recht des Widerrufs eines Verbrauchervertrages (§ 355 BGB, Bsp.: §§ 312 Abs. 1 S. 1, 312 d Abs. 1 S. 1, 485 Abs. 1, 495 Abs. 1, 505 Abs. 1 S. 1 BGB) kann bei ausdrücklicher gesetzlicher Gestattung durch ein Rückgaberecht i.S.d. § 356 BGB ersetzt werden (Bsp.: §§ 312 Abs. 1 S. 2, 312 d Abs. 1 S. 2, 503 Abs. 1 BGB). Dieses Rückgaberecht kann gem. § 356 Abs. 2 S. 1 BGB nur durch Rücksendung der Ware oder, wenn die Sache nicht als Paket versandt werden kann, durch Rücknahmeverlangen ausgeübt werden. Bedeutet dies, dass das Rückgaberecht ausgeschlossen ist, wenn die zurückzugebende Sache beim Verbraucher untergegangen oder abhanden gekommen ist oder aus einem anderen Grunde nicht mehr zurückgewährt werden kann? Der Verbraucher hätte dann weder ein Widerrufsrecht (weil wirksam gem. § 356 BGB i.V.m. anderweitiger Anordnung durch ein Rückgaberecht ersetzt), noch ein Rückgaberecht. 1. Ermittlung der Gesetzeslage Anders ausgedrückt: Setzt die Geltendmachung des Rückgaberechts als einzige zur Verfügung stehende Möglichkeit für den Verbraucher, sich einseitig und ohne besondere Voraussetzungen vom Vertrag zu lösen, die Möglichkeit der Rückgabe durch den Verbraucher voraus? Bereits im Vorhinein ist darauf hinzuweisen, dass sich das Problem auch bei teilweiser Unmöglichkeit der Rückgabe stellt (§ 357 Abs. 1 S. 1 BGB verweist auf das gesetzliche Rücktrittsrecht und damit auch auf die Regelung des § 323 Abs. 5 S. 1 BGB): kann sich derjenige, der nur teilweise zurückgeben kann, nur insoweit auf sein Rückgaberecht aus § 356 BGB berufen, soweit die Rückgabe möglich ist oder besteht für ihn auch im Übrigen die Möglichkeit, sich einseitig vom Vertrag zu lösen? a) Wortlautauslegung Hat der Verbraucher die Sache nicht mehr, kann er sie AS aktuell Online: http://www.alpmann-schmidt.de auch nicht zurücksenden. Gleichfalls kommt ein an den Unternehmer gerichtetes Rücknahmeverlangen nicht in Betracht, weil dies die Existenz der zurückzunehmenden Sache bedingt. Zwar könnte man auf den Gedanken kommen, eine nicht mehr im Besitz des Verbrauchers befindliche Sache könne nicht i.S.d. § 356 Abs. 2 S. 1 BGB als Paket versandt werden. Bereits nach dem Wortlaut der Regelung bezieht sich dies aber auf die erste Alternative der Vorschrift, meint also Sachen, die existent sind, deren Beförderung aber im Paketwege von den Versanddiensten nicht angeboten wird. Ein Abholungsverlangen bei nicht vorhandenem abzuholendem Gegenstand wäre auch ersichtlich sinnlos. Nach dem Wortlaut der Regelung ist damit das Rückgaberecht bei Unmöglichkeit der Rückgabe nicht gegeben. b) Systematische Auslegung Das Rückgaberecht des § 356 BGB steht im engen systematischen Zusammenhang mit dem Widerrufsrecht, an dessen Stelle es treten soll. Das Widerrufsrecht seinerseits ist nicht ausgeschlossen, wenn der aufgrund des gem. § 357 Abs. 1 S. 1 BGB entstehenden Rückgewährschuldverhältnisses gem. § 346 Abs. 1 BGB zurückzugebende Gegenstand untergegangen ist. Der Widerrufende hat dann lediglich – da die Rückabwicklung in Natur i.S.d. § 346 Abs. 1 BGB ausgeschlossen ist – möglicherweise Wertersatz für den Gegenstand zu leisten (§ 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3 BGB; der Wegfall der Wertersatzpflicht gem. § 346 Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB kommt bei ordnungsgemäßer Aufklärung des Verbrauchers nicht zum Tragen, vgl. § 357 Abs. 3 S. 3 BGB). Das spricht – auch im Hinblick auf die weitestgehende Rechtsfolgenidentität von Widerrufs- und Rückgaberecht (vgl. § 357 Abs. 1 S. 1 BGB) – dafür, dass der Verbraucher auch bei Unmöglichkeit der Rückgabe der Sache eine Chance auf einseitiges Loslösen vom Vertrag erhalten muss. c) Historische Auslegung Die heutige Regelung des Widerrufs- bzw. Rücktrittsrechts hatte seine Vorläufervorschriften in den §§ 361 a und b BGB a.F. Otte/Kapitza ZGS 2004, 54, 56: „Hinsichtlich des Untergangs des Vertragsgegenstandes ordnete § 361 b Abs. 2 S. 2 BGB ausdrücklich die entsprechende Geltung des § 361 a Abs. 2 BGB an ... Der Gesetzgeber stellte also klar, dass der Verbraucher sich auch im Falle der Unmöglichkeit der Rückgewähr vom Vertrag lösen konnte ... 17 März 2004 Die Vorschrift über die Ausübung des Rückgaberechts (§ 356 Abs. 2 BGB n.F.) ist daher jetzt, jedenfalls bei isolierter Betrachtung, der Gefahr des Missverständnisses ausgesetzt, als ob hier neuerdings das Vorhandensein des Vertragsgegenstandes beim Verbraucher für die Lösung vom Vertrage vorausgesetzt sei. Dass eine Rechtsänderung ggü. §§ 361 a, b BGB a.F. nicht beabsichtigt war, ergibt sich jedoch aus den Materialien zur Schuldrechtsreform eindeutig: Der Reformgesetzgeber ging von einer inhaltlichen Übereinstimmung der neuen mit der alten Vorschrift über das Rückgaberecht aus und wollte nur eine „Straffung“, also eine textliche Vereinfachung erreichen.“ Folglich spricht auch die historische Auslegung für die Existenz eines einseitigen Vertragsbeendigungsrechts auch für den Fall der Unmöglichkeit der Rückgabe des zurückzugebenden Gegenstandes. d) Teleologische Auslegung Sinn und Zweck des Rückgaberechtes ist es, eine besondere, auf die Erfordernisse des Versandhandels Rücksicht nehmende und an die Stelle des Widerrufs tretende Regelung zu schaffen. Otte/Kapitza ZGS 2004, 54, 55: „Es ermöglicht dem Verbraucher die Lösung von einem (schwebend) wirksamen Vertrag dadurch, dass er seine Verpflichtung aus dem künftigen Rückgewährschuldverhältnis (§ 346 Abs. 1 BGB) erfüllt, das mit seinem Entfallen seiner Bindung an die im Rahmen des Verbrauchervertrages abgegebene Willenserklärung (§ 355 Abs. 1 S. 1 BGB) entsteht. Dem Unternehmer bleibt es dadurch erspart, sich nach erfolgter Lösung des Verbrauchers vom Vertrag noch um die Wiedererlangung des ausgelieferten Gegenstandes kümmern zu müssen.“ Als Zwischenergebnis ist folglich festzuhalten, dass zwar – abgesehen vom Wortlaut – sämtliche Auslegungsmethoden zu dem Ergebnis kommen, dass dem Verbraucher auch bei Ersetzung des Widerrufsrechts durch ein Rückgaberecht bei gleichzeitiger Unmöglichkeit der Rückgabe des zurückzugebenden Gegenstandes ein einseitiges Loslösungsrecht vom Vertrag zustehen muss, das dafür allein dann in Betracht kommende Widerrufsrecht aber ausgeschlossen ist. 2. Lösungsvorschläge In Betracht kommt, es beim Ausschluss des Rückgaberechts entsprechend dem Wortlaut des § 356 Abs. 2 S. 1 BGB („nur“) zu lassen und wenn und soweit das Rückgaberecht mangels Unmöglichkeit der Rückgabe nicht gegeben ist, das Recht zum Widerruf aus § 355 BGB anzuwenden. Otte/Kapitza ZGS 2004, 54, 55: „Folglich besteht ein Interesse an der Loslösung vom Vertrag durch Rückgabe nur so lange, wie dem Verbraucher die Erfüllung der Rückgewährverpflichtung noch möglich und Letztere nicht bereits in eine Wertersatzverpflichtung umgeschlagen ist ... Dem Zweck der §§ 355–357 BGB n.F., eine Lösung vom Vertrag in einer für alle Seiten möglichst sachgerechten Weise sicherzustellen, ist 18 AS aktuell also am ehesten damit gedient, wenn dem Verbraucher, dem ein Rückgaberecht eingeräumt wurde, im Fall der Unmöglichkeit der Rückgabe der Rückgriff auf das Widerrufsrecht gestattet wird ...“ S. 57: „Für den Widerruf gilt hier aber eine Besonderheit: Der Unternehmer, der über den Untergang oder das Abhandenkommen des Vertragsgegenstandes nicht informiert ist, müsste eine bloße Widerrufserklärung des Verbrauchers für unwirksam halten. Daher muss der an sich nicht begründungsbedürftige (vgl. § 355 Abs. 1 S. 2 BGB n.F.) Widerruf hier die Information an den Unternehmer enthalten, warum der Verbraucher zur Rückgabe nicht in der Lage ist.“ Die Lösung kann dogmatisch also in einer teleologischen Reduktion des § 356 Abs. 1 S. 1 BGB liegen: das Rückgaberecht ersetzt nur das Widerrufsrecht, wenn und soweit die Rückgabe möglich ist. Ebenso vertretbar wäre, den Vorrang des Rückgaberechts beizubehalten; erforderlich wäre dann eine teleologische Reduktion des Wortes „nur“ in § 356 Abs. 2 S. 1 BGB. Im Falle der Unmöglichkeit der Rückgabe muss dann die Ausübung des Rückgaberechts durch wörtliche Erklärung ausreichen. Ergänzung zu: AS-Skript SchuldR BT 2 (2003), S. 168 ff. Verbrauchsgüterkauf Geltungserhaltende Reduktion im Rahmen des § 475 Abs. 3 BGB? Deckenbrock/Dötsch ZGS 2004, 62 ff. Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion ist aus dem AGB-Recht bekannt: Wenn sich eine AGBKlausel wegen Verstoßes gegen §§ 309–307 BGB als unwirksam herausgestellt hat, kann sie, auch für den Fall, dass sich in ihr ein „minus“ verbirgt, das bei eigenständiger Überprüfung anhand der Maßstäbe der §§ 309–307 BGB wirksam sein würde, keinen Bestand mit dem Inhalt des „minus“ haben. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der unwirksame Bestandteil einfach weggestrichen werden kann (sog. blue-pencil-test; Einzelheiten zur Thematik vgl. Palandt/Heinrichs, 63. Aufl. 2004, Rdnr. 8, 11). Im Zusammenhang mit Klauseln im Rahmen des Verbrauchsgüterkaufes kann es zu einer vergleichbaren Thematik kommen. Stellen Sie sich vor, die zu untersuchenden Klauseln haben folgenden Wortlaut: (1) Das Recht der Nacherfüllung, zurückzutreten, zu mindern oder Schadensersatz zu verlangen, wird ausgeschlossen. Oder: AS aktuell März 2004 (2) Die Gewährleistung für Mängel der Kaufsache wird ausgeschlossen. Hinsichtlich der ersten Klausel kann (und muss man wg. § 475 Abs. 1 BGB) die Begrifffe: Nacherfüllung, zurückzutreten, zu mindern problemlos mit einem blauen Stift streichen, ohne dass der Ausschluss des Anspruchs auf Schadensersatz darunter leiden müsste. Dieser ist – vorbehaltlich einer Überprüfung anhand der §§ 309–307 BGB – aber jedenfalls nicht wegen der Regelungen über den Verbrauchsgüterkauf unwirksam (vgl. § 475 Abs. 3 BGB). Eine Unwirksamkeit ergibt sich auch insoweit nicht gem. § 139 BGB, da die Parteien den Haftungsausschluss auch ohne die nichtigen Elemente vereinbart hätten. Hinsichtlich der zweiten Klausel ist die Sachlage schwieriger: kann diese auch dahingehend „eingedampft“ werden, dass zumindest der schadensersatzrechtliche Haftungsausschluss nicht an § 475 Abs. 1 BGB scheitert oder gilt: Wenn nichtig, dann vollständig? Deckenbrock/Dötsch ZGS 2004, 63-64: „Hilfreich sein könnte ggf. ein Vergleich mit der Handhabung des § 276 Abs. 3 BGB, wonach die Haftung wegen Vorsatzes nicht im Voraus erlassen werden kann. Die Norm – die auch im Beispielsfall greifen würde – wird allenthalben so verstanden, dass der Haftungsausschluss entgegen der Zweifelsregelung des § 139 BGB nur insoweit nichtig ist, als die Haftung auch für Vorsatz erlassen wird. Ähnlich könnte man § 475 BGB verstehen ... Indes sprechen andererseits durchaus Argumente für eine Übertragbarkeit des für das AGB-Recht entwickelten Verbots der geltungserhaltenden Reduktion: Bei den §§ 474 ff. BGB handelt es sich – wie grds. bei den §§ 305 ff. BGB – um Verbraucherschutzvorschriften. § 475 BGB ist eine Norm, die der Gesetzgeber geschaffen hat, um den Schutz der §§ 305 ff. BGB zu verstärken ...“ Dagegen könnte man aber einwenden, dass zumindest im Bereich individualvertraglicher Haftungsbeschränkungen im Bereich des Verbrauchsgüterkaufs der Sinn und Zweck des Verbotes der teleologischen Reduktion – Disziplinierung des Vorformulierenden – nicht erreicht werden kann; an einer solchen Regelung ist der Verbraucher schließlich selbst beteiligt. Deckenbrock/Dötsch a.a.O.: „Es darf jedoch nicht verkannt werden, dass das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion allgemein ins Kreuzfeuer der Kritik geraten ist und zudem von der Rspr. selbst im AGB-Bereich vor allem aber bei der verwandten Problematik gesetzes- und sittenwidriger Geschäfte oft nicht stringent durchgehalten wird ... Aufgrund dieser teleologischen Überlegungen sollte man eine geltungserhaltende Reduktion im Zusammenspiel von § 475 Abs. 1 und Abs. 3 BGB zulassen. Es gibt keinen Anlass, das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion über den Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB hinaus auszudehnen ...“ Auch Klausel (2) wäre damit hinsichtlich des Ausschlusses bzgl. des Schadensersatzanspruchs nicht gem. §§ 475 Abs. 1, 139 BGB nichtig. Ergänzung zu: AS-Skript SchuldR BT 1 (2004), S. 127 ff. Amerikanisches Verbraucherrecht STELLA-LIEBECK-PREIS Zum ewigen Ruhm der 81-jährigen Stella Liebeck, die sich bei McDonalds einen Becher Kaffee über den Leib schüttete und anschließend 4,5 Millionen Dollar Schadensersatz erhielt, weil sie nicht auf die Tatsache hingewiesen worden sei, dass der Kaffee heiß ist, wird nun jährlich der STELLA-LIEBECK-PREIS an diejenigen verliehen, die im jeweils vergangenen Jahr mit genialer Unverfrorenheit Schadensersatz gerichtlich forderten und erhielten. Den 5. Platz teilen sich drei Kandidaten: a) Kathleen Robertson aus Austin/Texas wurden von einer Jury 780.000 Dollar Schadensersatz zugesprochen, weil sie sich in einem Möbelgeschäft den Knöchel gebrochen hatte, nachdem sie über einen auf dem Boden herumkriechenden Säugling gestolpert und gestürzt war. Die Ladenbesitzer nahmen das Urteil gefasst aber ungläubig zur Kenntnis, da der Säugling der Sohn der Klägerin war. b) Der 19-jährige Carl Truman aus Los Angeles erhielt 74.000 Dollar Schmerzensgeld und Ersatz der Heilbehandlungskosten, weil ein Nachbar ihm mit seinem Honda Accord über die Hand gefahren war. Mr. Truman hatte anscheinend den Nachbarn am Steuer des Wagens übersehen, als er ihm die Radkappen zu stehlen versuchte. c) Terence Dickson aus Bristol/Pennsylvania versuchte das Haus, das er soeben beraubt hatte, durch die Garage zu verlassen. Es gelang ihm jedoch nicht, die Garagentür zu öffnen. Ins Haus kam er ebenfalls nicht mehr, da die Verbindungstür zur Garage ins Schloss gefallen war. Mr. Dickson musste 8 Tage in der Garage ausharren, denn die Hausbesitzer waren im Urlaub. Er ernährte sich von einem Kasten PepsiCola und einer großen Tüte Hundefutter. Das Gericht sprach ihm wegen der erlittenen seelischen Grausamkeit 500.000 Dollar Schmerzensgeld zu, zahlbar von der Einbruchdiebstahl-Versicherung des Hauseigentümers. Wird fortgesetzt 19 März 2004 Strafrecht Allgemeiner Teil Mittelbare Unterlassungstäterschaft und Kausalität bei kollektiven Unterlassen – BGH NJW 2003, 522 Dreher JuS 2004, 17 Mit der vorgenannten Entscheidung verurteilte der BGH mehrere Mitglieder des Politbüros der SED wegen Totschlags durch Unterlassen in mittelbarer Täterschaft. Gegenstand des Vorwurfs war, als Mitglied des zentralen Lenkungsorgans der DDR unterlassen zu haben, für die Aufhebung des sog. Schießbefehls zu sorgen, und deshalb verantwortlich zu sein für mehrere Fälle des tödlichen Schusswaffengebrauchs zur Verhinderung von Grenzverletzungen. Die Täterschaft der Angeklagten ergebe sich aus ihrer Tatherrschaft in Form der Organisationsherrschaft als Fall des „Täters hinter dem Täter“. Die mittelbare Unterlassungstäterschaft sei in der Rspr. des BGH anerkannt. Insoweit verweist der BGH auf die Entscheidung BGH NJW 1995, 204 (wo es allerdings um den Fall der Veranlassung fremden Unterlassens durch aktives Tun ging). Die Garantenpflicht der Angeklagten ergebe sich als Überwachungspflicht aus dem lebensgefährdenden Charakter der Grenzsicherungsanlagen und als Beschützergarantenpflicht aus der DDR-Verfassung. Die Kausalität des Unterlassens jedes einzelnen Angeklagten scheitere auch nicht daran, dass sein Bemühen um eine Änderung der gegebenen Befehls- und Beschlusslage an der Mehrheit der übrigen Mitglieder des Politbüros gescheitert wäre. Denn da die Kausalität des Unterlassens normativ festzustellen sei, müsse das Recht von der Befolgung seiner Regeln durch die anderen Mitglieder des Politbüros ausgehen und den jeweils anderen gleichrangig verpflichteten Garanten rechtmäßiges Verhalten unterstellen. Dem gegenüber wird die Figur mittelbarer Unterlassungstäterschaft in der Lit. z.T. abgelehnt, z.T. für überflüssig gehalten. Mangels Einwirkung auf den Tatmittler fehle es an einer echten Tatherrschaft aufgrund steuernder Beherrschung des Werkzeugs. Für die Haftung des Garanten sei es ohne Bedeutung, ob dieser gegen menschliches Verhalten oder natürliche Ereignisse einzuschreiten unterlasse. Andere verweisen darauf, dass nach der amtlichen Überschrift des § 13 StGB auch ein „Begehen durch Unterlassen“ möglich ist, sodass auch der mittelbare Unterlassungstäter die Tat durch einen anderen begehe. Einer aktiven Einwirkung auf den Tatmittler bedürfe es bei normativem Verständnis der Tatherrschaftslehre nicht, da zur Begründung mittelbarer Täterschaft in anderen Fällen auch die potentielle Tatherrschaft genüge. Dreher wirft darüber hinaus die Frage auf, ob nicht die 20 AS aktuell gesonderte Feststellung einer Garantenstellung des Hintermannes verzichtbar ist, wenn man bei mittelbarer Unterlassungstäterschaft dem Hintermann ein Tun zurechne. Stelle man andererseits auf die Garantenstellung des Hintermannes ab, könnte man daraus umgekehrt den Schluss ziehen, dass die Handlungszurechnung eines Tuns überflüssig werde. Diese Einwände sind nach Dreher jedoch dadurch zu entkräften, dass sowohl die Garantenstellung als auch die Handlungszurechnung sich hier aus demselben Umstand ergeben, nämlich der Mitgliedschaft im höchsten Machtorgan der DDR. Da zudem auch die mittelbare Täterschaft einen eigenen Tatbeitrag voraussetze, der im Falle einer Garantenstellung durch Unterlassen erbracht werden könne, sei die Anwendung des § 13 StGB notwendig zur Begründung der strafrechtlichen Haftung. Auch der Rückgriff auf die Figur mittelbarer Täterschaft sei nicht verzichtbar. Handele der Täter durch Unterlassen, sei stets Voraussetzung, dass ihm die Rettungshandlung möglich sei. Die Mitglieder des Politbüros hätten jedoch lediglich die Möglichkeit der Ausnutzung ihrer Organisationsherrschaft gehabt. Da damit sowohl die Anwendung des § 25 Abs. 1, 2. Alt. StGB als auch die des § 13 StGB notwendig sei, habe der BGH zu Recht mittelbare Unterlassungstäterschaft angenommen. Problematisch war ferner die Frage der Kausalität. Da täterschaftliche Haftung aus einem Unterlassungsdelikt stets die Möglichkeit der Erfolgsabwendung voraussetzt, wird hiergegen verbreitet eingewandt, dass keines der Mitglieder alleine die Befehlslage hätte ändern können. Dies sei vielmehr nur im Falle des gemeinschaftlichen Unterlassens im Falle der Mittäterschaft gem. § 25 Abs. 2 StGB möglich. Demgegenüber verweist Dreher zu Recht auf die Möglichkeit, die Kausalität mit den Regeln der alternativen Kausalität zu begründen. Zu dem selben Ergebnis kommt man auch mit der Konstruktion der alternativen Kausalität (Mehrfach- oder Doppelkausalität), ohne unterlassene Rettungsbeiträge unter Mittätern gem. § 25 Abs. 2 StGB zurechnen zu müssen. Ein Fall der alternativen Kausalität liegt vor, wenn mehrere Bedingungen zwar alternativ, nicht aber kumulativ hinweggedacht (beim Unterlassungsdelikt: hinzugedacht) werden können, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Die Initiative und entsprechende Stimmabgabe zur Änderung der bestehenden Beschluss- und Befehlslage jedes Mitglieds alleine kann zwar alternativ hinzugedacht werden, ohne dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele. Denkt man sich jedoch die Initiative und befürwortende Stimmabgabe jedes Mitglieds des Politbüros hinzu, entfällt demgegenüber der Erfolg in seiner konkreten Gestalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Das Unterlassen jedes einzelnen Mitglieds ist damit quasi-kausal. Unabhängig davon, ob in solchen Konstellationen Mittäterschaft angenommen werden kann, ist daher Kausalität zumindest über die Figur der alternativen Kausalität zu bejahen. Diese Lösung lässt sich ohne Weiteres auf Fälle fahrlässiger Begehung übertragen, ohne dass man dort die AS aktuell März 2004 Figur der umstrittenen fahrlässigen Mittäterschaft bemühen müsste. Ergänzung zu: AS Skript StrafR AT 2 (2001), S. 18 Nichtvermögensdelikte Die Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes des bargeldlosen Zahlungsverkehrs durch das 35. StrÄndG Husemann NJW 2004, 104 Mit dem 35. StrÄndG, das am 28.12.2003 in Kraft getreten ist, hat der Gesetzgeber den Rahmenbeschluss des Rates der europäischen Union vom 28.05.2001 zur Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln umgesetzt. Kern der Neuregelung sind Änderungen der Strafvorschriften über die Geld- und Wertzeichenfälschung sowie eine Ergänzung des § 263 a StGB wegen Computerbetrugs. Der Tatbestand der Geldfälschung gem. § 146 StGB erfasst in Abs. 1 Nr. 2 neben dem Sichverschaffen nunmehr auch das „Feilhalten“ falschen Geldes. Hierunter ist das äußerlich als solche erkennbare Bereitstellen zum Zwecke des Verkaufs zu verstehen (BGHR StGB § 152 Abs. 1 Nr. 1). Die Bezugnahmen des § 150 StGB auf die Vermögensstrafe gem. § 43 a StGB wurden unter Änderung der Vorschrift gestrichen, da § 43 a StGB vom BVerfG für verfassungswidrig erklärt wurde. Der bisherige Tatbestand der Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Euroschecks in § 152 a StGB wurde ersetzt durch die Neuregelung der Fälschung von Zahlungskarten, Schecks und Wechseln in § 152 a StGB und den Tatbestand der Fälschung von Zahlungskarten mit Garantiefunktion und Vordrucken für Euroschecks in § 152 b StGB. § 152 a StGB erfasst danach mit einer Strafandrohung von Freiheitsstrafe bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe im Gegensatz zum bisherigen Recht Zahlungskarten ohne Garantiefunktion, Schecks und Wechsel. Für die gewerbs- oder bandenmäßige Begehung ist in Abs. 3 als Qualifikation ein Strafrahmen von 6 Monaten bis zu 10 Jahren vorgesehen. Als Zahlungskarten i.S.d. Abs. 1 sind in Abs. 4 Karten definiert, die von einem Kreditinstitut oder Finanzdienstleistungsinstitut herausgegeben wurden und durch Ausgestaltung oder Kodierung besonders gegen Nachahmung gesichert sind. Durch den neuen § 152 b StGB, der der Sache nach der bisherigen Regelung des 152 a StGB entspricht, werden die in § 152 a Abs. 1 StGB n.F. bezeichneten Handlungen in Bezug auf Zahlungskarten mit Garantiefunktion oder Euroscheckvordrucke nunmehr mit Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren und für den Fall gewerbs- oder bandenmäßiger Begehung mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter zwei Jahren bedroht. Als Zahlungskarten mit Garantiefunktion sind in § 152 b Abs. 4 StGB Kreditkarten, Euro- scheckkarten und sonstige Karten definiert, die es ermöglichen, den Aussteller im Zahlungsverkehr zu einer garantierten Zahlung zu veranlassen und durch Ausgestaltung oder Kodierung besonders gegen Nachahmung gesichert sind. Wegen der Vorbereitung der Fälschung verweist auch § 152 b Abs. 5 StGB auf die Regelung des § 149 StGB. Der Begriff des Euroschecks hat, nachdem am 31.12.2001 die Garantiefunktion des Euroschecks aufgehoben wurde, für die Neuregelung keine Bedeutung mehr. Dennoch erfasst § 152 b StGB auch die Fälschung von Euroscheckvordrucken. Dies war erforderlich zur Regelung von Altfällen, also Straftaten die zwar vor dem 01.01.2002 begangen wurden, deren Aburteilung jedoch noch aussteht. Bei einer Streichung würde der Zustand der Straflosigkeit als das „mildeste Gesetz“ i.S.v. § 2 Abs. 3 StGB gelten, weshalb noch nicht geahndete Taten straffrei bleiben würden. Eine entsprechende Anpassung des Gesetzes wird erst erfolgen, wenn für die bis zum 31.12.2001 aufgetretenen Fälle Verjährung eingetreten ist (gem. § 78 Abs. 3 Nr. 2 StGB der 31.12.2021). Euroschecks betreffende Altfälle sind dagegen weiterhin gem. § 152 a StGB a.F. strafbar, da der Wegfall der Garantiewirkung von Euroschecks nicht als Gesetzesänderung i.S.v. § 2 Abs. 3 StGB anzusehen ist. Auch der Begriff der Euroscheckkarte ist nach wie vor in der Regelung des § 152 b Abs. 4 StGB erfasst, obwohl die heutigen ec-Karten („ec“ steht für „elektronic cash“) eigentlich bereits dem Begriff der sonstigen Karten mit Garantiefunktion unterfallen. § 261 Abs. 1, S. 2 Nr. 4 StGB wurde um einen Bezug auf § 152 a StGB ergänzt, sodass auch die Fälschung von Zahlungskarten, Schecks und Wechseln als taugliche Vortat einer Geldwäsche erfasst wird. Ferner wurde § 263 a StGB um einen Abs. 3 ergänzt, wonach das Herstellen, Verschaffen, Feilhalten, Verwahren oder Überlassen von Computerprogrammen, deren Zweck die Begehung einer Straftat gem. § 263 a Abs. 1 StGB ist, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bedroht wird. Ein neuer Abs. 4 verweist allerdings auf die Regeln der tätigen Reue gem. § 149 Abs. 2 und 3 StGB. Im Gegensatz zu § 149 Abs. 1 Nr. 1 StGB, der alle zur Geldfälschung geeigneten Computerprogramme erfasst, stellt § 152 b StGB auf den objektiven Zweck des Computerprogramms zur Begehung eines Computerbetrugs ab. Dies war notwendig, weil die Begehungsweisen eines Computerbetrugs sowie die dafür verwendbaren Programme sehr vielfältig sind. Es erscheint zweifelhaft, ob es spezielle Computerprogramme gibt, die ihrer Art nach zur Begehung eines Computerbetruges geeignet sind, da diese Eignung den meisten Anwendungsprogrammen zukommt. Daher ist erforderlich aber auch ausreichend, dass das Programm in erster Linie und hauptsächlich zu dem speziellen Verwendungszweck der Begehung des Computerbetrugs hergestellt oder adaptiert wird. Ergänzung zu: AS-Skript StrafR BT 3 (2003), S. 128 ff. 21 März 2004 Öffentliches Recht Verfassungsrecht Staatsziel Tierschutz Kluge ZRP 2004, 10 Durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 26.07.2002 (BGBl. I S. 2862) ist die Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG um den Tierschutz erweitert worden. Bedeutung hat das Staatsziel vor allem bei der Beschränkung an sich vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte durch Vorschriften des Tierschutzgesetzes (TierSchG). Vor 2002 wurde der Tierschutz lediglich beiläufig in Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG erwähnt. Die Vorschrift begründet indes lediglich eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes, verleiht dem Tierschutz aber keinen Verfassungsrang (vgl. BVerwGE 105, 73, 81). Deshalb hat die Rspr. in Kollisionslagen stets die betroffenen Grundrechte als vorrangig gewertet. So hat das BVerfG z.B. im sog. Schächturteil (BVerfGE 104, 337) § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG (Ausnahmegenehmigung zum betäubungslosen Schlachten von Tieren) verfassungskonform dahin ausgelegt, dass mit „zwingenden Vorschriften“ einer Religionsgemeinschaft im Hinblick auf Art. 4 GG nicht notwendig ein Gesamtkonsens gemeint sei, ausreichend sei vielmehr, dass der Antragsteller substanziiert und nachvollziehbar dargelegt habe, dass nach der gemeinsamen Glaubensüberzeugung der betreffenden Religionsgemeinschaft der Verzehr des Fleisches von Tieren zwingend eine betäubungslose Schlachtung voraussetzt. In der Entscheidung, die vor der Grundgesetzänderung erging, hielt das BVerfG den Tierschutz jedoch lediglich für ein legitimes Regelungsziel, damals noch ohne Verfassungsrang. Kluge nimmt dies zum Anlass, die Auswirkungen durch die Schaffung des Staatsziels Tierschutz zu untersuchen. Hervorzuheben ist dabei insb. eine Entscheidung des HessVGH (NVwZ 2003, 881), dem Kluge „Verfassungs-Ignoranz“ vorwirft. Kluge a.a.O.: „ ... wird doch dort bei der Auslegung der Genehmigungsvoraussetzungen für Tierversuche in §§ 7 ff. TierSchG völlig unbekümmert auf die dem Tierschutz nur marginale Bedeutung einräumende Rechtsprechung vor der Verfassungsänderung zurückgegriffen, ohne das neue Staatsziel Tierschutz auch nur zu erwähnen und die sich daraus möglicherweise ergebenden rechtlichen Schlussfolgerungen zu diskutieren.“ Ähnlich verhalte es sich mit der neueren Rspr. zur sog. Schächtvorschrift des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG. Kluge a.a.O. S. 13: „So geht das OVG Münster in seiner – soweit ersichtlich – noch nicht veröffentlichten Entscheidung vom 16.7.2003 [Az.: 20 A 1108/03] nach wie vor davon aus, 22 AS aktuell dass die mehrfach erwähnte „Schächt-Entscheidung“ des BVerfG vom 15.01.2002 „die verfassungsrechtlichen Maßstäbe“ bei einer Ausnahmegenehmigung nach § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG klarstelle, so als ob es die Verfasssungsänderung im Sinne des Tierschutzes überhaupt nicht gegeben hätte.“ Damit werde der ausdrückliche Wille des Verfassungsgesetzgebers missachtet. Dieser habe mit Einfügung des Staatszieles Tierschutz in das Grundgesetz ausdrücklich auf das von ihm für falsch gehaltene Urteil des BVerfG reagiert. Die jetzt zu beobachtende Perpetuierung dieser Entscheidungspraxis desavouiere das klar formulierte Anliegen des Verfassungsgebers, dem Tierschutz eine „faire Chance“ zu geben. Kluge verweist darauf, dass das BVerfG durch seine „Kopftuch-Entscheidung“ vom 24.09.2003 (NJW 2003, 3111) klargestellt habe, dass die Abwägung von vorbehaltlosen Grundrechten und anderen Verfassungsgütern zuvörderst die Aufgabe des Gesetzgebers ist und er insoweit eine Entscheidungsprärogative besitzt. Kluge a.a.O. S. 13 f.: „Gesetzesinitiativen wie die der nordrhein-westfälischen CDU-Landtagsfraktion [LT-Dr. 13/3348 v. 07.01.2003] zur stärkeren Betonung des Tierschutzes bei den gesetzlichen Regelungen des Schächtens in § 4 a Abs. 2 Nr. 2 [TierSchG} scheinen demnach tatsächlich erforderlich, weil die Rechtsprechung zur Zeit nicht gewillt zu sein scheint, die von ihr entwickelte Spruchpraxis allein durch eine Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers in Frage stellen zu lassen.“ Ergänzung zu: AS-Skript Grundrechte (2003), S. 84 ff. Verwaltungsprozessrecht Errichtung einer einheitlichen öffentlichrechtlichen Fachgerichtsbarkeit http://www.rivsgbnrw.de Aufgrund Beschlusses der Justizministerkonferenz vom 06.11.2003 wird zurzeit die Zusammenlegung der Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit diskutiert. Eine Arbeitsgruppe soll bis zum Juni 2004 Vorschläge erarbeiten. Ein wichtiges Signal hierbei ist die Protokollerklärung der Bundesregierung im Vermittlungsverfahren Harz III u. IV vom Dezember 2003, die Sozialgerichtsbarkeit durch besondere Spruchkörper der Verwaltungsgerichte ausüben zu lassen. Im Zusammenhang damit steht das Gesetz zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 (BGBl I S. 3022). Das bisherige BSHG wird zum 01.01.2005 durch das SGB XII abgelöst. Für sozialhilferechtliche Streitigkeiten sollen dann nach Art. 38 des Gesetzes nicht mehr die Verwaltungsgerichte, sondern die Sozialgerichte zuständig sein (§ 51 Abs. 1 Nr. 6 a SGG n.F.). Im Hinblick darauf hat sich AS aktuell März 2004 der Präsident des OVG NRW mit Presserklärung vom 06.02.2004 für eine zügige Zusammenlegung der Sozialgerichtsbarkeit mit der Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgesprochen. Es sollte insbesondere sichergestellt werden, dass ab dem 01.01.2005 die Verwaltungsgerichte über besondere Spruchkörper weiterhin für die sozialhilferechtlichen Verfahren nach dem SGB XII zuständig sind. Ergänzung zu: AS-Skript VwGO (2003), S. 1 ff. Besonderes Ordnungsrecht Neuregelungen im Handwerksrecht Das Handwerksrecht ist Teil des Gewerberechts, dient aber – anders als z.B. die GewO o. das GaststättenG – weniger der Gefahrenabwehr als vielmehr dem Schutz und der Förderung des Handwerks als Berufsstand. Die einschlägigen Regelungen sind durch zwei zum 01.01.2004 in Kraft getretene Gesetze grundlegend geändert worden: • Drittes Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften vom 24.12.2003 (BGBl. I, S. 2934) • Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung und zur Förderung von Kleinunternehmen vom 24.12. 2003 (BGBl. I, S. 2933). Bislang erforderte die selbstständige Ausübung eines Handwerksbetriebes generell die Eintragung in die Handwerksrolle (§ 1 Abs. 1 HandwO a.F.). Eingetragen wurde nur, wer die Meisterprüfung bestanden (§ 7 Abs. 1 HandwO a.F.) oder eine gleichwertige Berechtigung erworben hatte (§ 7 Abs. 2 HandwO a.F.) oder über eine Ausnahmebewilligung nach §§ 8, 9 HandwO verfügte. Daraus folgte, dass die Meisterprüfung (sog. großer Befähigungsnachweis) regelmäßig Voraussetzung für den Betrieb eines Handwerks war. Nach § 1 HandwO n.F. gilt dies nunmehr nur noch für sog. zulassungspflichtige Handwerke i.S. der Anlage A zur HandwO. Dort wurde die Zahl der Handwerksgewerbe, die nur nach Meisterprüfung ausgeübt werden dürfen, von 94 auf 41 reduziert. Zulassungspflichtig sind insb. Handwerksberufe, deren Ausübung eine Gefahr für die Gesundheit oder das Leben Dritter begründen kann (z.B. Maurer und Betonbauer, Zimmerer, Dachdecker, Elektrotechniker). Die übrigen 53 Handwerke werden von § 18 HandwO i.V.m. der Anlage B Abschnitt 1 zur HandwO n.F. als zulassungsfreie Handwerke von der Pflicht zur Eintragung in die Handwerksrolle ausgenommen, sodass die selbstständige Ausübung auch keine Meisterprüfung voraussetzt (z.B. Fliesenleger, Uhrmacher, Schneider, Fotograf). Unverändert gibt es daneben noch die handwerksähnlichen Gewerbe (§ 18 HandwO i.V.m. Anlage B Abschnitt 2 zur HandwO n.F.), die ebenfalls ohne Meisterprüfung ausgeführt werden dürfen. Allerdings muss der Inhaber den Betrieb ebenso wie bei den zulassungsfreien Handwerken der Handwerkskammer anzeigen (§ 18 Abs. 1 HandwO n.F.). Auf zulassungfreie Handwerke und handwerksähnliche Gewerbe finden nur einige wenige Vorschriften der HandwO Anwendung (§ 20 HandwO n.F.). Ergänzend zu diesen Regelungen wurde die Ausübung einfacher handwerklicher Tätigkeiten erleichtert. Nach § 1 Abs. 2 S. 2 HandwO handelt es sich um einen zulassungspflichtigen Handwerksbetrieb nur dann, wenn Tätigkeiten ausgeübt werden, die für das Gewerbe „wesentlich“ sind. § 1 Abs. 2 S. 3 HandwO n.F. stellt klar, dass keine wesentlichen Tätigkeiten insbesondere solche sind, die in einem Zeitraum von bis zu drei Monaten erlernt werden können. Auch Tätigkeiten, die zwar eine längere Anlernzeit verlangen, aber für das Gesamtbild des betreffenden zulassungspflichtigen Handwerks nebensächlich sind, dürfen ohne handwerkliche Zulassungsbeschränkung ausgeübt werden. Allerdings dürfen einfache Tätigkeiten nicht so kumuliert werden, dass sie einen wesentlichen Teil eines zulassungspflichtigen Handwerks ausmachen (§ 1 Abs. 2 S. 4 HandwO n.F.). Die Personen, die ein solches Minderhandwerk nach dem 30.12.2003 erstmalig ausüben, gehören nach § 90 Abs. 3 HandwO n.F. unter bestimmten Voraussetzungen gleichwohl der Handwerkskammer an. Die HandwO gilt grds. auch für handwerkliche Nebenbetriebe, in denen Leistungen im Rahmen eines (nichthandwerklichen) Hauptbetriebes erbracht werden (z.B. Kfz-Werkstatt einer Tankstelle). Etwas anderes gilt nur, wenn die handwerkliche Tätigkeit nur in unerheblichem Umfang ausgeübt wird (§ 3 Abs. 1 HandwO). Für die Erheblichkeit kommt es nach § 3 Abs. 2 HandwO n.F. nur noch auf den Tätigkeitsumfang an, der Umsatz ist als Abgrenzungskriterium gestrichen worden. Generell nicht anwendbar ist die HandwO auf Hilfsbetriebe (= unselbstständige, der wirtschaftlichen Zweckbestimmung des Hauptbetriebes dienende Handwerksbetriebe, z.B. praxiseigenes Labor eines Zahnarztes). In die Legaldefinition ist in § 3 Abs. 3 HandwO n.F. der Begriff „Installationsarbeiten“ ergänzt worden, sodass Hersteller die von ihnen produzierten Produkte bei Dritten installieren dürfen, ohne in der Handwerksrolle eingetragen zu sein. Soweit es sich um ein zulassungspflichtiges Handwerk handelt, bleibt weiterhin grds. die Meisterprüfung Voraussetzung für die Ausübung des Gewerbes. Gemäß § 7 b HandwO n.F. können allerdings auch erfahrene Gesellen unter bestimmten Voraussetzungen (u.a. sechs 23 März 2004 Jahre praktische Tätigkeit, davon vier Jahre in leitender Position) eine Ausübungsberechtigung in den meisten zulassungspflichtigen Handwerksberufen erhalten. Dies gilt allerdings nicht für Schornsteinfeger und Gesundheitshandwerke (Augenoptiker, Zahntechniker etc.). Abgeschafft hat der Gesetzgeber das sog. Inhaberprinzip (§ 7 HandwO a.F.). Bisher musste der Inhaber eines Handwerksbetriebes grds. selbst den Meisterbrief besitzen (Ausnahmen galten u.a. für juristische Personen und Personengesellschaften). Nunmehr wird der Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks unabhängig von der Rechtsform nur noch davon abhängig gemacht, dass der Betriebsleiter des einzutragenden Unternehmens die erforderliche handwerksrechtliche Befähigung besitzt. Erheblich vereinfacht wurde im Übrigen das Verfahren für den Qualifikationsnachweis von Bürgern aus anderen EU-Staaten (§ 9 Abs. 2 HandwO n.F.). Nach § 4 HandwO a.F. durften bestimmte Personen (Ehegatte, Testamentsvollstrecker u.a.) den Betrieb nach dem Tod des Betriebsinhabers befristet fortführen, ohne die handwerksrechtlichen Voraussetzungen zu erfüllen. § 4 HandwO n.F. erweitert den Kreis der fortführungsberechtigten Personen auf den Lebenspartner des Betriebsinhabers. Während bislang die Fortführung ein Jahr lang zulässig war, hat der Berechtigte nunmehr „unverzüglich“ einen Betriebsleiter nach § 7 Abs. 1 HandwO zu bestellen, der die Voraussetzungen zur Eintragung in die Handwerksrolle erfüllt. Die Handwerkskammer kann in Härtefällen eine angemessene Frist setzen, wenn eine ordnungsgemäße Führung des Betriebs gewährleistet ist. Das Verfahren zur Eintragung und Löschung in die Handwerksrolle (§§ 11, 13 HandwO) ist unverändert geblieben. Ermächtigungsgrundlage für Untersagungsverfügungen bleibt § 16 Abs. 3 HandwO, der jedoch inhaltlich erheblich geändert worden ist. Voraussetzung für ein behördliches Einschreiten ist, dass der selbstständige Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks als stehendes Gewerbe entgegen den Vorschriften der HandwO erfolgt, also insb. unter Verstoß gegen § 1 Abs. 1 HandwO ohne Eintragung in die Handwerksrolle. Die Untersagung durch die nach Landesrecht zuständige Behörde ist aber nur zulässig, wenn die Handwerkskammer und die Industrie- und Handelskammer zuvor angehört worden sind und in einer gemeinsamen Erklärung mitgeteilt haben, dass sie die Voraussetzungen einer Untersagung als gegeben ansehen. Durch die gemeinsame Erklärung sollen Abgrenzungsprobleme zwischen Handwerkskammer und IHK bereits vor Erlass der Untersagungsverfügung geklärt werden. Können sich die beiden Kammern nicht auf eine gemeinsame Erklärung verständigen, sieht § 16 Abs. 4 bis 6 HandwO n.F. ein besonderes Schlichtungsverfahren vor. Bei Gefahr im Verzug kann 24 AS aktuell die zuständige Behörde die Fortsetzung des Gewerbes nach § 16 Abs. 3 HandwO aber auch ohne die gemeinsame Erklärung bzw. ohne Schlichtungsverfahren vorläufig untersagen (§ 16 Abs. 8 HandwO n.F.). Gefahr im Verzug ist allerdings nicht allein deswegen anzunehmen, weil ein zulassungspflichtiges Handwerk möglicherweise unberechtigt ausgeübt wird. Es kommt vielmehr auf die konkrete Tätigkeit und dadurch bedingte Gefährdungen an, wobei die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind (BT-Drs. 15/1206, S. 32). Die bislang in § 16 Abs. 4 HandwO a.F. vorgesehene zwangsweise Schließung bei Missachtung der Untersagungsverfügung findet sich unverändert in § 16 Abs. 9 HandwO n.F. Gegen die Untersagungsverfügung nach § 16 Abs. 3 HandwO und Anordnungen nach § 16 Abs. 9 HandwO kann der Adressat nach erfolglosem Vorverfahren (§ 68 Abs. 1 VwGO) Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 VwGO) erheben. Die beteiligten Körperschaften (Handwerkskammer und IHK) haben kein Klagerecht. Für die IHK galt dies bereits nach dem früheren Recht, § 16 Abs. 3 S. 3 HandwO a.F. sah lediglich ihre Beiladung vor (anders z.B. § 12 HandwO bei Eintragung in die Handwerksrolle). Die Handwerkskammer konnte dagegen bislang nach § 16 Abs. 3 S. 2 HandwO a.F. Verpflichtungsklage erheben, wenn ihrem Antrag auf Untersagung nicht stattgegeben wurde. Diese Vorschrift ist nicht in die Neuregelung übernommen worden. Eine Klagebefugnis der Handwerkskammern entsteht auch nicht durch die in § 16 Abs. 3 S. 2 HandwO n.F. vorgesehene Anhörungspflicht. Anhörungsrechte in einem Verwaltungsverfahren können unterschiedlicher Natur sein. Sie können eine partielle Beteiligtenstellung begründen, die auch eine unbeschränkte Klagebefugnis gegen die Sachentscheidung verschafft oder zumindest eine Klagebefugnis, die auf die Geltendmachung der Verletzung des Verfahrensrechts beschränkt ist. In Fällen, in denen es sich bei dem Anhörungsrecht dagegen nur um eine bloße Ordnungsvorschrift handelt, begründet das Anhörungsrecht kein Klagerecht. So verhält es sich mit der Anhörung nach § 16 Abs. 3 S. 2 HandwO n.F., da es nach der Neufassung keinen Anspruch der Handwerkskammer auf Untersagung gibt, der durch eine Anhörung gewahrt werden soll. Die Anhörung dient vielmehr der Verbreiterung der Entscheidungsgrundlage der zuständigen Behörde (Gesetzesbegründung in BT-Drs. 15/1206, S. 32) Beachte: § 16 Abs. 3 u. 9 HandwO erfasst nur die Untersagung und Schließung wegen Verstoßes gegen die Vorschriften der HandwO. Bei Unzuverlässigkeit eines Handwerkers gilt wie bei anderen Gewerbetreibenden § 35 GewO. Ergänzung zu: AS-Skript Besonderes OrdnungsR (2002), S. 116 ff.