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März 2004
Für unsere Hörer
M
und RÜ-Bezieher
Annette-Allee 35 - 48149 Münster
Tel.: 0251-98109-0 - Fax: -98109-62
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AS aktuell
Zivilrecht
Verbraucherschutzrecht
Rückgaberecht bei Unmöglichkeit der
Rückgabe?
Otte/Kapitza ZGS 2004, 54 ff.
Das für Verbraucher im BGB vorgesehene Recht des
Widerrufs eines Verbrauchervertrages (§ 355 BGB,
Bsp.: §§ 312 Abs. 1 S. 1, 312 d Abs. 1 S. 1, 485 Abs. 1,
495 Abs. 1, 505 Abs. 1 S. 1 BGB) kann bei ausdrücklicher gesetzlicher Gestattung durch ein Rückgaberecht
i.S.d. § 356 BGB ersetzt werden (Bsp.: §§ 312 Abs. 1
S. 2, 312 d Abs. 1 S. 2, 503 Abs. 1 BGB).
Dieses Rückgaberecht kann gem. § 356 Abs. 2 S. 1
BGB nur durch Rücksendung der Ware oder, wenn
die Sache nicht als Paket versandt werden kann, durch
Rücknahmeverlangen ausgeübt werden.
Bedeutet dies, dass das Rückgaberecht ausgeschlossen
ist, wenn die zurückzugebende Sache beim Verbraucher untergegangen oder abhanden gekommen ist oder
aus einem anderen Grunde nicht mehr zurückgewährt
werden kann?
Der Verbraucher hätte dann weder ein Widerrufsrecht
(weil wirksam gem. § 356 BGB i.V.m. anderweitiger
Anordnung durch ein Rückgaberecht ersetzt), noch ein
Rückgaberecht.
1. Ermittlung der Gesetzeslage
Anders ausgedrückt: Setzt die Geltendmachung des
Rückgaberechts als einzige zur Verfügung stehende
Möglichkeit für den Verbraucher, sich einseitig und
ohne besondere Voraussetzungen vom Vertrag zu lösen, die Möglichkeit der Rückgabe durch den Verbraucher voraus?
Bereits im Vorhinein ist darauf hinzuweisen, dass sich
das Problem auch bei teilweiser Unmöglichkeit der
Rückgabe stellt (§ 357 Abs. 1 S. 1 BGB verweist auf
das gesetzliche Rücktrittsrecht und damit auch auf die
Regelung des § 323 Abs. 5 S. 1 BGB): kann sich derjenige, der nur teilweise zurückgeben kann, nur insoweit
auf sein Rückgaberecht aus § 356 BGB berufen, soweit
die Rückgabe möglich ist oder besteht für ihn auch im
Übrigen die Möglichkeit, sich einseitig vom Vertrag zu
lösen?
a) Wortlautauslegung
Hat der Verbraucher die Sache nicht mehr, kann er sie
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auch nicht zurücksenden. Gleichfalls kommt ein an
den Unternehmer gerichtetes Rücknahmeverlangen
nicht in Betracht, weil dies die Existenz der zurückzunehmenden Sache bedingt. Zwar könnte man auf den
Gedanken kommen, eine nicht mehr im Besitz des
Verbrauchers befindliche Sache könne nicht i.S.d.
§ 356 Abs. 2 S. 1 BGB als Paket versandt werden.
Bereits nach dem Wortlaut der Regelung bezieht sich
dies aber auf die erste Alternative der Vorschrift, meint
also Sachen, die existent sind, deren Beförderung aber
im Paketwege von den Versanddiensten nicht angeboten wird. Ein Abholungsverlangen bei nicht vorhandenem abzuholendem Gegenstand wäre auch ersichtlich
sinnlos.
Nach dem Wortlaut der Regelung ist damit das Rückgaberecht bei Unmöglichkeit der Rückgabe nicht gegeben.
b) Systematische Auslegung
Das Rückgaberecht des § 356 BGB steht im engen
systematischen Zusammenhang mit dem Widerrufsrecht, an dessen Stelle es treten soll.
Das Widerrufsrecht seinerseits ist nicht ausgeschlossen, wenn der aufgrund des gem. § 357 Abs. 1 S. 1
BGB entstehenden Rückgewährschuldverhältnisses gem.
§ 346 Abs. 1 BGB zurückzugebende Gegenstand untergegangen ist. Der Widerrufende hat dann lediglich
– da die Rückabwicklung in Natur i.S.d. § 346 Abs. 1
BGB ausgeschlossen ist – möglicherweise Wertersatz
für den Gegenstand zu leisten (§ 346 Abs. 2 S. 1 Nr. 3
BGB; der Wegfall der Wertersatzpflicht gem. § 346
Abs. 3 S. 1 Nr. 3 BGB kommt bei ordnungsgemäßer
Aufklärung des Verbrauchers nicht zum Tragen, vgl.
§ 357 Abs. 3 S. 3 BGB).
Das spricht – auch im Hinblick auf die weitestgehende
Rechtsfolgenidentität von Widerrufs- und Rückgaberecht (vgl. § 357 Abs. 1 S. 1 BGB) – dafür, dass der
Verbraucher auch bei Unmöglichkeit der Rückgabe
der Sache eine Chance auf einseitiges Loslösen vom
Vertrag erhalten muss.
c) Historische Auslegung
Die heutige Regelung des Widerrufs- bzw. Rücktrittsrechts hatte seine Vorläufervorschriften in den §§ 361
a und b BGB a.F.
Otte/Kapitza ZGS 2004, 54, 56: „Hinsichtlich des Untergangs des Vertragsgegenstandes ordnete § 361 b Abs. 2 S. 2
BGB ausdrücklich die entsprechende Geltung des § 361 a
Abs. 2 BGB an ... Der Gesetzgeber stellte also klar, dass der
Verbraucher sich auch im Falle der Unmöglichkeit der Rückgewähr vom Vertrag lösen konnte ...
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Die Vorschrift über die Ausübung des Rückgaberechts (§ 356
Abs. 2 BGB n.F.) ist daher jetzt, jedenfalls bei isolierter Betrachtung, der Gefahr des Missverständnisses ausgesetzt, als
ob hier neuerdings das Vorhandensein des Vertragsgegenstandes beim Verbraucher für die Lösung vom Vertrage
vorausgesetzt sei. Dass eine Rechtsänderung ggü. §§ 361 a, b
BGB a.F. nicht beabsichtigt war, ergibt sich jedoch aus den
Materialien zur Schuldrechtsreform eindeutig: Der Reformgesetzgeber ging von einer inhaltlichen Übereinstimmung der
neuen mit der alten Vorschrift über das Rückgaberecht aus
und wollte nur eine „Straffung“, also eine textliche Vereinfachung erreichen.“
Folglich spricht auch die historische Auslegung für die
Existenz eines einseitigen Vertragsbeendigungsrechts
auch für den Fall der Unmöglichkeit der Rückgabe des
zurückzugebenden Gegenstandes.
d) Teleologische Auslegung
Sinn und Zweck des Rückgaberechtes ist es, eine besondere, auf die Erfordernisse des Versandhandels
Rücksicht nehmende und an die Stelle des Widerrufs
tretende Regelung zu schaffen.
Otte/Kapitza ZGS 2004, 54, 55: „Es ermöglicht dem
Verbraucher die Lösung von einem (schwebend) wirksamen
Vertrag dadurch, dass er seine Verpflichtung aus dem künftigen Rückgewährschuldverhältnis (§ 346 Abs. 1 BGB) erfüllt,
das mit seinem Entfallen seiner Bindung an die im Rahmen
des Verbrauchervertrages abgegebene Willenserklärung (§ 355
Abs. 1 S. 1 BGB) entsteht. Dem Unternehmer bleibt es dadurch erspart, sich nach erfolgter Lösung des Verbrauchers
vom Vertrag noch um die Wiedererlangung des ausgelieferten Gegenstandes kümmern zu müssen.“
Als Zwischenergebnis ist folglich festzuhalten, dass
zwar – abgesehen vom Wortlaut – sämtliche Auslegungsmethoden zu dem Ergebnis kommen, dass dem
Verbraucher auch bei Ersetzung des Widerrufsrechts
durch ein Rückgaberecht bei gleichzeitiger Unmöglichkeit der Rückgabe des zurückzugebenden Gegenstandes ein einseitiges Loslösungsrecht vom Vertrag
zustehen muss, das dafür allein dann in Betracht
kommende Widerrufsrecht aber ausgeschlossen ist.
2. Lösungsvorschläge
In Betracht kommt, es beim Ausschluss des Rückgaberechts entsprechend dem Wortlaut des § 356 Abs. 2
S. 1 BGB („nur“) zu lassen und wenn und soweit das
Rückgaberecht mangels Unmöglichkeit der Rückgabe
nicht gegeben ist, das Recht zum Widerruf aus § 355
BGB anzuwenden.
Otte/Kapitza ZGS 2004, 54, 55: „Folglich besteht ein Interesse an der Loslösung vom Vertrag durch Rückgabe nur so
lange, wie dem Verbraucher die Erfüllung der Rückgewährverpflichtung noch möglich und Letztere nicht bereits in eine
Wertersatzverpflichtung umgeschlagen ist ... Dem Zweck der
§§ 355–357 BGB n.F., eine Lösung vom Vertrag in einer für
alle Seiten möglichst sachgerechten Weise sicherzustellen, ist
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also am ehesten damit gedient, wenn dem Verbraucher, dem
ein Rückgaberecht eingeräumt wurde, im Fall der Unmöglichkeit der Rückgabe der Rückgriff auf das Widerrufsrecht
gestattet wird ...“
S. 57: „Für den Widerruf gilt hier aber eine Besonderheit:
Der Unternehmer, der über den Untergang oder das Abhandenkommen des Vertragsgegenstandes nicht informiert ist,
müsste eine bloße Widerrufserklärung des Verbrauchers für
unwirksam halten. Daher muss der an sich nicht begründungsbedürftige (vgl. § 355 Abs. 1 S. 2 BGB n.F.) Widerruf
hier die Information an den Unternehmer enthalten, warum
der Verbraucher zur Rückgabe nicht in der Lage ist.“
Die Lösung kann dogmatisch also in einer teleologischen Reduktion des § 356 Abs. 1 S. 1 BGB liegen: das
Rückgaberecht ersetzt nur das Widerrufsrecht, wenn
und soweit die Rückgabe möglich ist.
Ebenso vertretbar wäre, den Vorrang des Rückgaberechts beizubehalten; erforderlich wäre dann eine
teleologische Reduktion des Wortes „nur“ in § 356
Abs. 2 S. 1 BGB. Im Falle der Unmöglichkeit der
Rückgabe muss dann die Ausübung des Rückgaberechts durch wörtliche Erklärung ausreichen.
Ergänzung zu: AS-Skript SchuldR BT 2 (2003), S. 168 ff.
Verbrauchsgüterkauf
Geltungserhaltende Reduktion im
Rahmen des § 475 Abs. 3 BGB?
Deckenbrock/Dötsch ZGS 2004, 62 ff.
Das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion ist aus
dem AGB-Recht bekannt: Wenn sich eine AGBKlausel wegen Verstoßes gegen §§ 309–307 BGB als
unwirksam herausgestellt hat, kann sie, auch für den
Fall, dass sich in ihr ein „minus“ verbirgt, das bei eigenständiger Überprüfung anhand der Maßstäbe der
§§ 309–307 BGB wirksam sein würde, keinen Bestand
mit dem Inhalt des „minus“ haben.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn der unwirksame
Bestandteil einfach weggestrichen werden kann (sog.
blue-pencil-test; Einzelheiten zur Thematik vgl. Palandt/Heinrichs, 63. Aufl. 2004, Rdnr. 8, 11).
Im Zusammenhang mit Klauseln im Rahmen des
Verbrauchsgüterkaufes kann es zu einer vergleichbaren Thematik kommen.
Stellen Sie sich vor, die zu untersuchenden Klauseln
haben folgenden Wortlaut:
(1) Das Recht der Nacherfüllung, zurückzutreten, zu
mindern oder Schadensersatz zu verlangen, wird ausgeschlossen. Oder:
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(2) Die Gewährleistung für Mängel der Kaufsache wird
ausgeschlossen.
Hinsichtlich der ersten Klausel kann (und muss man
wg. § 475 Abs. 1 BGB) die Begrifffe: Nacherfüllung,
zurückzutreten, zu mindern problemlos mit einem
blauen Stift streichen, ohne dass der Ausschluss des
Anspruchs auf Schadensersatz darunter leiden müsste.
Dieser ist – vorbehaltlich einer Überprüfung anhand
der §§ 309–307 BGB – aber jedenfalls nicht wegen der
Regelungen über den Verbrauchsgüterkauf unwirksam
(vgl. § 475 Abs. 3 BGB). Eine Unwirksamkeit ergibt
sich auch insoweit nicht gem. § 139 BGB, da die Parteien den Haftungsausschluss auch ohne die nichtigen
Elemente vereinbart hätten.
Hinsichtlich der zweiten Klausel ist die Sachlage
schwieriger: kann diese auch dahingehend „eingedampft“ werden, dass zumindest der schadensersatzrechtliche Haftungsausschluss nicht an § 475 Abs. 1
BGB scheitert oder gilt: Wenn nichtig, dann vollständig?
Deckenbrock/Dötsch ZGS 2004, 63-64: „Hilfreich sein
könnte ggf. ein Vergleich mit der Handhabung des § 276
Abs. 3 BGB, wonach die Haftung wegen Vorsatzes nicht im
Voraus erlassen werden kann. Die Norm – die auch im Beispielsfall greifen würde – wird allenthalben so verstanden,
dass der Haftungsausschluss entgegen der Zweifelsregelung
des § 139 BGB nur insoweit nichtig ist, als die Haftung auch
für Vorsatz erlassen wird. Ähnlich könnte man § 475 BGB
verstehen ...
Indes sprechen andererseits durchaus Argumente für eine
Übertragbarkeit des für das AGB-Recht entwickelten Verbots
der geltungserhaltenden Reduktion: Bei den §§ 474 ff. BGB
handelt es sich – wie grds. bei den §§ 305 ff. BGB – um
Verbraucherschutzvorschriften. § 475 BGB ist eine Norm,
die der Gesetzgeber geschaffen hat, um den Schutz der
§§ 305 ff. BGB zu verstärken ...“
Dagegen könnte man aber einwenden, dass zumindest
im Bereich individualvertraglicher Haftungsbeschränkungen im Bereich des Verbrauchsgüterkaufs der Sinn
und Zweck des Verbotes der teleologischen Reduktion
– Disziplinierung des Vorformulierenden – nicht erreicht werden kann; an einer solchen Regelung ist der
Verbraucher schließlich selbst beteiligt.
Deckenbrock/Dötsch a.a.O.: „Es darf jedoch nicht verkannt
werden, dass das Verbot der geltungserhaltenden Reduktion
allgemein ins Kreuzfeuer der Kritik geraten ist und zudem
von der Rspr. selbst im AGB-Bereich vor allem aber bei der
verwandten Problematik gesetzes- und sittenwidriger Geschäfte oft nicht stringent durchgehalten wird ...
Aufgrund dieser teleologischen Überlegungen sollte man eine
geltungserhaltende Reduktion im Zusammenspiel von § 475
Abs. 1 und Abs. 3 BGB zulassen. Es gibt keinen Anlass, das
Verbot der geltungserhaltenden Reduktion über den Anwendungsbereich der §§ 305 ff. BGB hinaus auszudehnen ...“
Auch Klausel (2) wäre damit hinsichtlich des Ausschlusses bzgl. des Schadensersatzanspruchs nicht
gem. §§ 475 Abs. 1, 139 BGB nichtig.
Ergänzung zu: AS-Skript SchuldR BT 1 (2004), S. 127 ff.
Amerikanisches
Verbraucherrecht
STELLA-LIEBECK-PREIS
Zum ewigen Ruhm der 81-jährigen Stella Liebeck, die
sich bei McDonalds einen Becher Kaffee über den
Leib schüttete und anschließend 4,5 Millionen Dollar
Schadensersatz erhielt, weil sie nicht auf die Tatsache
hingewiesen worden sei, dass der Kaffee heiß ist, wird
nun jährlich der STELLA-LIEBECK-PREIS an diejenigen verliehen, die im jeweils vergangenen Jahr mit
genialer Unverfrorenheit Schadensersatz gerichtlich
forderten und erhielten.
Den 5. Platz teilen sich drei Kandidaten:
a) Kathleen Robertson aus Austin/Texas wurden von
einer Jury 780.000 Dollar Schadensersatz zugesprochen, weil sie sich in einem Möbelgeschäft den Knöchel gebrochen hatte, nachdem sie über einen auf dem
Boden herumkriechenden Säugling gestolpert und
gestürzt war. Die Ladenbesitzer nahmen das Urteil
gefasst aber ungläubig zur Kenntnis, da der Säugling
der Sohn der Klägerin war.
b) Der 19-jährige Carl Truman aus Los Angeles erhielt
74.000 Dollar Schmerzensgeld und Ersatz der Heilbehandlungskosten, weil ein Nachbar ihm mit seinem
Honda Accord über die Hand gefahren war. Mr. Truman hatte anscheinend den Nachbarn am Steuer des
Wagens übersehen, als er ihm die Radkappen zu stehlen versuchte.
c) Terence Dickson aus Bristol/Pennsylvania versuchte
das Haus, das er soeben beraubt hatte, durch die
Garage zu verlassen. Es gelang ihm jedoch nicht,
die Garagentür zu öffnen. Ins Haus kam er ebenfalls
nicht mehr, da die Verbindungstür zur Garage ins
Schloss gefallen war. Mr. Dickson musste 8 Tage in
der Garage ausharren, denn die Hausbesitzer waren
im Urlaub. Er ernährte sich von einem Kasten PepsiCola und einer großen Tüte Hundefutter.
Das Gericht sprach ihm wegen der erlittenen seelischen Grausamkeit 500.000 Dollar Schmerzensgeld
zu, zahlbar von der Einbruchdiebstahl-Versicherung
des Hauseigentümers.
Wird fortgesetzt
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Strafrecht
Allgemeiner Teil
Mittelbare Unterlassungstäterschaft und
Kausalität bei kollektiven Unterlassen –
BGH NJW 2003, 522
Dreher JuS 2004, 17
Mit der vorgenannten Entscheidung verurteilte der
BGH mehrere Mitglieder des Politbüros der SED wegen Totschlags durch Unterlassen in mittelbarer Täterschaft. Gegenstand des Vorwurfs war, als Mitglied des
zentralen Lenkungsorgans der DDR unterlassen zu
haben, für die Aufhebung des sog. Schießbefehls zu
sorgen, und deshalb verantwortlich zu sein für mehrere Fälle des tödlichen Schusswaffengebrauchs zur Verhinderung von Grenzverletzungen. Die Täterschaft der
Angeklagten ergebe sich aus ihrer Tatherrschaft in
Form der Organisationsherrschaft als Fall des „Täters
hinter dem Täter“. Die mittelbare Unterlassungstäterschaft sei in der Rspr. des BGH anerkannt. Insoweit
verweist der BGH auf die Entscheidung BGH NJW
1995, 204 (wo es allerdings um den Fall der Veranlassung fremden Unterlassens durch aktives Tun ging).
Die Garantenpflicht der Angeklagten ergebe sich als
Überwachungspflicht aus dem lebensgefährdenden
Charakter der Grenzsicherungsanlagen und als Beschützergarantenpflicht aus der DDR-Verfassung. Die
Kausalität des Unterlassens jedes einzelnen Angeklagten scheitere auch nicht daran, dass sein Bemühen um
eine Änderung der gegebenen Befehls- und Beschlusslage an der Mehrheit der übrigen Mitglieder des Politbüros gescheitert wäre. Denn da die Kausalität des
Unterlassens normativ festzustellen sei, müsse das
Recht von der Befolgung seiner Regeln durch die anderen Mitglieder des Politbüros ausgehen und den
jeweils anderen gleichrangig verpflichteten Garanten
rechtmäßiges Verhalten unterstellen.
Dem gegenüber wird die Figur mittelbarer Unterlassungstäterschaft in der Lit. z.T. abgelehnt, z.T. für
überflüssig gehalten. Mangels Einwirkung auf den
Tatmittler fehle es an einer echten Tatherrschaft aufgrund steuernder Beherrschung des Werkzeugs. Für
die Haftung des Garanten sei es ohne Bedeutung, ob
dieser gegen menschliches Verhalten oder natürliche
Ereignisse einzuschreiten unterlasse. Andere verweisen
darauf, dass nach der amtlichen Überschrift des § 13
StGB auch ein „Begehen durch Unterlassen“ möglich
ist, sodass auch der mittelbare Unterlassungstäter die
Tat durch einen anderen begehe. Einer aktiven Einwirkung auf den Tatmittler bedürfe es bei normativem
Verständnis der Tatherrschaftslehre nicht, da zur Begründung mittelbarer Täterschaft in anderen Fällen
auch die potentielle Tatherrschaft genüge.
Dreher wirft darüber hinaus die Frage auf, ob nicht die
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gesonderte Feststellung einer Garantenstellung des
Hintermannes verzichtbar ist, wenn man bei mittelbarer Unterlassungstäterschaft dem Hintermann ein Tun
zurechne. Stelle man andererseits auf die Garantenstellung des Hintermannes ab, könnte man daraus
umgekehrt den Schluss ziehen, dass die Handlungszurechnung eines Tuns überflüssig werde. Diese Einwände sind nach Dreher jedoch dadurch zu entkräften,
dass sowohl die Garantenstellung als auch die Handlungszurechnung sich hier aus demselben Umstand
ergeben, nämlich der Mitgliedschaft im höchsten
Machtorgan der DDR. Da zudem auch die mittelbare
Täterschaft einen eigenen Tatbeitrag voraussetze, der
im Falle einer Garantenstellung durch Unterlassen
erbracht werden könne, sei die Anwendung des § 13
StGB notwendig zur Begründung der strafrechtlichen
Haftung. Auch der Rückgriff auf die Figur mittelbarer
Täterschaft sei nicht verzichtbar. Handele der Täter
durch Unterlassen, sei stets Voraussetzung, dass ihm
die Rettungshandlung möglich sei. Die Mitglieder des
Politbüros hätten jedoch lediglich die Möglichkeit der
Ausnutzung ihrer Organisationsherrschaft gehabt. Da
damit sowohl die Anwendung des § 25 Abs. 1, 2. Alt.
StGB als auch die des § 13 StGB notwendig sei, habe
der BGH zu Recht mittelbare Unterlassungstäterschaft
angenommen.
Problematisch war ferner die Frage der Kausalität. Da
täterschaftliche Haftung aus einem Unterlassungsdelikt
stets die Möglichkeit der Erfolgsabwendung voraussetzt,
wird hiergegen verbreitet eingewandt, dass keines der
Mitglieder alleine die Befehlslage hätte ändern können.
Dies sei vielmehr nur im Falle des gemeinschaftlichen
Unterlassens im Falle der Mittäterschaft gem. § 25
Abs. 2 StGB möglich. Demgegenüber verweist Dreher
zu Recht auf die Möglichkeit, die Kausalität mit den
Regeln der alternativen Kausalität zu begründen.
Zu dem selben Ergebnis kommt man auch mit der Konstruktion der alternativen Kausalität (Mehrfach- oder Doppelkausalität), ohne unterlassene Rettungsbeiträge unter Mittätern
gem. § 25 Abs. 2 StGB zurechnen zu müssen. Ein Fall der
alternativen Kausalität liegt vor, wenn mehrere Bedingungen
zwar alternativ, nicht aber kumulativ hinweggedacht (beim
Unterlassungsdelikt: hinzugedacht) werden können, ohne
dass der Erfolg in seiner konkreten Gestalt entfiele. Die
Initiative und entsprechende Stimmabgabe zur Änderung der
bestehenden Beschluss- und Befehlslage jedes Mitglieds alleine kann zwar alternativ hinzugedacht werden, ohne dass
der Erfolg in seiner konkreten Gestalt mit an Sicherheit
grenzender Wahrscheinlichkeit entfiele. Denkt man sich jedoch die Initiative und befürwortende Stimmabgabe jedes
Mitglieds des Politbüros hinzu, entfällt demgegenüber der
Erfolg in seiner konkreten Gestalt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit. Das Unterlassen jedes einzelnen
Mitglieds ist damit quasi-kausal. Unabhängig davon, ob in
solchen Konstellationen Mittäterschaft angenommen werden
kann, ist daher Kausalität zumindest über die Figur der alternativen Kausalität zu bejahen.
Diese Lösung lässt sich ohne Weiteres auf Fälle fahrlässiger Begehung übertragen, ohne dass man dort die
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Figur der umstrittenen fahrlässigen Mittäterschaft bemühen müsste.
Ergänzung zu: AS Skript StrafR AT 2 (2001), S. 18
Nichtvermögensdelikte
Die Verbesserung des strafrechtlichen
Schutzes des bargeldlosen Zahlungsverkehrs durch das 35. StrÄndG
Husemann NJW 2004, 104
Mit dem 35. StrÄndG, das am 28.12.2003 in Kraft
getreten ist, hat der Gesetzgeber den Rahmenbeschluss
des Rates der europäischen Union vom 28.05.2001 zur
Bekämpfung von Betrug und Fälschung im Zusammenhang mit unbaren Zahlungsmitteln umgesetzt.
Kern der Neuregelung sind Änderungen der Strafvorschriften über die Geld- und Wertzeichenfälschung
sowie eine Ergänzung des § 263 a StGB wegen Computerbetrugs.
Der Tatbestand der Geldfälschung gem. § 146 StGB
erfasst in Abs. 1 Nr. 2 neben dem Sichverschaffen
nunmehr auch das „Feilhalten“ falschen Geldes. Hierunter ist das äußerlich als solche erkennbare Bereitstellen zum Zwecke des Verkaufs zu verstehen (BGHR
StGB § 152 Abs. 1 Nr. 1).
Die Bezugnahmen des § 150 StGB auf die Vermögensstrafe gem. § 43 a StGB wurden unter Änderung der
Vorschrift gestrichen, da § 43 a StGB vom BVerfG für
verfassungswidrig erklärt wurde.
Der bisherige Tatbestand der Fälschung von Zahlungskarten und Vordrucken für Euroschecks in § 152 a
StGB wurde ersetzt durch die Neuregelung der Fälschung von Zahlungskarten, Schecks und Wechseln in
§ 152 a StGB und den Tatbestand der Fälschung von
Zahlungskarten mit Garantiefunktion und Vordrucken
für Euroschecks in § 152 b StGB. § 152 a StGB erfasst
danach mit einer Strafandrohung von Freiheitsstrafe
bis zu 5 Jahren oder Geldstrafe im Gegensatz zum
bisherigen Recht Zahlungskarten ohne Garantiefunktion, Schecks und Wechsel. Für die gewerbs- oder bandenmäßige Begehung ist in Abs. 3 als Qualifikation ein
Strafrahmen von 6 Monaten bis zu 10 Jahren vorgesehen. Als Zahlungskarten i.S.d. Abs. 1 sind in Abs. 4
Karten definiert, die von einem Kreditinstitut oder
Finanzdienstleistungsinstitut herausgegeben wurden
und durch Ausgestaltung oder Kodierung besonders
gegen Nachahmung gesichert sind.
Durch den neuen § 152 b StGB, der der Sache nach
der bisherigen Regelung des 152 a StGB entspricht,
werden die in § 152 a Abs. 1 StGB n.F. bezeichneten
Handlungen in Bezug auf Zahlungskarten mit Garantiefunktion oder Euroscheckvordrucke nunmehr mit
Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren und
für den Fall gewerbs- oder bandenmäßiger Begehung
mit einer Freiheitsstrafe von nicht unter zwei Jahren
bedroht. Als Zahlungskarten mit Garantiefunktion
sind in § 152 b Abs. 4 StGB Kreditkarten, Euro-
scheckkarten und sonstige Karten definiert, die es
ermöglichen, den Aussteller im Zahlungsverkehr zu
einer garantierten Zahlung zu veranlassen und durch
Ausgestaltung oder Kodierung besonders gegen Nachahmung gesichert sind. Wegen der Vorbereitung der
Fälschung verweist auch § 152 b Abs. 5 StGB auf die
Regelung des § 149 StGB.
Der Begriff des Euroschecks hat, nachdem am
31.12.2001 die Garantiefunktion des Euroschecks aufgehoben wurde, für die Neuregelung keine Bedeutung
mehr. Dennoch erfasst § 152 b StGB auch die Fälschung von Euroscheckvordrucken. Dies war erforderlich zur Regelung von Altfällen, also Straftaten die
zwar vor dem 01.01.2002 begangen wurden, deren
Aburteilung jedoch noch aussteht. Bei einer Streichung würde der Zustand der Straflosigkeit als das
„mildeste Gesetz“ i.S.v. § 2 Abs. 3 StGB gelten, weshalb noch nicht geahndete Taten straffrei bleiben würden. Eine entsprechende Anpassung des Gesetzes wird
erst erfolgen, wenn für die bis zum 31.12.2001 aufgetretenen Fälle Verjährung eingetreten ist (gem. § 78
Abs. 3 Nr. 2 StGB der 31.12.2021). Euroschecks betreffende Altfälle sind dagegen weiterhin gem. § 152 a
StGB a.F. strafbar, da der Wegfall der Garantiewirkung von Euroschecks nicht als Gesetzesänderung
i.S.v. § 2 Abs. 3 StGB anzusehen ist. Auch der Begriff
der Euroscheckkarte ist nach wie vor in der Regelung
des § 152 b Abs. 4 StGB erfasst, obwohl die heutigen
ec-Karten („ec“ steht für „elektronic cash“) eigentlich
bereits dem Begriff der sonstigen Karten mit Garantiefunktion unterfallen.
§ 261 Abs. 1, S. 2 Nr. 4 StGB wurde um einen Bezug
auf § 152 a StGB ergänzt, sodass auch die Fälschung
von Zahlungskarten, Schecks und Wechseln als taugliche Vortat einer Geldwäsche erfasst wird.
Ferner wurde § 263 a StGB um einen Abs. 3 ergänzt,
wonach das Herstellen, Verschaffen, Feilhalten, Verwahren oder Überlassen von Computerprogrammen,
deren Zweck die Begehung einer Straftat gem. § 263 a
Abs. 1 StGB ist, mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren
oder Geldstrafe bedroht wird. Ein neuer Abs. 4 verweist allerdings auf die Regeln der tätigen Reue gem.
§ 149 Abs. 2 und 3 StGB. Im Gegensatz zu § 149
Abs. 1 Nr. 1 StGB, der alle zur Geldfälschung geeigneten Computerprogramme erfasst, stellt § 152 b StGB
auf den objektiven Zweck des Computerprogramms
zur Begehung eines Computerbetrugs ab. Dies war
notwendig, weil die Begehungsweisen eines Computerbetrugs sowie die dafür verwendbaren Programme
sehr vielfältig sind. Es erscheint zweifelhaft, ob es spezielle Computerprogramme gibt, die ihrer Art nach zur
Begehung eines Computerbetruges geeignet sind, da
diese Eignung den meisten Anwendungsprogrammen
zukommt. Daher ist erforderlich aber auch ausreichend, dass das Programm in erster Linie und hauptsächlich zu dem speziellen Verwendungszweck der
Begehung des Computerbetrugs hergestellt oder adaptiert wird.
Ergänzung zu: AS-Skript StrafR BT 3 (2003), S. 128 ff.
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Öffentliches Recht
Verfassungsrecht
Staatsziel Tierschutz
Kluge ZRP 2004, 10
Durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes
vom 26.07.2002 (BGBl. I S. 2862) ist die Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG um den Tierschutz erweitert worden. Bedeutung hat das Staatsziel vor allem
bei der Beschränkung an sich vorbehaltlos gewährleisteter Grundrechte durch Vorschriften des Tierschutzgesetzes (TierSchG). Vor 2002 wurde der Tierschutz
lediglich beiläufig in Art. 74 Abs. 1 Nr. 20 GG erwähnt. Die Vorschrift begründet indes lediglich eine
Gesetzgebungskompetenz des Bundes, verleiht dem
Tierschutz aber keinen Verfassungsrang (vgl. BVerwGE 105, 73, 81). Deshalb hat die Rspr. in Kollisionslagen stets die betroffenen Grundrechte als vorrangig
gewertet. So hat das BVerfG z.B. im sog. Schächturteil
(BVerfGE 104, 337) § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG (Ausnahmegenehmigung zum betäubungslosen Schlachten
von Tieren) verfassungskonform dahin ausgelegt, dass
mit „zwingenden Vorschriften“ einer Religionsgemeinschaft im Hinblick auf Art. 4 GG nicht notwendig ein
Gesamtkonsens gemeint sei, ausreichend sei vielmehr,
dass der Antragsteller substanziiert und nachvollziehbar dargelegt habe, dass nach der gemeinsamen Glaubensüberzeugung der betreffenden Religionsgemeinschaft der Verzehr des Fleisches von Tieren zwingend
eine betäubungslose Schlachtung voraussetzt. In der
Entscheidung, die vor der Grundgesetzänderung erging, hielt das BVerfG den Tierschutz jedoch lediglich
für ein legitimes Regelungsziel, damals noch ohne Verfassungsrang. Kluge nimmt dies zum Anlass, die Auswirkungen durch die Schaffung des Staatsziels Tierschutz zu untersuchen. Hervorzuheben ist dabei insb.
eine Entscheidung des HessVGH (NVwZ 2003, 881),
dem Kluge „Verfassungs-Ignoranz“ vorwirft.
Kluge a.a.O.: „ ... wird doch dort bei der Auslegung der
Genehmigungsvoraussetzungen für Tierversuche in §§ 7 ff.
TierSchG völlig unbekümmert auf die dem Tierschutz nur
marginale Bedeutung einräumende Rechtsprechung vor der
Verfassungsänderung zurückgegriffen, ohne das neue Staatsziel Tierschutz auch nur zu erwähnen und die sich daraus
möglicherweise ergebenden rechtlichen Schlussfolgerungen
zu diskutieren.“
Ähnlich verhalte es sich mit der neueren Rspr. zur sog.
Schächtvorschrift des § 4 a Abs. 2 Nr. 2 TierSchG.
Kluge a.a.O. S. 13: „So geht das OVG Münster in seiner –
soweit ersichtlich – noch nicht veröffentlichten Entscheidung
vom 16.7.2003 [Az.: 20 A 1108/03] nach wie vor davon aus,
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AS aktuell
dass die mehrfach erwähnte „Schächt-Entscheidung“ des
BVerfG vom 15.01.2002 „die verfassungsrechtlichen Maßstäbe“ bei einer Ausnahmegenehmigung nach § 4 a Abs. 2 Nr. 2
TierSchG klarstelle, so als ob es die Verfasssungsänderung im
Sinne des Tierschutzes überhaupt nicht gegeben hätte.“
Damit werde der ausdrückliche Wille des Verfassungsgesetzgebers missachtet. Dieser habe mit Einfügung
des Staatszieles Tierschutz in das Grundgesetz ausdrücklich auf das von ihm für falsch gehaltene Urteil
des BVerfG reagiert. Die jetzt zu beobachtende Perpetuierung dieser Entscheidungspraxis desavouiere das
klar formulierte Anliegen des Verfassungsgebers, dem
Tierschutz eine „faire Chance“ zu geben.
Kluge verweist darauf, dass das BVerfG durch seine
„Kopftuch-Entscheidung“ vom 24.09.2003 (NJW 2003,
3111) klargestellt habe, dass die Abwägung von vorbehaltlosen Grundrechten und anderen Verfassungsgütern zuvörderst die Aufgabe des Gesetzgebers ist
und er insoweit eine Entscheidungsprärogative besitzt.
Kluge a.a.O. S. 13 f.: „Gesetzesinitiativen wie die der nordrhein-westfälischen CDU-Landtagsfraktion [LT-Dr. 13/3348
v. 07.01.2003] zur stärkeren Betonung des Tierschutzes bei
den gesetzlichen Regelungen des Schächtens in § 4 a Abs. 2
Nr. 2 [TierSchG} scheinen demnach tatsächlich erforderlich,
weil die Rechtsprechung zur Zeit nicht gewillt zu sein scheint,
die von ihr entwickelte Spruchpraxis allein durch eine Entscheidung des Verfassungsgesetzgebers in Frage stellen zu
lassen.“
Ergänzung zu: AS-Skript Grundrechte (2003), S. 84 ff.
Verwaltungsprozessrecht
Errichtung einer einheitlichen öffentlichrechtlichen Fachgerichtsbarkeit
http://www.rivsgbnrw.de
Aufgrund Beschlusses der Justizministerkonferenz vom
06.11.2003 wird zurzeit die Zusammenlegung der Verwaltungs-, Sozial- und Finanzgerichtsbarkeit diskutiert. Eine Arbeitsgruppe soll bis zum Juni 2004 Vorschläge erarbeiten. Ein wichtiges Signal hierbei ist die
Protokollerklärung der Bundesregierung im Vermittlungsverfahren Harz III u. IV vom Dezember 2003, die
Sozialgerichtsbarkeit durch besondere Spruchkörper
der Verwaltungsgerichte ausüben zu lassen. Im Zusammenhang damit steht das Gesetz zur Einordnung
des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom
27.12.2003 (BGBl I S. 3022). Das bisherige BSHG wird
zum 01.01.2005 durch das SGB XII abgelöst. Für
sozialhilferechtliche Streitigkeiten sollen dann nach
Art. 38 des Gesetzes nicht mehr die Verwaltungsgerichte, sondern die Sozialgerichte zuständig sein (§ 51
Abs. 1 Nr. 6 a SGG n.F.). Im Hinblick darauf hat sich
AS aktuell
März 2004
der Präsident des OVG NRW mit Presserklärung vom
06.02.2004 für eine zügige Zusammenlegung der Sozialgerichtsbarkeit mit der Verwaltungsgerichtsbarkeit
ausgesprochen. Es sollte insbesondere sichergestellt
werden, dass ab dem 01.01.2005 die Verwaltungsgerichte über besondere Spruchkörper weiterhin für die
sozialhilferechtlichen Verfahren nach dem SGB XII
zuständig sind.
Ergänzung zu: AS-Skript VwGO (2003), S. 1 ff.
Besonderes Ordnungsrecht
Neuregelungen im Handwerksrecht
Das Handwerksrecht ist Teil des Gewerberechts, dient
aber – anders als z.B. die GewO o. das GaststättenG –
weniger der Gefahrenabwehr als vielmehr dem Schutz
und der Förderung des Handwerks als Berufsstand.
Die einschlägigen Regelungen sind durch zwei zum
01.01.2004 in Kraft getretene Gesetze grundlegend geändert worden:
•
Drittes Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung und anderer handwerksrechtlicher Vorschriften vom 24.12.2003 (BGBl. I, S. 2934)
•
Gesetz zur Änderung der Handwerksordnung und
zur Förderung von Kleinunternehmen vom 24.12.
2003 (BGBl. I, S. 2933).
Bislang erforderte die selbstständige Ausübung eines
Handwerksbetriebes generell die Eintragung in die
Handwerksrolle (§ 1 Abs. 1 HandwO a.F.). Eingetragen wurde nur, wer die Meisterprüfung bestanden (§ 7
Abs. 1 HandwO a.F.) oder eine gleichwertige Berechtigung erworben hatte (§ 7 Abs. 2 HandwO a.F.) oder
über eine Ausnahmebewilligung nach §§ 8, 9 HandwO
verfügte. Daraus folgte, dass die Meisterprüfung (sog.
großer Befähigungsnachweis) regelmäßig Voraussetzung für den Betrieb eines Handwerks war.
Nach § 1 HandwO n.F. gilt dies nunmehr nur noch für
sog. zulassungspflichtige Handwerke i.S. der Anlage A
zur HandwO. Dort wurde die Zahl der Handwerksgewerbe, die nur nach Meisterprüfung ausgeübt werden
dürfen, von 94 auf 41 reduziert. Zulassungspflichtig
sind insb. Handwerksberufe, deren Ausübung eine Gefahr für die Gesundheit oder das Leben Dritter begründen kann (z.B. Maurer und Betonbauer, Zimmerer, Dachdecker, Elektrotechniker). Die übrigen 53
Handwerke werden von § 18 HandwO i.V.m. der
Anlage B Abschnitt 1 zur HandwO n.F. als zulassungsfreie Handwerke von der Pflicht zur Eintragung in die
Handwerksrolle ausgenommen, sodass die selbstständige Ausübung auch keine Meisterprüfung voraussetzt
(z.B. Fliesenleger, Uhrmacher, Schneider, Fotograf).
Unverändert gibt es daneben noch die handwerksähnlichen Gewerbe (§ 18 HandwO i.V.m. Anlage B Abschnitt 2 zur HandwO n.F.), die ebenfalls ohne Meisterprüfung ausgeführt werden dürfen. Allerdings muss
der Inhaber den Betrieb ebenso wie bei den zulassungsfreien Handwerken der Handwerkskammer anzeigen
(§ 18 Abs. 1 HandwO n.F.). Auf zulassungfreie Handwerke und handwerksähnliche Gewerbe finden nur
einige wenige Vorschriften der HandwO Anwendung
(§ 20 HandwO n.F.).
Ergänzend zu diesen Regelungen wurde die Ausübung
einfacher handwerklicher Tätigkeiten erleichtert. Nach
§ 1 Abs. 2 S. 2 HandwO handelt es sich um einen zulassungspflichtigen Handwerksbetrieb nur dann, wenn
Tätigkeiten ausgeübt werden, die für das Gewerbe
„wesentlich“ sind. § 1 Abs. 2 S. 3 HandwO n.F. stellt
klar, dass keine wesentlichen Tätigkeiten insbesondere
solche sind, die in einem Zeitraum von bis zu drei
Monaten erlernt werden können. Auch Tätigkeiten,
die zwar eine längere Anlernzeit verlangen, aber für
das Gesamtbild des betreffenden zulassungspflichtigen
Handwerks nebensächlich sind, dürfen ohne handwerkliche Zulassungsbeschränkung ausgeübt werden.
Allerdings dürfen einfache Tätigkeiten nicht so kumuliert werden, dass sie einen wesentlichen Teil eines zulassungspflichtigen Handwerks ausmachen (§ 1 Abs. 2
S. 4 HandwO n.F.). Die Personen, die ein solches Minderhandwerk nach dem 30.12.2003 erstmalig ausüben,
gehören nach § 90 Abs. 3 HandwO n.F. unter bestimmten Voraussetzungen gleichwohl der Handwerkskammer an.
Die HandwO gilt grds. auch für handwerkliche Nebenbetriebe, in denen Leistungen im Rahmen eines (nichthandwerklichen) Hauptbetriebes erbracht werden (z.B.
Kfz-Werkstatt einer Tankstelle). Etwas anderes gilt
nur, wenn die handwerkliche Tätigkeit nur in unerheblichem Umfang ausgeübt wird (§ 3 Abs. 1 HandwO).
Für die Erheblichkeit kommt es nach § 3 Abs. 2
HandwO n.F. nur noch auf den Tätigkeitsumfang an,
der Umsatz ist als Abgrenzungskriterium gestrichen
worden.
Generell nicht anwendbar ist die HandwO auf Hilfsbetriebe (= unselbstständige, der wirtschaftlichen Zweckbestimmung des Hauptbetriebes dienende Handwerksbetriebe, z.B. praxiseigenes Labor eines Zahnarztes). In
die Legaldefinition ist in § 3 Abs. 3 HandwO n.F. der
Begriff „Installationsarbeiten“ ergänzt worden, sodass
Hersteller die von ihnen produzierten Produkte bei
Dritten installieren dürfen, ohne in der Handwerksrolle eingetragen zu sein.
Soweit es sich um ein zulassungspflichtiges Handwerk
handelt, bleibt weiterhin grds. die Meisterprüfung Voraussetzung für die Ausübung des Gewerbes. Gemäß
§ 7 b HandwO n.F. können allerdings auch erfahrene
Gesellen unter bestimmten Voraussetzungen (u.a. sechs
23
März 2004
Jahre praktische Tätigkeit, davon vier Jahre in leitender Position) eine Ausübungsberechtigung in den meisten zulassungspflichtigen Handwerksberufen erhalten.
Dies gilt allerdings nicht für Schornsteinfeger und Gesundheitshandwerke (Augenoptiker, Zahntechniker etc.).
Abgeschafft hat der Gesetzgeber das sog. Inhaberprinzip (§ 7 HandwO a.F.). Bisher musste der Inhaber
eines Handwerksbetriebes grds. selbst den Meisterbrief
besitzen (Ausnahmen galten u.a. für juristische Personen und Personengesellschaften). Nunmehr wird der
Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks unabhängig von der Rechtsform nur noch davon abhängig
gemacht, dass der Betriebsleiter des einzutragenden
Unternehmens die erforderliche handwerksrechtliche
Befähigung besitzt. Erheblich vereinfacht wurde im
Übrigen das Verfahren für den Qualifikationsnachweis
von Bürgern aus anderen EU-Staaten (§ 9 Abs. 2
HandwO n.F.).
Nach § 4 HandwO a.F. durften bestimmte Personen
(Ehegatte, Testamentsvollstrecker u.a.) den Betrieb
nach dem Tod des Betriebsinhabers befristet fortführen, ohne die handwerksrechtlichen Voraussetzungen
zu erfüllen. § 4 HandwO n.F. erweitert den Kreis der
fortführungsberechtigten Personen auf den Lebenspartner des Betriebsinhabers. Während bislang die Fortführung ein Jahr lang zulässig war, hat der Berechtigte
nunmehr „unverzüglich“ einen Betriebsleiter nach § 7
Abs. 1 HandwO zu bestellen, der die Voraussetzungen
zur Eintragung in die Handwerksrolle erfüllt. Die
Handwerkskammer kann in Härtefällen eine angemessene Frist setzen, wenn eine ordnungsgemäße Führung
des Betriebs gewährleistet ist.
Das Verfahren zur Eintragung und Löschung in die
Handwerksrolle (§§ 11, 13 HandwO) ist unverändert
geblieben. Ermächtigungsgrundlage für Untersagungsverfügungen bleibt § 16 Abs. 3 HandwO, der jedoch
inhaltlich erheblich geändert worden ist. Voraussetzung für ein behördliches Einschreiten ist, dass der
selbstständige Betrieb eines zulassungspflichtigen Handwerks als stehendes Gewerbe entgegen den Vorschriften der HandwO erfolgt, also insb. unter Verstoß gegen § 1 Abs. 1 HandwO ohne Eintragung in die
Handwerksrolle. Die Untersagung durch die nach
Landesrecht zuständige Behörde ist aber nur zulässig,
wenn die Handwerkskammer und die Industrie- und
Handelskammer zuvor angehört worden sind und in
einer gemeinsamen Erklärung mitgeteilt haben, dass
sie die Voraussetzungen einer Untersagung als gegeben
ansehen. Durch die gemeinsame Erklärung sollen
Abgrenzungsprobleme zwischen Handwerkskammer
und IHK bereits vor Erlass der Untersagungsverfügung
geklärt werden. Können sich die beiden Kammern
nicht auf eine gemeinsame Erklärung verständigen,
sieht § 16 Abs. 4 bis 6 HandwO n.F. ein besonderes
Schlichtungsverfahren vor. Bei Gefahr im Verzug kann
24
AS aktuell
die zuständige Behörde die Fortsetzung des Gewerbes
nach § 16 Abs. 3 HandwO aber auch ohne die gemeinsame Erklärung bzw. ohne Schlichtungsverfahren vorläufig untersagen (§ 16 Abs. 8 HandwO n.F.). Gefahr im
Verzug ist allerdings nicht allein deswegen anzunehmen, weil ein zulassungspflichtiges Handwerk möglicherweise unberechtigt ausgeübt wird. Es kommt vielmehr auf die konkrete Tätigkeit und dadurch bedingte
Gefährdungen an, wobei die Umstände des Einzelfalls
zu berücksichtigen sind (BT-Drs. 15/1206, S. 32).
Die bislang in § 16 Abs. 4 HandwO a.F. vorgesehene
zwangsweise Schließung bei Missachtung der Untersagungsverfügung findet sich unverändert in § 16 Abs. 9
HandwO n.F.
Gegen die Untersagungsverfügung nach § 16 Abs. 3
HandwO und Anordnungen nach § 16 Abs. 9
HandwO kann der Adressat nach erfolglosem Vorverfahren (§ 68 Abs. 1 VwGO) Anfechtungsklage (§ 42
Abs. 1 VwGO) erheben. Die beteiligten Körperschaften
(Handwerkskammer und IHK) haben kein Klagerecht.
Für die IHK galt dies bereits nach dem früheren Recht,
§ 16 Abs. 3 S. 3 HandwO a.F. sah lediglich ihre Beiladung vor (anders z.B. § 12 HandwO bei Eintragung in
die Handwerksrolle). Die Handwerkskammer konnte
dagegen bislang nach § 16 Abs. 3 S. 2 HandwO a.F.
Verpflichtungsklage erheben, wenn ihrem Antrag auf
Untersagung nicht stattgegeben wurde. Diese Vorschrift
ist nicht in die Neuregelung übernommen worden.
Eine Klagebefugnis der Handwerkskammern entsteht
auch nicht durch die in § 16 Abs. 3 S. 2 HandwO n.F.
vorgesehene Anhörungspflicht. Anhörungsrechte in
einem Verwaltungsverfahren können unterschiedlicher
Natur sein. Sie können eine partielle Beteiligtenstellung begründen, die auch eine unbeschränkte Klagebefugnis gegen die Sachentscheidung verschafft oder
zumindest eine Klagebefugnis, die auf die Geltendmachung der Verletzung des Verfahrensrechts beschränkt
ist. In Fällen, in denen es sich bei dem Anhörungsrecht
dagegen nur um eine bloße Ordnungsvorschrift handelt, begründet das Anhörungsrecht kein Klagerecht.
So verhält es sich mit der Anhörung nach § 16 Abs. 3
S. 2 HandwO n.F., da es nach der Neufassung keinen
Anspruch der Handwerkskammer auf Untersagung
gibt, der durch eine Anhörung gewahrt werden soll.
Die Anhörung dient vielmehr der Verbreiterung der
Entscheidungsgrundlage der zuständigen Behörde (Gesetzesbegründung in BT-Drs. 15/1206, S. 32)
Beachte: § 16 Abs. 3 u. 9 HandwO erfasst nur die
Untersagung und Schließung wegen Verstoßes gegen
die Vorschriften der HandwO. Bei Unzuverlässigkeit
eines Handwerkers gilt wie bei anderen Gewerbetreibenden § 35 GewO.
Ergänzung zu: AS-Skript Besonderes OrdnungsR (2002),
S. 116 ff.