Karl Mang: Die Geschichte des modernen Möbels

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Karl Mang: Die Geschichte des modernen Möbels
Karl Mang
Gechichte des modernen Möbels
Von der handwerklichen Fertigung
zur industriellen Produktion
Autorisierter Nachdruck der 9. Auflage
Universität Innsbruck
Institiut für Entwerfen, Studio 2 - Raumgestaltung
Verwendung nur zu Studienzwecken
4
Vom Verfasser autorisierter Nachdruck 2001
auf Grundlage der 9. Auflage 1989
Universität Innsbruck
Institiut für Entwerfen, Studio 2 - Raumgestaltung
Bearbeitung: Dr. Joachim Moroder
Druck: xxx
Bindung: xxx
Schrift: Times 10 pt gesetzt in QuarkXpress
Verwendung nur zu Studienzwecken
1. Auflage 1978, Verlag Gerd Hatje, Stuttgart
Erweiterte Neuauflage 1989
[ ISBN 3 7757 0252 0 ]
5
Inhalt
Vorwort
7
Das Möbel als Ausdruck seiner Zeit
8
Das anonyme Möbel im neunzehnten Jahrhundert - Der Weg zur
industriellen Fertigung
Möbel aus Eisen - Die Mechanisierung des Möbels
Der >Campanino< aus Chiavari: Die äußerste Vereinfachung einer
überlieferten Möbelform - Das anonyme Möbel aus Flechtwerk
Michael Thonet: Die Entwicklung des Bugholzmöbels
Die Shaker: Schönheit beruht auf Zweckmäßigkeit
26
Die Theorien von William Morris und die Auseinandersetzung mit der
industriellen Produktion
Der Jugendstil: Die Uberwindung des Historismus
Uber den Jugendstil hinaus: Antoni Gaudi, Frank Lloyd Wright,
Otto Wagner, Adolf Loos - Von >Arts and Crafts< zum Werkbund:
Die Idee der Gemeinschaft - Die Wiener Schule der Zwischenkriegszeit
54
Vom Stijl zum Internationalen Stil
Die Möbel des Stijl: gebaute Theorie, gebautes Manifest
Das Bauhaus: Synthese von Kunst, Handwerk und Industrie
Die Möbel des Internationalen Stils: Mies van der Rohe und Le Corbusier
Die Möbel für den sozialen Wohnungsbau der Zwischenkriegszeit
94
Das skandinavische Möbel auf dem Weg von der Anonymität zur Weltgeltung
Die Entwicklung in Schweden - Der Teakholzstil Dänemarks
Alvar Aalto - Romantik und Konstruktion in Holz
118
Die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg
Neue Technologien: USA- Die Weiterentwicklung des
Internationalen Stils . Neue Impulse aus Italien - Das Kunststoffmöbel
Vom Einzelmöbel zur Wohnlandschaft
Erziehung als Chance für die Zukunft
138
Das Möbel als Ausdruck seiner Zeit?
Gedanken zur zweiten Ausgabe des Buches
170
Anmerkungen / Index
186
6
Für Eva, Bauxi, Carolina und Hannerl
7
Dieses Buch ist keine distanziert unparteiische Darstellung der Geschichte des modernen
Möbels. Aus der quantitativen Fülle der Produktion von bald 150 Jahren war es für den
Autor selbstverständlich, die Tendenzen herauszuarbeiten, die sich nicht immer wieder in
kurzlebigen Moden manifestierten.
Die Frage nach dem Zusammenhang von industrieller Revolution und der Umschichtung
der Gesellschaft, das Entstehen einer neuen Schicht und ihr Suchen nach einem ihr gemäßen Stil, die Entwicklung und Notwendigkeit der industriellen Massenproduktion stehen
am Beginn dieser Arbeit, die versucht, alle positiven Aspekte hervorzuheben, um sie
unserer Zeit vor Augen zu führen.
Nach den vielfältigen ästhetischen und sozialen Theorien der letzten hundert Jahre, nach
all den Versuchen der Architekten und Möbeldesigner, in der Welt der industriellen
Revolution Möbel und Raum den Anforderungen eines sozialen Jahrhunderts entsprechend zu gestalten, müßten wir glauben, heute in einer Zeit zu leben, deren Ausdruck die
vollendet gestaltete Umwelt der Menschen ist. Trotzdem lebt die Mehrzahl der Menschen
ohne Beziehung zum Möbel, ohne Beziehung zur Wohnung, mit und in einer Umwelt des
Kitsches, hervorgerufen durch Interesselosigkeit, Unverständnis, mangelndes Wissen
und Gewinnsucht.
Das Buch ist als eine engagierte Positionsbestimmung geschrieben, gegen jene
Strömungen, die nach den großartigen formalen Entwürfen die bequeme Mittelmäßigkeit
des Nachahmens der kreativen Leistung, das vage Spiel mit chicen Formen der wissenschaftlichen Forschung vorziehen.
Dieses Buch hätte nicht entstehen können ohne die Untersuchungen aller jener
Kunsthistoriker und Theoretiker der modernen Architektur, die sich um die Einsicht in
die Problematik, vor allem des 19. Jahrhunderts, verdient gemacht haben.
Gerd Hatje ist es zu danken, wenn dieses Buch den Anstoß zu Entwicklungen geben
könnte, die das Interesse unserer Zeit von der Nostalgie des Historismus wieder zur mutigen Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten unserer Epoche führen würde. Mein
besonderer Dank gilt meiner Frau, deren Hilfe in unserem gemeinsamen Architekturbüro
es überhaupt möglich machte, die Zeit für diese Arbeit zu gewinnen. Dem Verlag möchte ich für die wertvolle Hilfe bei der Durchsicht des Manuskripts danken.
Karl Mang
8
Das Möbel als Ausdruck seiner Zeit
Die Entwicklung des modernen Möbels verläuft parallel zur Entwicklung der
modernen Architektur und der modernen Technik. Die amerikanische
Unabhängigkeitserklärung von 1776 mit der Deklaration der Menschenrechte, die
erstmalige Verwendung einer mit Wasserkraft angetriebenen Spinnmaschine in
Nottingham (1775 von Sir Richard Arkwright in der ersten >modernen< Fabrik
errichtet) und der Sturm auf die Bastille im Jahre 1789 stehen am Beginn einer
grundlegenden Veränderung unserer Welt, die bis heute noch nicht zum Abschluß
gekommen ist. Im zwanzigsten Jahrhundert ist der andauernde Prozeß des Suchens,
des Veränderns, der Aktion und Reaktion gesellschaftlicher Umschichtung durch die
Auseinandersetzung zwischen Kommunismus und Kapitalismus, aber auch durch
die Suche nach sozialer Gerechtigkeit in beiden Systemen gekennzeichnet. Diese
gesellschaftliche Wandlung, die heute durch das politische Mündigwerden der
Dritten Welt erneut in Frage gestellt wird, bildet den Rahmen, in dem sich auch
unser Bauen und Wohnen vollzieht.
Möbel und Raumgestaltung können Aufstieg und Macht einer Klasse, einer Schicht
oder eines Volkes auf gleiche Weise symbolisieren wie die Architektur einer Epoche.
Im Grunde lassen sie sogar noch präzisere Schlüsse zu, da Veränderungen hier viel
rascher und deutlicher zum Tragen kommen. Durch ihre unmittelbare Nähe zum
Menschen charakterisieren Raum und Möbel seine Stellung und seine Beziehung
zum Mitmenschen. Möbel sind Zeugnis seines öffentlichen Auftretens ebenso wie
seiner persönlichen Vorstellungen: Ein Möbel von Andre Charles Boulle (Abb. 1)
mit seinen klaren Formen und prachtvollen Intarsien steht für die absolutistische
Machtfülle Ludwigs XIV. ebenso wie der schlichte Bugholzstuhl (Abb.2) aus einer
Fabrik von Michael Thonet für den beginnenden Massenkonsum.
Klassizismus und Empire brachten, wenn auch im historischen Rückgriff, zu Beginn
des neunzehnten Jahrhunderts die Kraft alter gesellschaftlicher Ordnungen nochmals im Möbelbau zum Ausdruck. Die fließenden Gewänder der Damen auf den
Bildern von Jacques Louis David (Abb. 3) und die der römischen Antike entnommenen Motive der Möbel (Abb. 4) wollten Gleiches darstellen: die Stärke des
Imperators und die Suche nach klassischer Regelmäßigkeit und Einfachheit. Durch
die glatten Flächen des dunklen Mahagonifurniers, erste Zeichen technischer
Perfektion der beginnenden arbeitsteiligen Fabrikation, erhielt das Möbel schon
durch das bloße Volumen verstärkte Aussagekraft.
In den Möbeln und Wohnformen des Biedermeier kann man eine Vorstufe der
modernen Formgebung sehen (Abb. 5). Aus der Reduzierung der Ornamente von
Klassizismus und Empire und der Anpassung an die räumlichen Verhältnisse der
Bürgerstube entstanden, zeigte diese bürgerliche Wohnkultur noch einmal die Kraft
einer selbständigen Entwicklung. Die organischen Formen der Sitzmöbel könnte
man durchaus als Vorboten eines Funktionalismus bezeichnen, der durch die Abkehr
von vordergründiger Repräsentation möglich wurde. Bescheidene, helle und freundliche Zimmer mit schlichten Möbeln strahlten Ruhe aus und schienen dieser vor
allem mitteleuropäischen Strömung etwas Endgültiges zu verleihen. Die Ruhe war
jedoch trügerisch: Hinter der politischen Ordnung Metternichs bahnten sich tiefgreifende Umwälzungen auf gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Gebiet an.
Die bürgerliche Gesellschaft war durch den Verlauf der Französischen Revolution
1. Andre Charles Boulle. Kabinettschrank,
um 1700. Musee du Louvre, Paris.
Der >Ebeniste du Roy< entwarf und fertigte Möbel, deren einfache Grundformen
zumeist mit Einlegearbeiten in Schildpatt
und Messing oder Zinn dekoriert wurden
(Boulle-Technik).
9
3. Jacques Louis David. Madame Recamier,
1800. Musee du Louvre, Paris.
Das Empire überträgt die Formen der römischen Antike auch auf die Möbelkunst, die
um 1795 unter dem Directoire beginnt und
ihren Höhepunkt mit der Herrschaft
Napoleons erreicht.
4. Musiksaal im Schloß Malmaison bei
Paris, um 1800. Dekoration von Charles
Percier und Pierre F. L. Fontaine, Möbel von
den Brüdern Jacob.
Die konsequente Ubertragung von antiken
Vorbildern auf die Gesamtgestaltung eines
Raumes verleiht dem Stil des Empire seine
starke Geschlossenheit.
2. Michael Thonet. Stuhl Nr. 14.
Dieses Modell wird seit 1859 erzeugt; die
Gesamtproduktion bis 1930 betrug etwa
fünfzig Millionen Stück.
10
5. Leopold Kupelwieser. Gesellschaftsspiel
der
Schubertianen
in
Atzenbrug
(Vertreibung aus dem Paradies), Aquarell,
1821. Historisches Museum der Stadt
Wien.
Schmucklose und möglichst glatte Formen
prägen den Stil des Biedermeier, dessen
bequeme Möbel in hellen Räumen einen
Höhepunkt bürgerlicher Wohnkultur darstellen.
zutiefst erschreckt und fühlte sich unter der Obhut ihrer Monarchen sicher. Man zog
sich ins eigene Heim zurück, in dem Frau, Kinder und Freunde für jene Atmosphäre
sorgten, die man heute als >biedermeierlich< bezeichnet.
Im Land der frühen Industrialisierung, in England, hielt man zunächst an
Wohnvorstellungen fest, die durch die drei großen englischen Möbelentwerfer des
achtzehnten Jahrhunderts - Thomas Chippendale, Thomas Sheraton und George
Hepplewhite - geprägt worden waren (Abb. 7). Im übrigen hieß das Motto >zurück
zur Natur<, hinaus in eine idyllische Landschaft, das ebenso wie in Mitteleuropa
durch die romantische Malerei unterstützt wurde. Man hielt sich in den Landhäusern
der weiten grünen Grafschaften auf, während im Mittelwesten die engen, schmutzigen Industrieviertel entstanden, die Schlote der ersten Fabriken rauchten und die
Schiffe im Zeichen des Wirtschaftsliberalismus eine neue Freiheit der Meere nutzten, um Rohstoffe für die Maschinen heranzuschaffen (Abb. 6). Zur selben Zeit, als
mit dem Ende der überkommenen Ordnung des Feudalismus die bisher gebundenen
Arbeitskräfte frei wurden und sich in die Zentren der neuen Industrie ergossen, lebte
die führende Schicht in einer gewollt historisierenden Umgebung. Die neue Gotik
symbolisierte die Erinnerung an die glorreiche Vergangenheit des englischen Adels,
die auch für die Fabrikanten Vorbild war (Abb. 8, 9).
Während das frühe Viktorianische England in die ländliche Idylle flüchtete, baute
6. Karl Friedrich Schinkel. Skizze aus
Manchester, 1826.
Fabriken und Lagerhäuser, zumeist als
Ziegelbauten errichtet, prägten das Bild der
englischen Industriestädte im neunzehnten
Jahrhundert.
11
7. Englisches Rollbüro mit Büchervitrine,
um 1790. Victoria and Albert Museum,
London.
Die Möbel dieser Zeit zeichnen sich durch
äußerst zweckmäßige Gestaltung und
zurückhaltendes Dekor aus.
8. Norman Shaw. Neugotischer Sekretär mit
Bücherschrank, um 1860. Victoria and
Albert Museum, London.
Durch
handwerkliche
Qualität
in
Verbindung mit gotischen Formen wurde
versucht, den minderwertigen Produkten der
jungen Industrie entgegenzutreten.
9. William und Separ Owen. Häuser für Port
Sunlight, um 1890. Historismus beherrscht
auch die ersten Versuche, Arbeiterhäuser in
der Nähe der Fabriken zu errichten.
Leo von Klenze nach 1816 aus dem kleinbürgerlichen München heraus mitten in
das Grün der Vororte die klassizistischen Häuser der Ludwigstraße. In der Nähe von
Wien, in einer Stunde mit dem Pferdewagen zu erreichen, entstand eine biedermeierlich-klassizistische Villen- und Bäderstadt: Josef Kornhäusel gab dem durch
einen Brand zerstörten Baden ein neues Stadtbild.
Daß die politische Führung in ganz Europa trotz ihrer konservativen
Grundeinstellung eine fortschrittliche Wirtschaftsentwicklung förderte, mag an der
Erkenntnis liegen, daß wirtschaftliche Sicherheit und Prosperität beruhigend und
stabilisierend wirken; so holte zum Beispiel Staatskanzler Metternich Michael
Thonet nach Wien. Die Thonet-Stühle aus gebogenem Holz standen zuerst tatsächlich in den Palästen der adeligen Mäzene und wurden erst später zum Volksmöbel.
Die of fiziellen Staatskünste der Architektur und Malerei brachten - über den
Historismus hinaus - keinen Versuch, die neue Zeit schöpferisch zu erfassen. Und
die Arbeiterschaft war zu sehr durch den Kampf um die bloße Existenz gebunden,
um schon stilbildende Kräfte zu entwikkeln.
Der rasante technische Fortschritt, die Entwicklung neuer Fabrikationsmethoden
und die Einführung neuer Materialien mußten indessen auch von den
>Kunstmöbelherstellern< zur Kenntnis genommen werden. Schon Andre Charles
Boulle, der große Ebenist Ludwigs XIV., kannte das arbeitsteilige Verfahren, und
auch die berühmtesten Möbelfirmen Frankreichs oder David Roentgens
Unternehmen im Rheinland waren arbeitsteilig aufgebaut. Hier fand, wenn auch
sehr langsam, der Ubergang vom Handwerks- zum Industriebetrieb statt.
Ebenso wuchs die Größe der Unternehmen, und man begann, den Absatz mit
modernen Vertriebsmethoden zu organisieren. In Wien beschäftigte die Möbelfirma
Dannhauser um 1808 bereits 130 Arbeiter; man konnte - etwas später - Möbel und
Geräte (etwa Glaswaren) in seiner Fabrik und dem nahe gelegenen Verkaufsraum
erwerben.
Die >Kunstschreinereien< sahen allerdings immer noch ihre Aufgabe darin, die historisierenden Räume einer historisierenden Architektur mit Möbeln verschiedenster
12
Stilrichtungen zu füllen (Abb. 10). Es waren handwerklich perfekte Möbel, die,
obwohl Kopien vergangener Stile, von den Theoretikern und von den neu entstandenen Museen (Victoria and Albert Museum in London, Museum für Kunst und
Industrie in Wien) befürwortet wurden.
In dieser Welt des Umbruches und der Rückschau auf Stilepochen vergangener
Zeiten und Gesellschaftsordnungen wiesen - neben den Versuchen mit dem neuen
Material Eisen - zwei Leistungen in die Zukunft der industriellen Gesellschaft: die
bereits im achtzehnten Jahrhundert geschaffenen Möbel der amerikanischen Sekte
der Shaker (Abb. 11) und das Bugholzmöbel von Michael Thonet (Abb. 12).
Während die Shaker - bereits hundert Jahre vor Adolf Loos - aus Uberlegungen sittlich-religiöser Art Zierformen bei Architektur, Gerät und Möbeln ablehnten, wurde
das Bugholzmöbel auf Grund der verfahrenstechnischen Entwicklung und durch
seine Billigkeit zum frühen Modell eines Möbels der Massengesellschaft und darüber hinaus zum Vorbild für das Möbeldesign bis heute.
Die technische Entwicklung wirkte sich besonders deutlich in Amerika aus. Zwar
entstanden die ersten Fabriken später als im industriellen Mutterland England (die
erste Baumwollspinnerei wurde 1793 in Pawtucket errichtet), doch setzte sich bald
bald die kapitalistische Produktionsweise - in der zweiten Hälfte des neunzehnten
Jahrhunderts vor allem durch den Versuch gekennzeichnet, die manuelle Tätigkeit in
11. Möbel der Shaker.
Die Formensprache und Produktionsweise
der Shakermöbell aus dem Kolonialstil in
Neuengland entwickelt und vom späten
achtzehnten bis zur Mitte des neunzehnten
Jahrhunderts unverändert beibehalten, ist
vor allem durch das Primat der puritanischen Grundsätze dieser Sekte erklärbar.
12. Michael Thonet. Bugholzstühle.
Die Forrnentwicklung des Bugholzmöbels
seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts
zeigt deutlich, wie aus einer neuen
Verarbeitungsmethode
eine
neue
Formensprache entwickelt wurde. Eine
Reduzierung auf einfachste Formen (Stuhl
Nr. 14, Abb. 2) erfolgte erst nach dem
Übergang zur Massenproduktion.
13
10. Schreibzimmer in der Grützner-Villa,
München, 1884.
Die überladene Pracht dieser aus einer
Vielzahl von Stilen zusammengesetzten
Einrichtung ist charakteristisch für die
>Wohnkultur< gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts.
allen Bereichen durch die billige Maschine zu ersetzen - mehr und mehr durch.
Früher handwerklich hergestellte, einfache Möbel wurden nun zumeist in ihren
Einzelteilen mit Hilfe von Maschinen gefertigt.
Beim Experimentieren mit neuen Materialien und Möglichkeiten entstand eine
Vielzahl von Möbelpatenten (Abb. 13), zum Beispiel für Bürostühle, die zum Teil
die spätere Technisierung des Möbels vorwegnahmen. In formaler Hinsicht allerdings wirkten diese Entwürfe keineswegs stilbildend. Nicht einmal die für die riesigen Eisenbahnstrecken Amerikas entwickelten außerordentlich praktischen und sehr
variablen technischen Einrichtungen, etwa der Pullman-Schlafwagen, vermochten
den Wohnstil des Durchschnittsamerikaners zu beeinflussen. Hier kann eine
Parallele zur Entwicklung des Bürohochhauses in Chicago (Abb. 14) gezogen wer-
14
den: auch dort wurde früh und selbstbewußt eine neue Form des Bauens geschaffen,
die lange unbeachtet blieb und die ihre Auswirkungen erst heute hat - freier
Grundriß, große Glasflächen, Aufzug, Zentralheizung.
Die Bevölkerung des jungen Kontinents wandte sich in ihrem Pioniergeist einer
anderen Freiheit zu (die gleichzeitig Abhängigkeit von Geld und Zeit bedeutete) der völligen Freiheit kapitalistischer Prägung. Damit ging auch die soziale
Entwicklung einen anderen Weg als in Europa. Weder die Bauten von Louis
Sullivan (Abb. 14) noch die Wohnräume und Möbel von Frank Lloyd Wright (Abb.
16) fanden in Amerika angemessene Beachtung. Für den Pionier, den Selfmademan,
den selbstbewußten Technokraten oder Moneymaker war >Wohnkultur< die aus
Europa importierte Form des Historismus. Der Ankauf historischer Möbel erfolgte
gleichzeitig mit dem Ankauf von Kunstwerken - noch heute zieren sie die Räume
der Morgan Library oder des Frick Museum in New York, unverändert die
Wohnform der High Society Amerikas um 1900 wiedergebend. In Europa bewirkten die Theorien von John Ruskin und William Morris in der zweiten Hälfte des
neunzehnten Jahrhunderts eine entscheidende Wende. Morris, der das Handwerk des
Mittelalters für vorbildlich hielt und wegen der Mißstände der jungen Industrie die
Maschine ablehnte, schuf die Grundlagen für eine neue Formfindung. Er war, und
das scheint für sein Werk wesentlich zu sein, Verfechter höchster handwerklicher
Qualität, die nur im Zusammenwirken von Künstlern und Handwerkern entstehen
konnte - und dazu noch überzeugter Sozialist. Seine Uberlegungen gingen, geradezu im Gegensatz zur technischen Entwicklung, von einem moralischen Bekenntnis
aus, das zum neuen weltanschaulichen Hintergrund der Gestaltung wurde. Der
Grundsatz, daß Kunst für alle ebenso wichtig wie Freiheit für alle sei, war die Basis
seines Wirkens. Für die nun beginnende Suche nach einer eigenständigen, der neuen
Zeit und dem neuen Material entsprechenden Form, vor allem im Wohnen (Abb.
15), sind seine Gedanken, aber auch seine Arbeiten von größter Wichtigkeit. Die von
ihm geforderte und begründete Gemeinschaft von Künstlern und Handwerkern fand
in der Zeit um die Jahrhundertwende Nachfolger in der Gründung der Werkstätten
in München und Wien und war mit ihren sozial-ethischen Postulaten selbst noch für
die geistigen Vorstellungen des Weimarer Bauhauses mitbestimmend. Betrachtet
man die Entwicklung im neunzehnten Jahrhundert und versucht man, sie auf wenige, aber wesentliche Komponenten zu reduzieren, so zeigen sich zwei parallel verlaufende Wege: einerseits der des mit dem Einsatz neuer Materialien und der ständigen Verbesserung der Fertigungsmethoden verbundenen technischen Fortschritts,
zum Beispiel beim Bugholzmöbel Michael Thonets, andererseits die auf William
Morris gestützte geistig und sozial wirkende Bewegung. Erst nach vielen Umwegen
fanden diese beiden Entwicklungslinien zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts
eine gemeinsame Basis in manchen Ideen des Deutschen Werkbundes, die später
durch das Bauhaus weltweit wirksam wurden.
Im Laufe der Suche nach einer neuen Stilwelt entstand gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts der Jugendstil als eine Kraft, die den Historismus überwinden half
(Abb. 17). Diese Strömung wurde zwar für kurze Zeit zu einer mitreißenden
Bewegung; sie ging jedoch theoretisch über die Ideen von William Morris kaum
hinaus und bediente sich damals schon überholter Produktionsverfahren. Ein aus
massivem Holz geschnitzter Stuhl Henry van de Veldes (Abb. 18) konnte zwar ein
Fanal, aber kein Vorbild für ein Massenmöbel sein: seine Herstellung war einfach zu
teuer. Zwischen der Theorie der sozialen Gerechtigkeit und der Praxis, die sich
zwangsläufig auf die Einrichtung von Wohnungen der Oberschicht beschränken
mußte, bestand eine unüberbrückbare Kluft.
13. Drehstuhl im Salonwagen der ChicagoKansas City-Linie, 1888.
Die großen Entfernungen innerhalb des
amerikanischen Kontinents (und sicherlich
auch die Konkurrenz zwischen den einzelnen Gesellschaften) machten eine komfortable, aber auch flexible Einrichtung der
Züge notwendig.
14. Louis Sullivan. Carson, Pirie, Scott
Department Store,
Chicago, 1899
(Erweiterung 1903-04).
In diesem Warenhaus wird die Beziehung
zwischen Fassade und Innenraum deutlich
sichtbar: »Die Form folgt der Funktion«.
15
15. Morris & Co. Das grüne Speisezimmer,
1867. Glasfenster von Edward BurneJones. Victoria and Albert Museum,
London.
Die Einrichtung dieses Raumes verdeutlicht den Gedanken der Zusammenarbeit
von Architekt, Künstler und Handwerker
im Sinne William Morris'. An die Stelle der
puritanischen Religiosität der Shaker ist
jetzt die gesellschaftliche Utopie des frühen
Sozialismus getreten.
16. Frank Lloyd Wright. Cheney House,
Oak Park, Illinois, 1893.
>Organische Architektur< - wie bei
Sullivan erfolgt die Entwicklung des
Hauses von innen nach außen. Sowohl in
der Form der Architektur wie des Möbels
wird versucht, eine eigene, einheitliche
Stilsprache zu entwikkeln, wie sie seit dem
Biedermeier nicht mehr existierte.
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Starken Einfluß auf Möbelbau und Innenarchitektur hatten die großen
Weltausstellungen zwischen 1851 und 1900. Die Londoner Weltausstellung von
1851 war vor allem durch den Kristallpalast von Joseph Paxton mit seinem neuartigen Raumkonzept, gekennzeichnet durch räumliche Transparenz und fließenden
Ubergang zwischen innen und außen, von größter Bedeutung. Später gewann das
Aufzeigen neuer technischer Möglichkeiten Wichtigkeit: Mit ihrem weltweiten
Echo brachten die Ausstellungen neue Errungenschaften breiten Kreisen zur
Kenntnis. Die Kataloge der Ausstellungen selbst sowie die Berichte in den nach und
nach entstehenden Zeitschriften über Innenarchitektur trugen ebenfalls wesentlich
zur Verbreitung neuer Ideen bei.
Letztlich sah das frühe zwanzigste Jahrhundert nochmals den Triumph der alten
Gesellschaft. Bei den Möbeln experimentierte man zwar manchmal mit neuen
Formen, die bewährten bürgerlichen Wohnschemata blieben jedoch sowohl in den
Mietshäusern der Innenstädte wie in den Villen der Vororte unangefochten bestehen.
Es bedurfte noch eines Weltkrieges und der Russischen Revolution, bis die
Gesellschaft ihre Vorstellungen grundsätzlich einer neuen Wertung unterziehen
konnte. Erste Anzeichen waren allerdings schon früher erkennbar - die Versuche des
1907 gegründeten Deutschen Werkbundes, Handwerk und Industrie zu integrieren,
ebenso wie die Arbeiten von Peter Behrens, der bei einer großen Industriefirma, der
AEG, für Architektur und Design verantwortlich war (Abb. 19, 20).
17. Victor Horta. Speisesaal im H6tel
Solvay, Brüssel, 1895-1900.
Proportion und Einrichtung des Raumes
mit seinen hohen Fenstern sind noch vom
Stadtpalais des achtzehnten Jahrhunderts
geprägt. Auch die Stühle sind im Vergleich
zum Entwurf van de Veldes (Abb. 18) noch
sehr dekorativ gestaltet.
17
18. Henry van de Velde. Speisezimmer in
der Villa Herbert Esche, Chemnitz,
1897/98. Die Überwindung des Historismus gelang nur durch eine konsequente
Gestaltung des Raums, bei dem alle Details
- selbst Lampen und Türgriffe - einer
Gesamtvorstellung folgten.
Die Zäsur des Ersten Weltkrieges war entscheidend. Vor allem in wirtschaftlich
schwer geschlagenen Ländern wie Deutschland, Österreich und selbstverständlich
in Rußland nach der Revolution begann man, den Wert der bisherigen
Lebensformen in Frage zu stellen. War es ein Wunder, daß man zunächst in die
Utopie flüchtete, da die Wirklichkeit kaum zu bewältigen war? So war der nach dem
Krieg entstandene deutsche Expressionismus, der vor allem von Berlin ausging, ein
Versuch, in Architektur und Möbeln die Träume einer Notzeit auszudrücken (Abb.
21, 22). Die gekünstelten, technisch kaum realisierbaren Formen vermochten wohl
Wunschvorstellungen darzustellen, sie waren aber keineswegs der Durchsetzung
gesellschaftlicher Änderungen dienlich.
Wichtige Impulse kamen vom Bauhaus, das zunächst in Weimar (1919-1925), dann
in Dessau (1925-1932) tätig war. Von der Theorie der holländischen Stijl-Bewegung
ebenso beeinflußt wie von den russischen Konstruktivisten, ging diese Schule den
notwendigen Weg zur Integration der bildenden Künste, besonders am Bau. Der
Innenraum wurde damit neu konzipiert und mit einer Einrichtung ausgestattet
(Abb.24), die es ähnlich wie beim japanischen Haus erlaubte, den Menschen in den
Mittelpunkt zu stellen. Als Produkt neuer technischer Möglichkeiten schufen Marcel
Breuer (Abb. 25), Mies van der Rohe und Mart Stam das für die zwanziger Jahre so
charakteristische Stahlrohrmöbel. Daß nach und nach, vor allem unter der Leitung
des Architekten Hannes Meyer, die Idee des Sozialen den formalen Vorstellungen
18
übergeordnet wurde, war angesichts der Notzeit, die Deutschland damals durchzustehen hatte, fast selbstverständlich.
Das soziale Möbel und die zweckmäßige Gestaltung von Wohnungen für breite
Schichten wurden zur großen Aufgabe der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. In Wien
baute man unter den sozialdemokratischen Bürgermeistern Jakob Reumann und
Karl Seitz und ihrem Finanzstadtrat Hugo Breitner als Antwort auf die kapitalistische Bautätigkeit der Vorkriegszeit zahlreiche Volkswohnungen, ein Programm,
dessen Auswirkungen noch viel zu wenig untersucht sind. Hier wurden die ersten
Ideen Franz Schusters für seine Aufbaumöbel (Abb.23) und Grete SchütteLihotzkys für ihre Küchen geboren. Beide wurden dann in einigen der Frankfurter
Siedlungsanlagen, die unter Ernst May entstanden, zur Reife entwickelt.
Höhepunkt der formalen Entwicklung dieser von einer >neuen Sachlichkeit<
geprägten Epoche war die Werkbund-Ausstellung 1927 auf dem Weißenhof in
Stuttgart (Abb. 26), zu der die bedeutendsten Gestalter jener Zeit - wie Mies van der
Rohe, Walter Gropius, J.J.P. Oud, Le Corbusier und Hugo Häring - mit mustergültigen Wohnbauten beitrugen. Hier manifestierte sich der Internationale Stil vielleicht
am konsequentesten: Die klaren Bauten umschlossen einfache Innenräume mit sparsamer Möblierung. Mies van der Rohe, dessen Konzept des offenen Raumes für eine
ganze Generation richtungweisend wurde (Abb.30), leitete die Ausstellung. Er war
Ästhet der neuen Form und des neuen Materials - so kommt das Soziale in seinem
Werk wenig zum Ausdruck, sieht man von der starken Breitenwirkung ab, die seine
Ideen durch seine Schüler und Nachfolger erreichten. Le Corbusier gestaltete in der
Weißenhofsiedlung zwei Häuser, deren Konzeption schon auf Wohnvorstellungen
hinwies, wie er sie dann in der Unite d'Habitation in Marseille verwirklichen konnte. Um 1930 schien es zunächst, als ob die moderne Architektur allenthalben den
Sieg davontragen würde. Nur zu bald aber regten sich die konservativen Kräfte. In
Stuttgart wurde bereits einige Jahre nach der Weißenhofsiedlung eine
>Gegensiedlung< errichtet (Abb. 27), die, technisch konservativ, aber perfekt, das
biedere, brav-deutsche Haus als Leitmotiv empfahl.
19. Peter Behrens. Turbinenfabrik der AEG
in Berlin, 1909.
Die Fabrikhalle, aus ihrer Funktion heraus
mit großen Glasflächen versehen, wird
gleichzeitig zu einer Symbolgestalt mächtiger Industrieunternehmen.
20. Peter Behrens. AEG-Bogenlampe für
indirekte Beleuchtung, 1907.
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23. Franz Schuster. Aufbaumöbel.
Zeichnungen aus Franz Schuster - Ein
Möbelbuch. Ein Beitrag zum Problem des
zeitgemäßen Möbels.
»Aus den Grundelementen Gestell, Kasten,
Lade, Regal lassen sich alle nur gewünschten Möbel zusammenstellen. Die Maße
sind 50, 100, 150 cm in der Breite.« (Aus
dem Prospekt der Firma Erwin Behr: »Das
Frankfurter Register, Aufbaumöbel von
Franz Schuster.«)
25. Marcel Breuer. Stahlrohrklubsessel,
1926.
Durch industrielle Produktion sollte auch
erreicht werden, gute und zugleich preiswerte Möbel auf den Markt zu bringen. So
entstanden die ersten Stahlrohrstühle
Marcel Breuers in Zusammenarbeit mit
einer Berliner Schlosserfirma.
21, 22. Erich Mendelsohn. Einsteinturm,
Potsdam, 1920-21. Außenansicht und
Arbeitsraum.
Architektur als Skulptur: Die Umsetzung
expressionistischer Vorstellungen in eine
gebaute Form ist typisch für eine Zeit der
Not, die als ihren einzigen Ausweg oft nur
die Flucht in die Utopie kannte.
Die Möbel des Arbeitsraumes stehen durch
ihre kubisch-eckigen Formen im Gegensatz
zu Raum und Bau.
24. Walter Gropius. Typenmöbel, 1927 für
das Kaufhaus Feder in Berlin entwickelt,
1930 auf der Ausstellung des Deutschen
Werkbundes in Paris gezeigt.
Eine der großen Leistungen des Bauhauses
war es, Verbindungen zur Industrie zu
suchen. Einfache, klare Formen entsprachen nicht nur dem Stil der Neuen
Sachlichkeit am Ende der zwanziger Jahre;
diese Möbel waren auch einfach und solide
mit industriellen Methoden herzustellen.
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26. Werkbund-Ausstellung
>Die Wohnung<, Weißenhofsiedlung,
Stuttgart, 1927. Gesamtplanung Ludwig
Mies van der Rohe.
Die
Ausstellung
des
Deutschen
Werkbundes stellte neben Rationalisierung
und Typisierung zeitgemäße Wohnungseinrichtungen zur Diskussion.
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In Rußland wurden die Konstruktivisten nach ersten Erfolgen in der Architektur in
den Hintergrund gedrängt. Die pseudo-bürgerliche Architekturperiode des stalinistischen Regimes begann. Dieser eklektizistischen Architektur wurde eine Einrichtung
beigegeben, die keinerlei Zusammenhang mit der Revolutionstheorie eines gesellschaftlichen Umbruches mehr in sich trug. Hitler beschritt im Wohnbau den Weg
einer Architektur von Blut und Boden<, die großen Meister der Architektur und
Malerei mußten ins Exil gehen. Dem brutalen Klassizismus von Albert Speer entsprachen die von der Monumentalität des Renaissancehandwerks geprägten Einrichtungen (Abb. 28, 2 9). Lediglich in Italien war es möglich, vor allem unterstützt
durch die aufstrebende Industrie, daß moderne Kräfte vom Faschismus gebilligt
oder zumindest toleriert wurden.
Erstaunlich war das Beiseitestehen Amerikas. Die Wolkenkratzer im Stile der Gotik
oder der Renaissance (Abb. 32) fanden nach wie vor ihr Pendant in eklektizistischen
Möbeln oder in einer Flucht in die echten, in Europa aufgekauften Möbelstücke der
Millionäre.
So stand die Situation zu Beginn des Zweiten Weltkrieges im Zeichen eines allgemeinen Rückzuges der Ideen der modernen Architektur und des ihnen entsprechenden Möbels. Weder die Siedlungsbauten Adolf Hitlers noch die Bautätigkeit in
Rußland führten die bereits erarbeiteten Prinzipien zeitgemäßen Wohnens weiter.
Der Zweite Weltkrieg unterbrach in Mitteleuropa die Entwicklung für Jahre: Wer in
Trümmern leben muß, denkt nicht über den Stil von Möbeln nach. Zudem dauerte
es geraume Zeit, den reaktionären, überall noch spürbaren Einfluß des Faschismus
zu beseitigen.
In Amerika dagegen setzte nach dem Kriege eine völlig neue Entwicklung ein. Nach
langen Jahren der Stagnation konnten die Ideen der großen europäischen Architekten - Mies van der Rohe, Walter Gropius, Marcel Breuer und anderer -, die nun
an amerikanischen Universitäten lehrten, Früchte tragen. Tatkräftig unterstützt wurden diese Bestrebungen vom Museum of Modern Art in New York, das schon 1932
die erste große Ausstellung über moderne Architektur veranstaltet hatte. Dieses
Museum war es auch, das 1941 einen Wettbewerb für moderne Möbel ausschrieb,
der als wesentlichstes Ergebnis die Schalenstühle von Charles Eames und Eero
Saarinen brach (Abb. 31). Hier zeigten sich erstmals der durch den Krieg verstärkt
27. Paul Schmitthenner.
Fassade eines Einfamilienhauses in der
Siedlung am Kochenhof, Stuttgart,
1933.Die konservative Architektur begann
sich bereits zu Anfang der dreißiger Jahre
in ganz Europa durchzusetzen. Architektur
und Wohnform der Häuser in der Kochenhofsiedlung, typisch für die Zeit nach 1933,
werden bis heute im gesamten mitteleuropäischen Bereich in vielen Varianten nachgeahmt.
28
29
21
30. Ludwig Mies van der Rohe. Haus
Tugendhat, Brünn, 1930.
Der große, nach zwei Seiten gegen Garten
und Wintergarten geöffnete Wohnraum wird
mit frei stehenden Wänden und zurückhaltender Möblierung gegliedert.
28. P. L. Troost, L. Gall und G. Troost.
>Haus der deutschen Kunst< in München,
1936-37.
Der Neoklassizismus Hitlerscher Prägung
übernimmt antike Architekturelemente ohne
Beziehung zu menschlichen Maßstäben.
29. Albert Speer. Neue Reichskanzlei in
Berlin, 1939. Arbeitszimmer des >Führers<
mit Möbelgruppe am Kamin.
Die
mächtige,
pseudo-repräsentative
Sitzgruppe hielt sich über den Krieg hinweg
und wird auch heute nicht allzu selten als
Vorbild genommen.
vorangetriebene technische Fortschritt und der große Vorsprung Amerikas auf diesem Gebiet in aller Deutlichkeit. Die Firmen Knoll und Miller übernahmen in
Zusammenarbeit mit bedeutenden Möbelentwerfern Herstellung und Vertrieb konsequent moderner Möbel und erreichten bald eine international führende Stellung.
Ihre Möbel von Mies van der Rohe, Marcel Breuer, Charles Eames, George Nelson
und Florence Knoll paßten in die Räume der neuen Hochhäuser aus Stahl und Glas,
die nun überall errichtet wurden.
Im Norden Europäs zeigte die Vorarbeit der Bauhauszeit bereits in den dreißiger
Jahren Ergebnisse. Firmen wie Artek in Finnland, die mit Alvar Aalto zusammenarbeitete, oder Hansen in Dänemark waren Pioniere einer modernen Auffassung im
Möbelbau, die kaum den Boden des gediegenen Handwerks verließ. Die souveräne
handwerkliche Verarbeitung und das Holz mit seinem unvergleichlichen Finish
waren noch immer Trumpf, und es konnte nicht verwundern, daß sich die skandinavischen Einrichtungen mit ihrer Wärme bald eine Weltstellung erringen konnten,
gerade in jenen Ländern, in denen man nach einem schrecklichen Kriege Ruhe und
Frieden in den Wohnungen suchte (Abb. 33, 34). Der >Teakstil< Dänemarks
begann, gefördert durch eine verständnisvolle Handelspolitik und kluge
Unternehmer, seinen Siegeszug. In Schweden, das zum Vorbild eines sozialen
Staates wurde, setzte eine weitreichende Aufklärungstätigkeit allgemeinbildender
Institutionen ein, die große Bevölkerungskreise mit den Prinzipien des modernen
Wohnens vertraut machte. Nach der schwierigen Arbeit des Wiederaufbaus in
22
31. Charles Eames und Eero Saarinen.
Entwurf für einen Armstuhl, 1940. The
Museum of Modern Art, New York.
Einer der zehn ersten Preise des
Wettbewerbs >Organic Design in Home
Furnishings<, der 1941 vom Museum of
Modern Art in New York veranstaltet
wurde.
32. Ernst R. Flagg. Equitable Building,
New York, 1915.
Die Hochhausarchitektur in Amerika wird
bis in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg
im wesentlichen von historisierenden
Vorbildern bestimmt.
Mitteleuropa besann man sich mit dem steigenden Wohlstand zu nächst einer
fast schon als klassisch zu bezeichnenden Vergangenheit. So wurden die Ideen des
Bauhauses an den Hochschulen weiterentwickelt und von den Möbelfirmen aufgegriffen. Bald aber fanden geschäftstüchtige Firmen heraus, daß man mit modernen
Möbeln blendende Geschäfte machen konnte, wenn man nur dem allgemeinen
Publikumsgeschmack etwas entgegenkam. Außerdem wurde die Welt kleiner, die
Entfernungen schrumpften mit der steigenden Geschwindigkeit der Flugzeuge mehr
und mehr zusammen. In Spanien sah man rustikale Möbel, in Frankreich die
Prunkstücke Ludwigs XV. Es entstand in Europa ein neuer Eklektizismus, jener
sonderbare Stil, der die Illustriertenberichte über die Wohnungen von Filmstars und
23
Industriemanagern zum Vorbild hatte. Dem Psudomodernismus einer die Landschaft überschwemmenden Häuschenarchitektur folgte der Pseudomodernismus
auch im Möbelbau.
Italien allerdings- ein Land, in dem man >auf der Straße< wohnt und dessen soziale Gegensätze zu den krassesten in Europa gehören - errang bald nach dem Krieg
durch die großartigen Designer der Mailänder Schule eine imponierende Stellung
im Möbelbau, vor allem durch Experimente mit dem neuen Material Kunststoff.
Wagemutige Unternehmen, zumeist kleine Möbelfirmen, fanden heraus, wie gut
sich dieses Material mit seiner plastischen Verformbarkeit für die Möbelherstellung
eignete. Die Verbindung des norditalienischen Kapitalismus mit progressiven
Designern wurde zu einem europäischen Phänomen.
Aus der Perfektion der fortschrittlichen amerikanischen Möbelfirmen und der
Originalität der italienischen Designer entwickelte sich eine neue Form der internationalen Möbelproduktion (Abb. 35, 36), wobei wegen des starken Konkurrenzdruckes auch bald Modelle zu erschwinglichen Preisen angeboten wurden. Es stand
nun eine Vielzahl ausgezeichneter Produkte für die Einrichtung jeder Wohnung zur
Verfügung. A1lerdings mußten, den Gesetzen des Kapitalismus folgend, immer
neue Möbel auf den Markt kommen, um die Produktion in Gang zu halten. Die
Sensation um jeden Preis, das >Neue<, mußte gefördert werden.
33. Hans J. Wegner. Armstuhl in Teakholz
mit Rohrgeflecht, 1949. Hergestellt von
Tischlermeister Johannes Hansen.
Durch handwerkliche Perfektion und sichere Materialwahl fanden dänische Möbel
nach dem Krieg weltweite Anerkennung.
34. Bard Henriksen. Umbau des Dachgeschosses eines Kopenhagener Hauses aus
dem achtzehnten Jahrhundert.
Die einfachen Formen der Stühle Arne
Jacobsens geben dem Raum, der auf
Einheitlichkeit und Repräsentation verzichtet, die Atmosphäre moderner Wohnlichkeit.
24
Die Stille und Klarheit der Bauhausatmosphäre, die Möbel des sozialen Wohnbaues
der zwanziger Jahre sind heute kaum noch gefragt. Die Lebensweise der siebziger
Jahre verlangt nach Flexibilität und Variabilität der Einrichtung. Dieser Forderung
kommen die zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten sowie die Formen- und
Farbenvielfalt der Wohnlandschaft entgegen. Diese Möbel lassen Umbauten und
Veränderungen zu, die dem Ablauf des Lebens auch innerhalb der Familie entsprechen (Abb. 3 7, 3 8). Gleichzeitig zeigt sich allerdings ein Rückzug auf das traute
alte Möbel, der in eine neue Welle der Nostalgie mündet: Die Stühle des Jugendstils,
Zeugen hochwertigster Handwerksleistung, werden derzeit in Serien produziert.
Der westlichen Industriegesellschaft stehen heute zwei Welten gegenüber: Einmal
der Osten, der zwar glaubt, gesellschaftspolitisches Vorbild zu sein, sich aber im
Möbelbau völlig an den Westen anschließt oder ihn sogar im negativen Sinne zu
übertrumpfen sucht; von dort kommen vielfach die billigen Kopien alter Stile. Eine
eigenständige Linie, die zum Beispiel der Einrichtung von Gemeinschaftshäusern
dienen könnte, hat sich bisher nicht gezeigt. Zum anderen lebt die sogenannte Dritte
35. Joe C. Colombo. Polstersessel >Elda
1005<, 1965. Hergestellt von Comfort,
Giorgetti Fratelli & Co.
Die Verwendung von Kunststoff - hier in
Verbindung mit dem traditionellen Material
Leder - war einer der wichtigsten Schritte
in der Entwicklung des Möbelbaus nach
dem Zweiten Weltkrieg.
36. Giancarlo Piretti. Klappstuhl >Plia<,
1969. Hergestellt von Anonima Castelli
s.a.s. Raumsparend, leicht und billig - das
typische Massenmöbel unserer Zeit. Der
Rahmen ist aus Leichtmetall, Sitz und
Rückenlehne aus transparentem Kunststoff.
37. Walter Müller. Möbelsystem >Podium
3<, 1972. Hergestellt von Interlübke.
Aus Einzelelementen (Seitenwangen,
Schuhkästen und Abdeckplatten) lassen
sich mit Hilfe von Steckstiften aus Metall
beliebige Regale und Wohneinheiten
zusammenstellen.
38. Rolf Heide. Terrassenmöbel, 1975.
Hergestellt von Wohnbedarf.
Leicht zusammenbaubare Konstruktion aus
Holz mit Segeltuchbespannung, für innen
und außen. Ideenreichtum und die Verwendung einfacher Materialien in Verbindung
mit großer Variabilität, die alle Möglichkeiten der Benützung offen läßt, zeigen
neue Wege des Wohnens unserer Zeit auf.
25
Welt ebenfalls von der Wohnidee des Westens. Sie zerstören dort angewendete überlieferte Formen und haben nichts mit den Lebensrhythmen gemein, die sich durch
Jahrhunderte erhalten haben. Der Traum, eine Industrienation zu sein oder zu werden, läßt alle anderen Uberlegungen häufig in den Hintergrund treten.
Zu Beginn des letzten Viertels des zwanzigsten Jahrhunderts wird allerdings ein
Lichtblick sichtbar. Die Jugend glaubt nicht mehr so ganz an das Ideal rücksichtslosen Geldverdienens, und die sinnvoll eingerichtete Wohnung, die ein zwangloses
Zusammenleben erlaubt, gewinnt wieder an Wert. Vielleicht finden wir heute den
Weg zur Realisierung der Ideen von William Morris, zu echten Möbeln, zur
Einrichtung eines sozialen Zeitalters - nicht in dem Sinne, daß wir die Maschine
abschaffen, sondern daß wir sie jene Produkte herstellen lassen, die wir als gerecht
und gut befinden in einer Umgebung, die den Sinn des Menschlichen auf dieser Welt
ausstrahlt.
26
Das anonyme Möbel im neunzehnten JahrhundertDer Weg zur industriellen Fertigung
Die meisten Möbelformen des neunzehnten Jahrhunderts, die für die weitere
Entwicklung Bedeutung hatten, waren in ihrer Zeit nur anonyme
Randerscheinungen. Erst aus heutiger Sicht werden die leichten Chiavari-Stühle, die
Möbel aus dem dam-als in England und Frankreich in Mode gekommenen
Rundeisen oder die von religiösen Gemeinschaften wie den Shakern in Amerika
geschaffenen Möbel beziehungsreich und wichtig; im neunzehnten Jahrhundert
betrachtete man sie als Gebrauchsmöbel, als Gerät des Wohnens, das keinem Stil
zuzuordnen war. Selbst die Pioniere der modernen Architektur erkannten erst in den
zwanziger und dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts in manchen dieser Formen und
Produkte Beziehungen zu ihrer Architektur und ihren Innenräumen. Lediglich das
Bugholzverfahren Michael Thonets faszinierte Adolf Loos und Josef Hoffmann
schon um 1900; auch Otto Wagner ließ Stühle und Büromöbel für die von ihm entworfene Postsparkasse in Wien (1904-06, Erweiterung 1910-12) in den
Bugholzfabriken anfertigen. Aus den ersten von Le Corbusier geschaffenen
Wohnräumen und Ausstellungsbauten ist der >Wiener Stuhl< als einzig adäquates
Möbelstück nicht wegzudenken.
In diesem Zusammenhang muß auch auf die oft seit Jahrhunderten in gleicher Form
gebauten bäuerlichen Sitzmöbel hingewiesen werden (Abb.39, 40). Stühle einfachster Art, aus dem Holz der umliegenden Wälder mit geflochtenen Sitzen aus ortsüblichem Material, stehen heute noch in italienischen Trattorias, spanischen Bodegas
und in Landgasthöfen überall in Europa. Für ihre heutige Beliebtheit wesentlicher
ist jedoch die Tatsache, daß ein großer Teil dieser Möbel billig, einfach und haltbar
ist und vor allem in der formalen Durchbildung unseren Vorstellungen von unprätentiösen Gebrauchsmöbeln weitgehend entspricht.
Die frühe Industrie des neunzehnten Jahrhunderts stellte auch dem Möbelbau neue
Materialien in größeren Mengen zur Verfügung. Zugleich traten neue Aufgaben wie
Traktorensitze, Eisenbahn- und Büromöbel an die Konstrukteure heran. Man
erkannte die Notwendigkeit, neu entstandene Bedürfnisse zu erfüllen, breiten
Schichten die Arbeit, etwa in den Büros, zu erleichtern, aber auch das Wohnen
bequemer zu gestalten. So zwang der Beginn des Massenzeitalters die junge
Industrie, neue Wege zu beschreiten. Von der Fabrikation her konnte man nicht
anders als tastend, versuchend vorgehen. Arbeitsteilung existierte nicht erst seit dem
neunzehnten Jahrhundert; die Grenzen zwischen Handwerk, merkantilistisch gefördertem Gewerbe (der Manufaktur), früher industrieller Fertigung und
Massenproduktion können jedoch kaum irgendwo klar bestimmt werden - besonders
nicht im Möbelbau. Möbel sind tägliche Begleiter des Menschen, Gegenstände, mit
denen er seine häusliche Sphäre gestaltet, Ausdruck seines Seins. Diese Vielfalt an
Anforderungen und Funktionen, aber auch an persönlichen Emotionen, konnte letzten Endes nicht durch eine großindustrielle Produktion befriedigt werden. Auch
heute noch wird die Herstellung eines Möbels von Überlegungen bestimmt, die von
der Kunst des Möbelbaus in allen Spielarten bis zur industriellen Erzeugung von
Gegenständen des Wohnens reichen.
Die bestimmenden Gesellschaftsschichten des neunzehnten Jahrhunderts - das
39. Sprossenstuhl aus Pappelholz mit
Binsensitz, Frankreich, 19. Jahrhundert.
Die Neue Sammlung, München. In ländlichen Gebieten hielten sich einfache handwerkliche Formen des Möbelbaus oft durch
Jahrhunderte.
27
40. Vincent van Gogh. Das Schlafzimmer
in Arles, 1889. Stedelijk Museum,
VanGogh-Stiftung, Amsterdam.
Die Möblierung dieses Zimmers ist auf das
einfachste reduziert. Möbel und Geräte
stammen aus kleinen Werkstätten, die über
Jahrzehnte Form und Arbeitstechnik unverändert beibehielten.
Bürgertum, eine neue Schicht vermögend gewordener Unternehmer, aber auch die
noch in der Einrichtungsmode tonangebender alten Adelsgeschlechter - huldigten
bis auf wenige Ausnahmen dem Historismus. Empire und Biedermeier hatten ihre
stilbildende Kraft im Konservativismus der nachrevolutionären Zeit verloren. Die
historisierende Stilanarchie wurde von öffentlichen Stellen gefördert oder von den
Theoretikern der künftigen Architektur, wie Eugene Emmanuel Viollet-le-Duc
(1814-79) und Gottfried Semper (1803-79), in bestimmte Richtungen gelenkt.
Durch die Verwendung neuer Maschinen oder die Anwendung arbeitsteiliger
Fertigungsmethoden weitete sich die Produktion historisierender Möbel rasch aus.
Der erhöhte Bedarf durch wachsende Käuferkreise und der harte Wettbewerb des
Hochkapitalismus, seine Tendenz, eine Mode rasch durch eine andere abzulösen, um
so den Bedarf durch künstlich erzeugte Obsoleszenz anzuheizen, haben diese Entwicklung zusätzlich beschleunigt. Doch ohne diese Anforderungen, ohne die ständige Schulung an orthodoxen Methoden, wären die Möbelhersteller nicht imstande
gewesen, die Aufgaben, die ihnen später die Architekten des Jugendstils oder etwa
Adolf Loos stellten, zu realisieren. Loos' Nachruf auf den alten und schwerhörigen
Tischler Veillich ist dafür bezeichnend: »Gestern wurde er begraben. Veillich hat
alle meine Speisezimmersessel gemacht. Durch dreißig Jahre war er mein treuer
Mitarbeiter. Bis zum Kriege beschäftigte er einen Gehilfen, dessen Mitarbeit er hoch
28
hielt. Auf die Leute von heute war er nicht gut zu sprechen. Der Gehilfe wurde ihm
im Krieg erschossen. Seither arbeitete er allein. Er wollte nicht schlechtere Sessel
liefern als bisher, sie wären auch zu teuer gekommen. Und schließlich war selbst für
ihn allein nicht mehr genug Arbeit vorhanden. Meine Schüler im Auslande beschäftigten ihn. In jungen Jahren hatte er in Paris gearbeitet. Er war taub wie ich, daher
verstanden wir uns gut. Wie war das Holz für jede Form des Sessels ausgesucht! Die
Bretter vom unteren Teil des Stammes bildeten die Rückfüße, und die Jahresringe
mußten sich genau der geschweiften Form anpassen. Und - nein, warum soll ich die
Geheimnisse einer ausgestorbenen Werkstatt preisgeben1?«
Möbel aus Eisen
»Im achtzehnten Jahrhundert und am Anfang des neunzehnten war . . . die Technik
der außerenglischen Länder noch so rückständig, daß die allgemeine Geschichte des
Eisens von diesen Ländern nur zu berichten braucht, wann und wo die englische
Technik dort eingeführt worden ist« (Otto Johannsen2).
Das schon seit langem bekannte Material Eisen hatte durch die Erfindung neuer
Schmelzverfahren und die damit verbundene Verbilligung auch im Möbelbau
Eingang gefunden. Die geistigen Väter der fast unzerstörbaren, aber auch sehr unbeweglichen Möbel aus Gußeisen waren jene Vertreter der jungen Industrie, die in
ihrer kulturellen Naivität überkommene Formen in neuen Materialien mit neu entwickelten Produktionsmethoden auszuführen suchten. Manche Fabrikanten betrauten damals schon zeitgenössische Designer - die freilich im Sinne des Historismus
arbeiteten - mit dem Entwurf ihrer Produktion. Rein technisch war es durchaus möglich, die komplizierten Formen und Ornamente des viktorianischen Stils billiger in
Eisen als in Holz herzustellen und sie, Holz vortäuschend, zu bemalen.
42. Offiziersgesellschaft im Sachergarten
des Wiener Praters, um 1900.
Die aus dünnen Eisenstäben fabrizierten
Stühle zeigen eine deutliche Beziehung zu
den Thonet-Stühlen aus Bugholz (siehe
auch den Stuhl links auf Abb. 12). Ebenso
kann die Ausbildung der Rückenlehne formal auf den Thonet-Stuhl Nr. 1 (siehe Abb.
75) zurückgeführt werden.
43. Gartenstuhl aus Eisen. Frankreich,
2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Neue
Sammlung, München,Aus Material und
konstruktiver Notwendigkeit entwickelte
Lösung; Verwendung von gestanztem
Eisenblech als Sitzfläche. Die Ausbildung
der Armstützen zeigt eine nahe
Verwandtschaft mit früheren Armstühlen
von Thonet.
41. Edouard Monet, Konzert in den
Tuilerien, um 1860. Natonal Gallery,
London. Das um 1860 entstandene Bild
beweist die allgemeine Verwendung von
Stühlen in den öffentlichen Anlagen, wie
sie auch jetzt noch in den Tuilerien-Gärten
in Paris stehen.
29
Das Gußeisenmöbel, das vor allem als Gartenmöbel und in den Hallen der
Landhäuser verwendet wurde, stellte im Grunde aber nur ein Nebenprodukt der im
frühen neunzehnten Jahrhundert in England aufgenommenen Erzeugung von
Eisenöfen und -rosten dar. Besonders wichtig in Bezug auf Qualität und Quantität
war die Coalbrookdale Company. Ähnliche Gartenbänke (Abb.48) sind heute noch
in den Satellitenstädten um Stockholm auf den Plätzen der Einkaufszentren zu finden. Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts verfiel die Gußeisenindustrie- einmal, weil sich ihre Produkte als unverwüstlich erwiesen, und zum anderen, weil das
Material nicht mehr >neu< genug war. Vor allem aber forderten A.W.N. Pugin als
vehementer Vertreter der Neugotik und später William Morris die Wiederbelebung
der Metallbearbeitung als Kunsthandwerk, wobei mittelalterliche Prinzipien als
Grundlage dienen sollten. Man gab damit dem Schmiedeeisen den Vorzug, aus dem
nun eine ganz andere Produktion entstand. Sie war durch die aufwendige
Bearbeitung viel zu teuer, um weite Kreise zu erreichen.
Neben den Gußeisenmöbeln wurden auch Stühle aus geschmiedeten Rundeisen hergestellt, oft in Verbindung mit dünnem, federndem Blatteisen. Das Katalogblatt der
Societe Anonyme des Hauts-Fourneaux & Fonderies du Val d'Osne (Abb. 45), mit
30
Hauptsitz in Paris, zeigt beide damals üblichen Techniken. Die einfachen Gartenstühle aus feuergeschweißtem Rundeisen (Abb. 42,43) - sie sind in der Formgebung
mit den Thonetschen Möbeln verwandt und wurden oft von den Impressionisten
gemalt (Abb. 41) - führen eher die Sprache unserer Zeit. Für diese Art Gartenmöbel
hat noch Le Corbusier Verständnis gezeigt.
Interessant ist auch die im neunzehnten Jahrhundert wahrscheinlich aus Gründen der
Hygiene stark angewachsene Produktion von Metallbetten (Abb. 46). In
Birmingham wurden schon 1875 wöchentlich 6000 Betten aus Messing und Eisen
hergestellt, wovon ein großer Teil in den Export ging. Eiserne Schaukelstühle in für
die damalige Zeit ungewöhnlich einfachen Formen erschienen bereits zur Londoner
Weltausstellung von 1851 (Abb. 49).
Stahlrohr dürfte zu dieser Zeit im Möbelbau nicht in nennenswertem Umfang verwendet worden sein. Gandillot produzierte in Frankreich um 1844 Stühle aus
44. Luigi Elli. Theaterstühle mit
Eisengestellen
und
Flechtoder
Polstersitzen.
Museo
Poldi-Pezzoli,
Mailand.
Sowohl die Verwendung von Eisen als auch
von Bugholz für Theaterbestuhlung (1888
erster Theater-Klappstuhl für das Deutsche
Volkstheater in Wien) führte zu
Konstruktionen, die eine erhebliche
Platzersparnis brachten.
45. Katalogblatt der Societe Anonyme des
Hauts-Fourneaux & Fonderies du
Vald'Osne, um 1870.
Mit dem öffentlichen Zugang zu den
Gartenanlagen der großen Städte ging die
Massenproduktion leichter Eisenmöbel
Hand in Hand.
46. Cowley & James, Walsall. Bett aus
Messing.
Ausgestellt
auf
der
Weltausstellung in London, 1851.
Die technischen Möglichkeiten des
Metallgusses erlaubten die Ubernahme von
Formen des Möbelbaus und der Architektur
für ein neues Material.
31
geschweißten Rohren, wie sie für Wasser- und Gasleitungen gebräuchlich waren.
Allerdings bemalte er sie in der Art von Holzmöbeln. Die erste Anwendung von
Stahlrohr im Möbelbau waren wohl die Versuche des Fahrradfabrikanten William
Starley (1858-1937) in Coventry. Starley, der eine große Zahl von Erfindungen zum
Patent anmeldete, brachte eines Tages von ihm selbst konstruierte Büromöbel aus
Stahlrohr mit nach Hause. Nach Protesten seiner Familie arbeitete er nicht weiter in
dieser Richtung.
47. Stuhl und Hocker aus Gußeisen, um
1840.
Moderner Nachguß eines Modells der
Fonderies du Val-d'Osne. Musee des Arts
Decoratifs, Paris.
48. Gartenbank aus Gußeisen mit
Farnkrautmotiv als Füllelement der
Rückenlehne, um 1850. Aus dem Katalog
der Coalbrookdale Company.
Abraham I. Darley gelang es 1709, Koks im
Hochofen zu verwenden. 1708 pachtete er
ein
aufgelassenes
Eisenwerk
in
Coalbrookdale, Stropshire. Die daraus hervorgegangene Coalbrookdale Company spezialisierte sich auf die in der Viktorianischen
Epoche beliebten Gartenmöbel aus
Gußeisen.
49. Schaukelstuhl aus Eisen mit
Samtpolsterung. England, um 1850. Die
Neue Sammlung, München. Dieser außerordentlich elegante Schaukelstuhl wurde
wahrscheinlich
schon
1851
im
Kristallpalast, sicherlich aber 1862 bei der
Londoner Weltausstellung gezeigt.
32
Die Mechanisierung des Möbels
Sigfried Giedion hat sich in seinem Werk Mechanizution Takes Command 3 ausführlich mit der Mechanisierung des Möbels im neunzehnten Jahrhundert auseinandergesetzt; seine Untersuchungen in den vierziger Jahren waren für die Entwicklung des heutigen amerikanischen Möbels von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Bereits um 1850 verwendete man in Amerika technische Hilfen im Haushalt.
Bald beschäftigten sich die anonymen Erfinder auch mit der Technisierung und
Mechanisierung des Möbels, vor allem mit dem Entwurf von spezialisierten Sitzmöbeln. In Zusammenarbeit mit Industriebetrieben entwickelten sie Friseurstühle
(Abb. 54), die auch von Zahnärzten und für kleinere Operationen benutzt wurden,
oder Eisenbahnmöbel für Schlaf- und Speisewagen (Abb. 57), wobei technisch hervorragende Lösungen zustande kamen. Ebenso widmete man in Amerika schon früh
dem Büromöbel besondere Aufmerksamkeit, nicht zuletzt, um in den bereits 1890
entworfenen ersten Großraumbüros Zeit, Arbeitskräfte und Platz zu sparen. Hier
schließt, nachdem diese Entwicklung in Vergessenheit geraten war, unsere Zeit wieder an: Viele Firmen produzieren heute perfekt mechanisierte Büromöbelsysteme.
Elizabeth Aslin weist in ihrem Buch Nineteenth Century English Furniture 4 auf die
Erfindungen zur Zeit der großen Ausstellungen hin. Schon auf der Londoner Weltausstellung von 1851 waren Mechanikmöbel ausgestellt, ohne allerdings in den
illustrierten Katalogen Beachtung zu finden. Mechanisierte Invalidensessel, kompakte Schiffsmöbel und die verschiedensten Arten von Verwandlungsmöbeln, wie
Schränke mit eingebauten Betten, zeugten auch im Mutterland der Industrie vom
Erfindergeist des neunzehnten Jahrhunderts.
Am Mechanikmöbel - und das macht es für unsere Zeit so interessant - wurden
Variabilität und Veränderlichkeit erstmals erprobt. Der Zwang zur Bewältigung bestimmter, mit dem technischen Fortschritt neu entstandener Probleme wie etwa der
Raumknappheit im Pullman-Schlafwagen führte zu gänzlich neuen Lösungen und
förderte damit die Abkehr von den Normen einer der strengen Etikette verpflichteten Gesellschaft. Auch heute zeigt sich, vor allem wegen des Platzmangels in den
Etagenwohnungen, eine verstärkte Tendenz zum variablen, multifunktionalen
Möbel.
51. Eßtisch und Stühle, nach einem USPatent aus dem Jahre 1889. Eine elastische
Verbindung der Stühle mit dem Tisch sollte
die Einnahme der Mahlzeiten bei rauhem
Seegang erleichtern.
52
50. Krankenrollstuhl, um 1830.
Bundessammlung alter Stilmöbel, Wien.
Mechanisierte Möbel für besondere
Zwecke sind in der Geschichte des
Möbelbaus sehr früh nachzuweisen. Um
1780 entwarf Benjamin Franklin für seine
Bibliothek einen Stuhl, der in eine
Bücherleiter umgewandelt werden konnte.
Der hier abgebildete Krankenrollstuhl mit
ausziehbarem Sicht- oder Sonnenschutz
wurde für Kaiser Franz I. von Österreich
gebaut.
52, 53. G. Wilson. Faltstuhl aus Eisen, nach
einem US-Patent aus dem Jahre 1871. Der
Benützer kann, ohne aufzustehen, mit Hilfe
eines Hebels das Möbel in praktisch jede
gewünschte Stellung bringen.
51
53
33
54
54. Zahnarztstuhl, nach einem US-Patent
aus dem Jahre 1879.
In Amerika gab es schon um die Mitte des
neunzehnten Jahrhunderts verstellbare
Friseurstühle, um kleine Operationen wie
Zahnziehen oder Aderlaß zu erleichtern.
Etwa ab 1860 wurde in Amerika zwischen
Friseur- und Zahnarztstuhl unterschieden,
wobei der Zahnarztstuhl in seiner technischen Entwicklung wesentlich komplizierter
wurde. Schon 1880 konnte der Sitz hydraulisch gehoben und gesenkt werden.
55. Stuhl, nach einem US-Patent aus dem
Jahre 1853.
Ursprünglich nur in Wohnräumen zu finden,
wurde der von seinem Erfinder als >sitting
chair< benannte Armstuhl später für
Bürozwecke verwendet. Die Konstruktion
ermöglichte das Drehen und Neigen der
Sitzfläche.
56. Lehnstuhl, nach einem US-Patent aus
dem Jahre 1874. Der Lehnstuhl verwandelt
sich durch Kippen (um 90°) nach rückwärts
in eine Liege, wobei der Sitz zum Kopfteil
wird.
57. George M. Pullman. Speisewagen, nach
einem US-Patent aus dem Jahre 1869.
Die großen Entfernungen in Amerika machten
es
notwendig,
komfortable
Zugeinrichtungen zu entwickeln, die - im
Gegensatz zu Europa - auf dem System
einer einzigen Klasse beruhten (Ausnahme:
“Klasse für Neger”). Die Entwicklung der
amerikanischen Eisenbahnmöbel fällt in die
Blütezeit der Patentmöbel. Zwei Patente
Pullmans, oben der Hotelwagen, in dem
Passagiere reisen, essen und schlafen können (vor allem Familien), unten der
Speisewagen,
als Restaurant ohne
Schlafmöglichkeit geplant.
56
57
55
34
Der >Campanino< aus Chiavari:
Die äußerste Vereinfachung einer überlieferten Möbelform
Die Grazilität des Stuhles aus den Werkstätten von Chiavari bei Genua ist das Ergebnis konsequenter Durcharbeitung einer gegebenen Form: Ein Marchese Stefano
Rivarola soll im Jahre 1807 dem Kunsttischler Gaetano Descalzi (1767-1855),
genannt >Campanino<, einen leichten Stuhl aus Paris mitgebracht und zur Nachahmung empfohlen haben. Dem klassizistischen Bildhauer Antonio Canova wird
das Wort zugeschrieben, daß Campanino das »Problem zu lösen wußte, wie man
größte Leichtigkeit mit größter Festigkeit vereint«. Der Stuhl wurde unter der
Bezeichnung >Campanino< oder >Leggero< (der Leichte) bekannt (Abb. 58, 60).
Campanino reduzierte seine Konstruktion auf die einfachsten Verbindungen, wobei
die Sitzflächen nach einem neuen Verfahren entstanden: Weidenfäden wurden in
Gruppen fischgrätartig oder quadratisch zu einem Geflecht verarbeitet. Entscheidend für den Erfolg des Stuhles war neben seiner Leichtigkeit und Bequemlichkeit
auch, daß Campanino nicht mehr teure, importierte Hölzer verwendete, sondern auf
Holz aus den Wäldern um Chiavari zurückgriff, auf Kirsche, Nußbaum und vor
allem Ahorn, dessen heller Ton dem Stuhl besondere Eleganz verlieh. Die
Herstellungstechnik war in einfachstem Sinn arbeitsteilig: Campanino beschäftigte
laufend von ihm angelernte Bauern, die das Holz im Groben zuschnitten. G.B.
Canepa, Campaninos Schwiegersohn, >erneuerte< in der Mitte des neunzehnten
58. J.S. van den Abeele. S alon der Villa
Paolina mit Zenaide Bonaparte und ihren
Kindern, Aquarell, um 1840. Museo
Napoleonico, Primoli, Rom. Klassizistische
Ausstattung und Einrichtung aus dem späten Empire stehen im Kontrast zu den überaus leichten und eleganten ChiavariStühlen.
60. Giovanni Battista Ravenna. Stuhl aus
Obstbaumholz mit geflochtenem Sitz, um
1825.
Stuhl in der Chiavari-Art mit bequemer
Rückenlehne (siehe auch Abb. 58). Bei
manchen der Chiavari-Stühle gingen - ähnlich wie bei Bugholzstühlen - die hinteren
Stuhlbeine mit rundem Querschnitt direkt
in die Rückenlehne über. Die Dichte des
Flechtwerkes war je nach Qualität verschieden. Canepa gelang es, bis zu 22 Weidenfäden auf 1 cm zu flechten, wobei die
Fadengruppen >costane< genannt wurden.
Es gab Stühle mit Sitzen von 7 bis 65
>costane<, fischgrätartig oder quadratisch
verarbeitet.
35
59. Emanuele Rambaldi. Stuhl aus
Ahornholz mit geflochtenem Sitz und
Rückenlehne, um 1933. Der in Chiavari
erzeugte Stuhl zeigt deutlich den Einfluß
des Bauhauses und der dort entwickelten
Stahlrohrstühle.
59
60
Jahrhunderts die einfachen Formen des Stuhles aus Chiavari in gotischem Stil oder
in anderen historischen Richtungen (Abb. 61).
Campanino und seine Söhne produzierten zunächst mit 50 Arbeitern etwa 5000
Stühle im Jahr. Um 1870 erzeugten die Werkstätten in Chiavari mit etwa 150
Arbeitern und 60 Bauern rund 25 000 Stühle zu einem Preis von ungefähr sieben
Lire pro Stück. Bald konnte die Manufaktur von Chiavari auch Erfolge im Ausland
erzielen: Schon 1844 wurde im damals österreichischen Triest eine Niederlassung
gegründet. Auftraggeber aus vielen Ländern bestellten bei der Manufaktur, darunter
Napoleon III. und Fürst Metternich, der Michael Thonet nach Wien geholt hatte.
Das beginnende moderne Design in Italien machte sich um 1933 die Erfahrungen
der Handwerker von Chiavari zunutze. Bei dem von Emanuele Rambaldi entworfenen Stuhl (Abb. 59) weicht die Leichtigkeit, das Grazile der tradierten Form unter
dem stilistischen Einfluß des Bauhauses einer gewissen Strenge. Nach dem Zweiten
Weltkrieg erinnerten sich die italienischen Architekten erneut des einfachen Stuhls;
die sehr sparsamen Einrichtungen dieser Zeit führten eine Renaissance des
>Leggero< herbei. Gio Ponti entwarf 1951 und 1957 leichte Stühle (Abb. 62), die
zweifellos auf den Chiavari zurückgehen. Ihre durchdachte und bis ins letzte Detail
vereinfachte, zeitlose Form behauptete sich auch in so persönlich gestalteten
Räumen wie denen der Mailänder Designer zwischen 1950 und 1960. Es bestehen
hier die gleichen Zusammenhänge wie bei der Verwendung von Bugholzmöbeln
Michael Thonets in den Raumkonzeptionen unserer Zeit.
61. Gedrechselter Stuhl aus Chiavari, um
1860. Sammlung Meroni, Porana. Der
Einfluß des Historismus wird in der Mitte
des neunzehnten Jahrhunderts auch bei den
Chiavari-Stühlen sichtbar, die grazile
Leichtigkeit geht verloren.
62. Gio Ponti. Stuhl aus Eschenholz, 1951.
Hergestellt von Cassina.
Gio Ponti hat in den fünfziger Jahren Stühle
entworfen, die in formaler Durchbildung
und Leichtigkeit der Konstruktion den
Chiavari-Stühlen entsprechen und auch
heute noch produziert werden
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Das anonyme Möbel aus Flechtwerk
Neben der Holzbearbeitung zählt die Korbflechterei zu den ältesten handwerklichen
Techniken. Vom Korb - in vielen Ländern das einzige Transportbehältnis - gelangte
man bald zum geflochtenen Möbel. Sitzmöbel aus Flechtwerk sind auf chinesischen
Holzschnitten ebenso zu sehen wie auf manchen römischen Steinreliefs (Abb. 63).
In Oberfranken, in der Nähe von Coburg, florierte ab 1896 ein neuer Gewerbezweig,
die Rohrmöbelindustrie, nachdem schon einige Firmen auf der Chicagoer
Weltausstellung von 1893 Möbel aus Korbgeflecht gezeigt hatten.
Als Material diente neben der Weide (Salix) vom Ende des neunzehnten
Jahrhunderts an auch in Europa das Palmrohr (Rotan) aus Indonesien und Malaysia.
Der Kern oder Peddig dieses Palmrohres besteht aus einem porösen Faserbündel;
sowohl das Palmrohr als auch der Kern werden in vielen Zurichtungsformen aufbereitet. Die durchlässigen, leichten und robusten Rohrmöbel eigneten sich vor allem
zur Verwendung in Gärten und Restaurants, insbesondere in Gebieten mit feuchtheißem Klima. Ihre Form und Herstellungsweise ließen nur Kleinserien zu; allenfalls die Vorfertigung erlaubte den Einsatz von Maschinen. Damit hängt sicherlich
ihre persönliche Wirkung zusammen, und es bietet sich heute die Möglichkeit, sie
vor allem in Ländern zu produzieren, die über keine entwickelte Industrie verfügen.
Die Pioniere der modernen Architektur wurden bald auf die Flechtmöbel aufmerksam: Adolf Loos verwendete sie oft (etwa im Herrenmodengeschäft Knize in Paris),
ebenso Le Corbusier bei der Möblierung seiner frühen Wohnbauten.
63. Toilettenszene auf einem römischen
Grabmal, um 235 n. Chr., gefunden in
Neumagen an der Mosel. Rheinisches
Landesmuseum, Trier.
Die Steinmetztechnik läßt die geometrischen Motive des Korbsessels genau erkennen. Körbe (wahrscheinlich zur Aufbewahrung und zum Transport von Getreidekörnern) mit einem geschätzten Alter von
5000-7000 Jahren wurden nahe der syrischen Küste gefunden. Zwei Stühle aus
Rohren und geflochtenen Papyrusstielen
aus dem Grabe Tutanchamuns, um 1340 v.
Chr., zeugen bereits von der frühzeitigen
Verwendung dieses Materials für Möbel.
37
66. Nanna Ditzel. Stuhl und Hocker aus
Peddigrohr, 1961. Hergestellt von R.
Wengler.
67. Egon Eiermann. Korbsessel aus
Peddigrohr, 1952. Hergestellt von Heinrich
Murmann.
68. Wohnraum mit Korbmöbeln in einem
amerikanischen Einfamilienhaus. Architekt
Walk C. Jones.Korbmöbel können ebenso
in kubischen wie in freien Formen erzeugt
werden, voll geflochten oder im
Gestellbau. Der beachtliche Aufschwung
des Korbmöbels in den letzten Jahren geht
nicht zuletzt auf die geringen Löhne in den
Ländern der Dritten Welt und die Nähe des
zur Verfügung stehenden preiswerten
Rohmaterials zurück. Die nach Entwürfen
europäischer Designer in Ostasien (etwa
Hongkong) erzeugten Modelle kommen
trotz des großen Transportvolumens preisgünstig auf den europäischen Markt.
64. Ausstellungseröffnung in Weimar,
1904. (Dritter von rechts: Henry van de
Velde.)
Henry van de Velde wurde auf Betreiben
Harry Graf Kesslers vom Großherzog
Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar als
künstlerischer Berater 1901 nach Weimar
berufen. Im Rahmen eines Kunstgewerblichen Seminars (das als Vorgänger der
Kunstgewerbeschule bezeichnet werden
kann) entwarf er Modelle für die unterentwickelte und notleidende Heimindustrie im
Großherzogtum, vor allem für die Korbflechterei, die Töpferei und Spielzeugindustrie. Die Korbmöbel des Jugendstils
ließen sich einfacher und preiswerter herstellen als die in gleichem Stil entworfenen
Stühle aus Holz.
65. Korbstuhl, um 1930. Staatliche
Fachschule für Korbflechterei, Lichtenfels
am Main.
Werkstoffe für den Gestellbau (Palmrohr,
Calamus ratan) sind das Manilarohr, die
hellfarbige edelste Sorte des Palmrohres,
das Malakkarohr, mit bräunlichem Holz
und rotbrauner Oberfläche, und das
Manaurohr mit Stärken bis zu 6 cm
Durchmesser.
38
Michael Thonet: Die Entwicklung des Bugholzmöbels
Michael Thonet (1796-1871) kam aus dem Handwerk. Er gründete 1819 eine
Tischlerwerkstatt in Boppard am Rhein. Im nahe gelegenen Nenwied hatte David
Roentgen, der große Kunsttischler und Ebenist des achtzehnten Jahrhunderts, mit
100 Gesellen (Tischlern, Schlossern, Mechanikern und Bronzegießern) bereits ein
arbeitsteiliges Unternehmen unterhalten. Um 1830 begann Michael Thonet, sich mit
dem Biegen einzelner Teile seiner im Stil des Biedermeier gefertigten Möbel zu
beschäftigen. Die ersten Versuche unternahm er mit den Kopf- und Mittellehnschwingen von Sesselrückenlehnen; sie wurden aus dicken Furnieren in einer Holzform zusammengeleimt und gepreßt: Im Laufe der Zeit löste er immer schwierigere
Probleme, wobei Hand in Hand mit der technischen Entwicklung eine wesentliche
Vereinfachung der Form und Verminderung der Konstruktionsstärke ging. Seine um
1840 entworfenen leichten, eleganten Stühle (Abb. 69) erregten so großes Aufsehen,
daß Fürst Metternich Michael Thonet nach Wien empfahl und ihm durch die
Vermittlung von Aufträgen bei finanzkräftigen Fürstenhäusern (etwa Liechtenstein
und Schwarzenberg, Abb. 72, 75) eine Existenzgrundlage sicherte.
Beim Ausbau des Palais Liechtenstein in Wien (1843-46) entstanden Stuhltypen, die
in ihrer zerbrechlichen Zartheit und Reinheit der Form zu den schönsten Werken des
Möbelbaus im neunzehnten Jahrhundert gehören (Abb. 72). Von der damals sehr
bekannten Firma Carl Leistler, unter deren Namen Thonet für das Haus Liechtenstein arbeitete (zunächst als Parkettleger mit neuen, vom Bugholzverfahren abgeleiteten runden Formen), wurden ebenfalls Stühle hergestellt (Abb. 73). Vergleicht man
sie mit Thonets Arbeiten, so wird der Unterschied in Auffassung und technischer
Durchbildung in seiner vollen Bedeutung erkennbar. 1849 machte sich Michael
Thonet in Wien selbständig. Im gleichen Jahr wurde das Cafe Daum als erstes einer
langen Reihe von Cafes (Abb. 95, 98) mit den Thonet Stühlen Nr. 4 (Abb. 76, 77)
in Mahagoni ausgestattet. In den Stühlen für die Londoner Weltausstellung von
1851 (Abb. 74) klingen bereits die Formen der späteren industriellen Produktion an,
wobei die Dreiecksverbindung zwischen den vorderen Stuhlbeinen und dem
Sitzrahmen, eine interessante handwerkliche Lösung, noch bei manchen Stühlen des
Industrieprogramms, etwa Nr. 13 (Abb. 79), bis um 1875 zufindenist. Aus diesen
>Luxusmöbeln< in Palisander entstanden nach und nach die Typen, deren
Verkaufserfolg Thonet zur Aufnahme der industriellen Produktion veranlaßte.Beim
Aufbau seiner ersten Fabrik in Koritschan (Mähren) erwies sich Michael Thonet als
Pionier der frühen Industrie: Er entwarf selbst die Baupläne, leitete den Bau sowie
die Einrichtung und entwickelte zusammen mit seinen fünf Söhnen einen großen
Teil der Maschinen.1856 wurde die Fabrik eröffnet, in einer Gegend, in der billige
ländliche Arbeitskräfte zur Verfügung standen und in deren Nähe ausgedehnte
69. Michael Thonet. Armlehnstuhl, um
1840.
In dem frühen Möbel Michael Thonets selbstverständlich rein handwerksmäßig
gefertigt - wird das neue technische
Verfahren an überlieferten spätbiedermeierlichen Formen demonstriert. Zarte Profile
(besonders der Stuhlbeine) verleihen dem
Stuhl grazile Leichtigkeit.
70. Das Biegen des Holzes in einer
Thonetschen Fabrik, um 1900. »Durch
minutenlanges Einwirken heißer Wasserdämpfe wird das zu Latten geschnittene
Material biegsam gemacht (gedämpft), die
gedämpften
Latten
werden
auf
Eisenformen gespannt (gebogen), in diesem Zustande getrocknet und schließlich
durch mechanische Bearbeitung in die endgültige Fasson gebracht. Leichtigkeit,
Stärke, Elastizität und große Haltbarkeit
sind die Haupteigenschaften gut gearbeiteter Möbel aus gebogenem Holze. Die
Hauptteile derselben sind nur durch
Schrauben - ganz ohne Leim - miteinander
verbunden.5.«
71. Katalogblatt der Firma Gebrüder
Thonet, um 1873.
Das Katalogblatt zeigt die Entwicklung der
frühen Thonet-Stühle von Nr. 1 bis Nr. 21
sowie den Schaukelstuhl und einige
Sondertypen (Bürostuhl, Kindermöbel).
Die einfachen Formen wurden bei einigen
Typen (Bänke oder Tische) ornamental
abgewandelt, wohl die beste Demonstration
der technischen Möglichkeiten des
Biegeverfahrens.
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72. Michael Thonet. Drei gepolsterte Stühle
in Bugholztechnik, der linke Stuhl vergoldet, und Parkettboden für das Palais
Liechtenstein, Wien, um 1845.
Thonet hat hier das Bugholzverfahren,
handwerklich angewandt, zu höchstem
Raffinement entwickelt, was an der
Dimension der Holzstücke und der
Ausbildung des t~berganges SitzflächeStuhlbeine sichtbar wird. Das Schneiden
des Parketts (das Material dazu wurde im
Biegeverfahren hergestellt) war die erste
Arbeit Thonets in Wien.
73. Carl Leistler. Gepolsterter Stuhl, um
1845. Palais Liechtenstein, Wien.
Die von der Firma Carl Leistler, für die
Michael Thonet in diesen Jahren arbeitete,
nach einem Entwurf des englischen
Architekten P. H. Devigny ausgeführte
Innengestaltung einiger Säle des Palais
Liechtenstein kann als Hauptwerk des
zweiten Rokoko in Wien angesehen werden. Fertigung der Stühle in überlieferter
Handwerkstechnik, aus massivem Holz
geschnitzt.
74. Michael Thonet. Stuhl, Armstuhl,
Sitzbank und Tische aus Palisander, Tische
mit Messingeinlagen, für die Londoner
Weltausstellung 1851. Michael Thonet
wollte im Londoner Kristallpalast
>Luxusmöbel< zeigen. Dabei ließ er, wie
etwa bei den Tischgestellen, die technischen Möglichkeiten des Bugholzes in seinem ganzen Formenreichtum spielen. Die
wesentlich einfacheren Stühle dagegen
haben bereits die Formen der kommenden
Massenfertigung.
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75. Stuhl Nr. 1 (frühe Ausführung) aus dem
Palais Schwarzenberg, Wien.
76. Stuhl Nr. 4 (frühe Ausführung).
77. Stuhl Nr. 4 (Ausführung mit Fußring
und Versteifung der rückwärtigen Füße).
78. Stuhl Nr. 6.
79. Stuhl Nr. 13.
80. Stuhl Nr. 16.
Der Stuhl Nr. 4 wurde schon 1849 in der
gleichen Form für das Cafe Daum in Wien
aus Mahagoni gebogen.
Die Stühle Nr. 16 und 17 (siehe auch
Katalogblatt, Abb. 71) - die einzigen der
Typenreihe mit hohen Lehnen - sind wahrscheinlich auf den Einfluß englischer
Möbelformen
zurückzuführen.
Die
Erzeugung des Stuhles Nr. 17 wurde von
der Firma Thonet in den letzten Jahren wieder aufgenommen und ein Verkaufserfolg
im Zeichen der Nostalgie.
Die Stühle Nr. 6 und 13 finden sich nicht
mehr im Katalog des Jahres 1911. Die fortschreitende Mechanisierung der Produktion
ließ die komplizierten Formen der
Rückenlehnen nicht mehr zu.
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Rotbuchenwälder lagen. Diese Holzart wurde für die weitere Produktion der
Bugholzstühle von entscheidender Bedeutung.
Bei Exporten nach Südamerika traten durch Feuchtigkeitseinwirkung Schäden auf,
die eine weitere Verwendung von Bauteilen aus vier oder fünf Furnierdicken
unmöglich machten. Daher versuchte man, massive Stücke zu verarbeiten, was
zunächst große Schwierigkeiten bereitete, da das Holz vor allem in der Zugzone
immer wieder aufriß. Erst durch das Einlegen und Verschrauben von Stahlblechplatten gelang es, dieses Problem zu lögen, so daß der Massenproduktion nun nichts
mehr im Wege stand. Um 1859, in der Zeit der höchsten Blüte des Historismus,
wurde mit dem Stuhl Nr. 14 (Abb. 86; es handelt sich hier um die Nummern der
alten Thonet-Kataloge) eine Form entwickelt, die nicht mehr zu vereinfachen war.
Der >Konsumsessel< war geboren.
81. Stuhl Nr. 18, ab 1867.
82. Stuhl Nr. 56, ab 1885.
83. Stuhl Nr. 221, ab 1898. Nach der
Typenreihe des Stuhles Nr. 14 (Abb. 86) die
drei größten Erfolge der Thonetschen
Fabrikation. Der Stuhl Nr. 18, robust und
leicht montierbar, wurde der >Exportstuhl<
schlechthin.
Ab dem Stuhl Nr. 50 werden entscheidende
Veränderungen sichtbar: die Lehnfüße sind
nicht mehr durchgehend zu Rückenlehnen
ausgebildet. Das immer noch unter starkem
Kraftaufwand in Handarbeit durchzuführende Biegeverfahren wurde dadurch vereinfacht, daß die über 2 m langen Holzteile
auf etwas weniger als 1 m verkürzt wurden.
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Der Stuhl Nr. 56 weist eine Verstärkung der
oberen Enden der rückwärtigen Füße auf,
wohl um die Verbindung mit der kurzen
Rückenlehne technisch richtig zu gestalten.
Die Typenreihen Nr. 56 und Nr. 221 wurden
zu den >Kaffeehausstühlen< par excellence, wobei allerdings die Rückenlehne des
Stuhles Nr. 221 neueren Formvorstellungen
entsprach und den Anforderungen nach
einem erhöhten Sitzkomfort entgegenkam.
84. Stuhl, aus 3 Stücken >geflochten<.
Technisches Museum für Industrie und
Gewerbe, Wien.
Ausstellungsstück, um die technischen
Möglichkeiten des Bugholzverfahrens zu
demonstrieren.
85. Stuhl, aus einem Holzstück gebogen,
um 1870.
Dieser Stuhl, der im Katalog nicht geführt
wurde und von dem nur einige Exemplare
43
in den Museen zu finden sind, wurde wohl
zu Experimentierzwecken hergestellt. Ähnliche Verarbeitungsverfahren wurden sechzig Jahre später bei den Schichtholzstühlen
Alvar Aaltos weiter entwickelt.
86. Stuhl Nr. 14, ab 1859.
Von dem auch heute noch produzierten
>klassischen< Modell wurden bis 1930
bereits 50 Millionen gefertigt.
87, 88. Werkzeuge für das Biegen von
Rückenlehnen
und
Sitzrahmen.
Technisches Museum für Industrie und
Gewerbe, Wien.
»Die bedeutungsvollste Phase in der
Geschichte dieser Industrie trat ein. Thonet
wandte folgendes Mittel an: Auf diejenige
Fläche des noch ungebogenen, also geraden
Stabes, welcher nach dem Biegen die konvexe Seite bilden sollte, wurde ein Streifen
aus Eisenblech gelegt und an mehreren
Stellen, gewiß aber an beiden Enden durch
Schraubenzwingen in unverrückbare, feste
Verbindung mit dem Stabe gebracht. Wurde
derselbe nun gebogen, so konnte sich der
mit dem Blechstreifen verbundene Teil des
Holzes nicht mehr strecken, als dieser
selbst, also nur um eine verschwindend
kleine Größe verlängern. Damit aber eine
Biegung überhaupt eintreten könne, mußte
sich der gesamte Holzkörper stauchen und
dies um so mehr, je weiter er vom
Blechstreifen entfernt, das heißt je näher er
zum konkaven Teil der Oberfläche gelegen
war. Das Naturgesetz von der Lage der neutralen Schicht wurde aufgehoben und die
neutrale Schicht an die konvexe Oberfläche
verlegt. Es gab ferner nicht mehr einen ausgestreckten und einen gestauchten Holzteil;
der Blechstreifen in seiner unverrückbaren
Verbindung mit dem Stabe zwang das
gesamte Holz, sich zusammenzudrücken«
(Wilhelm Franz Exner6),
Die Stühle wurden in Einzelteilen versandt und mußten nur noch zusammengeschraubt werden. Sie waren leicht, haltbar, überall zu verwenden und durch
Anziehen der Schrauben jederzeit zu festigen. Der einfache Transport und eine hervorragende Vertriebsorganisation in der ganzen Welt erleichterten den Aufstieg der
Firma Thonet, der von der Errichtung von Zweigfabriken, der Pachtung von
Sägewerken und dem Bau fabrikseigener Eisenbahnen begleitet war.
Nach mündlicher Überlieferung war es August Thonet, einer der fünf Söhne
Michael Thonets, der mit wenigen Mitarbeitern neue Formen und Konstruktionen
entwickelte. Bei den gängigsten Typen - etwa beim Sessel Nr. 3, dem
Schreibtischsessel Nr. 9 oder dem Schaukelstuhl Nr. 1- wurde schließlich jene
Einfachheit erreicht, die sich bis in unsere Zeit hinein als brauchbar und formal vollkommen befriedigend erwiesen hat.
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1869 liefen die ersten Patente ab und es entstanden Konkurrenzfirmen. 1871 starb
Michael Thonet. Das Katalogblatt (Abb.71), das um die Zeit der Wiener
Weltausstellung von 1873 zu datieren ist, kann beweisen, daß er es war, der die
Form der gesamten Produktion so rein erhielt. Mit der Einführung des Stuhltyps Nr.
56 (Abb.82) wurde, nach einigen weniger erfolgreichen Versuchen, die Rohmaterialbeschaffung wesentlich vereinfacht. Die Länge des notwendigen astfreien
Materials für Rückenlehne und Stuhlbeine ließ sich jetzt auf die Hälfte reduzieren.
Beim Stuhl Nr. 221 (Abb. 83) verband sich eine bequemere Rückenlehne mit
Formen, die dem zweiten Rokoko entlehnt sein könnten. Dieser Stuhl und seine
Nachfolgertypen wurden zu den Sitzgelegenheiten, die dem Wiener Cafe des Fin de
siecle das Typische gaben. Einige sehr interessante Versuche lassen sich nicht mehr
datieren: so ein Stuhl, der anscheinend nur für Ausstellungen bestimmt war; er war
aus Bugholz >geflochten< und bestand aus nur drei Teilen (Abb. 84). Das wichtigste Experiment waren Schichtholzmöbel, die aber anscheinend nicht über das
Versuchsstadium hinauskamen und wahrscheinlich auch deshalb nicht in
Serienproduktion gingen (Abb. 85).
Thonet-Kataloge aus der Zeit um die Jahrhundertwende zeigten Möbel aller Art
(Abb. 90-94), auch Schlafzimmermöbel, Gartenmöbel und Kindermöbel, mit Formen, die oft in krassem Gegensatz zur >klassischen< Linie etwa des Stuhls Nr. 14
(Abb. 86) standen. In Konstruktion und Form hatte nun der Historismus auch hier
seinen späten Triumph gefeiert. Neben all diesen Produktionen im Makartstil wurden aber auch jene Typen erfolgreich weiter hergestellt, in denen der Pioniergeist
Michael Thonets spürbar blieb. Die beiden großen Vorkämpfer der modernen
Architektur, Adolf Loos und Le Corbusier (Abb. 97), verwandten Serienmodelle
Thonets und erkannten die Bedeutung dieser Möbel. Otto Wagners Stühle für das
Postsparkassenamt in Wien (Abb. 96) wurden in den Fabriken von Thonet und einer
Konkurrenzfirma, Kohn & Kohn, >gebogen<, und auch Josef Hoffmann und seine
Nachfolger der Wiener Schule versuchten sich immer wieder an neuen
Möglichkeiten des Bugholzmöbels. Im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts
gab es bereits eine ausgesprochene Massenproduktion. 1876 wurden mit 4500
Arbeitern, 10 Dampfmaschinen und 280 Pferden täglich 2000 Möbelstücke, davon
1750 Stühle, produziert. Bis um 1900 wuchs in 26 Firmen die Tagesproduktion auf
täglich 15 000 Möbelstücke aus Bugholz - ein Aufschwung, der selbst in der Zeit der
industriellen Entfaltung einmalig war. Die entscheidende Leistung Michael Thonets
bleibt der >Konsumsessel<. Er wurde nicht nur in die Salons gestellt, sondern auch
89. FerdinandFellnerd.J. DasThonet-Haus
am Stephansplatz (Ecke Rotenturmstraße)
in Wien, 1875/76.
Das in den letzten Kriegstagen 1945 zerstörte Thonet-Haus zeigt, daß sich die
Firmenleitung - ging es nicht um den
Bugholzstuhl - sehr wohl dem herrschenden Geschmack des Historismus unterordnete.
90. Büromöbel aus dem Thonet-Katalog
1911, Supplement 1915. Bezeichnung im
Katalog: Drehstockerl (obere Reihe, links),
Drehfauteuil (obere Reihe, Mitte), DrehSchaukelfauteuil (untere Reihe, zweiter
von rechts).
In diesen Büromöbeln gehen sehr früh
(einige der Stühle sind bereits auf dem
Katalogblatt, Abb.71, abgebildet) technischer
Fortschritt
(Drehstuhl,
Schaukelstühle) und formale Gestaltung
eine glückliche Verbindung ein.
93. Garderobe Nr. 10.907a (WandkleiderStock genannt).
94. Schaukelstuhl Nr. 7027.
Ab 1860 nahm Thonet die Produktion der
Schaukelstühle auf; schon bald wurden
jährlich über 100 000 Stück erzeugt.
45
91. Kinderwiege aus dem Thonet-Katalog..
92. Schreibtischstuhl Nr. 6009 (später
Thonet-Mundus B 9). Ausführung mit
Branddessin.
Vor allem dieses Modell wurde zum
Inbegriff des >Wiener Stuhles<, wie das
Bugholzmöbel heute noch in Nordeuropa
genannt wird. Le Corbusier und Alvar Aalto
verwendeten ihn in den zwanziger Jahren.
46
95. Rudolf Völkel. Das Literaten-Cafe
Griensteidl, um 1885. Ausschnitt aus einem
Aquarell.
Wiens berühmtes Literaten-Cafe, 1847 in
den
Parterrelokalitäten
des
Herbersteinschen Palais in der Herrengasse
eröffnet, 1856 neu eingerichtet und durch
seine luxuriöse Ausstattung ebenso
berühmt geworden wie durch die unzähligen Zeitungen in allen Sprachen, die zur
Benützung auflagen. Das >Griensteidl< ein Sammelplatz junger Literaten und
Schauspieler- war nur eines unter den vielen mit Thonet-Stühlen eingerichteten
Kaffeehäusern.
96. Otto Wagner. Sitzmöbel für die
Postsparkasse in Wien, 1904-06.
Die Hocker für den Kassensaal, der
Armstuhl (links im Hintergrund) aus dem
Sitzungssaal sowie die gepolsterten Stühle
der Direktorenzimmer werden heute noch
verwendet. Otto Wagner versucht, die
üblichen runden Holzquerschnitte durch
einen eckigen zu ersetzen und verwendet
neue Materialien wie Aluminium bei Füßen
und Spangen der Armstühle. Die
Konstruktion der Hokker entspricht - in neu
durchdachter Form - der überlieferten
Bugholztechnik:
Einzelteile
werden
zusammengeschraubt.
in die Wohnungen der kleinen Leute und in die Kaffeehäuser. William Morris und
Henry van de Velde redeten zwar vom Sozialismus, aber ihre Auftraggeber waren
Könige, Mäzene aus der Aristokratie und Bankleute. Michael Thonet, anfangs von
einer verständnisvollen aristokratischen Führungsschicht des alten Österreich gefördert, stellte >den< Stuhl für Millionen Menschen her. Konstruktive Ehrlichkeit und
Materialgerechtigkeit ließen bereits um 1860 ein anonymes Produkt entstehen, das
alle Anforderungen des beginnenden Massenkonsums erfüllte. Mit der Leistung
Michael Thonets gehen zwei bedeutende Komponenten des Zeitalters der industriellen Revolution, der Pioniergeist der Technik und die Erfüllung des Bedarfs einer
neuen Klasse, eine frühe und so glückliche Verbindung ein, daß wir berechtigt sind,
von einem neuen Stil im Möbelbau zu sprechen. Für die große Zeit des modernen
Möbels wurde Thonets Werk zur wesentlichen Frühform. Hier waren alle Probleme
auf einmalige Weise gelöst, Formschönheit, Preiswürdigkeit und Variabilität vereint.
Die großen Pioniere der modernen Architektur haben sich am Thonet-Stuhl versucht
- oder sich selbst darauf gesetzt. Poul Henningsen charakterisierte 1927 die
Bewunderung der Architekten für das Bugholzmöbel sehr treffend: »Wenn ein
Architekt diesen Stuhl fünf mal so teuer, halb so bequem und ein viertel so schön
macht, kann er sich einen Namen machen.«
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97. Le Corbusier. Wohnraum im Pavillon
de
l'Esprit
Nouveau.
Exposition
Internationale des Arts Decoratifs, Paris,
1925.
Die größte Anerkennung erfuhren die
Thonet-Möbel durch die Pioniere der
modernen Architektur, die sie bei programmatischen Ausstellungen häufig verwendeten.
98. Das Cafe Hawelka in der
Dorotheergasse in Wien, Photographie von
1964.
Ein heute noch beliebtes Künstler- und
Studentencafe. Beachtenswert die verschiedenen Typen der Garderobenständer.
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Die Shaker: Schönheit beruht auf Zweckmäßigkeit
Die für unsere Zeit wichtigen Produkte des beginnenden Industriezeitalters waren
zumeist vom Entwurf her anonym, so auch die auf religiösen Prinzipien basierenden
Erzeugnisse der Shaker. Die Shaker sind unter den zahlreichen, gegen Ende des
achtzehnten Jahrhunderts in Amerika gegründeten Gemeinschaften von besonderem
Interesse: Bei ihnen war die Idee der Kommune, die nicht erst heute ein Schlagwort
ist, sondern auch viele Utopisten und Moralisten des neunzehnten Jahrhunderts faszinierte, mit am konsequentesten verwirklicht. Geistig standen die Shaker den
Quakern und French Prophets nahe. Ihre zentrale Gestalt war Mutter Ann Lee
(1736-83), die sich der 1747 in England gegründeten Sekte anschloß und 1774 nach
Amerika auswanderte. 1787 entstand die Shaker Community New Lebanon, New
York, von der aus durch intensive Missionstätigkeit andere Siedlungen gegründet
wurden. Die Shaker, die sich nun von der >profanen Welt< trennten, um einen
christlichen Kommunismus zu verwirklichen, lebten streng nach den Prinzipien
ihres Glaubens. Ihr >Reich Gottes auf Erden< setzt Reinheit der Seele,
Gütergemeinschaft, Gleichheit der Geschlechter und das Zölibat als erstrebenswerte Form des Zusammenlebens voraus. Zu ihren Prinzipien gehörte auch, daß sich die
Gemeinde mit allem Nötigen selbst versorgte. Die Überzeugung, daß einerseits jede
unnötige und nur dem Prunk dienende Form sündhaft sei und daß andererseits die
hohe Qualität der handwerklichen Arbeit eine Möglichkeit war, in einer vollkommeneren Welt zu leben, war die Voraussetzung für die Ablehnung der kapitalistischen Produktionsmethoden des neunzehnten Jahrhunderts. Im Gegensatz zu den
Reformbestrebungen von Ruskin und Morris allerdings förderten sie technische
Neuerungen. Regeln und Sätze der Shaker lassen die wichtigen religiösen und kulturellen Grundlagen auch in der Möbelproduktion erkennen: »Schönheit beruht auf
Zweckmäßigkeit«, »Jeder Gegenstand kann vollkommen genannt werden, der genau
den Zweck erfüllt, für den er bestimmt ist«, »Jede Kraft erzeugt eine Form« - gerade dieser Satz nimmt, hundert Jahre vor Sullivans »form follows function«, die
Prinzipien des Funktionalismus vorweg.
Bis 1825 wurden neunzehn selbständige Kommunen gegründet, die um 1850 etwa
6000 Mitglieder zählten. Die vom Glauben beeinflußte wirtschaftliche Organisation,
verbunden mit einer puritanischen Lebensführung, bestimmte die Bauten und die
99. Tanz der Shaker im Gemeindehaus von
New Lebanon, New York, Mitte des 19.
Jahrhunderts. Durch die schüttelnden
Bewegungen beim gottesdienstähnlichen
Tanz bekam die Sekte bald nach ihrer
Gründung in Manchester (England) den
Spottnamen >Shaking Quakers<.
»Der Gottesdienst beruhte nicht allein auf
Predigt und Gebet, sondern vollzog sich als
ein >Meeting< der Gläubigen, in dem die
Brüder und Schwestern, einzeln oder in
Gruppen, aber ohne daß Mann und Frau
sich berührten, tanzten und sangen. Die
Shaker haben allmählich neben den ekstatischen Tänzen - und sie mehr und mehr
ablösend - strenge Formen entwickelt,
Gänge und >Märsche< in choreographisch
geordneten Gruppen, die jedoch auch dem
individuellen Bedürfnis nach freiem, persönlichem Ausdruck Raum ließen« (Wend
Fischer7).
100. Preisliste für Shaker-Stühle, um 1880.
Die Produktion der Stühle, Armstüble und
Schaukelstühle, aus dem ortsüblichen einfachen Gebrauchsmöbel entwickelt, mußte
vorerst die Bedürfnisse der schnell wachsenden Sekte befriedigen. Um 1852 begann
die Serienfabrikation von Stühlen in New
Lebanon, in der Spätzeit wurde oftmals die
Erzeugung
von
Einzelteilen
an
Fabrikationsstätten
außerhalb
der
Gemeinschaft
vergeben,
nur
der
Zusammenbau erfolgte von den Shakern.
Erst 1935 gibt Sarah Collins, die letzte
Herstellerin von Stühlen, die Stuhlherstellung in Mount Lebanon auf.
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101. Speisesaal in Watervliet, um 1880.
Mündlich überlieferte Richtlinien und
Gesetzestexte (etwa die Millennial Laws,
1823) legten Baustil, Einrichtung, Anzahl
der Möbel, Größe der Spiegel, aber auch
Farben fest. »Gläubige dürfen keinen ungewöhnlichen oder bizarren Baustil bei sich
dulden; auch darf kein Baustil ohne
Einverständnis der Gemeindeleitung stärker von der bei den Gläubigen üblichen
Stilform abweichen« (Millennial Laws,
Section IX/2).
102. Katalogseite für Shaker-Stüble. Robert
M. Wagan gab den ersten Verkaufskatalog
für Stühle 1874 heraus. Er war es auch, der
in Mount Lebanon um 1873 (die
Umbenennung in >Mount Lebanon<
erfolgte 1861) eine neue große Fabrik
errichtete,
mit
dampfbetriebenen
Maschinen ausstattete, den Verkauf organisierte, vor allem aber die Produkte standardisierte und numerierte. Der Katalog
erschien im wesentlichen unverändert
durch etwa vierzig Jahre.
50
103. Micajah Burnett. Gemeindehaus in
Pleasant Hill, Kentucky, 1820. Da Reinheit
und Einfachheit zu den höchsten Tugenden
zählten, entstanden nach festgelegten
Vorschriften und Regeln Bauten ohne
Verzierung: »Außer den Gemeindehäusern
darf kein Gebäude weiß gestrichen sein«
(Millennial Laws, Section IX/6).
Durch gleichbleibende Aufgaben handwerklich hervorragend geschult, zeichnen
sich Bauten und Innenräume durch technische Perfektion und Klarheit aus.
104. »Rules for visitors« - eine
Hausordnung für Gäste. Original im Shaker
Museum, Auburn, Kentucky.
106. Shakermöbel und Gebrauchsgegenstände.
American Museum in Britain, Bath,
England. Bemerkenswert sind die auf der
Kommode stehenden Spanschachteln, die
neben den Stühlen sowie Heilkräutern und
Samen in Päckchen zu den begehrtesten
Shaker-Produkten zählten. Diese ovalen
Schachteln aus in Streifen geschnittenem
Ahornholz, mit Boden und Deckel zumeist
aus Kiefernholz, wurden in verschiedenen
Größen erzeugt und in Sätzen, sogenannten
>nests<, verkauft. Auch für diese
Produktion ersannen die Shaker schon früh,
ab 1830, einfache Maschinen zur
Herstellung. Durch
ihre
schlichte
Gestaltung entsprechen die Möbel den
Glaubensvorstellungen und Regeln der
Shaker ebenso, wie sie durch ihre Funktion
den Bedürfnissen der Gemeinschaft gerecht
werden. Die einfache Form wurde durch
jahrelanges stetes Suchen nach technischer
Vereinfachung erreicht. Für bestimmte
Arbeiten wurden kleinere oder größere
Teams gebildet, wobei von Zeit zu Zeit die
Art der Arbeit gewechselt wurde.
105. Kleid aus grau changierender
Rohseide, mit braunem Baumwollstoff
gefüttert. New Lebanon, um 1875. The
Shaker Museum, Old Chatbam, New York.
Bett aus poliertem Ahorn. Pleasant Hill, 2.
Hälfte des 19. Jahrhunderts. Shakertown at
Pleasant Hill, Kentucky.
Stuhl aus rotbraun gebeiztem Kiefernholz
mit
geflochtenem
schwarz-grünem
Stoffsitz, um 1860. The Shaker Museum,
Sabbathday Lake, Maine.
51
107. Schaukelstuhl aus Ahorn mit blauweiß gestreiftem Stoffsitz. New Lebanon,
um 1850, Shaker Community, Inc.,
Hancock, Massachusetts.
108. klapptisch aus Kirschbaum, Shirley,
um 1840-50. Fruitlands Museum, Harvard,
Massachusetts.
109. Schaukelstuhl aus Bugholz mit olivfarbenem Stoffsitz, nach 1876. Sammlung
Elmer R. Pearson, Chicago Illinois.
Wahrscheinlich haben die Shaker, als sie
1876 an der Centennialausstellung in
Philadelphia teilnahmen, dort die Bugholzstühle der Firma Thonet gesehen und
Versuche in deiser Richtung unternommen.
52
schlichten Innenräume; sie war auch für den Erfindergeist, die frühe Einführung
industrieller Methoden und die Einfachheit der Geräte verantwortlich. Unter den
vielen Erzeugnissen, welche die Shaker zum Erwerb von fremden Waren produzieren und verkaufen mußten, zeichnen sich die Möbel durch Qualität und
Preiswürdigkeit besonders aus. Die Shaker entwickelten aus den einfachen Möbeln
und Geräten der Pionierzeit Amerikas mit unverbildetem Formgefühl ihre
Standardproduktion, wobei für die Konstruktion, die Arbeitsteilung im Sinne der
frühen Industrialisierung, aber auch für die formale Gestaltung die Vorschriften und
Prinzipien der Gemeinschaft als Grundlage dienten. Räume, wie sie heute zum
Beispiel in den Museen von Hancock (Mass.), Pleasant Hill (Kentucky), oder Bath
zu sehen sind (Abb. 106, 111, 113), wirken in ihrer Einfachheit, ihrer Konsequenz
und ihrer Funktionalität für das neunzehnte Jahrhundert ebenso ungewöhnlich wie
vorbildlich. Der Weg zur Einheit von Form und Konstruktion wurde hier vom
Geistigen her begangen, die Anerkennung der Maschine schien selbstverständlich.
Erst in der Zeit des Niederganges der Shaker nach dem amerikanischen Bürgerkrieg
wurden Stileinflüsse aus der Umwelt sichtbar.
110. Pult für Schrauben und Nägel sowie
Arbeitsstuhl mit drehbarem Sitz. Shaker
Community, Inc., Hancock, Massachusetts.
»Jeder Gegenstand muß so gestaltet sein,
daß sein Sinn und Zweck einfach und rein
erfüllt ist und er sich einfügt in die Ordnung
der Einheit der Dinge. Sinn und Zweck jeglichen Gegenstandes liegen in seinem
Gebrauch. Die Vollkommenheit eines
Gegenstandes ist also erreicht, wenn er in
vollkommener Weise brauchbar ist. Die
Shaker setzten sich nicht die >Form< als
Ziel, sondern die Brauchbarkeit; die Form
wurde als das Resultat einer Gestaltung
verstanden, die das Ziel der vollkommenen
Brauchbarkeit eines Gegenstandes erreicht
hat « (Wend Fischer8).
111. Einbauschrank im Gemeinschaftshaus
in Hancock, um 1830. Shaker Community,
Inc., Hancock, Massachusetts. Wo es möglich war, wurden von den Shakern
Einbauschränke verwendet, zumeist aus
Kiefernholz (pine).
112. Kommode mit aufklappbarem Brett,
wahrscheinlich aus einer Nähstube. Shaker
Community, Inc., Hancock, Massachusetts.
53
113. Raum mit Bücherkommode (samt aufklappbarem Schreibpult), Ofen, Stühlen
und Shaker-Leisten mit Kerzenständer.
Shakertown at Pleasant Hill, Kentucky.
Die Hakenleisten (Shaker-Leisten) - rechteckige schmale Leisten mit sich verjüngenden Stiften (Haken) mit scheibenförmigem
Knauf - waren zum Aufhängen der verschiedenen Gegenstände bestimmt (in
einem Gebäude in Pleasant Hill zählte man
über 6000 Haken). Diese Haken ermöglichten es auch, während der Reinigung des
Bodens die meist leichte und bewegliche
Einrichtung, wie etwa Stühle, an die Wände
zu hängen. Während die ersten Bauten der
Shaker mit den in Amerika üblichen offenen Wandkaminen ausgestattet wurden,
stellte man später einen in drei Teilen
erzeugten gegossenen, einfachen Eisenofen
her, der in der Raummitte stand und dessen
langes Rohr genügend Wärme abgab und
somit Heizmaterial sparte.
54
Die Theorien von William Morris und die
Auseinandersetzung mit der industriellen Produktion
In der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts konnten sich im Möbelbau
gewachsene Stile wie Empire und Biedermeier noch relativ ungebrochen entfalten.
Daneben griff man jedoch immer stärker auf Formen der Vergangenheit zurück. Der
Historismus wurde zur beherrschenden >Stilrichtung< des neunzehnten
Jahrhunderts, vom Bürgertum wie von der Aristokratie gleichermaßen anerkannt.
Man verwendete, wie es gerade Mode war oder von den Theoretikern gefordert
wurde, Formzitate aus der Welt der Gotik, der Renaissance, des Barock oder des
Rokoko. Der grundsätzliche Unterschied gegenüber früher lag in der
Produktionsmethode: Zwar wurden die besten Stücke nach wie vor von erstklassigen Handwerkern gefertigt, jedoch erlaubte es die Maschine nun, billige Imitationen
auf den Markt zu bringen. Die eigentlichen Pioniere der industriellen Produktion
schufen mit neuen Materialien und Verfahren Möbel in traditionellen Formen.
Gleichzeitig beschäftigten sich Historiker und Architekten mit der tiefen Kluft, die
sich zwischen der beginnenden Industriegesellschaft und ihrer überholten künstlerischen Aussage abzeichnete. Während noch zur Zeit Chippendales Möbel als
Kunstgewerbe angesehen wurden - im Mittelalter war jeder Künstler Handwerker , benötigte man nun, da immer mehr Gebrauchsgegenstände durch Maschinen hergestellt wurden und die individuelle Künstlerpersönlichkeit nicht mehr zu fassen
war, einen neuen Begriff für die Gestaltung der industriellen Produkte: den des
>Industrial Design<. Henry Cole (1808-82), der sehr früh diesen Begriff verwendete, war als Berater von Prinzgemahl Albert entscheidend am Zustandekommen der
Londoner Weltausstellung von 1851 und dem Bau des Kristallpalastes von Paxton
beteiligt. Er machte es zum Ziel seiner Arbeit, die Qualität der frühen
Maschinenprodukte, die zwar industriell gefertigt, aber immer noch in der Art von
handwerklichen Erzeugnissen gestaltet waren, zu verbessern. Möglichkeiten hierzu
versuchte er schon 1847 in Ausstellungen von Industrieprodukten der >Society of
Arts< und nach 1849 mit dem von ihm selbst redigierten Journal of Design aufzuzeigen. Als Reaktion auf den krassen Gegensatz zwischen dem genialen
Raumkonzept und der neuartigen Montagekonstruktion des Kristallpalastes einerseits und dem Formenchaos der darin ausgestellten Produkte andererseits entstand,
durch Coles Unterstützung, ein Museum für Fabrikerzeugnisse, das 1857 in South
Kensington untergebracht wurde und als Museum für angewandte Kunst den Kern
des späteren Victoria and Albert Museum bildete. Die Sammlung sollte als
Lehrschau hervorragenden Kunstgewerbes aus allen Zeiten und Völkern
Anregungen zur Verwirklichung eigener Ideen und Vorstellungen geben.
Die Bedeutung von Henry Cole und seinen Mitstreitern, etwa dem Maler Owen
Jones, liegt in ihrer positiven Einstellung zur industriellen Produktion. Das deprimierende Niveau der maschinell hergestellten Erzeugnisse war für sie - im
Gegensatz etwa zu William Morris - kein Grund zur totalen Ablehnung der
Maschine; sie bemühten sich vielmehr um die Verbesserung der Produkte, um die
durch die Maschine geschaffenen Möglichkeiten voll nutzen zu können. Jedoch
waren halbe Lösungen, wie die Intensivierung der Ausbildung für Entwerfer, die
114. Philip Webb. Das Red House, Upton,
Bexley Heath, Kent, 1859. 1860-65
Wohnsitz von William Morris. Realisierung
seiner
Idee,
ein
Bauwerk
als
Gesamtkunstwerk zu schaffen, dessen
Architektur sich alle anderen Künste unterordnen. Trotz seiner Verwandtschaft mit
den unregelmäßigen Wohnhäusern und
Klosterbauten des Mittelalters - jedoch mit
Schiebefenstern
des
achtzehnten
Jahrhunderts - entstand ein eigenständiges,
eher bescheiden wirkendes Wohnhaus.
115. Red House, Grundriß. 1 Eingang, 2
Wohnräume, 3 Eßzimmer, 4 Küche.
116. Treppenhaus und Flur im Red House.
55
sich dann nachwie vor der Ornamentik vergangener Stile bedienten, kein wirklicher
Ausweg. Owen Jones versuchte allerdings in seinem Hauptwerk The Grammar of
Ornament, 1856 in London erschienen, bereits Struktur und Gesetzmäßigkeiten
natürlicher Gegenstände, wie Bäume, Blumen oder Blätter, zu erkennen.
Die weitere Entwicklung in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts wurde
nicht nur in England, sondern in ganz Europa entscheidend von John Ruskin (18191900) und William Morris (1834-96) mit ihren Theorien des Kunsthandwerks
geprägt. John Ruskin, Schriftsteller und Kunsthistoriker, beschäftigte sich außer mit
der Architektur und der Kunst auch mit einer Fülle von sozialen, insbesondere wirtschaftlichen Problemen, die ihm einen erstaunlichen Überblick über die künstlerische und gesellschaftliche Gesamtsituation im neunzehnten Jahrhundert gaben. Die
Folgen der industriellen Revolution sah er negativ; er glaubte, sie sei für das
Auseinanderfallen einer gewachsenen Ordnung verantwortlich. Auf der Suche nach
Harmonie gelangte er zu der Überzeugung, daß etwa im frühen Mittelalter Kunst
und Gesellschaft (oder Handwerk und Gesellschaft) identisch und damit beispielgebend waren. Trotz seiner Kritik an der zeitgenössischen Produktion finden sich in
seinem umfangreichen Werk Sätze, die spätere Entwicklungen (sinngemäß auch für
den Möbelbau gültig) vorausahnen: »Theoretisch gibt es keinen Grund, warum
Eisen nicht ebensogut wie Holz verwendet werden könnte, und wahrscheinlich ist
die Zeit nicht fern, wo sich ein System neuer architektonischer Gesetze entwickeln
wird, das ganz auf Metallkonstruktionen abgestellt ist 9.« William Morris versuchte,
auf der Grundlage der Gedanken von John Ruskin, die ihm notwendig erscheinenden Änderungen in der Praxis durchzuführen. Als Sozialist sah er in den
Auswirkungen der maschinellen Produktion das Teufelswerk des kapitalistischen
Systems und bekämpfte es deshalb. Weiter forderte er, daß die unermeßlich wachsenden Industriestädte wieder durch kleinere Gemeinschaften zu ersetzen seien, in
denen die Ideen einer ursprünglichen blühenden Handwerksgesellschaft zu verwirklichen wären. Parallel dazu liefen übrigens die Bestrebungen der Utopisten des
Städtebaus, die - wie Robert Owen - durch sogenannte >Industriedörfer< die
117. Eingangshalle des Red House.
Die Möbel, von Morris und seinen
Freunden entworfen, waren schwer und formal auf das Mittelalter bezogen. Die handwerkliche Perfektion steht im Vordergrund.
Der große Schrank ist von Edward BurneJones bemalt.
»Cole und seine Freunde glaubten an
Industriekunst für die Massen, Morris an
das Handwerk - und obwohl Morris bei seinen Erzeugnissen an >das Volk< dachte,
blieben sie wenigen vorbehalten, denn
Handarbeit ist immer teuer. Dennoch hat
Morris erkannt, was Cole, Redgrave,
Semper und Wyatt nicht gesehen haben:
daß Formgebung nicht nur ein ästhetisches
Problem ist, sondern auch integraler
Bestandteil eines größeren sozialen
Problems, und dieser Gedanke wurde
zukunftsweisend« (Nikolaus Pevsner 10).
56
118. Morris & Co. Das grüne
Speisezimmer, 1867. Glasfenster von
Edward Burne-Jones. Victoria and Albert
Museum, London.
Für den Entwurf dieses Raumes war vor
allem Philip Webb verantwortlich. Ein hervorragendes Beispiel für die von Morris
angestrebte Zusammenarbeit von Künstler
und Handwerker.
»Mr. Morris als geschäftsführender Partner
stellte das Gesetz auf, und alle seine
Klienten hatten sich auf Biegen und
Brechen danach zu richten. Die
Erzeugnisse waren erstklassig, die künstlerische und handwerkliche Qualität hervorragend, die Preise hoch. Es gab keine
Zugeständnisse an anderen oder gar
schlechten Geschmack. Preisnachlässe
kamen nicht in Frage« (Barbara Morris 11).
119. Morris & Co. Lehnsessel, um 1866.
Victoria and Albert Museum, London.
Bequemer Sessel auf Rollen, aus ebenholzfarbig gebeizter Eiche; die Rückenlehne ist
verstellbar.
Folgeerscheinung der frühkapitalistischen Epoche im Städtebau zu überwinden
suchten. Hieraus entstand in England die Garztenstadtbewegung; sie stellte den
ersten Ansattz dar, Wohnung und Möbel auch der unteren sozialen Schichten zu verbessern. Äußerer Anstoß für die Beschäftigung mit dem Kunsthandwerk war für
Morris der Bau seines eigenen Hauses, den er zusammen mit seinem Freund, dem
Architekten Philip Webb, 1859 begann (Abb. 114-117). Der Grundriß des >Red
House< wurde, entgegen der damals üblichen Renaissance-Bauweise, nicht nach
überkommenen Fassadenschemata konzipiert, sondern aus funktional sinnvollen
Raumzuordnungen entwickelt. Bei der Einrichtung des Hauses wurde Morris die
Unzulänglichkeit der damals angebotenen Gebrauchsgegenstände drastisch vor
Augen geführt: die industriellen Produkte waren formal wie qualitativ minderwertig, die handwerklichen Erzeugnisse überladen mit historisierendem Dekor. Morris
und seine Freunde entwarfen die gesamte Innenausstattung, ein Vorgang, der richtungweisend für die Idee der >Werkstätte< um 1900 werden sollte. Aus der gemeinsamen Arbeit entstand ein Freundeskreis von Künstlern und Architekten, die versuchten, auch das Handwerk zu beherrschen. 1861 wurde die Firma Morris & Co.
gegründet, die kunsthandwerkliche Gegenstände aller Art in höchster Perfektion
herstellte (Abb. 118-120). Durch sein Beharren auf absoluter Qualität des
Kunsthandwerks, sein unbedingtes Eintreten für soziale Gerechtigkeit und durch die
120. Morris & Co. Stuhl aus ebenholzfarbig
gebeizter Birke mit geflochtenem Sitz, um
1865. Victoria and Albert Museum,
London. Dieser über achtzig Jahre hindurch
erzeugte Stuhl geht auf eine in Sussex
gefundene Form zurück und wurde um
1914 um weniger als zehn Shilling erzeugt.
121. Arthur Heygate Mackmurdo.
Schreib- pult aus Eiche, um 1886. The
William Morris Gallery, Walthamstow,
London. Mackmurdo - ein Schüler Ruskins
- hatte durch seine fortschrittlichen Ideen
und Arbeiten auf Architektur, Design und
Graphik zwischen 1880 und 1890 eine
ungewöhnlich starke Wirkung. Die
Entwicklung des Jugendstils beeinflußte er
entscheidend. Das um 1886 entworfene
Schreibpult - stilistisch durch die Beschäftigung mit japanischen Formen bestimmt stellt in Konstruktion und Materialgerechtheit eine radikal neue Lösung dar.
57
Dynamik seiner Persönlichkeit beeinflußte er die Architekturgeschichte der nächsten fünfzig Jahre in starkem Maße, wenn auch seine Ablehnung der Maschine, die
er als zerstörend für Kunst und Gesellschaft ansah, wieder zu einem ideologischen
Historismus, dem der scheinbar intakten mittelalterlichen Handwerksgesellschaft,
führte. Theorie und Praxis widersprachen sich, denn Sätze wie: »Ich wünsche keine
Kunst für wenige, so wenig wie Erziehung für wenige oder Freiheit für wenige 12«,
konnten durch die kategorische Forderung nach Einheit von Handwerk und Kunst
nicht realisiert werden. Handwerkliche Erzeugnisse wurden zu Luxusgegenständen,
da die Anforderungen an das Einzelprodukt zu hoch waren und eine qualitätvolle
Produktion für die breite Masse daher erstrebenswerte Theorie bleiben mußte.
Morris' unmittelbare Nachfolger konnten den prophetischen Sinn seiner sicherlich
unter dem Eindruck der Erfahrungen bei der praktischen Durchführung der Aufträge
geprägten Worte noch nicht verstehen: »Ich sage nicht, daß wir bestrebt sein sollten,
sämtliche Maschinen abzuschaffen, ich möchte nur, daß manche Dinge, die heute
mit der Hand hergestellt werden, mit Maschinen, und andere, die heute mit
Maschinen hergestellt werden, mit der Hand fabriziert werden. Kurzum, wir müssen
die Herren unserer Maschinen und nicht, wie jetzt, ihre Sklaven sein. Nicht von dieser oder jener greifbaren Maschine aus Stahl oder Messing müssen wir uns frei
machen, sondern von jener großen, ungreifbaren Maschine, der kommerziellen
58
Tyrannei, die unser aller Leben unterdrückt 13. Die von Morris gegründeten
Werkstätten waren der erste einer ganzen Reihe von ähnlichen Versuchen, Kunst und
Handwerk nach dem Vorbild der mittelalterlichen Handwerkergemeinschaft zu verbinden. In den folgenden zwanzig Jahren entstanden zahlreiche Unternehmungen,
die sich um die Erneuerung des Kunsthandwerks bemühten. 1882 rief Arthur
Heygate Mackmurdo (1851-1942, Abb. 121) die >Century Guild< ins Leben, eine
Werkstatt für Inneneinrichtung, um »alle Zweige der Kunst nicht länger dem
Kaufmann, sondern dem Künstler anzuvertrauen«. Die >Century Guild< verfolgte
ähnliche Ziele wie die Morris Company, manche ihrer Formen führten jedoch später - durch Mackmurdos Einfluß - zu Formen des Jugendstils. Die zahlreichen
Vereinigungen, darunter die Morris Company (1875 reorganisiert), die >Century
Guild< und die ~Guild and School of Handicraft< von Charles Robert Ashbee
(1863-1942, Abb.122), fanden ihren Höhepunkt in der 1888 gegründeten >Arts and
Crafts Exhibition Society<. Fast alle wichtigen Vertreter der zeitgenössischen englichen Avantgarde gehörten der Gesellschaft an, und zwischen Künstlern,
Architekten, Handwerkern, Möbelherstellern und -entwerfern wurden fruchtbare
Diskussionen geführt, die ihren praktischen Niederschlag in zahlreichen
Ausstellungen fanden (Abb. 123). Allen Bestrebungen lag der Gedanke der
Gemeinschaft ebenso zugrunde wie die von Morris übernommenen Theorien. Das
Interesse der >Arts and Crafts Exhibition Society< konzentrierte sich mit der Zeit
immer mehr auf handwerkliche Materialgerechtigkeit, Einfachheit und
Funktionalität; die individuelle Schöpfung neuer Formen trat dagegen zurück. So
bildete die Bewegung einen Gegenpol zum vielfach sehr überschwenglichen kontinentalen Jugendstil und begründete bereits manche Tendenzen der modernen
Sachlichkeit, wie sie im übrigen Europa erst nach dem Abklingen des Art Nouveau
zum Tragen kamen. Auch wandelte sich nach und nach die ablehnende Haltung
gegenüber der industriellen Produktion, wie sie Morris und sein unmittelbarer
Nachfolger Walter Crane (1845-1915) ursprünglich vertreten hatten: Die Maschine
war gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts eine nicht mehr zu verleugnende
Realität geworden. Vielleicht spielte hierbei auch eine Rolle, daß die Möbelfirmen
immer mehr gute Entwerfer beschäftigten und daß angesichts der rasch wachsenden
124. Liberty & Co., London. Schlafraum,
1897. Die Breitenwirkung der >Arts and
Crafts< - Bewegung blieb gering. Neben
der von Ambrose Heal geleiteten
Möbelfabrik Heal and Son, die durch
Jahrzehnte die Anregungen der Bewegung
kommerziell erfolgreich realisierte, war es
vor allem das Warenhaus Liberty & Co. 1875 von Arthur Lasenby Liberty gegründet - das wesentlich zur Verbreitung des
Kunsthandwerks beitrug. Vorerst durch den
Verkauf von Gegenständen - vor allem
Modeartikel - aus dem Orient und dem
Fernen Osten bekanntgeworden, trug es
später wesentlich zur Verbreitung des
Jugendstils (in Italien Stile Liberty
genannt) auf dem Festland bei.
122. Charles Robert Ashbee. Schrank aus
Eiche, bemalt und vergoldet, 1889.
Hergestellt von der >Guild of Handicraft<,
Abhotsholme School, Rochester.
Die frühen Arbeiten der Guild of
Handicraft< waren in ihren Formen einfach
gehalten. Ashbee versuchte, die Arbeit des
Kunsthandwerks durch die Landwirtschaft
zu stützen und verlegte 1902 die Gilde aufs
Land
nach
Chipping
Campden,
Gloucestershire. Seine Absicht allerdings,
die industrielle Gesellschaft zu reformieren, mußte scheitern.
123. Arts and Crafts Exhibition, 1890. Von
links nach rechts: MöbeL von Ford Madox
Brown, R. Blomfield, Ernest Gimson und
W. R. Lethaby. Das später so bedeutungsvolle Schlagwort >Arts and Crafts< wurde
vor allem durch die Ausstellungstätigkeit
der Gesellschaft bekannt. Wesentlich waren
- wie bei Morris. Versuche sozialer
Reformen und die Betonung der
Gruppenarbeit.
59
125. William Burges. Anrichte. Bemalung
von E. J. Poynten. 1862 auf der
>International Exhibition< ausgestellt.
Victoria and Albert Museum, London.
Dieses Möbel beeindruckte damals durch
die Einfachheit seines Aufbaus. Burges, ein
Freund Godwins, der für einen >frühenglischen< Einrichtungsstil eintrat, war einer
der frühesten Sammler japanischer Drucke.
Bevölkerung keine andere Wahl mehr blieb, als auf die Massenproduktion überzugehen. Man akzeptierte nach und nach die Zusammenarbeit mit der Industrie und
setzte sich das Ziel, das Standardprodukt zu verbessern und ihm künstlerische
Qualität zu verleihen (Abb. 124). Parallel zu Morris und seiner Bewegung trat in den
siebziger und achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts in England eine neue
Form des Historismus, die sogenannte >Kunstmöbel<-Bewegung in Erscheinung.
Charles Lock Eastlake, der wichtigste Theoretiker dieser Strömung, wehrte sich
gegen formale Übertreibungen und forderte ein schlichtes Möbel mit klarem konstruktivem Aufhau. Er empfiehlt etwa, die natürliche Maserung des unbearbeiteten
Holzes zu erhalten. Nikolaus Pevsner schreibt: »Der Ausdruck >Kunstmöbel< ist
bedeutungsvoll. Er zeigt an, daß sich im zweiten Drittel des neunzehnten
Jahrhunderts ein Bruch zwischen Handwerk und Kunst, zwischen Kunstwerk und
industrieller Herstellung herausgebildet hatte 14.«
Die in dem von dem Fabrikanten William Watt 1877 herausgebrachten Katalog über
>Kunst-Möbel< von Edward William Godwin (1833-86) gezeigten - und >anglojapanisch< genannten - Möbel standen in starkem Kontrast zu den gotisierenden
Entwürfen William Burges' (1827-81), dessen aufwendig und kostbar ausgeführte
Arbeiten aber ebenso dem >Kunst<-Historismus zuzuordnen sind (Abb. 125).
Charles Francis Annesley Voysey (1857-1941) stützte sich formal auf die >Arts and
Crafts Exhibition Society<, wobei er vor allem die Formensprache seines Lehrers
60
Mackmurdo zu einem eigenen, geometrisch-puristischen Stil weiterführte. In seinen
im Sinne der Tradition des englischen Landhauses entworfenen Wohnbauten verzichtete Voysey ganz auf ornamentales Beiwerk; der Raum bezog seine Wirkung
ausschließlich aus seinen notwendigen Bestandteilen, die in,ihrer Sachlichkeit
betont, aber spannungsreich proportioniert waren: »Einfachheit erfordert in allen
Teilen Perfektion, alles Kunstvolle ist dagegen leicht.« Die ersten, 1893 entstandenen Möbel Voyseys waren von den gleichen Prinzipien bestimmt und lösten überall
in Europa ein starkes Echo aus. Um 1900, also zur Zeit des Höhepunktes des
Jugendstils, galt Voysey auf dem Kontinent als der führende Künstler des englischen
Möbelbaues (Abb.128, 129). Seine Wohnhäuser, funktionsgerecht von innen nach
außen gebaut, wurden in Deutschland über Hermann Muthesius zum Inbegriff des
englischen Landhauses (Abb.126, 127, 130). Starke Wirkung auf die gegen Ende
des neunzehnten Jahrhunderts in Europa diskutierten Theorien übte die Wohnform
Japans aus, die nun weiten Kreisen bekannt geworden war. Fand man doch im
Bereich der japanischen Kultur noch jene mittelalterliche Harmonie von Kunst und
Gesellschaft scheinbar vor, die man zwar in Europa als Vorbild hinstellte, aber nur
in längst vergangenen Epochen wie der Gotik verwirklicht sah. Dabei waren die
Ausgangspunkte in Europa und Japan durchaus verschieden, wenn nicht sogar entgegengesetzt: dem Fortschrittswillen der frei gewordenen Kräfte nach zwei
Revolutionen in Europa stand in Japan das Denken einer durch lange Zeit politischer
und gesellschaftlicher Stagnation verfeinerten, sehr konservativen Kultur gegenüber.
Das japanische Haus war Produkt vieler kultureller Einflüsse; Philosophie und
Religion, die gesellschaftliche Abschließung der Klassen, die Politik einer wirtschaftlich stagnierenden Shogunatsregierung, das Klima und alte Traditionen
bestimmten seine damalige Form. In den vielen Jahrzehnten des Tokugawa-Regimes
(1603-1867) erfuhr es durch Festlegung der Typen nach Ständen und durch strenge
Baugesetze eine starke Normierung, die sich auch auf viele Bauteile erstreckte.
Obwohl in der japanischen Philosophie nur »vorübergehende Herberge«, wurde das
Haus nicht nur selbst zum Kunstwerk, sondern darüber hinaus zur Bühne eines
kunstvollen Lebens. Alles hatte hier seinen Platz, seine tiefe Bedeutung.
Die Einheit von Raum und Natur, von Raum und Mensch, von Natur und Mensch
126, 127. Charles F. A. Voysey. Eigenes
Haus, >The Orchard<, Chorley Wood,
1899. Wohnraum und Außenansicht.
Voyseys Landhäuser - er hat kaum andere
Bauten entworfen - stehen immer in
Beziehung zur umgebenden Landschaft. Es
sind bescheidene Bauten mit einem
Grundriß, bei dem die Räume auf einfache
Art aneinandergereiht sind.
Seine
Uberlegungen weisen immer auf die
Beziehung zwischen Mensch
und
Architektur. Er sagt: »Ruhe, Heiterkeit,
Einfachheit, Breite, Wärme, Stille im
Sturm, Wirtschaftlichkeit im Wohnen, der
Charakter des Schützenden, Einfügung in
die Umgebung, keine dunklen Gänge oder
Winkel, eine ausgeglichene Temperatur,
und daß das Haus für die, die darin leben,
ein angemessener Rahmen sei 15.«
129. Charles F. A. Voysey. Armstuhl, um
1897. Im Besitz von Mrs. J. Bottard.
Die Tradition der >Arts and Crafts<-Bewegung wird in den Möbeln Voyseys
besonders stark sichtbar. Sachlich: einfache
Formen überwiegen, die Details sind sorgfältig ausgebildet. »Arme-Leute-Möbel für
Reiche« hat man sie einmal spöttisch genannt, aber Anmut und Vollkommenheit der
Form sind für ihren Schöpfer charakteristisch.
130. Charles F. A.Voysey. Treppenaufgang
im Horniman House, Chelsea, 1906.
61
war perfekt. Der Raum, in seiner Größe durch die Maßeinheit der Matte, der Tatami
(91 x 182 cm), festgelegt, konnte durch Schiebetüren vergrößert oder nach außen
zum Kunstgarten hin erweitert werden. Die meisten Einzelräume hatten keine ausdrückliche Bestimmung, sie waren austauschbar. Zum Leben im japanischen Haus
bedurfte es nur weniger Möbel. Raum und Möbel waren identisch (Abb.134). Schon
die ersten nach Europa gelangten Zeugnisse der japanischen Kultur, die in Paris
besonders von den Impressionisten geschätzten Holzschnitte, beeindruckten vor
allem durch ihre geniale Reduzierung. Umso mehr mußte in einer Zeit historisierender Möbel und komplizierter Raumstrukturen die Einfachheit und zugleich die
Perfektion des japanischen Hauses als Sensation wirken. James McNeill Whistler
(1834-1903) und Edward William Godwin (1833-86, Abb. 131-133, 135, 136), literarisch unterstützt von Oscar Wilde, bemühten sich als erste um die Ubersetzung der
japanischen Form- und Raumidee in die westliche Gedankenwelt. Bei Voysey und
noch viel mehr bei Mackintosh wurde die Abstraktion dann Inhalt eigener
Raumvorstellungen. Während der gesamten Entwicklung zur modernen Architektur
blieb der Einfluß des japanischen Hauses deutlich spürbar. Von Frank Lloyd Wright
weiß man, daß er schon lange vor dem Bau des Imperial Hotel in Tokio mehrmals
in Japan gewesen war- der offene Grundriß und das weit überstehende Dach des
Präriehauses weisen mehr auf Japan als auf seine unmittelbaren Vorgänger, etwa
128. Charles F. A. Voysey. Schreibpult mit
Scharnierbändern
ausKupfer,
1896.
Victoria and Albert Museum, London.
»Fangen wir damit an, die Fülle nutzloser
Ornamente abzutun und den modischen
Putz, der unsere Möbel und unseren
Hausrat entstellt, zu verbrennen. Verringern
wir die Vielzahl von Mustern und Farben in
einem Raum. Unterlassen wir alle
Nachahmungen, und jedes Stück der
Einrichtung sei das beste in seiner Art«
(Voysey, 1893 16)
62
131. Edward William Godwin. Schrank aus
Nußholz, mit japanischen Buchsbaumschnitzereien eingelegt, um 1876. Victoria
and Albert Museum, London.
132. Edward William Godwin. White
House, für James McNeill Whistler,
Chelsea, London, 1877.
Godwins eigenes Haus wird von einem
Zeitgenossen wie folgt beschrieben: »Er
hatte die Wände seiner Räume in einfachen
Farben gemalt, einige wenige japanische
Holzschnitte aufgehängt und einige persische Brücken auf den bloßen Fußboden
gelegt17.«
Diese ersten Versuche, japanisches Raumdenken und Konstruktionsprinzipien auf
europäische Innengestaltung zu übertragen,
hatten wohl etwas Bizarres an sich, waren
aber für die Entrümpelung des viktorianischen Historismus von großer Bedeutung.
133. Edward William Godwin. Stuhl aus
schwarzlackiertem Eichenholz, um 1885.
Hergestellt von William Watt. Victoria and
Albert Museum, London.
Kaffeetischchen aus schwarzlackiertem
Eichenholz, 1874. Hergestellt von William
Watt. City Art Gallery, Bristol.
63
135, 136. Edward William Godwin.
Möbelentwürfe, 1877, für das Art Furniture
Warehouse, London.
Der Japanismus in der zweiten Hälfte des
neunzehnten Jahrhunderts wird in England
nicht nur durch den Maler James McNeill
Whistler und den Dichter Oscar Wilde,
sondern später besonders durch die graphischen Arbeiten von Aubrey Beardsley
(1872-98) verbreitet.
Für Architektur und Inneneinrichtung
waren die ersten Versuche, etwa das von
Godwin für Whistler 1877 erbaute White
House in London - ein kubischer weißer
Block -, von großer Bedeutung. Durch die
Klarheit des Umrisses wird das Japanische
nur mittelbar faßbar.
134. Teezeremonienschule Ura-senke,
Kyoto, Japan.
Die einfach und klar konzipierten Räume
des japanischen Hauses und die handwerkliche Verwendung der Materialien in ihrer
natürlichen Form haben das Raumdenken
vieler Architekten der westlichen Welt bis
in die heutige Zeit beeinflußt.
Henry Hobson Ri chardson, hin. Richard Neutra übertrug die Verbindung von Raum
und Garten in die Superzivilisation Kaliforniens. Die dauernde Auseinandersetzung
mit dem japanischen Haus und die stark befruchtende Wirkung auf die moderne
Architektur werden ebenso in den Schriften von Walter Gropius wie in der
Hinwendung zur fernöstlichen Mystik der frühen Bauhauszeit erkennbar.
64
Der Jugendstil: Die Uberwindung des Historismus
Während in England unter dem Einfluß der >Arts and Crafts< das Möbel eher einfachen, kräftigen Formen zustrebte, ohne sich jedoch ganz vom Historismus lösen
zu können, wurden auf dem Kontinent gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts
die
ersten
Versuche
unternommen,
eine
neue,
von
tradierten
Gestaltungsvorstellungen unabhängige Stilwelt zu entwickeln. Frühformen dieser
unter dem Namen Jugendstil oder Art Nouveau bekanntgewordenen Kunstrichtung
gab es vor allem in der englischen Graphik schon in der Mitte des neunzehnten
Jahrhunderts. Auf der Grundlage der Ideen von John Ruskin und William Morris
wollte der Jugendstil durch die Rückkehr zu einer stark von der Natur inspirierten
Formensprache mit schwungvoll gebogenen Linien und einer zunächst floralen,
dekorativen Ornamentik dem Druck der industrialisierten Welt entgehen
(Abb.137,138). In enger Verbindung von Theorie und Praxis bemühte man sich um
die Gestaltung der gesamten Lebensumwelt und suchte auch hier die
Zusammenarbeit mit dem Handwerk. Seinen ersten Höhepunkt erreichte der
Jugendstil in Belgien. Die dortigen Vertreter - an erster Stelle Gustave SerrurierBovy (1858-1910), Victor Horta (1861-1947) und Henry van de Velde (1863- 1957)
- standen anfänglich unter starkem englischen Einfluß; es gelang ihnen jedoch, die
in England immer an die Fläche gebundenen Formen des Art Nouveau weiterzuentwickeln und in den dreidimensionalen Raum zu übertragen. Um 1890 experimentierte Serrurier-Bovy in Lüttich mit Möbelentwürfen, die zunächst noch deutlich von
den strengen >Arts and Crafts<-Möbeln inspiriert waren, aber bald zu einer eigenen
Ausdrucksweise fanden (Abb.139). Victor Horta, der wohl bedeutendste Künstler
des belgischen Art Nouveau entwarf zwischen 1892 und 1900 eine Reihe von
Häusern, die in Stil, Grundrißkonzeption und Bauweise - Eisen und Glas wurden
139. Gustave Serrurier-Bovy. Ausstellungsraum, zwischen 1894 und 1898. Der
Architekt und Kunsttischler SerrurierBovy
verkaufte in seinem Geschäft in Lüttich
bereits um 1890 Möbel und kunstgewerbliche Gegenstände, darunter Tapeten und
137. Arthur Heygate Mackmurdo, Titelblatt
zu Wren’s City Churches, 1883 18.
Stoffe von William Morris. Henry van de
Velde stellt in seinen Lebenserinnerungen
fest, daß Serrurier-Bovy » als erster auf
dem Kontinent Möbel nach neuen ästhetischen Prinzipien geschaffen hat«.
138. Arthur Heygate Mackmurdo. Stuhl,
vor 1885 19.
ackmurdos flächige Ornamente, langgezogene >flammende< Wellenlinien, beeinflußten den kontinentalen Jugendstil.
Waren Ornamente dieser Art auf englischen
Stoffdrucken oder Tapeten um 1880 in
England durchaus üblich, so standen doch
Mackmurdos Möbelornamente in Kontrast
zu den klaren Formen bei Voysey.
65
141. Victor Horta. Treppenhaus in der
Maison Tassel, Brüssel, 1892/93.
Das Treppenhaus in Victor Hortas frühem
Meisterwerk, der Maison Tassel, weist
durch die Verwendung frei gestellter
Eisenträger mit >Blumenkapitellen< und
den linearen Ornamenten an den
Wandflächen
auf
die
kommende
Formensprache hin, durch seine kühne
Raumkomposition, von den Materialien
Glas und Eisen bestimmt, aber weit über
den Jugendstil hinaus.
40. Victor Horta. Anrichte im Speisesaal
des H6tel Solvay, Brüssel, 1895-1900.
Während Horta (nach Erinnerungen Henry
van de Veldes) für die Ausstattung der
Maison Tassel noch kunstgewerbliche
Erzeugnisse englischer Firmen kaufte, wird
im H6tel Solvay jedes noch so kleinste
Detail entworfen und dem Gesamtkonzept
untergeordnet. Aufbau und Konstruktion
der Möbel weisen eher auf die Tradition des
französischen Möbelbaues (Rokoko) hin
und damit auf den Art Nouveau französischer Prägung.
von Horta konsequent im Wohnbau verwendet - in völlig neue Richtungen wiesen
(Abb. 140, 141). Es gelang ihm, die sich teilweise erst in den Ansätzen abzeichnenden Tendenzen und Motive des Jugendstils zu einem rhythmischen Ganzen, zu
einem Gesamtkunstwerk höchster Originalität und Qualität zu verbinden. Aus diesem Grunde wird das Entstehungsdatum seines ersten Hauses, der Maison Tassel
(1892/93), häufig als Beginn des Art Nouveau angesehen.
Henry van de Velde war zwar auch Architekt; seine Bedeutung liegt jedoch vor
allem auf den Gebieten der Inneneinrichtung und des Möbelbaus (Abb. 142-148),
bei seinen Ornament- und Schriftentwürfen und nicht zuletzt bei seinen theoretischen Werken. Er verzichtete am konsequentesten auf die Ubernahme von
Stilelementen aus der Vergangenheit - bei Horta lassen sich dagegen manchmal noch
Anklänge aus dem französischen Rokoko feststellen - und wandte sich früh vom
rein Floralen ab. Von Serrurier-Bovy und englischen Vorbildern angeregt, fand er zu
einem Möbelstil, der auf dem Kontrast von kurvenden Stäben und glatten
66
Füllflächen basierte und dabei die konstruktiven Elemente fast überbetonte.
Darüber hinaus zeigt sich schon in der Ausstattung seines eigenen, 1892 gebauten
Hauses oder in den von ihm gestalteten vier Räumen der Galerie von S. Bing in
Paris und besonders in den nach seiner Ubersiedelung nach Deutschland geschaffenen Wohnungseinrichtungen neben der schwungvollen Linie des Graphikers auch
die sichere, aber zurückhaltende Farbgebung des Malers: Wie viele Architekten seiner Zeit war van de Velde ursprünglich Maler gewesen. In konsequenter Verfolgung
der Theorien des Jugendstils suchte Henry van de Velde eine Änderung aller
Lebensbereiche herbeizuführen. Er beschränkte seine Arbeit nicht auf das Haus und
sein Interieur, sondern entwarf auch kunstgewerbliche Gegenstände aller Art, selbst
Kleidung, die den gleichen Gesetzen und Formvorstellungen unterlagen. Nicht die
Einrichtung allein, sondern die Gestaltung des Lebens ihrer Benützer war das Ziel
seines Schaffens.
Im französischen Jugendstil hatte der Möbelbau keine allzu große Bedeutung, zumal
die wesentlichsten Einflüsse aus Belgien kamen. Emile Galle (1846-1904, Abb.152,
153), Louis Majorelle (1859-1926, Abb.155), Hector Guimard (1867-1942,
Abb.149, 150), Eugene Gaillard (1862-1933, Abb.151) und Eugene Vallin
142. Werkstätte der >Societe van de Velde<
in Ixelles, um 1899. Rechts vorne Henry
van de Velde.
Trotz aller Aufgeschlossenheit für die
Probleme des industriellen Zeitalters, die
sich in einer gewissen Anerkennung der
Notwendigkeit der Maschine, vor allem
aber in seinen sozialen Ansichten zeigte,
konnte sich Henry van de Velde den
Zeitumständen nicht entziehen. Waren
seine
Möbelentwürfe durch
ihren
Uberfunktionalismus Fanal, Kampfansage
und Versuch der Bildung eines neuen Stils,
mußten sie durch ihre teure Herstellungsmethode einem kleinen Kreis Begüterter
vorbehalten bleiben. Seine Werkstätte
stand, da die ausschließlich handwerkliche
Verarbeitung und die hohen Qualitätsansprüche kaum einen Gewinn zuließen,
einige Male - ebenso wie ähnliche Unternehmen, zum Beispiel die Wiener
Werkstätte - vor dem finanziellen Ruin.
»Ich gestand, daß ich entschlossen war,
Ruskin und Morris auf ihrem Weg zu folgen bis zur Verwirklichung ihrer
Prophezeiung: der Wiederkehr der Schönheit auf Erden und des Anbruchs einer Ära
sozialer Gerechtigkeit und menschlicher
Würde« (Henry van de Velde 20).
143. Henry van de Velde.
Speisezimmer im Haus von Harry Graf
Kessler, Weimar, 1902-03.
67
144. Henry van de Velde. Nähtisch und
Sessel, um 1900. Henry van de Velde hat
diesen Sessel - mit verschiedenen Bezügen
- oft verwendet. Er ließ Holz nicht >biegen<, sondern aus Brettern herauschneiden,
ein Verfahren, das im Widerspruch zu seinem Funktionsdenken stand. Und doch
geben die plastische Durcharbeitung des
Holzes und die Linienführung der
Stoffornamente dem Sessel eine überraschende formale Geschlossenheit. Trotz
starker plastischer Durchbildung ist der
Nähtisch funktional durchdacht entworfen:
leichte Beweglichkeit durch Rollen,
rasches Heranziehen durch Ausschnitte in
der Tischplatte, große Ubersichtlichkeit der
Schubladen durch Herausschwenken.
(Abb.154) konnten sich nicht vollständig von der großartigen französischen
Vergangenheit im Möbelbau trennen: mit ihrer Übersteigerung der Form, ihrem
tektonischen Aufbau und ihrer bildmäßigen Gestaltung, zum Beispiel durch
Intarsien, konnten die französischen Jugendstilmöbel ihre Verwandtschaft mit der
reichen Möbelkunst des Rokoko nicht verleugnen. Die überlieferte handwerkliche
Gestaltung wurde geschätzt und betont; das einzelne Möbel in seiner kunstvollen
Materialwirkung, nicht der ges'taltete Raum, stand im Vordergrund.
In Schottland entstand nach 1S90 um Charles Rennie Mackintosh (1868-1928) und
die Gruppe >The Four<, der neben Mackintosh noch seine Frau Margaret
MacDonald, deren Schwester Frances und sein Schwager Herbert McNair angehörten, eine eigene ästhetisierende Welt der Geometrie. Die kleine Gemeinschaft
beschäftigte sich vor allem mit der Inneneinrichtung und dem Möbelbau, wenn auch
einige Bauten von Mackintosh, so die Glasgow School of Art, Architekturgeschichte
machten (Abb. 156-160). Mit seinen schlanken, strengen Formen stand das Werk
der Gruppe im Gegensatz zur fast rustikalen Einfachheit der englischen Möbel dieser Zeit, wobei die hellen, meist elfenbeinfarbenen Innenräume jedoch vieles mit
145. Henry van de Velde. Eßzimmerstuhl
mit Sitz aus Strohgeflecht, 1895. Haus
Bloemenwerf, Uccle, Brüssel.
Schon bei den ersten Stühlen, die Henry
van de Velde für sein Haus in Uccle entworfen hat, wird das Grundprinzip sichtbar:
Die einzelnen Stäbe - Graphik dreidimensional übersetzt - werden ohne jede
Rücksicht auf die Gegebenheiten des
Materials und funktionell überbetont zu
einem Gehäuse zusammengebaut.
146. Henry van de Velde. Schreibtisch, um
1900.
68
147, 148. Henry van de Velde.
Herrenarbeitszimmer und Damenzimmer
im Haus Hohenhof, Hagen (Westfalen),
1906.
»Der Charakter meiner ganzen gewerblichen und ornamentalen Arbeiten entspringt einer einzigen Quelle: der Vernunft,
der Vernunftmäßigkeit in Sein und Schein .
. . Es gilt, eine neue Basis zu gewinnen, von
der aus wir einen neuen Stil schaffen wollen, als Keim dieses Stils steht mir klar das
Bestreben vor Augen: Nichts zu schaffen,
das nicht einen vernünftigen Existenzgrund
hat« (Henry van de Velde 21).
69
149. Hector Guimard. Schlafzimmer, um
1900. Musee des Arts Decoratifs, Paris.
150. Hector Guimard. Schreibtisch, für das
eigene Haus entworfen, um 1903. Museum
of Modern Art, New York, Stiftung Mme.
Hector Guimard.
Guimard - der Gestalter der Pariser
Metrostationen - nannte sich selbst
»I'architecte d'art«: Kunstarchitekt. Möbelund
Architekturentwürfe
zeigen
Zusammenhänge mit dem belgischen
Jugendstil. Linien und Bänder sind entweder rein graphisch in die Fläche verlegt
oder umfassen völlig unkonstruktiv die
Kuben des Möbels. Wie sehr Konstruktion,
Funktion und Materialdenken in den
Hintergrund traten, mag aus der Tatsache
ersichtlich werden, daß manche seiner
Möbel zuerst in Gips modelliert wurden.
dem Landhauscharakter Voyseys gemeinsam hatten. Es zeigten sich stark von japanischen Formvorstel lungen geprägte Züge, die sich mit originären, historisch kaum
ableitbaren Stilkomponenten verbanden. Charakteristisch für die Glasgower Schule
waren einerseits die auf der Geraden und dem Rechteck basierende Formgebung,
andererseits die leicht gebogenen Linienornamente, die in der Innenraumdekoration
auftraten und im kontinentalen Jugendstil ohne Parallele blieben.
70
151. Eugene Gaillard. Schrank, 1910.
Musee des Arts Decoratifs, Paris.
152. Emile Galle. Schlafzimmer, um 1900.
Musee de l'Ecole de Nancy, Nancy.
In Nancy arbeiteten Emile Galle, Louis
Majorelle und Eugene Vallin. Kunstvolle
Einlegearbeiten, nach Art des französischen
Dixhuitieme, kennzeichnen die Möbel der
Schule von Nancy. Im Gegensatz zu den
schlichten englischen Möbeln des >Arts
and Crafts< wurden die Grundformen
lediglich mit Art-Nouveau-Schnörkeln
überzogen.
153. Emile Galle. Damenschreibtisch in
Nußbaum mit Intarsien aus verschiedenen
Hölzern, vor 1900. Musee de l'Ecole de
Nancy.
154. Eugene Vallin. Eßzimmer, 1903-06.
Musee de l'Ecole de Nancy, Nancy.
71
155. Louis Majorelle. Tischchen, um 1900.
Musee des Arts Decoratifs, Paris.
Mackintosh beteiligte sich 1900 an einer Ausstellung der 1897 gegründeten Wiener
Sezession, in der Joseph Maria Olbrich (1867-1908, Abb. 161, 162) und Josef Hoff
mann (1870-1955, Abb .163, 164) eine zentrale Rolle spielten. Er regte damit
in Österreich die Entwicklung eines geometrischen, fast kubischen Stils an, der
vielleicht von allen Erscheinungsformen des Jugendstils unseren heutigen
Gestaltungsvorstellungen am nächsten kommt. 1903 wurde die >Wiener
Werkstätte< gegründet, die während der dreißig Jahre ihres Bestehens wesentliche
Beiträge zum Möbelbau nicht nur in Österreich lieferte. Starken Einfluß auf den
deutschen Jugendstil übte einmal mehr Henry van de Velde aus, dessen für die
Galerie von S. Bing entworfenen vier Innenräume 1897 in Dresden gezeigt wurden
und großes Interesse fanden. Van de Velde zog 1899 nach Deutschland, wo er zahlreiche Aufträge, darunter die Innenausstattung des Museum Folkwang in Hagen,
erhielt. Zum anderen führte die maßgebend von Olbrich gestaltete Ausstellung auf
der Mathildenhöhe in Darmstadt, 1901, zu einer gegenseitigen Bereicherung der
Bewegungen in Deutschland und Österreich. In München bildete sich mit Bernhard
Pankok (1872-1943, Abb. 165, 167), August Endell (1871-1925, Abb.166), Bruno
Paul (1874-1968, Abb.168), Hermann Obrist (1863-1927, Abb.170), Richard
Riemerschmid (1868-1957, Abb.169) und anderen eine Gruppe, die zunächst mit
stark floralen Formen arbeitete, nach und nach aber zu einem organisch-abstrakten
Stil fand. 1898 wurden dort die >Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk<
gegründet, die sich 1907 mit den >Dresdener Werkstätten< zu den >Deutschen
72
156
158
157
156, 157. Charles Rennie Mackintosh.
Speisezimmer (156) sowie Empfangsraum
und Musikzimmer (157) im Wohnhaus
eines Kunstfreundes. Wettbewerbsentwurf
für den Verlag Alexander Koch, 1901.
158. Charles Rennie Mackintosh. Lesesaal
der Bibliothek in der Glasgow School of
Art,
Originaleinrichtung
mit
der
MackintoshVersion des Windsor-Stuhles,
1907-09.
159. Charles Rennie Mackintosh. Stuhl,
wahrscheinlich aus Cranston's Tearoom,
1901.
160.
Charles Rennie Mackintosh.
Eingangshalle des Hill House, Helensburgh, 1902-03. Raumvorstellungen, wie
sie Mackintosh etwa in der Bibliothek der
Glasgower Kunstschule realisieren konnte,
und farbliche Konzeptionen, wie er sie in
den von ihm entworfenen Wohnhäusern
anwandte - etwa Weiß, mit kräftigem Rosa
und Fliedertönen -, gehen weit über den
Jugendstil hinaus.
Die brettartige
Konstruktion der Möbel, obgleich eindeutig von formalen Vorstellungen bestimmt,
weisen in ihrer Einfachheit ebenfalls in die
Zukunft. Trotzdem müssen alle Versuche,
die Stühle von Mackintosh heute serienmäßig nachzubauen, als neuer Historismus
bezeichnet werden.
159
73
74
161. Joseph Maria Olbrich. Musikzimmer
im Neuen Palais, Darmstadt.
162. Joseph Maria Olbrich. Kindermöbel
aus dem Prinzessinenhaus auf Schloß
Wolfsgarten bei Darmstadt, 1902. Aus dem
Besitz des Prinzen Ludwig von Hessen.
Werkstätten für Handwerkskunst< zusammenschlossen. Für den Möbelbau war vor
allem Riemerschmid wichtig, der entsprechend den Vorstellungen van deVeldes von
der dekorativen, am Einzelstück orientierten Ornamentkunst zur Raumkunst gelangte und am weitesten in Richtung des Abstrakten vorstieß.
Da die Künstler des Jugendstils meist aus der Malerei kamen, mußten sie sich erst
mit der Technik des Möbelbaus vertraut machen. Getreu den Prinzipien von Morris
entstanden dabei enge Beziehungen zwischen Künstlern und Handwerkern, wobei
an die Handwerker höchste Anforderungen gestellt wurden. Mit überragenden
Einzelleistungen allein war aber die angestrebte Breitenwirkung nicht zu erreichen.
Sieht man von den Arbeiten der Wiener Werkstätte um 1905 ab, die den Voraussetzungen für eine maschinelle Produktion sehr nahe kamen, so haben die Möbelkünstler des Jugendstils zwar formal gelöste, jedoch handwerklich oder industriell
kaum realisierbare Entwürfe geschaffen. Rationell im Sinne einer Arbeits- oder
Materialersparnis konnten diese Möbel nie sein - weder die aus Brettern herausge-
75
163. Josef Hoffmann. Ecke in einem
Wohnraum, aus Ver Sacrum 1898-1903.
164. Josef Hoffmann. Schlafraum in einem
umgebauten
Bauernhaus
auf
der
Bergerhöhe
bei
Hohenberg,
Niederösterreich, 1899.
Olbrich wie auch Josef Hoffmann waren
vorerst nach England hin orientiert und von
der Formenvielfalt des belgischen
Jugendstils beeinflußt. Während das
Musikzimmer mit seiner Vielfalt an
Formen und Materialien noch auf die
Ensemble-Kunst der englischen >Arts and
Crafts<-Bewegung zurückzuführen ist, zeigen die Kindermöbel Olbrichs den Einfluß
des englischen Japanismus. Für den
schlichten Einbau in ein Bauernhaus verwendete Hoffmann sogar eine englische
Stofftapete als Ergänzung zu der einfachen
Fichtenholzvertäfelung.
schnittenen geschwungenen Stuhlfüße noch die gerundeten Körper der
Kastenmöbel. Als der Jugendstil von den Möbelfirmen modisch ausgebeutet wurde,
war sein Höhepunkt bereits überschritten. Mittelmäßigkeit vertrug sich schlecht mit
den hohen Ansprüchen einer esoterischen Formfindung, und Übersteigerungen
mußten andererseits zu einem Formenchaos führen. Eine gewisse Breitenwirkung
konnte jedoch durch die zahlreichen Ausstellungen und die damit verbundene
Publizität erreicht werden. Die vielen Schriften und Veröffentlichungen von
Gedanken über Raum und Möbel, aber auch über allgemeinere gesellschaftliche
Probleme, herausgegeben von den bedeutendsten Künstlern, vor allem von Henry
van de Velde, zwangen zur Stellungnahme und zum Nachdenken. Positiv war auch
die immense Begeisterung, mit der Ideen verbreitet, und die Tatkraft, mit der neue,
dem Historismus entgegenwirkende Formen gesucht wurden.
Möbel- und Raumgestaltung gehören zu den stärksten Leistungen des Jugendstils.
Es muß aber betont werden, daß die engagiertesten Architekten und Künstler dieser
76
165. Bernhard Pankok. Musiksalon, für die
Weltausstellung in St. Louis, 1904,
geschaffen. Möbel in Nußbaum, Flügel aus
alter Wassereiche. Hergestellt von der
Stuttgarter Werkstätte Georg Schöttle. Die
meisten der als >Münchner Kreis< neben
Henry van de Velde bekanntgewordenen
Künstler waren für die >Vereinigten
Werkstätten für Kunst im Handwerk< tätig.
Bei den Arbeiten der Münchner Künstler
werden sowohl die positiven als auch die
negativen Aspekte des Jugendstils deutlich
erkennbar. Erstaunliche Breitenwirkung
neuer Ideen durch Ausstellungen, aber auch
bewußt formale Überbetonung, die - von
der Möbelindustrie aufgegriffen und verständnislos angewandt - den Jugendstil in
Verruf brachte. Der Zusammenschluß von
Künstlern,
Handwerkern
und
Vertriebsorganisationen war für die
Gründung des Deutschen Werkbundes
ebenso wichtig wie für die Idee des
Weimarer Bauhauses.
166. August Endell. Bücherschrank in
Nußbaum, um 1900.
Privatbesitz,
Wiesbaden.
167. Bernhard Pankok. .Skizze. um 1900.
77
168. Bruno Paul. Speisezimmer, ausgestellt
in Dresden, 1906.
169. Richard Riemerschmid. Rot bemalter
Armlehnstuhl, um 1900. Die Neue
Sammlung, München.
170. Hermann Obrist. Stühle und
Serviertisch in Mooreiche aus einer
Speisezimmereinrichtung, um 1898.
Privatbesitz, Starnberg.
Zeit von den damals wichtigsten Aufgaben, der Erweiterung und Erneuerung der
Städte und dem Bau menschenwürdiger Wohnungen für die nicht privilegierten
Schichten, abgelenkt wurden. Wenn es auch nicht an Versuchen mangelte, der arbeitenden Bevölkerung Haus und Möbel zu gestalten, war doch der Zwiespalt zwischen
den hohen Anforderungen an das Handwerk und den kommerziellen Notwendigkeiten zu tief, um überbrückt zu werden. Die kurze Zeitspanne, die dem Jugendstil
zur Verfügung stand, machte es den Künstlern unmöglich, das Stadium des Experimentierens und des formalen Primats in eine beruhigte Entwicklung überzuführen.
Entscheidend für den Niedergang des Art Nouveau war das Unvermögen, diese
Kunst in eine sich bereits in voller Entwicklung befindlichen, von der weitgehenden
Anerkennung der Maschine geprägten gesellschaftlichen Neuordnung einzubeziehen. Zuletzt war die übersteigerte Formenwelt nur noch kunstgewerbliches Spiel
ohne Beziehung zu den sozialen Grundlagen, die noch immer vom Ideengut Morris'
beherrscht waren.
78
Über den Jugendstil hinaus:
Antoni Gaudi, Frank Lloyd Wright, Otto Wagner, Adolf Loos
Nur wenige Wegbereiter der modernen Architektur konnten sich dem Einfluß des
Jugendstils entziehen, jedoch gibt es im Werk einiger starker Persönlichkeiten
Raumund Möbelformen, die einer selbständigen Vorstellungswelt entstammten.
Das Werk von Antoni Gaudi (1863-1926) hat seine Wurzeln in der katalanischen
Gotik. Er sah seine große Aufgabe darin, die seiner Auffassung entsprechende,
materialgerechte Konstruktionsweise seiner Vorfahren in die neue Zeit zu übersetzen. Wenn er auch mit manchen Arbeiten dem Jugendstil nahestand, kann seine
Formensprache doch nicht unmittelbar dem Art Nouveau zugerechnet werden, da sie
immer mit den Traditionen und der Landschaft Kataloniens verknüpft blieb. Gaudis
skulpturale Möbel werden angesichts der Kraft seiner Architektur und seiner
Raumlösungen vielleicht zu wenig beachtet. Ihre reichen, organisch aus dem
Material gewachsenen Formen sind, ebenso wie die frei fließenden Strukturen der
Capella Güell oder die frei ineinander übergehenden Räume der Casa Mila (Abb.
174), das Ergebnis einer glücklichen Verbindung zwischen der Phantasie Gaudis
und der außerordentlichen Begabung der katalanischen Handwerker. Entwürfe wie
die Sitzbänke im Park Güell wurden zur Skulptur und mit dem reichen Farb- und
Formenspiel der Mosaikarbeiten aus glasierten Kacheln zu einer Vision künftiger
Entwicklungen. Bei den Möbeln Gaudis (Abb. 171-173, 175) zeichnete sich erstmals eine plastische Lösung von Konstruktion, Struktur und Material ab, wie sie
heute mit neuen Materialien und Fabrikationsmethoden zum Beispiel im
Kunststoffmöbel zum Ausdruck kommt.
172. Antoni GaudI. Bank aus der Wohnung
des Eigentümers der Casa Battl6, 1905-07.
Die Bank mit zwei Sitzen, die sich der
Körperform anpassen, beruht auf einfach-
sten konstruktiven Überlegungen. Lediglich die frei geformten Rückenlehnen stellen hohe Anforderungen an den ausführenden Handwerker, der
hier
zum
Holzbildhauer wird.
171. Antoni GaudI. Stuhl aus der Casa
Calvet,1898-1903.Plastische
Durcharbeitung eines aus massiven
Holzteilen zusammengebauten Stuhles. Die
Sitzfläche ist als >Schale< ausgebildet, die
Rückenlehne organisch geformt. Die
Bearbeitung der Beine - eher eine
Vergewaltigung der Holztechnik - erinnert
an die Schmiedearbeit der Chaiselongue.
173. Antoni GaudI. Speisezimmer in der
Casa Battl6, Barcelona, 1905-07.
Die strukturellen, naturhaften Formen der
Fassade setzen sich im Innern fort und
bestimmen alle Elemente des Raumes:
Decke, Säule, Fenster, Möbel. Die bürgerliche Wohnung wird nicht nur durch das
Ineinanderfließen der Räume, sondern auch
durch expressive Gestaltung jedes Details
aus ihrer historisierenden Welt herausgerissen.
174. Antoni Gaudi. Grundriß der Casa
Mila, Barcelona, 1905-10.
Der freie, durch Naturform angeregte
Grundriß wird durch eine Stahlbetonskelettkonstruktion ermöglicht.
175. Antoni GaudI. Chaiselongue aus
Schmiedeeisen, die Polster sind mit
Kalbfell überzogen. Palais Güell, 1885-89.
Völlige Freiheit von den üblichen
Vorstellungen für die Konstruktion,
Materialwahl und Formensprache: Eine
überlieferte Möbelform wird zur räumlichen Plastik, wobei besonders an die
Handwerker - etwa den Kunstschmied höchste Anforderungen gestellt werden.
79
80
Frank Lloyd Wright (1867/69-1959) wurde durch sein umfangreiches architektonisches Werk, das bereits um 1900 eine hohe künstlerische Reife erreicht hatte, und
durch seine zahlreichen Schriften zu einem der wichtigsten Pioniere der modernen
Architektur. Auch für den Möbelbau waren seine Überlegungen über die Funktion
von Form und Material sowie seine Auseinandersetzung mit den wesentlichsten
Kunst- und Gesellschaftstheorien seiner Zeit von entscheidender Bedeutung
(Abb.176-178). Wrights Ideen basierten, neben dem Einfluß durch die geometrischen Grundformen in den Fröbelschen Kinderspielen, auf den Eindrücken, die er
auf der Farm seines Großvaters erhielt und die in ihm eine starke Vorliebe für die
Natur und Sinn für die naturgemäße Anwendung der Materialien weckten. Seine
Tätigkeit im Büro des größten amerikanischen Architekten jener Zeit, Louis
Sullivan, war ebenso wichtig wie seine intensive Beschäftigung mit dem japanischen Kulturkreis. Zur Weltausstellung von 1893 in Chicago zeigte Japan die Kopie
eines typischen japanischen Baues als >Museum< für Gemälde und Holzschnitte,
von denen Wright selbst eine beachtliche Sammlung besaß. 1905 besuchte er zum
ersten Mal Japan. Die Übersetzung des offenen japanischen Grundrisses in die
Vorortlandschaft der amerikanischen Städte in Verbindung mit dem Einfluß der noch
historisierenden, dabei rustikalen Häuser etwa Henry Hobson Richardsons und mit
der Übernahme der englischen Tradition des Kamins als Mittelpunkt des Hauses
führte zur Konzeption der sogenannten Präriehäuser, die Wright zwischen 1900 und
1910 entwarf und die seinen ersten wichtigen Beitrag zur modernen Architektur darstellen.
In seinem Artikel »Prärie-Architektur«, 1931 in Modern Architecture22 veröffentlicht, erläuterte Wright seine Gedanken zum Präriehaus. Er hielt es für richtig, »die
Zahl der notwendigen Teile des Hauses und der einzelnen Zimmer auf ein Minimum
zu reduzieren und alles als umfriedeten Raum zusammenzufügen - so eingeteilt, daß
Licht, Luft und Sicht das Ganze mit einem Gefühl der Einheit durchtränken konnten«. Alle Proportionen des Hauses sollten »liberal menschlich« sein. Er wollte »die
Möbel - soweit möglich - als organische Architektur mit einbeziehen, sie eins mit
dem Gebäude machen und sie in einfachen Formen für die Maschine entwerfen.
Abermals gerade Linien und rechtwinklige Formen«. In seinem Vortrag »Die Kunst
und Fertigkeit der Maschine« wies er bereits 1901 in Chicago vor der >Arts and
Crafts Society< auf das glatte, strenge Möbel hin und gab den Worten von Ruskin
und Morris eine neue Deutung:
»Die Maschine ermöglicht es durch ihre wunderbare Fähigkeit, zu schneiden, zu
formen, zu glätten und zu wiederholen, so sparsam zu arbeiten, daß sich heutzutage
der Arme wie der Reiche bei klaren und strengen Formen an einer
Oberflächenbehandlung erfreuen kann, die Sheraton und Chippendale nur durch
aufwendige Extravaganz mit ihren Intarsien anzudeuten vermochten und die das
Mittelalter völlig außer acht ließ. Die Maschine hat diese Schönheiten der Natur im
Holz befreit und es möglich gemacht, die Mehrzahl der sinnlosen Martern auszulöschen, denen das Holz unterworfen wurde, seit die Welt begann, denn es ist überall
und von allen Völkern, außer den Japanern, mißbraucht und übel behandelt worden.
Ist dies nicht, wenn man es recht betrachtet, genau der Prozeß des Weglassens, für
den sich Morris einsetzte23?« Dieses Bekenntnis zur Maschine und zum Materialdenken kennzeichnet den entscheidenden Beitrag Wrights zur Entwicklung des
Möbels, selbst wenn es uns heute vielleicht zu dogmatisch erscheint.
176. Frank Lloyd Wright. Armlehnstuhl,
1904. The Museum of Modern Art, New
York.
Frank Lloyd Wright versuchte, auch seine
Möbel als >Architektur< zu entwerfen und
>menschlich< - für den menschlichen
Gebrauch geeignet - zu machen. Nicht
immer gelang dies, wie seine offenherzige
Bemerkung beweist: »Irgendwo habe ich
fast mein ganzes Leben lang immer blaue
und braune Flecke gehabt von der allzu
innigen Berührung mit meinen eigenen
Möbeln24.«
81
177. Frank Lloyd Wright. Wohnraum im
Haus Coonley, Riverside, Illinois, 1908.
Die >Präriehäuser<, in Frank Lloyd
Wrights ‘Golden age’ zwischen 1900 und
1910 entworfen, ersetzten die Zimmer
durch das offene Raumkonzept um einen
Mittelpunkt (den Kamin). Gedrückte
Raumhöhe, gegen das Dach geöffnet und
der Versuch, die Materialien der Fassade
auch im Innenraum zu verwenden, kennzeichnen diesen Typ. Bei der Einrichtung
wurde der Eindruck des >Gesamtkunstwerks< durch die Übereinstimmung von
architektonischer Form und Dekor vorbildlich realisiert.
178. Frank Lloyd Wright. Vorentwurf für
das Haus Coonley, 1908.
82
Otto Wagner (1841-1918) war der eigentliche Begründer der Wiener Schule, die
durch eine Reihe an sich äußerst gegensätzlicher Persönlichkeiten wie Adolf Loos,
Josef Hoffmann und Joseph Maria Olbrich berühmt wurde. Sein Werk, das von einer
ständigen Auseinandersetzung mit den neuen technischen Möglichkeiten und gesellschaftlichen Wandlungen der Zeit um die Jahrhundertwende zeugt, erwies sich auch
für den Möbelbau als äußerst fruchtbar. Wagners erste wesentliche Bauten standen
noch ganz im Zeichen des Historismus und wurden, wie zum Beispiel sein eigenes
Stadtpalais um 1889, mit nachgebauten Renaissance-Möbeln eingerichtet. Nach seiner Berufung an die Wiener Akademie, 1894, folgte eine Phase der theoretischen
Neuorientierung. In seinem 1895 veröffentlichten Buch Moderne Architektur vertrat
er die Ansicht, daß der Ausgangspunkt der modernen Architektur in den Erfordernissen des modernen Lebens liege. Er forderte einen Stil, der seine Ausdruckskraft
von den Konstruktionsprinzipien und der Materialanwendung herleiten sollte. Die
von ihm gepriesene horizontale Linie wurde auch in seinen Wohn- und Büroräumen
durch die konsequente Zusammenfassung von Möbeln und Wandvertäfelung sichtbar. Als Lehrer von außergewöhnlicher Bedeutung für die Entwicklung der modernen Architektur nicht nur in Wien, hat Otto Wagner bei der Einrichtung seines wohl
wichtigsten Baues, des Postsparkassenamtes in Wien (1904-06, Abb. 96, 179, 180)
auch den wesentlichsten Beitrag zum Möbelbau seiner Zeit geleistet. Während die
Räume des Direktionstraktes noch den strengen Geist der ins neunzehnte Jahrhundert übersetzten Renaissance ahnen lassen, ist die Bestuhlung bereits auf die
Möglichkeit der Serienfabrikation ausgerichtet. Sowohl die Stühle der Büroräume
wie auch die Armsessel des Sitzungssaales und die Hocker im Kassensaal wurden
mit dem in Wien enwikkelten Bugholzverfahren durch die Firma Gebrüder Thonet
und Kohn & Kohn ausgeführt. Es ist erstaunlich genug, daß erst etwa fünfzig Jahre
179. Otto Wagner. >Grünes Zimmer<
(Zimmer des Vizegouverneurs) im
Postsparkassenamt, Wien, 1904-06.
Die zurückhaltende Einrichtung der einzelnen Räume entspricht dem konstruktiven
Denken Otto Wagners und stimmt völlig
mit der formal einfachen Gestaltung der
Möbel überein. Schränke und Uhr sind in
die Vertäfelung mit einbezogen, die den
Raum einheitlich zusammenfaßt, aber
durch den leichten Wechsel im Rhythmus
doch nicht monoton wirken läßt.
83
180. Otto Wagner. Sitzungssaal im
Postsparkassenamt, Wien, 1904-06. Porträt
Kaiser Franz Josephs von Wilhelm List.
Die Porträts der Postsparkassengouverneure (über der Vertäfelung rechts) wurden
später hinzugefügt.
Wandvertäfelung und Bugholzstühle - nach
Otto Wagners Entwurf bei der zu jener Zeit
größten Wiener Bugholzfirma, Gebrüder
Thonet, sowie Kohn & Kohn hergestellt sind schwarz gebeizt, die Beschläge der
Wandschränke,
die Auflagen
der
Armlehnen und die Verkleidungen der
Stuhlfüße aus Aluminium. Die Beleuchtungskörper wurden später verändert;
ursprünglich waren in allen Direktionsräumen frei sichtbare Glühlampen in
gleichmäßig angeordneten Fassungen
angebracht.
nach Erscheinen der ersten echten Serienstühle im Bugholzverfahren (Thonet Nr.14:
1859) die Pioniere der modernen Architektur von diesen Produkten Gebrauch machten. Form und technische Möglichkeiten des Gebäudes weisen das gleiche hohe
Niveau auf wie die für die Innengestaltung verwendeten Materialien und ihre
Verarbeitung. In allen Räumen der Postsparkasse wird die herbe Strenge Wagners
und zugleich die sehr menschliche Proportion spürbar; sie wird damit ein positives
und charakteristisches Beispiel für diese >utilitäre< Zeit. Es war wohl auch dieser
Eindruck, der den alten und konservativen Kaiser Franz Joseph bei der Eröffnung
die Worte sprechen ließ: »Merkwürdig, wie gut die Menschen hineinpassen . . .«.
Adolf Loos (1870-1933) war der für die Theorie einer puristischen Anschauung im
Möbelbau und für die Entwicklung neuer Raumkonzepte wichtigste Denker in der
Zeit um die Jahrhundertwende.Von 1893 bis 1896, also während der Blüte der
Schule von Chicago, hielt er sich in Amerika auf, wo er mit den Gedanken Louis H.
Sullivans über den Zusammenhang von Form und Funktion konfrontiert wurde.
Nach Wien zurückgekehrt, galt sehr bald sein vehementer Angriff dem Ornament
und besonders den Tendenzen des Jugendstils, wobei sich seine Argumentation auf
Sullivan und Wagner stützte. Loos wollte zeigen, daß die Ornamentik des
Jugendstils unserer Zeit nicht würdig und daß ein Werk ohne Ornamente symbolisch
für klares Denken sei, daß Formen schön seien, wenn sie ihre Zweckbestimmung
ausdrückten und wenn ihre Teile eine untrennbare Einheit bildeten, daß also der völlige Verzicht auf jeden Dekor notwendig sei. 1908 schrieb er in Ornament und
Verbrechen: »Ornament ist vergeudete arbeitskraft und dadurch vergeudete gesundheit. So war es immer. Heute bedeutet es aber auch vergeudetes material, und beides bedeutet vergeudetes kapital25.« Loos' mit beißender Offenheit formulierte
Aufsätze und Vorträge bilden heute noch wesentliche Bestandteile jeder Theorie auf
dem Weg zu einer neuen Architektur. Seine ersten Schriften entstanden anläßlich der
Wiener Jubiläumsausstellung 1898, wobei er sich mit all den Dingen des täglichen
Lebens auseinandersetzte, über die man im Wien der Jahrhundertwende zu diskutieren pflegte - von der Herrenmode bis zum Interieur der Wohnung. Bald wurde die
Wiener Kunstgewerbeschule und deren Lehrer, später dann auch der Deutsche
Werkbund Ziel seiner Angriffe. Wenn manche seiner polemischen Formulierungen
auch nur aus den besonderen Verhältnissen in Wien zu verstehen sind, so bleibt das
schriftliche Werk von Adolf Loos doch eine auch heute noch maßgebende Leistung.
Viele seiner Sätze über Möbel und Raum könnten in unserer Zeit als Richtlinien für
jeden angehenden Möbeldesigner gelten.
Adolf Loos hat etwa fünfzig Wohnungen eingerichtet, aber nur wenige Wohnhäuser
selbst erbaut. Seine Arbeiten (Abb. 181-184), geprägt durch die Verwendung ausgewählter Materialien, zeigen einfachste Möblierung. Es gibt auch Widersprüche: so
stehen klare Raumlösungen manchmal im Gegensatz zu unfunktionell abgehängten
Holzdecken in Wohnungen mit bestehender Decke. Auch hielt Loos bis zum Tode
seines Tischlers Veillich ah der von ihm so geliebten Chippendale-Imitation fest
(Abb. 181). Richard Neutra wies 1930 in seinem Buch Neues Bauen in der Welt auf
die für Loos charakteristischen Scheinbalkendecken in »goldener Eiche« und die
Kamine hin, die Einflüsse des Amerikaners Henry H. Richardson zeigten. Vor allem
aber war es das einfache englische Möbel, dem Loos zeitlebens seine Referenz
erwies.
Bereits in den starren Grenzen der von ihm eingerichteten Mietwohnungen versuchte Loos, sein Raumkonzept zu realisieren, indem er wichtige Räume durch
Sitznischen oder Kaminplätze erweiterte. Es war ihm jedoch erst 1922 möglich, im
Haus Rufer seinen >Raumplan< zu verwirklichen, der sich bereits 1910 im
>Looshaus<, einem Geschäftshaus am Michaelerplatz, ankündigte und der später im
Haus Müller in Prag (1930) zur Vollendung gebracht wurde. Grundgedanke seines
84
181. Adolf Loos. Haus Steiner in Wien,
1910. Eßecke in der großen Wohnhalle.
Die gegen den Garten zu gelegene
Wohnhalle diente mehreren Zwecken, und
zwar als Wohn-, Eß- und Musikzimmer.
Bemerkenswert sind die nachgebauten
Möbel im Chippendale-Stil.
182. Adolf Loos. Ausziehtisch mit dazugehörigem Stuhl in Mahagoni und Bronze,
1898 (signiert). Privatbesitz, Schweiz.
183. Adolf Loos. »Das Schlafzimmer meiner Frau« in der eigenen Wohnung, Wien, 1
903.
Auf blauer Bodenbespannung war alles
Weiß in Weiß gehalten, Schränke und
Wände waren mit weißem Batist verkleidet. Das Wohnzimmer mit dem Annex ist
heute im Historischen Museum der Stadt
Wien ausgestellt.
184. Adolf Loos. Die Kärntner Bar
(American Bar) in Wien, 1907. Fast unverändert erhalten. Photographien aus der
Entstehungszeit zeigen anstelle der
Landschaft ein Porträt Peter Altenbergs von
Gustav Jagerspacher.
Der nur 3,50 auf 7,50 m große Raum mit
einer Höhe von 3,50 m wird durch die zwischen den Lisenen eingelegten Spiegel
genial erweitert. Dunkles Mahagoni,
schwarzes Leder, Messingrahmen für die
von innen beleuchteten Glasplatten der
kleinen Tische sowie die Kassettendecke
aus gelbbraunem Marmor lassen heute
noch außerordentliches Feingefühl bei der
Auswahl der Materialien erkennen.
Raumkonzeptes war die Planung im Dreidimensionalen: »Denn das ist die große
revolution in der architektur: das lösen eines grundrisses im raum26«. Je nach Zweck
und Bedeutung sollten dabei die einzelnen Räume nicht nur verschieden groß, sondern auch verschieden hoch angelegt und zu einem kubischen Gebäude zusammengefügt werden. Die >Grundrisse des Volumens< haben an der weiteren Entwicklung
des Wohnens entscheidenden Anteil und prägten die Form der gesamten Einrichtung
und Möblierung.Sicherlich ist die Klarheit der Möbel von Adolf Loos und seine
Liebe zum Material ohne das geschulte Tischlerhandwerk in Wien nicht denkbar.
Hier findet sich trotz aller Gegnerschaft die Brücke zu dem so bekämpften Josef
Hoffmann und der Wiener Werkstätte. Denn zumindest deren einfache Wohnungseinrichtungen, die um 1905 noch unter dem Einfluß von Mackintosh entstanden, stehen in Konstruktion und Materialverwendung den Möbeln von Loos um nichts nach.
85
86
Von >Arts and Crafts< zum Werkbund: Die Idee der Gemeinschaft
Der Bau des Red House durch William Morris und seinen Freundeskreis (1859,
Abb. 114-117) signalisierte den Beginn einer Entwicklung, die jahrzehntelang die
Möbel- und Architekturgeschichte bestimmen sollte: Künstler und Handwerker
schlossen sich in Gemeinschaften zusammen, um in gemeinsamer Arbeit und theoretischer Auseinandersetzung mit den Problemen der Industrialisierung neue
Lösungen zu finden und zu verwirklichen. Verschiedene Gruppen, vor allem die
>Arts and Crafts Society<, versuchten, Möbel und Geräte zu entwickeln, die der
neuen Zeit entsprachen. Es gingen wesentliche stilbildende Einflüsse von ihr aus;
die hier erstmals praktizierte Idee der Gemeinschaft regte die Bildung von Vereinigungen in ganz Europa an. Die Leistungen der zahlreichen Künstler- und Handwerkergemeinschaften, die in der Folge entstanden, waren ein ebenso wichtiger
Schritt auf dem Wege zum modernen Möbel wie das persönliche Werk der großen
Pioniere.In Deutschland und Österreich entstanden die ersten Vereinigungen gleichzeitig mit dem Jugendstil.1903 gründete Josef Hoffmann (1870- 1956) zusammen
mit Koloman Moser (1868-1916, Abb. 186) und Josef Wärndorfer, dem Financier,
die Wiener Werkstätte. Hoffmann war Schüler von Otto Wagner und vertrat dessen
rationalistische Architekturtheorie, ohne aber wie Adolf Loos das Ornament völlig
abzulehnen. Sein besonderes Interesse galt dem Kunsthandwerk, er lehrte an der
Wiener Kunstgewerbeschule. Die ersten Jahre der Wiener Werkstätte waren geprägt
von einem strengen, fast kubischen Stil mit zahlreichen von der Gruppe um
Mackintosh übernommenen Elementen und einer auf dem Quadrat aufgebauten
Ornamentik, die Hoffmann den Spitznamen >Quadratl-Hoffmann< eintrug.
Auch die Arbeit der Wiener Werkstätte basierte auf den Theorien von Ruskin und
Morris. Das Meisterwerk Hoffmanns, das im Jahr 1911 fertiggestellte Palais Stoclet
in Brüssel (Abb. 187, 188), wurde dennoch für die Gesellschaft des Fin de siecle
gebaut, ebenso wie die verfeinerten, höchste Qualität und Weltgeltung erlangenden
Kunstgewerbegegenstände aus der Werkstätte für die Oberschicht bestimmt waren.
Neben kostbaren, leichten Möbeln, die trotz ihrer Strenge elegant und gut proportioniert wirkten und meist Edelholzfurniere aufwiesen, entstanden jedoch auch einfache, ohne weiteres für die Serienproduktion geeignete Eichenmöbel (Abb. 185).
185. Josef Hoffmann. Kleiner Schreibtisch,
1905. Eichenholz, furniert und massiv,
schwarz gebeizt, in die Poren weiße Farbe
eingerieben. Hergestellt von der Wiener
Werkstätte. österreichisches Museum für
angewandte Kunst, Wien. Übernahme eines
seit der Barockzeit bestehenden Möbeltyps
(Sekretär), hier allerdings in den klaren
Formen der frühen Arbeiten der Wiener
Werkstätte. Weiß eingeriebene Eiche verwendete Josef Hoffmann sehr oft.
186. Koloman Moser. Speisezimmereinrichtung,
1904.
Furnier
aus
Rüstermaserholz; Intarsien: Perlmutter und
Schlangenholz in einem Feld aus
Buchsbaumholz. Galerie Inge Asenbaum,
Wien. Koloman Moser versucht bei diesem
in seiner Grundform strengen Speisezimmer das >Gesamtkunstwerk< auch
beim Möbel zu verwirklichen: eine erstaunlich frühe Absage an den floralen
Formenschatz des Jugendstils.
187. Josef Hoffmann. Speisezimmer im
Palais
Stoclet,
Brüssel,
1905-11.
Ausführung Wiener Werkstätte.
188. Josef Hoffmann. Ecke mit
Springbrunnen in der Halle des Palais
Stoclet, Brüssel, 1905-11.
Das Palais Stoclet bildet den Höhepunkt
der von der Wiener Werkstätte durchgeführten Arbeiten. Die gesamte Einrichtung
und alle Geräte entstanden in der
Werkstätte in Wien. Bei diesem großen
Bauvorhaben - das ohne finanzielle
Einschränkung durchgeführt werden konnte - waren die bedeutendsten Mitarbeiter
unter der Leitung Hoff manns beschäftigt,
darunter der Keramiker Michael Powolny
und der Maler Gustav Klimt, der die
Wanddekoration des Speisezimmers schuf.
87
Die Wiener Werkstätte hatte allerdings den Weg zur Industrie niemals gesucht. Ihr
hoher Güteanspruch setzte persönliche Zeichnung, persönliche Ausführung oder
enge Zusammenarbeit mit ausgesuchten Handwerkern voraus. Trotz des Austrittes
von Koloman Moser aus der Werkstätte (1907) hielten sich die geometrischen
Grundformen längere Zeit, bis um 1915 unter dem Einfluß des jungen Dagobert
Peche (1887-1923) eine Wende zu fast expressionistischen Formen eintrat, die
besonders bei Karl Kraus und Adolf Loos auf Kritik stießen.
Finanziell war die Wiener Werkstätte, wie zum Beispiel auch Henry van de Veldes
persönliche Werkstätte, niemals ein Erfolg. Nach schwierigen Jahren, besonders im
Anschluß an den Ersten Weltkrieg, mußte die Werkstätte 1932, lange vor dem Tode
Josef Hoffmanns, geschlossen werden.
Die 1898 in München gegründeten >Vereinigten Werkstätten für Kunst im
Handwerk<, denen unter dem Geschäftsführer F.A.O. Krüger Richard Riemerschmid, Bruno Paul (Abb. 190), Bernhard Pankok und andere angehörten, bemühten sich intensiver und gezielter um die Entwicklung eines formalen Ansprüchen
genügenden Möbels für breitere Schichten. Wie auch bei den 1899 durch den
Tischlermeister Karl Schmidt ins Leben gerufenen >Dresdner Werkstätten für
Handwerkskunst< wollte man von Anbeginn gute und preiswerte Möbel und
Gebrauchsgegenstände in Serienfertigung herstellen. Vor allem in Dresden war man
88
schon nahe an produktionsreife Serienmodelle herangekommen. Die im Jahre 1902
in München gegründete >Werkstätte für Wohnungseinrichtungen< verband sich
1907 mit der >Dresdner Werkstätte< zu den >Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst<; 1913 entstand daraus die Aktiengesellschaft >Deutsche Werkstätten<.
Riemerschmid, der schon in seinen frühen, um 1900 entworfenen Möbeln sehr funktionale und organische Lösungen erreichte (Abb.192, 193), ohne daß dadurch die
künstlerische Qualität gelitten hätte, war die treibende Kraft dieser Gemeinschaft.
Ebenso wie in Wien mußten die Geldgeber darunter Riemerschmid selbst, immer
wieder einspringen, um die Situation zu retten. 1909 wurden die Deutschen Werkstätten nach Dresden-Hellerau verlegt, wo nach Plänen verschiedener Architekten,
darunter Riemerschmid und Heinrich Tessenow (1876-1950, Abb.189), um die
Werkstätten die Gartenstadt Hellerau entstand. Wie die gesamte Wohnsiedlung, so
waren auch die Büro- und Arbeitsräume der Werkstätten in jeder Hinsicht vorbildlich gestaltet. In Hellerau wurde 1906 die Serienfabrikation der sogenannten
>Maschinenmöbel< aus massivem Holz, nach maschinengerechten Entwürfen von
Riemerschmid (Abb.191) und Karl Schmidt, in größerem Stile und mit vielversprechendem Erfolg aufgenommen, nachdem bereits 1902 auf handwerklicher Basis
>Typenmöbel< gefertigt wurden.
Von 1896 bis 1903 hielt sich der Architekt Hermann Muthesius (1861-1927) als
Kulturattache an der Deutschen Botschaft in London auf, wo er sich mit dem
Studium der zeitgenössischen englischen Architektur, vor allem des Wohnhauses,
und der Situation der angewandten Kunst beschäftigte. In verschiedenen Büchern,
die in Deutschland großes Interesse fanden, setzte er sich für eine »zweckmäßige,
sachliche und zeitgemäße« Formgebung ein (Abb.194, 196). Seiner Ansicht nach
stand man »nicht mehr vor einer eigentlich kunstgewerblichen Bewegung, sondern
vor einer Neugestaltung unserer gesamten menschlichen Ausdrucksformen . . . Es
gibt nur ein menschliches Gestalten« und »dieselben Gestaltungstendenzen kehren
wieder beim Kunsthandwerker, beim Architekten, beim Ingenieur, beim
Werkzeugverfertiger, beim Schneider, bei der Putzmacherin . . .«
1907 wurde der Deutsche Werkbund, an dessen Zustandekommen Muthesius
wesentlich beteiligt war, gegründet. Sein Ziel war es, mit dem Zusammenschluß von
Vertretern aus Kunst, Handwerk, Industrie und Handel das Niveau der gewerblichen
189. Heinrich Tessenow. Entwurf für ein
Schlafzimmer, um 1908. Die einfachen
Entwürfe Heinrich Tessenows waren die
Grundlage einer
menschenwürdigen
Einrichtung
für
die
arbeitende
Bevölkerung.
192. Richard Riemerschmid. Erker im
Wohnzimmer
des
Hauses
Arthur
Riemerschmid, Pasing bei München, 1909.
Riemerschmids große Leistung war der
Versuch, seinen Entwürfen jene Einfachheit
zu geben, die in den englischen Arbeiten
um diese Zeit zum Ausdruck kommt.
Muthesius' Urteil über das englische Haus
mag die Arbeit Riemerschmids beeinflußt
haben: »Der englische Hausbewohner will
in seinem Haus Ruhe haben. Eine saubere
Behaglichkeit, das ist es, worauf es
ankommt. Ein Mindestmaß von >Formen<
und ein Höchstmaß von ruhiger, behäbiger,
aber dennoch frischer Stimmung ... 27«
190. Bruno Paul. Entwurfszeichnung eines
Stuhls, um 1900. Archiv der Vereinigten
Werkstätten für Kunst im Handwerk,
München.
Ein Entwurf, der etwa gleichzeitig mit den
Arbeiten Bruno Pauls für das Jagdzimmer
auf der Weltausstellung in Paris, l90O, entstand. Während dort die Stühle der
Formensprache des Jugendstils folgen, versucht Paul bei diesem Entwurf, eher von
Möbelformen des Empire auszugehen.
191. Richard Riemerschmid.
Angeblich erster Maschinenstuhl, nach
1906. Die Neue Sammlung, München.
Ein wesentlicher Versuch, das seit Jahren in
den Kreisen der Gilden und Werkstätten
diskutierte Problem Kunst und Industrie zu
lesen. Die industrielle Fertigung beeinträchtigt die Bequemlichkeit des Stuhles
keinesfalls.
89
Produktion zu verbessern. Auf der Dresdner Kunstgewerbe-Ausstellung von 1907,
die der Anstoß zur Werkbundgründung war, sah man maschinell hergestellte
Produkte wie etwa Serienmöbel, Öfen und Eisenbahnwaggons, die gleichzeitig mit
kunstgewerblichen Gegenständen präsentiert wurden.
Die Arbeit des Deutschen Werkbundes beeinflußte ganz Europa. 1910 entstand der
Österreichische, 1913 der Schweizerische Werkbund. 1915 wurde in England die
>Design and Industries Association< ins Leben gerufen, die ebenfalls ihre
193. Richard Riemerschmid.
Entwurfszeichnung von Stühlen für die
Weltausstellung in Paris, 1900. Städtische
Galerie, München. Nachlaß Riemerschmid.
Diese Stühle Riemerschmids, in gewissem
Sinn eine Vorwegnahme dänischer
Entwürfe der frühen Nachkriegszeit, haben
weite Verbreitung gefunden. Liberty in
London nahm sie in das Verkaufsprogramm
auf.
90
Zielsetzung am Deutschen Werkbund orientierte.
Einen Höhepunkt in der Geschichte des Werkbundes bildete die Ausstellung 1914 in
Köln (Abb. 195, 197, 198), vor allem durch die bei der gleichzeitig abgehaltenen
Tagung zutage getretene Kontroverse Muthesius-van de Velde über die Frage der
Typisierung. Durch den Beginn des Ersten Weltkrieges wurde diese zwar umstrittene, jedoch für die weitere Entwicklung des Werkbundes wesentliche Ausstellung um
den verdienten Erfolg gebracht.
Die nach dem Krieg weitergeführte Arbeit gipfelte 1927 in der WerkbundAusstellung >Die Wohnung< mit der Weißenhofsiedlung in Stuttgart (Abb. 26, 199,
200). Mies van der Rohe, damals Vizepräsident des Werkbundes, hatte die führenden europäischen Architekten aufgefordert, Beiträge zur Konzeption und
Konstruktion des modernen Wohnhauses in einer Musterausstellung zu verwirklichen. Diese Ausstellung hatte als letzte gemeinsame Leistung aller Pioniere der
modernen Architektur starken Einfluß auf die Raumvorstellungen und auf den
Möbelbau der dreißiger Jahre.
195. Karl Arnold. Karikatur zur WerkbundAusstellung in Köln, 1914. Aus dem Simplicissimus.
Die Karikatur bezieht sich auf jene wichti ge Diskussion auf der Kölner WerkbundAusstellung, in der die Frage der Typisierungen und die Stellung des >Künstlers<
zur Sprache kamen.
196. Hermann Muthesius. Kleider- und
Wäscheschrank für das Schlaf- oder
Ankleidezimmer, oben für Herren, unten
für Frauen. Zeichnung aus dem Buch Wie
baue ich mein Haus. Ein Versuch, brauchbare u praktische Möbel zu schaffen, wobei
die Überlegungen über den möglichen
Inhalt sehr ins Detail gehen. Muthesius
weist besonders auf die Annehmlichkeiten
des begehbaren Kleiderschrankes hin.
Aus den Leitsätzen von Hermann
Muthesins: »Die Architektur und mit ihr
das ganze Werkbundschaffensgebiet drängt
nach Typisierung und kann nur durch sie
diejenige allgemeine Bedeutung wiedererlangen, die ihr in Zeiten harmonischer
Kultur eigen war.« Gegen-Leitsätze Henry
van de Veldes: »Solange es noch Künstler
im Werkbund geben wird und solange diese
noch einen Einfluß auf dessen Geschicke
haben werden, werden sie gegen jeden
Vorschlag eines Kanons oder einer
Typisierung protestieren. Der Künstler ist
seiner innersten Essenz nach glühender
Individualist, freier spontaner Schöpfer...«
194. Hermann Muthesius. Kaminnische,
unter einer Treppe gelegen. Zeichnung aus
dem Buch Wie baue ich mein Haus 28.
Muthesins' Zeichnungen verraten den
Einfluß der Engländer - eine Vorliebe, die
er mit Adolf Loos teilt. Die Kaminnische
(mit niederer Raumhöhe und Sitzbänken)
hat Loos bei vielen seiner Wohnungseinrichtungen verwendet. Dem Buch, das
als Leitfaden für Bauherrn gedacht war und
sich im wesentlichen auf das Einfamilienhaus bezieht, setzt er das Goethe-Wort voraus: »Mag man doch immer Fehler begehen, bauen darf man keine.«
91
197. Walter Gropius. Schlafwageneinrichtung,1914 auf der WerkbundAusstellung in Köln gezeigt. Die
Schlafwagengestaltung (im Gegensatz zu
Amerika als völlig abgeschlossener, sehr
persönlicher Bereich) gab dem Architekten
Gelegenheit, auf kleinstem Raum brauchbare und variable Möbel zu schaffen - im
wesentlichen bereits eine Aufgabe des
>Industrial Design<.
198. Walter Gropins.
Werkbund-Ausstellung in Köln, 1914.
Dachgarten und Restaurant auf dem
Bürogebäude. Auch bei der Planung für
Industrie und Verwaltung war es ein
Anliegen der Architekten, eine humanere
Atmosphäre der Arbeitswelt zu schaffen.
Vorschläge wie das Restaurant im
Bürogebäude zeugen davon.
199. Ludwig Hilberseimer.
Kleines Eßzimmer mit Durchreiche.
Werkbund-Ausstellung, Weißenhofsiedlung, Stuttgart, 1927.
200. Hans Poelzig.
Schlafzimmer, Werkbund-Ausstellung,
Weißenhofsiedlung, Stuttgart, 1927.
Führende Architekten, die nicht bei den
Bauten selbst beteiligt waren, haben
Inneneinrichtungen für die Häuser geschaffen. Sehr oft wurden Möbel aus der industriellen Fertigung, wie zum Beispiel von
Thonet für das Eßzimmer von Ludwig
Hilberseimer, verwendet. Manchmal aber,
etwa im Schlafzimmer von Hans Poelzig,
werden Formen sichtbar, aus denen in den
dreißiger Jahren die modernistischen
>Rundbaumöbel< entstanden.
92
Die Wiener Schule der Zwischenkriegszeit
Die große Zeit der Wiener Schule, geprägt von Otto Wagner, Adolf Loos und der
Wiener Werkstätte, war eine Zeit positiver Uberlegungen und fruchtbarer
Auseinandersetzungen gewesen. Sie wurde mit Beginn des Ersten Weltkrieges
abrupt unterbrochen. Otto Wagner starb 1918, Adolf Loos ging zeitweise nach Paris,
die Wiener Werkstätte hatte mit den Schwierigkeiten der Inflation nach dem Ende
der Österreichisch-Ungarischen Monarchie zu kämpfen und sollte schließlich der
Krise der Zwischenkriegszeit zum Opfer fallen. Die bedeutenden Möbelfirmen
Wiens, die auch Bürgertum und Geldadel des Balkans mit handwerklich hervorragenden Möbeln versorgt hatten, sahen sich plötzlich von ihren Auftraggebern abgeschnitten. Jedoch stand die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg immer noch unter dem
Einfluß der Lehre Otto Wagners und der Leistungen von Josef Hoffmann, Josef
Frank (1885-1967) und Oskar Strnad (1879-1935), die an der Kunstgewerbeschule
in Wien lehrten. Die Architekten der Nachkriegszeit, unter ihnen die hervorragend
ausgebildeten Schüler Otto Wagners, mußten sich auf das Einrichten von
Wohnungen und den Ausbau von Geschäften konzentrieren, soweit sie nicht für das
umfangreiche soziale Wohnbauprogramm der Stadt Wien tätig waren. Das
Luxusmöbel des Fin de siecle mußte nun in Ubereinstimmung mit einer weniger
begüterten Umwelt gebracht werden. In den Mietshäusern der vergangenen
201. Oskar Strnad. Sekretär im Wohnraum
des Architekten, um 1930.
Großer Wert wurde hier auf die sorgfältige
Modellierung des leichten Möbels gelegt.
202. Einrichtungshaus >Haus und Garten<.
Verschiedene Beispiele von Abstelltischen,
in Grundform und Aufbau vielfältig gestaltet, um 1930.
Erich Boltenstern schreibt im Vorwort des
von ihm herausgegebenen Buches Wiener
Möbel 29: »Das heutige Wiener Möbel, so
wie wir es in unseren Bildern vorführen, ist
ohne die hohe Tradition im österreichischen
Möbelhandwerk nicht denkbar und erst voll
verständlich, wenn man erkennt, an welche
Epochen der Vergangenheit es anknüpft.«
Epochen, vor allem der Ringstraßenzeit, entstanden stille Wohnungen in der Tradition des Biedermeier. Hier wie dort waren die Möbel einfach gehalten, aber gut proportioniert und im Einklang mit dem Raum. Die Architekten der bis 1932 bestehenden Wiener Werkstätte, die Gruppe um Oskar Strnad, und auch das hervorragende
Einrichtungshaus >Haus und Garten<, für das Josef Frank und Oscar Wlach tätig
waren, gestalteten Wohnungen, die bald bekannt und geschätzt wurden (Abb. 201,
202). An eine Serienproduktion der Möbel war jedoch angesichts der wirtschaftlichen Depression nicht zu denken. Sogar das Haus Thonet mußte sich zum Zusammenschluß >Thonet-Mundus< unter einem branchenfremden Generaldirektor entschließen. Die Möbel der Zwischenkriegszeit entstanden im engen Einvernehmen
zwischen den Architekten und den immer noch gut geschulten Schreinerwerkstätten,
jedes Detail trug den Stempel liebevoller Entwurfsarbeit. Eine Sonderstellung unter
den Wiener Architekten nahm damals der Behrens-Schüler Ernst Anton Plischke
(geb. 1903) ein. In ihm, der Mitte der dreißiger Jahre nach Neuseeland auswanderte, nach dem Zweiten Weltkrieg aber an die Akademie der bildenden Künste in Wien
berufen wurde, hatte Österreich einen Vertreter der neuen puristischen Richtung.
Seine Arbeiten gingen eher auf das Bauhaus und vielleicht auf japanische Formvor-
205. Ernst Anton Plischke. Wohnschlafraum, 1933. Möbel aus Nußholz,
Bodenbespannung grau, Bettbezüge aprikosenfarben, Polster sandfarben und braun.
Die kleine Stadtwohnung entstand durch
Teilung einer städtischen Großwohnung.
Die Klarheit, aber auch Kargheit der
Formen und Möbel sind eher atypisch für
eine Wohnungseinrichtung dieser Zeit in
Wien.
206. Ernst Anton Plischke.
Sommerhaus eines Künstlers am Attersee,
1933/34. Möbel im Atelierraum. Der
Atelierraum, dessen Fensterband einen
Rundblick auf den See gewährt, betont
durch
seinen
Charakter
die
>Sommerwohnung<.
Die
sparsame
Möblierung sowie die sichtbaren Säulen
der Holzskelettbauweise erinnern an das
Grundkonzept des japanischen Hauses.
93
203. Josef Frank. Schreibtisch aus
Pyramiden-Mahagoni, furniert und massiv
verarbeitet, Tischblatt mit Lederbelag, vor
1926. Ein Möbel, das durch die Qualität der
präzisen Durchbildung seiner Details Absetzen der oberen Schreibtischplatte, die
Furniere werden über die massiven Kanten
der Schubladenfronten gezogen - beste
Wiener Handwerkstradition darstellt.
204. Josef Frank. Teesalon, errichtet im
Österreichischen Museum für Kunst und
Industrie zur Werkbund-Ausstellung in
Wien, 1930. Josef Frank, verantwortlich
auch für die Werkbund-Siedlung 1932 in
Wien (die im wesentlichen dem Konzept
der Stuttgarter Weißenhofsiedlung folgen
sollte - etwa sechzig Häuser wurden von inund ausländischen Architekten gebaut und
eingerichtet), versucht hier, durch
schwungvolle Gestaltung und Lackierung
dem Bugholzmöbel neue Aspekte zu verleihen. Das Schleiflack-Möbel war typisch für
die dreißiger Jahre in Wien.
stellungen zurück als auf traditionelle Quellen (Abb. 205, 206). Mit seinen strengen
Möbeln näherte er sich am weitesten dem Internationalen Stil der dreißiger Jahre.
Vergleicht man die Wiener Möbel dieser Zeit mit den frühen modernen Formen in
Schweden oder Dänemark, so wird eine erstaunliche Parallele sichtbar. Liebe zum
Detail und großes handwerkliches Können führten zu ähnlichen Ergebnissen: Möbel
aus handwerklicher Fertigung, die leicht, beschwingt und undogmatisch wirkten.
Dies könnte der Grund dafür sein, daß Josef Frank (Abb. 203, 204), einer der bedeutendsten Wiener Architekten, gerade nach Schweden emigrierte, wo er in
Zusammenarbeit mit der Firma >Svenska Tenn< seine in Wien gesammelten
Erfahrungen weitergab. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges ging auch die
Zusammenarbeit zwischen den Architekten, die gleichzeitig Möbelentwerfer waren,
und den hervorragenden Handwerkern und Fabrikationsbetrieben mit ihren geschulten Fachkräften und damit ein bedeutender Abschnitt der Möbelgeschichte zu Ende.
94
Vom Stijl zum Internationalen Stil
Die Möbel des Stijl: gebaute Theorie, gebautes Manifest
Um 1917 schloß sich in der holländischen Stadt Leiden eine Gruppe von Malern,
Architekten und Schriftstellern zusammen, die sich >De Stijl< nannte und sich eine
»radikale Erneuerung der Kunst« zum Ziel gesetzt hatte. Der in der Malerei von Piet
Mondrian und Theo van Doesburg entwickelte >Neoplastizismus<, von einer klaren
geometrischen Ordnung bestimmt und auf dem Kubismus aufbauend, wurde auf
andere Gebiete der Kunst und auf die Architektur übertragen. Die sogenannte >Neue
Gestaltung< wurde zum Leitbegriff des Stijl.
Ausgangspunkt der Stijl-Architektur war der Kubus. Die Begrenzung der Räume
durch autonome Flächen, die im rechten Winkel zueinander standen, wurde jedoch
nicht statisch aufgefaßt, sondern als Teil eines ins Unendliche erweiterbaren
Prinzips verstanden (Abb. 207). So war das Gebäude zumindest theoretisch ein Teil
des gedachten Umraumes. Vom Vorbild Mondrians ausgehend, setzte man ausschließlich die Primärfarben Rot, Blau und Gelb ein; Weiß, Schwarz und Grau
kamen nur als Kontrastfarben in Frage. Die wenigen realisierten Innenräume, wie
Theo van Doesburgs Cafe und Kino >Aubette< in Straßburg (Abb.208) oder Gerrit
Thomas Rietvelds Wohnhaus Schröder in Utrecht (Abb. 209, 210), waren konsequent nach diesen Grundsätzen gestaltet.
Theo van Doesburg (1883-1931) schrieb 1929 in einem retrospektiven Artikel:
»Anstatt das einmal Gefundene zu wiederholen, wollten wir Architektur und
Malerei zu einer vorher noch kaum geahnten Höhe und in engsten gestaltenden
Zusammenhang bringen. Das Haus wurde zergliedert, in seine plastischen Elemente
zerlegt. Die statische Achse der alten Konstruktion wurde zerstört; das Haus wurde
ein Gegenstand, den man von allen Seiten umkreisen kann. Diese analytische
Methode führte zu neuen Konstruktionsmöglichkeiten und zum neuen Grundriß.
Das Haus kam frei vom Boden, und das Dach wurde zur Dachterrasse, sozusagen zu
einer >offengelegten< Etage. Damals waren diese Probleme vollständig neu, und
keiner hat sich so ernsthaft wie die jungen holländischen Architekten und Maler
damit befaßt.30«
Die Möbel von Gerrit Thomas Rietveld (1888-1964) sind technisch neue
Konstruktionen, die mit überlieferten tischlermäßigen Ausführungen kaum mehr
etwas zu tun haben und in ihrem Aufbau wie in ihrer Farbgebung als Manifest verstanden werden müssen (Abb. 209-215). Sie sind, ebensowenig wie die Innenräume,
>begrenzt< oder >stabil<. Viele Uberlegungen, die den Stijl-Möbeln zugrunde liegen, scheinen von der japanischen Raumauffassung und der von Godwin in den
europäischen Bereich übersetzten fernöstlichen Möbelform beeinflußt zu sein.
Rietvelds Möbel wurden von Theo van Doesburg analysiert:
»Dieses Möbel beantwortet durch seine neue Form die Frage, inwieweit Bildhauerei
im modernen Interieur eine Rolle spielen wird. Unsere Stühle, Tische und Schränke
und andere zweckgebundene Gegenstände sind die >abstrakt-realen< Skulpturen
unserer zukünftigen Einrichtung. Bezüglich ihrer Konstruktion schrieb uns Rietveld
die folgenden Zeilen: >Man hat mit diesem Stuhl den Versuch unternommen, jeden
207. Theo van Doesburg und Cor van
Eesteren. Studien für ein Wohnhaus, 1923.
Konstruktion und Raumprinzipien als
Grundlage der Architekturtheorie des Stijl
sind ebenso vom Kubismus beeinflußt wie
von den Bauten Frank Lloyd Wrights. Die
Zeichnung unten zeigt den Versuch, die
Verbindung mit dem Außenraum herzustellen. Die Ubersetzung in die Praxis
(Zeichnung oben) gelingt allerdings nicht
vollständig, lediglich vorgezogene Dächer
und farblich abgesetzte Wände weisen auf
die theoretischen Prinzipien hin.
208. Theo van Doesburg. Cafe und Kino
>Aubette<, Straßburg, 1927 (zerstört).
95
209. Gerrit Thomas Rietveld. Obergeschoß
im Haus Schröder, Utrecht, 1924
Mit dem Entwurf des Hauses Schröder
gelang es Rietveld, den ersten tatsächlich
variablen Raum zu schaffen: das obere
Geschoß, nach allen Seiten offen und den
Garten optisch mit einbeziehend, kann
durch Schiebewände in vier individuell
benützbare Räume geteilt werden.
210. Gerrit Thomas Rietveld. Sitzecke im
Obergeschoß des Hauses Schröder mit den
>Zickzack<-Stühlen von 1934. Aufnahme
aus dem Jahr 1964. Auch in ihrem zeitlichen Ablauf (durch mehr als 45 Jahre)
wurde die Einrichtung, aber auch die
Raumnutzung gemäß der Veränderung der
Familienverhältnisse der Bewohner verändert, ohne daß die Grundlagen der StijlTheorien aufgegeben werden mußten. Der
>Zickzack<-Stuhl von 1934 war das einzige Möbel Rietvelds, das in Serien von
jeweils zwanzig Stück erzeugt wurde.
96
Teil sehr einfach zu lassen, das heißt eine primäre Form zu wählen, die übereinstimmt mit der Art der Funktion und dem Material, in einer Form also, die am geeignetsten ist, Harmonie hervorzurufen. Die Konstruktion hilft mit, die einzelnen Teile
ohne die geringste Verstümmelung miteinander zu verbinden, und zwar derart, daß
kein Teil den anderen überwiegend überdeckt oder daß der eine sich dem anderen
unterordnet. Auf diese Weise steht das Ganze frei im Raum. Die Form ist durch das
Material entstanden 31<«
Grundlage für die Möbel des Stijl waren zwar kunsttheoretische Überlegungen;
viele Entwürfe hätten jedoch ohne weiteres eine maschinelle Produktion zugelassen.
Manche in späteren Jahren entstandene Möbel Rietvelds wurden in kleineren Serien
hergestellt, so zum Beispiel die >Crate Furniture< aus dem Jahre 1934 (Abb. 211,
212), zerlegbare Möbel, die der Käufer selbst zusammensetzte. Der >Zickzack<Stuhl (Abb. 210), Rietvelds Serienstuhl, fand zahlreiche Nachahmer und wird heute
wieder gebaut.
Die intensive theoretische und journalistische Tätigkeit Theo van Doesburgs, der
zahlreiche Vorträge hielt und Ausstellungen veranstaltete, beeinflußte ebenso wie
die wenigen ausgeführten Arbeiten die für theoretische Uberlegungen besonders
aufgeschlossenen Architekten der Kriegsgeneration. Vor allem sind die frühen
Bauhausjahre ohne die >Neue Gestaltung< des Stijl, ohne Mondrian und van
Doesburg, der junge Marcel Breuer ohne die Arbeiten Rietvelds nicht denkbar. Stark
von den Ideen des Stijl bestimmte Möbel mit hohem Gebrauchswert entwarf der aus
Wien stammende Rudolf M. Schindler (1897-1953) für seine kalifornischen Häuser
der dreißiger Jahre: einfache, schlichte, billige Wohnungseinrichtungen, die eine
größere Beachtung verdient hätten.
Die Raumidee des Stijl - der kubische Raum, dessen Wände keine trennende, sondern nur eine gliedernde Funktion hatten - wurde zur elementaren Grundlage des
Raumkonzeptes des Internationalen Stils. Hierbei erweist sich die Stärke einer ideellen Konzeption und eines Manifestes, das, obwohl aus der Theorie nur wenige praktische Anwendungsbeispiele geschaffen werden konnten, bis in die heutige Zeit
wirksam blieb.
211, 212. Gerrit Thomas Rietveld. >Crate
Furniture<: Sessel und Tisch aus
OregonPine, 1934. Stedelijk Museum,
Amsterdam. Die 1934 entworfenen >Crate
Furniture~ konnten von den Käufern
zusammengebaut werden, eine frühe,
äußerst praktische und sicherlich auch billige Form des Cash-andCarry-Möbels.
213. Gerrit Thomas Rietveld, auf der ersten
Version des >Rot-Blau<-Stuhls sitzend,
zusammen mit den Schreinern seiner
Möbel, um 1918.
Rietveld, wie sein Vater Schreiner, hatte
zwischen 1911 und 1915 Abendkurse für
Architektur besucht. Als er den >RotBlau<-Stuh! entwarf - wohl sein berühmtester Möbelentwurf -, war er noch nicht
Mitglied der StijlGruppe.
97
214. Gerrit Thomas Rietveld. Anrichte, um
1919. Stedelijk Museum, Amsterdam.
Die 1919 entstandene Anrichte, von
Godwins Möbeln stark beeinflußt, versucht
von
überlieferten
geschlossenen
Holzkonstruktionen abzugehen. Der
Gesamtkubus des Möbels wird in einzelne
Teile zerlegt.
215. Gerrit Thomas Rietveld. >RotBlau<Stuhl, 1918. Die Neue Sammlung,
München. Frau Schröder (in einem Brief an
Rietveld) über diesen Stuhl: »Aber ein
Stuhl als Möbelstück hat noch andere
Aufgaben als bequem oder >nicht unbequem< auszusehen oder zu sein. Er wie
andere Möbel sollen dazu beitragen, den
Raum eines Zimmers spürbar zu machen,
um
Innenraum
zu
schaffen:
Innenarchitektur als sinnliche Perzeption
von Raum, Farbe, etc. . .32«
98
Das Bauhaus: Synthese von Kunst, Handwerk und Industrie
Aus der Großherzoglich-Sächsischen Kunstgewerbeschule, die Henry van de Velde
1906 gegründet hatte und die noch stark den Ideen von William Morris und John
Ruskin verpflichtet gewesen war, und der Großherzoglich-Sächsischen Hochschule
für bildende Kunst entstand 1919 unter der Leitung von Walter Gropius das
>Staatliche Bauhaus Weimar<, die für die Entwicklung der Architektur und des
Design im zwanzigsten Jahrhundert wichtigste Schule
Um die Anfänge des Bauhauses richtig verstehen zu können, muß man sich die
Situation in Weimar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges vorstellen. Henry van
de Veldes Kunstgewerbeschule war 1916 aufgelöst und als Lazarett benützt worden,
ihre Einrichtungen waren nicht mehr vorhanden. Das Baubaus mußte also ohne
Maschinen und Werkzeuge den Werkstättenbetrieb aufnehmen; er begann zögernd
um 1921/22. Bei allen Fragen der Gestaltung stand deshalb zwangsläufig in den
ersten Jahren die theoretische Arbeit im Vordergrund, da nicht genügend Möglichkeiten existierten, sie in die Praxis umzusetzen. Zunächst zeigten sich verschiedene,
teilweise recht widersprüchliche Stiltendenzen: neben expressionistischen
Einflüssen, denen als Folge der politischen Ereignisse nach dem Krieg fast alle
99
218.
Marcel
Breuer.
Sessel
in
Holzkonstruktion,
Sitzfläche
und
Rückenlehne mit Roßhaargurten bespannt.
Lehrlingsarbeit, 1922. Die ersten Entwürfe
Breuers zeigen noch den Einfluß der
Theorie der Stijl-Bewegung und der
Arbeiten Rietvelds.
219. Marcel Breuer. Bett aus Zitronenholz
mit Nußbaum für das Zimmer der Dame im
>Musterhaus< der Bauhaus-Ausstellung,
Weimar, 1923 (vgl. Abb.221-223).
220. Josef Albers. Sitzungstisch aus heller
und dunkler Eiche für die Einrichtung des
Direktions-Warteraums, Bauhaus Weimar,
1923. Auch bei Albers, der sich in den
ersten Bauhausjahren viel mit Sitzmöbeln
beschäftigt hat, tritt das Konstruktive im
Möbelbau stark hervor.
216. Walter Gropius. Zimmer des Direktors
im Weimarer Bauhaus, 1923. Schreibtisch
aus Kirschbaum, mit Glasregal. Die Möbel
und die konstruktivistische Lampe, von
Gropius entworfen, wurden ebenso wie die
Teppiche in den Bauhaus-Werkstätten von
den Studierenden hergestellt.
217. Photomontage mit Stühlen Marcel
Breuers von 1921-25, veröffentlicht in der
Zeitschrift Bauhaus, Heft 1, 1926.
Unter dem Titel »Es geht uns mit jedem Tag
besser« erschienen. Unterschrift zur letzten
Abbildung: »Am Ende sitzt man auf einer
elastischen Luftsäule.«
bedeutenden Architekten zumindest für kurze Zeit ausgesetzt waren, neigte man
stark fernöstlichem Gedankengut zu. Vor allem aber wurden Züge des durch die
Revolution in Rußland entstandenen Konstruktivismus und der holländischen StijlBewegung zu einer Lehre verschmolzen, die deutlich politischen Charakter trug.
Das Bauhaus verdankte seine Stellung und seine erstaunliche Standfestigkeit gegenüber den Angriffen konservativer Kreise in erster Linie dem diplomatischen
Geschick seines großen Lehrers Walter Gropius (1883-1969, Abb.216), der es verstand, aus einer großen Zahl von Künstlern und Individualisten eine Schule und
schließlich eine Bewegung zu formen. Sein Hauptziel, das schon in der
Zusammenlegung der beiden Weimarer Schulen zum Ausdruck gekommen war, lag
darin, die Trennung zwischen Künstler und Handwerker aufzuheben. Der von
Gropius geforderte Künstler-Handwerker sollte Erfahrung im Umgang mit den
Materialien ebenso besitzen wie Kenntnisse in der Theorie der Formgebung, um
dadurch Gesamtzusammenhänge erkennen und den Gegenständen eine den
Materialien entsprechende Form gehen zu können. So sah der Lehrplan des
Bauhauses zwei parallele Kurse vor, die >Werklehre< und die >Formlehre<.
1925 schrieb Gropius in seinen »Grundsätzen der Bauhausproduktion«: »Das
Bauhaus will der zeitgemäßen Entwicklung der Behausung dienen, vom einfachen
100
Hausgerät bis zum fertigen Wohnhaus. In der Uberzeugung, daß Haus und
Wohngerät untereinander in sinnvoller Beziehung stehen müssen, sucht das Bauhaus
durch systematische Versuchsarbeit in Theorie und Praxis - auf formalem, technischem und wirtschaftlichem Gebiet - die Gestalt jedes Gegenstandes aus seinen
natürlichen Funktionen und Bedingtheiten heraus zu finden ... Ein Ding ist bestimmt
durch sein Wesen. Um es so zu gestalten, daß es richtig funktioniert - ein Gefäß, ein
Stuhl, ein Haus -, muß sein Wesen zuerst erforscht werden; denn es soll seinem
Zwecke vollendet dienen, das heißt, seine Funktionen praktisch erfüllen, haltbar, billig und >schön< sein. Diese Wesensforschung führt zu dem Ergebnis, daß durch die
entschlossene Berücksichtigung aller modernen Herstellungsmethoden, Konstruktionen und Materialien Formen entstehen, die, von der Überlieferung abweichend,
oft ungewohnt und überraschend wirken ... Das Bauhaus will ... einen neuen, bisher
nicht vorhandenen Typ von Mitarbeitern für Industrie und Handwerk heranbilden,
der Technik und Form in gleichem Maße beherrscht ... Das Bauhaus vertritt die
Ansicht, daß der Gegensatz zwischen Industrie und Handwerk weniger durch den
Unterschied des Werkzeuges gekennzeichnet wird, als vielmehr durch die
Arbeitsstellung dort und die Arbeitseinheit hier ... Das Handwerk der Vergangenheit
hat sich verändert, das zukünftige Handwerk wird in einer neuen Werkeinheit aufgehen, in der es Träger der Versuchsarbeit für die industrielle Produktion sein wird.«
Ende 1920 kam Marcel Breuer (geb. 1902), der von Anfang an entscheidend an der
Entwicklung des Bauhausmöbels beteiligt war, als Schüler an das Bauhaus. Seine
Entwürfe zeigten zunächst noch deutliche Einflüsse des Expressionismus, des Stijl
und des Konstruktivismus; sein Hauptinteresse galt jedoch bald den Fragen der
Standardisierung im Möbelbau, dann auch in der Architektur (Abb. 217-219). Schon
1922 stellte er eine modulare Anbauküche vor, eine für die damalige Zeit revolutionäre Neuheit. 1924 übernahm Breuer die Leitung der Möbelabteilung, und mit der
Errichtung des Bauhauses in Dessau (1925-26, Abb. 226-228), wohin die Schule aus
politischen Gründen verlegt werden mußte, bot sich für ihn die erste große
Möglichkeit, seine theoretischen und praktischen Erkenntnisse anzuwenden.
Experimente, wie die neuartige Konstruktion der Stühle in der Aula (Abb. 231) und
der Hocker in der Kantine aus nahtlos gezogenen Mannesmann-Stahlrohren, waren
mit der Ausgangspunkt.
221-223. Räume aus dem >Musterhaus<
der Baubaus-Ausstellung in Weimar, 1923.
221. Blick vom Kinderzimmer durch den
Eßraum in die Küche.
222. Die Küche.
223. Das Zimmer der Dame.
Das Haus wurde nach einem Entwurf von
Georg Muche errichtet. Die relativ kleinen
Räume um das zentrale hohe Wohnzimmer
waren auch in der Höhe niedriger gehalten.
Versuch einer Raumdifferenzierung wie bei
Adolf Loos. Die Möblierung, kubisch und
manchmal massiv, wirkt noch uneinheitlich. Die Kuben im Kinderzimmer sind als
Sitzmöbel, aber auch als >Bausteine< zu
verwenden. Der Wandschrank kann zum
Kasperltheater verwandelt werden.
Das Zimmer der Dame mit Möbeln nach
Entwürfen von Marcel Breuer (vgl. Abb.
219).
101
224. Alma Buscher und Marcel Breuer.
Kinderzimmer in Dresden. Entwurf 1923,
Ausführung 1927.
Die kubischen Möbelformen führen
zwangsläufig
zu
einem
strengen
Raumaufbau, der nur durch die unterschiedliche Farbigkeit gemildert wird.
Der >Wassily<-Stuhl (Abb. 229), Breuers erster Stahlrohrstuhl aus dem Jahre 1925,
ist heute wieder auf den Markt gekommen. Er war aus vernickelten, kaltgezogenen
Mannesmann-Rohren hergestellt, deren Verbindungspunkte verschweißt wurden,
und hatte Gleitkofen. Sein erstes Fahrrad gab Breuer die Anregung, Stahlrohr auch
für den Möbelbau zu verwenden. Er schrieb dazu: »Es schwebte mir damals schon
vor, die dicke Polsterung des Sitzes durch eine Stoffbespannung zu ersetzen. Ebenso
wollte ich einen elastischen und federnden Rahmen. Durch das Zusammenwirken
des gespannten Stoffes mit den elastischen Rahmenelementen sollten die Möbel
mehr Sitzkomfort bieten und doch nicht plump wirken. Auch versuchte ich, eine
gewisse Transparenz der Form zu erreichen und damit eine sowohl optische als auch
physikalische Leichtigkeit. Bei meinen Bemühungen um Serienanfertigung und
Standardisierung stieß ich sehr bald auf poliertes Metall, auf strahlende, reine Linien
im Raum als neue Bestandteile unserer Wohnungseinrichtungen. In diesen glän-
225. Alma Buscher. Spielschrank, 1923.
Bewegliche Kästchen sind als Tisch, Stuhl
und Wagen verwendbar, Schranktüren werden zum Kasperltheater. Die Idee der vielseitigen Verwendbarkeit von Kinderzimmermöbeln wird später immer wieder aufgegriffen
102
zenden und geschwungenen Linien sah ich nicht nur Symbole der modernen Technik, sondern die Technik überhaupt. 33«
Allerdings war die Erfindung des Stahlrohrmöbels keine ausschließliche Angelegenheit Breuers oder des Bauhauses. Die Entwicklung lag in der Luft - vielleicht durch
die Suche nach einer dem Bugholzstuhl ebenbürtigen Konstruktion aus Stahl. Sehr
bald kamen Mart Stam und Mies van der Rohe, beide zwar dem Bauhaus nahestehend, aber zu dieser Zeit nicht angehörend, mit ähnlichen Modellen heraus. Mart
Stam (geb. 1899) nahm 1926 an einer Vorbereitungskonferenz zur WerkbundAusstellung in Stuttgart teil. Bei dieser Gelegenheit beschrieb er einen Prototyp für
einen Stahlrohrstuhl ohne Hinterbeine - das erste Möbel dieser Art, das dann unter
der Bezeichnung >S34< in Serie ging (Abb. 234). Um der Ermüdung des Materials
vorzubeugen, wurden die Metallrohre durch ein zweites, eingeschobenes Rohr verstärkt. Einige Monate später stellte Mies van der Rohe seinen >MR<-Stuhl, einen
226. Walter Gropius. Veranda mit Eßplatz
im Wohnhaus Gropins, Baubaus Dessau,
1925-26. Ausblick auf den Garten und die
Doppelhäuser
der
Bauhausmeister.
Stahlrohrmöbel
und
farbige
Raumgestaltung nach Entwürfen von
Marcol Breuer.
227. Wohnhaus Gropius. Toiletten-Nische
im Gästezimmer. Stahlrohrmöbel von
Marcel Breuer. Neben der Abteilung für
Wandmalerei und der Metall-Werkstatt
(Beleuchtungskörper) war vor allem die
Tischlerei des Bauhauses mit der
Ausstattung der Räume beschäftigt, um die
Ideen Walter Gropius' und seiner
Mitarbeiter für die Gestaltung der
Meisterhäuser und der Wohnateliers für die
Studierenden
zu
realisieren.
»Reibungsloses, sinnvolles Funktionieren
des täglichen Lebens ist kein Endziel, sondern bildet nur die Voraussetzung, um zu
einem Maximum an persönlicher Freiheit
und Unabhängigkeit zu gelangen« (Walter
Gropius34)
228. Walter Gropius und BauhausWerkstätten.
Wohnatelier
eines
Studierenden im Atelierhaus, Bauhaus
Dessau, 1926.
Einfachste Grundausstattung des persönlichen Bereiches der Studierenden vermittelt den Charakter einer >Studierzelle<.
103
229. Marcel Breuer. Stahlrohrsessel, 1925.
Beim ursprünglichen Modell Bespannung
des Sitzes und der Lehnen mit Stoff, ab
1965 von Gavina unter der Bezeichnung
>Wassily< auch mit Lederbespannung produziert. Der erste von Marcel Breuer entworfene Stahlrohrsessel wurde außerhalb
der Bauhaus-Werkstätten entwickelt und
von der Berliner Firma Standard-Möbel,
Lengyel & Co., hergestellt.
230. Josef Albers. Armlehnstuhl, Modell
>ti 244<, 1929, aus Bugholz, Federpolster
und Stahlrohr, auseinandergenommen.
231. Walter Gropius. Aula des Bauhauses
Dessau, 1926. Stahlrohrstühle nach Entwurf von Marcel Breuer; Beleuchtungskörper aus der Metall-Werkstatt, die von
Laszlo Moholy-Nagy geleitet wurde.
Die Aula wurde auch für Versammlungen,
Vorträge und Bühnenveranstaltungen
benutzt. Die Idee des multifunktionalen
Raumes wird durch das optisch.leicht wirkende Stahlrohrgestühl unterstrichen.
232. Walter Gropius. Gesellschaftsraum mit
Cafe-Bar in der deutschen Abteilung der
Internationalen Ausstellung in Paris, 1930,
im Auftrag des Deutschen WerkBundes.
Der deutsche Beitrag (Büchergalerie mit
Lesenischen,
Schreibplatz,
Gymnastikraum)
wurde von Walter
Gropins unter Mitarbeit von Marcel Breuer,
Herbert Bayer und Laszlo Moholy-Nagy
gestaltet. Die durchgehende Verwendung
von Stahl und Glas prägt die kühle, sachliche Atmosphäre des Bauhausstiles, der mit
den ersten Auslandsausstellungen eine
weltweite Wirkung erreichte.
104
wippenden, elastischen Stahlrohrstuhl, auf der Werkbund-Ausstellung vor. Die
Stahlrohrmöbel entsprachen dem Grundgedanken des Funktionalismus, daß die
Form der Funktion folgen solle, ebenso wie den Anforderungen der Serienproduktion. Selbstverständlich suchte das Bauhaus die Zusammenarbeit mit der Industrie, und es war für die Verbreitung der Stahlrohrmöbel von großer Bedeutung, daß
nach anfänglichen, von Breuer außerhalb des Bauhauses mit der Firma Lengyel in
Berlin getätigten Versuchen (Abb. 229) das Weltunternehmen Thonet die Serienfertigung übernahm und den Verkaufserfolg bis in die Zeit des Hitlerregimes sicherstellte. Breuer verließ 1928 das Bauhaus und arbeitete zunächst als Architekt und
Innenraumgestalter in Berlin. Sein Interesse verlagerte sich mehr und mehr auf die
Architektur, wobei er jedoch auch immer wieder Möbel entwarf, die in ihrer
Verwendung von Aluminium und gebogenem Schichtholz neue Wege wiesen (Abb.
236, 237).
Unter der Leitung von Josef Albers (1888-1976) entstanden in der >Ausbauwerkstatt< des Bauhauses Möbeltypen, die konstruktiv klar und für jedermann erschwinglich sein sollten (Abb. 230). Im Vordergrund standen Experimente mit Bugholz und zusammenklappbaren Stahlrohrmodellen. Unter Alfred Arndt (geb. 1898),
bis 1931 Leiter der Werkstatt, gingen die Versuche noch weiter in Richtung der
Anonymität. Arndt hielt, angesichts der schwierigen Wirtschaftslage dieser Jahre,
die Entwicklung eines preiswerten, mit rationellen Methoden gebauten Möbels für
vordringlich. So wurden normierte Bauteile entwickelt und Studien über die
Möglichkeiten der Serienproduktion angestellt; der oft ins Sensationelle strebende
Möbelbau für Ausstellungen spielte kaum noch eine Rolle.
In den Jahren des Höhepunkts am Bauhaus war die Innenwerkstatt eine jener Einrichtungen, deren Zusammenarbeit mit der Industrie am besten funktionierte. Vom
Entwerfer, dem ästhetisch wie gesellschaftskritisch geschulten Designer, führte der
Weg über eine schulische Versuchswerkstatt zur Industrie, die ihrerseits mit Hilfe
modernster, ebenfalls am Bauhaus entwickelter Werbegraphik diese Produkte bekannt machte. Unterstützt wurde die Entwicklung durch die um 1927 einsetzende
weltweite Tätigkeit auf dem Feld der Ausstellungen. Die Werkbund-Ausstellung in
Stuttgart (1927), die Internationale Ausstellung in Paris (1930, Abb. 232), die Bauhaus-Ausstellung in New York (1931) verbreiteten die kühle, sachliche und vielleicht etwas sterile Bauhausatmosphäre über die ganze Welt. Fast überall wurde die
vom Bauhaus kreierte Form des Wohnens von der Avantgarde begrüßt und nachge-
233. Marcel Breuer. Hinterbeinloser Stuhl
mit verchromtem Stahlrohrgestell, Sitz und
Rückenlehne mit Rohrgeflecht auf lackiertem Bugholzrahmen, 1928. Wieder hergestellt seit 1965 von Gavina.
234. Mart Stam. Hinterbeinloser Stuhl
>S34< mit verchromtem Stahlrohrgestell,
1926. Bei der frühen Ausführung sind Sitz
und Rückenlehne mit Leinen bespannt.
Ursprünglich von Thonet hergestellt.
235. Mies van der Rohe. Hinterbeinloser
Sessel >MR< mit verchromtem Stahlrohrgestell, 1926. Ursprünglich hergestellt von
Thonet mit Leinenbespannung, seit 1953
von Knoll International in Leder.
Hans Wingler, der Direktor des BauhausArchivs in Berlin, schreibt dem Autor zur
Frage der Urheberschaft:
»Marcel Breuer hat im Jahr 1925 in Dessau
als erster Stahlrohrstühle konstruiert.
Dieses neue Material ermöglichte eine
Reduktion der Masse. In statischer Hinsicht
waren diese ersten Stahlrohrstühle den herkömmlichen hölzernen Stühlen aber insofern noch nah, als sie auf dem Boden punktuell aufruhten. Um 1927 hatte Mart Stam,
soweit ich sehe als erster, den Gedanken,
für die Konstruktion des Stuhles ein dem
Durchmesser eines marktüblichen Gasrohres entsprechendes Stahlrohr zu verwenden und dieses so zu biegen, daß ein endloses Rohr entstand. Dadurch wurde ein Stuhl
mit freischwingendem Sitz ermöglicht, und
das Gestell ruhte auf dem Boden nun nicht
mehr- punktuell auf, sondern liegend (drei
Seiten eines Vierecks). Der Prototvp des
Stuhles von Mart Stam wurde, soviel ich
feststellen kann, erstmals in der Weißen
Hofsiedlung 1927 gezeigt. Der zur Diskussion stehende Stuhl bzw. Sessel aus dem
105
Jahr 1928, den heute Thonet unter dem
Urhebernamen Mart Stam und Knoll
International unter dem Namen Marcel
Breuer produziert, geht strukturell, also in
der Form des Gestells, offenbar auf die Idee
von Mart Stam zurück, während die Form
und Montage des Sitzes und der Lehne
(Bugholz und Rohrgeflecht) von Breuer
stammen.
236. Marcel Breuer mit Alfred und Emil
Roth. Mehrfamilienhäuser im Doldertal,
Zürich, 1934. Wohnraum mit Blick auf die
Terrasse.
Die Verbindung von Holz- und
Stahlrohrmöbeln, die Öffnung des Wohnraumes auf eine spitzwinklige Terrasse, die
sich aus der Gesamtorientierung der
Mehrfamilienhäuser ergibt, sind ein Beispiel für die Abwandlung der strengen
Bauhaus-Ästhetik in den dreißiger Jahren.
237. Marcel Breuer. Eßzimmer im Haus
Piscator, Berlin, 1927.
Konsequente
Anwendung
der
BauhausÄsthetik
für
eine
Wohnungseinrichtung.
Sparsamer
Gebrauch von Möbeln, klare Wirkung des
kubischen Raumes.
ahmt. 1933 wurde das Bauhaus, das im Jahr zuvor nach Berlin verlegt worden war,
von den Nationalsozialisten geschlossen. Seine Ideen und Methoden blieben jedoch
wirksam: Viele Bauhauslehrer und -schüler gingen an Kunst- und Architekturschulen in Europa und Amerika, wo sie das fortschrittliche Gedankengut weiterentwickelten. Der soziale Hintergrund, den Weimar und Dessau boten, war jedoch zum
größten Teil verloren. Als Idee blieb Walter Gropins' Vorstellung einer Architektengemeinschaft, wie er sie mit der TAC (The Architects Collaborative) verwirklicht
hat.
106
Die Möbel des Internationalen Stils: Mies van der Rohe und Le Corbusier
In der Architektur der späten zwanziger Jahre und der frühen dreißiger Jahre erreichte eine neue Form des Bauens ihren Höhepunkt und klassischen Ausdruck, die sich
schon bei Sullivan und Loos angekündigt hatte und die in der Arbeit des Stijl und
des Bauhauses unmittelbar vorbereitet worden war: der Internationale Stil. Dieser
Begriff wurde 1932 von Henry-Russell Hitchcock und Philip Johnson in ihrem Buch
The International Style, Architecture since 192235 geprägt. Sie schrieben: »An die
Stelle der planlosen und unsicheren Tendenzen des neunzehnten Jahrhunderts, der
konfusen und widersprüchlichen Experimente zu Beginn des zwanzigsten
Jahrhunderts ist eine sinnvolle Entfaltung getreten. Es gibt jetzt ein einziges
Zentrum der Disziplin, straff genug, den zeitgenössischen Stil als Realität einzubeziehen, und doch elastisch genug, individuelle Interpretation zu ermöglichen und
eine allgemeine Entwicklung zu fördern.« Die Grundzüge des Internationalen Stils
definierten sie folgendermaßen: ». . . Erstens wird die Architektur als Volumen konzipiert, nicht als Masse. Zweitens dient nicht die axiale Symmetrie, sondern die
Ordnung als wichtigstes Mittel, dem architektonischen Entwurf Klarheit zu verleihen. Diese beiden Grundsätze, zu denen als dritter die Verurteilung willkürlich angewandter Dekoration kommt, charakterisieren die Werke des Internationalen Stils.«
Die sozialen, ästhetischen und technischen Grundlagen des Internationalen Stils hatten selbstverständlich auch für die Innenraumgestaltung Gültigkeit. So waren die
neuen Raumkonzeptionen und die Prototypen von Walter Gropius, Marcel Breuer,
Le Corbusier, Mies van der Rohe und Alvar Aalto für die Entwicklung des Möbels
von gleicher Bedeutung wie ihre Bauten für die Architektur.
238. Ludwig Mies van der Rohe. Entwurf
für das Haus Gericke, Berlin, 1930. Blick
vom Eßplatz zum Wohnraum und
Wohngarten.
In dieser Skizze wird deutlich sichtbar, wie
Mies van der Rohe mit Möbeln und Raum
eine spannungsreiche Verbindung schafft.
Die wohlproportionierte Kargheit stim;mt
mit seinem Bekenntnis »weniger ist mehr«
völlig überein.
107
239. Hans Scharoun. Haus Schminke,
Löbau/Schlesien, 1932. Blick vom
Wohnraum in den Wintergarten.
Mies van der Rohes >MR<-Stühle passen
auch in das bewegtere Raumkonzept von
Hans Scharoun, einem der wenigen
Architekten, die in der Zeit des
Internationalen Stils durch expressive
Gestaltung die strenge Form kubischer
Räume vermieden. Die hier verwendeten
>MR<-Stühle sind die ersten von Mies van
der Rohe entworfenen Stahlrohrmöbel.
Bereits der erste Möbelentwurf von Mies van der Rohe (1886-1969), der 1926 vorgestellte >MR< -Stuhl aus Stahlrohr (Abb. 235), zeichnete sich durch grazile
Eleganz und eine vollendete, klare Form aus. Beim Bau des deutschen Pavillons
(Abb. 240) auf der Weltausstellung 1929 in Barcelona hatte Mies die Möglichkeit,
seine Raumkonzeption ohne Rücksicht auf praktische Erfordernisse exemplarisch
darzulegen. Es entstand ein architektonisches Kunstwerk von großer Harmonie, das,
obwohl es nach Schluß der Ausstellung abgebrochen wurde, zu den wichtigsten
Bauwerken des zwanzigsten Jahrhunderts zählt. Ganz im Sinne des Stijl war der
Raum fließend gestaltet. Der für die Ausstellung geschaffene >Barcelona<-Sessel
(Abb. 241) hat, zusammen mit den 1930 für das Haus Tugendhat in Brünn entworfenen Möbeln (Abb. 242, 243), Weltruhm erlangt. Hier vereinigten sich Klarheit,
Harmonie, Perfektion in der Wahl der Materialien und in der Verarbeitung auf ideale Weise. Die Möbel Mies van der Rohes wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in
Serie aufgelegt und vielfach kopiert. Mit ihrer monumentalen Eleganz und
Rationalität wurden sie zum Standard der Managerarchitektur und sind kaum noch
aus den Räumen der Generaldirektoren großer Konzerne wegzudenken - ein
Statussymbol unserer Zeit. Le Corbusier (1887-1965) hat nur wenige Möbel entwoffen (Abb. 249-252). Für seine frühen Villen bevorzugte er, nicht zuletzt aus
108
240. Ludwig Mies van der Rohe. Deutscher
Pavillon, Internationale Ausstellung,
Barcelona, 1929. Das klare Raumkonzept
Mies van der Rohes, der >fließende<
Raum, wird durch frei stehende Wände
erreicht. Außen und Innen gehen ineinander
über, die konstruktive Struktur erreicht
Mies durch die Trennung von tragenden
und nichttragenden Elementen.
241. Ludwig Mies van der Rohe. Von links
nach rechts: Sessel in der Art des >MR<Stuhls, jedoch mit Korbgeflecht (vgl.
Abb.235), 1926 von Thonet hergestellt;
>Brünn<-Stuhl, 1930; >Barcelona<-Sessel,
1929; beide mit Gestell aus verchromtem
Bandstahl und lederbezogenen Sitz- und
Rückenkissen. Wieder hergestellt von
Knoll International. Die Ausgewogenheit
und die Präzision im Detail in Verbindung
mit kostbarem Material sind charakteristisch für die >Klassiker< des Möbelbaus
der dreißiger Jahre. Die Originale werden
seit den fünfziger Jahren wieder fabriziert.
Diese anspruchsvollen Möbel werden - in
ihrer Grundform - immer wieder nachgeahmt.
109
242. Ludwig Mies van der Rohe.
Wohnraum im Haus Tugendhat, Brünn,
1930.
Der 15 x 24 m große Wohnraum wird durch
eine Onyx-Fläche und eine halbkreisförmige Wand aus Ebenholz in vier Bereiche
gegliedert (Eingangsbereich, Wohnen,
Arbeiten und Essen). Die abends durch
Vorhänge geschlossenen großen Glasscheiben mit Sicht auf den Garten waren
versenkbar konstruiert.
243. Ludwig Mies van der Rohe.
Hinterbeinloser Sessel, 1930 für das Haus
Tugendhat entworfen, mit Gestell aus verchromtem Bandstahl, Ledergurten und mit
Leder bezogenen losen Kissen. Wieder hergestellt von Knoll International.
Mies van der Rohe erreicht durch die
>schwebende< Konstruktion aus Stahl
auch ohne Mechanismus große Elastizität
und Beweglichkeit.
110
244. Le Corbusier und Pierre Jeanneret.
Halle des >Pavillon de l'Esprit Nouveau<,
Paris, 1925.
»Programm:
das
Kunstgewerbe
verleugnen. Dafür aber bekräftigen, daß
>Architektur< sich vom kleinsten
Gebrauchsgegenstand im Hause bis auf die
Straße, auf die Stadt, ja noch darüber hinaus erstreckt; zeigen, daß die Industrie
durch ein Auswahlprinzip (Serie und
Standard) reine Gegenstände erzeugen
kann; den absoluten Wert des reinen
Kunstwerks erhärten; die radikalen
Veränderungen und die neuen Freiheiten
aufweisen, die der Eisenbeton und der Stahl
für den Entwurf und den Bau unserer
Stadtwohnungen gebracht haben; zeigen,
daß eine Wohnung standardisiert werden
kann, um den >Serien<-Menschen zu
befriedigen« (Le Corbusier 36).
245, 246. Le Corbusier und Pierre
Jeanneret. Villa Savoye in Poissy, 1929-31.
Außenansicht und Wohnraum im ersten
Obergeschoß mit Dachterrasse.
Der
klare
Kubus
des
Hauses
(>Wohnmaschine< - ein oft mißverstandenes Wort) setzt sich von der umgebenden
Grünfläche ab, der Garten wird sowohl im
Erdgeschoß wie auch im obersten Geschoß
durch die Dachterrasse weitergeführt.
111
247. Le Corbusier. Ein Haus in Karthago,
Zeichnung, 1928. Wohnraum mit Galerie
zur Terrasse.
Verbindung von ein- und zweigeschossigen
Räumen mit verschiedener Höhe als
Weiterführung des >Raumkonzepts< von
Adolf Loos. Die Möblierung bleibt sparsam: Die gepolsterten Lehnsessel sowie die
Liege - im Raum eher zufällig hingestellt erscheinen lediglich als Abwandlungen
bestehender Möbel. Rechts im Vordergrund
skizzenhafte Darstellung eines Sessels mit
beweglicher Rückenlehne, wie er von Le
Corbusier später entworfen wurde.
finanziellen Gründen, den Thonet-Stuhl B9, manchmal den anonymen geflochtenen
Korbstuhl, aber auch den einfachen Gartenstuhl oder -tisch aus Eisen. Theoretische
Arbeiten aus der Zeit um 1922, die Entwürfe für die sogenannten >ImmoublesVillas< - Villenblocks, bei denen die Vorzüge des Einzelhauses in Hochhausblocks
ermöglicht werden sollten-, zeigten weite Räume, deren Möblierung eher zufällig
wirkt. Die dort skizzierten Möbel stellen eine sonderbare Mischung aus vorausgeahnten, sehr bequemen Sitzmöbeln und kubischen Kastenmöbeln dar. 1925 wurde
im >Pavillon de l'Esprit Nouveau< (Abb. 244), dem Modell einer Wohnzelle aus den
>Immeubles-Villas<, eine derartige Lösung realisiert. Die Einrichtung war auf ein
Minimum beschränkt; die Kastenmöbel als modulare Elemente eingebaut: der
Mensch sollte >im Raum< und nicht >zwischen Möbeln< leben. Beim 1928 entworfenen Liegestuhl (Abb. 250), der wie die Möbel von Mies van der Rohe in den
späten fünfziger Jahren in Serie ging, fand Le Corbusier eine dem menschlichen
Körper ideal angeglichene und formal vollkommen gelöste Form.
Der entscheidende Beitrag Le Corbusiers liegt in seinem neuen Raumkonzept, das,
von Loos ausgehend, zunächst in den großen Villenbauten verwirklicht wurde. Als
Beispiel kann die 1929-31 erbaute Villa Savoye in Poissy (Abb. 245, 246) stehen:
Das kubische Haus ist vom Boden abgehoben, Räume und Bereiche sind durch
Rampen erschlossen. Der Dachgarten verbindet Haus und Natur, aber der strenge
weiße Baukörper steht im Gegensatz zum umgebenden Grün. Auch in diesen Bauten
wirken die Möbel manchmal als Fremdkörper, als etwas Hineingestelltes - eben
mobil, zum Menschen und nicht zum Bau gehörend.
112
248. Le Corbusier. Bibliothek im Haus
Chorch, Ville d'Avray, 1928/29. Mit
Stahlrohrstühlen nach Entwürfen von Le
Corbusier, Pierre Jeanneret und Charlotte
Perriand. Noch im >Pavillon de l'Esprit
Nouveau< der >Exposition Internationale
des Arts Decoratifs< in Paris, 1925 - für die
weitere Entwicklung des Internationalen
Stils ebenso entscheidend wie Mies van der
Rohes Barcelona-Pavillon - hatte Le
Corbusier für die Sitzmöbel Thonet-Stühle
verwendet. Sicherlich waren es die in der
Stuttgarter Weißenhofsiedlung 1927
gezeigten Stahlrohrstühle, die Le Corbusier
und Charlotte Perriand zu ihren
Stahlrohrmöbeln inspirierten.
249. Le Corbusier, Pierre Jeanneret,
Charlotte Perriand. Tisch, 1928. Seit 1965
wieder hergestellt von Cassina.
Platte und Untergestell sind optisch und
konstruktiv voneinander abgesetzt - die
Übertragung von Architekturvorstellungen
des Internationalen Stils auf die Möbelkonstruktion.
113
250. Le Corbusier, Pierre Jeanneret,
Charlotte Perriand. Stufenlos verstellbare
Liege, 1928. Gestell aus Eisen und vernikkeltem Stahlrohr, Bespannung mit
Fohlenfell oder Stoff. Seit 1966 von
Cassina wieder hergestellt.
Die durch die Krümmung des Stahlrohres
gegebene Form des Oberteils (der Form des
liegenden Menschen angepaßt) ist, da meist
fest mit dem Untergestell verbunden, verstellbar. Allerdings muß sich der Benützer
erheben, wenn er die Neigung verändern
will.
252. Le Corbusier, Pierre Jeanneret,
Charlotte Perriand. >Fauteuil grand confort<, 1928. Gestell aus vernickeltem
Stahlrohr und Federkissen mit Lederbezug.
1929 von Thonet hergestellt, seit 1965 von
Cassina. Optisch kompakt wirkendes kubisches Möbel, das in seiner Formensprache
der Architektur Le Corbusiers am nächsten
kommt.
251. Le Corbusier, Pierre Jeanneret,
Charlotte Perriand. Sessel mit drehbarer
Rückenlehne,1928. Gestell aus verchromtem Stahlrohr, Armlehnen schwarze
Ledergurte, Sitz und Rückenlehne mit
Kalbfell bespannt. 1929 von Thonet hergestellt, seit 1965 von Cassina.
Die Beweglichkeit der Rückenlehne ergibt
sich auf einfache Weise durch Drehung
(Befestigung an zwei Punkten). Diese
Konstruktion steht - mit ihrer kubischen
Grundform und ihren vier Beinen - im
Gegensatz zu den federnden Kufensesseln
Mart Stams oder Marcel Breuers.
114
Die Möbel für den sozialen Wohnungsbau der Zwischenkriegszeit
Nach dem Ersten Weltkrieg liefen angesichts der wirtschaftlichen Notlage in
Deutschland und Österreich Programme staatlicher und kommunaler Behörden an,
Wohnbauten für breite Bevölkerungsschichten zu finanzieren. Derartige
Volkswohnungen wurden mit städtischer Unterstützung sowohl in Wien erstellt, wo
die sozialdemokratische Gemeindeverwaltung einen Ersatz für den privaten
Wohnungsbau der Vorkriegszeit schaffen wollte, als auch in Frankfurt am Main
durch den von Oberbürgermeister Dr. Ludwig Landmann zum Stadtbaurat ernannten Architekten Ernst May (Abb. 253). In ihrer Architektur stark von den holländischen Bauten um 1917 beeinflußt, waren die Wohnungen wohl nach den neuesten
Gesichtspunkten geplant, jedoch auf ein Minimum an Wohnfläche beschränkt. Die
schmalen Treppenhäuser, die geringen Raumhöhen und die bescheidenen Ausmaße
der Wohn- und Schlafzimmer gestatteten kaum eine Einrichtung mit den auf dem
Markt befindlichen Möbeln, so sehr sich auch die Architekten um wirtschaftliche
und menschliche Lösungen bemühten.
Die damals von der Industrie angebotenen Möbel waren für bürgerliche Verhältnisse
bemessen, sie verstellten den ohnehin knappen Raum in den Sozialwohnungen.
Lediglich die Dessauer Werkstatt des Bauhauses hatte bisher Versuche unternommen, Möbelsysteme mit begrenztem Raumbedarf zu entwickeln. In Frankfurt
begann man zunächst, altes Mobiliar zu zerlegen und unter Anleitung von
Architekten umzubauen. Später ließ die Stadtverwaltung in einer leerstehenden
Kaserne Maschinen aufstellen und arbeitslose Schreiner nach einem Wettbewerbsentwurf des Architekten Ferdinand Kramer kombinierbare Möbel aus Sperrholz fertigen (Abb. 255-258). Der Serienproduktion von Sperrholzmöbeln standen keine
technischen Hindernisse mehr im Weg, da die im Flugzeugbau während des Ersten
Weltkrieges gewonnenen Erfahrungen in der Holzverarbeitung auf den Möbelbau
übertragen werden konnten. Die Möbel wurden von der städtischen gemeinnützigen
Gesellschaft angeboten, und ihr Verkaufserfolg war außerordentlich groß. 1927
wurde Franz Schuster (1892-1976) von Ernst May nach Frankfurt am Main berufen
und übernahm 1928 die Leitung der Fachklasse für Wohnungsbau und
Innenausstattung an der Kunstgewerbeschule der Stadt Frankfurt. Er war Schüler
254
253
253. Ernst May und E. Kaufmann.
Wohnraum in der Siedlung Praunheim,
Frankfurt am Main, 1928. Thonet-Stuhl
von Ferdinand Kramer für Schulen und
Kindergärten der Stadt Frankfurt 1927 entworfen. Ernst May konnte 1925-30 ein vorbildliches Modell sozialdemokratischer
Planungs- und Sozialpolitik realisieren.
Bekannt wurde es unter dem Namen >Das
Neue Frankfurt<. Für den knappen Raum in
den
Wohnungen,
die
auf
das
Existenzminimum konzipiert waren, mußten sowohl preislich als auch größenmäßig
bescheidene Möbel konzipiert werden.
254. Ausstellung der württembergischen
Arbeitsgemeinschaft in der städtischen
Siedlung Stuttgart-Wangen. Möbel aus der
Serie >Anbaumöbel< nach Entwurf von
Walter Gropius, 1929, Stühle und Sessel
von Thonet, Ruhebett und Klapptischchen
Handelsware.
Ein
bemerkenswerter
Versuch, die neuen einfachen Kastenmöbel
mit bereits auf dem Markt befindlichen
Produkten zu kombinieren, um eine preiswerte, aber formal befriedigende Einrichtung zu schaffen.
257. Ferdinand Kramer. Anrichte, 1926.
Seit 1928 durch das Kaufhaus Obernzenner
in Frankfurt verkauft.
1928 erscheint in Heft 1 der Zeitschrift Das
neue Frankfurt Kramers Artikel »Individuelle oder typisierte Möbel«, in dem er als
Voraussetzung für den sozialen Wohnbau
die Serienherstellung typisierter Produkte
fordert.
115
256. Ferdinand Kramer. Ausziehbare und
aufklappbare Beistelltische aus Holz, 1925.
Einfache Möbelformen, die eine Verwandtschaft mit den Möbeln der Wiener Schule
zeigen.
255
256
255. Ferdinand Kramer. Schreibtisch mit
zwei Schubladen, Hocker mit Sitz aus
Rohrgeflecht, 1925.
des an der Wiener Kunstgewerbeschule lehrenden Heinrich Tessenow gewesen und
hatte sich in Wien um die Errichtung der >Gartenvorstadt< am Laaer Berg, einer
Reihe kleiner Siedlungshäuser, verdient gemacht. Im Zusammenhang mit der Einrichtung der von Ernst May gebauten Siedlungen (Abb. 259, 260) wurde von
Schuster die Frankfurter Stelle der >Deutschen Hausratgesellschaften< künstlerisch
betreut, die satzungsgemäß den Auftrag hatten, »alle diejenigen mit preiswerten,
gediegenen und geschmacklich einwandfreien Wohnungseinrichtungen und Einzelmöbeln im Wege des sozialen Teilzahlungsverkaufes zu versorgen, denen es schwerfällt oder unmöglich ist, auf andere Weise ihren Bedarf an Hausrat zu decken«. Um
mit wenigen Grundelementen möglichst rationell vielfältige Möbelformen anbieten
zu können, entwickelte Schuster die >Aufbaumöbel< (Abb. 23). Sie wurden erst in
der städtischen Tischlerwerkstätte hergestellt und über die Hausratgesellschaft auch
in Möbelgeschäften verkauft, später übernahm die Firma Erwin Behr in Württemberg den Vertrieb. Schuster gab genaue Richtlinien für die Präsentation seiner Aufbaumöbel in Ausstellungen heraus, die sich über den Grundriß hinaus auch intensiv
258. Ferdinand Kramer. Eßraum im
Reihenhaus von J.J.P. Oud. WerkbundAusstellung >Die Wohnung<, Weißenhofsiedlung, Stuttgart, 1927.
In der Weißenhofsiedlung standen Kramers
Einrichtungen in den Häusern von Mies
van der Rohe und J.J.P. Oud.
»Diese Bauten sollten nicht auf jeden Fall
neuartig wirken, sie verwenden das Glas
nur bis zur Grenze, wo die Wohltat Plage
wird, sie haben genau die Wohnmasse, wie
sie für Proletarierfamilien denkbar und
wünschenswert sind ... Daß auch Inneneinrichtungen gezeigt werden, sei nebenher
erwähnt. Für billige Massenherstellung ist
nur die Einrichtung des Dessauer Bauhauses, vielleicht auch die von Ferdinand
Kramer, Frankfurt a. M., zu empfehlen. 37«
257
258
116
259. Franz Schuster. Wohnraum eines
Siedlungshauses in Frankfurt am Main,
1928
mit der gesamten Raumgestaltung, der Farbgebung, mit Textilien und Beleuchtungskörpern befaßten. Für die ungeschulten Bewohner der Kleinstwohnungen wurden
damit diese Ausstellungen zum Vorbild für ein neues Wohnen.Franz Schuster
schrieb 1932 über seine Möbel: »Die Idee der Aufbaumöbel hat sich in allen
Ländern, die Möbel für die neuen Wohnungen des sozialen Wohnungsbaues auf den
Markt bringen, seit vielen Jahren durchgesetzt. Sie bieten dem Käufer die Möglichkeit, die verschiedensten Wohnanforderungen mit wenigen Grundmöbeln zu befriedigen, mit denen er sich die günstigste Einrichtung seiner Räume wunschgemäß
zusammenstellen und ergänzen kann. Er wird dadurch vom Zwang der Garnitur frei
und auch das Einzelmöbel findet so für verschiedene Zwecke abwechslungsreiche
260. Franz Schuster.
Eckplatz im Wohnzimmer eines Siedlungshauses in Frankfurt am Main, 1928.
»Auch bewegliche Möbel lassen sich durch
Zusammenschluß straffer organisieren. Iu
einer solchen, ihn nicht bedrängenden
Umgebung lebt der Mensch auch geistig
freier und gewinnt den Dingen gegenüber
Haltung« (Walter Müller-Wulckow38).
117
261. Grete Schütte-Lihotzky. >Frankfurter
Küche<, 1926.
Grete Schütte-Lihotzky versucht, den
Aufbau der Küche vom Arbeitsablauf her
zu organisieren: größte Leistungsfähigkeit
bei geringstem Kraftaufwand.
262. Grete Schütte-Lihotzky. Einzimmerwohnung einer berufstätigen Frau,
Frankfurt am Main, 1926/27.
Uber einen abgetrennten Vorplatz gelangt
man in einen Wohn-Schlafraum. Eingebauter Wandschrank (rechts), Koch- und
Waschnische an der Rückwand.
und praktische Verwendung. Der genügend breite Nachtkasten wird Schuhschrank,
im Kinderzimmer Spielzeugkastel und im Flur kleine Kommode mit Spiegel. Der
Abstelltisch mit und ohne Lade oder Vorhang findet ebenfalls mannigfache Verwendung und wird zum Klapptisch ergänzt, der leicht bewegliche, den Raum nicht verstellende Eßtisch. Aus Kommode, Schreib- und Bücherregal und Kasten kann man
die verschiedensten Möbelgruppen für das Wohn- und Schlafzimmer zusammenbauen, und so wird der Bewohner selbstschöpferischer Mitgestalter seiner Wohnung. Die Untersuchungen, die später in Dänemark und Schweden über Möbelmaße
und -normen durchgeführt wurden, stützten sich weitgehend auf die Idee des
Schusterschen Aufbaumöbels. Auch die frühe Nachkriegsproduktion an einfachen
Möbeln in Deutschland und Österreich läßt sich auf die Möbel Schusters zurükkführen. Ernst May holte 1925 die Architektin Grete Schütte-Lihotzky aus Wien als
seine Mitarbeiterin in das Frankfurter Hochbauamt, wo sie sich vor allem um die
Entwicklung von standardisierten Küchen bemühte. Ihr erster Küchentyp wurde
etwa ein Jahr später im Frankfurter Rathaus der Öffentlichkeit vorgestellt und in
einer Etagenwohnung in Frankfurt-Niederrad eingebaut (Abb. 261). Nach
Aufnahme der Serienfertigung konnten jährlich 4000 bis 5000 >Frankfurter
Küchen< den Bewohnern übergeben werden, wobei es gelang, den Preis pro Küche
von 400 auf 280 Mark herunterzudrükken. Diese Kosten wurden den Baukosten
zugeschlagen und auf die Miete umgelegt, die sich nur um eine Mark gegenüber den
Wohnungen ohne Kücheneinrichtung erhöhte. Die >Frankfurter Küche< trat als
Vorbild für ein preisgünstiges Fertigteilmöbel den Siegeszug in all jenen Ländern
und Städten an, die der Entwicklung des sozialen Wohnungsbaues ihre Aufmerksamkeit schenkten. Die sehr einfach gehaltenen, kombinierbaren Aufbaumöbel
Franz Schusters, die Sperrholzmöbel Ferdinand Kramers und die Küchen Grete
Schütte-Lihotzkys gaben ebenso wie die Anbaumöbel von Walter Gropius (Abb.
254) und die am Bauhaus unter Arndt entwickelten Möbeltypen breiten Bevölkerungsschichten die Möglichkeit, für wenig Geld ein formal ausgezeichnetes
Wohngerät zu kaufen, das sie nach ihren Wünschen aufstellen konnten. Die
Konsumgesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg ist von diesem Weg zum sozialen
Möbel abgegangen - daran war zu wenig zu verdienen. Das Prinzip des
Anbaumöbels wurde allerdings konsequent fortgeführt: Variabilität ist heute bei
Einbauküchen und Schrankwänden eine Selbstverständlichkeit.
118
Das skandinavische Möbel auf dem Weg von der
Anonymität zur Weltgeltung
In der Entwicklung des skandinavischen Möbels zeigen sich deutliche Parallelen zur
gesellschaftlichen Entwicklung dieser Länder. Im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert erfreuten sich Schweden und Norwegen langer Friedensperioden,
die Auseinandersetzungen Dänemarks mit seinen Nachbarstaaten berührten kaum
die Gesellschaftsstruktur. Finnland wurde nach fast fünfhundertjähriger
Zugehörigkeit zu Schweden 1809 autonomes Großfürstentum innerhalb des russischen Reiches. Der Kampf um politische Selbständigkeit und die Suche nach nationaler Identität ließen Kunst und Künstler relativ früh einen eigenen, neuen Weg
gehen, der sich an der Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert in der
finnischen Nationalromantik artikulierte. Allen vier Ländern war eine Wohnkultur
gemeinsam, die sich auf bäuerliche Tradition und bürgerliche Repräsentation stützte. So basierten die behäbigen Möbel einerseits auf solidem bäuerlichem Wohngerät;
andererseits wurden die englischen Möbel des achtzehnten Jahrhunderts ebenso
kopiert wie später die Interieurs des Klassizismus. Die vergleichsweise späte
Industrialisierung und die geringe Bevölkerungsdichte trugen sicher zur gesellschaftlichen Stabilität bei und schufen, anders als zum Beispiel in Deutschland, von
Anbeginn keinen dringenden Anlaß zur Suche nach neuen Wohnund Möbelformen.
Als jedoch nach dem Ersten Weltkrieg ein gemäßigter Sozialismus Hand in Hand
mit der Industrialisierung die Gesellschaftsstruktur zu verändern begann, wandelten
sich auch die seit Jahrzehnten fixierten Wohnvorstellungen. Wenn auch in den zwanziger und dreißiger Jahren die >technischen< Wohnideen des Bauhauses weltweit
ausstrahlten, so war doch das Wiener Möbel der Zwischenkriegszeit das wesentlichste Vorbild für das neue skandinavische Möbel. Allerdings war das Wiener
Möbel unter ganz anderen Voraussetzungen entstanden: Der Reichtum des Fin de
siecle war der Armut der Nachkriegsrezession gewichen, die Wiener Werkstätte
mußte aus Kapitalmangel schließen. Bedeutende Entwerfer und qualifizierte
Handwerker, einer großen Vergangenheit verpflichtet, gaben den nun bescheideneren Möbeln den stillen Reiz später Formfindung. Eine Tradition, die sich bis ins
Biedermeier zurückverfolgen läßt, verneinte das Revolutionäre des Bauhausmöbels
und hielt sich an die Beschwingtheit einer heiteren, reifen Kultur. Die Möbel der
Wiener Schule fanden, trotz der eher bescheidenen Erfolge im eigenen Land, vor
allem durch Veröffentlichungen in deutschen Fachzeitschriften ihren Weg in den
Norden. Auch die industriellen Formen des Thonet-Möbels, in Skandinavien heute
noch >Wiener Stuhl< genannt, und die aus sozialen Notwendigkeiten entstandenen
theoretischen und praktischen Arbeiten Franz Schusters waren für den Beginn des
neuzeitlichen Möbelbaues in Nordeuropa maßgebend. Alvar Aalto, der große finnische Architekt und Möbelentwerfer, betonte häufig, welche Bedeutung den
Vorlesungen über die Arbeit der Wiener Werkstätte und Josef Hoffmann, die er während seines Studiums in Helsinki gehört hatte, für sein Werk zukam.
Eines ist den skandinavischen Möbeln bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg
und den Wiener Möbeln der Zwischenkriegszeit gemeinsam: ihr Zustandekommen
resultierte unmittelbar aus der engen Zusammenarbeit zwischen Entwerfern,
Handwerkern und Herstellerbetrieben mittlerer Größe. In den kleinen skandinavischen Ländern ohne allzu große Industrie war noch die handwerkliche
263. Carl Malmsten. Schrank in Birke mit
Glasaufsatz, 1953.
Form, aber auch Funktion dieses Möbels
wurden - wie bei vielen anderen Entwürfen
Malmstens - von bürgerlichen Wohnvorstellungen des späten achtzehnten oder
frühen neunzehnten Jahrhunderts übernommen. Seine Entwürfe wurden zum Teil in
einer eigenen Werkstätte gefertigt, er unterhielt später sogar einen eigenen Verkaufsladen mit großen Ausstellungsräumen.
119
265. Zeichnung aus dem Handbuch Möbelråd der >Svenska Slöjdföreningen<, 1961.
Neben Hinweisen auf Funktion, aber auch
auf übliche Prüfmethoden über Qualität
gibt das Handbuch, das laufend erneuert
wurde, Hinweise auf etwa 450 qualitätsgeprüfte Möbel mit einer Einteilung in
Preisgruppen. Die Prüfmethoden für die
technische Qualität der Möbel haben
sowohl in Schweden als auch in Dänemark
einen hohen Standard erreicht.
266. Erik Gunnar Asplund. WerkbundAusstellung in Stockholm, 1930.
Durch das Vorbild dieser Bauten fand die
Formensprache des Internationalen Stils
auch in Schweden ihre Verbreitung. Die
starken Impulse, die von dieser Ausstellung
ausgingen, wurden ebenso für die
Architektur wie für den Möbelbau bestimmend
264. Josef Frank. Sekretär in grünem
Schleiflack,
Inneneinrichtung
des
Schreibfaches aus Makassar-Ebenholz und
Kirschbaumholz, vor 1935. Frank, der wie
Malmsten aus der Tradition des Bürgertums
kam, brachte nicht nur die eleganten
Proportionen der Möbel aus der Wiener
Schule nach Schweden, sondern - mit der
Farbgebung der Möbelbezüge und Vorhänge - auch viel von der freundlichen >Haus
und Garten<-Atmosphäre. Wie Malmsten
verwendete er auch Intarsien, um die einfachen Kuben der Möbel zu beleben.
Uberarbeitung . In den kleinen skandinavischen Ländern ohne allzu große Industrie
war noch die handwerkliche Uberarbeitung industrieller Produkte möglich , die den
Möbeln und damit den Räumen ihre persönliche Atmosphäre gab und so zum
Beispiel dem Teakholzstil Dänemarks nach dem Zweiten Weltkrieg zum Erfolg verhalf. Die Gefahr der Existenzvernichtung durch eine technisch perfekte Kriegsmaschinerie war besonders in Europa jedem vor Augen geführt worden; als
Reaktion darauf wandte man sich wieder handwerklicher Arbeit und der Wärme
eines natürlichen Materials zu. Man war aber auch der theoretischen und revolutionären Überlegungen müde geworden. Ein neuer Regionalismus, der sich in einer
ganzen Reihe von Heimatstilen äußerte, zeichnete sich vorerst in Architektur und
Wohnform ab.
120
Die Entwicklung in Schweden
Carl Malmsten (1888-1972), der Wegbereiter des modernen schwedischen Möbels,
stammte aus einer bürgerlichen Familie; trotzdem beschloß er, Handwerker zu werden. Als seine Lehrmeister bezeichnete er die freie Natur und die alte schwedische
Wohnkultur, die er in Museen ausführlich studierte. Beeinflußt von der >Arts and
Crafts<-Bewegung, sah er sein Ziel darin, abseits aller modernen Strömungen den
Menschen ihre Wohnung schön und praktisch einzurichten. Wie William Morris war
Malmsten Pädagoge, Philosoph und Künstler. Er versuchte, eine Fachhochschule für
Handwerk und Volkskunst zu gründen, und noch in seinen letzten Lebensjahren
konzipierte er Schulen, die abseits der Städte künstlerische und handwerkliche
Kräfte vereinigen sollten. Im Grunde zeichnete er den charakteristischen Weg des
nordischen Möbels vor: eine kultivierte Handwerkskunst, funktionsgebunden, die
sich jedoch der positiven Möglichkeiten der industriellen Produktion auch in stilistischer Hinsicht bediente. Malmsten verzichtete keineswegs auf die Tradition, er
übernahm sie aber auch nicht kritiklos; vielmehr bemühte er sich um die Übersetzung alter Formen in die Welt des zwanzigsten Jahrhunderts. Für die Entwicklung
in Schweden sind nicht so sehr seine ausgewogenen, rein handwerklich-konservativen Intarsienarbeiten bestimmend, sondern seine schlichten Möbel aus einheimischem Föhrenoder Birkenholz sowie seine Entwürfe für die Serienproduktion.
Malmsten modifizierte die >Neue Sachlichkeit<. Die von ihm entworfenen Möbel,
durch Jahrzehnte gleichbleibend, werden heute noch gekauft (Abb. 263) Gunnar
Asplunds großartige Hallenbauten aus Stahl und Glas für die Stockholmer
Werkbund-Ausstellung von 1930 (Abb. 266), an der allerdings Carl Malmsten aus
prinzipiellen Gründen nicht teilnahm, übten auf junge Entwerfer wie zum Beispiel
Bruno Mathsson (geb. 1907) einen starken Einfluß aus (Abb. 267). Mathssons auf
gründlichen Studien beruhende Entwürfe für körpergerechte Stühle (Abb. 268-272),
im Konzept zwischen 1933 und 1934 entstanden, werden bis heute gebaut. Das
Prinzip blieb immer gleich: Der gesondert hergestellte Sitz mit Rahmen aus
Formholz ruht auf einem federnden Gestell aus Schichtholz. Josef Frank (18851967), der 1934 aus Wien nach Stockholm ging, arbeitete dort bis an sein
Lebensende mit der Firma >Svenska Tenn< zusammen. Aus der >Haus und
Garten<-Atmosphäre seiner Wiener Tätigkeit brachte er die spielerische
Leichtigkeit, die Sinnenfreudigkeit, den Charme des Wiener Möbels mit, aber auch
jene Disziplin, die nach dem Krieg für die Serienproduktion notwendig war (Abb.
264). Die starken theoretischen Hintergründe seiner Arbeit gingen sicherlich auf die
Ideen des Deutschen und Österreichischen Werkbundes zurück. Nach dem Zweiten
Weltkrieg wurde Schweden beispielgebend für einen gemäßigten Sozialismus. Der
hohe Lebensstandard zeigte sich in den Wohnungen der Satellitenstädte, in den
Schul- und Fürsorgezentren. Durch breit angelegte Auflklärungs- und
Erziehungsarbeit versuchte man, die gesamte Bevölkerung für zeitgemäßes Wohnen
267. Bruno Mathsson. Eigenes Sommerhaus in Frösakull, Halland, 1961.
Mathsson entwarf zwischen 1945 und 1958
Ferienhäuser in einfachster Konstruktion mit Holzrahmen oder Betonscheiben -,
ohne Unterkellerung und mit großen
Glasfenstern.
268-272. Bruno Mathsson. Entwürfe für
Stühle.
268. Klubsessel mit Gurtenbespannung,
1934, Fußteil und Leseplatte 1935 entworfen.
269. Die drei Grundformen des MathssonStuhls. Sitz und Rückenlehne mit einem
Rahmen aus Massivholz und Gurtenbespannung, Untergestell aus Schichtholz,
1933-35. 270. Armstuhl aus Massivholz mit
Gurtenbespannung für ein Spital, 1931.
271. Sessel mit Armlehnen, 1942.
272.
Arbeitsstuhl
Rückenlehne, 1948.
mit
erhöhter
»Der entscheidende Wendepunkt in der
Entwicklung von Bruno Mathsson trat in
den Jahren 1933 und 1934 ein. In diesen
Jahren führte er seinen ersten Leitgedanken
aus und stellte ihn (der Öffentlichkeit) vor.
Dieser entstammte einer Untersuchung der
Beziehungen zwischen Stuhlsitz, Rückenlehne und Fußboden. Außerdem löste er
sich von der allgemeinen Vereinfachung
des Funktionalismus. Er unterteilte den
Stuhl in einen oberen Teil, bestehend aus
Sitz und Rückenlehne, und einen unteren
Teil, bestehend aus den Beinen« (Elias
Cornell39).
121
122
zu engagieren. Gemeinnützige Vereinigungen übernahmen es, gute Möbel preiswert
herzustellen und unter Ausschaltung des Möbelhandels zu vertreiben. Der schwedische Konsumentenverein KF gründete ein eigenes Architekturbüro, eine
Einrichtungsberatung und eigene Möbelwerkstätten, außerdem richtete er Schulen,
Laboratorien und Bibliotheken ein. Das Möbelhandbuch Möbelrad (Möbelberatung
des schwedischen Werkbundes), von einer Jury bekannter Architekten und Designer
redigiert, weist nicht nur auf preiswerte und formschöne Produkte hin, sondern gibt
Hinweise über Funktion, Maße, Größe und einfache Einrichtungsbeispiele
(Abb.265). Diese >Bibel des Wohnens<, voll Verantwortung gestaltet, kann in der
Hand des Konsumenten eine hervorragende Rolle spielen. Darüber hinaus werden
in den Schulen Probleme der Einrichtung an die Kinder herangetragen und damit
schon der Jugend Verständnis für vernünftiges Wohnen nahegebracht.
Der Teakholzstil Dänemarks
Der Architekt Kaare Klint (1888-1954), der noch aus der neoklassizistischen
Tradition kam, begründete die Entwicklung zum modernen dänischen Möbel. 1924
übernahm er die neu eingerichtete Möbelklasse der Architekturschule an der
Kopenhagener Kunstakademie. Neben seinem Studium des englischen Möbels aus
dem achtzehnten Jahrhundert, dessen Formen ihn begeisterten, betrieb er systematisch Untersuchungen über theoretische Grundlagen, physiologische Richtigkeit und
Zweckmäßigkeit von Möbeln. In diesen Jahren entstanden bereits erste
123
275. Kaare Klint. Stuhl, 1936. Hergestellt
von Fritz Hansens Eft.
Klint gelang es, überlieferte Typen mit
wenigen Änderungen den ästhetischen
Forderungen der Gegenwart anzupassen.
276. Eßzimmer mit Möbeln von Kaare
Klint. Die schlichten, handwerklich hervorragend gearbeiteten Möbel fügen sich
durchaus in Räume ein, deren Konzeption
noch überlieferten Gesetzen folgt. Klint
versuchte, >zeitlose< Gebrauchsstücke zu
schaffen.
273. Knud Friis und Elmar Moltke Nielsen.
Wohnraum eines dänischen Einfamilienhauses, 1958. In der Mitte die >Safari<Sessel von Kaare Klint, 1933, aus massivem Holz mit Leinen- oder Lederbespannung. Hergestellt von Rud. Rasmussens Snedkerier. Zweckmäßigkeit und
Bequemlichkeit in den nun kleinen
Wohnräumen treten an Stelle der repräsentativen Wohnvorstellungen der Jahrhundertwende. Das praktische Einzelmöbel, in freier Aufstellung, verdrängt oftmals die komplette Zimmereinrichtung.
274. Kaare Klint. Anrichte, 1933.
Hergestellt von Rud. Rasmussens
Snedkerier. Einen ähnlichen Geschirrschrank hatte Klint schon 1926 auf einer
Ausstellung gezeigt. Der Entwurf basiert
auf gründlichen Untersuchungen über den
Raumbedarf für Geschirr und Besteck in
einem Schrank. Klint konnte in seinem
Möbel etwa doppelt so viel unterbringen
wie in einem herkömmlichen Schrank.
Zeichnungen von Kastenmöbel-Bausystemen. Kaare Klint war kein Revolutionär.
An der Kunstakademie bemühte er sich, gute und bewährte Möbelformen vergangener Epochen als Grundlage für zeitgemäße Möbel zu übernehmen, wenn deren
Schlichtheit und Zweckmäßigkeit modernen Auffassungen nahe kamen. Er und
seine Schule sahen im Möbel kein ideologisches Manifest. Tradition und
Funktionsgebundenheit waren die Ausgangspunkte seiner Lehre. Kaare Klint wollte ein zeitloses Gebrauchsstück, ein >Werkzeug zum Wohnen< schaffen (Abb.273276).
Wichtige Anregungen bezogen die dänischen Möbelentwerfer auch von der jährlichen Ausstellung der Kopenhagener Tischlergilde, die 1927 zum ersten Mal stattfand. Mit dieser Veranstaltung wollten die Handwerker eine Auseinandersetzung mit
der rasch wachsenden, in der Gestaltung ihrer Produkte sehr konservativen
Möbelindustrie aufnehmen. Allerdings riefen die ersten ausgestellten Möbel,
Stilmöbel und Phantasieprodukte, scharfe Kritik der Presse und jener Architekten
hervor, die die Entwicklung praktischer und einfacher Möbel als ihre Hauptaufgabe
ansahen. Von 1930 an wurden vor jeder Ausstellung Preise für die besten Vorschläge
für neue Möbeltypen ausgeschrieben. Die prämierten Möbelskizzen wurden dann in
Zusammenarbeit mit den Entwerfern realisiert- damit begann die für das dänische
Möbel so entscheidende enge Zusammenarbeit von Designern und Architekten mit
Handwerkern. Eine große Zahl der heute bereits als klassisch geltenden dänischen
Möbel, die in allen Kunstgewerbemuseen der Welt zu sehen sind, erlebte auf diese
Weise ihre Premiere; viele Entwürfe bildeten außerdem die Grundlage für eine spä-
124
277. MagnusStephensen.Sessel, 1931.Fritz
Schlegel. Aufbaumöbel, 1932. Hergestellt
von Fritz Hansens Eft.
Erste Versuche in Dänemark, die überlieferte Form des Stuhles zu verändern:
Konstruktivistische Formen verbinden sich
mit dem bewährten Bugholzverfahren.
Die
kubischen
Kastenmöbelals
Aufbaumöbel geplant - zeigen bereits in der
Detaillierung die spätere Gestaltungskraft
dänischer Möbelentwerfer.
278. Fritz Schlegel. Bugholzstuhl, 1930.
Hergestellt von Fritz Hansens Eft.
Wie die Architekten des Internationalen
Stils griffen auch die Pioniere des dänischen Möbels vorerst auf das bewährte,
durch die Serienfabrikation formal vereinfachte Bugholzverfahren zurück. Der Stuhl
ähnelt stark dem von Ferdinand Kramer für
ThonetMundus entworfenen Schul- und
Kindergartenstuhl (1927).
281. AX-Stühle und Tisch in der Halle einer
Volksschule bei Kopenhagen.
Die AX-Stühle wurden nach dem Verfahren, das zur Herstellung von Tennisschlägern gebräuchlich ist, erzeugt: Buchenholzlamellen um einen Mahagonikern
geleimt. Beine und Armlehnen wurden
durch Rundstäbe mit der Rückenlehne verbunden. Sitz und Rückenlehne bestehen aus
einer mit Stoff oder Leder bezogenen
Polsterung.
277
278
279
125
280
279. Sören Hansen. Bugholzstuhl, 1930.
Hergestellt von Fritz Hansens Eft.
Eine der wenigen tatsächlich neuen Ideen
für das - in der Weiterentwicklung von
Formen - stagnierende Bugholzverfahren.
280. Peter Hvidt und O. Molgaard Nielsen.
AX-Stuhl aus Buche und Mahagoni, mit
Stoff- oder Lederbezug, 1950. Hergestellt
von Fritz Hansens Eft.
tere Serienproduktion. Vom Erfolg der Tischlergilde angeregt, trat Ende der dreißiger Jahre die Möbelindustrie ebenfalls mit Ausstellungen an die Öffentlichkeit. Die
ersten von ihr gezeigten Zimmereinrichtungen im >Pseudostil< stießen dabei auf
harte Kritik. Dennoch lernte auch die Industrie aus der Auseinandersetzung mit den
Architekten und der Fachpresse.
Die Entwicklung der dänischen Möbelindustrie ist vielleicht am deutlichsten am
Beispiel der Firma Fritz Hansen nachzuvollziehen.1872 vom Schreiner Fritz Hansen
gegründet, spezialisierte sie sich auf Holzdeckenarbeiten und die Herstellung von
Rahmen aus Holz oder Eisen für Polstermöbel. Es handelte sich um eine für diese
Zeit typische Fabrikproduktion: Möbel, die handwerkliche Fertigung imitierten,
teuer aussahen, aber relativ billig angeboten werden konnten. Ch. E. Hansen, der
Sohn des Firmengründers, versuchte sich zwischen den beiden Weltkriegen in der
Herstellung von gebogenen Holzteilen für Stühle nach dem Vorbild des ThonetVerfahrens. Fritz Schlegel (1896-1965) und S0ren Hansen (geb. 1905) brachten
hierfür brauchbare Entwürfe heraus, die nach einigen Fehlschlägen realisiert werden
konnten (Abb. 278, 279). 1934 erwarb Hansen die alleinigen Rechte für die von
Thonet produzierten Stahlrohrmöbel, doch ein dänisches Gericht stellte fest, daß die
betreffenden Modelle nicht genügend >künstlerische Eigenschaften< besäßen, um
urheberrechtlich geschützt zu werden. Ein weiterer Schritt war die Entwicklung von
Aufbaumöbeln, wie sie Franz Schuster und das Bauhaus propagiert hatten. Fritz
Schlegel brachte zusammen mit Hansen ein Aufbaumöbel auf den Markt, das in der
Ausstellung >Den Permanente< 1932 gezeigt wurde (Abb. 277). Es ist deutlich zu
sehen, wie sehr sich die junge Industrie in Dänemark damals noch an ausländische
Vorbilder anlehnte.
281
126
282. Arne
Jacobsen. Dreibeiniger
Stapelstuhl aus verformtem Schichtholz in
Buche, natur oder lackiert, 1952.
Hergestellt von Fritz Hansens Eft. Wohl der
erste dänische Stuhl, dessen konstruktive
Durchbildung der Massenproduktion entgegenkam. Der Einschnitt in der
Rückenlehne ermöglicht die volle
Ausnützung der Elastizität des Sperrholzes.
Gummipuffer zwischen den Stahlrohrfüßen
und der Sitzfläche gewähren auch der festen Verbindung von Fußteil und Sitzfläche
die notwendige Elastizität. Das laminierte
Oberteil besteht aus neun Schichten (die
sieben inneren aus Buchenholz, die beiden
äußeren aus Teak-, Eichen- oder
Wengeholz). Die Schichten werden unter
Druck und bei hohen Temperaturen mit
Wasser und tropenbeständigem Leim verformt.
283. Arne Jacobsen. Sitzgruppe, 1957.
Hergestellt von Fritz Hansens Eft.
Weiterentwicklung der bereits bewährten
Form mit Unterteil aus Holz; die Stabilität
wird durch den kreuzförrnigen Querschnitt
der Stuhlbeine erreicht.
1950 präsentierte Hansen eine völlig neue Stuhlkonstruktion, das Produkt einer
mehrjährigen Zusammenarbeit mit den Architekten Peter Hvidt (geb. 1916) und O.
Molgaard Nielsen (geb.1907). Der sogenannte >AX-Stuhl< (Abb. 280,281) wurde
aus um einen Mahagonikern geleimten Buchenholzlamellen hergestellt - ein
Verfahren, das aus der Produktion von Tennisschlägern stammte. 1952 kam Arne
Jacobsens (1902-71, Abb. 282-285) dreibeiniger Stuhl heraus, bei dem Sitz und
Rückenlehne aus Schichtholz in einem Stück gepreßt wurden und auf drei
Stahlrohrbeinen ruhten. Dieser Stuhl war eine der erfolgreichsten
Neuentwicklungen der Nachkriegsjahre. Wesentlich für den Aufstieg der Firma
Hansen war die konsequente Designpolitik, die sich auf eine enge Zusammenarbeit
von Entwerfern und Technikern stützte. Der Architekt B0rge Mogensen (geb. 1914)
leitete
mehrere
Jahre
lang
die
Möbelfabrik
der
dänischen
Verbrauchergenossenschaft, FDB M0bler. Hier konnte er billige Gebrauchsmöbel
entwickeln, die auf einem von ihm selbst geschaffenen Maßsystem basierten.
Sicherlich standen auch bei Mogensens Arbeit die Bemühungen des Frankfurter
Kreises um Franz Schuster und des Bauhauses Pate. Mogensens formale Disziplin
und Materialbeherrschung stellten die konsequente Fortführung des von Kaare Klint
eingeschlagenen Weges dar (Abb. 286-289). Daneben gab es jedoch noch eine zweite Strömung, die gleichermaßen zum großen Erfolg des dänischen Möbels beitrug.
127
284, 285. Arne Jacobsen. Sessel >Das Ei<
(Abb.284) und >Der Schwan<, mit Fußteil
(Abb.285), 1959. Drehfuß aus Stahl, Schale
aus Kunststoff und Schaumgummipolsterung mit Stoff- oder Lederbezug,
1958. Hergestellt von Fritz Hansens Eft.
Arne Jacobsen entwarf für seine
Großbauten Möbel, Geräte und Textilien,
die häufig in die Serienproduktion übernommen wurden. Er verstand es, auch bei
neuen Werkstoffen alle technischen und
formalen Möglichkeiten auszuschöpfen.
Die Schwierigkeit bei diesen Sitzmöbeln
liegt in der präzisen Verarbeitung durch den
Tapezierer, der Stoff oder Leder an die vom
Sitzkomfort bedingte Form genau anpassen
muß.
128
286
287
288
289
288 286. Borge Mogensen und Grethe
Meyer. Schrankelemente >Boligens Byggeskabe<, erstmalig gezeigt auf der
Ausstellung der Kopenhagener Tischlergilde, 1954. Dieser Entwurf beruht auf
Überlegungen, alle im Haushalt benötigten
Geräte in einer Schrankwand unterzubringen. 1956 wurde, ausgehend von den
üblichen Raumhöhen dänischer Wohnungen, ein Maßsystem geschaffen, das sowohl
den Aufbau einzelner Teile als auch die
Integration der Schrankwand als Raumabschluß ermöglichte.
287. Borge Mogensen. Sofa für zwei
Personen, 1945. In Produktion seit 1962.
Borge Mogensen, der aus dem Tischlerhandwerk kommt, entwarf neben den
Serienmöbeln für die Industrie auch rein
handwerklich gefertigte Möbel.
129
288. Borge Mogensen. Detail eines
Schrankes aus der Möbelserie >Øresund<
in Oregon-Pine, Eiche oder Teak, 1955-67.
Weitere Überlegungen führten zu diesem
System, das auf den Elementbreiten von
134,7 cm und den Tiefen von 36,7 und 54
cm beruht. Die Höhen ergeben sich aus
dem Grundmaß von 19,6 cm. Die auf diesem Maßsystem basierenden Elemente sind
vielseitig verwendbar.
289. Borge Mogensen. Möbel für ein
Schlafzimmer, 1945.
Ein Beispiel der frühen Arbeiten Mogensens, die seine Liebe zur einfachen und klaren Konstruktion zeigen.
290. Finn Juhl. Sitzgruppe mit Sessel
>136< aus Teakholz mit Schaumgummipolsterung, 1958. Hergestellt von France &
Son.
Typisch für die Möbel Finn Juhls ist der
>schwebende Sitz<, der zumeist nur auf
zwei Zargen ruht. Dadurch wird die - sehr
plastisch ausgebildete - Einzelform betont,
die Konstruktion tritt zurück.
In Gegenposition zu den mehr vom Internationalen Stil beeinflußten Entwürfen
schufen die Vertreter dieser Richtung kräftig durchmodellierte, plastische Möbel,
die lange Zeit als typisch für den dänischen Stil galten.
Finn Juhl (geb. 1912), ursprünglich Architekt, konnte seine organischen Sitzmöbelformen erst nach Erfolgen im Ausland auch im Lande Kaare Klints durchsetzen.
Charakteristisch für seine Entwürfe aus der Zeit zwischen 1945 und 1955 ist die
Auflösung des gewöhnlichen Polstersessels mit unsichtbarem Rahmen in eine
Konstruktion, bei der Holzgestell und Sitzfläche bewußt getrennt und formal gegeneinander ausgespielt wurden (Abb. 290). Finn Juhls >Möbelplastiken<, Yon der
Tischlergilde in der jährlichen Ausstellung immer wieder gezeigt, wurden bald in
aller Welt berühmt. Hans J. Wegner (geb. 1914) kam dagegen aus dem Handwerk.
In Zusammenarbeit mit dem Tischlermeister Johannes Hansen entstanden zahlreiche
hervorragende Möbel, stilistisch etwa in der Mitte zwischen der Disziplin Kaare
Klints und dem Temperament Finn Juhls angesiedelt. Seine Entwürfe eigneten sich
ausgezeichnet für die Serienproduktion, so daß sich bald fünf Fabriken zusammenschlossen (Salesco), um gemeinsam Wegners Möbel zu produzieren (Abb. 291294). Die Eigenart des dänischen Möbels war also wesentlich von der
Arbeitsmethode her gekennzeichnet: industrielle Vorfertigung, in Verbindung mit
handwerklichem Finish, gaben ihm seinen Gebrauchswert, zugleich aber eine kunsthandwerkliche Note. Dabei werden die technischen Voraussetzungen - ähnlich wie
in Schweden - ständig kontrolliert: Nach strengen Untersuchungen und Tests ver 290
130
leiht eine Jury Möbelgütezeichen, um den Qualitätsstandard zu erhalten. Auch für
Werbung und Vertrieb werden rigorose Maßstäbe angelegt: Bei Gemeinschaftsausstellungen dürfen nur Firmen ausstellen, die dem hohen Anspruch des dänischen
Möbels gerecht werden.
In den frühen fünfziger Jahren setzte der große Exporterfolg dänischer Möbel ein.
Mehr als die Hälfte der Produktion ging ins Ausland - ein Land ohne Holz wurde
führend in der Möbelerzeugung. Eine Reihe angesehener Designer - B0rge
Mogensen, Ole Wanscher, Hans J. Wegner, Grete Jalk (Abb. 295), Arne Jacobsen
und viele andere - setzten sich immer wieder mit Form und Material auseinander
und schufen so jene seltene Synthese von konstruktiver Exaktheit, Phantasie und
Materialgerechtigkeit, der das dänische Möbel seinen internationalen Ruf verdankt.
Dabei muß betont werden, daß die dänischen Entwerfer gerade auf dem Gebiet des
einfachen, preiswerten Möbels Vorbildliches geleistet haben. In letzter Zeit ist es
allerdings stiller um jene Möbelform geworden, die man als >typisch dänisch<
bezeichnet. Schon Arne Jacobsen, Poul Kjaerholm und Jorn Utzon standen eher dem
Internationalen Stil nahe, und die junge Generation der Möbelentwerfer versucht
sich heute in neuen Materialien und bewegter Formensprache - die Entwicklung in
Italien wird, zumindest vorübergehend, augenscheinlich kopiert.
291, 292. Hans J. Wegner. Armstuhl aus
Teakholz mit spanischem Rohrgeflecht,
1949; Klappstuhl aus Eiche mit spanischem
Rohrgeflecht, 1949. Hergestellt von
Johannes Hansen.
Beide Stühle zeichnen sich durch äußerste
Vereinfachung und konsequente formale
und konstruktive Durchbildung im Sinne
der Uberlegungen Kaare Klints aus.
293. Hans J. Wegner. Tisch und dreibeinige
Stühle aus Eiche und Teakholz, 1953.
Hergestellt von Fritz Hansens Eft.
Ein Stapelstuhl, der sich durch seine
äußerst vereinfachte Form besonders für
Versammlungsräume und durch seine
Mindestausmaße für Eßtische in kleinen
Wohnungen eignet.
131
294. Hans J. Wegner. Sitzgruppe in einem
Ferienhaus mit >
Y-Stuhl< (aus Eiche natur oder mit farbigem Lack behandelt), 1950. Hergestellt
vorr Fritz Hansens Eft.
Weiterentwicklung eines Stuhltyps, der auf
chinesische Vorbilder des achtzehnten
Jahrhunderts zurückgeht.
295. Grete Jalk. Stuhl aus verformtem
Schichtholz (Eiche), 1963. Hergestellt von
P. Jeppesen.
Diese Möbelserie besteht aus Hockern,
Stühlen, Tischen und Satztischen. Die
Möglichkeiten des Schichtholzes werden
konstruktiv konsequent genutzt. Die plastische Durchbildung führt aus dem
>Dänischen Stil< zu Möbelformen, die in
verformbaren Kunststoffen einfacb herzustellen sind.
132
Alvar Aalto - Romantik und Konstruktion in Holz
Die Auseinandersetzung des neuen finnischen Kunsthandwerks mit dem
Historismus um die Jahrhundertwende fiel zeitlich mit den Kämpfen um ein modernes, unabhängiges Finnland zusammen. Wie oft in der Geschichte wurde auch in
Finnland der Versuch, nationale Bewegungen zu unterdrücken, in der Kunst mit dem
Zurückgreifen auf bodenständige Entwicklungen beantwortet. So übte die bäuerliche Kultur des Landes, das fast ein halbes Jahrtausend mit Schweden verbunden
war, eine große Faszination auf die jungen Kunsthandwerker aus. Auf dieser
Grundlage formte sich, beeinflußt von europäischen Strömungen wie der >Arts and
Crafts<-Bewegung und dem Jugendstil, ein eigenständiger finnischer Stil, die sogenannte Nationalromantik, die ihre Blütezeit zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts
erlebte. Der Maler Akseli Gallen-Kallela (1865-1931, Abb. 296) gehörte mit seinem
Zyklus von Werken zum finnischen Nationalepos Kalevala zu den wichtigsten
Vertretern der Nationalromantik. Sein schwedischer Freund Louis Sparre (18661964), mit dem zusammen er um 1890 auf der Suche nach Beispielen der einfachen
finnischen Lebensart weite Gebiete Kareliens durchwandert hatte, gründete 1897 im
finnischen Porvoo die Firma Iris, die bis 1902 bestand und mit der die Entwicklung
zum modernen finnischen Möbel ihren Anfang nahm. Sparre, der schon zuvor
Möbel in nationalromantischem Stil entworfen hatte, war von William Morris' Ideen
beeinflußt und durch weite Reisen mit den meisten europäischen Tendenzen vertraut. Bei der Gründung seiner Firma betonte Sparre, daß nicht das »merkantile
Gewinninteresse« für die Produktion maßgeblich sein sollte. Seine Formvorstellungen stützten sich in erster Linie auf Vorbilder aus England und Österreich (Abb. 297,
298). 1896 schlossen sich die jungen Architekten Herman Gesellius (1874-1916),
Armas Eliel Lindgren (1874-1929) und Eliel Saarinen (1873- 1950) zu einer
Arbeitsgemeinschaft zusammen. Wettbewerbserfolge und der Auftrag zur
Gestaltung des finnischen Pavillons auf der Pariser Weltausstellung von 1900
ermöglichten es ihnen, etwas außerhalb von Helsinki ein großes, gemeinsames
Atelier mit Wohnungen zu bauen, ein mächtiges Gebilde aus Granit und Holz in
nationalromantischem Stil. Das Haus >Hvitträsk< (Abb. 299), dessen Räume um
296. Akseli Gallen-Kallela. Stuhl aus
Birkenholz mit handgewebten Wollbezügen (Tannenmotiv Grün auf Blau), um
1900. Museum für Kunst und Gewerbe,
Hamburg. Die einfache Form des Stuhles
geht auf den biedermeierlichen Einfluß
zurück und betont die Verbindung von
Handwerk und Volkskunst.
297. Louis Sparre. Stuhl mit lederbezogenem Sitz und Tisch aus Mahagoni, aus dem
Arbeitszimmer von Louis Sparre, 1902-03.
Louis Sparre, der bereits 1894 Entwürfe für
Eßzimmermöbel im finnischen Stil fertigte,
war besonders von den Möbeln und
Textilien des Londoner Warenhauses
Liberty & Co. begeistert, das er 1896
besuchte. Die strenge und kraftvolle Form
seiner Möbel setzt sich deutlich vom kontinentalen Jugendstil ab.
298. Louis Sparre. Sofa aus dunkel gebeiztem Kiefernholz, 1906.
Bei diesem einfachen Möbel kommt Louis
Sparres Vorliebe für kraftvolle Möbelformen besonders stark zum Ausdruck.
133
299. Herman Gesellins, Armas Eliel
Lindgren, Eliel Saarinen. Wohnraum im
Atelierund Wohngebäude >Hvitträsk< in
Kirkkonummi, 1902.
>Hvitträsk<, von den Architekten als
Atelierund Wohnhaus für sie selbst entworfen, entstand in der unberührten finnischen
Landschaft. Obwohl im Detail vom
Jugendstil beeinflußt, ist es durcK seinen
fast mittelalterlichen Blockhauscharakter
ein typisches Werk der finnischen
Nationalromantik.
300. Eliel Saarinen. Schreibtisch mit drehbarem Schreibtischstuhl in Eiche, intarsiert
(rötliche
Blumen
auf
grünlicher
Holzfläche), um 1907.
Nationalromantik und internationaler
Einfluß, etwa der Wiener Werkstätte, halten
sich bei dem Entwurf dieser Möbel und
ihren schweren kubisphen Formen die
Waage.
134
eine tennenartige Halle angelegt waren, wurde zum Beispiel einer Einrichtung aus
der Zeit um die Jahrhundertwende, die dem Kunsthandwerk alle Möglichkeiten zur
freien Entfaltung gab.
Alvar Aalto (1898-1976) arbeitete mit einer Gruppe junger Architekten im Atelier
Hvitträsk für Saarinen. An der Hochschule war er noch im Sinne des Klassizismus
ausgebildet worden, er hatte aber auch Vorlesungen über Josef Hoffmann und die
Wiener Werkstätte gehört. Aalto setzte sich grundlegend mit den Ideen des Neuen
Bauens nach dem Ersten Weltkrieg auseinander und trug selbst entscheidend zur
Ausformung des Internationalen Stils bei, doch griff er auch immer wieder auf
geläuterte Elemente der finnischen Tradition zurück. 1928 gewannen Aalto und
seine Frau Aino den Wettbewerb für das Tuberkulosesanatorium in Paimio, für dessen Einrichtung auch die ersten Möbelentwürfe entstanden (Abb.308). Aalto wollte
stets nur gewachsenes Material mit dem Körper in Berührung bringen und gründete deshalb zusammen mit einer lokalen Holzbearbeitungsfirma eine
Versuchswerkstatt, in der er mit verschiedenen Verfahren der Holzverformung experimentierte (Abb. 303, 304). Sein entscheidender Gedanke war, das Holz im
Gegensatz zum Thonet-Verfahren nicht nur unter Dampf zu biegen, sondern sich die
natürliche Feuchtigkeit des vorzugsweise verwendeten finnischen Birkenholzes
301. Alvar Aalto. Wohnraum für die
Ausstellung >Die Kleinstwohnung<, 1930.
Die seit fünfzig Jahren bestehende
Kunstgewerbeausstellung in Helsinki zeigte erstmals 1930 eine Sonderschau, die sich
mit Problemen des sozialen Wohnungsbaus
und der Einrichtung von Musterwohnungen
befaßte.
302. Alvar Aalto. Stapelbare Stühle, 1930.
Ausgangspunkt für Aalto war der international erfolgreiche frei schwebende Sessel
mit seinem Stahlrohrgestell. Die gebogene
Schichtholzplatte, das neue Element, wurde
mit einem Rahmen verbunden, der an die
Entwürfe von Marcel Breuer und Mart
Stam erinnert. Die Rückenlehne hat keine
Unterstützung.
303, 304. Alvar Aalto. Holzexperimente.
»Um praktische Ziele und haltbare ästhetische Formen im Zusammenhang mit der
Architektur zu erreichen, kann man nicht
immer von einem rationellen und technischen Standpunkt ausgehen - vielleicht
sogar nie. Die Phantasie des Menschen muß
freien Spielraum haben. So war es meistens
mit meinen Holzexperimenten. Rein spielerische Formen, ohne jeden Zweck, haben in
einigen Fällen erst zehn Jahre später zu
Gebrauchsformen geführt« (Aino und
Alvar Aalto40).
135
305. Alvar Aalto. Diskussions- und
Vortragssaal der Bibliothek in Viipuri,
1930-35. In dieser Bibliothek löste Aalto
zwei entscheidende Probleme: Die Lesesäle
erhalten genügend Licht durch neu entwickelte runde Oberlichter (»In einer
Bibliothek ist das Licht das Primäre«), im
Vortragssaal sorgt eine wellenförmige
Decke aus dünnen Holzstäben für eine hervorragende Akustik.
306. Alvar Aalto. Hocker und Stühle, 192935 für die Bibliothek in Viipuri entwickelt.
Hergestellt von Artek.
Das Grundprinzip dieser Möbel stammt aus
den Jahren 1929-35. Das Massivholz der
Beine wurde in der Biegung eingeschnitten,
es wird so zu Schichtholz und dadurch erst
biegbar. Die Verbindung mit den
Sitzflächen aus Holz erfolgt durch
Schrauben.
zunutze zu machen. Die ersten Sessel mit gebogenem Schichtholzsitz (Abb. 302),
der elastisch federte und bequemes Sitzen erlaubte, hatten noch Stahlrohrgestelle,
die später durch Schichtholzrahmen ersetzt werden konnten. Fast gleichzeitig mit
seinen Experimenten in Paimio, im Jahre 1930, zeigte Aalto in der Ausstellung >Die
Kleinstwohnung< (Abb. 301) im Rahmen der Kunstgewerbeausstellung in Helsinki
die ersten Stapelstühle.
Aalto wird wohl kaum zu dieser Zeit die amerikanischen Patente aus dem Jahr 1878
für Schichtholzmöbel gekannt haben, auf die Sigfried Giedion in seinem Buch
Mechanizution takes Command hinweist. Auch die Versuche Thonets mit
Schichtholz (Abb. 85) konnten ihm nicht geläufig sein, waren sie doch nur in weni-
136
gen Exemplaren im Firmenmuseum vorhanden und nirgends veröffentlicht worden.
Eher ist ein Rückgriff auf die Konstruktion des im Norden seit Jahrzehnten
gebräuchlichen Schichtholzskis möglich. Für die Bibliothek inViipuri (1930-35),
deren wellenförmige Akustikdecke als erstes Beispiel >organischer Architektur<
Aaltos interpretiert wird, entstanden in Weiterführung der Experimente, von Paimio
Sitzmöbel, bei denen ganz auf Stahlrohr verzichtet werden konnte (Abb. 305, 306).
Die damals entworfenen Hocker aus Holz sind heute noch in Produktion. Auf
Initiative von Alvar und Aino Aalto, zusammen mit Mairea Gullichsen, wurde 1935
die Firma Artek als >Zentrum für zeitgenössische Möbel, Einrichtung, Kunst und
industrielle Kunst< gegründet. Hauptzweck war es allerdings, Aalto-Möbel herzustellen. Aalto bezeichnete Möbel als »Accessoires zur Architektur« und sagte über
seine Experimente: »Die ersten Experimente bestanden darin, Lamellenkonstruktionen in einer Richtung zu biegen. Es war mein Traum, vieldimensionale, skulpturartige Holzformen schaffen zu können, die vielleicht einmal zu freieren und stabileren Formen führen könnten. Die ersten Versuche, organische Volumenformen
aus Holz zu konstruieren, ohne Anwendung der Schnitztechnik, führten später, nach
fast zehn Jahren, zu triangulären Lösungen, unter Berücksichtigung der Faserrichtung des Holzes. Der vertikale, tragende Teil der Möbelformen ist gewissermaßen die kleine Schwester der Säule in der Architektur 40.
Sigfried Giedion schreibt darüber: »Durch ein spezielles Zugverfahren ist es nun
möglich, dem Holz solche Biegsamkeit und Flexibilität zu verleihen, daß der
Architekt es drehen und biegen kann, wie er es wünscht. Zuvor schon hatten
Chemiker eine Methode gefunden, eine drahtartige Struktur aus einer Anzahl stäbchenförmiger Holzstücke, die sich an beiden Enden verjüngen, zu bilden: >HolzMakkaroni< nennt sie Aalto41.«
Um 1937 wagte es Aalto, den geschlossenen Schichtholzrahmen bei seinen Sesseln
wegzulassen - der frei stehende Holzstuhl erhielt eine ähnliche, federnde
Konstruktion wie der Stahlrohrsessel (Abb. 310). Die Möbel Alvar Aaltos sind,
auch in der Serienherstellung, ebenso wie seine Lampen und Türgriffe ein ganz persönlicher Teil seiner Architektur. Sie entsprechen seiner Auffassung vom Material
und Bau wie seiner humanen Einstellung zum Leben. Die junge Generation in
Finnland, allzu lange durch Aaltos beherrschende Persönlichkeit der organischen
Architektur verhaftet, drängt nun sehr spät zum Internationalen Stil. Im
Möbeldesign sind dies Ilmari Tapiovaara (geb. 1914), Antti Nurmesniemi (geb.
1927) oder die Firma Asko, die sich damit aber zugleich vom spezifischen Stil des
finnischen Möbels entfernen.
307. Alvar Aalto. Hocker, Konstruktion mit
gefächerter Biegung, 1954. Hergestellt von
Artek. Gebogenes Massivholz, das nun
ebenfalls - dreidimensional- in Schichtholz
und ohne Verschraubung in die Sitzfläche
übergeht. Aaltos schönste und ausgereifteste Konstruktion, die letzte Phase einer
umfassenden Möbelentwicklung.
308. Alvar Aalto. Armsessel, 1929-33 für
das Sanatorium in Paimio entwickelt.
Hergestellt von Artek.
Gleichzeitig mit der ersten Phase (192933), in der Aalto mit Schichtholz experimentierte, entstanden Stuhlformen, bei
denen gebogene Sitzflächen in geschlossene oder fedemde Schichtholzrahmen einge-
lassen wurden. Für das Sanatorium in
Paimio entwarf Aalto leichte Tvpenstühle
aus Holz, einem Material, das nach Aaltos
Vorstellung dem menschlichen Körper bes ser >angepaßt< ist als das Stahlrohrmöbel.
309. Karl und Eva Mang. Wohnraum des
Hauses im Waldviertel, Niederösterreich.
Sessel und Tisch von Alvar Aalto: Sessel
406 mit roten Stoffgurten, Tisch 48()5 mit
Glasplatte, hergestellt von Artek.
310. Alvar Aalto. Sessel aus gebogenem
Birkenholz, 1935-39. Sitz aus verschiedenen Materialien, hier mit Stoffgurten
bespannt. Hergestellt von Artek.
Zwischen 1935 und 1939 entstanden neben
Stühlen auch einfache Serienmöbel wie
Garderoben und Bücherregale, bei denen
die - meist federnden- Untergestelle aus
Schichtholz mit Rahmen aus dem gleichen
Material verbunden werden.
137
311. Alvar Aalto, Skizze
138
Die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg
Neue Technologien: USA
Während in Skandinavien die Entwicklung von neuen Formen und Techniken durch
den Zweiten Weltkrieg nur zum Teil unterbrochen wurde, verlor die von
Deutschland ausgehende, entscheidende internationale Bewegung bereits nach der
Machtübernahme Adolf Hitlers ihre bedeutendsten Exponenten. Nach der zwangsweisen Schließung des Bauhauses Dessau im Jahre 1932 und einem kurzen
Intermezzo dieser Schule in Berlin emigrierten Walter Gropius, Marcel Breuer,
Ludwig Mies van der Rohe und andere in die Vereinigten Staaten. Die führenden
Architekten des Internationalen Stils fanden hier eine neue Wirkungsstätte, vor
allem aber standen ihnen die wichtigsten Hochschulen der Neuen Welt offen.
Der Pseudoklassizismus der Diktaturen blieb auf das übrige Europa nicht ohne
Einfluß; lediglich in Italien zeigten sich zumindest auf dem Sektor der industriellen
Formgebung Ansätze, Elemente des Internationalen Stils der faschistischen
Ideologie einzuordnen. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges war wohl im Westen
Europas der >völkische< Einfluß der Diktatoren vorbei, aber in den meisten
Ländern mußte wegen der Zerstörungen des Krieges völlig neu angefangen werden.
Zunächst war die vordringlichste Aufgabe, die zerstörten Wohnungen wiederaufzubauen. Die Möbelindustrie Europas, soweit sie der Vernichtung entgangen war, hatte
unter den Fesseln der faschistischen Ideologie und dem Vorrang der Kriegsproduktion weder neue Ideen entwickeln noch sich mit neuen Materialien auseinandersetzen können. Sie stand einer intakten und dynamischen Industrie in Nordamerika gegenüber, die sich nun bald, vor allem unter dem Einfluß bedeutender
europäischer Architekten und Lehrer, auch im Möbelbau eine Führungsrolle aufbaute. Dazu kam, daß die amerikanische Technologie durch die Rüstungsforschung
einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht hatte und sich nach dem Kriege sofort
auf den Friedensbedarf umstellen konnte. Die Erfahrungen, zum Beispiel beim
Einsatz von Kunststoffen im Flugzeugbau, fanden dabei rasch auf friedlichem
Gebiet Anwendung.
Den unmittelbaren Anstoß gab allerdings schon im Jahre 1941 der vom Museum of
Modern Art auf Anregung des Bloomingdale Department Store in New York veranstaltete Möbelwettbewerb >Organic Design in Home Furnishings< (Abb. 312, 313).
Die ersten Preise für Sitzmöbel gingen an das Team Charles Eames (geb. 1907) und
Eero Saarinen (1910-61). Die von den beiden Architekten vorgeschlagenen Sitzformen - dreidimensionale Schalen - führten unter Aufhebung des rechten Winkels
aus der Formenwelt der zweidimensional gebogenen Stühle von Breuer und Aalto in
eine neue Sphäre von >Möbelskulpturen<, deren Technologie auf neuesten
Erkenntnissen basierte. Die meisten der von der Firma Herman Miller in
Zusammenarbeit mit Charles Eames bis in die sechziger Jahre gebauten Möbel können auf das Ergebnis dieses Wettbewerbs zurückgeführt werden (Abb. 314-320).
Ohne das Engagement dieser damals noch recht unbedeutenden Firma wäre die konsequente Entwicklung, die Amerika in kurzer Zeit zum führenden Land des moder-
312, 313. Charles Eames und Eero
Saarinen. Stuhl und Schrankeinheiten,
1940. Zeichnungen für den Wettbewerb
>Organic Design in Home Furnishings<,
The Museum of Modern Art, New
York,1941. Die ersten nach den
Zeichnungen von Eames und Saarinen
gefertigten Stühle und Kastenmöbel wurden 1941 in der Ausstellung der
Wettbewerbsergebnisse im Museum of
Modern Art gezeigt. Die Produktion war
vorerst durch den Krieg, aber auch durch
die Schwierigkeit, die Entwürfe technisch
zu realisieren, gehemmt. Nach jahrelangen
Versuchen in kleinen Werkstätten und in
Eames' Studio wurden die ab 1946 verbesserten Modelle von Herman Miller übernommen. »Offiziell halte ich mich für einen
Architekten. Ich kann einfach nicht anders,
als die Probleme um uns herum als
Probleme der Struktur aufzufassen - und
Struktur ist gleich Architektur« (Charles
Eames42).
314. Charles Eames. Stuhl mit Sitz und
Lehne aus geformtem Sperrholz und verchromtem
Stahlrohrgestell,
1946.
Hergestellt von Herman Miller AG.
Prototypen dieses Stuhles, bei dem nun zur
Vereinfachung der Produktion Sitz und
Rükkenlehne getrennt wurden, bestanden
schon 1944. Neben Eames und seiner Frau
Ray arbeiteten Künstler und Techniker an
den Versuchen. Die Formen der Sperrholzteile wurden mit einem Gipsmodell in
Originalgröße entwickelt und direkt auf die
experimentelle Verformungspresse übertragen.
315. Charles Eames. Armstuhl mit Gestell
aus Metallgestänge und geformtem
Kunststoffsitz, 1950. Hergestellt von
Herman Miller AG. 1948 erteilte das
Museum of Modem Art in New York
Eames einen Forschungsauftrag für neue
Möbelentwürfe. Die Schalenform von 1940
entstand nun in Metall mit aufgespritzter
Neoprenunterlage. Das Modell erhielt den
zweiten Preis des vom Museum of Modern
Art durchgeführten Möbelwettbewerbes
>International Competition for Lowcost
Furniture-Design<. Da die Werkzeugkosten
zu hoch waren, machte Eames Versuche mit
durch Glasfasern verstärktem Polyester, die
dann in die Produktion übernommen wurden.
316. Charles Eames. Stuhl mit Gestell aus
Metallgestänge und Sitz aus geformtem
Draht, zum Teil mit Stoff bezogen, 1951.
Hergestellt von Herman Miller AG. Ein
Versuch, Gestell und Sitz ähnlich in
Material und Struktur zu gestalten.
139
140
317. Charles Eames. Tisch und Stühle aus
geformtem Sperrholz, Gestelle zum Teil
aus Metallrohr, 1944-46. Hergestellt von
Herman Miller AG.
»Ein Möbelstück, das mit einem schönen
Raum oder einer schönen Umgebung harmonisiert, tritt mehr oder weniger zurück.
Es erfüllt seinen Zweck am besten, wenn es
nicht zum primären Gegenstand der
Aufmerksamkeit wird« (Charles Eames 43).
318. Charles Eames. Stühle und Sessel mit
Aluminiumgestell, Sitz gepolstert und mit
Stoff bezogen, 1958. Hergestellt von
Herman Miller AG.
»Charles Eames hat mindestens drei der
wichtigsten Stuhlentwürfe des zwanzigsten
Jahrhunderts geschaffen . . . Seine Arbeiten
haben das Möbeldesign in praktisch jedem
Land beeinflußt, und seine Beherrschung
der modernen Technologie hat sowohl dem
Design als auch der Produktion neue
Maßstäbe gesetzt« (Arthur Drexler 44).
141
319. Charles Eames. Sessel und Hocker mit
Aluminiumgestell,
Sitzschalen
und
Rückenlehnen aus geformtem PalisanderSperrholz, Lederkissen mit SchaumgummiPolsterung, 1957. Hergestellt von Herman
Miller AG. Aus vielen Einzelteilen und
mehreren Materialien komponiert, gleicht
der >LoungeChair< einer modernen
Skulptur. »Fragen Sie mich nicht nach
neuen Linien und Silhonetten. Mich interessiert mehr die Zweckmäßigkeit und die
Art und Weise, wie Dinge sich in einem
Raum präsentieren« (Charles Eames 45).
320. Charles Eames. Sessel mit
Aluminiumgestell
und
gepolsterter
Sitzschale aus formgepreßtem Polyester
und losen Kissen, 1971. Hergestellt von
Herman Miller AG. »Technisch gesehen ist
dieser Stuhl eines der raffiniertesten und
bis zum äußersten entwickelten Modelle
von Charles Eames. Seine Plastikschale ist
mit einer nach dem Stuhl geformten
Urethanschaumpolsterung ausgelegt . . . «
(Arthur Drexler 46).
142
322. George Nelson. >CoconutChair<,
1956. Hergestellt von Herman Miller AG.
George Nelson, Architekt, Schriftsteller,
Designer, wurde 1946 der erste DesignDirektor von Herman Miller. Diese Firma,
eine unter 4000 anderen Möbelfabriken und
in einer kleinen Stadt nahe von Grand
Rapids, Michigan, gelegen, wurde 1905
gegründet und zählte schon um 1931 zu den
Pionieren des modernen Design in
Amerika.
143
321. George Nelson and Company.
Büromöbelprogramm >Action office<,
1964. Gestelle aus poliertem Gußaluminium und verchromter Fußleiste,
Seitenteile aus verformtem Kunststoff,
Schreibfläche aus Vinyl. Hergestellt von
Herman Miller AG.
323, 324. Harry Bertoia. Sessel aus verchromtem oder kunststoffbeschichtetem
Rundstahl, Polsterung mit Baumwolle oder
elastischem Kunstleder bezogen, 1952.
Hergestellt von Knoll International.
Harry Bertoia, der für Malerei und
Metallskulptur Unterricht gab, wurde von
Hans und Florence Knoll aufgefordert, »zu
tun, wozu er Lust hatte«. So entstanden
seine Drahtsessel: »Bei den Skulpturen
geht es mir hauptsächlich um Raum, Farbe
und die charakteristischen Eigenschaften
von Metallen. Bei einem Stuhl müssen
zuerst viele funktionelle Probleme gelöst
werden ..., aber wenn man die Sache genau
betrachtet, dann sind auch die Stühle
Studien in Raum, Form und Metall« (Harry
Bertoia 47).
nen Möbels machte, kaum möglich gewesen. George Nelson (geb. 1907), der ebenfalls eng mit Herman Miller zusammenarbeitete (Abb. 321, 322) schrieb in einem
Katalog über dieses Unternehmen: »Es ist eine kleine Firma, die in einer kleinen
Stadt von den Besitzern selbst geführt wird. Was sie von anderen unterscheidet, sind
die folgenden Prinzipien:
1. Was du machst, ist wichtig.
2. Design ist ein wesentlicher Bestandteil des Geschäfts.
3. Das Produkt muß ehrlich sein.
4. Du entscheidest, was du produzieren willst.
5. Es gibt einen Markt für gutes Design.
Das Programm zielt darauf, eine ständige Kollektion einzurichten; das heißt, jedes
Stück wird so lange hergestellt, bis es nicht mehr der Situation entspricht oder verbessert werden kann.«
Neben dem Verfahren, Sperrholz dreidimensional zu biegen, wurden die Probleme
der Verbindung von dünnen Metallrohrgestellen mit Sperrholzsitzen sowie der
Sperrholzformen untereinander gründlich studiert. Daneben galt besonderes
144
Augenmerk der Anwendung neuer Kunststoffe aus dem Flugzeugbau und der
Entwicklung einer industriellen Punktschweißtechnik für die Herstellung von
Sitzschalen aus Metalldrähten. Zum ersten Mal seit der Produktion der ThonetStühle machte hier die Industrie von der Möglichkeit, aus einer großen Menge von
Versuchsstühlen die erfolgreichsten in Serie zu nehmen, Gebrauch. Nur ein Teil der
Prototypen von Charles Eames gingen bei Miller in Serienproduktion, doch diese
Modelle waren für das Möbeldesign der nächsten zwanzig Jahre von entscheidender
Bedeutung. Die Entwicklung im amerikanischen Bürohochhausbau durch die
Verbreitung der Ideen Mies van der Rohes bot einer anderen Firma, Knoll
Associates, die Möglichkeit, den Bauhausfunktionalismus in die Realität amerikanischer Architektur zu integrieren. Die technische Perfektion in der Architektur verlangte nach einer ebenso hohen Perfektion im Möbelbau und in der
Innenraumgestaltung, die nur durch die immer intensivere Zusammenarbeit fortschrittlicher Möbelfirmen mit jungen Designern realisiert werden konnte.
325. Eero Saarinen. Wannen-Sessel, 1970
(Entwurf 1948), Fußbank, 1972. Gestelle
aus seidenmatt verchromtem Stahlrohr, Sitz
aus
geformtem
Kunststoff
und
Schaumgummipolsterung, mit Wollstoff
bezogen.
Hergestellt
von
Knoll
International.
Dieses Sitzmöbel erinnert an den 1940 mit
Charles Eames zusammen durchgeführten
Wettbewerb für das Museum of Modern
Art. Saarinen wollte »einen großen, breiten
Sessel, in den man sich kuscheln kann«,
entwerfen. Grundelement ist eine vorgefer tigte Kunststoffschale, die mit Fiberglas
verstärkt wurde.
326. Eero Saarinen. Polstersessel und
Hokker, 1948. Rahmen aus verleimtem
Schichtholz in Birke natur, Federpolsterung
mit
Schaumgummi-Auflage
und
Stoffbezug. Hergestellt von Knoll
International.
Das Grundprinzip ähnelt den Entwürfen
Aaltos und Breuers aus der Zeit vor dem
Zweiten Weltkrieg, in seiner Struktur ist es
eher für die Entwicklung in Europa typisch.
145
327, 328. Eero Saarinen. Stühle und Tisch,
1956. Leichtmetallguß mit weißem
Kunststoff beschichtet, Sitze aus formgepreßter weißer Polyesterschale mit stoffbezogener Polsterung. Tischplatte aus italienischem Marmor. Hergestellt von Knoll
International.
Die ersten Ideen für die >Einbein-Modelle<
wurden 1953 geboren. Nach Zeichnungen
und Skizzen wurden maßstabgerechte
Möbelmodelle (1:4) angefertigt und in
einem Modellzimmer in Puppenhausgröße
aufgestellt. »Was die Einbein-Modelle
anbelangt, so schafft der Unterbau von
Tisch und Stühlen bei einer typischen
Innenausstattung ein unansehnliches, verwirrendes und unruhiges Durcheinander.
Ich wollte mit dem Wirrwarr der Beine aufräumen; ich wollte aus einem Sessel wieder
eine Einheit machen« (Eero Saarinen 48).
146
Eero Saarinen begann schon 1943 für Hans (1914-55) und Florence Knoll (geb.
1917), die selbst Designer waren (Abb. 329), zu entwerfen (Abb. 325-328). 1951
gründete Knoll Niederlassungen in Deutschland und Frankreich, 1955 wurden die
Möbel von Mies van der Rohe aus der Vorkriegszeit in das Programm aufgenommen
(Abb. 330). In der Folge konnten eine Reihe bedeutender Designer gewonnen werden: Harry Bertoia (geb. 1915, Abb. 323, 324) und später, nach der Erwerbung der
329. Florence Knoll. Einrichtung für den
Empfangsraum im Bürogebäude der
Connecticut General Life Insurance
Company in Bloomfield, Connecticut.
Architekten Skidmore, Owings & Merrill,
erbaut 1954-57. Möbel für Büros und
Empfangsräume wurden in den sechziger
Jahren immer eleganter und luxuriöser.
Teak, Palisander, Marmor und polierter
Stahl waren typisch für den >Knoll-Look<.
330.
Eßzimmer,
eingerichtet
mit
>Brünn<Stühlen von Mies van der Rohe
und Tisch von Eero Saarinen. Hergestellt
von Knoll International.
Die Einrichtung aus don sechzigcr Jallrcn
entspricht in Raumkonzept und Möblierung
den Vorstellungen des Internationalen Stils.
332. Tobia Scarpa. >Bastiano<-Sofa aus
fein mattiertem Palisander und lederbezogener Polsterung, 1969. Vico Magistretti.
>Caori<Tisch aus eloxiertem Aluminium,
Gestell schwarz matt lackiert, 1969.
Hergestellt von Knoll International.
Die Sitzgruppe wie auch die Kaminwand
aus schalungsrauhem Beton kündigen in
ihrer formalen Gestaltung das Entie dcs
lntcrnationalen Stiles an: Durch die
UberÜct`,nung von Konstruktion und
Material wird in Architektur und
Möbeldesign
ein
vorder gründiger
Manierismus zur Mode.
147
italienischen Firma Gavina, Vico Magistretti, Tobia Scarpa und andere (Abb.332).
Auch Marcel Breuers Möbelentwürfe aus den zwanziger und dreißiger Jahren gingen über Gavina bei Knoll in Serie. Die Firmen Knoll und Herman Miller nehmen
noch heute einen bedeutenden Rang im internationalen Möbelbau ein und bestimmten oftmals in den vergangenen Jahren die Richtung, die das Möbeldesign nehmen
sollte (Abb. 331). Allerdings, billig waren die perfekten Stühle aus Chromstahl und
Leder nie. Der verhältnismäßig breite Markt des teuren, repräsentativen Möbels für
das Management der sechziger Jahre ließ jedoch zu, daß Designer und Industrie
zusammen kühne Entwürfe realisieren und laufend perfektionieren konnten.
Die Weiterentwicklung des Internationalen Stils
331. Robert Haussmann. Zerlegbarer Sessel
mit Gestell aus federndem Flachstahl,
Ledergurtbespannung
und
losen
Lederpolstern, 1955. Hergestellt von
Haussmann & Haussmann.
Ein auf den Vorstellungen Mies van der
Rohes weiterentwickelter Sessel. Obwohl
die Entwürfe Mies' bis in die letzten
Detailpunkte durchdacht waren, ließen sie
durchaus positiv zu wertende Abwandlungen zu.
Der Internationale Stil, im Möbelbau ebenso wie in der Architektur schon zur Zeit
des Bauhauses vor allem durch die Arbeiten von Mies van der Rohe, Marcel Breuer
und Le Corbusier begründet, wurde im Amerika der Nachkriegsjahre perfektioniert
und kam nun in ein Europa zurück, das sich in den fünfziger Jahren nach den verheerenden Vernichtungen des Weltkrieges langsam erholte. Das Vorbild der
Glashaus-Architektur und der große Einfluß Amerikas auf die gesamte westliche
Welt verhalfen der Renaissance des Internationalen Stils auch in Europa rasch zum
Durchbruch. Neben der Wärme des dänischen Teakholzmöbels gehörte die strenge
Kühle des Neofunktiona l ismus zum Image der sich rasch ausbreitenden
Konsumgesellschaft. In aller Welt wurden die >Starmöbel< kopiert und abgewan-
148
333
334
333. Arne Jacobsen. Büro des Stadtingenieurs im Rathaus von Glostrup, 1958.
Sessel und Sofa mit Gestellen aus verchromtem Stahlrohr, fest gepolstert. Hergestellt von Fritz Hansens Eft. Jacobsens
Bauten und Möbel zeichnen sich durch
wohlüberlegte Detaillösungen aus. Die für
Verwaltungsbauten oder Hotels entworfenen Möbel wurden zumeist als Serienmöbel
für den Wohnbereich übernommen.
334. Arne Jacobsen und Niels Jorgen
Haugesen. Büromöbelprogramm >Djob<,
1969/70. Tischgestelle aus Aluminiumprofilen zusammengesteckt; Tischplatten,
Unterschränke und Kastenmöbel aus dunkelblau oder ocker beschichtetem Holz.
Hergestellt von Scandinavian Office
Organisation Ltd.
335. Poul Kjaerholm. Sitzbank mit verchromtem Metallgestell, Sitz, Lehnen
sowie lose Daunenkissen mit Leder bezogen, 1958. Hergestellt von Kold
Christensen.
149
335
336. Poul Kjaerholm. Sessel mit Gestell aus
verchromtem Bandstahl und Korbgeflecht,
1956. Hergestellt von Kold Christensen.
»Die Sitzmöbel von Kjaerholm sind charakteristisch für eine großartige formale
Einfachheit, die vollkommen mit den verwendeten Materialien in Einklang steht. 49«
336
delt: So gibt es wohl Hunderte von Variationen der Sitzmöbel Mies van der Rohes.
Sicher ist, daß nun der Internationale Stil, als Mode hochgespielt, sich aus den
Bereichen der reinen Büromöblierung löste und auch zum Vorbild für die
Einrichtung von Wohnungen wurde. Besonders in Deutschland, Italien und in den
nordischen Ländern fand diese Entwicklung breiten Anklang, wobei mit dem wachsenden Wohlstand der Nachkriegsjahre die Ansprüche ständig stiegen. Büromöbel
und Wohnmöbel wurden teilweise identisch. In Deutschland brauchte es allerdings
nach der totalen Niederlage, nach der Zerstörung aller großen Städte, noch seine
Zeit, bis über die Befriedigung elementarer Bedürfnisse hinaus der Wille zum
modernen Wohnen geweckt wurde. Trotz aller - politisch beeinflußten- Versuche
wie dem >WK<-(Wohnkultur) Programm in Deutschland oder dem >SW<-(Soziales
Wohnen) Programm in Österreich, die auf den Überlegungen für ein preiswertes,
funktionelles Möbel der dreißiger Jahre aufbauten, waren Möbel und
Raumgestaltung des wohlhabend gewordenen Bürgertums und der von der
Hochkonjunktur profitierenden Arbeiterschaft durch einen neuen Historismus
gekennzeichnet, der zum Teil seine Ursache darin hatte, daß breite Schichten in
einer kleiner gewordenen Welt Möbel und Gerät fremder Länder zu Gesicht bekamen und unkritisch nachahmten. Das Resultat war jener Kitsch, der, ohne Sinn für
die Anforderungen der neuen Zeit, durch Illustrierte und Fernsehen verbreitet
wurde.
150
337. Hans Gugelot. Modulargruppe ,M
125<, 1953. Hergestellt von Wilhelm
Bofinger.
Anund
Aufbauprogramm
aus
Metallstäben und Brettern mit hellgrauem
Kunststoffbelag und Kanten in Afromosia.
Die Bauteile eignen sich für den Aufbau
von vielfältigen Wohn-, Schlafzimmer- und
Studiokombinationen wie Kommoden,
Schränke, Bücherregale, Regalwände und
Raumteiler.
Gugelots An- und Aufbauprogramm ist
typisch für die Entwicklung der
Möbelformen des Neofunktionalismus, der
Versuch, einfache Systeme wandbildend
und raumtrennend einzusetzen - von der
Möbelindustrie oftmals variiert
Bezeichnenderweise schloß man sich meist nicht an die Grundsätze des Bauhauses,
die Erkenntnisse der Weißenhofsiedlung oder das soziale Denken der Frankfurter
Siedlungen an, sondern übernahm den Kleinhäuschencharakter der Adolf-HitlerZeit,
der letztlich nichts anderes war als die Verniedlichung des Gedankens vom englischen Landhaus, der seit Muthesius' Zeiten die Villenvororte der deutschen Städte
bestimmte. Der große Nachholbedarf an Möbeln war zwar die Grundlage für eine
gesteigerte Produktion, deren Ziele waren aber keineswegs soziale, funktionelle
oder formale Vorstellungen, sondern darauf gerichtet, die Erzeugnisse des vergangenen Jahres möglichst rasch veralten zu lassen. Ideen für neue Wohnformen wurden erst nach Befriedigung der Wohnungsnot spürbar.
Anders verlief die Entwicklung in Dänemark, wo Arne Jacobsens Überlegungen des
»to do it a little better«, der Architektur der kleinen Schritte, Möbel des Internationalen Stils einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machten und damit dem
Teakstil eine entscheidende Variante zur Seite stellten (Abb.333, 334). Im gleichen
Sinne kann die Arbeit von Poul Kjaerholm (geb. 1929) und J0rn Utzon (geb. 1918)
gewertet werden (Abb. 335, 336, 338, 339). In Deutschland fand das Möbeldesign
des Internationalen Stils in der Ulmer Hochschule für Gestaltung, besonders durch
Hans Gugelot (1920-65, Abb. 337), seine theoretische Fundierung. Fragen der
Ästhetik und Auseinandersetzungen mit den sozialen Problemen der Zeit standen im
Vordergrund.
In den frühen sechziger Jahren war allerdings die Dynamik des Internationalen Stils
zum Stillstand gekommen. Die zunehmende Kritik an der rigiden Architektur Mies
van der Rohes griff auch auf das Möbeldesign über. Seine Ideen der konstruktiven
Ehrlichkeit wurden vom Brutalismus ins Extrem weitergeführt, bald jedoch von
manieristischen und formalistischen Spielarten abgelöst. Dieser Trend wirkte sich
nachteilig auf die Möbelentwicklung aus. Grundsätzlich neue Formvorstellungen,
die über den Internationalen Stil hinauswiesen, gab es nicht. So versuchte man, wie
oft am Ende einer großen Stilepoche, durch Rückgriffe auf die Vergangenheit eine
spürbare Leere zu überdecken. Nach den Erfolgsmodellen Mies van der Rohes,
338. Jorn Utzon. Zerlegbares Möbelsystem
mit Gestellen aus U-Bügeln (AluminiumDreieckrohr in neun verschiedenen
Größen), 196S,. Hergestellt von Fritz
Hansens Eft. Die Serie umfaßt Sessel,
Liegesessel, Hokker, Tische sowie zweiund dreisitzige Sofas, die auch zu Reihen
verbunden werden können. Schaumgummipolsterung mit Lederoder Stoffbezug,
Tischplatten kunststoffbeschichtet.
339. Jorn Utzon. Sessel und Hocker aus
verformtem Schichtholz und verchromtem
Stahlrohrgestell mit Schaumgummipolsterung und Stoffbezug, 1969. Hergestellt von
Fritz Hansens Eft.
Jorn Utzons Sitzmöbel, am Ende der
Entwicklung stehend, versuchen neue, plastisch-phantasievolle Formelemente einzuführen.
151
Marcel Breuers und Le Corbusiers aus den zwanziger und dreißiger Jahren kamen
nun sogar Möbel wieder ans Tageslicht, die zur Zeit ihrer Entstehung nie
Serienprodukte sein konnten: die Stühle von Mackintosh oder Gaudi und die
Einzelmöbel von Hoffmann und Strnad - ein neuer Historismus, der einer zukunftsgerichteten Entwicklung nur schadete. Im Grunde war dieser Prozeß eine in allen
Bereichen des Design erkennbare Reaktion auf die kühlen, strengen Formen des
Funktionalismus, die dann verständlich wird, wenn man bedenkt, daß im
Internationalen Stil der Nachkriegszeit dieser Funktionalismus zur bloßen Mode
geworden war.
152
Neue Impulse aus Italien
Anfang der sechziger Jahre hatte in Europa die Phase des Wiederaufbaus ihren
Abschluß erreicht. Die Industrie, von den Folgen des Krieges erholt, strebte wirtschaftlichen Höhepunkten zu; auch war eine leistungsfähige Möbelproduktion entstanden. Damit waren die Voraussetzungen für eine eigenständige europäische
Entwicklung gegeben, die zunächst an die perfekte Technologie und das ausgefeilte
Design der wenigen avantgardistischen amerikanischen Möbelfirmen sowie an die
Wohnvorstellungen des soliden Teakholzstils aus Skandinavien anknüpfte. Hinzu
kamen bald selbständige Leistungen europäischer Firmen, in Zusammenarbeit mit
Designern, die an Hochschulen wie dem Royal College of Art in London oder der
Hochschule für Gestaltung in Ulm nicht nur eine gründliche künstlerische
Ausbildung erhalten hatten, sondern auch ein fundiertes theoretisches Wissen, das
relevante andere Disziplinen, wie zum Beispiel die Soziologie, mit einschloß.
Nach dem Niedergang des Internationalen Stils und dem allmählichen Abflauen der
Teakwelle übernahm nun Italien die Führungsrolle im Möbelbau. Der italienische
Möbelstil war zugleich der bisher letzte nationale Stil im engeren Sinne; der fast
unbeschränkte Welthandel führte parallel mit der Ausweitung der Exportmärkte zu
einer gegenseitigen Abhängigkeit und Durchdringung nationaler Entwicklungen.
Das italienische Möbel verdankt seine Entstehung einer erstaunlich großzügigen
Zusammenarbeit von Unternehrnern, kleineren Werkstätten und fortschrittlichen
Designern, wobei der Umschwung im gesamten Bereich industrieller Formgebung
zunächst ein Nebenprodukt der Arbeit engagierter Architekten war. Zentrum der
dynamischen Entwicklung waren Mailand und seine Region mit einer seit längerer
Zeit typischen Konzentration kleinerer Möbelfirmen.
Der Ausgangspunkt des italienischen Erfolges war der Versuch italienischer
Architekten der Zwischenkriegszeit, Anschluß an die mitteleuropäische
Entwicklung zu finden. Während in der Sowjetunion die hoffnungsvollen Ansätze
des Konstruktivismus zur Gestaltung aller Lebensbereiche schon in den zwanziger
Jahren in einen fast bürgerlichen Konservativismus mündeten und sich die deutsche
Architektur unter Adolf Hitler einem ins Gigantische übersteigerten Klassizismus
zuwandte, wurden die jungen Architekten der modernen Bewegung in Italien zwar
ebenfalls nahezu vom Baumarkt verdrängt, hatten jedoch in dem weniger lückenlosen System des italienischen Faschismus noch die Möglichkeit, ihre schöpferischen
Energien auf andere Bereiche wie den der Einrichtung, des >Arredamento<, umzu-
340. Franco Albini. Schaukelstuhl aus
Eisen, 1940. Im Besitz des Entwerfers.
341. Agnoldomenico Pica. Stahlrohrstuhl,
1933. Im Besitz des Entwerfers.
342. Giuseppe Terragni. Stuhl aus Stahl und
Holz, um 1935/36. Sammlung Terragni,
Como.
345. Giovanni Pintori. Plakat für
OlivettiSchreibmaschinen, 1940. Im Besitz
des Entwerfers.
Der Graphiker Giovanni Pintori, seit 1936
für Olivetti tätig, prägte mit der Kampagne
für die Studio 42< den neuen Stil der
Olivetti-Werbung. Marcello Nizzoli wurde
von Camillo Olivetti schon 1931 beauftragt, eine neue Form für die
Schreibmaschine >Summa< zu finden. Mit
den Entwürfen fur >Lexicon 80< (1948)
und >Lettera 22< (1950) beeinflußte erdurch das ausgewogene Verhältnis von
Mechanismus und Gehäuse - die weitere
Entwicklung der Büroschreibmaschine entscheidend.
153
343. Franco Albini. Radioapparat zwischen
zwei Kristallglasplatten, 1936. Im Besitz
des Entwerfers.
»Die von Architekten entworfenen
Einrichtungen . . . hatten eine wichtige
Funktion: einerseits bei der Geschmacksbildung des Publikums und andererseits bei
der Umstellung der handwerklichen auf die
industrielle Produktion. Diese Einrichtungen wurden im allgemeinen nicht als
Einzelstücke entworfen, auch nicht als
Zusammenstellung von Unikaten, sondern
jedes Möbelstück, das hergestellt werden
sollte . . ., trug bereits den Charakter des
Industrieproduktes. Die Berücksichtigung
von Zweckmäßigkeit und Gebrauchsfähigkeit, intensives Studium der
Wirtschaftlichkeit des Materials und der
Verarbeitung, die Absicht, >Freude an der
Serie< zu schaffen, all dies nimmt jene
Begriffe vorweg, die das heutige
>Industrial
Design<
kennzeichnen«
(Franco Albini50).
344. Luigi Figini und Gino Pollini. Entwurf
eines Radios und Plattenspielers, hergestellt
1933 für die >Societä nazionale del
Grammofono<.
lenken. Die ersten italienischen Entwürfe für Stahlrohrmöbel, die Erneuerung des
Chiavari-Stuhles 1933 durch Emanuele Rambaldi (Abb.59) und die ausgezeichneten Prototypen von Industrieprodukten aller Art setzten Marksteine, die die faschistische Epoche und damit den Krieg überdauerten (Abb.340-344). Der ständige
Gedankenaustausch mit progressiven Architekten und Designern aus aller Welt, die
bei den Mailänder Triennalen vor und nach dem Krieg zusammenkamen, machte
sich ebenso bemerkbar wie die konsequente Modernität der Zeitschriften Domus
und Casabella.
Nach dem Kriege konzentrierten die Architekten ihre Anstrengungen auf den
Wiederaufbau von Wohnvierteln, vor allem aber auf die Hebung des
Qualitätsstandards der Wohnungen. Im Bereich der industriellen Formgebung
glückten jedoch sehr bald Experimente, die in einem Lande, das bis vor kurzem
keine wissenschaftliche Designerausbildung gekannt hatte, große Bedeutung erlangten: die von Marcollo Nizzoli entworfenen Olivetti-Schreibmaschinen (Abb.345)
sowie die Konstruktion und formale Durchbildung der Motorroller von Vespa und
Lambretta, 1948 und 1949. Diese Vorbilder konsequenten Designs wirkten sich auch
auf die Gestaltung der Wohnungseinrichtungen aus.
In den fünfziger Jahren, zur Zeit, als die bisher von den Künstlern dominierten
Mailänder Triennalen mehr und mehr im Zeichen der Designer standen und der
Mailänder Kaufhauskonzern La Rinascente mit der Verleihung des Preises
>Compasso d'oro< viel für das zweckmäßige moderne Möbel tat, wurde der eigentliche Grundstock für eine breite Entwicklung gelegt. Aus der Fülle von großartigen
Entwürfen, die oft durch die Fachpresse weltweite Verbreitung fanden, wurden
jedoch nur wenige tatsächlich in Produktion genommen (Abb. 346-349).
Trotz der Tatsache, daß das anspruchsvolle, durch kleine Serien teure Design nur
wenigen zugute kommen konnte, waren die schöpferischen Ideen so durchschlagskräftig, daß bald überall von den Erfolgen der italienischen Erzeugnisse gesprochen
wurde. Die Designer gingen meist von ästhetischen Lösungen aus, von einer plastischen Auffassung, die in direktem Gegensatz zum strengen Konstruktivismus des
Internationalen Stils stand. Ihre Serienprodukte waren formal durchdacht, manchmal etwas verspielt, aber immer überzeugend in der Aussage und von starkem
154
346. Luisa Castiglioni und Margherita
Mori. Wohnraum mit Bücherregal,
Arbeitstisch und Lehnsessel, um 1950.
Hergestellt von Ettore Canali.
347. Angelo Mangiarotti. Bücherregal, aus
einzelnen Holzelementen zusammengefügt,
1955. Hergestellt von Fratelli Frigerio.
348. Franco Albini, Luigi Colombini und
Enzio Sgrelli. Armstuhl mit beweglichem
Sitz und Rückenteil, Schaumgummipolsterung, um 1950. Hergestellt von La
Rinascente.
349. Angelo Mangiarotti. Kleiderschrank,
aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt, um 1950.
»Wir müssen mit der Tatsache beginnen,
daß bis zum Jahre 1946 die Tradition des
italienischen Design vollständig nach den
Richtlinien einer mit der Architektur eng
verbundenen Kultur geformt und entwikkelt wurde. Dies war natürlich rationalistische Architektur, die nach 1945 auf einer
ideologischen Ebene mit den politisch antifaschistischen
und
nationalen
Befreiungsbewegungen in Verbindung
gebracht wurde und die sich, auf eine starke Tradition stützend, vor allem in Mailand
konzentrierte. Sie war immer noch internationalistisch und elitär und befaßte sich zu
jener Zeit mit den Problemen der
Standardelemente und Vorfertigung«
(Vittorio Gregotti 51).
155
350. Franco Albini und Franca Helg. Sessel
mit Stahlrohrgestell und Schaumgummipolsterung, 1960. Hergestellt von Poggi.
351. Osvaldo Borsani. Sessel mit federndem
Metallgestell,
Schaumgummipolsterung und Bezug aus Stoff, Kunststoff
oder Leder, 1961. Hergestellt von Tecno
352. Marco Zanuso und Richard Sapper.
Sessel mit Metallgestell, 1964. Hergestellt
von Arflex s.p.a. Sitzfläche und
Rückenlehne aus Stoff oder Leder sind
durch ein Scharnier verbunden. Die verstellbare Aufllängung des Sitzes erlaubt
vier
verschiedene
Sitzpositionen.
»Während die besten englischen Produkte
über eine unmittelbare Ausgewogenheit
zwischen Nachfrage und Lösung, zwischen
Ergebnis und Ausführung verfügen, während die amerikanischen Produkte vor
allem jenen engen Raum, den ihnen das
Gefüge einer perfektionierten Technologie
und eines perfektionierten Produktionssystems läßt, auszufüllen wissen, zeichnet
sich das italienische Design, generell
gesagt, vor allem durch eine formal
geglückte Lösung aus. Es ist imstande,
ganz plötzlich durch eine brillante ästhetische Lösung die Lücken einer Produktion
zu schließen, in der Entwicklungsstand und
Produktion weitgehend unausgeglichen
sind,
die, was Technologie und
Organisation betrifft, im wesentlichen noch
im Reifeprozeß steht und . . . oft auf Improvisation zurückgreift« (Vittorio Gregotti52).
Individualismus geprägt. Als jedoch zunehmend soziale Uberlegungen in den
Vordergrund traten und man versuchte, stärker die Bedürfnisse breiter Schichten im
Entwurfsprozeß zu berücksichtigen, mußte man den bisher verfolgten Weg des originellen, individuellen Möbels für begrenzte Käuferzahlen verlassen. In diese Zeit
fallen die ersten Experimente mit Kunststoffmöbeln, 1960 von Joe Colombo und
Angelo Mangiarotti, 1964 von Marco Zanuso, mit denen man sich erhoffte, gute
Möbel zu erschwinglichem Preis herstellen zu können und damit einer breiteren
Käuferschicht modernes Design nahezubringen. Das technologisch sehr interessante und preisgünstige Kunststoffmöbel verhalf dem italienischen Design endgültig
zum weltweiten Durchbruch. Eine Fülle von Talenten, zumeist als Architekten und
Designer tätig, wie Gae Aulenti, Rodolfo Bonetto, Achille und Pier Giacomo
Castiglioni, Angelo Mangiarotti, Enzio Mari, Giancarlo Piretti, Alberto Rosselli,
Tobia und Afra Scarpa - neben den in den Bildtexten genannten Entwerfern - haben
156
353. Marco Zanuso und Richard Sapper.
Kinderstuhl aus Niederdruck-Polyäthylen,
1964. Hergestellt von Kartell.
Der Stuhl besteht aus drei Elementen (Sitz,
Beine, Gleiter), die durch Druck
zusammengefügt werden. Er wurde für
Kindergärten und Grundschulklassen entwickelt und läßt sich auch zum Bauen verwenden.
354. Vico Magistretti. Stapelstuhl >Selene
aus glasfaserverstärktem Polyester, 196E
Hergestellt von Studio Artemide.
355. Joe Colombo. Stapelbarer Stuhl au
>Moplen<-Kunststoff, 1965. Hergestellt vo
Kartell.
356. Carlo Vigano. Modulare Kastenmöbel
serie aus lackiertem Holz, 1968. Hergestell
von Cesare Augusto Nava.
Die einzelnen Behälter können aus sech
Grundelementen zusammengesetzt, hori
zontal oder vertikal kombiniert und mit ver
schiedener Inneneinteilung je nach Bedar
ausgestattet werden.
157
357. Anna Castelli Ferrieri. Runde, vielfach
kombinierbare Kunststoffbehälter mit oder
ohne Schiebetüren und Laufrollen, 1970.
Hergestellt von Kartell.
358, 359. Pierluigi Molinari. >BoxSystem<, 1970. Hergestellt von Asnaghi
Rinaldo & Figli.
Schränkchen mit Rolljalousien in zwei
Höhen aus Kunststoff, die beliebig verbunden werden können. Die Inneneinrichtung
ist variabel, neben Fachböden, Schubladen
und Kleiderstangen ist auch ein KlapptischEinsatz erhältlich. Mit Metallbügeln lassen
sich außerdem Tischplatten zwischen den
Kästen einhängen.
»Diese Möbelstücke, die zu bloßen ausstaffierten Behältern wurden - gewöhnlichen
Kästen- enthalten all die anderen Elemente,
deren Schaffung dazu diente, die übliche
Zusammenstellung der Bedürfnisse, die
unsere von Industrie und Produktivität
bestimmte Gesellschaft nach und nach
gemacht hat, so zweckmäßig wie möglich
zu ergänzen« (Ettore Sottsass 53).
eine Entwicklung vorangetrieben, vielfältig und schillernd, wie es dem individuellen Denken des Südens entspricht (Abb. 350-359).
Am Höhepunkt dieser Entwicklung, vielleicht durch die Ausstellung >Italy, The
New Domestic Landscape< im Museum of Modern Art, New York, gekennzeichnet,
steht allerdings der Versuch, auch im Möbeldesign den augenscheinlich bestehenden
Bruch zwischen Produktion und Gesellschaft in Italien, einem Land voll sozialer
Gegensätze, durch sozialkritische, radikale oder utopische Projekte zu ändern - AntiDesign anstelle des Design zu setzen.
Das Kunststoffmöbel
Die ersten Skizzen für preßverformte Stühle in Schalenform, die ganz aus
Kunststoff gefertigt werden sollten, stammen bereits aus dem Jahre 1946, und zwar
von der Hand Mies van der Rohes (Abb.360), der damals in Chicago arbeitete und
lehrte. Bei den von den Firmen Knoll und Miller entwickelten Möbeln der
Nachkriegsjahre wurde jedoch Kunststoff zumeist nur für die Sitzschalen verwendet, die Gestelle waren aus Metall. Die ersten Versuche italienischer Firmen und
Designer, die technischen und formalen Probleme des Kunststoffmöbels zu lösen,
158
reichen bei Kleingeräten bis in die späten Experimentierstadium die Phantasie der
Designer und der Wagemut der Unternehmer engagiert eine Entwicklung vorantrieben, deren Erfolg oder Mißerfolg noch überhaupt nicht abzusehen war.Wenn
auch zunächst manches noch handwerklich anmutete, so betrachtete man doch
grundsätzlich das Möbel als formale Einheit und wollte es folglich möglichst in
einem industriellen Arbeitsgang ganz aus Kunststoff herstellen.
Form und Technik mußten aus dem neuen Material gewonnen werden. Eine neue
Ästhetik entstand aus der weitgehend freien Verformbarkeit der Kunststoffe, die von
der chemischen Industrie zugleich immer weiter verbessert und den Erfordernissen
des Möbelbaus angepaßt wurden. Die Designer hatten nun ein Material zur
Verfügung, mit dem sie ihre Sitzmöbel in einem relativ einfachen
Produktionsprozeß dem menschlichen Körper genau anpassen konnten. Sie modellierten das Möbel, es entstand eine Plastik, deren Grenzwerte nur durch die
Anforderungen der maschinellen Fertigung und die Materialeigenschaften gegeben
waren. Vor allem Kunststoffstühle und kleinere, oft stapelbare Tischchen (Abb. 353355, 361, 363) wurden durch ihr geringes Gewicht und den zumeist recht niedrigen
Preis für ein breites Publikum interessant, wobei der Preis bei weiterer technischer
Perfektion und größeren Serien sicherlich noch merklich sinken könnte. Weitere
wesentliche Vorzüge des Kunststoffmöbels, wie die Schlag- und Kratzfestigkeit der
Oberfläche und seine leuchtende Farbigkeit, wurden immer mehr vervollkommnet.
Die des überholten Teakholzstils überdrüssig gewordenen Designer im Norden versuchten sich, wie auch die Designer in anderen Ländern, ab der Mitte der sechziger
Jahre ebenfalls in Entwürfen für Kunststoffmöbel, so daß bald von einem >internationalen Trend< gesprochen werden konnte. Jedoch blieb Italien immer, dank der
Vielfalt der gebotenen Modelle, ihrer präzisen Durchbildung und ihrer überzeugenden formalen Aussage, das einzigartige, oft kopierte Vorbild.
Bei der Konstruktion von Kastenmöbeln aus Kunststoff kam man bisher produktionstechnisch über bestimmte, begrenzte Größenordnungen nicht hinaus (Abb.
357). Das Material, dessen hervorragende plastische Eigenschaften bei Sitzmöbeln
ideal zur Geltung kamen, war Holz und Metall beim Bau streng kubischer Formen,
wie sie Kastenmöbel funktionsbedingt aufweisen müssen, unterlegen. Erfolge zeigten sich allenfalls dort, wo kleine Einzelelemente zu größeren Einheiten zusammengeschlossen werden, zum Beispiel bei Regalen (Abb. 361, 362).
360. Mies van der Rohe. Entwurf eines
Schalenstuhles zur Ausführung in
Kunststoff, 1946.
Die visionäre Skizze Mies van der Rohes
läßt Plastizität, technische Möglichkeiten vor allem durch Verstärkumg des Materials
an kritischen Punkten -, aber auch die
Grenzen technischer Realisierbarkeit
erkennen.
361. Vico Magistretti. Zerlegbarer Tisch
und Stühle aus verstärktem Kunstharz,
1969 und 1971. Hergestellt von Artemide.
Ernesto Gismondi. Regalsystem >Dodona
300< aus ABS-Kunstharz, 1971. Seitenteile
und Fachböden sind durch Metallwinkel
unsichtbar verbunden. Hergestellt von
Artemide.
159
362. Corrado Cocconi und Fabio Lenci.
Regalsystem mit Würfeln aus Plexiglas,
1970.
Die
Beschläge
und
Verbindungsstücke sind aus verchromtem
Metall, die Sockel aus poliertem
Aluminium und schwarzem Plexiglas.
Hergestellt von Ilform.
363. Jürgen Lange. Anbauwand >behr
1600<, 1969, zusammengesetzt aus flachen
Einzelteilen nach einem Modulsystem, das
in Höhe, Breite und Tiefe variabel ist. Die
Seitenwangen sind mit Bohrungen zum
Einhängen von Fachböden und Kastenelementen versehen. Klappbetten und tische, Durchgangstüren und Rückwände
sind für die Verwendung als Raumteiler lieferbar. Hergestellt von Behr Produktion
KG.
Im Vordergrund:
Mario Bellini. Stapeltisch >Amanta< aus
Kunststoff, 1967. Hergestellt von C & B
Italia.
Verner Panton. Stapelstuhl aus Fiberglas
und Polyester, bruchsicher und witterungsbeständig, l 960/1968. Hergestellt von
Herman Miller AG.
»Wenn
mit
dem
Ziel
der
Gewinnvermehrung Produktionsanlagen
Massenprodukte ausstoßen, muß der
Massenkonsum gesichert sein. Dadurch
entsteht heute für den Unternehmer der
Zwang, Märkte zu machen 54.«
Das Kunststoffmöbel bedarf schon aus technischen, noch mehr aber aus ökonomischen Gründen einer durchgängig industriellen Fertigung, um sich vom Preis her als
Massenartikel durchsetzen zu können. So mußte neben der technischen und formalen Entwicklung auch eine präzise Marktforschung vorgenommen werden. Entwurf,
Herstellung und Absatz des Kunststoffmöbels gehorchen den Gesetzen der
Industriegesellschaft, und es besteht gerade beim Kunststoffmöbel die Chance,
durch funktionelle Entwürfe, ausgezeichnetes Design und Preiswürdigkeit weitaus
breitere Käuferschichten für das moderne Möbel zu gewinnen als je zuvor.
160
Vom Einzelmöbel zur Wohnlandschaft
Seit dem Barock war es in der begüterten Oberschicht üblich, den Architekten nicht
nur mit dem Bau selbst zu beauftragen, sondern auch häufig die dem Charakter der
Räume entsprechende Einrichtung entweder von ihm entwerfen zu lassen oder bei
Handwerkern zu bestellen, die imstande waren, die dem >Stil< der Bauten entsprechenden Möbel zu liefern. Seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, der Zeit der
beginnenden Mietwohnungsarchitektur, suchten nun zunehmend größere Bevölkerungskreise in ihrem Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung die Wohnformen
des Adels und gehobenen Bürgertums zu imitieren. Die zwar arbeitsteilig vorgehenden, aber noch nicht voll industrialisierten Möbelfirmen boten hierzu bald eine
große Auswahl stilistisch einheitlich konzipierter und gefertigter Möbel zur
Einrichtung von vorgegebenen Räumen an; ihre Größe richtete sich nach den
Proportionen der neu entstandenen Mietwohnungen. Nachgebaute Stilmöbel, später
auch für die Kleinserie entsprechend angepaßte Entwürfe des Jugendstils, erschienen mit zunehmender Industrialisierung mehr und mehr in den Katalogen der
Möbelproduzenten. Als >Garnitur< hat sich diese Möbelform bis heute einen festen
Platz erhalten. Unter vermeintlicher Vorspiegelung eines gehobenen gesellschaftlichen Status verstellen diese für heutige Etagenwohnungen viel zu groß und schwer
geratenen Möbel wertvollen Wohnraum und beherrschen immer noch einen großen
364. Die stilistisch und historisch aus verschiedenen Vorstellungen und Epochen
stammenden Möbel bilden hier ein gutes
Beispiel
für
die
unorthodoxen
Einrichtungen der siebziger Jahre - keine
stilistische Prinzipienreiterei, sondern freie
Wahl sind bei sicherem Geschmack die
beste Voraussetzung für Wohnlichkeit.
161
365. Jürgen Lange. Programm >behr 1600
paneol<, 1970/71. Hergestellt von Behr
Produktion KG.
Regalböden, Kastenelemente, Spiegel und
Tische können bei dieser Aufbau-Wand an
beliebiger Stelle in die Fugen eingehängt
werden.
Der >Fauteuil grand confort< von Le
Corbusier (vgl. Abb. 252), fünfzig Jahre
früher entworfen, fügt sich selbstverständlich in dieses Ambiente.
Teil des Möbelmarktes Die Spezialisierung der Möbelindustrie in bestimmten
Produktsparten, wie zum Beispiel Schrankwänden, Sitzmöbeln oder Küchen, brachte unter dem Zwang zur Rationalisierung und Vergrößerung der Serien in den letzten Jahrzehnten eine gegenläufige Tendenz, die zur Auflösung der Einrichtung in
Einzelmöbel führte. So wurde etwa der Schrank im Zuge seiner Umwandlung zur
Schrankwand mehr und mehr anonymes, fast architektonisches Element im Raum,
vor dem die anderen Möbel, besonders die Sitzmöbel, umso stärker in Erscheinung
traten (Abb.365).
Die hieraus entstandene, noch immer weit verbreitete Neigung, die verschiedensten
Möbel in einer Wohnung nebeneinander zu verwenden, wird heute bereits wieder in
Frage gestellt. Suchte mantis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein durch eine
formal aufeinander abgestimmte Möblierung eine Anpassung an die - tatsächlich oft
gar nicht mehr vorhandenen - Normen der jeweiligen Oberschicht zu erreichen, so
steht heute beim Versuch der Gesamtgestaltung des >Environments< eine neue Idee
im Vordergrund: Durch größere Variabilität will man die durch die starre
Möblierung bisher fest vorgegebene Beschränkung der Räume auf einen bestimmten, speziellen Zweck wie Wohnen oder Schlafen aufheben und damit
Möglichkeiten für neue Lebensformen und informelles Verhalten, bei Ablehnung
leerer Repräsentation, schaffen. Man sitzt heute nicht mehr auf seinem Stuhl oder im
Sessel, man liegt, macht es sich bequem und genießt die Freiheit von der Norm.
162
Dem entsprechen die über einen ganzen Raum verteilten Polster, die geschwungenen Schaumstoffsitze, das Liegen und Sitzen auf dem teppichbespannten Boden
(Abb.366-370). Dieser Trend zur freien, variablen Nutzung des ganzen Wohnraumes
enthält sicher ein großes Maß an Kritik an den perfekt geplanten Einrichtungen, die
nach Fertigstellung jede Veränderung ausschließen. Vorschläge, wie sie die Firma
Bayer bei den Möbelmessen in Köln von Designern wie Verner Panton (geb. 1926),
Joe C. Colombo (1930-1971) und Olivier Mourgue (geb. 1939) im Rahmen ihrer
Visiona-Ausstellungen realisieren ließ, entstanden zunächst aus dem Versuch,
Produkte wie die für den Möbelbau geeigneten Kunststoffe besonders auffällig zu
präsentieren. Die dort als Messeneuheit und zur Werbung präsentierte
>Wohnlandschaft< (Abb.371-373) wurde bald, zumindest in Form von leicht zu realisierenden, kleineren Einheiten, von Designern weiterentwickelt und von
Möbelfirmen in ihre Programme aufgenommen. Vor allem Sitzmöbel dieser Art, oft
in Verbindung mit kleinen Kastenmöbeln, fanden in erster Linie bei jüngeren
Käuferschichten Anklang. Grundvoraussetzung für die Wohnlandschaft ist allerdings ein möglichst freier Grundriß der Wohnungen.
368-370.
Joe
Colombo,
Sitzmöbelprogramm >Additional System<,
1969. Hergestellt von Sormani.
Scheibenförmige Schaumstoffteile in sechs
verschiedenen Größen, die mit elastischem
Stoff überzogen und so an einer
Metallschiene befestigt werden, daß Sessel
oder Liegen von beliebiger Form und
Länge entstehen. Dazu passender kleiner
Mehrzwecktisch aus Kunststoff.
»Heute besteht das Problem gerade darin,
Einrichtungen anzubieten, die letztlich
autonom sind, das heißt unabhängig von
dem architektonischen Gehäuse, so koordinierbar und programmierbar, daß sie sich
jeder
heutigen
und
künftigen
Raumsituation anpassen können« (Joe
Colombo 55).
163
366. Ein weitläufiger Wohnraum in einem
amerikanischen Einfamilienhaus. Mit der
>Sitzgrube< wird auf bewegliches Mobiliar
fast ganz verzichtet
367. Wohnraum mit frei gruppierbaren
Sitzelementen.
Unterschiedliche
Lösungen
zur
>Wohnlandschaft<. Bei der Sitzgrube vor
dem Kamin dominiert zwar der Raum; ein
flexibler Raum im Sinne des japanischen
Hauses kann durch die fixierte Sitzgruppe
dennoch nicht entstehen. Joe Colombos
Lösung setzt die Veränderbarkeit im völlig
freien Grundriß voraus. Gruppierung, aber
auch Art des Sitzens oder Liegens bleiben
der Phantasie des Benutzers überlassen.
164
371. Joe Colombo. Kitchenbox-Block, eine
volleingerichtete und vollklimatisierte
Küche für das >Wohnmodell 1969< auf der
>Visiona 69<, einer Ausstellung der Bayer
AG, Leverkusen, auf der Internationalen
Möbelmesse Köln, 1969.
372. Joe Colombo. >Central living-Block<
für das >Wohnmodell 1969<.
Der quadratische Sitz- und Liegeteil mit
Bar in der Mitte, darüber ein rundes, drehbares, an der Decke befestigtes Bücherregal
mit ebenfalls drehbarem Fernsehapparat.
Im Hintergrund die Schlafzelle (>Night
cellBlock<) zum Ruhen und Schlafen, verbunden mit Bad und Schränken. Der
>Block< ist verschließbar und vollklimatisiert.
»Es ist ein halbfunktionierender Prototyp,
der diesen neuen Vorschlag zu leben
demonstrieren will; es handelt sich um eine
Struktur, die aus drei Maschinen
zusammengesetzt ist, die unter sich koordiniert sind und dazu dienen, in einer neuen
Welt zu wohnen« (Joe Colombo56).
165
Erziehung als Chance für die Zukunft
373. Olivier Mourgue. >Wohnmodell
1972< auf der >Visiona 72<, einer
Ausstellung der Bayer AG, Leverkusen, auf
der Internationalen Möbelmesse Köln,
1972.
»Eine offene, ungeteilte Wohnfläche, auf
der sich das gesamte Familienleben
abspielt, ein gemeinschaftlicher Wohnbereich, der sich dem Wandel der Familie
(Geburt der Kinder, Auszug erwachsener
Kinder etc.) anpaßt . . . Variierbarkeit des
Raumes, natürliche Bewegungsfreiheit,
Einbeziehung der Natur in den Raum, zum
Beispiel durch einen weichen, an Moos und
Erde erinnernden...57
Gegen den Zwang der Konsumgesellschaft, die gesamte Produktion einem raschen
modischen Wechsel zu unterwerfen, steht heute der Wille einer kleinen, aber stetig
wachsenden Käuferschicht, sich diesem Druck zu entziehen und selbst an der
Lösung der Einrichtung mitzuarbeiten, um sich eine ganz persönliche Umwelt aufzubauen. Jedoch muß man nur durch die Hallen einer Möbelmesse gehen, sei es in
Paris, Köln oder Mailand, um die Situation auf dem Möbelmarkt realistisch zu
erkennen. Ein großer Teil der Möbelindustrie und des Möbelhandels, aber auch der
meisten Kunden, ziehen nach wie vor die historisierenden Formen der
Vergangenheit, etwa den Bauernschrank, als Ersatz für fehlende Wärme im täglichen Leben, oder den billigen Abklatsch seriösen Entwürfen vor. Der Markt wird
immer noch überschwemmt von falschen Barockmöbeln, spanischen
Rustikalmodellen oder den charakterlosen Formen einer unverbindlichen Moderne.
Das gute moderne Möbel ist nur in einen relativ bescheidenen Bereich unserer
Zivilisation eingedrungen.
Ein Wohnen von morgen müßte zunächst ein Umdenken im Städtebau mit sich bringen - industrialisierter Wohnungsbau mit freien Grundrissen und verdichtetes
Wohnen angesichts der immer mehr vom Menschen beanspruchten und verschandelten Landschaft. Möglichst große Variabilität und Mobilität für den einzelnen sind
ebenso wichtig wie die Möglichkeit, Grundriß und Gestaltung der eigenen Wohnung
mitzubestimmen - Partizipation im Wohnungsbau unter Anleitung von Architekten
und Designern.
Eine derart konzipierte, bescheiden, aber gut gestaltete Umwelt verlangt nach
Möbeln, die nicht Sensation sind, sondern Gebrauchsgegenstände, mit denen sich
166
374, 375. Alberto Rosselli mit Abe Kozo.
>Pack 1<, auseinandernehm- und zusammenklappbarer Sessel, 1975. Sitzschale aus
Segeltuch, Kissen aus Schaumstoff mit
Dacronbezug. Hergestellt von Bonacina.
376, 377. Günter Sulz. Polsterkombination
>Canvas<
aus
luftgefüllten
Kunststoffkissen und Segeltuchbezügen in
verschiedenen Farben, 1973. Sitzkissen,
Rücken- und Seitenteile werden miteinander verschnürt. Hergestellt von Behr +
Sulz.
167
378, 379. Maurizio Dallasta und Davide
Mercatali. Sessel >Nomade<, 1975. Fünf
Kissen werden mit Gurten zu einem Sessel
zusammengeschnallt und können auch zu
anderen Kombinationen verbunden werden. Die Kissen sind mit Baumwollstoff
oder Segeltuch bezogen. Hergestellt von
Donchi Formart.
380. Piero Gatti, Cesare Paolini, Franco
Teodoro. Sitzsack aus Leder, 1969. Der
Sack ist mit Kunststoffperlen gefüllt, die
sich jeder Sitzposition anpassen, und leicht
zu tragen. Hergestellt von Zanotta.
Unsere Zeit verlangt von Sitzmöbeln
Variabilität und Leichtigkeit, Übereinstimmung etwa mit der legeren Kleidung von
heute, der >Blue-Jeans-Mode<. Leichte
Fauteuils oder tragbare Kissen ermöglichen
bequemes Sitzen und formloses >Liegen<.
jeder seinen persönlichen Lebensraum selbst gestalten kann. Es sollten Möbel
sein, einfach und menschlich in der Form, die durch industrielle Fertigung preiswert
hergestellt werden können. Möbel sind im Grunde immer zeitgebunden, denn im
natürlichen Ablauf eines Menschenlebens ändern sich die Ansprüche an die
Wohnungseinrichtung. Dieser Vorgang sollte aber nicht rein modischen Tendenzen
unterworfen sein, gesteuert von den Erfordernissen der Konsumgesellschaft.
Darüber hinaus gründen immer mehr junge Menschen oft mit geringen Mitteln
einen Hausstand. Aus der Erfahrung einer nun klein gewordenen Welt sind sie
gewohnt, >mobil< zu leben. Starre Traditionen müssen einem neuen Lebensgefühl
weichen, das wohl dem Prinzip der sozialen Gleichberechtigung entspricht, aber
auch durch eine sehr persönliche Auffassung über die Gestaltung der Wohnung als
bestimmende Umwelt charakterisiert ist. Leichte, oft veränderliche Möbel ermöglichen es, auch die aus finanziellen Gründen klein gewordenen Wohnungen erträglich einzurichten.
Die industrielle Fertigung variabler Systeme oder Programme, die von den
Bewohnern selbst montiert, aber auch verändert werden können, und neuartige, kostensparende Verkaufsmethoden (>cash and carry< - das Abholen von verpackten
168
381. Rolf Heide. >Rollschränke<, 1971.
Seiten- und Rückwände aus Stahlblech,
Türen,
Fachböden,
Abdeckund
Bodenplatten aus Holz. Die Schränke sind
auf Rollen montiert und können durch
Kupplungslaschen miteinander verbunden
werden. Hergestellt von Wohnbedarf.
382. Jonathan De Pas, Donato D'Urbino,
Paolo Lomazzi. Möbelsystem >Dado &
Vite<, 1970. Verschieden große Platten aus
Sperrholz können mit Schrauben und
Würfelmuttern aus farbigem ABS zu beliebigen Möbelstücken verbunden werden,
dazu verschiedene Ergänzungen wie
Schubladen, runde Tischplatten und Polster.
Hergestellt von Bonacina.
Möbel aus Elementen, die von den
Bewohnern selbst zusammengestellt, nach
ihren Bedürfnissen verändert oder ergänzt
werden können. Nicht mehr das Material ist
entscheidend - Holz, Stahlblech oder
Kunststoff -, sondern neben dem Preis die
Möglichkeit zur Veränderung, zu einer den
Bewohnern entsprechenden Einrichtung.
Diese Auffassung entspricht nicht nur der
>mobilen< Gesellschaft unserer Zeit, sondern ebenso dem Willen zur Gestaltung
eben dieser persönlichen Umwelt in einer
technisierten und uniformen Welt.
und zum Selbstbau bestimmten Einrichtungsgegenständen) ermöglichen erschwingliche Preise für das breite Publikum. Sie stellen eine vorzügliche Ergänzung
bewährter Einzelmöbel dar, die auf Grund ihrer formalen Wertigkeit und ihrer
Qualität immer noch den Schwerpunkt einer Einrichtung bilden könnten. Eine derartige Einrichtung setzt zuerst eine >Schulung< der Bewohner voraus. Solange die
meisten Menschen von einem Formbewußtsein geleitet werden, das zwischen
Historismus und Kitsch pendelt, bleibt eine menschliche, allgemeingültige
Formfindung im Bereich des Wohnens ebenso die Traumvorstellung einiger weniger wie in der Architektur. Es besteht die Hoffnung, daß durch intensivierte
Erziehung auch auf dem Gebiet des Wohnens schon in der Schule durch den Abbau
169
383. Günter Renkel. >Robinson<Programm aus massivem Kiefernholz,
1976. Grundelement sind Sprossenleitern,
in die Betten, Bücherborde, Schreibplatten
oder Schubladen eingebaut werden können.
Hergestellt von ZE Möbel, Einrichtungsbedarf GmbM & Co KG
eines falschen Repräsentationsbedürfnisses, durch Einflußnahme der
Massenmedien, aber auch durch vernünftige Preise des einfachen, guten Möbels ein
Wandel geschaffen. werden kann.
Die Architektur der Stille, die dem Formen- und Materialchaos der
Konsumgesellschaft unserer Zeit folgen muß, wollen wir in der uns umgebenden
technisierten Welt - Wohnung, Straße, Stadt - vernünftig existieren, verlangt ebenso
nach einfachen Räumen wie auch nach schlichten, aber gut gestalteten Möbeln, die
den Menschen wieder in den Mittelpunkt seiner persönlichen Umwelt stellen.
170
Das Möbel als Ausdruck seiner Zeit ?
Gedanken zur zweiten Ausgabe des Buches
»Ein Raum hat ein Wesen, genauso wie ein bestimmter
Fleck Erde ein Wesen hat. Wenn man in diesen Hafen
einläuft, so weiß man, daß man hier ist. Wenn man dieses Zimmer betritt, so weiß man, daß man da ist.«
Louis Kahn58
Als 1978 die erste Ausgabe dieses Buches erschien, war der Höhepunkt der
>Modernen Architektur< längst überschritten, die Ausstrahlung versiegt, waren die
»kühlen, strengen Formen des Funktionalismus . . . zur bloßen Mode geworden«,
wie es am Ende des Kapitels über die Weiterentwicklung des Internationalen Stils
heißt. Zu dieser Zeit äußerte sich die Kritik einer neuen Avantgarde gegen eine mißverstandene Anwendung der >Lehre< eines Mies van der Rohe oder Le Corbusier
durch die allgewaltigen Baumanager, gegen die Fehlinterpretationen formaler
Prinzipien, durch die Epigonen unter den Städtebauern, Architekten und Designern,
darüber hinaus auch gegen die verantwortlichen Politiker.
Es erscheint wichtig, die damals bereits sichtbaren Tendenzen zu wiederholen und
zu präzisieren: Die Wunden des Krieges in Europa und Asien schienen geheilt, der
Bedarf an Wohnraum in den westlichen Industriestaaten quantitativ halbwegs
gedeckt - nicht so sehr durch sorgsame Pflege und Weiterentwicklung menschenwürdiger Architektur, einfühlsames Erneuern oder Berücksichtigung sozialen
Gedankengutes im Planungsprozeß, sondern durch gedankenlose Anwendung
industrialisierter Methoden in Städtebau und Architektur. Die Folge war eine lediglich mengenmäßige Deckung des Wohnraumbedarfs, ohne das Eingehen auf persönliche Wünsche der Bewohner, ohne räumliche Beziehung zum umgebenden
Straßenraum, ohne echte Lösung der Verkehrsprobleme. All dies schuf monotone
Wohnghettos, trostlose Behausungen als Brutstätte neuer Zivilisationskrankheiten.
Unübersehbar manifestierten sich diese seelenlosen Wohngehäuse, ebenso wie die
auf engstem Raum zusammengepreßten stilpluralistischen und gestaltlosen
Einfamilienhäuser (die sich über weite Gebiete um den Kern gewachsener Städte
der Industrienationen erstrecken), als Zeichen des Formen- und Materialchaos eines
weltweiten Diktates der westlichen Konsumgesellschaft. Das schrankenlose
Auswuchern in eine nicht mehr zu beherrschende Megalopolis zeigte die Grenzen
der persönlichen Freiheit innerhalb eben dieser Konsumgesellschaft, in der sich der
Bürger zwar alle`Wünsche erfüllen konnte, damit aber gegen jede wie immer zu
benennende Ordnung verstieß, ohne die sich eine Gemeinschaft kaum positiv entwickeln kann. Das Auto hatte zwar den alten Menschheitstraum nach der Freiheit
von Zeit und Raum erfüllt, zerstörte aber durch seinen Anspruch auf Straßenfläche
überlieferte Raumvorstellungen, städtebauliche Ordnungen und veränderte nachhaltig die Lebens- und Wohngewohnheiten ganzer Länder. Der im Westen immer stärker sichtbar werdende Amerikanismus ist nicht zuletzt auf die Begleiterscheinungen
dieser >mobilen Welt< zurückzuführen.
Die Wohnungen der großteils sterilen, man möchte fast meinen, technisch >aseptischen< Vorstadtbehausungen wurden, nehmen wir die Bezugsländer Deutschland
und Österreich, zumeist mit Möbeln eines lediglich auf Gewinn orientierten
Möbelhandels eingerichtet - besser >angefüllt<. Voraussetzung dafür war zumeist
das Bestrehben der Bewohner, sich in dieser ungastlichen Welt ohne jedwede
Bezugshinweise ein > Nest< zu bauen, dessen Einrichtung mangels besseren
384. Die Veranda einer Pariser Wohnung.
Möbel und Designobjekte aus der Zeit der
fünfziger Jahre bis zur Gegenwart, sachkundig und liebevoll zusammengestellt,
bilden eine sehr eigenwillige Einrichtung,
deren musealer Charakter kaum spürbar
wird.
Im Hintergrund links das Regal
>Factotum< von Ettore Sottsass, davor der
Tisch >Infinito< von Alessandro Mendini
und Denis Santachiara, die Lampe
>Paramount< der Gruppe Ufo - alles für
das Studio Alchimia.
In kaum zwei Dezennien haben sich
Architektur, Design und Möbelkunst
grundlegend gewandelt. Aus international
anerkannten Stilkriterien entwickelten sich
sehr persönliche Auffassungen, geprägt
durch völlige Freiheit der Form und des
Inhaltes.
Sogar ernstzunehmende Kritiker haben es
schwer, zwischen den postmodernen oder
eklektizistischen und
neo-modernen
Formensprachen
zu
unterscheiden.
Spätmodernismus,
High-Tech
und
Dekonstruktivismus
stehen
diesen
Tendenzen
manchmal
gegenüber,
Mischformen entstehen. Ein Pluralismus
sondergleichen wird sichtbar, der die
Zuordnung zu den einzelnen >Stilen< kaum
mehr
möglich
erscheinen
läßt.
Offensichtlich führt der Terror des schnellen Konsums und ein scheinbar berechtigter
Wunsch der Medien nach Novitäten zu
einem sich immer schneller drehenden
Formenkarussell,
in
dem
etwa
Wolkenkratzer unendlich vergrößerte
Möbel darstellen und Möbel zu Skulpturen
werden, zu Objekten, deren Platz nicht
mehr in die Wohnung, sondern im Museum,
in der Sammlung ist. Zeitspanne des
Konsumismus, Kultur der Medien.
Trotzdem: Auch in dieser, unserer Zeit, entstehen Möbel hoher ästhetischer Qualität,
sollten sie auch nur sündhaft teure Unikate
darstellen, die doch eine weitere Entwicklung positiv zu beeinflussen vermögen.
171
Wissens oder auch aus finanziellen Gründenaus den Katalogen der heilen
Scheinwelt des Möbelhandels kommen mußte. Meinungsumfragennoch aus der Zeit
aus 1980 sprachen davon, daß etwa in Deutscxhland von 60% der Bevölkerung das
>altdeutsche Wohnzimmer< bevorzugt wurde, je etwa 15% wünschten sich eine
>modern-bürgerliche< Einrichtung oder wollten >räpresentativ< wohnen (was
zumeist einen Rückgriff auf einen historisierenden Möbelstilbedeutet. Hier vereinigen sich der Wunsch und die Vorliebe für Antiquitäten (wenn man das Geld dazu
hatte) mit nostalgischen Träumen, die eben mit nachgebauten Stilmöbelnaus den
Katalogen auch finanziell erfüllt werden können. Erinnerungsstücke an
Ferienreisen, Pflanzen und schwere Vorhänge vervollständigen dieses Bild
einer >Gemütlichkeit<, in der die Bewohner zu Statisten einer imaginären
172
385.
Karin
Mobring.
VadstenaAnbausystem der Firma IKEA. Regal,
Schrank und Vitrine im Baukastensystem:
90 cm hoch, 90 cm breit und 38 cm tief,
weiß lackierte Spanplatten, Türrahmen
massive Kiefer.
Aus dem Katalog 1988: »Was auf dem
Boden steht, bekommt einen Sockel, die
anderen Teile stellst Du einfach aufeinander. So kannst Du immer wieder neu kombinieren.«
386. Knut und Marianne Hagber g.
Schlafzimmereinrichtung der Firma IKEA.
Bett >Kontur< in massiver Kiefer mit kieferfurnierter Spanplatte, mit Klarlack lakkiert, in zwei Größen lieferbar;
Kleiderschranksystem >Ken<, melaminbeschichtete
Spanplatten,
über
ein
Grundelement ausbaufähig, wahlweise mit
vier verschiedenen Türen.
Zentrale Planung. Verkauf über eigene
Niederlassungen in verschiedenen Ländern
und die damit verbundenen großen Stückzahlen garantieren eine preisgünstige
Leistung. Mit diesen Beispielen zeigt sich
der Vorteil einer industriellen Fertigung,
deren Grundprinzip auf der Anerkennung
guter formaler Qualität beruht.
Diese unserem sozialen Jahrhundert durchaus entsprechende Idee des Angebotes einfacher, qualitätvoller und dem Zeitgeist entsprechender Möbel bedarf der Befruchtung
durch das geniale Objekt, den genialen
Entwurf, um auch für die breite Masse den
Hauch der Avantgarde, also der positiven
Novität, spürbar werden zu lassen.
387, 388. Antti Nurmesniemi. Stuhl
>Tuoli<, 1983. Hergestellt von Studio
Nurmesniemi Oy, Vuokko.
Ein Stuhl aus massiver Kiefer, dessen körpergerechte Form die typisch skandinavische Materialbeherrschung zeigt.
Möbelszenerie degradiert werden. Lediglich 10% der Befragten bevorzugten einen
>avantgardistischen< Wohnstil - was immer das bedeuten mochte.
Was einer breiteren, zu bescheidenem Wohlstand gekommenen Bevölkerungsschicht allenthalben fehlte, war die Erfahrung in der Wahl von einfachen und
geschmackvollen Möbeln. Das Einrichten von vorgegebenen Räumen, der Umgang
mit Raumdimensionen und Raumbeziehungen, mit Farben und Licht setzt einen längeren Lernprozeß voraus. Die Vertrautheit mit dem Begriff >Wohnen< beginnt in
jungen Jahren, man wächst mit den Werten auf, die überliefert sind, sich aber notwendigerweise verändern, sucht dann selbst den Weg, sieht, vergleicht. Es schien,
als ob die individuelleFreiheit, die Möglichkeit, alles zu sehen, alles zu erwerben,
die Menschen überforderte. Das Ergebnis war so etwas wie ein Kollektivbewußtsein
des schlechten Geschmacks, das trotz aller Bemühungen engagierter Architekten
389. Antti Nurmesniemi. >Garden Seat<,
1982. Hergestellt von Studio Nurmesniemi
Oy, Vuokko.
In dieser einfachen Konstruktion liegt der
Versuch, mit Form und Proportion dem
internationalen Trend formaler Ubersteigerung entgegenzuwirken.
390. Hans Amos Christensen. Liegestuhl
und Paravent aus galvanisiertem Stahl mit
Teakholzstäben, 1987. Hergestellt von
Schreinermeister Niels Roth Andersen.
Die Tradition des dänischen Möbels wird
auch von den jungen Designern fortgesetzt:
Schönheit des Materials, hohe Qualität der
Ausführung.
173
und Designer, trotz Ausstellungen, Design-Preisen und einer Fülle von einschlägigen Publikationen im mitteleuropäischen Bereich triumphierte.
Nun aber stellt sich dieses kollektive Denken in den einzelnen Ländern verschieden
dar, abhängig von vielen Komponenten wie Überlieferung, Erfahrungen,
Modeströmungen etc. Sehen wir etwa in Frankreich immer noch eine Sehnsucht,
sich - auch mit unzureichenden Mitteln - an der hohen Möbelbaukunst des Lonisquinze und Louis-seize zu orientieren oder die Art Deco der zwanziger Jahre zu imitieren, so scheint es, als ob sich in den nordischen Ländern eine das qualitätsvolle
moderne Möbel akzeptierende Wohnungseinrichtung in größerem Maße durchsetzte als anderswo. Gründe dafür mögen sowohl eine aus der Tradition der
Jahrhundertwende entstandene bürgerliche, eher bescheidene Wohnkultur sein
als als auch das Angebot der Möbelerzeuger, deren Designer bereit waren, hohe
174
Qualität den modischen Tendenzen vorzuziehen, und die mit dieser
Verkaufsphilosophie auch heute noch Erfolg haben. Die langjährigen Versuche über Schulen, Gewerkschaftsorganisationen etc. -, das Wissen um den >guten
Geschmack< beim Einrichten, die Auswirkungen einer Raumphilosophie der oberen
Schichten um die Jahrhundertwende (Adel, Großbürgertum) auf eine neue, breite,
im Umgang mit Möbeln noch nicht so erfahrene, nun sozial gleichberechtigte
Schicht zeigten sicherlich positive Ergebnisse. Wenn auch der große Einfluß skandinavischer Möbelbaukunst im letzten Jahrzehnt spürbar zurückging, so blieb doch
die Bevorzugung natürlicher Materialien (Holz, verschiedene Stoffe) nach wie vor
tief verwurzelt, dem traditionellen Bedürfnis nach Naturnähe adäquat.
Kunststoffprodukte hatten wenig Chance, erfolgreich zu sein. Die Treue gegenüber
den bewährten Möbelklassikern blieb, wie es etwa die Weiterführung des
Verkaufsprogramms der Alvar-Aalto-Möbel in Finnland oder die Erzeugnisse eines
Hans J. Wegner in Dänemark bezeugen. Aus diesen Ländern kam darüber hinaus
verstärkt - und mit großem Einfluß auf den gesamteuropäischen Bereich - der
Versuch, einfache, billige und gut gestaltete Möbel über Handelshäuser anzubieten,
etwa als zerlegbare Möbel zum Zusammenbau (Ikea). Diese Entwicklung, auf die
im vorhergehenden Kapitel hingewiesen wurde, ist als überaus wichtiger Schritt in
Richtung einer nach wie vor notwendigen industriellen Produktion einfacher Möbel
zu begrüßen. In Italien, dem Land krasser sozialer Gegensätze und einer DesignPhilosophie, die schon in der frühen Nachkriegszeit in starker Verbindung zu den
Belangen der Architektur, des Städtebaues, aber auch der Mode (und damit der
Filmkunst, des Theaters etc.) stand, wurden die in den sechziger Jahren immer deut-
175
391. Wohnraum mit Möbeln von Vico
Magistretti: Sessel >Veranda<, 1983, mit
innenliegendem
Mechanismus
zum
Verstellen in individuelle Positionen; Sofa
>Cardigan<, 1986, Holzrahmen mit Lederoder Stoffbezug; Beistelltische >Sindbad<,
1981, aus Esche mit verschiedenen
Beiztönungen. Hergestellt von Cassina.
392. Pep Bonet. Regal >Albor<, 1986.
Holzspanplatte, weißlackiertes Stahlblech
und säurebehandeltes Glas, innen beleuchtet. Hergestellt von BD Ediciones de
Diseno.Dieses freistehende Regal mit formalen Hinweisen auf die Postmoderne
zeichnet sich durch extreme Schlankheit
aus. Spanisches Möbeldesign, von dem in
den nächsten Jahren starke Impulse zu
erwarten sind.
393. Wohnraum mit dem >CAB<-Stuhl von
Mario Bellini, 1977, und dem >AEO<Sessel von Archizoom/Paolo Deganello,
1973. Hergestellt von Cassina.
Die bis heute so erfolgreiche CAB-Familie
entstand 1977 mit dem Stuhl 412 - einer der
Klassiker unserer Zeit. Die widerstandsfähige Stahlstruktur ist mit gut gespanntem'vernähtem und mit Reißverschlüssen versehenem Leder überzogen. Eine geniale
Konstruktionsidee, gepaart mit Materialbeherrschung in der Tradition besten italienischen Möbeldesigns.
394. DesignimGrenzbereich: Re-Design
des Wassily-Sessels (Marcel Breuer, 1925)
von Alessandro Mendini, 1978, für
Alchimia.
»Was Alchimia Ende der siebziger Jahre in
Form von jährlichen Kollektionen vorstellt,
sind Objekte, deren Funktion wie eine beiläufige Zutat wirkt. Die Analyse von
Funktionen ist bei keinem der für Alchimia
entwerfenden Künstler ein Ausgangspunkt
zur Formgebung 59.«
licher sichtbar werdenden Tendenzen des gängigen Produkt-Design, sich den
Forderungen einer Konsumdiktatur unterzuordnen, sehr bald zu einem Anstoß für
ein politisch motiviertes Denken. Das >Radical-Design<, auch >Konter-Design<
genannt, wandte sich also in den Jahren 1969 bis 1975 gegen die Einbeziehung des
Möbels in den Prozeß eines raschen Konsumgüteraustausches. Mit Manifesten, utopischen Entwürfen, aber auch mit der Einbeziehung von Ironie und Absurditäten,
versuchten die - zumeist jungen - Designer, auf die Mißstände der gesellschaftlichen
Entwicklung aufmerksam zu machen, die in diesem lediglich vom Verkauf bestimmten Produkt-Design sichtbar wurden. Nach 1975 versuchte man, Objekte, die in großen Stückzahlen für den Markt erzeugt wurden (wie etwa Stühle von Mies van der
Rohe), durch das sogenannte >Re-Design< zu verfremden. Einzelstücke aus den
Serien sollten >individualisiert< werden. Die Konsequenz daraus war der Versuch,
Objekte und Möbel, die, in großer Masse erzeugt, nach Meinung der >ProduktDesigner< den allgemein schlechten Geschmack ausmachten, als Kunstgegenstände
aufzuwerten (>Banal-Design<). Damit sollte gezeigt werden, daß auch aus
Zwischenkulturen, die in den Randzonen der Städte, in den Supermärkten, in den
Ferienorten heutiger Prägung sichtbar werden, geschöpft werden könne. 1976 entstand aus diesen Erfahrungen das Studio Alchimia, das wieder - unter Einbeziehung
von Architektur, Malerei, Graphik - versuchte, stilprägend zu wirken und sich damit
vor der Notwendigkeit sah, erneut über eine Möbelproduktion und eine eigene
Vertriebsorganisation den Markt zu beeinflussen. Die Spaltung dieser Gruppe (aufgrund verschiedener Auffassungen) führte zur Gründung der Memphis-Gruppe,
deren Begründer Ettore Sottsass es zustande brachte, bekannte internationale
176
Designer für eine Mitarbeit zu gewinnen. Der Erfolg in den Medien war - für eine
Avantgar de Produktion - erstaunlich. Durch eine große Anzahl publizistisch gut
vorbereiteter Ausstellungen gelang es rasch, international Aufmerksamkeit zu erregen, und dies zu einem Zeitpunkt, als die Designer in vielen Ländern sich der
Notwendigkeit einer Erneuerung im Möbelbau bewußt waren.
Francois Burkhardt sieht folgende gemeinsame Merkmale italienischer
AvantgardeBewegungen:
- »Die Objekte sind ikonographisch markant gestaltet.
- In den jeweils gegebenen geschichtlichen Situationen wirken diese Objekte
befreiend. Lust soll der Gestalter bei der Arbeit empfinden, wie der Rezipient beim
Gebrauch der Objekte.
- Gestalterische Tabus gibt es nicht; alle Gestaltungsformen und Kombinationen mit
allen Erscheinungsformen aus den Objektbereich sind möglich geworden.
- Den ikonographischen Funktionen sind alle anderen Funktionen untergeordnet.
- An Stelle von langfristigen Zielvorstellungen treten kurzfristige, die sich gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprechend rasch ändern können.
- Design, Architektur und Innenarchitektur sind Experimentierfelder und in ihren
Entwurfsmethoden nicht voneinander zu scheiden60.«
395. Gaetano Pesce. Sitzkombination
>Cannaregio<, 1987. Hergestellt von
Cassina.
Kombinierbare Elemente, deren Form und
Volumen sich nicht wiederholen. Die
Vielfältigkeit wird
durch
extreme
Farbgebung unterstrichen, wobei Sitz,
Rücken- und Armlehnen in verschiedenen
Stoffarten und Farben bezogen werden. Die
tragende Konstruktion besteht aus mehrschichtigem Holz, die Polsterung aus
Polyurethanschaum, abnehmbare Bezüge.
396. Gaetano Pesce. Sessel >Feltri<, 1987.
Hergestellt von Cassina.
Für hohe und niedrige Einheiten entworfen,
ausschließlich aus dicker Filzmatte gefertigt. Der untere Teil des Sessels, der als tragender Teil dient, ist mit wärmegehärtetem
Kunstharz imprägniert, um die benötigte
Festigkeit zu gewährleisten. Der Sitz ist
durch Hanfbänder, die auch die weichen
Kanten des Sessels umrahmen, an dem tragenden Gestell befestigt. Bezug aus
gestepptem, mit Daunen gefülltem
Material.
177
397. Paolo Deganello. Sofa >Torso<, 1982.
Hergestellt von Cassina.
Verbindung von Liege und Fauteuil, kombiniert mit einem Abstelltischchen.
Vielfältige Materialzusammenstellungen
sind möglich.
398. Toni Cordero mit Francesco De Petris.
Inneneinrichtung einer Wohnung in einem
Turiner Haus aus dem 19. Jahrhundert.
Hier ein Sitzplatz mit Blick zum Vorraum.
Die beiden Sofas und das Tischchen von
Paolo Deganello, hergestellt von Cassina.
399. Oscar Tusquets und Llufs Clotet.
>Suono<, Wagen für Stereoanlage, 1987.
Hergestellt von Zanotta.
Gestell aus einbrennlackiertem Stahl in
Schwarz. Die Breite ist verstellbar,
Seitenteile können ausgeklappt werden.
Hatte das italienische Möbel, das sich aus dem Internationalen Stil heraus in durchaus eigenständiger Form entwickelte (Italian Style), schon in den siebziger Jahren
einen führenden Platz errungen (siehe Abschnitt »Neue Impulse aus Italien«, S.
152), so wurden die Einzelmöbel einer selbsternannten Avantgarde durch ihre
Werbewirksamkeit, Fotogenität und den überquellenden Formenreichtum zu einem
weltweiten Erfolg für ihre Designer, obwohl ein Großteil dieser >Kunststücke<
kaum in Wohnungen verwendet wurde, sondern bestenfalls als Exponate in DesignMuseen landete. Aus der positiven Haltung kämpferischen Denkens wurde erneut
eine Modeerscheinung. Allerdings - die Ubernahme von Farbe, Formensprache und
formalen Artikulierungen aus dem Bereich der Memphis-Gruppe verlieh nun auch
den Erzeugnissen des >ProduktDesign< ein Hauch von Avantgarde. Damit landeten
aber vor allem die Produkte der Mitläufer einer unter den hohen Ansprüchen einer
Veränderung der Gesellschaft angetretenen Gruppe erneut im Umfeld der
Konsumgesellschaft. Zurück zur Entwicklung in der Architektur, die sich seit geraumer Zeit abzeichnete. Politisches Engagement, Sorge um eine bedrohte Umwelt und
das Bewußtsein, in einer Welt zu leben, deren natürliche Rohstoffquellen sich als
nicht unerschöpflich erwiesen, ließen die Menschen allerorts zu alternativen
Maßnahmen greifen. War dies im Städtebau die Kultivierung des Straßen- und
Platzraumes, also die Sorge um überlieferte Werte und der damit verbundene
Versuch, den eigenen, gewachsenen Lebensraum zu erhalten, so folgte in der
Architektur dem Internationalen Stil eine von Amerika ausgehende Bewegung mit
dem Versuch, dem Rationalismus eine neue Formenwelt entgegenzusetzen, die unter
Heranziehung architekturhistorischer Zitate, aber auch durch ironisierend historisierenden Umgang mit Bauformen eine individuell gefärbte Architektenwelt schuf -
178
allgemein (insbesondere von Charles Jencks) als die >Postmoderne< bezeichnet. Zu
den positiven Ergebnissen dieser Entwicklung zählt eine neue Auffassung des
>Raumes< an sich, die sich erneut an die großen historischen Beispiele anschließt
und so den Menschen in einen für ihn faßbaren Mittelpunkt stellt; zu den negativen
Auswirkungen zählt der Versuch der Mitläufer dieser Bewegung, historisierende
Realitäten als neue Baukunst darzustellen.
Im Möbelbau beeinflußten einander die Verwendung historisierender, aus der postmodernen Architektur abgeleiteter Formen und die Ergebnisse der vielfältigen
Versuche der italienischen Avantgarde, so daß man sehr bald von >postmodernen<
Möbeln sprechen konnte.
Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß im letzten Jahrzehnt auch in der
Entwicklung aus dem Internationalen Stil heraus im Möbelbau beachtliche
Fortschritte erzielt werden konnten. Aus dem politischen Engagement vor allem der
jungen Generation im Sinne alternativer Bewegungen, dem Eintreten für eine Änderung der Lebensweise durch Aufgabe des Konsumzwanges, aus Versuchen, die
Natur zu erhalten, Bescheidenheit im Materialverbrauch, aber auch einer gewissen
Nostalgiewelle wurden in den späten siebziger Jahren die Anforderungen an den
Grundriß der Wohnungen anders interpretiert. Die Behausungen wurden familiengerechter, offener, variabel. Daran war eine praktizierte Mitbestimmung
imWohnbau ebenso beteiligt wie die Revitalisierung von brauchbaren
Altwohnungen, deren Umfeld einer auflkommenden Nostalgie entsprach. Die
Möbelindustrie reagierte mit variablen Möbelprogrammen, veränderbaren Möbeln
sowie billigen Erzeugnissen und bevorzugte Materialien wie Holz, gute
Stoffqualität, manchmal auch Leder. Eine stille Einfachheit war das Ziel vieler
Anstrengungen, das Einzelmöbel wurde im allgemeinen vor dem kompletten
Möbelprogramm bevorzugt. Nicht mehr das Möbel war Mittelpunkt des Raumes,
sondern der Bewohner.
Die Qualität der Produkte jener Möbelerzeuger, die sich dem >guten Design< verschrieben hatten, stieg zusehends, etwa im Bereich der Sitzmöbel, wo aus einer
Fülle von Angeboten an ästhetisch vollendeten Sitzgruppen gewählt werden kann.
Die Küchen werden zu Erlebnisräumen der Familie, Holz hat auch hier den
Kunststoff verdrängt. Große Aufmerksamkeit wird dem Schlafzimmer zugewandt,
in dem das Bett (in vielfältiger Form) wieder zum Mittelpunkt wird. Möbelbau zwischen Industrie und Handwerk, die einander gegenseitig befruchten.
Immer noch erzeugt werden jene zeitlosen Modelle, mit denen sich der moderne
400. Toshiyuki Kita. ~Kick<, Drehtisch auf
Rollen, 1983. Hergestellt von Cassina.
Untergestell aus dunkelgrau lackiertem
Stahl,
mittels
eines
gasgefüllten
Federungssystems
höhenverstellbar.
Ovalplatte aus lackiertem Holz in verschiedenen Farben. Ein überaus praktisches
Beistelltischchen.
401. Ettore Sottsass. >Mandarin<-Stuhl
und >Spyder<-Tisch, 1986. Hergestellt von
Knoll International.
Die Armlehnen des Stuhls sind geschwungene Kurven aus Stahlrohr, in verschiedenen Farben lackiert, oder aus Rattan, in
natürlicher Buche oder grau gebeizt. Die
Beine sind mattschwarz beschichtet.
Der Tisch vereinigt Industriematerialien
und Präzisionsgußteile: Glasplatte mit
abgeschrägten Kanten, starrer Querträger
aus Polyurethan und Stahl, beschichtet in
Hochglanzsilber
oder
Mattschwarz.
Geschwungene
Stahlrohrbeine
in
Mattschwarz oder verschiedenen Farben.
402. David Palterer. Stuhl >Fauno<, 1987.
Hergestellt von Zanotta.
Gestell aus verchromtem Stahlrohr und
schwarzlackierter Buche.
179
403. Beppe Caturegli. Sessel >Nadia<,
1987. Holzgestell, Bespannung mit
Wollstoff.
404. Angelo Micheli. Beistelltisch
>William< aus Schiefer, 1987.
405. Ettore Sottsass. Regal >Max<, 1987.
Möbel
aus
lackiertem
Holz,
Holzfurnier,Terrazzofliesen und Plexiglas.
406. Marco Zanini. Chaiselongue >Juan<
aus Kunststoffplatten, Metall und
Alcantarabezug, 1987.
Diese alle im Jahr 1987 für >Memphis<
entstandenen Möbel weisen auf die vielfältigen Versuche hin, nicht nur durch
Formenvielfalt, sondern auch durch
Verwendung und Kombination verschiedenster Materialien neue Wege zu beschreiten. Als Einzelmöbel - oder Kunstobjekte aufwendig in der Herstellung, haben sie
doch der seriellen Fertigung starke Impulse
gegeben.
180
407. Borek Sipek. Chaiselongue >Sni<,
1987. Gestell aus Kirschholz, Sitz und
Seitenlehne mit schwarzem Leder, die
Rückenlehne mit blauem Stoff bezogen.
Hergestellt von Driade.
Der
Einfluß
der
theoretischen
Uberlegungen italienischer Designer wird
gerade bei diesem Sitzmöbel deutlich sichtbar. Mut zu formaler Extravaganz, konstruktive
Unbekümmertheit
und
Vielfältigkeit
kennzeichnen
diese
>Chaiselongue<.
410. Hans Hollein. Sofa >Marilyn<, 1983.
Gestell mit Wurzelholz furniert, Polsterung
aus geschäumtem Polyurethan. Stoffbezüge
in verschiedenen Farben möglich.
Hergestellt von Poltronova.
Mensch über Jahrzehnte identifizieren konnte. Als Beispiel mögen etwa die
Stahlrohrstühle der späten Bauhauszeit (Abb. 229-237), die Möbel Le Corbusiers
(Abb. 248-252), die perfekten Lösungen eines Charles Eames (Lounge-Chair zum
Fernsehen, Abb. 319) dienen, aber auch jene gültigen Modelle der Bugholzmöbel
(Abb. 69-98), mit der Patina von hundert Jahren überzogen, die nun zu horrenden
Preisen als wahre Antiquitäten gehandelt werden.
Wie schon festgestellt: auch heute noch stellen die gut gestalteten Möbel nur einen
verschwindend geringen Prozentsatz der Einrichtungen dar, nur von wenigen, fast
möchte man sagen >elitär< denkenden Menschen akzeptiert - die große Mehrzahl
der Bevölkerung richtet sich weiterhin mit Möbeln ein, deren Spannweite von >stil-
408.
Alessandro
Mendini.
Tisch
>Macaone<, 1985. Platte aus schwarzlakkiertem Medium Density, Einlagen aus
schwarzem AntiFleck-Leder. Beine aus
schwarzlackiertem Buchenholz. Hergestellt
von Zanotta.
409. Philippe Starck. Stuhl ~Ed Archer<,
1986. Fuß aus poliertem Gußaluminium,
Sitzschale aus Stahlrohr mit gefederter
Sitzfläche,
Bezug
in
schwarzem
Juchtenleder. Hergestellt von Driade.
»Semantisch: Das Modell muß Objekt der
Sinne sein, um mit seinem Benutzer
gefühlsmäßige Bande zu unterhalten. Das
Modell muß aber auch Träger von Zeichen
sein, damit der Benutzer es kulturell und so
viel repräsentativer einsetzen kann 61.«
181
411. Borek Sipek. Stuhl >Anebo Tak<,
1986. Für die Serie entwickelt aus dem
Objekt >Das Ding zum Besitzer<, 1984.
Edelstahl und Blech verkupfert. Hergestellt
von Driade.
»Ich suche nach einem funktionalen Stil,
der individuell erlebbar ist. Ich will eine
individuelle Funktionalität, die bewußten
Umgang mit Objekten fordert. Ich will die
Erinnerung an bestimmte Vorgänge und
nicht anonym reibungslose Abläufe. Meine
Objekte sollen nicht interpretatorisch partizipiert, sondern unmittelbar erfahren, empfunden werden. Ich suche einen emotionalen Umgang mit meinen Objekten. Ich
glaube an eine Macht der Form, die den
Menschen fesseln kann; ich glaube an die
Wirkung von Formen, die stärker sind als
der konventionelle Menschenblick62.«
412. Robert Venturi. Stuhl >Queen Anne<,
1984. Hergestellt von Knoll International.
Fünf Jahre Entwicklungsarbeit waren notwendig, um Möbel zu entwickeln, deren
moderne
Technologie gleichrangige
Symbolwerte einschließen. Das mehrdeutige Erscheinungsbild spekuliert mit
Historismus und Populismus, aber die
Postulate des funktionalen Design werden
erfüllt (Standardisierung, Systemdenken
usw.). Die Frage bleibt, wie weit der
Verkaufserfolg den Aufwand rechtfertigt.
voll< bis >bürgerlich< reicht und die in immer größerem Maße in den
Einrichtungshäusern angeboten werden. Produkte einer Möbelindustrie, von einem
Design beherrscht, das die Einkaufsleiter der Einrichtungshäuser bestimmen -oder
aber die Redakteure der >volkstümlichen< Zeitschriften über Möbel und Wohnen.
Architektur, Form, Gestaltung in unserer Zeit sind vieldeutig, vielschichtig, bunt
schillernd wie nie zuvor. Immer schneller verbrauchen sich neue
>Stileinrichtungen<, werden zu einer kurzlebigen Mode. Alles ist machbar, alles
erklärbar. Die völlige Freiheit in der Kunst, der schnelle Wechsel der Richtungen
werden unterstützt von den Massenmedien, vor allem durch die Allgegenwärtigkeit
des Fernsehens, das mehr und mehr Tun und Lassen der Menschen bestimmt,
182
413, 414. Kurt Thut. Schrank Nr. 380,
1985, aus feinwelligem Aluminium,
Innenteile schwarz lackiert, mit je einem
Abteil für Kleider und Wäsche. Hergestellt
von W. Thut AG.
415,
416.
Hans
Eichenberger.
Kofferschrank
>Wogg
8<,
1985.
Hergestellt von Wogg AG.
Freistehende Schränke in hoher Qualität,
formal noch beeinflußt vom Internationalen
Stil. Sie können als Raumteiler gestellt werden und so eine Freizügigkeit des
Wohnungsgrundrisses unterstreichen. Als
Barschrank (siehe Abbildung), Sekretär,
Sammlerschrank, Utensilienschrank zu verwenden.
417. Gerd Lange. Regalsystem >Wogg <,
1985. Hergestellt von Wogg AG.
Für alle Regalteile wird eine im
PostformingVerfahren mit Kunststoff
ummantelte Feinspanplatte in den Farben
schwarz oder weiß hochglanz sowie weiß
matt verwendet. Die Steckverbindung
besteht aus einem Spritzgußteil aus
Makralon von hoher Festigkeit in den
Farben weiß, schwarz, rot, blau oder gelb.
Symbole setzt, Wege weist, Formen schafft oder unterstützt. Die Menschen, die
gebannt vor dem Fernsehschirm sitzen, werden aus Akteuren des großen Spiels, das
Leben heißt, Zuschauer, leider oft nur zu sehr manipulierbar. Wie auch die
Fotografie und der Film beschränkt das Fernsehen die dreidimensionale Wirkung
des Raumes auf zwei Dimensionen. >Raum< selbst ist aber nur spürbar, wenn man
darin wandelt, ruht, sich zurückzieht. >Raum< wirkt nicht allein durch seine
>Dreidimensionalität<, sondern durch die überaus sensiblen Sinne des Menschen,
die Bewegung, Empfindung, Uberlieferung mit einschließen. Die zweidimensionale Wiedergabe, reduziert auf bildhafte Momente, wirkt damit spannungslos. >Stille<
kann nicht wiedergegeben werden. >Würde<, >Ergriffenheit< ebensowenig, vielleicht manchmal >Proportionen<. Damit werden die Medien Fernsehen und Presse
zu rein optischen Sensationen gezwungen, sei es in Form oder Farbe, in
Beleuchtung oder in einem gezielten Ablauf von Bewegungen, auch in den Inhalten.
Diese Phänomene der Notwendigkeit einer Sensationsbefriedigung sowie einer
Berichterstattung, die heute in Sekundenschnelle aus allen Teilen der Welt möglich
183
420. Matteo Thun. Containermöbel aus
laserperforiertem
Stahlblech,
1985.
Hergestellt von Bieffeplast.
Ein Versuch, dieses ikonographisch belastete
Material
(Möbel
aus
Blech:
Krankenhäuser und Büros) in den
Privatbereich aufzunehmen. Durch totale
Mechanisierung der Herstellung sollen
Kosten gesenkt werden und die
Zeichensprache des Designers mit den
>Schneide-, Biege- und Schweißeinheiten<
ersetzen. An der Vorderseite als
>Schmuckelement< ein laserperforiertes
>elektronisches Pattern<.
418, 419. Oscar Tusquets. Schrank für
Stereoanlage und Fernsehgerät, 1987.
Hergestellt von Artespana.
Zitronenbaumholz in zwei Farben mit eingelegtem Ebenholz: Das Material hebt den
Kontrast zwischen der >Hülle< in kunsthandwerklicher Fertigung von hoher
Qualität und des >Inhaltes< mit technischen Geräten hervor.
ist, schon aus Konkurrenzgründen der Medien untereinander, schufen notwendigerweise eine Atmosphäre, in der ständiger Wechsel zum Gebot wird. Die überlieferten
Werte des Wohnens' die auf den Menschen über sein Empfinden für Raum einwirken, bedürfen der Stetigkeit, der Dauer. Dazu bleibt keine Zeit mehr. Anstelle eines
ausgewogenen Raumgefühls, Suche nach Geborgenheit oder Ruhe, tritt sehr oft das
aufregende Erlebnis ständiger Neuerung. Ebenso erscheint der Fluß der Information
heute unbegrenzt. Architektur, Kunst, Kunstgeschichte aus allen Epochen und allen
Ländern sind laufend >präsent<, unterliegen aber den Gesetzen der Massenmedien
auf der Suche nach raschem Wechsel. Die Konsumgesellschaft westlicher Prägung
nutzt diese Entwicklung.
Eine freie Wirtschaft, die Freiheit der Erzeugung und die Notwendigkeit des
Verkaufens um jeden Preis erzwingen in dieser Gesellschaft einen ständigen Wandel
und somit auch die schnellebige Mode auf dem Gebiet der Architektur und des
Wohnens. Der >Stararchitekt<, der >Stardesigner<, medienbewußt geschult, hat
sich zum allwissenden Gott aufgeschwungen und hat, um den Medien zu dienen (die
184
421. Foster Associates. Möbel-System
>Nomos<, 1986. Verstellbare Bürotische:
Gestaltungseinheit von Schreibfläche und
Beleuchtung - Perfektion im technischen
Bereich. Eine von Architekten des HighTech entwikkelte Möbelserie. Hergestellt
von Tecno.
sich ihm gleichzeitig dienstbar machen), für immer neue Sensationen zu sorgen. Wie
weit dies führen kann, zeigt die Entwicklung der Hochhausarchitektur in den USA
oder des >sozialen< Wohnbaus in Frankreich. Den öden und genormten amerikanischen Glaspalästen der sechziger Jahre folgten >Bühnenbilder< in der
Größenordnung von
Wolkenkratzern (es wäre ratsam, auswechselbare Fassaden zu erfinden, um der
Mode Genüge zu tun). Im Wohnbau (in der Umgebung von Paris etwa) wird der
>soziale< Gedanke in eine Art >Architektur-Geisterbahn< verpackt, die kurzfristig
den wollüstigen Schauer der Novität hervorruft und wenige Zeit später einer kaum
vorstellbaren banalen Öde weicht - bleiben doch Bauten aufgrund einfacher
Rentabilitätsrechnungen über Jahrzehnte bestehen.
422. Stefan Wewerka. Küchenbaum, 1984.
Hergestellt von Tecta-Möbel.
>Bäume< zum Kochen, Essen, Schreiben,
Arbeiten, Ablegen, Besprechen, Hängen.
Die Elemente können in der Höhe verstellt
und gedreht werden. Visionen technischer
Perfektion mit Objektcharakter.
423. Mario Botta. Zweisitziges Sofa
>Sesta< (>König und Königin<), 1985.
Hergestellt von Alias.
Die tragende Struktur besteht aus einem
durchgehenden Metallgitter-Rohr, das dieses Möbel transparent erscheinen läßt.
Lederbezogene Zylinder, von
der
Grundstruktur abgesetzt, formen Sitze und
Rückenlehnen.
185
424. Helmuth Kuess. Haus Beck in Langen
bei Bregenz, 1985. Das konstruktive
Holzbausystem sollte beim Ausbau dem
Bauherrn die Möglichkeit individueller
Gestaltung bieten; die Grundrißkonzeption
ist ganz auf die passive Nutzung der
Sonnenenergie ausgerichtet. Hinter einer
>Wärmefalle< ist der zweigeschossige
Wohnraum mit Eßplatz und Küche angeordnet. Die Botschaft dieses Hauses der
Vorarlberger Schule bedeutet mehr als gute
Proportion des Wohnraums, schlichte
Möbel und Wärme des Holzes. Es sollen
die einfachen Prinzipien eines alternativen
Lebens beachtet werden: Übereinstimmung
von Natur und Wohnen, Wirkung eines
bescheidenen, den Menschen in den
Mittelpunkt stellenden Raumes, Heiterkeit
und Stille. Nicht das Modische oder das
Unmoderne dominiert, sondern das Wahre.
In dieser Welt des Konsums und der Diktatur der Medien steht dennoch jeder
Schaffende, sei erArchitekt, Designer, Ingenieur, für sich allein und hat für sich zu
entscheiden, welchen Weg er gehen will. Die Freiheit des Denkens und Handelns
darf nicht dem Diktat der Mode weichen. Wenn auch der Mensch, dessen offensichtliches Bedürfnis, sich in einen Raum der Stille zurückziehen, um dort für sich
und seine Familie, seine Freunde zu agieren, immer mehr von der Allgewalt einer in
allen Bereichen laut gewordenen Welt beengt wird, erscheint es immer noch möglich, ihm auf der Suche nach einem würdigen Dasein - und damit dem Wohnen - zu
helfen. Der Protest vieler Menschen gegen für sie oft nicht verständliche
Entwicklungen der Technik, Protest gegen die Vergewaltigung der Natur durch technische Prozesse, gibt auch einer neuen Einstellung zum Wohnen und damit einer
neuen Wertung des Möbels eine Chance. Es ist zu hoffen, daß immer mehr
Menschen sich diesemWeg der Suche nach einer >Architektur der Stille< anschließen.
186
Anmerkungen
In: Franz Glück (Hrsg.). Adolf Loos Sämtliche Schriften in zwei Bänden,
Bd. 1, S. 440f. Verlag Herold, WienMünchen, 1962.
2
Otto Johannsen. Geschichte des
Eisens. Verlag Stahleisen GmbH,
Düsseldorf, 1953.
3
Sigfried Giedion. Mechanizution
Takes Command. Oxford University
Press, New York, 1948.
4
Elizabeth Aslin. Nineteenth Century
English Furniture. Faber & Faber,
London, 1952.
5
Zitiert nach einem Verkaufskatalog
der Firma Thonet aus dem Jahre 1911.
6
In: Wilhelm Franz Exner. Das
Biegen des Holzes. Verlag B. F. Voigt,
Leipzig, 1922.
7
Wend Fischer. »Gestaltungsweise
und Lebensform - Zum
Funktionalismus der Shaker«, Katalog
zur Ausstellung Die Shaker. Die Neue
Sammlung, München, 1974.
8
Ibid.
9
In: Leonardo Benevolo. Geschichte
der Architektur des 19. und 20.
.Jahrhunderts, Bd. I. Verlag Georg D.
Callwey, München, 1964.
10
Nikolaus Pevsner. »Hochviktorianisches Kunstgewerbe«, in: Architektur
und Design. Prestel-Verlag, München,
1971.
11
Barbara Morris. »Morris und
Company«, in: DU (Zürich), 25. Jg.,
September 1965.
12
In: Nikolaus Pevsner. Wegbereiter
der modernen Formgebung. Rowohlt
Verlag, Reinbek, 1957.
13
In: Leonardo Benevolo, a.a.O.
14
Nikolaus Pevsner. Architektur und
Design, a.a.O.
15
In: Julius Posener. Anfänge des
Funktionalismus, von Arts and Crafts
zum Deutschen Werkbund. Ullstein
Verlag (Bauwelt Fundamente 11),
Berlin, 1964.
16
In: Nikolaus Pevsner. Architektur
und Design, a.a.O.
17
Ibid.
18
Arthur Heygate Mackmurdo. Wren's
City Churches. Orpington, Kent, 1883.
19
In: The Studio (London), Bd. XVI,
1899.
20
Henry van de Velde. Geschichte
meines Lebens. R. Piper & Co.,
München, 1962.
21
Klaus Jürgen Sembach. »Möbel«,
in: Jugendstil - Der Weg ins 20.
Jahrhundert. Keysersche Verlagsbuchhandlung, München, 1959.
22
Frank Lloyd Wright. »Prairie
Architecture«, in: Modern
1
Architecture (The Kahn Lectures).
Princeton University Press, Princeton,
1931.
23
Zitate aus: Frank Lloyd WrightSchriften und Bauten. Langen-Müller
Verlag, München-Wien, 1963.
24
In: »Prairie Architecture«, a.a.O.
25
In: Adolf Loos - Schriften, a.a.O.
26
Josef Veillich (1929), in: Adolf Loos
- Schriften, a.a.O.
27
In: Julius Posener. Anfänge des
Funktionalismus, a.a.O.
28
Hermann Muthesius. Wie baue ich
mein Haus. F. Bruckmann, München,
1917.
29
Erich Boltenstern. Wiener Möbel.
Julius Hoffmann Verlag, Stuttgart,
1934.
30
H.L.C. Jaffe. De Stijl 1917-1931.
Der niederländische Beitrag zur
modernen Kunst. Ullstein Verlag,
Berlin-Frankfurt am MainWien, 1965.
31
Ibid.
32
Paul Overy. De Stijl. Studio Vista /
Dutton Vista Pictureback, London,
1969.
33
Marcel Breuer 1921-1962. Verlag
Gerd Hatje, Stuttgart, 1962.
34
Walter Gropius. Bauhausbauten
Dessau (Bauhausbücher Band 12).
Albert LangenVerlag, München, 1930.
35
Erschienen 1932 bei W. W. Norton,
New York.
36
In: Le Corbusier und Pierre
Jeanneret, Oeurre complete 19101929, hrsg. von W. Boesiger und O.
Stonorov. Verlag Girsberger, Zürich,
1960, S. 105.
37
Aus einem Artikel in Rote Fahne
(Berlin), 1. Mai 1927.
38
Walter Müller-Wulckow. »Die deutsche Wohnung der Gegenwart«, in:
Architektur der Zwanziger Jahre in
Deutschland. Langewiesche,
Königstein, Neu-Ausgabe 1975.
39
Elias Cornell. »Bruno Mathsson och
tiden«, in: Arkitektur (Stockholm), Nr.
3, 1967.
40
In: Alvar Aalto. Verlag für
Architektur, Zürich, 1963.
41
Sigfried Giedion. »Alvar Aalto«, in:
Architectural Review (London),
Februar 1950, S. 77-84.
42
In: Charles Eames, Furniture from
the Design Collection.
Ausstellungskatalog des Museum of
Modern Art, New York, 1973. 43 Aus
einem Katalog der Herman Miller
International Collection.
44
Aus der Einführung zum Katalog
der Ausstellung Charles Eames,
Furniture from the Design Collection,
a.a.O.
45
Aus einem Katalog der Herman
Miller International Collection.
Aus dem Katalog Charles Eames,
Furniture from the Design Collection,
a.a.O.
47
Aus dem Buch zur Ausstellung
Knoll International. Museum des 20.
Jahrhunderts, Wien, 1973.
48
Ibid.
49
In: Jocolyn de Noblet. Design Introdaction a l'histoire et l'evolution
des formes ind ustrielles de 1820 a
aujourd'hui. Edition Stock, Paris,
1974.
50
In einem Schreiben an den Autor,
1972, über das italienische
Möbeldesign der Zwischenkriegszeit.
51
Vittorio Gregotti. »Italian Design,
1945-1971,« in: Italy: The New
Domestic Landscape.
Ausstellungskatalog des Museum of
Modern Art, New York, 1972.
52
Vittorio Gregotti. »Design in
Italien«, in: Design als Postulat am
Beispiel Italien. Ausstellungskatalog,
IDZ, Berlin, 1973.
53
In: Italy: The New Domestic
Landscape, a.a.O.
54
Bildunterschrift zum Produktionsvorgang des >Panton Chair<, in:
Bernd Löbach. Industrial Design,
Grundlagen der Produkt gestaltung.Verlag Karl Thiemig,
München, 1976.
55
In: Design als Postulat am Beispiel
Italien, a.a.O
56
In: Farbe und Design. Farbe- und
DesignVerlags-GmbH, Gaildorf,
Württ. 57 In: Farbe und Design, a.a.O.
58
Heinrich Klotz und John W. Cook.
Architektur im Widerspruch, Bauen in
den USA von Mies van der Rohe bis
Andy Warhol. Verlag für Architektur
Artemis, Zürich, 1974.
59
Albrecht Bangert. Italienisches
Möbeldesign. München, 1985, S. 61.
60
Fran,cois Burkhardt. »Italienische
Design-Avantgarde zwischen
Realismus und Neomoderne«, in:
>Gefühlscollagen< - Wohnen von
Sinnen. DuMont Buchverlag, Köln,
1986.
61
Philippe Starck. »Resume der
Philosophie über Arbeit«, in:
>Gefühlscollagen< - Wohnen von
Sinnen, a. a. O.
62
Borek Sipek, in: >Gefühlscollagen<
- Wohnen von Sinnen, a.a.O.
46
187
Index
Die Ziffern beziehen sich auf die
Seitenzahlen; kursiv gesetzte Ziffern
weisen auf Abbildungsnummern hin.
Aalto, Aino 134, 136
Aalto, Alvar 21, 43, 45, 106, 118, 132,
134, 135, 136, 138, 144, 174, 301-311
Abeele, J. S. van den 58
AEG,Allgemeine Elektricitätsgesellschaft 16, 19, 20
Albers, Josef 99, 104, 220, 230
Albert, Prinzgemahl 54
Albini, Franco 153, 340, 343, 348,
350
Alchimia s. r.1. 175, 384, 394
Alias s. r.1. 423
Altenberg, Peter 84
Andersen, Niels Roth 390
Archizoom 393
Arflex s. p. a. 352
Arkwright, Sir Richard 8
Arndt, Alfred 104, 117
Arnold, Karl 195
Art Furniture Warehouse 135, 136
Artek Oy AB 21, 136, 306-310
Artemide s. p. a. 354, 361
Artespana 418, 419
Arts and Crafts Exhition Society 58,
59, 60, 64, 70, 75, 80, 86, 120, 132,
123
Ashbee, Charles Robert 58, 122
Asko 136
Aslin, Elizabeth 32
Asnaghi Rinaldo & Figli 358, 359
Asplund, Erik Gunnar 120, 266
Aulenti, Gae 155
Bauhaus, Bauhaus-Werkstätten 14, 17,
19, 21, 22, 24, 35, 63, 76, 92, 96, 98105, 106, 114, 115, 117, 118, 125,
126, 138, 144, 147, 150, 178, 216,
219-223, 228, 231
Bayer AG 162, 371-373
Bayer, Herbert 232
BD Ediciones de Diseno 392
Beardsley, Aubrey 63
Behr, Erwin 19, 115
Behr, Produktion KG 363, 365
Behr + Sulz 376, 377
Behrens, Peter 16, 92 19, 20
Bellini, Mario 363, 393
Bertoia, Harry 143, 146, 323, 324
Bieffeplast s. p. a. 420
Bing, Samuel 66, 71
Blomfield, R. 123
Bloomingdale Department Store 138
Bofinger,Wilhelm 337
Boltenstern, Erich 92
Bonacina s. r. l. 374, 375, 382
Bonaparte, Zenaide 34
Bonet, Pep 392
Bonetto, Rodolfo 155
Borsani, Osvaldo 351
Botta, Mario 423
Boulle, Andre Charles 8, 111
Breitner, Hugo 18
Breuer, Marcel 17, 20, 21, 96, 99,
100, 101, 102, 103, 104, 105, 106,
113, 134, 138, 144, 147,150,175, 25,
217-219, 224, 227, 229, 231-233, 236,
237
Brown, Ford Madox 123
Burkhardt, Fran,cois 176
Burges,William 59, 125
Burne-Jones, Edward 15, 117, 118
Burnett, Micajah 103
Buscher, Alma 224, 225
C & B Italia s. p. a. 363
Campanino siehe Descalzi, Gaetano
Canali, Ettore 346
Canepa, G.B. 34
Canova, Antonio 34
Cassina s.p.a. 35, 249-252, 391, 393,
395-398, 400
Castelli s. a. s., Anonima 36
Castelli Ferrieri, Anna 357
Castiglioni, Achille 155
Castiglioni, Luisa 346
Castiglioni, Pier Giacomo 155
Caturegli, Beppe 403
Century Guild 58
Chiavari, Werkstätten von 26, 34, 35,
153, 161
Chippendale, Thomas 10, 54, 80, 83,
84
Christensen A/S, E. Kold 335, 336
Christensen, Hans Amos 390
Clotet, Lluis 399
Coalbrookdale Company 29, 48
Cocconi, Corrado 362
Cole, Henry 54, 55
Collins, Sarah 48
Colombini, Luigi 348
Colombo, Joe C. 155, 162, 163, 164;
35, 355, 368-372
Comfort, Giorgetti Fratelli & Co. 35
Cordero,Toni 398
Cornell, Elias 120
Cowley & James, Walsall 46
Crane,Walter 58
Dallasta, Maurizio 378, 379
Dannhauser 11
Darley, Abraham I. 31
David, Jacques Lonis 8; 3
De Pas, Jonathan 382
De Petris, Francesco 398
Deganello, Paolo 393, 397, 398
Descalzi, Gaetano (gen. Campanino)
34, 35
Design and Industries Association 89
Deutsche Hausratgesellschaften 115
Deutsche Werkstätten 88
Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst 71, 88
Deutscher Werkbund 14, 16, 18, 19,
20, 76, 83, 86, 88, 89, 90, 91, 102,
103, 104, 115, 120; 26, 195, 197-200,
232, 258
Devigny, P. H. 40
Ditzel, Nanna 66
Doesburg, Theo van 94, 96; 207, 208
Donchi Formart s. r. l. 378, 379
Dresdener Werkstätten für
Handwerkskunst 71, 87, 88
DrexIer, Arthur 140, 141
Driade 407, 409, 411
D'Urbino, Donato 382
Eames, Charles 20, 21, 138, 140, 141,
144, 180; 31, 312-320
Eames, Ray 138
Eastlake, Charles Lord 59
Eesteren, Cor van 207
Eichenberger, Hans 415, 416
Eiermann, Egon 67
Elli, Luigi 44
Endell, August 71; 166
Exner,Willhelm Franz 43
FDB Mobler 126
Feder, Kauflhaus 19
Fellner d. J., Ferdinand 89
Figini, Luigi 344
Fischer,Wend 49,52
Flagg, Ernst R. 32
188
Fontaine, Pierre F. L. 4
Foster Associates 421
France & Son A/S 290
Frank, Josef 92, 93, 119, 120, 203,
204, 264
Franklin, Benjamin 32
Franz I., Kaiser von Österreich 83
Frigerio, Fratelli 347
Friis, Knud 273
Fröbel, Friedrich 80
Gaillard, Eugene 66, 151
Gall, L. 28
Galle, Emile 66, 70, 152, 153
Gallen-Kallela, Akseli 132, 296
Gandillot 30
Gatti, Piero 380
Gaudi, Antoni 78, 151, 171-175
Gavina 147, 229, 233
Gesellius, Herman 132, 299
Giedion, Sigfried 32, 135, 136
Gimson, Ernest 123
Gismondi, Ernesto 361
Godwin, Edward William 59, 61, 62,
63, 94, 131-133, 135, 136
Goethe, Johann Wolfgang von 90
Gogh,Vincentvan 40
Gregotti,Vittorio 154, 155
Gropius, Walter 18, 20, 63, 98, 99,
102, 103, 105, 106, 117, 138, 24, 197,
198, 216, 226-228, 231, 232, 254
Gugelot, Hans 150, 337
Guild and School of Handicraft 58,
122
Guimard, Hector 66, 69, 149, 150
Gullichsen, Mairea 136
Häring, Hugo 18
Hagberg, Knut und Marianne 386
Hansen, Ch. E. 125
Hansen, Fritz 125
Hansen, Johannes 129; 33, 291, 292
Hansen, S0ren 125; 279
Hansens Eft., Fritz 21, 125, 126; 275285, 293, 294, 333, 338, 339
Haugesen,Niels Jorgen 334
Haus und Garten, Einrichtungshaus
92, 119, 120; 202
Haussmann, Robert 331
Haussmann & Haussmann 33.
Heal, Ambrose 58
Heal and Son 58
Heide, Rolf 38, 381
Helg, Franca 350
Henningsen, Poul 46
Henriksen, Bard 34
Hepplewhite, George 10
Hilberseimer, Ludwig 91; 199
Hitchcock, Henry-Russell 106
Hitler, Adolf 20, 21, 104, 138, 150,
152
Hochschule für Gestaltung, Ulm 150,
152
Hoffmann, Josef 26, 44, 69, 71, 75,
82, 84, 86, 87, 118, 134, 151; 163,
164, 185, 187, 188
Hollein, Hans 410
Horta, Victor 64, 65; 17, 140, 141
Hvidt, Peter 125; 280, 281
Knoll, Hans 143, 146
Knoll International GmbH. 21, 105,
144, 146, 147, 157; 235, 241, 243,
323-332, 401, 412
Kohn & Kohn 44, 83
Konsumentenverein KF 122
Kopenhagener Tischlergilde 123, 125,
129; 286
Kornhäusel, Josef 11
Kozo, Abe 374, 375
Kramer, Ferdinand 114, 115, 117, 124;
253, 255-258
Kraus, Karl 87
Krüger, F.A.O. 87
Kuess, Helmuth 424
Kupelwieser, Leopold 5
IKEA 174; 385, 386
Ilform 362
Interlübke, Gebr. Lübke KG 37
Internationaler Stil 18, 93, 94, 96,
106-113, 119, 124, 126, 130, 134, 136,
138, 146, 147, 149, 150, 151, 152,
153, 170, 177, 178
Iris 132
Jacob, Brüder 4
Jacobsen, Arne 126, 127, 130, 148,
150; 34, 282-285, 333, 334
Jagerspacher, Gustav 84
Jalk, Grete 130; 295
Jeanneret, Pierre 244-246, 248-252
Jencks, Charles 177
Jeppesen, P. 295
Johannsen, Otto 28
Johnson, Philip 106
Jones, Owen 54, 55
Jones,Walk C. 68
Juhl, Finn 129; 290
La Rinascente 153; 348
Landmann, Ludwig 114
Lange, Gerd 417
Lange, Jürgen 363, 365
Le Corbusier 18, 26, 30, 36, 44, 45,
106, 107, 110-113, 147, 151, 161, 170,
178; 97, 244-252, 365
Lee, Mutter Ann 48
Leistler, Carl 38, 40; 73
Lenci, Fabio 362
Lengyel siehe Standard-Möbel
Lethaby, W. R. 123
Liberty, Arthur Lasenby 58
Liberty & Co. 58, 89, 132;124
Liechtenstein, Fürstenhaus 38, 40
Lindgren, Armas Eliel 132; 299
List,Wilhelm 83
Lomazzi, Paolo 382
Loos, Adolf 12, 26, 27, 36, 44, 82, 83,
84, 86, 87, 90, 92, 106, 111; 181-184
Ludwig XIV. 8, 11
Ludwig XV. 22
Kahn, Louis 1?0
Kartell s.p.a. 353, 355, 357
Kaufmann, E. 253
Kessler, Harry Graf 37, 66
Kita,Toshiyuki 400
Kjaerholm, Poul 130, 149, 150; 335,
336
Klenze, Leo von 11
Klimt, Gustav 86
Klint, Kaare 122, 123, 126, 129, 130;
273- 276
Knize 36
Knoll, Florence 21, 143, 146; 329
MacDonald, Frances 67
MacDonald-Mackintosh, Margaret 67
Mackintosh, Charles Rennie 61, 67,
69, 72, 84, 86, 151; 157-160
Mackmurdo, Arthur Heygate 56, 58,
60, 64; 121, 137, 138
Magistretti, Vico 147; 332, 354, 361
Majorelle, Louis 66, 70;155
Makart, Hans 44
Malmsten, Carl 118, 119, 120; 263
Manet, Edouard 41
Mang, Karl und Eva 309
Mangiarotti, Angelo 155; 347, 349
189
Mannesmann AG 100, 101
Mari, Enzio 155
Mathsson, Bruno 120; 267-272
May,Ernst 18, 114, 115, 117; 253
McNair, Herbert 67
Memphis 175, 177; 403-406
Mendelsohn, Erich 21, 22
Mendini, Alessandro 384, 394, 408
Mercatali, Davide 378, 379
Metternich, Klemens Fürst von 8, 11,
35, 38
Meyer, Grethe 286
Meyer, Hannes 17
Micheli, Angelo 404
Mies van der Rohe, Ludwig 17, 18,
20, 21, 90, 102,104, 106- 109, 111,
112, 115, 138, 144, 146, 147, 149,
150, 157, 158, 170, 175; 26, 30, 238243, 330, 360
Miller KG, Herman 21, 138, 142, 147,
157; 314-322, 363
Mobring, Karin 385
Mogensen, Borge 126, 128, 129, 130;
286-289
Moholy-Nagy, Laszlo 103; 232
Molinari, Pierluigi 358, 359
Mondrian, Piet 94, 96
Mori, Margherita 346
Morris, Barbara 56
Morris,William 14, 15, 25, 29, 46, 48,
54, 55, 56, 57, 58, 59, 64, 66, 74, 77,
80, 86, 98, 120, 132; 114-117
Morris & Co. 56, 58; 15, 118-120
Moser, Koloman 86, 87; 186
Mourgue, Olivier 162; 373
Muche, Georg 100
Müller,Walter 37
Müller-Wulckow, Walter 116
Murmann, Heinrich 67
Museum of Modern Art, New York
20, 22, 138, 144, 157
Muthesius, Hermann 60, 88, 90, 150;
194, 196
Napoleon I. 9
Napoleon III. 35
Nava, Cesare Augusto 356
Nelson, George 21, 138, 142; 321,
322
Neutra, Richard 63, 83
Nielsen, Elmar Moltke 273
Nielsen, O. M01gaard 126; 280, 281
Nizzoli, Marcello 152,153
Nurmesniemi, Antti 136; 387-389
Obernzenner, Kaufhaus 257
Obrist, Hermann 71; 170
Österreichischer Werkbund 89, 93,
120
Olbrich, Joseph Maria 69, 71, 75, 82;
161, 162
Olivetti, Camillo 152
Olivetti & C., S.p.A. 152, 153; 345
Oud, J.J.P. 18, 115; 258
Owen, Robert 55
Owen, William und Separ 9
Palterer, David 402
Pankok, Bernhard 71, 87; 165, 167
Panton,Verner 162; 363
Paolini, Cesare 380
Paul, Bruno 71, 87, 88; 168, 190
Paxton, Joseph 16, 54
Peche, Dagobert 87
Percier, Charles 4
Perriand, Charlotte 248-252
Pesce, Gaetano 395, 396
Pevsner, Nikolaus 55
Pica, Agnoldomenico 341
Pintori,Giovanni 152; 345
Piretti, Giancarlo 155; 36
Plischke, Ernst Anton 92; 205, 206
Poelzig, Hans 91; 200
Poggi 350
Pollini, Gino 344
Poltronova s.r.l. 410
Ponti, Gio 35; 62
Postmoderne 178
Powolny, Michael 86
Poynten, E. J. 125
Pugin, Augustus Welbin 29
Pullman, George M. 13, 32, 33; 57
Rambaldi, Emanuele 35, 153; 59
Rasmussens Snedkerier, Rud. 273,
274
Ravenna, Giovanni Battista 60
Redgrave, Ruhard 55
Renkel, Günter 383
Reumann, Jakob 18
Richardson jr., Henry Hobson 61, 80,
83
Riemerschmid, Richard 71, 87, 88, 89;
169, 191-193
Rietveld, Gerrit Thomas 94, 95, 96,
97, 99; 209-215
Rivarola, Stefano 34
Roentgen, David 11, 38
Rosselli, Alberto 155; 374, 375
Roth. Alfred und Emil 236
Royal College of Art, London 152
Ruskin, John 14, 48, 55, 56, 64, 66,
80, 86, 98
Saarinen, Eero 20, 22, 138, 144, 145,
146; 31, 312, 313, 325-328, 330
Saarinen, Eliel 132, 134; 299, 300
Salesco 129
Santachiara, Denis 384
Sapper, Richard 352, 353
Scandinavian Office Organisation Ltd.
334
Scarpa, Afra 155
Scarpa, Tobia 147, 155; 332
Scharonn, Hans 107; 239
Schindler, Rudolf M. 96
Schinkel,KarlFriedrich 6
Schlegel, Fritz 125; 277, 278
Schmidt, Karl 87, 88
Schmitthenner, Paul 27
Schöttle, Georg 165
Schütte-Lihotzky, Grete 18, 117; 261,
262
Schuster, Franz 18, 114, 115, 116,
117, 118, 125, 126; 23, 259, 260
Schwarzenberg, Fürstenhaus 38, 41
Schwedischer Werkbund siehe
Svenska Slöjd-föreningen
Schweizerischer Werkbund 89
Seitz, Karl 18
Semper, Gottfried 27, 55
Serrurier-Bovy, Gustave 64, 65; 139
Sgrelli, Enzio 348
Shaker 12, 15, 26, 48-53; 11, 99-113
Shaw, Norman 8
Sheraton, Thomas 10, 80
Sipek, Borek 407, 411
Skidmore, Owings & Merrill 329
Societe Anonyme des HautsFourneaux & Fonderies du Val d'Osne
29; 45, 47
Societe van de Velde 142
Sormani s. p. a 368-370
Sottsass, Ettore 157, 170, 176; 384,
401, 405
Sparre, Louis 132; 297, 298
Speer, Albert 20; 29
Staatliche Fachschule für Korbflechterei, Lichtenfels am Main 65
190
Staatliches Bauhaus Weimar und
Dessau siehe Bauhaus
Stam, Mart 17, 102, 104, 105, 113,
134; 234
Standard-Möbel, Lengyol & Co. 104;
229
Starck, Philippe 409
Starley,William 31
Stephensen, Magnus 277
Stijl, De 17, 94-97, 99, 100, 106, 107
Strnad, Oskar 92, 151; 201
Sullivan, Louis H. 14, 15, 48, 80, 83,
106; 14
Sulz, Günter 376, 377
Svenska Slöjdföreningen 119, 120,
122; 265
Svenska Tenn 93, 120
TAC (The Architects Collaborative
Inc.) 105
Tapiovaara, Ilmari 136
Tecno s.p.a. 351, 421
Tecta-Möbel 422
Teodoro, Franco 380
Terragni, Giuseppe 342
Tessenow, Heinrich 88, 115; 189
Thonet, August 43
Thonet, Michael 8, 11, 12, 14, 26, 35,
38, 40, 43, 44, 46; 2, 12, 69, 72, 74-86
Thonet AG, Gebrüder 28, 30, 38-47,
51, 83, 91, 92, 104, 105, 107, 112,
113, 114, 118, 125, 134, 135, 144; 70,
71, 90-98, 234, 235, 241, 251-254
Thonet-Mundus 92, 124
Thun, Matteo 420
Thut, Kurt 413, 414
Thut, W., AG 413, 414
Tokugawa, Ieyasu 60
Troost, G. 28
Troost, Paul Ludwig 28
Tusquets, Oscar 399, 418, 419
Tutanchamun 36
Ufo (Gruppe) 384
Utzon, Jorn 130, 150; 338, 339
Vallin, Eugene 66, 70; 154
Veillich 27, 83
Velde, Henry van de 14, 16, 37, 46,
64, 65, 66, 67, 68, 71, 74, 75, 76, 87,
90, 98; 18, 143, 148
Venturi, Robert 412
Vereinigte Werkstätten für Kunst im
Handwerk 14, 71, 76, 87, 88
Vigano, Carlo 356
Viollet-le-Duc, Eugene Emmanuel 27
Völkel, Rudolf 95
Voysey, Charles Francis Annesley 59,
60, 61, 64, 67; 126-130
Wärndorfer, Josef 86
Waganm, Robert M. 49
Wagner, Otto 26, 44, 46, 82, 83, 86,
92; 96, 179, 180
Wanscher, Ole 130
Watt,William 59; 133
Webb, Philip 56; 114-118
Wegner, Hans J. 129, 130, 174; 33,
291-294
Wengler, R. 66
Werkbund siehe Deutscher, Österreichischer, Schweizerischer Werkbund
Werkstätte für Wohnungseinrichtungen 88
Wewerka, Stefan 422
Whistler, James McNeill 61, 63; 132
Wiener Werkstätte 14, 66, 71, 74, 84,
86, 87, 92, 118, 133, 134; 185, 187,
188
Wilde, Oscar 61, 63
Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar
37
Wilson, G. 52, 53
Wingler, Hans 104
Wlach, Oscar 92
Wogg AG 415-417
Wohnbedarf OHG 38, 381
Wright, Frank Lloyd 14, 61, 80, 81,
94; 16, 176-178
Wyatt, James 55
Zanini, Marco 406
Zanotta s.p.a. 380, 399, 402, 408
Zanuso, Marco 155; 352, 353
ZE Möbel, Einrichtungsbedarf GmbH
& CoKG 383
191
Abbildungsnachweis
Nicht aufgeführte Abbildungen stammen aus den Bildarchiven des Autors
oder des Verlages. Die Ziffern beziehen sich auf die Bildnummern.
Helene Adant, Paris 45, 47
Andre Adegg, Paris 362
AEG-Telefunken Firmenarchiv,
Braunschweig 20
Archivo >Amigos de Gaud< (Foto
Aleu), Barcelona 171
Ancillotti Fotografie s.r.l., Mailand
352
The Architects Collaborative Inc.,
Cambridge, Mass. 197
The Architectural Press Ltd., London
9
Art et Decoration, Paris 244
Artek Oy AB, Helsinki 301-305, 307,
308, 310
James L. Ballard, Collection S.usan
Jackson Keig, Chicago, Ill. 103
Aldo Ballo, Mailand 250, 251, 353,
354, 361, 400, 402, 407, 409, 411, 423
Gabriele Basilico, Mailand 397
Bauhaus Archiv, Berlin 25, 216, 217,
221-223, 226-228, 230-232
Behr International, Wendlingen 330,
363, 365, 367, 376, 377
Behr + Sulz, Bietigheim 376, 377
Bella & Ruggeri 395, 396,
Arturo Belloni 372
Bibliotheque Royal Albert I, Brüssel
64, 142
Van den Bichelaer, Geldrop 208
Bildarchiv Foto Marburg 10, 18, 19,
143, 147, 148, 161, 165, 187, 188,
192
Walter Binder, Zürich 144
Werner Blaser, Basel 134
Wilhelm Bofinger, Ilsfeld 337
Bonacina s.r.1., Meda 374, 375, 381,
382
Roberto Bossaglia 398
Marcel Breuer, NewYork 218, 229,
233, 237
Santi Caleca 391, 403-406
Carlotto 249
Lluis Casals 392
Valerio Castelli & Carlo Chambry 357
Centrokappa, Noviglio (Mailand) 355
Chicago Architectural Photographing
Company 177
Lucca Chmel, Wien 50, 72, 96, 98, 64,
179, 180, 309
Clari, Mailand 368-370
Attilio del Commune, Mailand 374,
375
Country Life, London 117
The Crystal Palace Exhibition,
Illustrated Catalogue (1851) 46
Domus, Mailand 59, 62
Donchi Formart s.r.l., Briosco
(Mailand) 378, 379
Dotreville, Brüssel 17, 140
Fratelli Fabbri Editori, Mailand 4
Finlands Nationalmuseum, Helsinki
300
Hans Finsler, Zürich 236
Wend Fischer, München 111
Fotorama, Mailand 358, 359
France & Son, Hillerod 290
Frank Leslie's Popular Monthly (Dez.
1885) 99, 101
Jorn Freddie, Kopenhagen 295
Gemeentemusea, Amsterdam 214
Alexandre Georges, Pomona, N.Y. 68
Photo-Atelier Gerlach, Wien 184
Giraudon, Paris 149, 154, 155
Glöck, Karlsruhe 190
S. R. Gnamm, München 11, 39, 43,
49, 60, 105, 107-109, 145, 176, 191,
215, 241, 291, 292, 306
Görlich Editore, Paderno Dugnano
(Mailand) 61, 252
Gruppoquatro Studio, Mailand 252
Sören Hallgren, Stockholm 113
Erik Hansen, Kopenhagen 286
Fritz Hansens Eft., Allerod 275-279,
281, 282, 284, 285, 338, 339
Robert Haussmann, Zürich 331
Hedrich-Blessirig, Chicago, Ill. 238
Keld Helmer-Petersen, Kopenhagen
66, 294, 336
Lucien Herve, Paris 245, 246
Jonals Co., Kopenhagen 33
Fas Keuzenkamp, Pijnacker 210
Knoll International GmbH, Murr/Murr
235, 243, 323-328, 332, 364
Mogens S. Koch, H0rsholm 288, 289
Konstflitföreningen i Finland,
Helsinki 298
Kunstgewerbemuseum, Zürich 121,
39, 141, 144, 146, 153, 159, 162, 169,
182
Bella C. Landauer Collection, New
York Historical Society 13
Landesmuseum, Trier 63
Adolf Lazi, Stuttgart 254
A. Lengauer, München 26
Lichtbildwerkstätte Alpenland, Wien
95, 42, 181, 183
L'Illustration, Paris 24
Dr. Lossen & Co., Stuttgart 258
A. Mangiarotti, Mailand 347, 349
Gilbert Mangin, Nancy 152
MAS, Barcelona 173, 175
Karl Mathsson, Värnamo 267
Norman McGrath, New York 366
Herman Miller AG, Basel 314-322
William Morris, Bath 106
Musee des Arts Decoratifs, Paris 151
Museen der Stadt Wien 5
Museo Poldi-Pezzoli, Mailand 44,
340, 342-345
Museum für Kunst und Gewerbe,
Hamburg 296
Museum of Finnish Architecture (Loja
Saarinen), Helsinki 299
Museum of Modern Art, New York
31, 53, 150, 312, 313
National Buildings Record, London
114, 116, 132
National Gallery, London 4, 41
National Momlments Record, London
124
Die Neue Sammlung, München 103,
111, 168, 209, 261
Horstheinz Neuendorff, Baden-Baden
67
Toni Nicolini 341
Österreichische Nationalbibliothek,
Bildarchiv, Wien 42, 95
Österreichisches Museum für ange-
192
wandte Kunst, Wien 185, 186, 203,
264
Ray Pearson, Chicago 112
Thamas Pedersen og Poul Pedersen,
Arhus 273
pf-studio, Helsinki 387-390
Pietinen, Helsinki 297
Roland Pletersky 69, 71, 73, 79
Ramazzoti & Stucchi, Lissone 399,
408
Robert, Barcolona 172
Oscar Savio, Rom 58
Deidi von Schaewen, Paris 384
Richard Schenkirz, Leonberg 330
J. Scherb, Wien 204
Ingrid Schindler, Wien 203, 264
H. Schmölz, D. W. B., Köln 353
R. Schmutz 381
Louis Schnakenburg, Kopenhagen
335, 338
Wilhelm Schnöll, Salzburg-Iltzing 424
Service de Documentation
Photographique, Reunion des Musees
Nationaux, Paris 1, 3
Ph. Simion, Malland 382
Skidmore, Owings & Merrill, New
York 329
Staatliche Bildstelle, Berlin 29
Staatliche Fachschule für Korbflechterei, Lichtenfels am Main 65
Städtische Galerie, München 193
Ch. Staub 337
Stedelijk Museum, Amsterdam 40,
211-213
Dr. Franz Stoedtner, Düsseldorf 21, 22
Stone 237
Strüwing, Birkerod 34, 275, 276, 278,
279, 281-283, 285, 333, 334, 339
Atelje Sundahl, Nacka 266
Technisches Museum für Industrie
und Gewerbe, Wien 74, 76, 78, 84, 87,
88
Tecno s.p.a., Mailand 351
Tedeschi & Fraquelli, Mailand 356
Gebrüder Thonet AG, FrankenbergEder 2, 69, 71, 73, 79, 86, 234
Underhill Studio, New York 32
University of Glasgow 156, 157
USIS Photo Unit, Bad Godesberg 14
Vereinigte Werkstätten für Kunst im
Handwerk, Bildarchiv, München 190
Victoria and Albert Museum, London
7, 8, 15, 48, 118-120, 122, 125, 128,
131, 133, 158, 160
Visiona-Foto (Schuster) 373
Williams & Meyer 30, 240, 242
Dr. P. Wolff, Frankfurt/Main 253, 255257
Für folgende Abbildungen erteilten
uns die Genehmigung zur
Reproduktion:
Birkhäuser Verlag, Basel: Alvar Aalto
311
Verlag F. Bruckmann AG, München:
Hermann Muthesius. Wie baue ich
mein Haus 194, 196
The Danish Architectural Press,
Kopenhagen: Arne Karlsen. Furniture
designed by Borge Mogensen 287
Wilhelm Fink Verlag, München:
Günther. Interieurs um 1900 167, 190,
193
Jul. Gjellerups Forlag, Kopenhagen:
Moderne Danske Mobler 33, 280, 293
Julius Hoffmann Verlag, Stuttgart:
Erich Boltenstern. Wiener Möbel 201,
202
Albert Langen Verlag, München: Neue
Arbeiten der Bauhaus-Werkstätten
(Bauhausbücher 7) 219, 220, 225
Albert Langen-Georg Müller Verlag,
München: Frank Lloyd Wright - Ein
Testament 16, 178
Karl Robert Langewiesche Nachfolger
Hans Köster, Königstein im Taunus:
Walter Müller-Wulckow. Architektur
der Zwanziger Jahre in Deutschland
199, 200, 224, 253, 259, 260, 262
Oxford University Press, New York:
S. Giedion. Mechanizution takes
Command 13, 51-57
193
GESCHICHTE DES
MODERNEN MÖBELS
Wie in Kunst und Architektur, so spiegeln sich auch in der Gestaltung des Möbels
die tiefgreifenden technischen und gesellschaftlichen Umwälzungen während der
letzten 150 Jahre wider. Die Einführung neuer Materialien und
Konstruktionsverfahren sowie das Entstehen neuer Gesellschaftsschichten mit
neuen Bedürfnissen sind die zentralen Probleme, mit denen sich seit dem frühen 19.
Jahrhundert Möbelbauer und -entwerfer zu beschäftigen hatten. Im Grunde lassen
Möbel- und Raumgestaltung über Lebensformen und Stil einer Gesellschaft noch
präzisere Schlüsse zu als die Architektur oder die Kunst, da Veränderungen hier viel
rascher und deutlicher zum Tragen kommen. Durch ihre Nähe zum Menschen sind
Raum und Möbel ein unmittelbarer Ausdruck seines Selbstverständnisses als
Individuum und als gesellschaftliches Wesen. Wie ein Möbel von Andre Charles
Boulle mit seinen klaren Formen und prachtvollen Intarsien für die absolutistische
Machtfülle Ludwigs XIV., so steht ein schlichter Bugholzstuhl aus einer Fabrik von
Michael Thonet für das Aufkommen der Massengesellschaft oder ein Stahlrohrstuhl
von Mies van der Rohe für das Bemühen, eine neue, allgemeingültige
Formensprache zu schaffen. Der Autor zeichnet diese Entwicklung nach und macht
deutlich, wie sich nach und nach das moderne Möbel, so wie wir es heute verstehen,
herausbildete. Alle Stationen dieses Weges - vom Klassizismus und Biedermeier
über die anonymen Strömungen gegen den Historismus, die Bewegung um William
Morris, den Jugendstil, den Werkbund, den Stijl, das Bauhaus und die skandinavische Richtung bis hin zur Spätphase des Internationalen Stils nach dem Zweiten
Weltkrieg und zum neuen italienischen Design - werden in ihrem künstlerischen und
gesellschaftlichen Zusammenhang dargestellt und mit ausführlichem Bildmaterial
belegt. In dieser ergänzten und erweiterten Neuauflage sind darüber hinaus auch die
jüngsten Tendenzen erfaßt, mit aktuellen Aufnahmen gezeigt und in den gesamtgeschichtlichen Kontext eingeordnet.
Verlag Gerd Hatje
194
195