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STÜHLE Studio2 Begleitbuch zur Vorlesung Innenraum und Design.Teil 1 .1 Institut für GestaltungStudio2 Stühle Begleitbuch zur Vorlesung Innenraum und Design.Teil 1 Herausgeber: Universität Innsbruck, Institut für GestaltungStudio2 für den Inhalt verantwortlich: Joachim Moroder Redaktion und Gestaltung: Nicola Weber Redaktion Neuauflage: Andrea Hörl Lektorat: Caroline Pichler Produktion: Ingomar Hafele Druck: dip-Druck, Bruneck 7., überarbeitete Auflage, 01/2007 ISBN 3-902334-02-9 Vorwort Vorwort Der Stuhlentwurf ist als Spiegelung des Geistes seiner Entstehungszeit zu betrachten. Als Möbel steht der Stuhl im Vergleich zu anderen Möbeln in einer wesentlich engeren Beziehung zu seinem Benutzer. Aus diesem Grund nimmt der Entwurf von Stühlen eine Sonderstellung gegenüber dem übrigen Möbeldesign ein. Seit Beginn der Menschheit war das Sitzen ein Grundbedürfnis, das durch ein Sitzmöbel auf eine andere Kulturebene gehoben wurde. So entwickelte sich mit den Gesellschaftsformen der Stuhl oder besser das Sitzmöbel als ein bedeutungsreiches Objekt. Neben der starken Symbolhaftigkeit gilt der Stuhl als Indikator des sozialen Wandels. Die geschichtlichen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, technologischen und funktionellen Faktoren bestimmen die umfassende Komplexität und Vielfalt des Stuhldesigns. Dieses Heft stellt einen Leitfaden der geschichtlichen und der technologischen Evolution der Sitzmöbel mehrerer Epochen, von den Shakern bis heute dar. Es handelt sich um eine Auswahl markanter Beispiele mit reichhaltigem Bildmaterial, die stellvertretend für viele andere Klassiker aufgezeigt werden. Diese mögen die Zusammenhänge zwischen philosophischer Haltung zur Gestaltungsform und technologischer Entwicklung sichtbar machen. Joachim Moroder 3 4 10 Shaker Community . Schaukelstuhl . 1850 14 Thonet . Stuhl Nr.14 . 1859 18 Ch. R. Mackintosh . Hill House Sessel . 1902 20 Josef Hoffmann . Sitzmaschine . 1908 22 Gerrit T. Rietveld . Red-and-Blue Chair . 1918 26 Marcel Breuer . Wassily . 1925 30 Mart Stam . Freischwinger . 1926 32 Mies v.d. Rohe . MR-Stuhl . 1927 34 Le Corbusier . LC4 . 1928 38 Le Corbusier . Fauteuil Grand Confort LC3 . 1928 40 Alvar Aalto . Armsessel für Paimio . 1929 - 33 44 Jean Prouvé . Sessel Cité Universitaire . 1933 48 Carlo Mollino . Sessel . 1944 50 Charles & Ray Eames . Sperrholzstuhl . 1944 - 46 54 Charles & Ray Eames . Wire Chair . 1951 - 53 Inhalt Inhalt Alvar Aalto . Hocker . 1954 56 Arne Jacobsen . Serie 7 . 1950 58 A. und PG. Castiglioni . Traktorsitz . 1957 62 Gio Ponti . Superleggera . 1955-57 64 Charles & Ray Eames . Aluminum Group Chair . 1958 66 Günther Belzig . Stuhl Floris . 1967 70 De Pas, d´Urbino, Lomazzi, Scolari . Sessel Blow . 1967 72 Giancarlo Piretti . Klappstuhl Plia . 1969 74 Verner Panton . Polyesterstapelstuhl . 1969 78 Gatti, Paolini, Teodoro . Sacco . 1969 80 Egon Eiermann . Hocker - Bondootrohr . 1970 82 Mario Bellini . Stuhl Cab . 1977 84 Frank O. Gehry . Little Beaver . 1980 86 Philippe Starck . Dr. Glob . 1988 / Hocker . 1990 88 Ron Arad . London Papardelle . 1992 90 Über das Design der Neunzigerjahre 92 5 6 Der Begriff Design bezeichnet das Endprodukt einer Vielzahl von Komponenten, die einen kreativen Prozess durchlaufen haben. Um die Evolution des Modernismus und die Entwicklung des uns bekannten zeitgenössischen Designs zu verstehen, müssen wir bis zum Ende des 19. Jahrhunderts zurückgehen. Die englische Arts-and-Crafts Bewegung war der erste wesentliche Wegbereiter für das moderne Design. Sie lehnte die schamlose Opulenz des hochviktorianischen Stils ab und verzichtete auf überflüssige Ornamente, die sie als Symbol einer dekadenten Gesellschaft interpretierte. Stattdessen stellten ihre Vertreter einen Kodex gestalterischer Ethik auf, der den Prinzipien der Einfachheit und des Rationalismus verpflichtet war. Diese Ideen hatten großen Einfluss auf den europäischen Kontinent, und sogar in den USA wurde ein Buch über die Überzeugungen der Arts-andCrafts Bewegung ein durchschlagender Erfolg. Mit ihrer Kritik an übertriebener Ornamentierung hatte die Arts-and-Crafts Bewegung das Stichwort für die Suche nach einem neuen Idealismus innerhalb des Designs gegeben, was in der Folge auch zur Gründung der Glasgower Schule und der Wiener Werkstätte führte. Die Wiener Werkstätte, gegründet 1902, war ein Zusammenschluss von Designern, die sich mit allen Bereichen der Gestaltung auseinandersetzten: Textilgestaltung, Grafik, Möbel, Metallarbeiten etc. Ihr Leitprinzip waren Funktion, Nützlichkeit und richtiger Umgang mit Proportionen und Material. Auch der Deutsche Werkbund, gegründet 1907, rebellierte gegen die dekorativen Exzesse des Jugendstils. Er zielte auf eine engere Zusammenarbeit zwischen Künstlern, Architekten und Herstellern ab. Wesentlich war auch die Entwicklung der maschinellen Produktion von Möbeln, um sie für jedermann erschwinglich zu machen. Geschichte Geschichte Einen Wendepunkt in der Geschichte des Designs brachte das Jahr 1919, als der Architekt Walter Gropius das Staatliche Bauhaus gründete. Hier wurden zum ersten Mal modernistische Ideen in einen akademischen Kontext gebettet. Das Bauhaus betonte die Einheit der Künste. Sein Dogma war, Form müsse dem Diktat der Funktionalität und den Vorgaben zur industriellen Mechanisierung entsprechen. Die Schule wollte, ihren sozialistischen Wurzeln folgend, durch Produktion in großem Maßstab die Massen mit funktionellem und ästhetischem Design versorgen. Wie Mies van der Rohe und Walter Gropius war auch Le Corbusier ein Vertreter der modernistischen Klassik. Er entwarf eine Reihe von Stahlrohrmöbeln, die von der Firma Thonet produziert wurden und zu den bekanntesten des Jahrhunderts gehören. Im ständigen Widerstreit mit dem Modernismus entwickelte sich der Surrealismus und leistete seinen bizarren Beitrag zur allgegenwärtigen Diskussion, ob Möbel als Kunstwerke betrachtet werden könnten oder nicht. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Bauhaus von den Nationalsozialisten geschlossen und einige der besten europäischen Designer emigrierten in die USA. So wurde Amerika das einzige Land dessen Designindustrie auch während der Kriegsjahre relativ intakt blieb. In der Öffentlichkeit stieß besonders der organische Modernismus skandinavischer Prägung auf Anerkennung, möglicherweise weil seine puristische Linienführung und die Materialien an die Entwürfe der Shaker erinnerten. Seit Mitte der 40er Jahre entwickelte sich ein Stil der rein amerikanisch inspiriert war und das zunehmende Bewusstsein Amerikas als Weltmacht widerspiegelte. 7 8 Die Cranbrook Academy of Arts wurde als erste Designschule europäischen Typs gegründet und ihre Absolventen prägten das Designgeschehen. Charles Eames, seine Frau Ray und Eero Saarinen entwickelten revolutionäre Interpretationen von organischem Design mit der dreidimensionalen Verformung von Sperrholz. Das Möbeldesign der Nachkriegsjahre stützte sich auf einen kapitalistischen und daher von der Nachfrage bestimmten Markt, der eine ständige Weiterentwicklung erforderte. Die Zahl der Hauseigentümer wuchs rapide und somit auch der Bedarf an Einrichtungsgegenständen. Dies führte einerseits zur Entwicklung neuer Techniken, beispielsweise des Kreisschweißens zur stabilen Verbindungen von Stahlrohren, und vielen Varianten zur Verbindung von Holz, Glas, Gummi und Metall, andererseits einer breiteren Angebotspalette. Man schuf nicht mehr die Ausstattungen ganzer Innenräume, sondern konzentrierte sich auf die einzelnen Bedürfnisse des Menschen. In den 50er Jahren hatte sich Europa weitgehend von den Wunden des Zweiten Weltkrieges erholt. Wirtschaftlicher Aufschwung und Wohlstand erfüllten die Gesellschaft mit Idealismus. Der erwünschte Lebensstil war abhängig von effizienter Fertigungstechnik und Massenkonsum. Hochtechnisierte Massenproduktion musste die immer größer werdende Nachfrage decken. Viele Designer waren der Meinung, gutes Design hinge vor allem vom technologischen Standard ab und so wurden das Ingenieurwesen, die organische Chemie und ergonomische Studien zu wichtigen Quellen ihrer Arbeit. Die 60er Jahre waren eine Zeit der Unruhe und des Umbruchs. Nichts mehr war unantastbar, alles zur Reform freigegeben. In Opposition zum Rationalismus bewegte sich die Avantgarde auf einen am Konsumenten orientierten Stil zu, der von der Popkultur beeinflusst war. Der Zeitgeist forderte die Menschen auf, die traditionellen Verbindungen zwischen Möbel und Dauerhaftigkeit, hohen Preisen und Status aufzugeben. Polypropylen, Polyethylen und fiberglasverstärkte Kunststoffe wurden die Materialien der 60er. Diese hochsynthetischen Produkte waren ohne zusätzliche stützende Struktur stabil, leicht, konnten eingefärbt werden und besaßen eine glänzende Oberfläche. Die große Verbreitung der Popkultur in England war zum Teil den Bemühungen von Künstler- und Architektengruppen wie der Independent Group oder Archigram zu verdanken. Mit der allgemeinen Energiekrise 1973 machte die Popkultur schrittweise wirtschaftlichen und ökonomischen Überlegungen Platz. Die Designer distanzierten sich zunehmend von den Exzessen der 60er Jahre und schufen anonym-rationalistische Möbel für den Wohn- und Arbeitsbereich. Ende der 70er Jahre wurde in Mailand das Studio Alchimia gegründet. Seine Mitglieder wandten sich gegen diesen Rationalismus und propagierten einen historisierenden Stil der „ironischen Kommentierung und Ornamentierung“. Mit den Grundsätzen des Historismus, der Dekoration und des Eklektizismus waren sie Vorläufer der Postmoderne, einer Stilrichtung, die in den frühen 80ern aus der Ablehnung der Moderne entstand. Sie war von Üppigkeit, Dekor, Futurismus und regelrechtem Antifunktionalismus gekennzeichnet und lehnte das Diktat des so genannten „guten Geschmacks“ ab. In den 90er Jahren begann das öffentliche Interesse an Designprodukten zu steigen. Avantgardistische Entwürfe sind Ausdruck von Zeitgeist und Individualität einer wohlhabenden Klientel. Die Öffentlichkeit will gutes Design, lässt sich ihren Geschmack aber nicht diktieren. Charlotte und Peter Fiell „Die modernen Klassiker, Möbeldesign seit 1945“ (gekürzt) 9 10 Um das Jahr 1780 wurde von einer Gruppe englischer Einwanderer an der Ostküste der USA die Shaker-Bewegung gegründet. Ihre Anhänger predigten die strikte Neuordnung des Lebens nach christlichen Grundsätzen, vor allem dem der Nächstenliebe. Die Shaker hielten es zu dieser Zeit für notwendig sich zurückzuziehen und gründeten daher eigene Siedlungen. Alles zum Leben Nötige stellten die Mitglieder der Gemeinschaft selbst her und waren dabei für ihre handwerkliche Perfektion bekannt. Für Architektur, Möbelstücke, Werkzeug, Kleidung usw. galt der Grundsatz: „Mache nichts, was nicht nützlich ist; wenn etwas notwendig und nützlich ist, dann zögere nicht, es schön zu machen.“ Der Rahmen des Schaukelstuhls wurde aus Ahornholz hergestellt, als Bespannung bewährte sich im Lauf der Zeit bei allen Stühlen Stoff. Er war dauerhaft, bequem, nicht aufwendig und auf einfache Weise zu färben. Shaker Schaukelstuhl 1850 Shaker Community 11 12 Shaker 13 14 Michael Thonet formulierte in seinen Bugholzmöbeln die Idee der reinen Zweckgebundenheit bei gleichzeitig hoher Qualität, sowie des minimalen Materialaufwands und der Eignung für die Massenproduktion aus. Die Möbel wurden in seiner mit weitgehend selbstentwickelten Maschinen ausgestatteten Fabrik in Mähren hergestellt. Stäbe – vorwiegend aus Rotbuchenholz – wurden unter Dampf formbar gemacht. Beim Biegen wurde der Stab an einer Seite an einem Blechstreifen fixiert – diese Seite wurde zur Außenseite, das Material also nur gestaucht und das Auftreten zu großer Zugspannungen vermieden. Die Thonet-Möbel erschienen in unzähligen Varianten, um die Jahrhundertwende z.B. auch als Schlafzimmermöbel, Gartenmöbel und Kindermöbel, in Formen, die jedoch oft in krassem Gegensatz zur klassischen Linie des Stuhls Nr. 14 standen. Die entscheidende Leistung von Thonet blieb der „Konsumsessel“, der nicht nur in die Salons, sondern auch in die Wohnungen der kleinen Leute gestellt wurde. Bisher wurden aus dieser Serie an die 50 Millionen (!) Stück produziert. Entsprechend dem Thonet Verkaufsprospekt sollen in eine Kiste von ca. 1 m3 Fassungsvermögen 36 demontierte Stühle gepasst haben. Dadurch wurde das Thonet-Möbel zu einem Exportschlager für Übersee. TThonet honet Stuhl Nr 14 1859 15 16 Thonet Verstärkung der Vorderbeine mit Kapitellen (ältere Modelle) bzw. mit Fußreifen Sitzring mit Verstärkung für Zapfenlöcher und Nut für Rohrgeflecht Fußreifen patentierter Schraubzapfen mit Stahlhülsengewinde (für Export nach Übersee) Stützbogen Rückenlehne und Hinterbeine in einem Stück Vorderbeine mit Schraubzapfen Verbindung HinterbeineSitzring. Holz- oder Mutterschrauben 17 18 Die Arbeiten der Glasgower Schule und insbesondere das Werk Mackintoshs sollte ein Bindeglied zwischen der neuen Ästhetik der Artsand-Crafts Bewegung, die sich den Prinzipien von Rationalismus und Einfachheit verpflichteten und parallelen Entwicklungen auf dem Kontinent schmieden. Mackintoshs Entwürfe waren für seine Zeit verblüffend avantgardistisch. Er lehnte den Historismus ab und bestand auf einer zurückhaltenden Verwendung von Ornamenten, oftmals keltischen Ursprungs, und auf echtem handwerklichem Können. Den berühmten Stuhl mit der hohen, von Gitterwerk ausgefüllten Rückenlehne entwarf er für das Schlafzimmer des Hill House in Glasgow. Stuhl 292 Hill House 1902 Charles M ackR.iMackintosh ntosh 19 20 Die Sitzmaschine, ein Armlehnstuhl mit verstellbarer Rückenlehne ist ein typisches Möbelstück der Wiener Werkstätte. Diese betonte u. A.: „Wir werden versuchen, Dekorationen anzubringen, wenn sie erforderlich erscheinen, fühlen uns aber nicht gezwungen, um jeden Preis Verzierungen zu gestalten.“ Die Möbelentwürfe jener Zeit waren ausschließlich Teile einer ganzheitlichen Innenraumgestaltung. Die Kugeln, die an wichtigen Verbindungsstellen der Rahmenkonstruktion des Stuhls eingesetzt waren, sind Elemente, die Hoffmann bei einer Reihe seiner Entwürfe verwendete – sie sollten angeblich die Stabilität erhöhen; wahrscheinlicher ist jedoch, dass sie nur die Verbindungsstellen der Konstruktion dekorativ betonen sollten. Zwischen den aufgesetzten kleinen Kugeln am hinteren Ende der Armlehne konnte eine Messingstange eingeklinkt werden. Die Rückenlehne ließ sich so in unterschiedlichen Neigungen arretieren. Sitzmaschine 1908 Hoffmann HJosef offm ann 21 22 Der niederländische Designer Gerrit Thomas Rietveld (1888 - 1964) schuf einige der radikalsten Entwürfe seiner Zeit. Er war zweifellos beeinflusst vom Werk Josef Hoffmanns, von Piet Mondrian und den rechtwinkligen Entwürfen Frank Lloyd Wrights. Rietveld zählte zu den ersten Mitgliedern der 1917 gegründeten De-Stijl-Bewegung, die oft als die erste bedeutende „moderne“ Designbewegung betrachtet wird. Seine frühen Arbeiten basieren meist auf der abstrakt-geometrischen Kunst dieser Gruppe. Der Prototyp des Red-and-Blue Chairs hatte noch Seitenbretter unter den Armlehnen, es fehlte ihm auch die charakteristische Farbgebung. Bemerkenswert an Rietvelds Stuhl sind die Knotenpunkte. Die Leisten sind auf- und nebeneinandergelegt und mit kleinen Dübeln verbunden. In der farbigen Ausführung wird, besonders durch die kontrastierende Absetzung der Schnittkanten, der Bezug zu Mondrians Bildern offenkundig. Wie dessen orthogonal sich kreuzende Linien streben die tragenden Stäbe des Stuhles als gedankliche Koordinaten räumlich über die Begrenzungen hinaus. Van Doesburg beschrieb den Stuhl als „die abstrakt-reale Skulptur im Interieur der Zukunft“. Red-and-Blue Chair 1918 Rietveld Gerrit T. Rietveld 23 24 Rietveld 25 26 Der in Ungarn geborene Marcel Breuer studierte am Bauhaus in Dessau, unterrichtete in Harvard und wurde mit seinen Möbelentwürfen weltweit bekannt. Der Clubstuhl B3 wurde als Wassily bekannt, weil er auf Anfrage des Künstlers Wassily Kandinsky für seine Mitarbeiterrunde entworfen wurde. Breuer betrachtete überhaupt – wie viele der Gründungsväter der Moderne – das Mobiliar als einen integralen Bestandteil einer einheitlichen architektonischen Planung und entwickelte viele seiner Möbel ursprünglich als Elemente bestimmter innenarchitektonischer Konzepte. Das Gestell aus verchromtem Stahlrohr und die Leder- oder Segeltuchbespannung von Sitz-, Rücken- und Armlehne bedeutete eine Revolution im Einsatz von Materialien. Vor dem Wassily-Stuhl waren Stahlmöbel ausschließlich für Geschäfts- und Bürogebäude in Frage gekommen. Angeblich hatte sich Breuer durch den Lenker seines Adler-Fahrrades zu dem Stahlrohrgestell inspirieren lassen. Die Einfachheit, die Spannung in der Linienführung und die Raumqualitäten des Modells erinnern an die zeitgenössischen abstrakten Skulpturen der Konstruktivisten. Breuer Wassily 1925 Marcel Breuer 27 28 Breuer 29 30 1926 entwickelte der holländische Architekt Mart Stam aus verschweißten Gasrohren den Prototypen des revolutionären Freischwinger-Stuhls. Der Urtyp dieser sogenannten „hinterbeinlosen“ Kragstühle war noch kein federnder. Erst Mies van der Rohe entwickelte die federnde Version, nachdem ihm Stam Zeichnungen des Prototypen gezeigt hatte. 1928 ließ Mies van der Rohe seinen federnden Freischwinger weltweit patentieren, in einem Urheberrechtsstreit wurde Mart Stam 1932 als Erfinder bestätigt. Mies van der Rohes MR-Stuhl, den er erstmals 1927 öffentlich präsentierte, folgt strikt geometrischen Linien: Geraden, Halb- und Viertelkreisen. Trotzdem zeichnet die Gesamtform eine große, elegant geschwungene Linie. Mies ließ die Stuhlbeine in großen Radien aufsteigen, sie haben dadurch die Wirkung gebogener Federn und erzeugen ein angenehmes, leicht schwingendes Sitzgefühl. Es gab Ausführungen mit Armlehnen. Rückenlehne und Sitzfläche des MR waren ursprünglich zwei getrennte, mit Leder oder Stoff bezogene Teile. Mies’ Mitarbeiterin Lily Reich entwickelte die Variante mit einteiligem Bezug aus geflochtenem Peddigrohr. Mart Stam gilt als der Erfinder und Mies van der Rohe als der Vollender des Freischwingers. Die klare, auf das Notwendigste reduzierte Form, der revolutionäre Einsatz des Materials Stahlrohr und der Sitzkomfort machen ihn als Original und als Plagiat zu einem Klassiker, der bis heute nahezu überall anzutreffen ist. Freischwinger: Variante von Lily Reich Freischwinger 1926 Stam Mart Mart Sta m 31 32 Mi „Die Verzahnung von Aktualität und Zeitlosigkeit zieht sich wie ein roter Faden durch das Werk Mies v.d.Rohes. Die meisten seiner Entwürfe sind scheinbar keiner Epoche zuzuordnen, dennoch stellen sie Ausdruck, Reflexion und Verkörperung ihrer jeweiligen Zeit dar. Gerade diese Tatsache macht ihre Größe aus.“ David Spaeth MR-Stuhl 1927 Mies eLudwig s v.d .Rv.d.Rohe ohe 33 Bügel zur Queraussteifung unter der Sitzfläche 34 „Wir hatten Skizzen gemacht bezüglich der verschiedenen Arten in westlicher Weise zu sitzen. Dann hatten wir Strukturen gesucht. (...) Wenn man sich hinsetzt, ist es als würde man die Muskelkraft verlieren – deshalb ist es notwendig, dass das Skelett Unterstützung findet; für die Lenden, den Rücken, die Arme usw. und auf diese Weise sind wir dann auf die Idee der unterstützenden Struktur gekommen. Dann haben wir dieses Gerüst mit Leinwand und Spannvorrichtungen versehen. (...) Was dabei rauskam war ein ziemlich einfaches System: die Chaise-longue, entstanden aus der Grundvorstellung des einfachen Soldaten, der sich, wenn er müde ist, auf den Rücken legt, die Füße hoch an einen Baum lehnt, mit dem Rucksack unter dem Kopf.“ Charlotte Perriant, Mitarbeiterin Le Corbusiers Die 1928 von Le Corbusier, Pierre Jeanneret und Charlotte Perriand entworfene stufenlos verstellbare Liege LC4 ist ein frühes Beispiel ergonomischen Designs. Das Gestell war aus Eisen und vernickeltem Stahlrohr, mit Fohlenfell oder Stoff bespannt. Von den doppelten seitlichen Röhren folgte die obere der anatomischen Form des liegenden Menschen, die untere gestattet die verschiedenen Regulierungen bzw. Neigungen der Liegefläche. Die kontrastierenden Materialien, die ausschließlich an der Körperform orientierten Proportionen und die stufenlose Verstellbarkeit schufen eine perfekte Verbindung zwischen Funktionalität und Ästhetik. Die von Le Corbusier auch „Ruhemaschine“ genannte LC4 wurde zu einem der bekanntesten Entwürfe des 20. Jahrhunderts. Liege LC4 1928 CorLebCorbusier usier 35 36 Corbusier 37 38 Der LC3 Grand Confort besteht aus vier losen Polsterkissen, die innerhalb eines korbähnlichen Rahmens in ihrer Position als Armlehen, Rückenlehne und Sitzfläche gehalten werden. Der Sitzpolster liegt auf einem Drahtnetz auf (bei den heutigen Modellen durch elastische Gurte ersetzt). Obwohl die Proportionen des Sessels und seine schwere Polsterung von der Art Deco beeinflusst sind, wirkt er durch seinen Stahlrohrrahmen dennoch höchst modern. „Metall spielt beim Möbelstück die gleiche Rolle wie Beton in der Architektur. Es ist revolutionär. Wenn wir Metall in Verbindung mit Leder für Stühle benutzen, erhalten wir eine Reihe wunderbarer Kombinationen und ästhetischer Effekte.“ Charlotte Perriand Der ausgesprochen luxuriöse und elegante Sessel war geradezu die Verkörperung des Internationalen Stils und wurde bei seiner Vorstellung auf dem Salon d`Automne in Paris begeistert aufgenommen. Fauteuil Grand Confort LC3 1928 Corbusier CoLerb usier 39 40 „Im Jahr 1926 bekamen wir den Auftrag, die Inneneinrichtung des Paimio Sanatoriums zu übernehmen. Die ersten Versuche galten den Stahlrohrmöbeln, doch bald gingen wir zum Holzbau über, denn viele von diesen vernickelten und verchromten Stahlmöbeln erschienen uns psychologisch zu hart für ein Milieu kranker Menschen. (...) Ausgehend von diesem mehr warmen und schmiegsamen Material, begannen wir durch zweckmäßige Konstruktion die Basis für einen Möbelstil für Kranke zu schaffen. (...)“ Fast jedes Möbelstück wurde in Zukunft gleichzeitig mit einem projektierten Bau entworfen. „Um praktische Ziele und haltbare ästhetische Formen im Zusammenhang mit der Architektur zu erreichen, kann man nicht immer von einem rationellen und technischen Standpunkt ausgehen – vielleicht sogar nie. Die Phantasie des Menschen muss freien Spielraum haben. So war es meistens mit meinen Holzexperimenten. Rein spielerische Formen ohne jeden Zweck, haben in einigen Fällen erst Jahre später zu Gebrauchsformen geführt.“ Alvar Aalto Paimio Sessel 1929-33 Aalto Alvar Aalto 41 42 Aalto Alvar Aalto: „Die ersten Experimente bestanden darin, Lamellenkonstruktionen in einer Richtung zu biegen. Es war immer mein Traum, vierdimensionale, skulpturartige Holzformen zu schaffen, die vielleicht einmal zu freieren und stabileren Formen führen könnten.“ Die ersten Versuche organische Volumenformen aus Holz zu konstruieren, ohne Anwendung von Schnitztechnik, führten später, nach fast zehn Jahren, zu triangulären Lösungen, unter Berücksichtigung der Faserrichtung des Holzes. 43 44 Jean Prouvé, 1901 in Paris geboren, wurde ursprünglich zum Kunstschmied ausgebildet. Beeinflusst von seinem Vater, der als Maler, Bildhauer und Grafiker die Schule von Nancy mitbegründete, die zu den wichtigen Zentren des Jugendstils gehörte, war er aber von Anfang an nicht „nur“ Handwerker. In seiner eigenen Werkstätte galt das Prinzip „nicht zeichnen was nicht ausführbar ist“. Für seine Möbelstücke wurde nach einer raschen Skizze in ein bis zwei Tagen ein Prototyp angefertigt anhand dessen Korrekturen vorgenommen werden konnten. Erst dann wurde der endgültige Plan gezeichnet. Die „reine Form“ spielte in Prouvés Überlegungen keine Rolle. Seine Formen sind immer aus konstruktiven Überlegungen entstanden. Zugleich nützte er die Eigenschaften des jeweiligen Materials, sehr oft Metall, auf intuitive Weise optimal aus („was denkt das Material“). Prouvés Möbel demonstrieren fast immer den Kräfteverlauf, es bleibt nur übrig was konstruktiv unbedingt notwendig ist; dies wiederum erzeugt Dynamik und Spannung. Prouvés Möbel entstammen der Welt der Metallindustrie, nicht der eleganten Koketterie französischer Salons. Konstruktive Vernunft, Metallbearbeitung nach den neuesten Verfahren und Unternehmergeist: diese drei Eigenschaften waren die Voraussetzung für Prouvés besondere Stärke und Originalität. Er bewies sie als Entwerfer und Hersteller vorgefertigter Häuser, Fassadenelemente, Leichtbauteile und Möbel. Profilstahlblech war seit dem Ende der 20er Jahre Prouvés bevorzugtes Konstruktionsmaterial. Mit dem Prinzip des Falzens konnte er die Stärke der Stahloder Aluminiumplatten extrem verringern, eine Technik die auch im Automobil- und Flugzeugbau angewendet wurde. Prouvé war ein schöpferischer Konstrukteur, und zugleich absoluter Beherrscher der Technik. Sessel Cité Universitaire 1933 Prouvé Jean Prouvé 45 46 Detail Untersicht Prouvé Sessel Cité: der schräge Stand der Konstruktionselemente suggeriert Aktivität, die Sitzfläche ist in genau dieser Position fixiert, als wäre sie nach langem Hinund Herrücken genau dort zur Ruhe gekommen. Der Sessel scheint wie in der Momentaufnahme einer Bewegung festgehalten. Im U-Profil der Armlehnen läuft je ein Lederriemen rundum der sich an der Unterseite mit einer Gürtelschnalle nachziehen lässt und somit unterschiedliche Spannungszustände ermöglicht. 47 48 Charakteristisch für das Möbeldesign, das damals in Mailand, Turin und Rom entworfen wurde, waren fließende, organische Formen, die völlig im Gegensatz zu den strengen, rechtwinkeligen Konstruktionen der Bauhaus-Tradition standen. Der Architekt, Designer und Universalgelehrte Carlo Mollino entwarf einige der interessantesten avantgardistischen Modelle der späten 40er Jahre, ausgesprochen organisch, oft beinahe surrealistisch. Viele seiner Formen waren stromlinienförmig und ließen sein Faible für Autorennen und Geschwindigkeit erahnen. Gelegentlich bezeichnete man sein Werk auch als Turiner Barock. Mollino arbeitete nach dem Wahlspruch, alles sei erlaubt, solange es nur phantastisch ist. Den Armsessel entwarf er für das Haus von Cesare und Ada Minola. Der Rahmen ist aus schwarz gebeiztem Holz gefertigt, die Polsterung mit Samt bezogen. Mollino Armsessel 1944 Carlo Mollino 49 50 Charles und Ray Eames produzierten zwischen 1940 und den späten 70er Jahren neben unzähligen Möbelentwürfen ihr eigenes Wohnhaus (im Zuge der case study houses), Designprodukte, Spielsachen, Fotografien, 75 Kurzfilme und Ausstellungskonzepte und gehören damit zu den wichtigsten Designern des 20. Jahrhunderts. „How do you hold two wood shells in space?“ Die ersten Ideen von Stühlen aus verformtem Schichtholz entstanden schon 1941 für einen Wettbewerb des Museum of Modern Art, bei dem Charles Eames und Eero Saarinen den ersten Preis erhielten. Kein Unternehmen hatte zu dieser Zeit die Technik, diese Stühle serienmäßig herzustellen. Zwei Erfindungen entsprangen gleichzeitig dem ersten großen Entwurf von Charles Eames: Er fand ein Verfahren, mit dem Schichtholz dreidimensional verformt werden konnte (und zwar mit Hilfe von Druck und Hitze in einer hydraulischen Presse) und nutzte Kautschuk, um eine Verbindung zwischen den Holzschalen und dem Gestell herzustellen: eine flexible Hartgummischeibe (shockmount) wird fest und doch flexibel mit der Schale verbunden und mit dem Gestell verschraubt. Durch die Schalenform passten sich die Stühle der menschlichen Körperform an und waren so – obwohl nicht gepolstert – sehr bequem.1946 stellte Eames seine Plywood Group vor, sie machte ihn sofort berühmt. Neben dem LCW-Stuhl stellten die Eames nach demselben Verfahren unter anderem auch den Lounge Chair, Faltwände und eine Kindermöbelserie her. Sperrholzstuhl 1944 - 46 Eames Charles&Ray Eames 51 52 Eames 53 54 Dieser Stuhl besteht aus einem Untergestell aus einem aus gebogenem Draht geformten Metallgestänge und einer abnehmbaren Polsterauflage. Im Randbereich sind die Drähte – zur Verbesserung der Stabilität – verdoppelt. Der Wire Chair ist historisch betrachtet der Vorläufer der Kunststoffstühle. Eames baute zuerst Schalenkonstruktionen aus punktgeschweißtem Stahldraht. Diese Experimente führten zur Sitzschale aus glasfaserverstärktem Kunststoff. Aus dem Drahtmodell entstand der Wire Chair, der wie eine Skulptur wirkend, als dreidimensionales Objekt, leicht und transparent im Raum steht. Wire Chair 1951 Eames Charles&Ray Eames 55 56 „Diese Erfindung bezweckte eine Verbindung gebogener Holzstücke, die als Ganzes eine, sich von der Biegung aus erweiternde, Holzform ergibt. Als Ausgangspunkt dienen gebogene Holzstücke, deren Biegungswinkel nach dem Biegen beständig bleibt. (...) Die Holzteile werden keilförmig zugesägt. Wenn man sie z.B. durch Leimen zusammenfügt, entsteht eine gebogene Holzform, die an einer ihrer Enden eine sich erweiternde Fläche bildet. Dieser Teil kann je nach technischem Zweck bis max. 360 Grad beliebig groß sein. Ein derartiges Holzteil kann man beispielsweise bei Möbeln anwenden, um eine außergewöhnlich starke Verbindung von Vertikal- und Horizontalkonstruktion herbeizuführen. (...)“ (Da die Bindefläche außergewöhnlich groß ist.) Alvar Aalto Hocker 1954 Aalto Alvar Aalto 57 58 Die Serie 7, zu der auch der „Ameisenstuhl“ gehört, sind Stühle mit Sitzschalen aus Schichtholz und verchromten Stahlrohrgestellen. Anfangs waren sie nur furniert zu haben, später wurden farbige Versionen hergestellt. Der Erfolg von Jacobsens Entwürfen gründet sich zu einem wesentlichen Teil auf seinen rationalistischen Umgang mit Materialien und Produktionstechniken und auf die enge Zusammenarbeit mit dem Hersteller. Er profilierte sich besonders im Einsatz industrieller Möglichkeiten. Zweifellos war Jacobsen durch die frühen Arbeiten von Charles und Ray Eames zu der Verformung der Sitzschale und Rückenlehne aus einem Stück Schichtholz angeregt worden. Die schwungvollen Kurven des Ameisenstuhls wurden in zwei späteren Entwürfen zu ihrem logischen Extrem getrieben, nämlich in den beiden Sesseln Swan und Egg aus schaumstoffgepolsterten Polyurethansitzschalen. Der „echte“ Ameisenstuhl war ein Dreibein mit breiter Lehne und schlanker Taille. Arne J acJacobsen obsen Serie 7 1950 59 60 Gummilager Jacobsen 61 Stahldrehzylinder Befestigung Sperrholz mit Stahlrohrgestell (v.unten) Detail-Schnitt Gummilager Primate 1970 Sella 1957 Mit seinem Traktorsitz-Hocker (Mezzadro) macht sich Castiglioni Marcel Duchamps Konzept des „Ready Made“ für das Möbeldesign zunutze. Sein Entwurf wurde anfangs für so avantgardistisch gehalten, dass er erst 13 Jahre später in Produktion ging. Allunagio 1965 62 Traktorsitz 1957 CAchille astCastiglioni iglioni 63 64 Gio Pontis Superleggera, aus Eschenholz mit geflochtenem Sitz gefertigt, war eine elegante Anspielung auf einen traditionellen Fischerstuhl, wie er in Chiavari, in der Nähe von Genua, gebräuchlich war. Sein Gewicht ist extrem gering, trotzdem ist er äußerst stabil und außerdem kostengünstig und ideal für die Massenproduktion geeignet. „In den paradoxen Erfindungen unseres Zeitalters, im Zwang sich auszudrücken haben wir uns so weit von der Spontanität, der Wahrheit, dem Natürlichen und der Einfachheit der Dinge entfernt, dass etwas das vollkommen richtig, spontan, wahr, natürlich und schlicht ist, die Leute erstaunt und einen unglaublichen Erfolg hat. Wir gehen in die richtige Richtung, vom Schweren zum Leichten, vom Massiven zum Durchsichtigen.“ Gio Ponti Superleggera 1955-57 GioGioPPonti onti 65 66 Die Aluminum Group, zu der Tische und Stühle gehörten, war ursprünglich ein spezielles Projekt für ein Haus, das Alessandro Girard und Eero Saarinen entworfen hatten. Sie wurde auch Leisure Group oder Indoor-Outdoor Group genannt. Eames reduzierte die Materialauswahl für seine Konstruktion auf sehr gegensätzliche Materialien: Aluminium und hochdruckverschweißte Vinyle (später kamen Varianten in Stoff und Leder dazu), daraus entstand eine Konstruktion von optischer und vor allem technischer Spannung. Die Grundelemente aller Alu-Chairs sind Seitenteile und Stützen aus Aluminium-Druckguss und eine Haut, die darübergespannt wird und Sitz und Rücken bildet. Die Haut besteht aus einer Sandwichkonstruktion von zwei Lagen Stoff, dazwischen eine Folie und eine Lage Polstermaterial. Die Stoffe werden miteinander hochdruckverschweißt. Aluminum Group Chair 1957 Eames Charles&Ray Eames 67 68 Prototypen in der Entwicklung des Alu-Seitenteils Eames 69 Die Sitzflächen werden von Hand in die seitlichen Profile eingenagelt 70 Dieser außergewöhnliche anthropomorphe Stuhl der Brüder Belzig wurde auf der Kölner Möbelmesse 1968 vorgestellt. Er wurde als wetterbeständiger Stapelstuhl konzipiert, die zweiteilige Konstruktion jedoch, die teilweise Handarbeit erforderte, war für eine effiziente Massenproduktion zu kompliziert. Belzig hatte mit seinen Brüdern gemeinsam eine kleine Firma gegründet. Er hatte kaum Geld und interessierte sich daher besonders für Herstellungsverfahren die keine teuren Maschinen benötigten. Die Serie Floris war aus glasfaserverstärktem Polyester hergestellt worden. Im gleichen Prinzip stellten die Brüder auch die Kindermöbelserie PolyBel her. Floris 1967 Belzig Günther Belzig 71 72 De Pas,d Der aufblasbare Sessel Blow ist eine Ikone der Wegwerfkultur der 60er Jahre und wurde mit großem Erfolg in Serie produziert. Er wurde unter Verwendung der erst vor kurzem entwickelten Hochfrequenz-Schweißtechnik für Polyvinylchlorid (PVC) hergestellt. Der Blow-Sessel war für den Gebrauch sowohl in Innenräumen als auch im Freien gedacht und wurde sogar als schwimmender Sitz auf den Markt gebracht. Die Transparenz des Stuhls stellt eine Rebellion gegen die traditionelle Auffassung dar, dass Möbel stabil und von Dauer sein müssen. Seine geringen Herstellungskosten machten ihn zu einem Konsumgegenstand und veränderten grundlegend die Vorstellungen von hohen Produktionskosten und Haltbarkeit. Zielgruppe waren junge Leute und ein sozial unabhängiger Markt, der den Stuhl als Lifestyle-Accessoire betrachtete, das den vergänglichen Bedürfnissen der Mode unterworfen war. Sessel Blow 1967 Blow d´Urbino,Lomazzi,Scolari 73 74 Pirettis Klappstuhl Plia ist eine moderne Version des traditionellen hölzernen Klappstuhls. Die einzelnen Elemente sind durch die Nabe aus Aluminium verbunden. Der Rahmen ist aus einem Stahlrohr mit ovalem Querschnitt geformt, verchromt oder kunststoffbeschichtet. Zusammengeklappt ist der Stuhl etwa 2,5 cm dick, die Nabe ausgenommen. 1970 entwarf Piretti einen ähnlich zusammenklappbaren Armlehnstuhl, das Modell Plona, und einen dazugehörigen Schreibtisch Plano. Klappstuhl Plia 1969 Piretti Giancarlo Piretti 75 Schnitt B - B Schnitt C - C A 76 B B C C A A-A Seitenansicht Piretti 77 Fußdetail Vorderansicht Seitenansicht Draufsicht Profile Stahl, Sitzfläche, Lehne Plexiglas 78 Der Stapelstuhl war der erste aus einem einzigen Material und in einem einzigen Guss hergestellte Stuhl. 1968 gelangte er zur Serienreife. Der Prototyp wurde aus GFK-Polyester (glasfaserverstärktem Kunststoff) gefertigt, war allerdings zu spröde. Die ersten in Serie produzierten Exemplare wurden dann aus verformtem, später lackiertem Baydur (PU-Hartschaumstoff) hergestellt. Seit 1970 verwendet man Luran-S, einen durch Erwärmen im Spritzgussverfahren formbaren Kunststoff. Panton: „Ich versuche mit neuen Materialien gutes Design zu machen. Meine Stücke sollen vielseitig verwendbar und erschwinglich sein.“ Polyesterstapelstuhl 1960-67 Panton Verner Panton 79 80 Der Sacco stellt eine revolutionäre Sitzkonzeption dar, die viele Nachahmer fand. Es handelt sich um einen Sitzsack mit PVC oder Lederbezug. Die Füllung besteht aus etwa 12 Millionen halbaufgeschäumten Styroporkügelchen, von je drei Millimeter Durchmesser. Die Designer hatten ursprünglich die Idee einer mit Flüssigkeit gefüllten, transparenten Hülle, was jedoch aufgrund des ungeheuren Gewichts und der Schwierigkeiten beim Einfüllen wieder verworfen wurde. Der Sacco passt sich in seiner Form dem Benutzer an und entsprach vollkommen dem saloppen Lebensstil der 60er Jahre. Sacco 1969 Sacco Gatti, Paolini, Teodoro Piero Cesare Franco 81 82 Schon Anfang der 30er Jahre kann man Eiermanns Neigung zur Verwendung von Geflechten aus Weide-, Bondoot-, oder Peddigrohr für Stühle und Sessel zur Einrichtung Berliner Wohnungen erkennen. 1948 tritt dann erstmals der Typus des Korbsessels auf, eine Form bei der nur ein Material sichtbar wird, eben das Geflecht. Der gesamte Sessel ist „aus einem Guss“. Das biegsame Material, das unter Wahrung seiner Elastizität durch Verflechten an Steifheit und damit an Belastbarkeit gewinnt, motivierte Eiermann zu unzähligen Varianten. Als handwerkliches Produkt ist jeder Sessel eine Einzelanfertigung und erforderte eine enge Zusammenarbeit zwischen Designer und Korbflechter. Egon E ierEiermann mann Hocker 1970 83 84 Dieser elegante Stuhl trug in den 70ern dazu bei, Italiens Ruf als Land für hochwertiges, innovatives Design zu stärken. Eine genähte Lederhülle wird auf ein Stahlgerüst gezogen, gespannt wie die Haut über Muskeln und Knochen, wodurch ein Verhältnis von strukturaler und organischer Symbiose erzeugt wird. Mit Reißverschlüssen wird die Hülle geschlossen (z.B. an der Innenseite der Füße). Bellini entwarf außerdem ein Sofa und einen Armlehnsessel im gleichen Design – alle Stücke werden noch heute in Weiß, Natur und Schwarz hergestellt. Stuhl Cab 1977 Bellini Mario Bellini 85 86 Wie die von Gehry entworfene Easy Edges Group, besteht auch das Modell Little Beaver aus geschichteter Wellpappe. Die Ränder sind unbearbeitet, als hätte sie ein Biber angenagt. Little Beaver wurde mit einem passenden Hocker in limitierter Auflage hergestellt. Gehry verarbeitet in seinem Möbel mit einfachen technischen Mitteln auf phantasievolle Weise preiswerte Papierprodukte. Er erreicht die Verwandlung eines traditionell mit zweckmäßiger Verpackung assoziierten Materials in haltbare, kostengünstige Möbel. Das zweidimensionale Material Wellpappe wird durch kleben und schichten in dreidimensionale Volumen übersetzt. Little Beaver 1980 Gehry Frank O. Gehry 87 88 Starck®, der scheinbar dafür berühmt wurde, berühmt zu sein, weiß den Rationalismus der 70er, das Zitat von vertrauten Motiven aus allen Epochen und einen Hang zu einer bisher nur aus dem Surrealismus bekannten Weichheit und Organik der Formen zu einem eigenständigen Gefüge zu verbinden. Symptomatisch für die Zeit nach 1980 ist das Zitieren und Offensichtlichmachen dessen, was man tut: Der Materialmix des Dr. Glob ist gleichzeitig Stuhl und Erklärung oder Abbild des Vorgangs des Sitzens: Die Spritzguss-Polypropylenteile der Sitzfläche und der vorderen Beine interpretieren einen Menschen in sitzender Stellung. Diese Stellung ist an sich labil und erfordert Stützung, welche hier durch ein angefügtes Stahlrohrgestell herbeigeführt wird. Mit dem Hocker von 1990 versucht Starck offenbar nachzuholen, was die Evolution bisher verabsäumt hatte und erweitert den Menschen kurzerhand um einen Knochen mit dessen Hilfe er sitzen kann. „Mein Hauptziel in diesem Jahr ist es gewesen, ohne Stil zu entwerfen. Jahrelang haben wir alle nach einem Stil gesucht. Was wir jetzt brauchen ist Zurückhaltung (...) Wenn man ein gutes Produkt herstellt, ist es überflüssig, seine Gestaltung extra zu betonen.“ sagte Starck 1990 über seine Arbeit, schon wissend, dass er Zeitgeistproduzent und auch ein Markenartikel geworden war. Hocker 1990, Dr. Glob 1988 Starck Philippe Starck 89 90 In Ron Arads Möbelentwürfen steht zum größten Teil die Materialität der Dinge im Vordergrund. Das Material – meist ist es Metall – dient dazu, eine Idee auszudrücken. Eine seiner Techniken ist das dreidimensionale Formen von flachen Metallbändern. Er legt sie zu Wellen, Spiralen, Ringen, Röhren und kreiert so ergonomische, federnde, oft auch abenteuerliche, gerade noch ausbalancierbare Sitze und Liegen. Die London Papardelle kann als Allegorie auf die Bandnudel verstanden werden: ein sich wie zufällig über den Boden wellender Bandstahl ergibt ein Liege-/Sitzmöbel. Arads Möbel halten sich nicht bescheiden im Hintergrund. Sie erzählen Geschichten und setzen Assoziationsketten in Gang. Sie kippen zwischen Humor und Zynismus, Vertrautheit und Befremden. London Papardelle 1992 Arad Ron Arad 91 92 In den 80er Jahren übertrug sich, nach einem Jahrzehnt das von Nützlichkeitserwägungen geprägt war, die geistesgeschichtlich schon längst formulierte Theorie der Postmoderne auch auf die Belange des Designs und der Architektur. Credo war die Vielfalt, die Mehrschichtigkeit und Mehrdeutigkeit, die 80er waren die Zeit des „anything goes“. Man konnte wieder frei aus der Stilgeschichte zitieren und es entwickelte sich ein Design, das formal wieder verspielte Opulenz, produktionstechnisch jedoch hohe Effizienz besaß. Erlaubt war, was gefiel. Trotz aller Möglichkeiten in der Formfindung, v.a. durch CAD, entwickelten sich Dinge aus geometrischen Primärformen, was eine nicht zu leugnende Infantilität des Produktdesigns mit sich brachte. Neue Käuferschichten, im Mittelpunkt des Interesses jene schnell zu Geld gekommenen Menschen zwischen 30 und 40, waren die Hauptabnehmer des sogenannten guten Designs; Design an sich wurde zum Identifikationsfaktor der Mid- und Upper-class. Was früher einfach notwendig war, war jetzt Design. Produktentwickler wie Philippe Starck stilisierten sich vom Menschen zur Marke. Menschen abseits dieser Schiene saßen aber trotzdem gut auf Stühlen aus den 60er Jahren. Die 90er brachten Ernüchterung und eine hohes Augenmerk auf noble Zurückhaltung und Eleganz, es beginnt die Zeit des Understatements. Einerseits Raffinesse und der Versuch einer Rückbesinnung auf so etwas wie das Klassische, andererseits auch eine Verfeinerung der aus den 80ern übernommenen Ironie waren die Punkte, wodurch sich gutes Design auszeichnete. Fortsetzung die 90er das Design der 90er Nachdem technologisch so gut wie alles zu produzieren war, was man sich vorstellen konnte, wurde der Witz, die Geschichte und die Referenzen, die die einzelne Produkte besaßen, zum Kern der Entwicklungen. Reduzierte aber spielerische Formen und elegante, kühle bzw. naturbelassene und „arme“ Oberflächen sind die herausragenden Produkteigenschaften. Geometrische Primärformen gerieten allmählich ins Fließen, ergonomische Gesichtspunkte werden wieder zum Argument für das Schöne. Die Fragen zum Thema Sitzen waren in den Jahren vorher schon zur Genüge beantwortet worden, man produziert heute Massenware anhand der Entwürfe aus den 30er bis 70er Jahren, vielleicht technologisch etwas verfeinert, im Geiste aber das Selbe. Zeitgenössisches Design geschieht auf bloß ästhetischer Ebene für jene, welche sich durch Erwerb von solchen Produkten einer Avantgarde zugehörig fühlen möchten. Alle anderen gehen ohnehin zu Ikea. 93 Quellen Quellen 94 Möbeldesign des 20. Jhd. . Sembach, Leuthäuser, Gössel . Taschen Verlag, 1995 Die modernen Klassiker, Möbeldesign seit 1945 . Charlotte und Peter Fiell . Edition Stemmle, 1995 Modern Chairs . Charlotte und Peter Fiell . Taschenverlag, 1993 A Century Of Chair Design . Russel, Garner, Read . Rizzoli, 1981 The Modern Chair . Clement Meadmore . Van Nostrand Reinhold Verlag, 1981 Die Geschichte des modernen Möbels . Karl Mang . Verlag Gerhard Hatje, 1989 Mensch und Raum . Otto Bollnow . Kohlhammer Verlag, 1997 Ein Stuhl macht Geschichte . Werner Möller, Otakar Mácel . Prestel, 1992 Charles & Ray Eames, Designers of the Twentieth Century . Pat Kirkham . MIT Press, 1996 Eames Design . Neuhart, Neuhart, Eames . Wilhelm Ernst & Sohn, 1998 Jean Prouvé, Möbel . Taschen Verlag, 1991 Jean Prouvé, Galerie Jousse Seguin - Galerie Enrico Navarra . Paris, 1998 Le Corbusier als Designer - die Möbel des Jahres 1929 . Renato de Fusco . Electa, 1976 Arne Jacobsen . Felix Solaguren-Beascoa . Santa&Cole, 1991 Gio Ponti . Ugo La Pietra . Rizzoli, 1995 Carlo Mollino, architettura come autobiografia . Giovanni Brino . Idea Books, 1985 Egon Eiermann 1904 - 1970 . Wulf Schirmer (Hrsg.) . DVA, 1984 Charles Rennie Mackintosh, Architect and Artist . Robert Macleod . E.P Dutton Inc., 1987 Gerrit Rietveld, The complete work . Küper, van Zijl . Centraal Museum Utrecht, 1992 The Book of Shaker Furniture . John Kassay . Univ. of Massachusetts Press, 1980 Shaker - Architektur . Rocheleau, Sprigg . DuMont, 1996 Die Kunst der Shaker . Michael Horshan . Könemann Verlagsgmb., 1996 Philippe Starck . Olivier Boissière . Taschen Verlag, 1991 95 ISBN 3-902334-02-9