Karl Mang: Die Geschichte des modernen Möbels
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Karl Mang: Die Geschichte des modernen Möbels
Karl Mang Gechichte des modernen Möbels Von der handwerklichen Fertigung zur industriellen Produktion Autorisierter Nachdruck der 9. Auflage Universität Innsbruck Institiut für Entwerfen, Studio 2 - Raumgestaltung Verwendung nur zu Studienzwecken 4 Vom Verfasser autorisierter Nachdruck 2001 auf Grundlage der 9. Auflage 1989 Universität Innsbruck Institiut für Entwerfen, Studio 2 - Raumgestaltung Bearbeitung: Dr. Joachim Moroder Druck: xxx Bindung: xxx Schrift: Times 10 pt gesetzt in QuarkXpress Verwendung nur zu Studienzwecken 1. Auflage 1978, Verlag Gerd Hatje, Stuttgart Erweiterte Neuauflage 1989 [ ISBN 3 7757 0252 0 ] 5 Inhalt Vorwort 7 Das Möbel als Ausdruck seiner Zeit 8 Das anonyme Möbel im neunzehnten Jahrhundert - Der Weg zur industriellen Fertigung Möbel aus Eisen - Die Mechanisierung des Möbels Der >Campanino< aus Chiavari: Die äußerste Vereinfachung einer überlieferten Möbelform - Das anonyme Möbel aus Flechtwerk Michael Thonet: Die Entwicklung des Bugholzmöbels Die Shaker: Schönheit beruht auf Zweckmäßigkeit 26 Die Theorien von William Morris und die Auseinandersetzung mit der industriellen Produktion Der Jugendstil: Die Uberwindung des Historismus Uber den Jugendstil hinaus: Antoni Gaudi, Frank Lloyd Wright, Otto Wagner, Adolf Loos - Von >Arts and Crafts< zum Werkbund: Die Idee der Gemeinschaft - Die Wiener Schule der Zwischenkriegszeit 54 Vom Stijl zum Internationalen Stil Die Möbel des Stijl: gebaute Theorie, gebautes Manifest Das Bauhaus: Synthese von Kunst, Handwerk und Industrie Die Möbel des Internationalen Stils: Mies van der Rohe und Le Corbusier Die Möbel für den sozialen Wohnungsbau der Zwischenkriegszeit 94 Das skandinavische Möbel auf dem Weg von der Anonymität zur Weltgeltung Die Entwicklung in Schweden - Der Teakholzstil Dänemarks Alvar Aalto - Romantik und Konstruktion in Holz 118 Die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg Neue Technologien: USA- Die Weiterentwicklung des Internationalen Stils . Neue Impulse aus Italien - Das Kunststoffmöbel Vom Einzelmöbel zur Wohnlandschaft Erziehung als Chance für die Zukunft 138 Das Möbel als Ausdruck seiner Zeit? Gedanken zur zweiten Ausgabe des Buches 170 Anmerkungen / Index 186 6 Für Eva, Bauxi, Carolina und Hannerl 7 Dieses Buch ist keine distanziert unparteiische Darstellung der Geschichte des modernen Möbels. Aus der quantitativen Fülle der Produktion von bald 150 Jahren war es für den Autor selbstverständlich, die Tendenzen herauszuarbeiten, die sich nicht immer wieder in kurzlebigen Moden manifestierten. Die Frage nach dem Zusammenhang von industrieller Revolution und der Umschichtung der Gesellschaft, das Entstehen einer neuen Schicht und ihr Suchen nach einem ihr gemäßen Stil, die Entwicklung und Notwendigkeit der industriellen Massenproduktion stehen am Beginn dieser Arbeit, die versucht, alle positiven Aspekte hervorzuheben, um sie unserer Zeit vor Augen zu führen. Nach den vielfältigen ästhetischen und sozialen Theorien der letzten hundert Jahre, nach all den Versuchen der Architekten und Möbeldesigner, in der Welt der industriellen Revolution Möbel und Raum den Anforderungen eines sozialen Jahrhunderts entsprechend zu gestalten, müßten wir glauben, heute in einer Zeit zu leben, deren Ausdruck die vollendet gestaltete Umwelt der Menschen ist. Trotzdem lebt die Mehrzahl der Menschen ohne Beziehung zum Möbel, ohne Beziehung zur Wohnung, mit und in einer Umwelt des Kitsches, hervorgerufen durch Interesselosigkeit, Unverständnis, mangelndes Wissen und Gewinnsucht. Das Buch ist als eine engagierte Positionsbestimmung geschrieben, gegen jene Strömungen, die nach den großartigen formalen Entwürfen die bequeme Mittelmäßigkeit des Nachahmens der kreativen Leistung, das vage Spiel mit chicen Formen der wissenschaftlichen Forschung vorziehen. Dieses Buch hätte nicht entstehen können ohne die Untersuchungen aller jener Kunsthistoriker und Theoretiker der modernen Architektur, die sich um die Einsicht in die Problematik, vor allem des 19. Jahrhunderts, verdient gemacht haben. Gerd Hatje ist es zu danken, wenn dieses Buch den Anstoß zu Entwicklungen geben könnte, die das Interesse unserer Zeit von der Nostalgie des Historismus wieder zur mutigen Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten unserer Epoche führen würde. Mein besonderer Dank gilt meiner Frau, deren Hilfe in unserem gemeinsamen Architekturbüro es überhaupt möglich machte, die Zeit für diese Arbeit zu gewinnen. Dem Verlag möchte ich für die wertvolle Hilfe bei der Durchsicht des Manuskripts danken. Karl Mang 8 Das Möbel als Ausdruck seiner Zeit Die Entwicklung des modernen Möbels verläuft parallel zur Entwicklung der modernen Architektur und der modernen Technik. Die amerikanische Unabhängigkeitserklärung von 1776 mit der Deklaration der Menschenrechte, die erstmalige Verwendung einer mit Wasserkraft angetriebenen Spinnmaschine in Nottingham (1775 von Sir Richard Arkwright in der ersten >modernen< Fabrik errichtet) und der Sturm auf die Bastille im Jahre 1789 stehen am Beginn einer grundlegenden Veränderung unserer Welt, die bis heute noch nicht zum Abschluß gekommen ist. Im zwanzigsten Jahrhundert ist der andauernde Prozeß des Suchens, des Veränderns, der Aktion und Reaktion gesellschaftlicher Umschichtung durch die Auseinandersetzung zwischen Kommunismus und Kapitalismus, aber auch durch die Suche nach sozialer Gerechtigkeit in beiden Systemen gekennzeichnet. Diese gesellschaftliche Wandlung, die heute durch das politische Mündigwerden der Dritten Welt erneut in Frage gestellt wird, bildet den Rahmen, in dem sich auch unser Bauen und Wohnen vollzieht. Möbel und Raumgestaltung können Aufstieg und Macht einer Klasse, einer Schicht oder eines Volkes auf gleiche Weise symbolisieren wie die Architektur einer Epoche. Im Grunde lassen sie sogar noch präzisere Schlüsse zu, da Veränderungen hier viel rascher und deutlicher zum Tragen kommen. Durch ihre unmittelbare Nähe zum Menschen charakterisieren Raum und Möbel seine Stellung und seine Beziehung zum Mitmenschen. Möbel sind Zeugnis seines öffentlichen Auftretens ebenso wie seiner persönlichen Vorstellungen: Ein Möbel von Andre Charles Boulle (Abb. 1) mit seinen klaren Formen und prachtvollen Intarsien steht für die absolutistische Machtfülle Ludwigs XIV. ebenso wie der schlichte Bugholzstuhl (Abb.2) aus einer Fabrik von Michael Thonet für den beginnenden Massenkonsum. Klassizismus und Empire brachten, wenn auch im historischen Rückgriff, zu Beginn des neunzehnten Jahrhunderts die Kraft alter gesellschaftlicher Ordnungen nochmals im Möbelbau zum Ausdruck. Die fließenden Gewänder der Damen auf den Bildern von Jacques Louis David (Abb. 3) und die der römischen Antike entnommenen Motive der Möbel (Abb. 4) wollten Gleiches darstellen: die Stärke des Imperators und die Suche nach klassischer Regelmäßigkeit und Einfachheit. Durch die glatten Flächen des dunklen Mahagonifurniers, erste Zeichen technischer Perfektion der beginnenden arbeitsteiligen Fabrikation, erhielt das Möbel schon durch das bloße Volumen verstärkte Aussagekraft. In den Möbeln und Wohnformen des Biedermeier kann man eine Vorstufe der modernen Formgebung sehen (Abb. 5). Aus der Reduzierung der Ornamente von Klassizismus und Empire und der Anpassung an die räumlichen Verhältnisse der Bürgerstube entstanden, zeigte diese bürgerliche Wohnkultur noch einmal die Kraft einer selbständigen Entwicklung. Die organischen Formen der Sitzmöbel könnte man durchaus als Vorboten eines Funktionalismus bezeichnen, der durch die Abkehr von vordergründiger Repräsentation möglich wurde. Bescheidene, helle und freundliche Zimmer mit schlichten Möbeln strahlten Ruhe aus und schienen dieser vor allem mitteleuropäischen Strömung etwas Endgültiges zu verleihen. Die Ruhe war jedoch trügerisch: Hinter der politischen Ordnung Metternichs bahnten sich tiefgreifende Umwälzungen auf gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Gebiet an. Die bürgerliche Gesellschaft war durch den Verlauf der Französischen Revolution 1. Andre Charles Boulle. Kabinettschrank, um 1700. Musee du Louvre, Paris. Der >Ebeniste du Roy< entwarf und fertigte Möbel, deren einfache Grundformen zumeist mit Einlegearbeiten in Schildpatt und Messing oder Zinn dekoriert wurden (Boulle-Technik). 9 3. Jacques Louis David. Madame Recamier, 1800. Musee du Louvre, Paris. Das Empire überträgt die Formen der römischen Antike auch auf die Möbelkunst, die um 1795 unter dem Directoire beginnt und ihren Höhepunkt mit der Herrschaft Napoleons erreicht. 4. Musiksaal im Schloß Malmaison bei Paris, um 1800. Dekoration von Charles Percier und Pierre F. L. Fontaine, Möbel von den Brüdern Jacob. Die konsequente Ubertragung von antiken Vorbildern auf die Gesamtgestaltung eines Raumes verleiht dem Stil des Empire seine starke Geschlossenheit. 2. Michael Thonet. Stuhl Nr. 14. Dieses Modell wird seit 1859 erzeugt; die Gesamtproduktion bis 1930 betrug etwa fünfzig Millionen Stück. 10 5. Leopold Kupelwieser. Gesellschaftsspiel der Schubertianen in Atzenbrug (Vertreibung aus dem Paradies), Aquarell, 1821. Historisches Museum der Stadt Wien. Schmucklose und möglichst glatte Formen prägen den Stil des Biedermeier, dessen bequeme Möbel in hellen Räumen einen Höhepunkt bürgerlicher Wohnkultur darstellen. zutiefst erschreckt und fühlte sich unter der Obhut ihrer Monarchen sicher. Man zog sich ins eigene Heim zurück, in dem Frau, Kinder und Freunde für jene Atmosphäre sorgten, die man heute als >biedermeierlich< bezeichnet. Im Land der frühen Industrialisierung, in England, hielt man zunächst an Wohnvorstellungen fest, die durch die drei großen englischen Möbelentwerfer des achtzehnten Jahrhunderts - Thomas Chippendale, Thomas Sheraton und George Hepplewhite - geprägt worden waren (Abb. 7). Im übrigen hieß das Motto >zurück zur Natur<, hinaus in eine idyllische Landschaft, das ebenso wie in Mitteleuropa durch die romantische Malerei unterstützt wurde. Man hielt sich in den Landhäusern der weiten grünen Grafschaften auf, während im Mittelwesten die engen, schmutzigen Industrieviertel entstanden, die Schlote der ersten Fabriken rauchten und die Schiffe im Zeichen des Wirtschaftsliberalismus eine neue Freiheit der Meere nutzten, um Rohstoffe für die Maschinen heranzuschaffen (Abb. 6). Zur selben Zeit, als mit dem Ende der überkommenen Ordnung des Feudalismus die bisher gebundenen Arbeitskräfte frei wurden und sich in die Zentren der neuen Industrie ergossen, lebte die führende Schicht in einer gewollt historisierenden Umgebung. Die neue Gotik symbolisierte die Erinnerung an die glorreiche Vergangenheit des englischen Adels, die auch für die Fabrikanten Vorbild war (Abb. 8, 9). Während das frühe Viktorianische England in die ländliche Idylle flüchtete, baute 6. Karl Friedrich Schinkel. Skizze aus Manchester, 1826. Fabriken und Lagerhäuser, zumeist als Ziegelbauten errichtet, prägten das Bild der englischen Industriestädte im neunzehnten Jahrhundert. 11 7. Englisches Rollbüro mit Büchervitrine, um 1790. Victoria and Albert Museum, London. Die Möbel dieser Zeit zeichnen sich durch äußerst zweckmäßige Gestaltung und zurückhaltendes Dekor aus. 8. Norman Shaw. Neugotischer Sekretär mit Bücherschrank, um 1860. Victoria and Albert Museum, London. Durch handwerkliche Qualität in Verbindung mit gotischen Formen wurde versucht, den minderwertigen Produkten der jungen Industrie entgegenzutreten. 9. William und Separ Owen. Häuser für Port Sunlight, um 1890. Historismus beherrscht auch die ersten Versuche, Arbeiterhäuser in der Nähe der Fabriken zu errichten. Leo von Klenze nach 1816 aus dem kleinbürgerlichen München heraus mitten in das Grün der Vororte die klassizistischen Häuser der Ludwigstraße. In der Nähe von Wien, in einer Stunde mit dem Pferdewagen zu erreichen, entstand eine biedermeierlich-klassizistische Villen- und Bäderstadt: Josef Kornhäusel gab dem durch einen Brand zerstörten Baden ein neues Stadtbild. Daß die politische Führung in ganz Europa trotz ihrer konservativen Grundeinstellung eine fortschrittliche Wirtschaftsentwicklung förderte, mag an der Erkenntnis liegen, daß wirtschaftliche Sicherheit und Prosperität beruhigend und stabilisierend wirken; so holte zum Beispiel Staatskanzler Metternich Michael Thonet nach Wien. Die Thonet-Stühle aus gebogenem Holz standen zuerst tatsächlich in den Palästen der adeligen Mäzene und wurden erst später zum Volksmöbel. Die of fiziellen Staatskünste der Architektur und Malerei brachten - über den Historismus hinaus - keinen Versuch, die neue Zeit schöpferisch zu erfassen. Und die Arbeiterschaft war zu sehr durch den Kampf um die bloße Existenz gebunden, um schon stilbildende Kräfte zu entwikkeln. Der rasante technische Fortschritt, die Entwicklung neuer Fabrikationsmethoden und die Einführung neuer Materialien mußten indessen auch von den >Kunstmöbelherstellern< zur Kenntnis genommen werden. Schon Andre Charles Boulle, der große Ebenist Ludwigs XIV., kannte das arbeitsteilige Verfahren, und auch die berühmtesten Möbelfirmen Frankreichs oder David Roentgens Unternehmen im Rheinland waren arbeitsteilig aufgebaut. Hier fand, wenn auch sehr langsam, der Ubergang vom Handwerks- zum Industriebetrieb statt. Ebenso wuchs die Größe der Unternehmen, und man begann, den Absatz mit modernen Vertriebsmethoden zu organisieren. In Wien beschäftigte die Möbelfirma Dannhauser um 1808 bereits 130 Arbeiter; man konnte - etwas später - Möbel und Geräte (etwa Glaswaren) in seiner Fabrik und dem nahe gelegenen Verkaufsraum erwerben. Die >Kunstschreinereien< sahen allerdings immer noch ihre Aufgabe darin, die historisierenden Räume einer historisierenden Architektur mit Möbeln verschiedenster 12 Stilrichtungen zu füllen (Abb. 10). Es waren handwerklich perfekte Möbel, die, obwohl Kopien vergangener Stile, von den Theoretikern und von den neu entstandenen Museen (Victoria and Albert Museum in London, Museum für Kunst und Industrie in Wien) befürwortet wurden. In dieser Welt des Umbruches und der Rückschau auf Stilepochen vergangener Zeiten und Gesellschaftsordnungen wiesen - neben den Versuchen mit dem neuen Material Eisen - zwei Leistungen in die Zukunft der industriellen Gesellschaft: die bereits im achtzehnten Jahrhundert geschaffenen Möbel der amerikanischen Sekte der Shaker (Abb. 11) und das Bugholzmöbel von Michael Thonet (Abb. 12). Während die Shaker - bereits hundert Jahre vor Adolf Loos - aus Uberlegungen sittlich-religiöser Art Zierformen bei Architektur, Gerät und Möbeln ablehnten, wurde das Bugholzmöbel auf Grund der verfahrenstechnischen Entwicklung und durch seine Billigkeit zum frühen Modell eines Möbels der Massengesellschaft und darüber hinaus zum Vorbild für das Möbeldesign bis heute. Die technische Entwicklung wirkte sich besonders deutlich in Amerika aus. Zwar entstanden die ersten Fabriken später als im industriellen Mutterland England (die erste Baumwollspinnerei wurde 1793 in Pawtucket errichtet), doch setzte sich bald bald die kapitalistische Produktionsweise - in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts vor allem durch den Versuch gekennzeichnet, die manuelle Tätigkeit in 11. Möbel der Shaker. Die Formensprache und Produktionsweise der Shakermöbell aus dem Kolonialstil in Neuengland entwickelt und vom späten achtzehnten bis zur Mitte des neunzehnten Jahrhunderts unverändert beibehalten, ist vor allem durch das Primat der puritanischen Grundsätze dieser Sekte erklärbar. 12. Michael Thonet. Bugholzstühle. Die Forrnentwicklung des Bugholzmöbels seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts zeigt deutlich, wie aus einer neuen Verarbeitungsmethode eine neue Formensprache entwickelt wurde. Eine Reduzierung auf einfachste Formen (Stuhl Nr. 14, Abb. 2) erfolgte erst nach dem Übergang zur Massenproduktion. 13 10. Schreibzimmer in der Grützner-Villa, München, 1884. Die überladene Pracht dieser aus einer Vielzahl von Stilen zusammengesetzten Einrichtung ist charakteristisch für die >Wohnkultur< gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts. allen Bereichen durch die billige Maschine zu ersetzen - mehr und mehr durch. Früher handwerklich hergestellte, einfache Möbel wurden nun zumeist in ihren Einzelteilen mit Hilfe von Maschinen gefertigt. Beim Experimentieren mit neuen Materialien und Möglichkeiten entstand eine Vielzahl von Möbelpatenten (Abb. 13), zum Beispiel für Bürostühle, die zum Teil die spätere Technisierung des Möbels vorwegnahmen. In formaler Hinsicht allerdings wirkten diese Entwürfe keineswegs stilbildend. Nicht einmal die für die riesigen Eisenbahnstrecken Amerikas entwickelten außerordentlich praktischen und sehr variablen technischen Einrichtungen, etwa der Pullman-Schlafwagen, vermochten den Wohnstil des Durchschnittsamerikaners zu beeinflussen. Hier kann eine Parallele zur Entwicklung des Bürohochhauses in Chicago (Abb. 14) gezogen wer- 14 den: auch dort wurde früh und selbstbewußt eine neue Form des Bauens geschaffen, die lange unbeachtet blieb und die ihre Auswirkungen erst heute hat - freier Grundriß, große Glasflächen, Aufzug, Zentralheizung. Die Bevölkerung des jungen Kontinents wandte sich in ihrem Pioniergeist einer anderen Freiheit zu (die gleichzeitig Abhängigkeit von Geld und Zeit bedeutete) der völligen Freiheit kapitalistischer Prägung. Damit ging auch die soziale Entwicklung einen anderen Weg als in Europa. Weder die Bauten von Louis Sullivan (Abb. 14) noch die Wohnräume und Möbel von Frank Lloyd Wright (Abb. 16) fanden in Amerika angemessene Beachtung. Für den Pionier, den Selfmademan, den selbstbewußten Technokraten oder Moneymaker war >Wohnkultur< die aus Europa importierte Form des Historismus. Der Ankauf historischer Möbel erfolgte gleichzeitig mit dem Ankauf von Kunstwerken - noch heute zieren sie die Räume der Morgan Library oder des Frick Museum in New York, unverändert die Wohnform der High Society Amerikas um 1900 wiedergebend. In Europa bewirkten die Theorien von John Ruskin und William Morris in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts eine entscheidende Wende. Morris, der das Handwerk des Mittelalters für vorbildlich hielt und wegen der Mißstände der jungen Industrie die Maschine ablehnte, schuf die Grundlagen für eine neue Formfindung. Er war, und das scheint für sein Werk wesentlich zu sein, Verfechter höchster handwerklicher Qualität, die nur im Zusammenwirken von Künstlern und Handwerkern entstehen konnte - und dazu noch überzeugter Sozialist. Seine Uberlegungen gingen, geradezu im Gegensatz zur technischen Entwicklung, von einem moralischen Bekenntnis aus, das zum neuen weltanschaulichen Hintergrund der Gestaltung wurde. Der Grundsatz, daß Kunst für alle ebenso wichtig wie Freiheit für alle sei, war die Basis seines Wirkens. Für die nun beginnende Suche nach einer eigenständigen, der neuen Zeit und dem neuen Material entsprechenden Form, vor allem im Wohnen (Abb. 15), sind seine Gedanken, aber auch seine Arbeiten von größter Wichtigkeit. Die von ihm geforderte und begründete Gemeinschaft von Künstlern und Handwerkern fand in der Zeit um die Jahrhundertwende Nachfolger in der Gründung der Werkstätten in München und Wien und war mit ihren sozial-ethischen Postulaten selbst noch für die geistigen Vorstellungen des Weimarer Bauhauses mitbestimmend. Betrachtet man die Entwicklung im neunzehnten Jahrhundert und versucht man, sie auf wenige, aber wesentliche Komponenten zu reduzieren, so zeigen sich zwei parallel verlaufende Wege: einerseits der des mit dem Einsatz neuer Materialien und der ständigen Verbesserung der Fertigungsmethoden verbundenen technischen Fortschritts, zum Beispiel beim Bugholzmöbel Michael Thonets, andererseits die auf William Morris gestützte geistig und sozial wirkende Bewegung. Erst nach vielen Umwegen fanden diese beiden Entwicklungslinien zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts eine gemeinsame Basis in manchen Ideen des Deutschen Werkbundes, die später durch das Bauhaus weltweit wirksam wurden. Im Laufe der Suche nach einer neuen Stilwelt entstand gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts der Jugendstil als eine Kraft, die den Historismus überwinden half (Abb. 17). Diese Strömung wurde zwar für kurze Zeit zu einer mitreißenden Bewegung; sie ging jedoch theoretisch über die Ideen von William Morris kaum hinaus und bediente sich damals schon überholter Produktionsverfahren. Ein aus massivem Holz geschnitzter Stuhl Henry van de Veldes (Abb. 18) konnte zwar ein Fanal, aber kein Vorbild für ein Massenmöbel sein: seine Herstellung war einfach zu teuer. Zwischen der Theorie der sozialen Gerechtigkeit und der Praxis, die sich zwangsläufig auf die Einrichtung von Wohnungen der Oberschicht beschränken mußte, bestand eine unüberbrückbare Kluft. 13. Drehstuhl im Salonwagen der ChicagoKansas City-Linie, 1888. Die großen Entfernungen innerhalb des amerikanischen Kontinents (und sicherlich auch die Konkurrenz zwischen den einzelnen Gesellschaften) machten eine komfortable, aber auch flexible Einrichtung der Züge notwendig. 14. Louis Sullivan. Carson, Pirie, Scott Department Store, Chicago, 1899 (Erweiterung 1903-04). In diesem Warenhaus wird die Beziehung zwischen Fassade und Innenraum deutlich sichtbar: »Die Form folgt der Funktion«. 15 15. Morris & Co. Das grüne Speisezimmer, 1867. Glasfenster von Edward BurneJones. Victoria and Albert Museum, London. Die Einrichtung dieses Raumes verdeutlicht den Gedanken der Zusammenarbeit von Architekt, Künstler und Handwerker im Sinne William Morris'. An die Stelle der puritanischen Religiosität der Shaker ist jetzt die gesellschaftliche Utopie des frühen Sozialismus getreten. 16. Frank Lloyd Wright. Cheney House, Oak Park, Illinois, 1893. >Organische Architektur< - wie bei Sullivan erfolgt die Entwicklung des Hauses von innen nach außen. Sowohl in der Form der Architektur wie des Möbels wird versucht, eine eigene, einheitliche Stilsprache zu entwikkeln, wie sie seit dem Biedermeier nicht mehr existierte. 16 Starken Einfluß auf Möbelbau und Innenarchitektur hatten die großen Weltausstellungen zwischen 1851 und 1900. Die Londoner Weltausstellung von 1851 war vor allem durch den Kristallpalast von Joseph Paxton mit seinem neuartigen Raumkonzept, gekennzeichnet durch räumliche Transparenz und fließenden Ubergang zwischen innen und außen, von größter Bedeutung. Später gewann das Aufzeigen neuer technischer Möglichkeiten Wichtigkeit: Mit ihrem weltweiten Echo brachten die Ausstellungen neue Errungenschaften breiten Kreisen zur Kenntnis. Die Kataloge der Ausstellungen selbst sowie die Berichte in den nach und nach entstehenden Zeitschriften über Innenarchitektur trugen ebenfalls wesentlich zur Verbreitung neuer Ideen bei. Letztlich sah das frühe zwanzigste Jahrhundert nochmals den Triumph der alten Gesellschaft. Bei den Möbeln experimentierte man zwar manchmal mit neuen Formen, die bewährten bürgerlichen Wohnschemata blieben jedoch sowohl in den Mietshäusern der Innenstädte wie in den Villen der Vororte unangefochten bestehen. Es bedurfte noch eines Weltkrieges und der Russischen Revolution, bis die Gesellschaft ihre Vorstellungen grundsätzlich einer neuen Wertung unterziehen konnte. Erste Anzeichen waren allerdings schon früher erkennbar - die Versuche des 1907 gegründeten Deutschen Werkbundes, Handwerk und Industrie zu integrieren, ebenso wie die Arbeiten von Peter Behrens, der bei einer großen Industriefirma, der AEG, für Architektur und Design verantwortlich war (Abb. 19, 20). 17. Victor Horta. Speisesaal im H6tel Solvay, Brüssel, 1895-1900. Proportion und Einrichtung des Raumes mit seinen hohen Fenstern sind noch vom Stadtpalais des achtzehnten Jahrhunderts geprägt. Auch die Stühle sind im Vergleich zum Entwurf van de Veldes (Abb. 18) noch sehr dekorativ gestaltet. 17 18. Henry van de Velde. Speisezimmer in der Villa Herbert Esche, Chemnitz, 1897/98. Die Überwindung des Historismus gelang nur durch eine konsequente Gestaltung des Raums, bei dem alle Details - selbst Lampen und Türgriffe - einer Gesamtvorstellung folgten. Die Zäsur des Ersten Weltkrieges war entscheidend. Vor allem in wirtschaftlich schwer geschlagenen Ländern wie Deutschland, Österreich und selbstverständlich in Rußland nach der Revolution begann man, den Wert der bisherigen Lebensformen in Frage zu stellen. War es ein Wunder, daß man zunächst in die Utopie flüchtete, da die Wirklichkeit kaum zu bewältigen war? So war der nach dem Krieg entstandene deutsche Expressionismus, der vor allem von Berlin ausging, ein Versuch, in Architektur und Möbeln die Träume einer Notzeit auszudrücken (Abb. 21, 22). Die gekünstelten, technisch kaum realisierbaren Formen vermochten wohl Wunschvorstellungen darzustellen, sie waren aber keineswegs der Durchsetzung gesellschaftlicher Änderungen dienlich. Wichtige Impulse kamen vom Bauhaus, das zunächst in Weimar (1919-1925), dann in Dessau (1925-1932) tätig war. Von der Theorie der holländischen Stijl-Bewegung ebenso beeinflußt wie von den russischen Konstruktivisten, ging diese Schule den notwendigen Weg zur Integration der bildenden Künste, besonders am Bau. Der Innenraum wurde damit neu konzipiert und mit einer Einrichtung ausgestattet (Abb.24), die es ähnlich wie beim japanischen Haus erlaubte, den Menschen in den Mittelpunkt zu stellen. Als Produkt neuer technischer Möglichkeiten schufen Marcel Breuer (Abb. 25), Mies van der Rohe und Mart Stam das für die zwanziger Jahre so charakteristische Stahlrohrmöbel. Daß nach und nach, vor allem unter der Leitung des Architekten Hannes Meyer, die Idee des Sozialen den formalen Vorstellungen 18 übergeordnet wurde, war angesichts der Notzeit, die Deutschland damals durchzustehen hatte, fast selbstverständlich. Das soziale Möbel und die zweckmäßige Gestaltung von Wohnungen für breite Schichten wurden zur großen Aufgabe der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg. In Wien baute man unter den sozialdemokratischen Bürgermeistern Jakob Reumann und Karl Seitz und ihrem Finanzstadtrat Hugo Breitner als Antwort auf die kapitalistische Bautätigkeit der Vorkriegszeit zahlreiche Volkswohnungen, ein Programm, dessen Auswirkungen noch viel zu wenig untersucht sind. Hier wurden die ersten Ideen Franz Schusters für seine Aufbaumöbel (Abb.23) und Grete SchütteLihotzkys für ihre Küchen geboren. Beide wurden dann in einigen der Frankfurter Siedlungsanlagen, die unter Ernst May entstanden, zur Reife entwickelt. Höhepunkt der formalen Entwicklung dieser von einer >neuen Sachlichkeit< geprägten Epoche war die Werkbund-Ausstellung 1927 auf dem Weißenhof in Stuttgart (Abb. 26), zu der die bedeutendsten Gestalter jener Zeit - wie Mies van der Rohe, Walter Gropius, J.J.P. Oud, Le Corbusier und Hugo Häring - mit mustergültigen Wohnbauten beitrugen. Hier manifestierte sich der Internationale Stil vielleicht am konsequentesten: Die klaren Bauten umschlossen einfache Innenräume mit sparsamer Möblierung. Mies van der Rohe, dessen Konzept des offenen Raumes für eine ganze Generation richtungweisend wurde (Abb.30), leitete die Ausstellung. Er war Ästhet der neuen Form und des neuen Materials - so kommt das Soziale in seinem Werk wenig zum Ausdruck, sieht man von der starken Breitenwirkung ab, die seine Ideen durch seine Schüler und Nachfolger erreichten. Le Corbusier gestaltete in der Weißenhofsiedlung zwei Häuser, deren Konzeption schon auf Wohnvorstellungen hinwies, wie er sie dann in der Unite d'Habitation in Marseille verwirklichen konnte. Um 1930 schien es zunächst, als ob die moderne Architektur allenthalben den Sieg davontragen würde. Nur zu bald aber regten sich die konservativen Kräfte. In Stuttgart wurde bereits einige Jahre nach der Weißenhofsiedlung eine >Gegensiedlung< errichtet (Abb. 27), die, technisch konservativ, aber perfekt, das biedere, brav-deutsche Haus als Leitmotiv empfahl. 19. Peter Behrens. Turbinenfabrik der AEG in Berlin, 1909. Die Fabrikhalle, aus ihrer Funktion heraus mit großen Glasflächen versehen, wird gleichzeitig zu einer Symbolgestalt mächtiger Industrieunternehmen. 20. Peter Behrens. AEG-Bogenlampe für indirekte Beleuchtung, 1907. 19 23. Franz Schuster. Aufbaumöbel. Zeichnungen aus Franz Schuster - Ein Möbelbuch. Ein Beitrag zum Problem des zeitgemäßen Möbels. »Aus den Grundelementen Gestell, Kasten, Lade, Regal lassen sich alle nur gewünschten Möbel zusammenstellen. Die Maße sind 50, 100, 150 cm in der Breite.« (Aus dem Prospekt der Firma Erwin Behr: »Das Frankfurter Register, Aufbaumöbel von Franz Schuster.«) 25. Marcel Breuer. Stahlrohrklubsessel, 1926. Durch industrielle Produktion sollte auch erreicht werden, gute und zugleich preiswerte Möbel auf den Markt zu bringen. So entstanden die ersten Stahlrohrstühle Marcel Breuers in Zusammenarbeit mit einer Berliner Schlosserfirma. 21, 22. Erich Mendelsohn. Einsteinturm, Potsdam, 1920-21. Außenansicht und Arbeitsraum. Architektur als Skulptur: Die Umsetzung expressionistischer Vorstellungen in eine gebaute Form ist typisch für eine Zeit der Not, die als ihren einzigen Ausweg oft nur die Flucht in die Utopie kannte. Die Möbel des Arbeitsraumes stehen durch ihre kubisch-eckigen Formen im Gegensatz zu Raum und Bau. 24. Walter Gropius. Typenmöbel, 1927 für das Kaufhaus Feder in Berlin entwickelt, 1930 auf der Ausstellung des Deutschen Werkbundes in Paris gezeigt. Eine der großen Leistungen des Bauhauses war es, Verbindungen zur Industrie zu suchen. Einfache, klare Formen entsprachen nicht nur dem Stil der Neuen Sachlichkeit am Ende der zwanziger Jahre; diese Möbel waren auch einfach und solide mit industriellen Methoden herzustellen. 20 27 26. Werkbund-Ausstellung >Die Wohnung<, Weißenhofsiedlung, Stuttgart, 1927. Gesamtplanung Ludwig Mies van der Rohe. Die Ausstellung des Deutschen Werkbundes stellte neben Rationalisierung und Typisierung zeitgemäße Wohnungseinrichtungen zur Diskussion. 26 In Rußland wurden die Konstruktivisten nach ersten Erfolgen in der Architektur in den Hintergrund gedrängt. Die pseudo-bürgerliche Architekturperiode des stalinistischen Regimes begann. Dieser eklektizistischen Architektur wurde eine Einrichtung beigegeben, die keinerlei Zusammenhang mit der Revolutionstheorie eines gesellschaftlichen Umbruches mehr in sich trug. Hitler beschritt im Wohnbau den Weg einer Architektur von Blut und Boden<, die großen Meister der Architektur und Malerei mußten ins Exil gehen. Dem brutalen Klassizismus von Albert Speer entsprachen die von der Monumentalität des Renaissancehandwerks geprägten Einrichtungen (Abb. 28, 2 9). Lediglich in Italien war es möglich, vor allem unterstützt durch die aufstrebende Industrie, daß moderne Kräfte vom Faschismus gebilligt oder zumindest toleriert wurden. Erstaunlich war das Beiseitestehen Amerikas. Die Wolkenkratzer im Stile der Gotik oder der Renaissance (Abb. 32) fanden nach wie vor ihr Pendant in eklektizistischen Möbeln oder in einer Flucht in die echten, in Europa aufgekauften Möbelstücke der Millionäre. So stand die Situation zu Beginn des Zweiten Weltkrieges im Zeichen eines allgemeinen Rückzuges der Ideen der modernen Architektur und des ihnen entsprechenden Möbels. Weder die Siedlungsbauten Adolf Hitlers noch die Bautätigkeit in Rußland führten die bereits erarbeiteten Prinzipien zeitgemäßen Wohnens weiter. Der Zweite Weltkrieg unterbrach in Mitteleuropa die Entwicklung für Jahre: Wer in Trümmern leben muß, denkt nicht über den Stil von Möbeln nach. Zudem dauerte es geraume Zeit, den reaktionären, überall noch spürbaren Einfluß des Faschismus zu beseitigen. In Amerika dagegen setzte nach dem Kriege eine völlig neue Entwicklung ein. Nach langen Jahren der Stagnation konnten die Ideen der großen europäischen Architekten - Mies van der Rohe, Walter Gropius, Marcel Breuer und anderer -, die nun an amerikanischen Universitäten lehrten, Früchte tragen. Tatkräftig unterstützt wurden diese Bestrebungen vom Museum of Modern Art in New York, das schon 1932 die erste große Ausstellung über moderne Architektur veranstaltet hatte. Dieses Museum war es auch, das 1941 einen Wettbewerb für moderne Möbel ausschrieb, der als wesentlichstes Ergebnis die Schalenstühle von Charles Eames und Eero Saarinen brach (Abb. 31). Hier zeigten sich erstmals der durch den Krieg verstärkt 27. Paul Schmitthenner. Fassade eines Einfamilienhauses in der Siedlung am Kochenhof, Stuttgart, 1933.Die konservative Architektur begann sich bereits zu Anfang der dreißiger Jahre in ganz Europa durchzusetzen. Architektur und Wohnform der Häuser in der Kochenhofsiedlung, typisch für die Zeit nach 1933, werden bis heute im gesamten mitteleuropäischen Bereich in vielen Varianten nachgeahmt. 28 29 21 30. Ludwig Mies van der Rohe. Haus Tugendhat, Brünn, 1930. Der große, nach zwei Seiten gegen Garten und Wintergarten geöffnete Wohnraum wird mit frei stehenden Wänden und zurückhaltender Möblierung gegliedert. 28. P. L. Troost, L. Gall und G. Troost. >Haus der deutschen Kunst< in München, 1936-37. Der Neoklassizismus Hitlerscher Prägung übernimmt antike Architekturelemente ohne Beziehung zu menschlichen Maßstäben. 29. Albert Speer. Neue Reichskanzlei in Berlin, 1939. Arbeitszimmer des >Führers< mit Möbelgruppe am Kamin. Die mächtige, pseudo-repräsentative Sitzgruppe hielt sich über den Krieg hinweg und wird auch heute nicht allzu selten als Vorbild genommen. vorangetriebene technische Fortschritt und der große Vorsprung Amerikas auf diesem Gebiet in aller Deutlichkeit. Die Firmen Knoll und Miller übernahmen in Zusammenarbeit mit bedeutenden Möbelentwerfern Herstellung und Vertrieb konsequent moderner Möbel und erreichten bald eine international führende Stellung. Ihre Möbel von Mies van der Rohe, Marcel Breuer, Charles Eames, George Nelson und Florence Knoll paßten in die Räume der neuen Hochhäuser aus Stahl und Glas, die nun überall errichtet wurden. Im Norden Europäs zeigte die Vorarbeit der Bauhauszeit bereits in den dreißiger Jahren Ergebnisse. Firmen wie Artek in Finnland, die mit Alvar Aalto zusammenarbeitete, oder Hansen in Dänemark waren Pioniere einer modernen Auffassung im Möbelbau, die kaum den Boden des gediegenen Handwerks verließ. Die souveräne handwerkliche Verarbeitung und das Holz mit seinem unvergleichlichen Finish waren noch immer Trumpf, und es konnte nicht verwundern, daß sich die skandinavischen Einrichtungen mit ihrer Wärme bald eine Weltstellung erringen konnten, gerade in jenen Ländern, in denen man nach einem schrecklichen Kriege Ruhe und Frieden in den Wohnungen suchte (Abb. 33, 34). Der >Teakstil< Dänemarks begann, gefördert durch eine verständnisvolle Handelspolitik und kluge Unternehmer, seinen Siegeszug. In Schweden, das zum Vorbild eines sozialen Staates wurde, setzte eine weitreichende Aufklärungstätigkeit allgemeinbildender Institutionen ein, die große Bevölkerungskreise mit den Prinzipien des modernen Wohnens vertraut machte. Nach der schwierigen Arbeit des Wiederaufbaus in 22 31. Charles Eames und Eero Saarinen. Entwurf für einen Armstuhl, 1940. The Museum of Modern Art, New York. Einer der zehn ersten Preise des Wettbewerbs >Organic Design in Home Furnishings<, der 1941 vom Museum of Modern Art in New York veranstaltet wurde. 32. Ernst R. Flagg. Equitable Building, New York, 1915. Die Hochhausarchitektur in Amerika wird bis in die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg im wesentlichen von historisierenden Vorbildern bestimmt. Mitteleuropa besann man sich mit dem steigenden Wohlstand zu nächst einer fast schon als klassisch zu bezeichnenden Vergangenheit. So wurden die Ideen des Bauhauses an den Hochschulen weiterentwickelt und von den Möbelfirmen aufgegriffen. Bald aber fanden geschäftstüchtige Firmen heraus, daß man mit modernen Möbeln blendende Geschäfte machen konnte, wenn man nur dem allgemeinen Publikumsgeschmack etwas entgegenkam. Außerdem wurde die Welt kleiner, die Entfernungen schrumpften mit der steigenden Geschwindigkeit der Flugzeuge mehr und mehr zusammen. In Spanien sah man rustikale Möbel, in Frankreich die Prunkstücke Ludwigs XV. Es entstand in Europa ein neuer Eklektizismus, jener sonderbare Stil, der die Illustriertenberichte über die Wohnungen von Filmstars und 23 Industriemanagern zum Vorbild hatte. Dem Psudomodernismus einer die Landschaft überschwemmenden Häuschenarchitektur folgte der Pseudomodernismus auch im Möbelbau. Italien allerdings- ein Land, in dem man >auf der Straße< wohnt und dessen soziale Gegensätze zu den krassesten in Europa gehören - errang bald nach dem Krieg durch die großartigen Designer der Mailänder Schule eine imponierende Stellung im Möbelbau, vor allem durch Experimente mit dem neuen Material Kunststoff. Wagemutige Unternehmen, zumeist kleine Möbelfirmen, fanden heraus, wie gut sich dieses Material mit seiner plastischen Verformbarkeit für die Möbelherstellung eignete. Die Verbindung des norditalienischen Kapitalismus mit progressiven Designern wurde zu einem europäischen Phänomen. Aus der Perfektion der fortschrittlichen amerikanischen Möbelfirmen und der Originalität der italienischen Designer entwickelte sich eine neue Form der internationalen Möbelproduktion (Abb. 35, 36), wobei wegen des starken Konkurrenzdruckes auch bald Modelle zu erschwinglichen Preisen angeboten wurden. Es stand nun eine Vielzahl ausgezeichneter Produkte für die Einrichtung jeder Wohnung zur Verfügung. A1lerdings mußten, den Gesetzen des Kapitalismus folgend, immer neue Möbel auf den Markt kommen, um die Produktion in Gang zu halten. Die Sensation um jeden Preis, das >Neue<, mußte gefördert werden. 33. Hans J. Wegner. Armstuhl in Teakholz mit Rohrgeflecht, 1949. Hergestellt von Tischlermeister Johannes Hansen. Durch handwerkliche Perfektion und sichere Materialwahl fanden dänische Möbel nach dem Krieg weltweite Anerkennung. 34. Bard Henriksen. Umbau des Dachgeschosses eines Kopenhagener Hauses aus dem achtzehnten Jahrhundert. Die einfachen Formen der Stühle Arne Jacobsens geben dem Raum, der auf Einheitlichkeit und Repräsentation verzichtet, die Atmosphäre moderner Wohnlichkeit. 24 Die Stille und Klarheit der Bauhausatmosphäre, die Möbel des sozialen Wohnbaues der zwanziger Jahre sind heute kaum noch gefragt. Die Lebensweise der siebziger Jahre verlangt nach Flexibilität und Variabilität der Einrichtung. Dieser Forderung kommen die zahlreichen Kombinationsmöglichkeiten sowie die Formen- und Farbenvielfalt der Wohnlandschaft entgegen. Diese Möbel lassen Umbauten und Veränderungen zu, die dem Ablauf des Lebens auch innerhalb der Familie entsprechen (Abb. 3 7, 3 8). Gleichzeitig zeigt sich allerdings ein Rückzug auf das traute alte Möbel, der in eine neue Welle der Nostalgie mündet: Die Stühle des Jugendstils, Zeugen hochwertigster Handwerksleistung, werden derzeit in Serien produziert. Der westlichen Industriegesellschaft stehen heute zwei Welten gegenüber: Einmal der Osten, der zwar glaubt, gesellschaftspolitisches Vorbild zu sein, sich aber im Möbelbau völlig an den Westen anschließt oder ihn sogar im negativen Sinne zu übertrumpfen sucht; von dort kommen vielfach die billigen Kopien alter Stile. Eine eigenständige Linie, die zum Beispiel der Einrichtung von Gemeinschaftshäusern dienen könnte, hat sich bisher nicht gezeigt. Zum anderen lebt die sogenannte Dritte 35. Joe C. Colombo. Polstersessel >Elda 1005<, 1965. Hergestellt von Comfort, Giorgetti Fratelli & Co. Die Verwendung von Kunststoff - hier in Verbindung mit dem traditionellen Material Leder - war einer der wichtigsten Schritte in der Entwicklung des Möbelbaus nach dem Zweiten Weltkrieg. 36. Giancarlo Piretti. Klappstuhl >Plia<, 1969. Hergestellt von Anonima Castelli s.a.s. Raumsparend, leicht und billig - das typische Massenmöbel unserer Zeit. Der Rahmen ist aus Leichtmetall, Sitz und Rückenlehne aus transparentem Kunststoff. 37. Walter Müller. Möbelsystem >Podium 3<, 1972. Hergestellt von Interlübke. Aus Einzelelementen (Seitenwangen, Schuhkästen und Abdeckplatten) lassen sich mit Hilfe von Steckstiften aus Metall beliebige Regale und Wohneinheiten zusammenstellen. 38. Rolf Heide. Terrassenmöbel, 1975. Hergestellt von Wohnbedarf. Leicht zusammenbaubare Konstruktion aus Holz mit Segeltuchbespannung, für innen und außen. Ideenreichtum und die Verwendung einfacher Materialien in Verbindung mit großer Variabilität, die alle Möglichkeiten der Benützung offen läßt, zeigen neue Wege des Wohnens unserer Zeit auf. 25 Welt ebenfalls von der Wohnidee des Westens. Sie zerstören dort angewendete überlieferte Formen und haben nichts mit den Lebensrhythmen gemein, die sich durch Jahrhunderte erhalten haben. Der Traum, eine Industrienation zu sein oder zu werden, läßt alle anderen Uberlegungen häufig in den Hintergrund treten. Zu Beginn des letzten Viertels des zwanzigsten Jahrhunderts wird allerdings ein Lichtblick sichtbar. Die Jugend glaubt nicht mehr so ganz an das Ideal rücksichtslosen Geldverdienens, und die sinnvoll eingerichtete Wohnung, die ein zwangloses Zusammenleben erlaubt, gewinnt wieder an Wert. Vielleicht finden wir heute den Weg zur Realisierung der Ideen von William Morris, zu echten Möbeln, zur Einrichtung eines sozialen Zeitalters - nicht in dem Sinne, daß wir die Maschine abschaffen, sondern daß wir sie jene Produkte herstellen lassen, die wir als gerecht und gut befinden in einer Umgebung, die den Sinn des Menschlichen auf dieser Welt ausstrahlt. 26 Das anonyme Möbel im neunzehnten JahrhundertDer Weg zur industriellen Fertigung Die meisten Möbelformen des neunzehnten Jahrhunderts, die für die weitere Entwicklung Bedeutung hatten, waren in ihrer Zeit nur anonyme Randerscheinungen. Erst aus heutiger Sicht werden die leichten Chiavari-Stühle, die Möbel aus dem dam-als in England und Frankreich in Mode gekommenen Rundeisen oder die von religiösen Gemeinschaften wie den Shakern in Amerika geschaffenen Möbel beziehungsreich und wichtig; im neunzehnten Jahrhundert betrachtete man sie als Gebrauchsmöbel, als Gerät des Wohnens, das keinem Stil zuzuordnen war. Selbst die Pioniere der modernen Architektur erkannten erst in den zwanziger und dreißiger Jahren unseres Jahrhunderts in manchen dieser Formen und Produkte Beziehungen zu ihrer Architektur und ihren Innenräumen. Lediglich das Bugholzverfahren Michael Thonets faszinierte Adolf Loos und Josef Hoffmann schon um 1900; auch Otto Wagner ließ Stühle und Büromöbel für die von ihm entworfene Postsparkasse in Wien (1904-06, Erweiterung 1910-12) in den Bugholzfabriken anfertigen. Aus den ersten von Le Corbusier geschaffenen Wohnräumen und Ausstellungsbauten ist der >Wiener Stuhl< als einzig adäquates Möbelstück nicht wegzudenken. In diesem Zusammenhang muß auch auf die oft seit Jahrhunderten in gleicher Form gebauten bäuerlichen Sitzmöbel hingewiesen werden (Abb.39, 40). Stühle einfachster Art, aus dem Holz der umliegenden Wälder mit geflochtenen Sitzen aus ortsüblichem Material, stehen heute noch in italienischen Trattorias, spanischen Bodegas und in Landgasthöfen überall in Europa. Für ihre heutige Beliebtheit wesentlicher ist jedoch die Tatsache, daß ein großer Teil dieser Möbel billig, einfach und haltbar ist und vor allem in der formalen Durchbildung unseren Vorstellungen von unprätentiösen Gebrauchsmöbeln weitgehend entspricht. Die frühe Industrie des neunzehnten Jahrhunderts stellte auch dem Möbelbau neue Materialien in größeren Mengen zur Verfügung. Zugleich traten neue Aufgaben wie Traktorensitze, Eisenbahn- und Büromöbel an die Konstrukteure heran. Man erkannte die Notwendigkeit, neu entstandene Bedürfnisse zu erfüllen, breiten Schichten die Arbeit, etwa in den Büros, zu erleichtern, aber auch das Wohnen bequemer zu gestalten. So zwang der Beginn des Massenzeitalters die junge Industrie, neue Wege zu beschreiten. Von der Fabrikation her konnte man nicht anders als tastend, versuchend vorgehen. Arbeitsteilung existierte nicht erst seit dem neunzehnten Jahrhundert; die Grenzen zwischen Handwerk, merkantilistisch gefördertem Gewerbe (der Manufaktur), früher industrieller Fertigung und Massenproduktion können jedoch kaum irgendwo klar bestimmt werden - besonders nicht im Möbelbau. Möbel sind tägliche Begleiter des Menschen, Gegenstände, mit denen er seine häusliche Sphäre gestaltet, Ausdruck seines Seins. Diese Vielfalt an Anforderungen und Funktionen, aber auch an persönlichen Emotionen, konnte letzten Endes nicht durch eine großindustrielle Produktion befriedigt werden. Auch heute noch wird die Herstellung eines Möbels von Überlegungen bestimmt, die von der Kunst des Möbelbaus in allen Spielarten bis zur industriellen Erzeugung von Gegenständen des Wohnens reichen. Die bestimmenden Gesellschaftsschichten des neunzehnten Jahrhunderts - das 39. Sprossenstuhl aus Pappelholz mit Binsensitz, Frankreich, 19. Jahrhundert. Die Neue Sammlung, München. In ländlichen Gebieten hielten sich einfache handwerkliche Formen des Möbelbaus oft durch Jahrhunderte. 27 40. Vincent van Gogh. Das Schlafzimmer in Arles, 1889. Stedelijk Museum, VanGogh-Stiftung, Amsterdam. Die Möblierung dieses Zimmers ist auf das einfachste reduziert. Möbel und Geräte stammen aus kleinen Werkstätten, die über Jahrzehnte Form und Arbeitstechnik unverändert beibehielten. Bürgertum, eine neue Schicht vermögend gewordener Unternehmer, aber auch die noch in der Einrichtungsmode tonangebender alten Adelsgeschlechter - huldigten bis auf wenige Ausnahmen dem Historismus. Empire und Biedermeier hatten ihre stilbildende Kraft im Konservativismus der nachrevolutionären Zeit verloren. Die historisierende Stilanarchie wurde von öffentlichen Stellen gefördert oder von den Theoretikern der künftigen Architektur, wie Eugene Emmanuel Viollet-le-Duc (1814-79) und Gottfried Semper (1803-79), in bestimmte Richtungen gelenkt. Durch die Verwendung neuer Maschinen oder die Anwendung arbeitsteiliger Fertigungsmethoden weitete sich die Produktion historisierender Möbel rasch aus. Der erhöhte Bedarf durch wachsende Käuferkreise und der harte Wettbewerb des Hochkapitalismus, seine Tendenz, eine Mode rasch durch eine andere abzulösen, um so den Bedarf durch künstlich erzeugte Obsoleszenz anzuheizen, haben diese Entwicklung zusätzlich beschleunigt. Doch ohne diese Anforderungen, ohne die ständige Schulung an orthodoxen Methoden, wären die Möbelhersteller nicht imstande gewesen, die Aufgaben, die ihnen später die Architekten des Jugendstils oder etwa Adolf Loos stellten, zu realisieren. Loos' Nachruf auf den alten und schwerhörigen Tischler Veillich ist dafür bezeichnend: »Gestern wurde er begraben. Veillich hat alle meine Speisezimmersessel gemacht. Durch dreißig Jahre war er mein treuer Mitarbeiter. Bis zum Kriege beschäftigte er einen Gehilfen, dessen Mitarbeit er hoch 28 hielt. Auf die Leute von heute war er nicht gut zu sprechen. Der Gehilfe wurde ihm im Krieg erschossen. Seither arbeitete er allein. Er wollte nicht schlechtere Sessel liefern als bisher, sie wären auch zu teuer gekommen. Und schließlich war selbst für ihn allein nicht mehr genug Arbeit vorhanden. Meine Schüler im Auslande beschäftigten ihn. In jungen Jahren hatte er in Paris gearbeitet. Er war taub wie ich, daher verstanden wir uns gut. Wie war das Holz für jede Form des Sessels ausgesucht! Die Bretter vom unteren Teil des Stammes bildeten die Rückfüße, und die Jahresringe mußten sich genau der geschweiften Form anpassen. Und - nein, warum soll ich die Geheimnisse einer ausgestorbenen Werkstatt preisgeben1?« Möbel aus Eisen »Im achtzehnten Jahrhundert und am Anfang des neunzehnten war . . . die Technik der außerenglischen Länder noch so rückständig, daß die allgemeine Geschichte des Eisens von diesen Ländern nur zu berichten braucht, wann und wo die englische Technik dort eingeführt worden ist« (Otto Johannsen2). Das schon seit langem bekannte Material Eisen hatte durch die Erfindung neuer Schmelzverfahren und die damit verbundene Verbilligung auch im Möbelbau Eingang gefunden. Die geistigen Väter der fast unzerstörbaren, aber auch sehr unbeweglichen Möbel aus Gußeisen waren jene Vertreter der jungen Industrie, die in ihrer kulturellen Naivität überkommene Formen in neuen Materialien mit neu entwickelten Produktionsmethoden auszuführen suchten. Manche Fabrikanten betrauten damals schon zeitgenössische Designer - die freilich im Sinne des Historismus arbeiteten - mit dem Entwurf ihrer Produktion. Rein technisch war es durchaus möglich, die komplizierten Formen und Ornamente des viktorianischen Stils billiger in Eisen als in Holz herzustellen und sie, Holz vortäuschend, zu bemalen. 42. Offiziersgesellschaft im Sachergarten des Wiener Praters, um 1900. Die aus dünnen Eisenstäben fabrizierten Stühle zeigen eine deutliche Beziehung zu den Thonet-Stühlen aus Bugholz (siehe auch den Stuhl links auf Abb. 12). Ebenso kann die Ausbildung der Rückenlehne formal auf den Thonet-Stuhl Nr. 1 (siehe Abb. 75) zurückgeführt werden. 43. Gartenstuhl aus Eisen. Frankreich, 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Die Neue Sammlung, München,Aus Material und konstruktiver Notwendigkeit entwickelte Lösung; Verwendung von gestanztem Eisenblech als Sitzfläche. Die Ausbildung der Armstützen zeigt eine nahe Verwandtschaft mit früheren Armstühlen von Thonet. 41. Edouard Monet, Konzert in den Tuilerien, um 1860. Natonal Gallery, London. Das um 1860 entstandene Bild beweist die allgemeine Verwendung von Stühlen in den öffentlichen Anlagen, wie sie auch jetzt noch in den Tuilerien-Gärten in Paris stehen. 29 Das Gußeisenmöbel, das vor allem als Gartenmöbel und in den Hallen der Landhäuser verwendet wurde, stellte im Grunde aber nur ein Nebenprodukt der im frühen neunzehnten Jahrhundert in England aufgenommenen Erzeugung von Eisenöfen und -rosten dar. Besonders wichtig in Bezug auf Qualität und Quantität war die Coalbrookdale Company. Ähnliche Gartenbänke (Abb.48) sind heute noch in den Satellitenstädten um Stockholm auf den Plätzen der Einkaufszentren zu finden. Gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts verfiel die Gußeisenindustrie- einmal, weil sich ihre Produkte als unverwüstlich erwiesen, und zum anderen, weil das Material nicht mehr >neu< genug war. Vor allem aber forderten A.W.N. Pugin als vehementer Vertreter der Neugotik und später William Morris die Wiederbelebung der Metallbearbeitung als Kunsthandwerk, wobei mittelalterliche Prinzipien als Grundlage dienen sollten. Man gab damit dem Schmiedeeisen den Vorzug, aus dem nun eine ganz andere Produktion entstand. Sie war durch die aufwendige Bearbeitung viel zu teuer, um weite Kreise zu erreichen. Neben den Gußeisenmöbeln wurden auch Stühle aus geschmiedeten Rundeisen hergestellt, oft in Verbindung mit dünnem, federndem Blatteisen. Das Katalogblatt der Societe Anonyme des Hauts-Fourneaux & Fonderies du Val d'Osne (Abb. 45), mit 30 Hauptsitz in Paris, zeigt beide damals üblichen Techniken. Die einfachen Gartenstühle aus feuergeschweißtem Rundeisen (Abb. 42,43) - sie sind in der Formgebung mit den Thonetschen Möbeln verwandt und wurden oft von den Impressionisten gemalt (Abb. 41) - führen eher die Sprache unserer Zeit. Für diese Art Gartenmöbel hat noch Le Corbusier Verständnis gezeigt. Interessant ist auch die im neunzehnten Jahrhundert wahrscheinlich aus Gründen der Hygiene stark angewachsene Produktion von Metallbetten (Abb. 46). In Birmingham wurden schon 1875 wöchentlich 6000 Betten aus Messing und Eisen hergestellt, wovon ein großer Teil in den Export ging. Eiserne Schaukelstühle in für die damalige Zeit ungewöhnlich einfachen Formen erschienen bereits zur Londoner Weltausstellung von 1851 (Abb. 49). Stahlrohr dürfte zu dieser Zeit im Möbelbau nicht in nennenswertem Umfang verwendet worden sein. Gandillot produzierte in Frankreich um 1844 Stühle aus 44. Luigi Elli. Theaterstühle mit Eisengestellen und Flechtoder Polstersitzen. Museo Poldi-Pezzoli, Mailand. Sowohl die Verwendung von Eisen als auch von Bugholz für Theaterbestuhlung (1888 erster Theater-Klappstuhl für das Deutsche Volkstheater in Wien) führte zu Konstruktionen, die eine erhebliche Platzersparnis brachten. 45. Katalogblatt der Societe Anonyme des Hauts-Fourneaux & Fonderies du Vald'Osne, um 1870. Mit dem öffentlichen Zugang zu den Gartenanlagen der großen Städte ging die Massenproduktion leichter Eisenmöbel Hand in Hand. 46. Cowley & James, Walsall. Bett aus Messing. Ausgestellt auf der Weltausstellung in London, 1851. Die technischen Möglichkeiten des Metallgusses erlaubten die Ubernahme von Formen des Möbelbaus und der Architektur für ein neues Material. 31 geschweißten Rohren, wie sie für Wasser- und Gasleitungen gebräuchlich waren. Allerdings bemalte er sie in der Art von Holzmöbeln. Die erste Anwendung von Stahlrohr im Möbelbau waren wohl die Versuche des Fahrradfabrikanten William Starley (1858-1937) in Coventry. Starley, der eine große Zahl von Erfindungen zum Patent anmeldete, brachte eines Tages von ihm selbst konstruierte Büromöbel aus Stahlrohr mit nach Hause. Nach Protesten seiner Familie arbeitete er nicht weiter in dieser Richtung. 47. Stuhl und Hocker aus Gußeisen, um 1840. Moderner Nachguß eines Modells der Fonderies du Val-d'Osne. Musee des Arts Decoratifs, Paris. 48. Gartenbank aus Gußeisen mit Farnkrautmotiv als Füllelement der Rückenlehne, um 1850. Aus dem Katalog der Coalbrookdale Company. Abraham I. Darley gelang es 1709, Koks im Hochofen zu verwenden. 1708 pachtete er ein aufgelassenes Eisenwerk in Coalbrookdale, Stropshire. Die daraus hervorgegangene Coalbrookdale Company spezialisierte sich auf die in der Viktorianischen Epoche beliebten Gartenmöbel aus Gußeisen. 49. Schaukelstuhl aus Eisen mit Samtpolsterung. England, um 1850. Die Neue Sammlung, München. Dieser außerordentlich elegante Schaukelstuhl wurde wahrscheinlich schon 1851 im Kristallpalast, sicherlich aber 1862 bei der Londoner Weltausstellung gezeigt. 32 Die Mechanisierung des Möbels Sigfried Giedion hat sich in seinem Werk Mechanizution Takes Command 3 ausführlich mit der Mechanisierung des Möbels im neunzehnten Jahrhundert auseinandergesetzt; seine Untersuchungen in den vierziger Jahren waren für die Entwicklung des heutigen amerikanischen Möbels von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Bereits um 1850 verwendete man in Amerika technische Hilfen im Haushalt. Bald beschäftigten sich die anonymen Erfinder auch mit der Technisierung und Mechanisierung des Möbels, vor allem mit dem Entwurf von spezialisierten Sitzmöbeln. In Zusammenarbeit mit Industriebetrieben entwickelten sie Friseurstühle (Abb. 54), die auch von Zahnärzten und für kleinere Operationen benutzt wurden, oder Eisenbahnmöbel für Schlaf- und Speisewagen (Abb. 57), wobei technisch hervorragende Lösungen zustande kamen. Ebenso widmete man in Amerika schon früh dem Büromöbel besondere Aufmerksamkeit, nicht zuletzt, um in den bereits 1890 entworfenen ersten Großraumbüros Zeit, Arbeitskräfte und Platz zu sparen. Hier schließt, nachdem diese Entwicklung in Vergessenheit geraten war, unsere Zeit wieder an: Viele Firmen produzieren heute perfekt mechanisierte Büromöbelsysteme. Elizabeth Aslin weist in ihrem Buch Nineteenth Century English Furniture 4 auf die Erfindungen zur Zeit der großen Ausstellungen hin. Schon auf der Londoner Weltausstellung von 1851 waren Mechanikmöbel ausgestellt, ohne allerdings in den illustrierten Katalogen Beachtung zu finden. Mechanisierte Invalidensessel, kompakte Schiffsmöbel und die verschiedensten Arten von Verwandlungsmöbeln, wie Schränke mit eingebauten Betten, zeugten auch im Mutterland der Industrie vom Erfindergeist des neunzehnten Jahrhunderts. Am Mechanikmöbel - und das macht es für unsere Zeit so interessant - wurden Variabilität und Veränderlichkeit erstmals erprobt. Der Zwang zur Bewältigung bestimmter, mit dem technischen Fortschritt neu entstandener Probleme wie etwa der Raumknappheit im Pullman-Schlafwagen führte zu gänzlich neuen Lösungen und förderte damit die Abkehr von den Normen einer der strengen Etikette verpflichteten Gesellschaft. Auch heute zeigt sich, vor allem wegen des Platzmangels in den Etagenwohnungen, eine verstärkte Tendenz zum variablen, multifunktionalen Möbel. 51. Eßtisch und Stühle, nach einem USPatent aus dem Jahre 1889. Eine elastische Verbindung der Stühle mit dem Tisch sollte die Einnahme der Mahlzeiten bei rauhem Seegang erleichtern. 52 50. Krankenrollstuhl, um 1830. Bundessammlung alter Stilmöbel, Wien. Mechanisierte Möbel für besondere Zwecke sind in der Geschichte des Möbelbaus sehr früh nachzuweisen. Um 1780 entwarf Benjamin Franklin für seine Bibliothek einen Stuhl, der in eine Bücherleiter umgewandelt werden konnte. Der hier abgebildete Krankenrollstuhl mit ausziehbarem Sicht- oder Sonnenschutz wurde für Kaiser Franz I. von Österreich gebaut. 52, 53. G. Wilson. Faltstuhl aus Eisen, nach einem US-Patent aus dem Jahre 1871. Der Benützer kann, ohne aufzustehen, mit Hilfe eines Hebels das Möbel in praktisch jede gewünschte Stellung bringen. 51 53 33 54 54. Zahnarztstuhl, nach einem US-Patent aus dem Jahre 1879. In Amerika gab es schon um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts verstellbare Friseurstühle, um kleine Operationen wie Zahnziehen oder Aderlaß zu erleichtern. Etwa ab 1860 wurde in Amerika zwischen Friseur- und Zahnarztstuhl unterschieden, wobei der Zahnarztstuhl in seiner technischen Entwicklung wesentlich komplizierter wurde. Schon 1880 konnte der Sitz hydraulisch gehoben und gesenkt werden. 55. Stuhl, nach einem US-Patent aus dem Jahre 1853. Ursprünglich nur in Wohnräumen zu finden, wurde der von seinem Erfinder als >sitting chair< benannte Armstuhl später für Bürozwecke verwendet. Die Konstruktion ermöglichte das Drehen und Neigen der Sitzfläche. 56. Lehnstuhl, nach einem US-Patent aus dem Jahre 1874. Der Lehnstuhl verwandelt sich durch Kippen (um 90°) nach rückwärts in eine Liege, wobei der Sitz zum Kopfteil wird. 57. George M. Pullman. Speisewagen, nach einem US-Patent aus dem Jahre 1869. Die großen Entfernungen in Amerika machten es notwendig, komfortable Zugeinrichtungen zu entwickeln, die - im Gegensatz zu Europa - auf dem System einer einzigen Klasse beruhten (Ausnahme: “Klasse für Neger”). Die Entwicklung der amerikanischen Eisenbahnmöbel fällt in die Blütezeit der Patentmöbel. Zwei Patente Pullmans, oben der Hotelwagen, in dem Passagiere reisen, essen und schlafen können (vor allem Familien), unten der Speisewagen, als Restaurant ohne Schlafmöglichkeit geplant. 56 57 55 34 Der >Campanino< aus Chiavari: Die äußerste Vereinfachung einer überlieferten Möbelform Die Grazilität des Stuhles aus den Werkstätten von Chiavari bei Genua ist das Ergebnis konsequenter Durcharbeitung einer gegebenen Form: Ein Marchese Stefano Rivarola soll im Jahre 1807 dem Kunsttischler Gaetano Descalzi (1767-1855), genannt >Campanino<, einen leichten Stuhl aus Paris mitgebracht und zur Nachahmung empfohlen haben. Dem klassizistischen Bildhauer Antonio Canova wird das Wort zugeschrieben, daß Campanino das »Problem zu lösen wußte, wie man größte Leichtigkeit mit größter Festigkeit vereint«. Der Stuhl wurde unter der Bezeichnung >Campanino< oder >Leggero< (der Leichte) bekannt (Abb. 58, 60). Campanino reduzierte seine Konstruktion auf die einfachsten Verbindungen, wobei die Sitzflächen nach einem neuen Verfahren entstanden: Weidenfäden wurden in Gruppen fischgrätartig oder quadratisch zu einem Geflecht verarbeitet. Entscheidend für den Erfolg des Stuhles war neben seiner Leichtigkeit und Bequemlichkeit auch, daß Campanino nicht mehr teure, importierte Hölzer verwendete, sondern auf Holz aus den Wäldern um Chiavari zurückgriff, auf Kirsche, Nußbaum und vor allem Ahorn, dessen heller Ton dem Stuhl besondere Eleganz verlieh. Die Herstellungstechnik war in einfachstem Sinn arbeitsteilig: Campanino beschäftigte laufend von ihm angelernte Bauern, die das Holz im Groben zuschnitten. G.B. Canepa, Campaninos Schwiegersohn, >erneuerte< in der Mitte des neunzehnten 58. J.S. van den Abeele. S alon der Villa Paolina mit Zenaide Bonaparte und ihren Kindern, Aquarell, um 1840. Museo Napoleonico, Primoli, Rom. Klassizistische Ausstattung und Einrichtung aus dem späten Empire stehen im Kontrast zu den überaus leichten und eleganten ChiavariStühlen. 60. Giovanni Battista Ravenna. Stuhl aus Obstbaumholz mit geflochtenem Sitz, um 1825. Stuhl in der Chiavari-Art mit bequemer Rückenlehne (siehe auch Abb. 58). Bei manchen der Chiavari-Stühle gingen - ähnlich wie bei Bugholzstühlen - die hinteren Stuhlbeine mit rundem Querschnitt direkt in die Rückenlehne über. Die Dichte des Flechtwerkes war je nach Qualität verschieden. Canepa gelang es, bis zu 22 Weidenfäden auf 1 cm zu flechten, wobei die Fadengruppen >costane< genannt wurden. Es gab Stühle mit Sitzen von 7 bis 65 >costane<, fischgrätartig oder quadratisch verarbeitet. 35 59. Emanuele Rambaldi. Stuhl aus Ahornholz mit geflochtenem Sitz und Rückenlehne, um 1933. Der in Chiavari erzeugte Stuhl zeigt deutlich den Einfluß des Bauhauses und der dort entwickelten Stahlrohrstühle. 59 60 Jahrhunderts die einfachen Formen des Stuhles aus Chiavari in gotischem Stil oder in anderen historischen Richtungen (Abb. 61). Campanino und seine Söhne produzierten zunächst mit 50 Arbeitern etwa 5000 Stühle im Jahr. Um 1870 erzeugten die Werkstätten in Chiavari mit etwa 150 Arbeitern und 60 Bauern rund 25 000 Stühle zu einem Preis von ungefähr sieben Lire pro Stück. Bald konnte die Manufaktur von Chiavari auch Erfolge im Ausland erzielen: Schon 1844 wurde im damals österreichischen Triest eine Niederlassung gegründet. Auftraggeber aus vielen Ländern bestellten bei der Manufaktur, darunter Napoleon III. und Fürst Metternich, der Michael Thonet nach Wien geholt hatte. Das beginnende moderne Design in Italien machte sich um 1933 die Erfahrungen der Handwerker von Chiavari zunutze. Bei dem von Emanuele Rambaldi entworfenen Stuhl (Abb. 59) weicht die Leichtigkeit, das Grazile der tradierten Form unter dem stilistischen Einfluß des Bauhauses einer gewissen Strenge. Nach dem Zweiten Weltkrieg erinnerten sich die italienischen Architekten erneut des einfachen Stuhls; die sehr sparsamen Einrichtungen dieser Zeit führten eine Renaissance des >Leggero< herbei. Gio Ponti entwarf 1951 und 1957 leichte Stühle (Abb. 62), die zweifellos auf den Chiavari zurückgehen. Ihre durchdachte und bis ins letzte Detail vereinfachte, zeitlose Form behauptete sich auch in so persönlich gestalteten Räumen wie denen der Mailänder Designer zwischen 1950 und 1960. Es bestehen hier die gleichen Zusammenhänge wie bei der Verwendung von Bugholzmöbeln Michael Thonets in den Raumkonzeptionen unserer Zeit. 61. Gedrechselter Stuhl aus Chiavari, um 1860. Sammlung Meroni, Porana. Der Einfluß des Historismus wird in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts auch bei den Chiavari-Stühlen sichtbar, die grazile Leichtigkeit geht verloren. 62. Gio Ponti. Stuhl aus Eschenholz, 1951. Hergestellt von Cassina. Gio Ponti hat in den fünfziger Jahren Stühle entworfen, die in formaler Durchbildung und Leichtigkeit der Konstruktion den Chiavari-Stühlen entsprechen und auch heute noch produziert werden 61 62 36 Das anonyme Möbel aus Flechtwerk Neben der Holzbearbeitung zählt die Korbflechterei zu den ältesten handwerklichen Techniken. Vom Korb - in vielen Ländern das einzige Transportbehältnis - gelangte man bald zum geflochtenen Möbel. Sitzmöbel aus Flechtwerk sind auf chinesischen Holzschnitten ebenso zu sehen wie auf manchen römischen Steinreliefs (Abb. 63). In Oberfranken, in der Nähe von Coburg, florierte ab 1896 ein neuer Gewerbezweig, die Rohrmöbelindustrie, nachdem schon einige Firmen auf der Chicagoer Weltausstellung von 1893 Möbel aus Korbgeflecht gezeigt hatten. Als Material diente neben der Weide (Salix) vom Ende des neunzehnten Jahrhunderts an auch in Europa das Palmrohr (Rotan) aus Indonesien und Malaysia. Der Kern oder Peddig dieses Palmrohres besteht aus einem porösen Faserbündel; sowohl das Palmrohr als auch der Kern werden in vielen Zurichtungsformen aufbereitet. Die durchlässigen, leichten und robusten Rohrmöbel eigneten sich vor allem zur Verwendung in Gärten und Restaurants, insbesondere in Gebieten mit feuchtheißem Klima. Ihre Form und Herstellungsweise ließen nur Kleinserien zu; allenfalls die Vorfertigung erlaubte den Einsatz von Maschinen. Damit hängt sicherlich ihre persönliche Wirkung zusammen, und es bietet sich heute die Möglichkeit, sie vor allem in Ländern zu produzieren, die über keine entwickelte Industrie verfügen. Die Pioniere der modernen Architektur wurden bald auf die Flechtmöbel aufmerksam: Adolf Loos verwendete sie oft (etwa im Herrenmodengeschäft Knize in Paris), ebenso Le Corbusier bei der Möblierung seiner frühen Wohnbauten. 63. Toilettenszene auf einem römischen Grabmal, um 235 n. Chr., gefunden in Neumagen an der Mosel. Rheinisches Landesmuseum, Trier. Die Steinmetztechnik läßt die geometrischen Motive des Korbsessels genau erkennen. Körbe (wahrscheinlich zur Aufbewahrung und zum Transport von Getreidekörnern) mit einem geschätzten Alter von 5000-7000 Jahren wurden nahe der syrischen Küste gefunden. Zwei Stühle aus Rohren und geflochtenen Papyrusstielen aus dem Grabe Tutanchamuns, um 1340 v. Chr., zeugen bereits von der frühzeitigen Verwendung dieses Materials für Möbel. 37 66. Nanna Ditzel. Stuhl und Hocker aus Peddigrohr, 1961. Hergestellt von R. Wengler. 67. Egon Eiermann. Korbsessel aus Peddigrohr, 1952. Hergestellt von Heinrich Murmann. 68. Wohnraum mit Korbmöbeln in einem amerikanischen Einfamilienhaus. Architekt Walk C. Jones.Korbmöbel können ebenso in kubischen wie in freien Formen erzeugt werden, voll geflochten oder im Gestellbau. Der beachtliche Aufschwung des Korbmöbels in den letzten Jahren geht nicht zuletzt auf die geringen Löhne in den Ländern der Dritten Welt und die Nähe des zur Verfügung stehenden preiswerten Rohmaterials zurück. Die nach Entwürfen europäischer Designer in Ostasien (etwa Hongkong) erzeugten Modelle kommen trotz des großen Transportvolumens preisgünstig auf den europäischen Markt. 64. Ausstellungseröffnung in Weimar, 1904. (Dritter von rechts: Henry van de Velde.) Henry van de Velde wurde auf Betreiben Harry Graf Kesslers vom Großherzog Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar als künstlerischer Berater 1901 nach Weimar berufen. Im Rahmen eines Kunstgewerblichen Seminars (das als Vorgänger der Kunstgewerbeschule bezeichnet werden kann) entwarf er Modelle für die unterentwickelte und notleidende Heimindustrie im Großherzogtum, vor allem für die Korbflechterei, die Töpferei und Spielzeugindustrie. Die Korbmöbel des Jugendstils ließen sich einfacher und preiswerter herstellen als die in gleichem Stil entworfenen Stühle aus Holz. 65. Korbstuhl, um 1930. Staatliche Fachschule für Korbflechterei, Lichtenfels am Main. Werkstoffe für den Gestellbau (Palmrohr, Calamus ratan) sind das Manilarohr, die hellfarbige edelste Sorte des Palmrohres, das Malakkarohr, mit bräunlichem Holz und rotbrauner Oberfläche, und das Manaurohr mit Stärken bis zu 6 cm Durchmesser. 38 Michael Thonet: Die Entwicklung des Bugholzmöbels Michael Thonet (1796-1871) kam aus dem Handwerk. Er gründete 1819 eine Tischlerwerkstatt in Boppard am Rhein. Im nahe gelegenen Nenwied hatte David Roentgen, der große Kunsttischler und Ebenist des achtzehnten Jahrhunderts, mit 100 Gesellen (Tischlern, Schlossern, Mechanikern und Bronzegießern) bereits ein arbeitsteiliges Unternehmen unterhalten. Um 1830 begann Michael Thonet, sich mit dem Biegen einzelner Teile seiner im Stil des Biedermeier gefertigten Möbel zu beschäftigen. Die ersten Versuche unternahm er mit den Kopf- und Mittellehnschwingen von Sesselrückenlehnen; sie wurden aus dicken Furnieren in einer Holzform zusammengeleimt und gepreßt: Im Laufe der Zeit löste er immer schwierigere Probleme, wobei Hand in Hand mit der technischen Entwicklung eine wesentliche Vereinfachung der Form und Verminderung der Konstruktionsstärke ging. Seine um 1840 entworfenen leichten, eleganten Stühle (Abb. 69) erregten so großes Aufsehen, daß Fürst Metternich Michael Thonet nach Wien empfahl und ihm durch die Vermittlung von Aufträgen bei finanzkräftigen Fürstenhäusern (etwa Liechtenstein und Schwarzenberg, Abb. 72, 75) eine Existenzgrundlage sicherte. Beim Ausbau des Palais Liechtenstein in Wien (1843-46) entstanden Stuhltypen, die in ihrer zerbrechlichen Zartheit und Reinheit der Form zu den schönsten Werken des Möbelbaus im neunzehnten Jahrhundert gehören (Abb. 72). Von der damals sehr bekannten Firma Carl Leistler, unter deren Namen Thonet für das Haus Liechtenstein arbeitete (zunächst als Parkettleger mit neuen, vom Bugholzverfahren abgeleiteten runden Formen), wurden ebenfalls Stühle hergestellt (Abb. 73). Vergleicht man sie mit Thonets Arbeiten, so wird der Unterschied in Auffassung und technischer Durchbildung in seiner vollen Bedeutung erkennbar. 1849 machte sich Michael Thonet in Wien selbständig. Im gleichen Jahr wurde das Cafe Daum als erstes einer langen Reihe von Cafes (Abb. 95, 98) mit den Thonet Stühlen Nr. 4 (Abb. 76, 77) in Mahagoni ausgestattet. In den Stühlen für die Londoner Weltausstellung von 1851 (Abb. 74) klingen bereits die Formen der späteren industriellen Produktion an, wobei die Dreiecksverbindung zwischen den vorderen Stuhlbeinen und dem Sitzrahmen, eine interessante handwerkliche Lösung, noch bei manchen Stühlen des Industrieprogramms, etwa Nr. 13 (Abb. 79), bis um 1875 zufindenist. Aus diesen >Luxusmöbeln< in Palisander entstanden nach und nach die Typen, deren Verkaufserfolg Thonet zur Aufnahme der industriellen Produktion veranlaßte.Beim Aufbau seiner ersten Fabrik in Koritschan (Mähren) erwies sich Michael Thonet als Pionier der frühen Industrie: Er entwarf selbst die Baupläne, leitete den Bau sowie die Einrichtung und entwickelte zusammen mit seinen fünf Söhnen einen großen Teil der Maschinen.1856 wurde die Fabrik eröffnet, in einer Gegend, in der billige ländliche Arbeitskräfte zur Verfügung standen und in deren Nähe ausgedehnte 69. Michael Thonet. Armlehnstuhl, um 1840. In dem frühen Möbel Michael Thonets selbstverständlich rein handwerksmäßig gefertigt - wird das neue technische Verfahren an überlieferten spätbiedermeierlichen Formen demonstriert. Zarte Profile (besonders der Stuhlbeine) verleihen dem Stuhl grazile Leichtigkeit. 70. Das Biegen des Holzes in einer Thonetschen Fabrik, um 1900. »Durch minutenlanges Einwirken heißer Wasserdämpfe wird das zu Latten geschnittene Material biegsam gemacht (gedämpft), die gedämpften Latten werden auf Eisenformen gespannt (gebogen), in diesem Zustande getrocknet und schließlich durch mechanische Bearbeitung in die endgültige Fasson gebracht. Leichtigkeit, Stärke, Elastizität und große Haltbarkeit sind die Haupteigenschaften gut gearbeiteter Möbel aus gebogenem Holze. Die Hauptteile derselben sind nur durch Schrauben - ganz ohne Leim - miteinander verbunden.5.« 71. Katalogblatt der Firma Gebrüder Thonet, um 1873. Das Katalogblatt zeigt die Entwicklung der frühen Thonet-Stühle von Nr. 1 bis Nr. 21 sowie den Schaukelstuhl und einige Sondertypen (Bürostuhl, Kindermöbel). Die einfachen Formen wurden bei einigen Typen (Bänke oder Tische) ornamental abgewandelt, wohl die beste Demonstration der technischen Möglichkeiten des Biegeverfahrens. 39 40 73 72 74 72. Michael Thonet. Drei gepolsterte Stühle in Bugholztechnik, der linke Stuhl vergoldet, und Parkettboden für das Palais Liechtenstein, Wien, um 1845. Thonet hat hier das Bugholzverfahren, handwerklich angewandt, zu höchstem Raffinement entwickelt, was an der Dimension der Holzstücke und der Ausbildung des t~berganges SitzflächeStuhlbeine sichtbar wird. Das Schneiden des Parketts (das Material dazu wurde im Biegeverfahren hergestellt) war die erste Arbeit Thonets in Wien. 73. Carl Leistler. Gepolsterter Stuhl, um 1845. Palais Liechtenstein, Wien. Die von der Firma Carl Leistler, für die Michael Thonet in diesen Jahren arbeitete, nach einem Entwurf des englischen Architekten P. H. Devigny ausgeführte Innengestaltung einiger Säle des Palais Liechtenstein kann als Hauptwerk des zweiten Rokoko in Wien angesehen werden. Fertigung der Stühle in überlieferter Handwerkstechnik, aus massivem Holz geschnitzt. 74. Michael Thonet. Stuhl, Armstuhl, Sitzbank und Tische aus Palisander, Tische mit Messingeinlagen, für die Londoner Weltausstellung 1851. Michael Thonet wollte im Londoner Kristallpalast >Luxusmöbel< zeigen. Dabei ließ er, wie etwa bei den Tischgestellen, die technischen Möglichkeiten des Bugholzes in seinem ganzen Formenreichtum spielen. Die wesentlich einfacheren Stühle dagegen haben bereits die Formen der kommenden Massenfertigung. 41 75 76 77 78 79 80 75. Stuhl Nr. 1 (frühe Ausführung) aus dem Palais Schwarzenberg, Wien. 76. Stuhl Nr. 4 (frühe Ausführung). 77. Stuhl Nr. 4 (Ausführung mit Fußring und Versteifung der rückwärtigen Füße). 78. Stuhl Nr. 6. 79. Stuhl Nr. 13. 80. Stuhl Nr. 16. Der Stuhl Nr. 4 wurde schon 1849 in der gleichen Form für das Cafe Daum in Wien aus Mahagoni gebogen. Die Stühle Nr. 16 und 17 (siehe auch Katalogblatt, Abb. 71) - die einzigen der Typenreihe mit hohen Lehnen - sind wahrscheinlich auf den Einfluß englischer Möbelformen zurückzuführen. Die Erzeugung des Stuhles Nr. 17 wurde von der Firma Thonet in den letzten Jahren wieder aufgenommen und ein Verkaufserfolg im Zeichen der Nostalgie. Die Stühle Nr. 6 und 13 finden sich nicht mehr im Katalog des Jahres 1911. Die fortschreitende Mechanisierung der Produktion ließ die komplizierten Formen der Rückenlehnen nicht mehr zu. 42 81 82 83 Rotbuchenwälder lagen. Diese Holzart wurde für die weitere Produktion der Bugholzstühle von entscheidender Bedeutung. Bei Exporten nach Südamerika traten durch Feuchtigkeitseinwirkung Schäden auf, die eine weitere Verwendung von Bauteilen aus vier oder fünf Furnierdicken unmöglich machten. Daher versuchte man, massive Stücke zu verarbeiten, was zunächst große Schwierigkeiten bereitete, da das Holz vor allem in der Zugzone immer wieder aufriß. Erst durch das Einlegen und Verschrauben von Stahlblechplatten gelang es, dieses Problem zu lögen, so daß der Massenproduktion nun nichts mehr im Wege stand. Um 1859, in der Zeit der höchsten Blüte des Historismus, wurde mit dem Stuhl Nr. 14 (Abb. 86; es handelt sich hier um die Nummern der alten Thonet-Kataloge) eine Form entwickelt, die nicht mehr zu vereinfachen war. Der >Konsumsessel< war geboren. 81. Stuhl Nr. 18, ab 1867. 82. Stuhl Nr. 56, ab 1885. 83. Stuhl Nr. 221, ab 1898. Nach der Typenreihe des Stuhles Nr. 14 (Abb. 86) die drei größten Erfolge der Thonetschen Fabrikation. Der Stuhl Nr. 18, robust und leicht montierbar, wurde der >Exportstuhl< schlechthin. Ab dem Stuhl Nr. 50 werden entscheidende Veränderungen sichtbar: die Lehnfüße sind nicht mehr durchgehend zu Rückenlehnen ausgebildet. Das immer noch unter starkem Kraftaufwand in Handarbeit durchzuführende Biegeverfahren wurde dadurch vereinfacht, daß die über 2 m langen Holzteile auf etwas weniger als 1 m verkürzt wurden. 84 85 Der Stuhl Nr. 56 weist eine Verstärkung der oberen Enden der rückwärtigen Füße auf, wohl um die Verbindung mit der kurzen Rückenlehne technisch richtig zu gestalten. Die Typenreihen Nr. 56 und Nr. 221 wurden zu den >Kaffeehausstühlen< par excellence, wobei allerdings die Rückenlehne des Stuhles Nr. 221 neueren Formvorstellungen entsprach und den Anforderungen nach einem erhöhten Sitzkomfort entgegenkam. 84. Stuhl, aus 3 Stücken >geflochten<. Technisches Museum für Industrie und Gewerbe, Wien. Ausstellungsstück, um die technischen Möglichkeiten des Bugholzverfahrens zu demonstrieren. 85. Stuhl, aus einem Holzstück gebogen, um 1870. Dieser Stuhl, der im Katalog nicht geführt wurde und von dem nur einige Exemplare 43 in den Museen zu finden sind, wurde wohl zu Experimentierzwecken hergestellt. Ähnliche Verarbeitungsverfahren wurden sechzig Jahre später bei den Schichtholzstühlen Alvar Aaltos weiter entwickelt. 86. Stuhl Nr. 14, ab 1859. Von dem auch heute noch produzierten >klassischen< Modell wurden bis 1930 bereits 50 Millionen gefertigt. 87, 88. Werkzeuge für das Biegen von Rückenlehnen und Sitzrahmen. Technisches Museum für Industrie und Gewerbe, Wien. »Die bedeutungsvollste Phase in der Geschichte dieser Industrie trat ein. Thonet wandte folgendes Mittel an: Auf diejenige Fläche des noch ungebogenen, also geraden Stabes, welcher nach dem Biegen die konvexe Seite bilden sollte, wurde ein Streifen aus Eisenblech gelegt und an mehreren Stellen, gewiß aber an beiden Enden durch Schraubenzwingen in unverrückbare, feste Verbindung mit dem Stabe gebracht. Wurde derselbe nun gebogen, so konnte sich der mit dem Blechstreifen verbundene Teil des Holzes nicht mehr strecken, als dieser selbst, also nur um eine verschwindend kleine Größe verlängern. Damit aber eine Biegung überhaupt eintreten könne, mußte sich der gesamte Holzkörper stauchen und dies um so mehr, je weiter er vom Blechstreifen entfernt, das heißt je näher er zum konkaven Teil der Oberfläche gelegen war. Das Naturgesetz von der Lage der neutralen Schicht wurde aufgehoben und die neutrale Schicht an die konvexe Oberfläche verlegt. Es gab ferner nicht mehr einen ausgestreckten und einen gestauchten Holzteil; der Blechstreifen in seiner unverrückbaren Verbindung mit dem Stabe zwang das gesamte Holz, sich zusammenzudrücken« (Wilhelm Franz Exner6), Die Stühle wurden in Einzelteilen versandt und mußten nur noch zusammengeschraubt werden. Sie waren leicht, haltbar, überall zu verwenden und durch Anziehen der Schrauben jederzeit zu festigen. Der einfache Transport und eine hervorragende Vertriebsorganisation in der ganzen Welt erleichterten den Aufstieg der Firma Thonet, der von der Errichtung von Zweigfabriken, der Pachtung von Sägewerken und dem Bau fabrikseigener Eisenbahnen begleitet war. Nach mündlicher Überlieferung war es August Thonet, einer der fünf Söhne Michael Thonets, der mit wenigen Mitarbeitern neue Formen und Konstruktionen entwickelte. Bei den gängigsten Typen - etwa beim Sessel Nr. 3, dem Schreibtischsessel Nr. 9 oder dem Schaukelstuhl Nr. 1- wurde schließlich jene Einfachheit erreicht, die sich bis in unsere Zeit hinein als brauchbar und formal vollkommen befriedigend erwiesen hat. 44 1869 liefen die ersten Patente ab und es entstanden Konkurrenzfirmen. 1871 starb Michael Thonet. Das Katalogblatt (Abb.71), das um die Zeit der Wiener Weltausstellung von 1873 zu datieren ist, kann beweisen, daß er es war, der die Form der gesamten Produktion so rein erhielt. Mit der Einführung des Stuhltyps Nr. 56 (Abb.82) wurde, nach einigen weniger erfolgreichen Versuchen, die Rohmaterialbeschaffung wesentlich vereinfacht. Die Länge des notwendigen astfreien Materials für Rückenlehne und Stuhlbeine ließ sich jetzt auf die Hälfte reduzieren. Beim Stuhl Nr. 221 (Abb. 83) verband sich eine bequemere Rückenlehne mit Formen, die dem zweiten Rokoko entlehnt sein könnten. Dieser Stuhl und seine Nachfolgertypen wurden zu den Sitzgelegenheiten, die dem Wiener Cafe des Fin de siecle das Typische gaben. Einige sehr interessante Versuche lassen sich nicht mehr datieren: so ein Stuhl, der anscheinend nur für Ausstellungen bestimmt war; er war aus Bugholz >geflochten< und bestand aus nur drei Teilen (Abb. 84). Das wichtigste Experiment waren Schichtholzmöbel, die aber anscheinend nicht über das Versuchsstadium hinauskamen und wahrscheinlich auch deshalb nicht in Serienproduktion gingen (Abb. 85). Thonet-Kataloge aus der Zeit um die Jahrhundertwende zeigten Möbel aller Art (Abb. 90-94), auch Schlafzimmermöbel, Gartenmöbel und Kindermöbel, mit Formen, die oft in krassem Gegensatz zur >klassischen< Linie etwa des Stuhls Nr. 14 (Abb. 86) standen. In Konstruktion und Form hatte nun der Historismus auch hier seinen späten Triumph gefeiert. Neben all diesen Produktionen im Makartstil wurden aber auch jene Typen erfolgreich weiter hergestellt, in denen der Pioniergeist Michael Thonets spürbar blieb. Die beiden großen Vorkämpfer der modernen Architektur, Adolf Loos und Le Corbusier (Abb. 97), verwandten Serienmodelle Thonets und erkannten die Bedeutung dieser Möbel. Otto Wagners Stühle für das Postsparkassenamt in Wien (Abb. 96) wurden in den Fabriken von Thonet und einer Konkurrenzfirma, Kohn & Kohn, >gebogen<, und auch Josef Hoffmann und seine Nachfolger der Wiener Schule versuchten sich immer wieder an neuen Möglichkeiten des Bugholzmöbels. Im letzten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts gab es bereits eine ausgesprochene Massenproduktion. 1876 wurden mit 4500 Arbeitern, 10 Dampfmaschinen und 280 Pferden täglich 2000 Möbelstücke, davon 1750 Stühle, produziert. Bis um 1900 wuchs in 26 Firmen die Tagesproduktion auf täglich 15 000 Möbelstücke aus Bugholz - ein Aufschwung, der selbst in der Zeit der industriellen Entfaltung einmalig war. Die entscheidende Leistung Michael Thonets bleibt der >Konsumsessel<. Er wurde nicht nur in die Salons gestellt, sondern auch 89. FerdinandFellnerd.J. DasThonet-Haus am Stephansplatz (Ecke Rotenturmstraße) in Wien, 1875/76. Das in den letzten Kriegstagen 1945 zerstörte Thonet-Haus zeigt, daß sich die Firmenleitung - ging es nicht um den Bugholzstuhl - sehr wohl dem herrschenden Geschmack des Historismus unterordnete. 90. Büromöbel aus dem Thonet-Katalog 1911, Supplement 1915. Bezeichnung im Katalog: Drehstockerl (obere Reihe, links), Drehfauteuil (obere Reihe, Mitte), DrehSchaukelfauteuil (untere Reihe, zweiter von rechts). In diesen Büromöbeln gehen sehr früh (einige der Stühle sind bereits auf dem Katalogblatt, Abb.71, abgebildet) technischer Fortschritt (Drehstuhl, Schaukelstühle) und formale Gestaltung eine glückliche Verbindung ein. 93. Garderobe Nr. 10.907a (WandkleiderStock genannt). 94. Schaukelstuhl Nr. 7027. Ab 1860 nahm Thonet die Produktion der Schaukelstühle auf; schon bald wurden jährlich über 100 000 Stück erzeugt. 45 91. Kinderwiege aus dem Thonet-Katalog.. 92. Schreibtischstuhl Nr. 6009 (später Thonet-Mundus B 9). Ausführung mit Branddessin. Vor allem dieses Modell wurde zum Inbegriff des >Wiener Stuhles<, wie das Bugholzmöbel heute noch in Nordeuropa genannt wird. Le Corbusier und Alvar Aalto verwendeten ihn in den zwanziger Jahren. 46 95. Rudolf Völkel. Das Literaten-Cafe Griensteidl, um 1885. Ausschnitt aus einem Aquarell. Wiens berühmtes Literaten-Cafe, 1847 in den Parterrelokalitäten des Herbersteinschen Palais in der Herrengasse eröffnet, 1856 neu eingerichtet und durch seine luxuriöse Ausstattung ebenso berühmt geworden wie durch die unzähligen Zeitungen in allen Sprachen, die zur Benützung auflagen. Das >Griensteidl< ein Sammelplatz junger Literaten und Schauspieler- war nur eines unter den vielen mit Thonet-Stühlen eingerichteten Kaffeehäusern. 96. Otto Wagner. Sitzmöbel für die Postsparkasse in Wien, 1904-06. Die Hocker für den Kassensaal, der Armstuhl (links im Hintergrund) aus dem Sitzungssaal sowie die gepolsterten Stühle der Direktorenzimmer werden heute noch verwendet. Otto Wagner versucht, die üblichen runden Holzquerschnitte durch einen eckigen zu ersetzen und verwendet neue Materialien wie Aluminium bei Füßen und Spangen der Armstühle. Die Konstruktion der Hokker entspricht - in neu durchdachter Form - der überlieferten Bugholztechnik: Einzelteile werden zusammengeschraubt. in die Wohnungen der kleinen Leute und in die Kaffeehäuser. William Morris und Henry van de Velde redeten zwar vom Sozialismus, aber ihre Auftraggeber waren Könige, Mäzene aus der Aristokratie und Bankleute. Michael Thonet, anfangs von einer verständnisvollen aristokratischen Führungsschicht des alten Österreich gefördert, stellte >den< Stuhl für Millionen Menschen her. Konstruktive Ehrlichkeit und Materialgerechtigkeit ließen bereits um 1860 ein anonymes Produkt entstehen, das alle Anforderungen des beginnenden Massenkonsums erfüllte. Mit der Leistung Michael Thonets gehen zwei bedeutende Komponenten des Zeitalters der industriellen Revolution, der Pioniergeist der Technik und die Erfüllung des Bedarfs einer neuen Klasse, eine frühe und so glückliche Verbindung ein, daß wir berechtigt sind, von einem neuen Stil im Möbelbau zu sprechen. Für die große Zeit des modernen Möbels wurde Thonets Werk zur wesentlichen Frühform. Hier waren alle Probleme auf einmalige Weise gelöst, Formschönheit, Preiswürdigkeit und Variabilität vereint. Die großen Pioniere der modernen Architektur haben sich am Thonet-Stuhl versucht - oder sich selbst darauf gesetzt. Poul Henningsen charakterisierte 1927 die Bewunderung der Architekten für das Bugholzmöbel sehr treffend: »Wenn ein Architekt diesen Stuhl fünf mal so teuer, halb so bequem und ein viertel so schön macht, kann er sich einen Namen machen.« 47 97. Le Corbusier. Wohnraum im Pavillon de l'Esprit Nouveau. Exposition Internationale des Arts Decoratifs, Paris, 1925. Die größte Anerkennung erfuhren die Thonet-Möbel durch die Pioniere der modernen Architektur, die sie bei programmatischen Ausstellungen häufig verwendeten. 98. Das Cafe Hawelka in der Dorotheergasse in Wien, Photographie von 1964. Ein heute noch beliebtes Künstler- und Studentencafe. Beachtenswert die verschiedenen Typen der Garderobenständer. 48 Die Shaker: Schönheit beruht auf Zweckmäßigkeit Die für unsere Zeit wichtigen Produkte des beginnenden Industriezeitalters waren zumeist vom Entwurf her anonym, so auch die auf religiösen Prinzipien basierenden Erzeugnisse der Shaker. Die Shaker sind unter den zahlreichen, gegen Ende des achtzehnten Jahrhunderts in Amerika gegründeten Gemeinschaften von besonderem Interesse: Bei ihnen war die Idee der Kommune, die nicht erst heute ein Schlagwort ist, sondern auch viele Utopisten und Moralisten des neunzehnten Jahrhunderts faszinierte, mit am konsequentesten verwirklicht. Geistig standen die Shaker den Quakern und French Prophets nahe. Ihre zentrale Gestalt war Mutter Ann Lee (1736-83), die sich der 1747 in England gegründeten Sekte anschloß und 1774 nach Amerika auswanderte. 1787 entstand die Shaker Community New Lebanon, New York, von der aus durch intensive Missionstätigkeit andere Siedlungen gegründet wurden. Die Shaker, die sich nun von der >profanen Welt< trennten, um einen christlichen Kommunismus zu verwirklichen, lebten streng nach den Prinzipien ihres Glaubens. Ihr >Reich Gottes auf Erden< setzt Reinheit der Seele, Gütergemeinschaft, Gleichheit der Geschlechter und das Zölibat als erstrebenswerte Form des Zusammenlebens voraus. Zu ihren Prinzipien gehörte auch, daß sich die Gemeinde mit allem Nötigen selbst versorgte. Die Überzeugung, daß einerseits jede unnötige und nur dem Prunk dienende Form sündhaft sei und daß andererseits die hohe Qualität der handwerklichen Arbeit eine Möglichkeit war, in einer vollkommeneren Welt zu leben, war die Voraussetzung für die Ablehnung der kapitalistischen Produktionsmethoden des neunzehnten Jahrhunderts. Im Gegensatz zu den Reformbestrebungen von Ruskin und Morris allerdings förderten sie technische Neuerungen. Regeln und Sätze der Shaker lassen die wichtigen religiösen und kulturellen Grundlagen auch in der Möbelproduktion erkennen: »Schönheit beruht auf Zweckmäßigkeit«, »Jeder Gegenstand kann vollkommen genannt werden, der genau den Zweck erfüllt, für den er bestimmt ist«, »Jede Kraft erzeugt eine Form« - gerade dieser Satz nimmt, hundert Jahre vor Sullivans »form follows function«, die Prinzipien des Funktionalismus vorweg. Bis 1825 wurden neunzehn selbständige Kommunen gegründet, die um 1850 etwa 6000 Mitglieder zählten. Die vom Glauben beeinflußte wirtschaftliche Organisation, verbunden mit einer puritanischen Lebensführung, bestimmte die Bauten und die 99. Tanz der Shaker im Gemeindehaus von New Lebanon, New York, Mitte des 19. Jahrhunderts. Durch die schüttelnden Bewegungen beim gottesdienstähnlichen Tanz bekam die Sekte bald nach ihrer Gründung in Manchester (England) den Spottnamen >Shaking Quakers<. »Der Gottesdienst beruhte nicht allein auf Predigt und Gebet, sondern vollzog sich als ein >Meeting< der Gläubigen, in dem die Brüder und Schwestern, einzeln oder in Gruppen, aber ohne daß Mann und Frau sich berührten, tanzten und sangen. Die Shaker haben allmählich neben den ekstatischen Tänzen - und sie mehr und mehr ablösend - strenge Formen entwickelt, Gänge und >Märsche< in choreographisch geordneten Gruppen, die jedoch auch dem individuellen Bedürfnis nach freiem, persönlichem Ausdruck Raum ließen« (Wend Fischer7). 100. Preisliste für Shaker-Stühle, um 1880. Die Produktion der Stühle, Armstüble und Schaukelstühle, aus dem ortsüblichen einfachen Gebrauchsmöbel entwickelt, mußte vorerst die Bedürfnisse der schnell wachsenden Sekte befriedigen. Um 1852 begann die Serienfabrikation von Stühlen in New Lebanon, in der Spätzeit wurde oftmals die Erzeugung von Einzelteilen an Fabrikationsstätten außerhalb der Gemeinschaft vergeben, nur der Zusammenbau erfolgte von den Shakern. Erst 1935 gibt Sarah Collins, die letzte Herstellerin von Stühlen, die Stuhlherstellung in Mount Lebanon auf. 49 101. Speisesaal in Watervliet, um 1880. Mündlich überlieferte Richtlinien und Gesetzestexte (etwa die Millennial Laws, 1823) legten Baustil, Einrichtung, Anzahl der Möbel, Größe der Spiegel, aber auch Farben fest. »Gläubige dürfen keinen ungewöhnlichen oder bizarren Baustil bei sich dulden; auch darf kein Baustil ohne Einverständnis der Gemeindeleitung stärker von der bei den Gläubigen üblichen Stilform abweichen« (Millennial Laws, Section IX/2). 102. Katalogseite für Shaker-Stüble. Robert M. Wagan gab den ersten Verkaufskatalog für Stühle 1874 heraus. Er war es auch, der in Mount Lebanon um 1873 (die Umbenennung in >Mount Lebanon< erfolgte 1861) eine neue große Fabrik errichtete, mit dampfbetriebenen Maschinen ausstattete, den Verkauf organisierte, vor allem aber die Produkte standardisierte und numerierte. Der Katalog erschien im wesentlichen unverändert durch etwa vierzig Jahre. 50 103. Micajah Burnett. Gemeindehaus in Pleasant Hill, Kentucky, 1820. Da Reinheit und Einfachheit zu den höchsten Tugenden zählten, entstanden nach festgelegten Vorschriften und Regeln Bauten ohne Verzierung: »Außer den Gemeindehäusern darf kein Gebäude weiß gestrichen sein« (Millennial Laws, Section IX/6). Durch gleichbleibende Aufgaben handwerklich hervorragend geschult, zeichnen sich Bauten und Innenräume durch technische Perfektion und Klarheit aus. 104. »Rules for visitors« - eine Hausordnung für Gäste. Original im Shaker Museum, Auburn, Kentucky. 106. Shakermöbel und Gebrauchsgegenstände. American Museum in Britain, Bath, England. Bemerkenswert sind die auf der Kommode stehenden Spanschachteln, die neben den Stühlen sowie Heilkräutern und Samen in Päckchen zu den begehrtesten Shaker-Produkten zählten. Diese ovalen Schachteln aus in Streifen geschnittenem Ahornholz, mit Boden und Deckel zumeist aus Kiefernholz, wurden in verschiedenen Größen erzeugt und in Sätzen, sogenannten >nests<, verkauft. Auch für diese Produktion ersannen die Shaker schon früh, ab 1830, einfache Maschinen zur Herstellung. Durch ihre schlichte Gestaltung entsprechen die Möbel den Glaubensvorstellungen und Regeln der Shaker ebenso, wie sie durch ihre Funktion den Bedürfnissen der Gemeinschaft gerecht werden. Die einfache Form wurde durch jahrelanges stetes Suchen nach technischer Vereinfachung erreicht. Für bestimmte Arbeiten wurden kleinere oder größere Teams gebildet, wobei von Zeit zu Zeit die Art der Arbeit gewechselt wurde. 105. Kleid aus grau changierender Rohseide, mit braunem Baumwollstoff gefüttert. New Lebanon, um 1875. The Shaker Museum, Old Chatbam, New York. Bett aus poliertem Ahorn. Pleasant Hill, 2. Hälfte des 19. Jahrhunderts. Shakertown at Pleasant Hill, Kentucky. Stuhl aus rotbraun gebeiztem Kiefernholz mit geflochtenem schwarz-grünem Stoffsitz, um 1860. The Shaker Museum, Sabbathday Lake, Maine. 51 107. Schaukelstuhl aus Ahorn mit blauweiß gestreiftem Stoffsitz. New Lebanon, um 1850, Shaker Community, Inc., Hancock, Massachusetts. 108. klapptisch aus Kirschbaum, Shirley, um 1840-50. Fruitlands Museum, Harvard, Massachusetts. 109. Schaukelstuhl aus Bugholz mit olivfarbenem Stoffsitz, nach 1876. Sammlung Elmer R. Pearson, Chicago Illinois. Wahrscheinlich haben die Shaker, als sie 1876 an der Centennialausstellung in Philadelphia teilnahmen, dort die Bugholzstühle der Firma Thonet gesehen und Versuche in deiser Richtung unternommen. 52 schlichten Innenräume; sie war auch für den Erfindergeist, die frühe Einführung industrieller Methoden und die Einfachheit der Geräte verantwortlich. Unter den vielen Erzeugnissen, welche die Shaker zum Erwerb von fremden Waren produzieren und verkaufen mußten, zeichnen sich die Möbel durch Qualität und Preiswürdigkeit besonders aus. Die Shaker entwickelten aus den einfachen Möbeln und Geräten der Pionierzeit Amerikas mit unverbildetem Formgefühl ihre Standardproduktion, wobei für die Konstruktion, die Arbeitsteilung im Sinne der frühen Industrialisierung, aber auch für die formale Gestaltung die Vorschriften und Prinzipien der Gemeinschaft als Grundlage dienten. Räume, wie sie heute zum Beispiel in den Museen von Hancock (Mass.), Pleasant Hill (Kentucky), oder Bath zu sehen sind (Abb. 106, 111, 113), wirken in ihrer Einfachheit, ihrer Konsequenz und ihrer Funktionalität für das neunzehnte Jahrhundert ebenso ungewöhnlich wie vorbildlich. Der Weg zur Einheit von Form und Konstruktion wurde hier vom Geistigen her begangen, die Anerkennung der Maschine schien selbstverständlich. Erst in der Zeit des Niederganges der Shaker nach dem amerikanischen Bürgerkrieg wurden Stileinflüsse aus der Umwelt sichtbar. 110. Pult für Schrauben und Nägel sowie Arbeitsstuhl mit drehbarem Sitz. Shaker Community, Inc., Hancock, Massachusetts. »Jeder Gegenstand muß so gestaltet sein, daß sein Sinn und Zweck einfach und rein erfüllt ist und er sich einfügt in die Ordnung der Einheit der Dinge. Sinn und Zweck jeglichen Gegenstandes liegen in seinem Gebrauch. Die Vollkommenheit eines Gegenstandes ist also erreicht, wenn er in vollkommener Weise brauchbar ist. Die Shaker setzten sich nicht die >Form< als Ziel, sondern die Brauchbarkeit; die Form wurde als das Resultat einer Gestaltung verstanden, die das Ziel der vollkommenen Brauchbarkeit eines Gegenstandes erreicht hat « (Wend Fischer8). 111. Einbauschrank im Gemeinschaftshaus in Hancock, um 1830. Shaker Community, Inc., Hancock, Massachusetts. Wo es möglich war, wurden von den Shakern Einbauschränke verwendet, zumeist aus Kiefernholz (pine). 112. Kommode mit aufklappbarem Brett, wahrscheinlich aus einer Nähstube. Shaker Community, Inc., Hancock, Massachusetts. 53 113. Raum mit Bücherkommode (samt aufklappbarem Schreibpult), Ofen, Stühlen und Shaker-Leisten mit Kerzenständer. Shakertown at Pleasant Hill, Kentucky. Die Hakenleisten (Shaker-Leisten) - rechteckige schmale Leisten mit sich verjüngenden Stiften (Haken) mit scheibenförmigem Knauf - waren zum Aufhängen der verschiedenen Gegenstände bestimmt (in einem Gebäude in Pleasant Hill zählte man über 6000 Haken). Diese Haken ermöglichten es auch, während der Reinigung des Bodens die meist leichte und bewegliche Einrichtung, wie etwa Stühle, an die Wände zu hängen. Während die ersten Bauten der Shaker mit den in Amerika üblichen offenen Wandkaminen ausgestattet wurden, stellte man später einen in drei Teilen erzeugten gegossenen, einfachen Eisenofen her, der in der Raummitte stand und dessen langes Rohr genügend Wärme abgab und somit Heizmaterial sparte. 54 Die Theorien von William Morris und die Auseinandersetzung mit der industriellen Produktion In der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts konnten sich im Möbelbau gewachsene Stile wie Empire und Biedermeier noch relativ ungebrochen entfalten. Daneben griff man jedoch immer stärker auf Formen der Vergangenheit zurück. Der Historismus wurde zur beherrschenden >Stilrichtung< des neunzehnten Jahrhunderts, vom Bürgertum wie von der Aristokratie gleichermaßen anerkannt. Man verwendete, wie es gerade Mode war oder von den Theoretikern gefordert wurde, Formzitate aus der Welt der Gotik, der Renaissance, des Barock oder des Rokoko. Der grundsätzliche Unterschied gegenüber früher lag in der Produktionsmethode: Zwar wurden die besten Stücke nach wie vor von erstklassigen Handwerkern gefertigt, jedoch erlaubte es die Maschine nun, billige Imitationen auf den Markt zu bringen. Die eigentlichen Pioniere der industriellen Produktion schufen mit neuen Materialien und Verfahren Möbel in traditionellen Formen. Gleichzeitig beschäftigten sich Historiker und Architekten mit der tiefen Kluft, die sich zwischen der beginnenden Industriegesellschaft und ihrer überholten künstlerischen Aussage abzeichnete. Während noch zur Zeit Chippendales Möbel als Kunstgewerbe angesehen wurden - im Mittelalter war jeder Künstler Handwerker , benötigte man nun, da immer mehr Gebrauchsgegenstände durch Maschinen hergestellt wurden und die individuelle Künstlerpersönlichkeit nicht mehr zu fassen war, einen neuen Begriff für die Gestaltung der industriellen Produkte: den des >Industrial Design<. Henry Cole (1808-82), der sehr früh diesen Begriff verwendete, war als Berater von Prinzgemahl Albert entscheidend am Zustandekommen der Londoner Weltausstellung von 1851 und dem Bau des Kristallpalastes von Paxton beteiligt. Er machte es zum Ziel seiner Arbeit, die Qualität der frühen Maschinenprodukte, die zwar industriell gefertigt, aber immer noch in der Art von handwerklichen Erzeugnissen gestaltet waren, zu verbessern. Möglichkeiten hierzu versuchte er schon 1847 in Ausstellungen von Industrieprodukten der >Society of Arts< und nach 1849 mit dem von ihm selbst redigierten Journal of Design aufzuzeigen. Als Reaktion auf den krassen Gegensatz zwischen dem genialen Raumkonzept und der neuartigen Montagekonstruktion des Kristallpalastes einerseits und dem Formenchaos der darin ausgestellten Produkte andererseits entstand, durch Coles Unterstützung, ein Museum für Fabrikerzeugnisse, das 1857 in South Kensington untergebracht wurde und als Museum für angewandte Kunst den Kern des späteren Victoria and Albert Museum bildete. Die Sammlung sollte als Lehrschau hervorragenden Kunstgewerbes aus allen Zeiten und Völkern Anregungen zur Verwirklichung eigener Ideen und Vorstellungen geben. Die Bedeutung von Henry Cole und seinen Mitstreitern, etwa dem Maler Owen Jones, liegt in ihrer positiven Einstellung zur industriellen Produktion. Das deprimierende Niveau der maschinell hergestellten Erzeugnisse war für sie - im Gegensatz etwa zu William Morris - kein Grund zur totalen Ablehnung der Maschine; sie bemühten sich vielmehr um die Verbesserung der Produkte, um die durch die Maschine geschaffenen Möglichkeiten voll nutzen zu können. Jedoch waren halbe Lösungen, wie die Intensivierung der Ausbildung für Entwerfer, die 114. Philip Webb. Das Red House, Upton, Bexley Heath, Kent, 1859. 1860-65 Wohnsitz von William Morris. Realisierung seiner Idee, ein Bauwerk als Gesamtkunstwerk zu schaffen, dessen Architektur sich alle anderen Künste unterordnen. Trotz seiner Verwandtschaft mit den unregelmäßigen Wohnhäusern und Klosterbauten des Mittelalters - jedoch mit Schiebefenstern des achtzehnten Jahrhunderts - entstand ein eigenständiges, eher bescheiden wirkendes Wohnhaus. 115. Red House, Grundriß. 1 Eingang, 2 Wohnräume, 3 Eßzimmer, 4 Küche. 116. Treppenhaus und Flur im Red House. 55 sich dann nachwie vor der Ornamentik vergangener Stile bedienten, kein wirklicher Ausweg. Owen Jones versuchte allerdings in seinem Hauptwerk The Grammar of Ornament, 1856 in London erschienen, bereits Struktur und Gesetzmäßigkeiten natürlicher Gegenstände, wie Bäume, Blumen oder Blätter, zu erkennen. Die weitere Entwicklung in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts wurde nicht nur in England, sondern in ganz Europa entscheidend von John Ruskin (18191900) und William Morris (1834-96) mit ihren Theorien des Kunsthandwerks geprägt. John Ruskin, Schriftsteller und Kunsthistoriker, beschäftigte sich außer mit der Architektur und der Kunst auch mit einer Fülle von sozialen, insbesondere wirtschaftlichen Problemen, die ihm einen erstaunlichen Überblick über die künstlerische und gesellschaftliche Gesamtsituation im neunzehnten Jahrhundert gaben. Die Folgen der industriellen Revolution sah er negativ; er glaubte, sie sei für das Auseinanderfallen einer gewachsenen Ordnung verantwortlich. Auf der Suche nach Harmonie gelangte er zu der Überzeugung, daß etwa im frühen Mittelalter Kunst und Gesellschaft (oder Handwerk und Gesellschaft) identisch und damit beispielgebend waren. Trotz seiner Kritik an der zeitgenössischen Produktion finden sich in seinem umfangreichen Werk Sätze, die spätere Entwicklungen (sinngemäß auch für den Möbelbau gültig) vorausahnen: »Theoretisch gibt es keinen Grund, warum Eisen nicht ebensogut wie Holz verwendet werden könnte, und wahrscheinlich ist die Zeit nicht fern, wo sich ein System neuer architektonischer Gesetze entwickeln wird, das ganz auf Metallkonstruktionen abgestellt ist 9.« William Morris versuchte, auf der Grundlage der Gedanken von John Ruskin, die ihm notwendig erscheinenden Änderungen in der Praxis durchzuführen. Als Sozialist sah er in den Auswirkungen der maschinellen Produktion das Teufelswerk des kapitalistischen Systems und bekämpfte es deshalb. Weiter forderte er, daß die unermeßlich wachsenden Industriestädte wieder durch kleinere Gemeinschaften zu ersetzen seien, in denen die Ideen einer ursprünglichen blühenden Handwerksgesellschaft zu verwirklichen wären. Parallel dazu liefen übrigens die Bestrebungen der Utopisten des Städtebaus, die - wie Robert Owen - durch sogenannte >Industriedörfer< die 117. Eingangshalle des Red House. Die Möbel, von Morris und seinen Freunden entworfen, waren schwer und formal auf das Mittelalter bezogen. Die handwerkliche Perfektion steht im Vordergrund. Der große Schrank ist von Edward BurneJones bemalt. »Cole und seine Freunde glaubten an Industriekunst für die Massen, Morris an das Handwerk - und obwohl Morris bei seinen Erzeugnissen an >das Volk< dachte, blieben sie wenigen vorbehalten, denn Handarbeit ist immer teuer. Dennoch hat Morris erkannt, was Cole, Redgrave, Semper und Wyatt nicht gesehen haben: daß Formgebung nicht nur ein ästhetisches Problem ist, sondern auch integraler Bestandteil eines größeren sozialen Problems, und dieser Gedanke wurde zukunftsweisend« (Nikolaus Pevsner 10). 56 118. Morris & Co. Das grüne Speisezimmer, 1867. Glasfenster von Edward Burne-Jones. Victoria and Albert Museum, London. Für den Entwurf dieses Raumes war vor allem Philip Webb verantwortlich. Ein hervorragendes Beispiel für die von Morris angestrebte Zusammenarbeit von Künstler und Handwerker. »Mr. Morris als geschäftsführender Partner stellte das Gesetz auf, und alle seine Klienten hatten sich auf Biegen und Brechen danach zu richten. Die Erzeugnisse waren erstklassig, die künstlerische und handwerkliche Qualität hervorragend, die Preise hoch. Es gab keine Zugeständnisse an anderen oder gar schlechten Geschmack. Preisnachlässe kamen nicht in Frage« (Barbara Morris 11). 119. Morris & Co. Lehnsessel, um 1866. Victoria and Albert Museum, London. Bequemer Sessel auf Rollen, aus ebenholzfarbig gebeizter Eiche; die Rückenlehne ist verstellbar. Folgeerscheinung der frühkapitalistischen Epoche im Städtebau zu überwinden suchten. Hieraus entstand in England die Garztenstadtbewegung; sie stellte den ersten Ansattz dar, Wohnung und Möbel auch der unteren sozialen Schichten zu verbessern. Äußerer Anstoß für die Beschäftigung mit dem Kunsthandwerk war für Morris der Bau seines eigenen Hauses, den er zusammen mit seinem Freund, dem Architekten Philip Webb, 1859 begann (Abb. 114-117). Der Grundriß des >Red House< wurde, entgegen der damals üblichen Renaissance-Bauweise, nicht nach überkommenen Fassadenschemata konzipiert, sondern aus funktional sinnvollen Raumzuordnungen entwickelt. Bei der Einrichtung des Hauses wurde Morris die Unzulänglichkeit der damals angebotenen Gebrauchsgegenstände drastisch vor Augen geführt: die industriellen Produkte waren formal wie qualitativ minderwertig, die handwerklichen Erzeugnisse überladen mit historisierendem Dekor. Morris und seine Freunde entwarfen die gesamte Innenausstattung, ein Vorgang, der richtungweisend für die Idee der >Werkstätte< um 1900 werden sollte. Aus der gemeinsamen Arbeit entstand ein Freundeskreis von Künstlern und Architekten, die versuchten, auch das Handwerk zu beherrschen. 1861 wurde die Firma Morris & Co. gegründet, die kunsthandwerkliche Gegenstände aller Art in höchster Perfektion herstellte (Abb. 118-120). Durch sein Beharren auf absoluter Qualität des Kunsthandwerks, sein unbedingtes Eintreten für soziale Gerechtigkeit und durch die 120. Morris & Co. Stuhl aus ebenholzfarbig gebeizter Birke mit geflochtenem Sitz, um 1865. Victoria and Albert Museum, London. Dieser über achtzig Jahre hindurch erzeugte Stuhl geht auf eine in Sussex gefundene Form zurück und wurde um 1914 um weniger als zehn Shilling erzeugt. 121. Arthur Heygate Mackmurdo. Schreib- pult aus Eiche, um 1886. The William Morris Gallery, Walthamstow, London. Mackmurdo - ein Schüler Ruskins - hatte durch seine fortschrittlichen Ideen und Arbeiten auf Architektur, Design und Graphik zwischen 1880 und 1890 eine ungewöhnlich starke Wirkung. Die Entwicklung des Jugendstils beeinflußte er entscheidend. Das um 1886 entworfene Schreibpult - stilistisch durch die Beschäftigung mit japanischen Formen bestimmt stellt in Konstruktion und Materialgerechtheit eine radikal neue Lösung dar. 57 Dynamik seiner Persönlichkeit beeinflußte er die Architekturgeschichte der nächsten fünfzig Jahre in starkem Maße, wenn auch seine Ablehnung der Maschine, die er als zerstörend für Kunst und Gesellschaft ansah, wieder zu einem ideologischen Historismus, dem der scheinbar intakten mittelalterlichen Handwerksgesellschaft, führte. Theorie und Praxis widersprachen sich, denn Sätze wie: »Ich wünsche keine Kunst für wenige, so wenig wie Erziehung für wenige oder Freiheit für wenige 12«, konnten durch die kategorische Forderung nach Einheit von Handwerk und Kunst nicht realisiert werden. Handwerkliche Erzeugnisse wurden zu Luxusgegenständen, da die Anforderungen an das Einzelprodukt zu hoch waren und eine qualitätvolle Produktion für die breite Masse daher erstrebenswerte Theorie bleiben mußte. Morris' unmittelbare Nachfolger konnten den prophetischen Sinn seiner sicherlich unter dem Eindruck der Erfahrungen bei der praktischen Durchführung der Aufträge geprägten Worte noch nicht verstehen: »Ich sage nicht, daß wir bestrebt sein sollten, sämtliche Maschinen abzuschaffen, ich möchte nur, daß manche Dinge, die heute mit der Hand hergestellt werden, mit Maschinen, und andere, die heute mit Maschinen hergestellt werden, mit der Hand fabriziert werden. Kurzum, wir müssen die Herren unserer Maschinen und nicht, wie jetzt, ihre Sklaven sein. Nicht von dieser oder jener greifbaren Maschine aus Stahl oder Messing müssen wir uns frei machen, sondern von jener großen, ungreifbaren Maschine, der kommerziellen 58 Tyrannei, die unser aller Leben unterdrückt 13. Die von Morris gegründeten Werkstätten waren der erste einer ganzen Reihe von ähnlichen Versuchen, Kunst und Handwerk nach dem Vorbild der mittelalterlichen Handwerkergemeinschaft zu verbinden. In den folgenden zwanzig Jahren entstanden zahlreiche Unternehmungen, die sich um die Erneuerung des Kunsthandwerks bemühten. 1882 rief Arthur Heygate Mackmurdo (1851-1942, Abb. 121) die >Century Guild< ins Leben, eine Werkstatt für Inneneinrichtung, um »alle Zweige der Kunst nicht länger dem Kaufmann, sondern dem Künstler anzuvertrauen«. Die >Century Guild< verfolgte ähnliche Ziele wie die Morris Company, manche ihrer Formen führten jedoch später - durch Mackmurdos Einfluß - zu Formen des Jugendstils. Die zahlreichen Vereinigungen, darunter die Morris Company (1875 reorganisiert), die >Century Guild< und die ~Guild and School of Handicraft< von Charles Robert Ashbee (1863-1942, Abb.122), fanden ihren Höhepunkt in der 1888 gegründeten >Arts and Crafts Exhibition Society<. Fast alle wichtigen Vertreter der zeitgenössischen englichen Avantgarde gehörten der Gesellschaft an, und zwischen Künstlern, Architekten, Handwerkern, Möbelherstellern und -entwerfern wurden fruchtbare Diskussionen geführt, die ihren praktischen Niederschlag in zahlreichen Ausstellungen fanden (Abb. 123). Allen Bestrebungen lag der Gedanke der Gemeinschaft ebenso zugrunde wie die von Morris übernommenen Theorien. Das Interesse der >Arts and Crafts Exhibition Society< konzentrierte sich mit der Zeit immer mehr auf handwerkliche Materialgerechtigkeit, Einfachheit und Funktionalität; die individuelle Schöpfung neuer Formen trat dagegen zurück. So bildete die Bewegung einen Gegenpol zum vielfach sehr überschwenglichen kontinentalen Jugendstil und begründete bereits manche Tendenzen der modernen Sachlichkeit, wie sie im übrigen Europa erst nach dem Abklingen des Art Nouveau zum Tragen kamen. Auch wandelte sich nach und nach die ablehnende Haltung gegenüber der industriellen Produktion, wie sie Morris und sein unmittelbarer Nachfolger Walter Crane (1845-1915) ursprünglich vertreten hatten: Die Maschine war gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts eine nicht mehr zu verleugnende Realität geworden. Vielleicht spielte hierbei auch eine Rolle, daß die Möbelfirmen immer mehr gute Entwerfer beschäftigten und daß angesichts der rasch wachsenden 124. Liberty & Co., London. Schlafraum, 1897. Die Breitenwirkung der >Arts and Crafts< - Bewegung blieb gering. Neben der von Ambrose Heal geleiteten Möbelfabrik Heal and Son, die durch Jahrzehnte die Anregungen der Bewegung kommerziell erfolgreich realisierte, war es vor allem das Warenhaus Liberty & Co. 1875 von Arthur Lasenby Liberty gegründet - das wesentlich zur Verbreitung des Kunsthandwerks beitrug. Vorerst durch den Verkauf von Gegenständen - vor allem Modeartikel - aus dem Orient und dem Fernen Osten bekanntgeworden, trug es später wesentlich zur Verbreitung des Jugendstils (in Italien Stile Liberty genannt) auf dem Festland bei. 122. Charles Robert Ashbee. Schrank aus Eiche, bemalt und vergoldet, 1889. Hergestellt von der >Guild of Handicraft<, Abhotsholme School, Rochester. Die frühen Arbeiten der Guild of Handicraft< waren in ihren Formen einfach gehalten. Ashbee versuchte, die Arbeit des Kunsthandwerks durch die Landwirtschaft zu stützen und verlegte 1902 die Gilde aufs Land nach Chipping Campden, Gloucestershire. Seine Absicht allerdings, die industrielle Gesellschaft zu reformieren, mußte scheitern. 123. Arts and Crafts Exhibition, 1890. Von links nach rechts: MöbeL von Ford Madox Brown, R. Blomfield, Ernest Gimson und W. R. Lethaby. Das später so bedeutungsvolle Schlagwort >Arts and Crafts< wurde vor allem durch die Ausstellungstätigkeit der Gesellschaft bekannt. Wesentlich waren - wie bei Morris. Versuche sozialer Reformen und die Betonung der Gruppenarbeit. 59 125. William Burges. Anrichte. Bemalung von E. J. Poynten. 1862 auf der >International Exhibition< ausgestellt. Victoria and Albert Museum, London. Dieses Möbel beeindruckte damals durch die Einfachheit seines Aufbaus. Burges, ein Freund Godwins, der für einen >frühenglischen< Einrichtungsstil eintrat, war einer der frühesten Sammler japanischer Drucke. Bevölkerung keine andere Wahl mehr blieb, als auf die Massenproduktion überzugehen. Man akzeptierte nach und nach die Zusammenarbeit mit der Industrie und setzte sich das Ziel, das Standardprodukt zu verbessern und ihm künstlerische Qualität zu verleihen (Abb. 124). Parallel zu Morris und seiner Bewegung trat in den siebziger und achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts in England eine neue Form des Historismus, die sogenannte >Kunstmöbel<-Bewegung in Erscheinung. Charles Lock Eastlake, der wichtigste Theoretiker dieser Strömung, wehrte sich gegen formale Übertreibungen und forderte ein schlichtes Möbel mit klarem konstruktivem Aufhau. Er empfiehlt etwa, die natürliche Maserung des unbearbeiteten Holzes zu erhalten. Nikolaus Pevsner schreibt: »Der Ausdruck >Kunstmöbel< ist bedeutungsvoll. Er zeigt an, daß sich im zweiten Drittel des neunzehnten Jahrhunderts ein Bruch zwischen Handwerk und Kunst, zwischen Kunstwerk und industrieller Herstellung herausgebildet hatte 14.« Die in dem von dem Fabrikanten William Watt 1877 herausgebrachten Katalog über >Kunst-Möbel< von Edward William Godwin (1833-86) gezeigten - und >anglojapanisch< genannten - Möbel standen in starkem Kontrast zu den gotisierenden Entwürfen William Burges' (1827-81), dessen aufwendig und kostbar ausgeführte Arbeiten aber ebenso dem >Kunst<-Historismus zuzuordnen sind (Abb. 125). Charles Francis Annesley Voysey (1857-1941) stützte sich formal auf die >Arts and Crafts Exhibition Society<, wobei er vor allem die Formensprache seines Lehrers 60 Mackmurdo zu einem eigenen, geometrisch-puristischen Stil weiterführte. In seinen im Sinne der Tradition des englischen Landhauses entworfenen Wohnbauten verzichtete Voysey ganz auf ornamentales Beiwerk; der Raum bezog seine Wirkung ausschließlich aus seinen notwendigen Bestandteilen, die in,ihrer Sachlichkeit betont, aber spannungsreich proportioniert waren: »Einfachheit erfordert in allen Teilen Perfektion, alles Kunstvolle ist dagegen leicht.« Die ersten, 1893 entstandenen Möbel Voyseys waren von den gleichen Prinzipien bestimmt und lösten überall in Europa ein starkes Echo aus. Um 1900, also zur Zeit des Höhepunktes des Jugendstils, galt Voysey auf dem Kontinent als der führende Künstler des englischen Möbelbaues (Abb.128, 129). Seine Wohnhäuser, funktionsgerecht von innen nach außen gebaut, wurden in Deutschland über Hermann Muthesius zum Inbegriff des englischen Landhauses (Abb.126, 127, 130). Starke Wirkung auf die gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts in Europa diskutierten Theorien übte die Wohnform Japans aus, die nun weiten Kreisen bekannt geworden war. Fand man doch im Bereich der japanischen Kultur noch jene mittelalterliche Harmonie von Kunst und Gesellschaft scheinbar vor, die man zwar in Europa als Vorbild hinstellte, aber nur in längst vergangenen Epochen wie der Gotik verwirklicht sah. Dabei waren die Ausgangspunkte in Europa und Japan durchaus verschieden, wenn nicht sogar entgegengesetzt: dem Fortschrittswillen der frei gewordenen Kräfte nach zwei Revolutionen in Europa stand in Japan das Denken einer durch lange Zeit politischer und gesellschaftlicher Stagnation verfeinerten, sehr konservativen Kultur gegenüber. Das japanische Haus war Produkt vieler kultureller Einflüsse; Philosophie und Religion, die gesellschaftliche Abschließung der Klassen, die Politik einer wirtschaftlich stagnierenden Shogunatsregierung, das Klima und alte Traditionen bestimmten seine damalige Form. In den vielen Jahrzehnten des Tokugawa-Regimes (1603-1867) erfuhr es durch Festlegung der Typen nach Ständen und durch strenge Baugesetze eine starke Normierung, die sich auch auf viele Bauteile erstreckte. Obwohl in der japanischen Philosophie nur »vorübergehende Herberge«, wurde das Haus nicht nur selbst zum Kunstwerk, sondern darüber hinaus zur Bühne eines kunstvollen Lebens. Alles hatte hier seinen Platz, seine tiefe Bedeutung. Die Einheit von Raum und Natur, von Raum und Mensch, von Natur und Mensch 126, 127. Charles F. A. Voysey. Eigenes Haus, >The Orchard<, Chorley Wood, 1899. Wohnraum und Außenansicht. Voyseys Landhäuser - er hat kaum andere Bauten entworfen - stehen immer in Beziehung zur umgebenden Landschaft. Es sind bescheidene Bauten mit einem Grundriß, bei dem die Räume auf einfache Art aneinandergereiht sind. Seine Uberlegungen weisen immer auf die Beziehung zwischen Mensch und Architektur. Er sagt: »Ruhe, Heiterkeit, Einfachheit, Breite, Wärme, Stille im Sturm, Wirtschaftlichkeit im Wohnen, der Charakter des Schützenden, Einfügung in die Umgebung, keine dunklen Gänge oder Winkel, eine ausgeglichene Temperatur, und daß das Haus für die, die darin leben, ein angemessener Rahmen sei 15.« 129. Charles F. A. Voysey. Armstuhl, um 1897. Im Besitz von Mrs. J. Bottard. Die Tradition der >Arts and Crafts<-Bewegung wird in den Möbeln Voyseys besonders stark sichtbar. Sachlich: einfache Formen überwiegen, die Details sind sorgfältig ausgebildet. »Arme-Leute-Möbel für Reiche« hat man sie einmal spöttisch genannt, aber Anmut und Vollkommenheit der Form sind für ihren Schöpfer charakteristisch. 130. Charles F. A.Voysey. Treppenaufgang im Horniman House, Chelsea, 1906. 61 war perfekt. Der Raum, in seiner Größe durch die Maßeinheit der Matte, der Tatami (91 x 182 cm), festgelegt, konnte durch Schiebetüren vergrößert oder nach außen zum Kunstgarten hin erweitert werden. Die meisten Einzelräume hatten keine ausdrückliche Bestimmung, sie waren austauschbar. Zum Leben im japanischen Haus bedurfte es nur weniger Möbel. Raum und Möbel waren identisch (Abb.134). Schon die ersten nach Europa gelangten Zeugnisse der japanischen Kultur, die in Paris besonders von den Impressionisten geschätzten Holzschnitte, beeindruckten vor allem durch ihre geniale Reduzierung. Umso mehr mußte in einer Zeit historisierender Möbel und komplizierter Raumstrukturen die Einfachheit und zugleich die Perfektion des japanischen Hauses als Sensation wirken. James McNeill Whistler (1834-1903) und Edward William Godwin (1833-86, Abb. 131-133, 135, 136), literarisch unterstützt von Oscar Wilde, bemühten sich als erste um die Ubersetzung der japanischen Form- und Raumidee in die westliche Gedankenwelt. Bei Voysey und noch viel mehr bei Mackintosh wurde die Abstraktion dann Inhalt eigener Raumvorstellungen. Während der gesamten Entwicklung zur modernen Architektur blieb der Einfluß des japanischen Hauses deutlich spürbar. Von Frank Lloyd Wright weiß man, daß er schon lange vor dem Bau des Imperial Hotel in Tokio mehrmals in Japan gewesen war- der offene Grundriß und das weit überstehende Dach des Präriehauses weisen mehr auf Japan als auf seine unmittelbaren Vorgänger, etwa 128. Charles F. A. Voysey. Schreibpult mit Scharnierbändern ausKupfer, 1896. Victoria and Albert Museum, London. »Fangen wir damit an, die Fülle nutzloser Ornamente abzutun und den modischen Putz, der unsere Möbel und unseren Hausrat entstellt, zu verbrennen. Verringern wir die Vielzahl von Mustern und Farben in einem Raum. Unterlassen wir alle Nachahmungen, und jedes Stück der Einrichtung sei das beste in seiner Art« (Voysey, 1893 16) 62 131. Edward William Godwin. Schrank aus Nußholz, mit japanischen Buchsbaumschnitzereien eingelegt, um 1876. Victoria and Albert Museum, London. 132. Edward William Godwin. White House, für James McNeill Whistler, Chelsea, London, 1877. Godwins eigenes Haus wird von einem Zeitgenossen wie folgt beschrieben: »Er hatte die Wände seiner Räume in einfachen Farben gemalt, einige wenige japanische Holzschnitte aufgehängt und einige persische Brücken auf den bloßen Fußboden gelegt17.« Diese ersten Versuche, japanisches Raumdenken und Konstruktionsprinzipien auf europäische Innengestaltung zu übertragen, hatten wohl etwas Bizarres an sich, waren aber für die Entrümpelung des viktorianischen Historismus von großer Bedeutung. 133. Edward William Godwin. Stuhl aus schwarzlackiertem Eichenholz, um 1885. Hergestellt von William Watt. Victoria and Albert Museum, London. Kaffeetischchen aus schwarzlackiertem Eichenholz, 1874. Hergestellt von William Watt. City Art Gallery, Bristol. 63 135, 136. Edward William Godwin. Möbelentwürfe, 1877, für das Art Furniture Warehouse, London. Der Japanismus in der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts wird in England nicht nur durch den Maler James McNeill Whistler und den Dichter Oscar Wilde, sondern später besonders durch die graphischen Arbeiten von Aubrey Beardsley (1872-98) verbreitet. Für Architektur und Inneneinrichtung waren die ersten Versuche, etwa das von Godwin für Whistler 1877 erbaute White House in London - ein kubischer weißer Block -, von großer Bedeutung. Durch die Klarheit des Umrisses wird das Japanische nur mittelbar faßbar. 134. Teezeremonienschule Ura-senke, Kyoto, Japan. Die einfach und klar konzipierten Räume des japanischen Hauses und die handwerkliche Verwendung der Materialien in ihrer natürlichen Form haben das Raumdenken vieler Architekten der westlichen Welt bis in die heutige Zeit beeinflußt. Henry Hobson Ri chardson, hin. Richard Neutra übertrug die Verbindung von Raum und Garten in die Superzivilisation Kaliforniens. Die dauernde Auseinandersetzung mit dem japanischen Haus und die stark befruchtende Wirkung auf die moderne Architektur werden ebenso in den Schriften von Walter Gropius wie in der Hinwendung zur fernöstlichen Mystik der frühen Bauhauszeit erkennbar. 64 Der Jugendstil: Die Uberwindung des Historismus Während in England unter dem Einfluß der >Arts and Crafts< das Möbel eher einfachen, kräftigen Formen zustrebte, ohne sich jedoch ganz vom Historismus lösen zu können, wurden auf dem Kontinent gegen Ende des neunzehnten Jahrhunderts die ersten Versuche unternommen, eine neue, von tradierten Gestaltungsvorstellungen unabhängige Stilwelt zu entwickeln. Frühformen dieser unter dem Namen Jugendstil oder Art Nouveau bekanntgewordenen Kunstrichtung gab es vor allem in der englischen Graphik schon in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Auf der Grundlage der Ideen von John Ruskin und William Morris wollte der Jugendstil durch die Rückkehr zu einer stark von der Natur inspirierten Formensprache mit schwungvoll gebogenen Linien und einer zunächst floralen, dekorativen Ornamentik dem Druck der industrialisierten Welt entgehen (Abb.137,138). In enger Verbindung von Theorie und Praxis bemühte man sich um die Gestaltung der gesamten Lebensumwelt und suchte auch hier die Zusammenarbeit mit dem Handwerk. Seinen ersten Höhepunkt erreichte der Jugendstil in Belgien. Die dortigen Vertreter - an erster Stelle Gustave SerrurierBovy (1858-1910), Victor Horta (1861-1947) und Henry van de Velde (1863- 1957) - standen anfänglich unter starkem englischen Einfluß; es gelang ihnen jedoch, die in England immer an die Fläche gebundenen Formen des Art Nouveau weiterzuentwickeln und in den dreidimensionalen Raum zu übertragen. Um 1890 experimentierte Serrurier-Bovy in Lüttich mit Möbelentwürfen, die zunächst noch deutlich von den strengen >Arts and Crafts<-Möbeln inspiriert waren, aber bald zu einer eigenen Ausdrucksweise fanden (Abb.139). Victor Horta, der wohl bedeutendste Künstler des belgischen Art Nouveau entwarf zwischen 1892 und 1900 eine Reihe von Häusern, die in Stil, Grundrißkonzeption und Bauweise - Eisen und Glas wurden 139. Gustave Serrurier-Bovy. Ausstellungsraum, zwischen 1894 und 1898. Der Architekt und Kunsttischler SerrurierBovy verkaufte in seinem Geschäft in Lüttich bereits um 1890 Möbel und kunstgewerbliche Gegenstände, darunter Tapeten und 137. Arthur Heygate Mackmurdo, Titelblatt zu Wren’s City Churches, 1883 18. Stoffe von William Morris. Henry van de Velde stellt in seinen Lebenserinnerungen fest, daß Serrurier-Bovy » als erster auf dem Kontinent Möbel nach neuen ästhetischen Prinzipien geschaffen hat«. 138. Arthur Heygate Mackmurdo. Stuhl, vor 1885 19. ackmurdos flächige Ornamente, langgezogene >flammende< Wellenlinien, beeinflußten den kontinentalen Jugendstil. Waren Ornamente dieser Art auf englischen Stoffdrucken oder Tapeten um 1880 in England durchaus üblich, so standen doch Mackmurdos Möbelornamente in Kontrast zu den klaren Formen bei Voysey. 65 141. Victor Horta. Treppenhaus in der Maison Tassel, Brüssel, 1892/93. Das Treppenhaus in Victor Hortas frühem Meisterwerk, der Maison Tassel, weist durch die Verwendung frei gestellter Eisenträger mit >Blumenkapitellen< und den linearen Ornamenten an den Wandflächen auf die kommende Formensprache hin, durch seine kühne Raumkomposition, von den Materialien Glas und Eisen bestimmt, aber weit über den Jugendstil hinaus. 40. Victor Horta. Anrichte im Speisesaal des H6tel Solvay, Brüssel, 1895-1900. Während Horta (nach Erinnerungen Henry van de Veldes) für die Ausstattung der Maison Tassel noch kunstgewerbliche Erzeugnisse englischer Firmen kaufte, wird im H6tel Solvay jedes noch so kleinste Detail entworfen und dem Gesamtkonzept untergeordnet. Aufbau und Konstruktion der Möbel weisen eher auf die Tradition des französischen Möbelbaues (Rokoko) hin und damit auf den Art Nouveau französischer Prägung. von Horta konsequent im Wohnbau verwendet - in völlig neue Richtungen wiesen (Abb. 140, 141). Es gelang ihm, die sich teilweise erst in den Ansätzen abzeichnenden Tendenzen und Motive des Jugendstils zu einem rhythmischen Ganzen, zu einem Gesamtkunstwerk höchster Originalität und Qualität zu verbinden. Aus diesem Grunde wird das Entstehungsdatum seines ersten Hauses, der Maison Tassel (1892/93), häufig als Beginn des Art Nouveau angesehen. Henry van de Velde war zwar auch Architekt; seine Bedeutung liegt jedoch vor allem auf den Gebieten der Inneneinrichtung und des Möbelbaus (Abb. 142-148), bei seinen Ornament- und Schriftentwürfen und nicht zuletzt bei seinen theoretischen Werken. Er verzichtete am konsequentesten auf die Ubernahme von Stilelementen aus der Vergangenheit - bei Horta lassen sich dagegen manchmal noch Anklänge aus dem französischen Rokoko feststellen - und wandte sich früh vom rein Floralen ab. Von Serrurier-Bovy und englischen Vorbildern angeregt, fand er zu einem Möbelstil, der auf dem Kontrast von kurvenden Stäben und glatten 66 Füllflächen basierte und dabei die konstruktiven Elemente fast überbetonte. Darüber hinaus zeigt sich schon in der Ausstattung seines eigenen, 1892 gebauten Hauses oder in den von ihm gestalteten vier Räumen der Galerie von S. Bing in Paris und besonders in den nach seiner Ubersiedelung nach Deutschland geschaffenen Wohnungseinrichtungen neben der schwungvollen Linie des Graphikers auch die sichere, aber zurückhaltende Farbgebung des Malers: Wie viele Architekten seiner Zeit war van de Velde ursprünglich Maler gewesen. In konsequenter Verfolgung der Theorien des Jugendstils suchte Henry van de Velde eine Änderung aller Lebensbereiche herbeizuführen. Er beschränkte seine Arbeit nicht auf das Haus und sein Interieur, sondern entwarf auch kunstgewerbliche Gegenstände aller Art, selbst Kleidung, die den gleichen Gesetzen und Formvorstellungen unterlagen. Nicht die Einrichtung allein, sondern die Gestaltung des Lebens ihrer Benützer war das Ziel seines Schaffens. Im französischen Jugendstil hatte der Möbelbau keine allzu große Bedeutung, zumal die wesentlichsten Einflüsse aus Belgien kamen. Emile Galle (1846-1904, Abb.152, 153), Louis Majorelle (1859-1926, Abb.155), Hector Guimard (1867-1942, Abb.149, 150), Eugene Gaillard (1862-1933, Abb.151) und Eugene Vallin 142. Werkstätte der >Societe van de Velde< in Ixelles, um 1899. Rechts vorne Henry van de Velde. Trotz aller Aufgeschlossenheit für die Probleme des industriellen Zeitalters, die sich in einer gewissen Anerkennung der Notwendigkeit der Maschine, vor allem aber in seinen sozialen Ansichten zeigte, konnte sich Henry van de Velde den Zeitumständen nicht entziehen. Waren seine Möbelentwürfe durch ihren Uberfunktionalismus Fanal, Kampfansage und Versuch der Bildung eines neuen Stils, mußten sie durch ihre teure Herstellungsmethode einem kleinen Kreis Begüterter vorbehalten bleiben. Seine Werkstätte stand, da die ausschließlich handwerkliche Verarbeitung und die hohen Qualitätsansprüche kaum einen Gewinn zuließen, einige Male - ebenso wie ähnliche Unternehmen, zum Beispiel die Wiener Werkstätte - vor dem finanziellen Ruin. »Ich gestand, daß ich entschlossen war, Ruskin und Morris auf ihrem Weg zu folgen bis zur Verwirklichung ihrer Prophezeiung: der Wiederkehr der Schönheit auf Erden und des Anbruchs einer Ära sozialer Gerechtigkeit und menschlicher Würde« (Henry van de Velde 20). 143. Henry van de Velde. Speisezimmer im Haus von Harry Graf Kessler, Weimar, 1902-03. 67 144. Henry van de Velde. Nähtisch und Sessel, um 1900. Henry van de Velde hat diesen Sessel - mit verschiedenen Bezügen - oft verwendet. Er ließ Holz nicht >biegen<, sondern aus Brettern herauschneiden, ein Verfahren, das im Widerspruch zu seinem Funktionsdenken stand. Und doch geben die plastische Durcharbeitung des Holzes und die Linienführung der Stoffornamente dem Sessel eine überraschende formale Geschlossenheit. Trotz starker plastischer Durchbildung ist der Nähtisch funktional durchdacht entworfen: leichte Beweglichkeit durch Rollen, rasches Heranziehen durch Ausschnitte in der Tischplatte, große Ubersichtlichkeit der Schubladen durch Herausschwenken. (Abb.154) konnten sich nicht vollständig von der großartigen französischen Vergangenheit im Möbelbau trennen: mit ihrer Übersteigerung der Form, ihrem tektonischen Aufbau und ihrer bildmäßigen Gestaltung, zum Beispiel durch Intarsien, konnten die französischen Jugendstilmöbel ihre Verwandtschaft mit der reichen Möbelkunst des Rokoko nicht verleugnen. Die überlieferte handwerkliche Gestaltung wurde geschätzt und betont; das einzelne Möbel in seiner kunstvollen Materialwirkung, nicht der ges'taltete Raum, stand im Vordergrund. In Schottland entstand nach 1S90 um Charles Rennie Mackintosh (1868-1928) und die Gruppe >The Four<, der neben Mackintosh noch seine Frau Margaret MacDonald, deren Schwester Frances und sein Schwager Herbert McNair angehörten, eine eigene ästhetisierende Welt der Geometrie. Die kleine Gemeinschaft beschäftigte sich vor allem mit der Inneneinrichtung und dem Möbelbau, wenn auch einige Bauten von Mackintosh, so die Glasgow School of Art, Architekturgeschichte machten (Abb. 156-160). Mit seinen schlanken, strengen Formen stand das Werk der Gruppe im Gegensatz zur fast rustikalen Einfachheit der englischen Möbel dieser Zeit, wobei die hellen, meist elfenbeinfarbenen Innenräume jedoch vieles mit 145. Henry van de Velde. Eßzimmerstuhl mit Sitz aus Strohgeflecht, 1895. Haus Bloemenwerf, Uccle, Brüssel. Schon bei den ersten Stühlen, die Henry van de Velde für sein Haus in Uccle entworfen hat, wird das Grundprinzip sichtbar: Die einzelnen Stäbe - Graphik dreidimensional übersetzt - werden ohne jede Rücksicht auf die Gegebenheiten des Materials und funktionell überbetont zu einem Gehäuse zusammengebaut. 146. Henry van de Velde. Schreibtisch, um 1900. 68 147, 148. Henry van de Velde. Herrenarbeitszimmer und Damenzimmer im Haus Hohenhof, Hagen (Westfalen), 1906. »Der Charakter meiner ganzen gewerblichen und ornamentalen Arbeiten entspringt einer einzigen Quelle: der Vernunft, der Vernunftmäßigkeit in Sein und Schein . . . Es gilt, eine neue Basis zu gewinnen, von der aus wir einen neuen Stil schaffen wollen, als Keim dieses Stils steht mir klar das Bestreben vor Augen: Nichts zu schaffen, das nicht einen vernünftigen Existenzgrund hat« (Henry van de Velde 21). 69 149. Hector Guimard. Schlafzimmer, um 1900. Musee des Arts Decoratifs, Paris. 150. Hector Guimard. Schreibtisch, für das eigene Haus entworfen, um 1903. Museum of Modern Art, New York, Stiftung Mme. Hector Guimard. Guimard - der Gestalter der Pariser Metrostationen - nannte sich selbst »I'architecte d'art«: Kunstarchitekt. Möbelund Architekturentwürfe zeigen Zusammenhänge mit dem belgischen Jugendstil. Linien und Bänder sind entweder rein graphisch in die Fläche verlegt oder umfassen völlig unkonstruktiv die Kuben des Möbels. Wie sehr Konstruktion, Funktion und Materialdenken in den Hintergrund traten, mag aus der Tatsache ersichtlich werden, daß manche seiner Möbel zuerst in Gips modelliert wurden. dem Landhauscharakter Voyseys gemeinsam hatten. Es zeigten sich stark von japanischen Formvorstel lungen geprägte Züge, die sich mit originären, historisch kaum ableitbaren Stilkomponenten verbanden. Charakteristisch für die Glasgower Schule waren einerseits die auf der Geraden und dem Rechteck basierende Formgebung, andererseits die leicht gebogenen Linienornamente, die in der Innenraumdekoration auftraten und im kontinentalen Jugendstil ohne Parallele blieben. 70 151. Eugene Gaillard. Schrank, 1910. Musee des Arts Decoratifs, Paris. 152. Emile Galle. Schlafzimmer, um 1900. Musee de l'Ecole de Nancy, Nancy. In Nancy arbeiteten Emile Galle, Louis Majorelle und Eugene Vallin. Kunstvolle Einlegearbeiten, nach Art des französischen Dixhuitieme, kennzeichnen die Möbel der Schule von Nancy. Im Gegensatz zu den schlichten englischen Möbeln des >Arts and Crafts< wurden die Grundformen lediglich mit Art-Nouveau-Schnörkeln überzogen. 153. Emile Galle. Damenschreibtisch in Nußbaum mit Intarsien aus verschiedenen Hölzern, vor 1900. Musee de l'Ecole de Nancy. 154. Eugene Vallin. Eßzimmer, 1903-06. Musee de l'Ecole de Nancy, Nancy. 71 155. Louis Majorelle. Tischchen, um 1900. Musee des Arts Decoratifs, Paris. Mackintosh beteiligte sich 1900 an einer Ausstellung der 1897 gegründeten Wiener Sezession, in der Joseph Maria Olbrich (1867-1908, Abb. 161, 162) und Josef Hoff mann (1870-1955, Abb .163, 164) eine zentrale Rolle spielten. Er regte damit in Österreich die Entwicklung eines geometrischen, fast kubischen Stils an, der vielleicht von allen Erscheinungsformen des Jugendstils unseren heutigen Gestaltungsvorstellungen am nächsten kommt. 1903 wurde die >Wiener Werkstätte< gegründet, die während der dreißig Jahre ihres Bestehens wesentliche Beiträge zum Möbelbau nicht nur in Österreich lieferte. Starken Einfluß auf den deutschen Jugendstil übte einmal mehr Henry van de Velde aus, dessen für die Galerie von S. Bing entworfenen vier Innenräume 1897 in Dresden gezeigt wurden und großes Interesse fanden. Van de Velde zog 1899 nach Deutschland, wo er zahlreiche Aufträge, darunter die Innenausstattung des Museum Folkwang in Hagen, erhielt. Zum anderen führte die maßgebend von Olbrich gestaltete Ausstellung auf der Mathildenhöhe in Darmstadt, 1901, zu einer gegenseitigen Bereicherung der Bewegungen in Deutschland und Österreich. In München bildete sich mit Bernhard Pankok (1872-1943, Abb. 165, 167), August Endell (1871-1925, Abb.166), Bruno Paul (1874-1968, Abb.168), Hermann Obrist (1863-1927, Abb.170), Richard Riemerschmid (1868-1957, Abb.169) und anderen eine Gruppe, die zunächst mit stark floralen Formen arbeitete, nach und nach aber zu einem organisch-abstrakten Stil fand. 1898 wurden dort die >Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk< gegründet, die sich 1907 mit den >Dresdener Werkstätten< zu den >Deutschen 72 156 158 157 156, 157. Charles Rennie Mackintosh. Speisezimmer (156) sowie Empfangsraum und Musikzimmer (157) im Wohnhaus eines Kunstfreundes. Wettbewerbsentwurf für den Verlag Alexander Koch, 1901. 158. Charles Rennie Mackintosh. Lesesaal der Bibliothek in der Glasgow School of Art, Originaleinrichtung mit der MackintoshVersion des Windsor-Stuhles, 1907-09. 159. Charles Rennie Mackintosh. Stuhl, wahrscheinlich aus Cranston's Tearoom, 1901. 160. Charles Rennie Mackintosh. Eingangshalle des Hill House, Helensburgh, 1902-03. Raumvorstellungen, wie sie Mackintosh etwa in der Bibliothek der Glasgower Kunstschule realisieren konnte, und farbliche Konzeptionen, wie er sie in den von ihm entworfenen Wohnhäusern anwandte - etwa Weiß, mit kräftigem Rosa und Fliedertönen -, gehen weit über den Jugendstil hinaus. Die brettartige Konstruktion der Möbel, obgleich eindeutig von formalen Vorstellungen bestimmt, weisen in ihrer Einfachheit ebenfalls in die Zukunft. Trotzdem müssen alle Versuche, die Stühle von Mackintosh heute serienmäßig nachzubauen, als neuer Historismus bezeichnet werden. 159 73 74 161. Joseph Maria Olbrich. Musikzimmer im Neuen Palais, Darmstadt. 162. Joseph Maria Olbrich. Kindermöbel aus dem Prinzessinenhaus auf Schloß Wolfsgarten bei Darmstadt, 1902. Aus dem Besitz des Prinzen Ludwig von Hessen. Werkstätten für Handwerkskunst< zusammenschlossen. Für den Möbelbau war vor allem Riemerschmid wichtig, der entsprechend den Vorstellungen van deVeldes von der dekorativen, am Einzelstück orientierten Ornamentkunst zur Raumkunst gelangte und am weitesten in Richtung des Abstrakten vorstieß. Da die Künstler des Jugendstils meist aus der Malerei kamen, mußten sie sich erst mit der Technik des Möbelbaus vertraut machen. Getreu den Prinzipien von Morris entstanden dabei enge Beziehungen zwischen Künstlern und Handwerkern, wobei an die Handwerker höchste Anforderungen gestellt wurden. Mit überragenden Einzelleistungen allein war aber die angestrebte Breitenwirkung nicht zu erreichen. Sieht man von den Arbeiten der Wiener Werkstätte um 1905 ab, die den Voraussetzungen für eine maschinelle Produktion sehr nahe kamen, so haben die Möbelkünstler des Jugendstils zwar formal gelöste, jedoch handwerklich oder industriell kaum realisierbare Entwürfe geschaffen. Rationell im Sinne einer Arbeits- oder Materialersparnis konnten diese Möbel nie sein - weder die aus Brettern herausge- 75 163. Josef Hoffmann. Ecke in einem Wohnraum, aus Ver Sacrum 1898-1903. 164. Josef Hoffmann. Schlafraum in einem umgebauten Bauernhaus auf der Bergerhöhe bei Hohenberg, Niederösterreich, 1899. Olbrich wie auch Josef Hoffmann waren vorerst nach England hin orientiert und von der Formenvielfalt des belgischen Jugendstils beeinflußt. Während das Musikzimmer mit seiner Vielfalt an Formen und Materialien noch auf die Ensemble-Kunst der englischen >Arts and Crafts<-Bewegung zurückzuführen ist, zeigen die Kindermöbel Olbrichs den Einfluß des englischen Japanismus. Für den schlichten Einbau in ein Bauernhaus verwendete Hoffmann sogar eine englische Stofftapete als Ergänzung zu der einfachen Fichtenholzvertäfelung. schnittenen geschwungenen Stuhlfüße noch die gerundeten Körper der Kastenmöbel. Als der Jugendstil von den Möbelfirmen modisch ausgebeutet wurde, war sein Höhepunkt bereits überschritten. Mittelmäßigkeit vertrug sich schlecht mit den hohen Ansprüchen einer esoterischen Formfindung, und Übersteigerungen mußten andererseits zu einem Formenchaos führen. Eine gewisse Breitenwirkung konnte jedoch durch die zahlreichen Ausstellungen und die damit verbundene Publizität erreicht werden. Die vielen Schriften und Veröffentlichungen von Gedanken über Raum und Möbel, aber auch über allgemeinere gesellschaftliche Probleme, herausgegeben von den bedeutendsten Künstlern, vor allem von Henry van de Velde, zwangen zur Stellungnahme und zum Nachdenken. Positiv war auch die immense Begeisterung, mit der Ideen verbreitet, und die Tatkraft, mit der neue, dem Historismus entgegenwirkende Formen gesucht wurden. Möbel- und Raumgestaltung gehören zu den stärksten Leistungen des Jugendstils. Es muß aber betont werden, daß die engagiertesten Architekten und Künstler dieser 76 165. Bernhard Pankok. Musiksalon, für die Weltausstellung in St. Louis, 1904, geschaffen. Möbel in Nußbaum, Flügel aus alter Wassereiche. Hergestellt von der Stuttgarter Werkstätte Georg Schöttle. Die meisten der als >Münchner Kreis< neben Henry van de Velde bekanntgewordenen Künstler waren für die >Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk< tätig. Bei den Arbeiten der Münchner Künstler werden sowohl die positiven als auch die negativen Aspekte des Jugendstils deutlich erkennbar. Erstaunliche Breitenwirkung neuer Ideen durch Ausstellungen, aber auch bewußt formale Überbetonung, die - von der Möbelindustrie aufgegriffen und verständnislos angewandt - den Jugendstil in Verruf brachte. Der Zusammenschluß von Künstlern, Handwerkern und Vertriebsorganisationen war für die Gründung des Deutschen Werkbundes ebenso wichtig wie für die Idee des Weimarer Bauhauses. 166. August Endell. Bücherschrank in Nußbaum, um 1900. Privatbesitz, Wiesbaden. 167. Bernhard Pankok. .Skizze. um 1900. 77 168. Bruno Paul. Speisezimmer, ausgestellt in Dresden, 1906. 169. Richard Riemerschmid. Rot bemalter Armlehnstuhl, um 1900. Die Neue Sammlung, München. 170. Hermann Obrist. Stühle und Serviertisch in Mooreiche aus einer Speisezimmereinrichtung, um 1898. Privatbesitz, Starnberg. Zeit von den damals wichtigsten Aufgaben, der Erweiterung und Erneuerung der Städte und dem Bau menschenwürdiger Wohnungen für die nicht privilegierten Schichten, abgelenkt wurden. Wenn es auch nicht an Versuchen mangelte, der arbeitenden Bevölkerung Haus und Möbel zu gestalten, war doch der Zwiespalt zwischen den hohen Anforderungen an das Handwerk und den kommerziellen Notwendigkeiten zu tief, um überbrückt zu werden. Die kurze Zeitspanne, die dem Jugendstil zur Verfügung stand, machte es den Künstlern unmöglich, das Stadium des Experimentierens und des formalen Primats in eine beruhigte Entwicklung überzuführen. Entscheidend für den Niedergang des Art Nouveau war das Unvermögen, diese Kunst in eine sich bereits in voller Entwicklung befindlichen, von der weitgehenden Anerkennung der Maschine geprägten gesellschaftlichen Neuordnung einzubeziehen. Zuletzt war die übersteigerte Formenwelt nur noch kunstgewerbliches Spiel ohne Beziehung zu den sozialen Grundlagen, die noch immer vom Ideengut Morris' beherrscht waren. 78 Über den Jugendstil hinaus: Antoni Gaudi, Frank Lloyd Wright, Otto Wagner, Adolf Loos Nur wenige Wegbereiter der modernen Architektur konnten sich dem Einfluß des Jugendstils entziehen, jedoch gibt es im Werk einiger starker Persönlichkeiten Raumund Möbelformen, die einer selbständigen Vorstellungswelt entstammten. Das Werk von Antoni Gaudi (1863-1926) hat seine Wurzeln in der katalanischen Gotik. Er sah seine große Aufgabe darin, die seiner Auffassung entsprechende, materialgerechte Konstruktionsweise seiner Vorfahren in die neue Zeit zu übersetzen. Wenn er auch mit manchen Arbeiten dem Jugendstil nahestand, kann seine Formensprache doch nicht unmittelbar dem Art Nouveau zugerechnet werden, da sie immer mit den Traditionen und der Landschaft Kataloniens verknüpft blieb. Gaudis skulpturale Möbel werden angesichts der Kraft seiner Architektur und seiner Raumlösungen vielleicht zu wenig beachtet. Ihre reichen, organisch aus dem Material gewachsenen Formen sind, ebenso wie die frei fließenden Strukturen der Capella Güell oder die frei ineinander übergehenden Räume der Casa Mila (Abb. 174), das Ergebnis einer glücklichen Verbindung zwischen der Phantasie Gaudis und der außerordentlichen Begabung der katalanischen Handwerker. Entwürfe wie die Sitzbänke im Park Güell wurden zur Skulptur und mit dem reichen Farb- und Formenspiel der Mosaikarbeiten aus glasierten Kacheln zu einer Vision künftiger Entwicklungen. Bei den Möbeln Gaudis (Abb. 171-173, 175) zeichnete sich erstmals eine plastische Lösung von Konstruktion, Struktur und Material ab, wie sie heute mit neuen Materialien und Fabrikationsmethoden zum Beispiel im Kunststoffmöbel zum Ausdruck kommt. 172. Antoni GaudI. Bank aus der Wohnung des Eigentümers der Casa Battl6, 1905-07. Die Bank mit zwei Sitzen, die sich der Körperform anpassen, beruht auf einfach- sten konstruktiven Überlegungen. Lediglich die frei geformten Rückenlehnen stellen hohe Anforderungen an den ausführenden Handwerker, der hier zum Holzbildhauer wird. 171. Antoni GaudI. Stuhl aus der Casa Calvet,1898-1903.Plastische Durcharbeitung eines aus massiven Holzteilen zusammengebauten Stuhles. Die Sitzfläche ist als >Schale< ausgebildet, die Rückenlehne organisch geformt. Die Bearbeitung der Beine - eher eine Vergewaltigung der Holztechnik - erinnert an die Schmiedearbeit der Chaiselongue. 173. Antoni GaudI. Speisezimmer in der Casa Battl6, Barcelona, 1905-07. Die strukturellen, naturhaften Formen der Fassade setzen sich im Innern fort und bestimmen alle Elemente des Raumes: Decke, Säule, Fenster, Möbel. Die bürgerliche Wohnung wird nicht nur durch das Ineinanderfließen der Räume, sondern auch durch expressive Gestaltung jedes Details aus ihrer historisierenden Welt herausgerissen. 174. Antoni Gaudi. Grundriß der Casa Mila, Barcelona, 1905-10. Der freie, durch Naturform angeregte Grundriß wird durch eine Stahlbetonskelettkonstruktion ermöglicht. 175. Antoni GaudI. Chaiselongue aus Schmiedeeisen, die Polster sind mit Kalbfell überzogen. Palais Güell, 1885-89. Völlige Freiheit von den üblichen Vorstellungen für die Konstruktion, Materialwahl und Formensprache: Eine überlieferte Möbelform wird zur räumlichen Plastik, wobei besonders an die Handwerker - etwa den Kunstschmied höchste Anforderungen gestellt werden. 79 80 Frank Lloyd Wright (1867/69-1959) wurde durch sein umfangreiches architektonisches Werk, das bereits um 1900 eine hohe künstlerische Reife erreicht hatte, und durch seine zahlreichen Schriften zu einem der wichtigsten Pioniere der modernen Architektur. Auch für den Möbelbau waren seine Überlegungen über die Funktion von Form und Material sowie seine Auseinandersetzung mit den wesentlichsten Kunst- und Gesellschaftstheorien seiner Zeit von entscheidender Bedeutung (Abb.176-178). Wrights Ideen basierten, neben dem Einfluß durch die geometrischen Grundformen in den Fröbelschen Kinderspielen, auf den Eindrücken, die er auf der Farm seines Großvaters erhielt und die in ihm eine starke Vorliebe für die Natur und Sinn für die naturgemäße Anwendung der Materialien weckten. Seine Tätigkeit im Büro des größten amerikanischen Architekten jener Zeit, Louis Sullivan, war ebenso wichtig wie seine intensive Beschäftigung mit dem japanischen Kulturkreis. Zur Weltausstellung von 1893 in Chicago zeigte Japan die Kopie eines typischen japanischen Baues als >Museum< für Gemälde und Holzschnitte, von denen Wright selbst eine beachtliche Sammlung besaß. 1905 besuchte er zum ersten Mal Japan. Die Übersetzung des offenen japanischen Grundrisses in die Vorortlandschaft der amerikanischen Städte in Verbindung mit dem Einfluß der noch historisierenden, dabei rustikalen Häuser etwa Henry Hobson Richardsons und mit der Übernahme der englischen Tradition des Kamins als Mittelpunkt des Hauses führte zur Konzeption der sogenannten Präriehäuser, die Wright zwischen 1900 und 1910 entwarf und die seinen ersten wichtigen Beitrag zur modernen Architektur darstellen. In seinem Artikel »Prärie-Architektur«, 1931 in Modern Architecture22 veröffentlicht, erläuterte Wright seine Gedanken zum Präriehaus. Er hielt es für richtig, »die Zahl der notwendigen Teile des Hauses und der einzelnen Zimmer auf ein Minimum zu reduzieren und alles als umfriedeten Raum zusammenzufügen - so eingeteilt, daß Licht, Luft und Sicht das Ganze mit einem Gefühl der Einheit durchtränken konnten«. Alle Proportionen des Hauses sollten »liberal menschlich« sein. Er wollte »die Möbel - soweit möglich - als organische Architektur mit einbeziehen, sie eins mit dem Gebäude machen und sie in einfachen Formen für die Maschine entwerfen. Abermals gerade Linien und rechtwinklige Formen«. In seinem Vortrag »Die Kunst und Fertigkeit der Maschine« wies er bereits 1901 in Chicago vor der >Arts and Crafts Society< auf das glatte, strenge Möbel hin und gab den Worten von Ruskin und Morris eine neue Deutung: »Die Maschine ermöglicht es durch ihre wunderbare Fähigkeit, zu schneiden, zu formen, zu glätten und zu wiederholen, so sparsam zu arbeiten, daß sich heutzutage der Arme wie der Reiche bei klaren und strengen Formen an einer Oberflächenbehandlung erfreuen kann, die Sheraton und Chippendale nur durch aufwendige Extravaganz mit ihren Intarsien anzudeuten vermochten und die das Mittelalter völlig außer acht ließ. Die Maschine hat diese Schönheiten der Natur im Holz befreit und es möglich gemacht, die Mehrzahl der sinnlosen Martern auszulöschen, denen das Holz unterworfen wurde, seit die Welt begann, denn es ist überall und von allen Völkern, außer den Japanern, mißbraucht und übel behandelt worden. Ist dies nicht, wenn man es recht betrachtet, genau der Prozeß des Weglassens, für den sich Morris einsetzte23?« Dieses Bekenntnis zur Maschine und zum Materialdenken kennzeichnet den entscheidenden Beitrag Wrights zur Entwicklung des Möbels, selbst wenn es uns heute vielleicht zu dogmatisch erscheint. 176. Frank Lloyd Wright. Armlehnstuhl, 1904. The Museum of Modern Art, New York. Frank Lloyd Wright versuchte, auch seine Möbel als >Architektur< zu entwerfen und >menschlich< - für den menschlichen Gebrauch geeignet - zu machen. Nicht immer gelang dies, wie seine offenherzige Bemerkung beweist: »Irgendwo habe ich fast mein ganzes Leben lang immer blaue und braune Flecke gehabt von der allzu innigen Berührung mit meinen eigenen Möbeln24.« 81 177. Frank Lloyd Wright. Wohnraum im Haus Coonley, Riverside, Illinois, 1908. Die >Präriehäuser<, in Frank Lloyd Wrights ‘Golden age’ zwischen 1900 und 1910 entworfen, ersetzten die Zimmer durch das offene Raumkonzept um einen Mittelpunkt (den Kamin). Gedrückte Raumhöhe, gegen das Dach geöffnet und der Versuch, die Materialien der Fassade auch im Innenraum zu verwenden, kennzeichnen diesen Typ. Bei der Einrichtung wurde der Eindruck des >Gesamtkunstwerks< durch die Übereinstimmung von architektonischer Form und Dekor vorbildlich realisiert. 178. Frank Lloyd Wright. Vorentwurf für das Haus Coonley, 1908. 82 Otto Wagner (1841-1918) war der eigentliche Begründer der Wiener Schule, die durch eine Reihe an sich äußerst gegensätzlicher Persönlichkeiten wie Adolf Loos, Josef Hoffmann und Joseph Maria Olbrich berühmt wurde. Sein Werk, das von einer ständigen Auseinandersetzung mit den neuen technischen Möglichkeiten und gesellschaftlichen Wandlungen der Zeit um die Jahrhundertwende zeugt, erwies sich auch für den Möbelbau als äußerst fruchtbar. Wagners erste wesentliche Bauten standen noch ganz im Zeichen des Historismus und wurden, wie zum Beispiel sein eigenes Stadtpalais um 1889, mit nachgebauten Renaissance-Möbeln eingerichtet. Nach seiner Berufung an die Wiener Akademie, 1894, folgte eine Phase der theoretischen Neuorientierung. In seinem 1895 veröffentlichten Buch Moderne Architektur vertrat er die Ansicht, daß der Ausgangspunkt der modernen Architektur in den Erfordernissen des modernen Lebens liege. Er forderte einen Stil, der seine Ausdruckskraft von den Konstruktionsprinzipien und der Materialanwendung herleiten sollte. Die von ihm gepriesene horizontale Linie wurde auch in seinen Wohn- und Büroräumen durch die konsequente Zusammenfassung von Möbeln und Wandvertäfelung sichtbar. Als Lehrer von außergewöhnlicher Bedeutung für die Entwicklung der modernen Architektur nicht nur in Wien, hat Otto Wagner bei der Einrichtung seines wohl wichtigsten Baues, des Postsparkassenamtes in Wien (1904-06, Abb. 96, 179, 180) auch den wesentlichsten Beitrag zum Möbelbau seiner Zeit geleistet. Während die Räume des Direktionstraktes noch den strengen Geist der ins neunzehnte Jahrhundert übersetzten Renaissance ahnen lassen, ist die Bestuhlung bereits auf die Möglichkeit der Serienfabrikation ausgerichtet. Sowohl die Stühle der Büroräume wie auch die Armsessel des Sitzungssaales und die Hocker im Kassensaal wurden mit dem in Wien enwikkelten Bugholzverfahren durch die Firma Gebrüder Thonet und Kohn & Kohn ausgeführt. Es ist erstaunlich genug, daß erst etwa fünfzig Jahre 179. Otto Wagner. >Grünes Zimmer< (Zimmer des Vizegouverneurs) im Postsparkassenamt, Wien, 1904-06. Die zurückhaltende Einrichtung der einzelnen Räume entspricht dem konstruktiven Denken Otto Wagners und stimmt völlig mit der formal einfachen Gestaltung der Möbel überein. Schränke und Uhr sind in die Vertäfelung mit einbezogen, die den Raum einheitlich zusammenfaßt, aber durch den leichten Wechsel im Rhythmus doch nicht monoton wirken läßt. 83 180. Otto Wagner. Sitzungssaal im Postsparkassenamt, Wien, 1904-06. Porträt Kaiser Franz Josephs von Wilhelm List. Die Porträts der Postsparkassengouverneure (über der Vertäfelung rechts) wurden später hinzugefügt. Wandvertäfelung und Bugholzstühle - nach Otto Wagners Entwurf bei der zu jener Zeit größten Wiener Bugholzfirma, Gebrüder Thonet, sowie Kohn & Kohn hergestellt sind schwarz gebeizt, die Beschläge der Wandschränke, die Auflagen der Armlehnen und die Verkleidungen der Stuhlfüße aus Aluminium. Die Beleuchtungskörper wurden später verändert; ursprünglich waren in allen Direktionsräumen frei sichtbare Glühlampen in gleichmäßig angeordneten Fassungen angebracht. nach Erscheinen der ersten echten Serienstühle im Bugholzverfahren (Thonet Nr.14: 1859) die Pioniere der modernen Architektur von diesen Produkten Gebrauch machten. Form und technische Möglichkeiten des Gebäudes weisen das gleiche hohe Niveau auf wie die für die Innengestaltung verwendeten Materialien und ihre Verarbeitung. In allen Räumen der Postsparkasse wird die herbe Strenge Wagners und zugleich die sehr menschliche Proportion spürbar; sie wird damit ein positives und charakteristisches Beispiel für diese >utilitäre< Zeit. Es war wohl auch dieser Eindruck, der den alten und konservativen Kaiser Franz Joseph bei der Eröffnung die Worte sprechen ließ: »Merkwürdig, wie gut die Menschen hineinpassen . . .«. Adolf Loos (1870-1933) war der für die Theorie einer puristischen Anschauung im Möbelbau und für die Entwicklung neuer Raumkonzepte wichtigste Denker in der Zeit um die Jahrhundertwende.Von 1893 bis 1896, also während der Blüte der Schule von Chicago, hielt er sich in Amerika auf, wo er mit den Gedanken Louis H. Sullivans über den Zusammenhang von Form und Funktion konfrontiert wurde. Nach Wien zurückgekehrt, galt sehr bald sein vehementer Angriff dem Ornament und besonders den Tendenzen des Jugendstils, wobei sich seine Argumentation auf Sullivan und Wagner stützte. Loos wollte zeigen, daß die Ornamentik des Jugendstils unserer Zeit nicht würdig und daß ein Werk ohne Ornamente symbolisch für klares Denken sei, daß Formen schön seien, wenn sie ihre Zweckbestimmung ausdrückten und wenn ihre Teile eine untrennbare Einheit bildeten, daß also der völlige Verzicht auf jeden Dekor notwendig sei. 1908 schrieb er in Ornament und Verbrechen: »Ornament ist vergeudete arbeitskraft und dadurch vergeudete gesundheit. So war es immer. Heute bedeutet es aber auch vergeudetes material, und beides bedeutet vergeudetes kapital25.« Loos' mit beißender Offenheit formulierte Aufsätze und Vorträge bilden heute noch wesentliche Bestandteile jeder Theorie auf dem Weg zu einer neuen Architektur. Seine ersten Schriften entstanden anläßlich der Wiener Jubiläumsausstellung 1898, wobei er sich mit all den Dingen des täglichen Lebens auseinandersetzte, über die man im Wien der Jahrhundertwende zu diskutieren pflegte - von der Herrenmode bis zum Interieur der Wohnung. Bald wurde die Wiener Kunstgewerbeschule und deren Lehrer, später dann auch der Deutsche Werkbund Ziel seiner Angriffe. Wenn manche seiner polemischen Formulierungen auch nur aus den besonderen Verhältnissen in Wien zu verstehen sind, so bleibt das schriftliche Werk von Adolf Loos doch eine auch heute noch maßgebende Leistung. Viele seiner Sätze über Möbel und Raum könnten in unserer Zeit als Richtlinien für jeden angehenden Möbeldesigner gelten. Adolf Loos hat etwa fünfzig Wohnungen eingerichtet, aber nur wenige Wohnhäuser selbst erbaut. Seine Arbeiten (Abb. 181-184), geprägt durch die Verwendung ausgewählter Materialien, zeigen einfachste Möblierung. Es gibt auch Widersprüche: so stehen klare Raumlösungen manchmal im Gegensatz zu unfunktionell abgehängten Holzdecken in Wohnungen mit bestehender Decke. Auch hielt Loos bis zum Tode seines Tischlers Veillich ah der von ihm so geliebten Chippendale-Imitation fest (Abb. 181). Richard Neutra wies 1930 in seinem Buch Neues Bauen in der Welt auf die für Loos charakteristischen Scheinbalkendecken in »goldener Eiche« und die Kamine hin, die Einflüsse des Amerikaners Henry H. Richardson zeigten. Vor allem aber war es das einfache englische Möbel, dem Loos zeitlebens seine Referenz erwies. Bereits in den starren Grenzen der von ihm eingerichteten Mietwohnungen versuchte Loos, sein Raumkonzept zu realisieren, indem er wichtige Räume durch Sitznischen oder Kaminplätze erweiterte. Es war ihm jedoch erst 1922 möglich, im Haus Rufer seinen >Raumplan< zu verwirklichen, der sich bereits 1910 im >Looshaus<, einem Geschäftshaus am Michaelerplatz, ankündigte und der später im Haus Müller in Prag (1930) zur Vollendung gebracht wurde. Grundgedanke seines 84 181. Adolf Loos. Haus Steiner in Wien, 1910. Eßecke in der großen Wohnhalle. Die gegen den Garten zu gelegene Wohnhalle diente mehreren Zwecken, und zwar als Wohn-, Eß- und Musikzimmer. Bemerkenswert sind die nachgebauten Möbel im Chippendale-Stil. 182. Adolf Loos. Ausziehtisch mit dazugehörigem Stuhl in Mahagoni und Bronze, 1898 (signiert). Privatbesitz, Schweiz. 183. Adolf Loos. »Das Schlafzimmer meiner Frau« in der eigenen Wohnung, Wien, 1 903. Auf blauer Bodenbespannung war alles Weiß in Weiß gehalten, Schränke und Wände waren mit weißem Batist verkleidet. Das Wohnzimmer mit dem Annex ist heute im Historischen Museum der Stadt Wien ausgestellt. 184. Adolf Loos. Die Kärntner Bar (American Bar) in Wien, 1907. Fast unverändert erhalten. Photographien aus der Entstehungszeit zeigen anstelle der Landschaft ein Porträt Peter Altenbergs von Gustav Jagerspacher. Der nur 3,50 auf 7,50 m große Raum mit einer Höhe von 3,50 m wird durch die zwischen den Lisenen eingelegten Spiegel genial erweitert. Dunkles Mahagoni, schwarzes Leder, Messingrahmen für die von innen beleuchteten Glasplatten der kleinen Tische sowie die Kassettendecke aus gelbbraunem Marmor lassen heute noch außerordentliches Feingefühl bei der Auswahl der Materialien erkennen. Raumkonzeptes war die Planung im Dreidimensionalen: »Denn das ist die große revolution in der architektur: das lösen eines grundrisses im raum26«. Je nach Zweck und Bedeutung sollten dabei die einzelnen Räume nicht nur verschieden groß, sondern auch verschieden hoch angelegt und zu einem kubischen Gebäude zusammengefügt werden. Die >Grundrisse des Volumens< haben an der weiteren Entwicklung des Wohnens entscheidenden Anteil und prägten die Form der gesamten Einrichtung und Möblierung.Sicherlich ist die Klarheit der Möbel von Adolf Loos und seine Liebe zum Material ohne das geschulte Tischlerhandwerk in Wien nicht denkbar. Hier findet sich trotz aller Gegnerschaft die Brücke zu dem so bekämpften Josef Hoffmann und der Wiener Werkstätte. Denn zumindest deren einfache Wohnungseinrichtungen, die um 1905 noch unter dem Einfluß von Mackintosh entstanden, stehen in Konstruktion und Materialverwendung den Möbeln von Loos um nichts nach. 85 86 Von >Arts and Crafts< zum Werkbund: Die Idee der Gemeinschaft Der Bau des Red House durch William Morris und seinen Freundeskreis (1859, Abb. 114-117) signalisierte den Beginn einer Entwicklung, die jahrzehntelang die Möbel- und Architekturgeschichte bestimmen sollte: Künstler und Handwerker schlossen sich in Gemeinschaften zusammen, um in gemeinsamer Arbeit und theoretischer Auseinandersetzung mit den Problemen der Industrialisierung neue Lösungen zu finden und zu verwirklichen. Verschiedene Gruppen, vor allem die >Arts and Crafts Society<, versuchten, Möbel und Geräte zu entwickeln, die der neuen Zeit entsprachen. Es gingen wesentliche stilbildende Einflüsse von ihr aus; die hier erstmals praktizierte Idee der Gemeinschaft regte die Bildung von Vereinigungen in ganz Europa an. Die Leistungen der zahlreichen Künstler- und Handwerkergemeinschaften, die in der Folge entstanden, waren ein ebenso wichtiger Schritt auf dem Wege zum modernen Möbel wie das persönliche Werk der großen Pioniere.In Deutschland und Österreich entstanden die ersten Vereinigungen gleichzeitig mit dem Jugendstil.1903 gründete Josef Hoffmann (1870- 1956) zusammen mit Koloman Moser (1868-1916, Abb. 186) und Josef Wärndorfer, dem Financier, die Wiener Werkstätte. Hoffmann war Schüler von Otto Wagner und vertrat dessen rationalistische Architekturtheorie, ohne aber wie Adolf Loos das Ornament völlig abzulehnen. Sein besonderes Interesse galt dem Kunsthandwerk, er lehrte an der Wiener Kunstgewerbeschule. Die ersten Jahre der Wiener Werkstätte waren geprägt von einem strengen, fast kubischen Stil mit zahlreichen von der Gruppe um Mackintosh übernommenen Elementen und einer auf dem Quadrat aufgebauten Ornamentik, die Hoffmann den Spitznamen >Quadratl-Hoffmann< eintrug. Auch die Arbeit der Wiener Werkstätte basierte auf den Theorien von Ruskin und Morris. Das Meisterwerk Hoffmanns, das im Jahr 1911 fertiggestellte Palais Stoclet in Brüssel (Abb. 187, 188), wurde dennoch für die Gesellschaft des Fin de siecle gebaut, ebenso wie die verfeinerten, höchste Qualität und Weltgeltung erlangenden Kunstgewerbegegenstände aus der Werkstätte für die Oberschicht bestimmt waren. Neben kostbaren, leichten Möbeln, die trotz ihrer Strenge elegant und gut proportioniert wirkten und meist Edelholzfurniere aufwiesen, entstanden jedoch auch einfache, ohne weiteres für die Serienproduktion geeignete Eichenmöbel (Abb. 185). 185. Josef Hoffmann. Kleiner Schreibtisch, 1905. Eichenholz, furniert und massiv, schwarz gebeizt, in die Poren weiße Farbe eingerieben. Hergestellt von der Wiener Werkstätte. österreichisches Museum für angewandte Kunst, Wien. Übernahme eines seit der Barockzeit bestehenden Möbeltyps (Sekretär), hier allerdings in den klaren Formen der frühen Arbeiten der Wiener Werkstätte. Weiß eingeriebene Eiche verwendete Josef Hoffmann sehr oft. 186. Koloman Moser. Speisezimmereinrichtung, 1904. Furnier aus Rüstermaserholz; Intarsien: Perlmutter und Schlangenholz in einem Feld aus Buchsbaumholz. Galerie Inge Asenbaum, Wien. Koloman Moser versucht bei diesem in seiner Grundform strengen Speisezimmer das >Gesamtkunstwerk< auch beim Möbel zu verwirklichen: eine erstaunlich frühe Absage an den floralen Formenschatz des Jugendstils. 187. Josef Hoffmann. Speisezimmer im Palais Stoclet, Brüssel, 1905-11. Ausführung Wiener Werkstätte. 188. Josef Hoffmann. Ecke mit Springbrunnen in der Halle des Palais Stoclet, Brüssel, 1905-11. Das Palais Stoclet bildet den Höhepunkt der von der Wiener Werkstätte durchgeführten Arbeiten. Die gesamte Einrichtung und alle Geräte entstanden in der Werkstätte in Wien. Bei diesem großen Bauvorhaben - das ohne finanzielle Einschränkung durchgeführt werden konnte - waren die bedeutendsten Mitarbeiter unter der Leitung Hoff manns beschäftigt, darunter der Keramiker Michael Powolny und der Maler Gustav Klimt, der die Wanddekoration des Speisezimmers schuf. 87 Die Wiener Werkstätte hatte allerdings den Weg zur Industrie niemals gesucht. Ihr hoher Güteanspruch setzte persönliche Zeichnung, persönliche Ausführung oder enge Zusammenarbeit mit ausgesuchten Handwerkern voraus. Trotz des Austrittes von Koloman Moser aus der Werkstätte (1907) hielten sich die geometrischen Grundformen längere Zeit, bis um 1915 unter dem Einfluß des jungen Dagobert Peche (1887-1923) eine Wende zu fast expressionistischen Formen eintrat, die besonders bei Karl Kraus und Adolf Loos auf Kritik stießen. Finanziell war die Wiener Werkstätte, wie zum Beispiel auch Henry van de Veldes persönliche Werkstätte, niemals ein Erfolg. Nach schwierigen Jahren, besonders im Anschluß an den Ersten Weltkrieg, mußte die Werkstätte 1932, lange vor dem Tode Josef Hoffmanns, geschlossen werden. Die 1898 in München gegründeten >Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk<, denen unter dem Geschäftsführer F.A.O. Krüger Richard Riemerschmid, Bruno Paul (Abb. 190), Bernhard Pankok und andere angehörten, bemühten sich intensiver und gezielter um die Entwicklung eines formalen Ansprüchen genügenden Möbels für breitere Schichten. Wie auch bei den 1899 durch den Tischlermeister Karl Schmidt ins Leben gerufenen >Dresdner Werkstätten für Handwerkskunst< wollte man von Anbeginn gute und preiswerte Möbel und Gebrauchsgegenstände in Serienfertigung herstellen. Vor allem in Dresden war man 88 schon nahe an produktionsreife Serienmodelle herangekommen. Die im Jahre 1902 in München gegründete >Werkstätte für Wohnungseinrichtungen< verband sich 1907 mit der >Dresdner Werkstätte< zu den >Deutschen Werkstätten für Handwerkskunst<; 1913 entstand daraus die Aktiengesellschaft >Deutsche Werkstätten<. Riemerschmid, der schon in seinen frühen, um 1900 entworfenen Möbeln sehr funktionale und organische Lösungen erreichte (Abb.192, 193), ohne daß dadurch die künstlerische Qualität gelitten hätte, war die treibende Kraft dieser Gemeinschaft. Ebenso wie in Wien mußten die Geldgeber darunter Riemerschmid selbst, immer wieder einspringen, um die Situation zu retten. 1909 wurden die Deutschen Werkstätten nach Dresden-Hellerau verlegt, wo nach Plänen verschiedener Architekten, darunter Riemerschmid und Heinrich Tessenow (1876-1950, Abb.189), um die Werkstätten die Gartenstadt Hellerau entstand. Wie die gesamte Wohnsiedlung, so waren auch die Büro- und Arbeitsräume der Werkstätten in jeder Hinsicht vorbildlich gestaltet. In Hellerau wurde 1906 die Serienfabrikation der sogenannten >Maschinenmöbel< aus massivem Holz, nach maschinengerechten Entwürfen von Riemerschmid (Abb.191) und Karl Schmidt, in größerem Stile und mit vielversprechendem Erfolg aufgenommen, nachdem bereits 1902 auf handwerklicher Basis >Typenmöbel< gefertigt wurden. Von 1896 bis 1903 hielt sich der Architekt Hermann Muthesius (1861-1927) als Kulturattache an der Deutschen Botschaft in London auf, wo er sich mit dem Studium der zeitgenössischen englischen Architektur, vor allem des Wohnhauses, und der Situation der angewandten Kunst beschäftigte. In verschiedenen Büchern, die in Deutschland großes Interesse fanden, setzte er sich für eine »zweckmäßige, sachliche und zeitgemäße« Formgebung ein (Abb.194, 196). Seiner Ansicht nach stand man »nicht mehr vor einer eigentlich kunstgewerblichen Bewegung, sondern vor einer Neugestaltung unserer gesamten menschlichen Ausdrucksformen . . . Es gibt nur ein menschliches Gestalten« und »dieselben Gestaltungstendenzen kehren wieder beim Kunsthandwerker, beim Architekten, beim Ingenieur, beim Werkzeugverfertiger, beim Schneider, bei der Putzmacherin . . .« 1907 wurde der Deutsche Werkbund, an dessen Zustandekommen Muthesius wesentlich beteiligt war, gegründet. Sein Ziel war es, mit dem Zusammenschluß von Vertretern aus Kunst, Handwerk, Industrie und Handel das Niveau der gewerblichen 189. Heinrich Tessenow. Entwurf für ein Schlafzimmer, um 1908. Die einfachen Entwürfe Heinrich Tessenows waren die Grundlage einer menschenwürdigen Einrichtung für die arbeitende Bevölkerung. 192. Richard Riemerschmid. Erker im Wohnzimmer des Hauses Arthur Riemerschmid, Pasing bei München, 1909. Riemerschmids große Leistung war der Versuch, seinen Entwürfen jene Einfachheit zu geben, die in den englischen Arbeiten um diese Zeit zum Ausdruck kommt. Muthesius' Urteil über das englische Haus mag die Arbeit Riemerschmids beeinflußt haben: »Der englische Hausbewohner will in seinem Haus Ruhe haben. Eine saubere Behaglichkeit, das ist es, worauf es ankommt. Ein Mindestmaß von >Formen< und ein Höchstmaß von ruhiger, behäbiger, aber dennoch frischer Stimmung ... 27« 190. Bruno Paul. Entwurfszeichnung eines Stuhls, um 1900. Archiv der Vereinigten Werkstätten für Kunst im Handwerk, München. Ein Entwurf, der etwa gleichzeitig mit den Arbeiten Bruno Pauls für das Jagdzimmer auf der Weltausstellung in Paris, l90O, entstand. Während dort die Stühle der Formensprache des Jugendstils folgen, versucht Paul bei diesem Entwurf, eher von Möbelformen des Empire auszugehen. 191. Richard Riemerschmid. Angeblich erster Maschinenstuhl, nach 1906. Die Neue Sammlung, München. Ein wesentlicher Versuch, das seit Jahren in den Kreisen der Gilden und Werkstätten diskutierte Problem Kunst und Industrie zu lesen. Die industrielle Fertigung beeinträchtigt die Bequemlichkeit des Stuhles keinesfalls. 89 Produktion zu verbessern. Auf der Dresdner Kunstgewerbe-Ausstellung von 1907, die der Anstoß zur Werkbundgründung war, sah man maschinell hergestellte Produkte wie etwa Serienmöbel, Öfen und Eisenbahnwaggons, die gleichzeitig mit kunstgewerblichen Gegenständen präsentiert wurden. Die Arbeit des Deutschen Werkbundes beeinflußte ganz Europa. 1910 entstand der Österreichische, 1913 der Schweizerische Werkbund. 1915 wurde in England die >Design and Industries Association< ins Leben gerufen, die ebenfalls ihre 193. Richard Riemerschmid. Entwurfszeichnung von Stühlen für die Weltausstellung in Paris, 1900. Städtische Galerie, München. Nachlaß Riemerschmid. Diese Stühle Riemerschmids, in gewissem Sinn eine Vorwegnahme dänischer Entwürfe der frühen Nachkriegszeit, haben weite Verbreitung gefunden. Liberty in London nahm sie in das Verkaufsprogramm auf. 90 Zielsetzung am Deutschen Werkbund orientierte. Einen Höhepunkt in der Geschichte des Werkbundes bildete die Ausstellung 1914 in Köln (Abb. 195, 197, 198), vor allem durch die bei der gleichzeitig abgehaltenen Tagung zutage getretene Kontroverse Muthesius-van de Velde über die Frage der Typisierung. Durch den Beginn des Ersten Weltkrieges wurde diese zwar umstrittene, jedoch für die weitere Entwicklung des Werkbundes wesentliche Ausstellung um den verdienten Erfolg gebracht. Die nach dem Krieg weitergeführte Arbeit gipfelte 1927 in der WerkbundAusstellung >Die Wohnung< mit der Weißenhofsiedlung in Stuttgart (Abb. 26, 199, 200). Mies van der Rohe, damals Vizepräsident des Werkbundes, hatte die führenden europäischen Architekten aufgefordert, Beiträge zur Konzeption und Konstruktion des modernen Wohnhauses in einer Musterausstellung zu verwirklichen. Diese Ausstellung hatte als letzte gemeinsame Leistung aller Pioniere der modernen Architektur starken Einfluß auf die Raumvorstellungen und auf den Möbelbau der dreißiger Jahre. 195. Karl Arnold. Karikatur zur WerkbundAusstellung in Köln, 1914. Aus dem Simplicissimus. Die Karikatur bezieht sich auf jene wichti ge Diskussion auf der Kölner WerkbundAusstellung, in der die Frage der Typisierungen und die Stellung des >Künstlers< zur Sprache kamen. 196. Hermann Muthesius. Kleider- und Wäscheschrank für das Schlaf- oder Ankleidezimmer, oben für Herren, unten für Frauen. Zeichnung aus dem Buch Wie baue ich mein Haus. Ein Versuch, brauchbare u praktische Möbel zu schaffen, wobei die Überlegungen über den möglichen Inhalt sehr ins Detail gehen. Muthesius weist besonders auf die Annehmlichkeiten des begehbaren Kleiderschrankes hin. Aus den Leitsätzen von Hermann Muthesins: »Die Architektur und mit ihr das ganze Werkbundschaffensgebiet drängt nach Typisierung und kann nur durch sie diejenige allgemeine Bedeutung wiedererlangen, die ihr in Zeiten harmonischer Kultur eigen war.« Gegen-Leitsätze Henry van de Veldes: »Solange es noch Künstler im Werkbund geben wird und solange diese noch einen Einfluß auf dessen Geschicke haben werden, werden sie gegen jeden Vorschlag eines Kanons oder einer Typisierung protestieren. Der Künstler ist seiner innersten Essenz nach glühender Individualist, freier spontaner Schöpfer...« 194. Hermann Muthesius. Kaminnische, unter einer Treppe gelegen. Zeichnung aus dem Buch Wie baue ich mein Haus 28. Muthesins' Zeichnungen verraten den Einfluß der Engländer - eine Vorliebe, die er mit Adolf Loos teilt. Die Kaminnische (mit niederer Raumhöhe und Sitzbänken) hat Loos bei vielen seiner Wohnungseinrichtungen verwendet. Dem Buch, das als Leitfaden für Bauherrn gedacht war und sich im wesentlichen auf das Einfamilienhaus bezieht, setzt er das Goethe-Wort voraus: »Mag man doch immer Fehler begehen, bauen darf man keine.« 91 197. Walter Gropius. Schlafwageneinrichtung,1914 auf der WerkbundAusstellung in Köln gezeigt. Die Schlafwagengestaltung (im Gegensatz zu Amerika als völlig abgeschlossener, sehr persönlicher Bereich) gab dem Architekten Gelegenheit, auf kleinstem Raum brauchbare und variable Möbel zu schaffen - im wesentlichen bereits eine Aufgabe des >Industrial Design<. 198. Walter Gropins. Werkbund-Ausstellung in Köln, 1914. Dachgarten und Restaurant auf dem Bürogebäude. Auch bei der Planung für Industrie und Verwaltung war es ein Anliegen der Architekten, eine humanere Atmosphäre der Arbeitswelt zu schaffen. Vorschläge wie das Restaurant im Bürogebäude zeugen davon. 199. Ludwig Hilberseimer. Kleines Eßzimmer mit Durchreiche. Werkbund-Ausstellung, Weißenhofsiedlung, Stuttgart, 1927. 200. Hans Poelzig. Schlafzimmer, Werkbund-Ausstellung, Weißenhofsiedlung, Stuttgart, 1927. Führende Architekten, die nicht bei den Bauten selbst beteiligt waren, haben Inneneinrichtungen für die Häuser geschaffen. Sehr oft wurden Möbel aus der industriellen Fertigung, wie zum Beispiel von Thonet für das Eßzimmer von Ludwig Hilberseimer, verwendet. Manchmal aber, etwa im Schlafzimmer von Hans Poelzig, werden Formen sichtbar, aus denen in den dreißiger Jahren die modernistischen >Rundbaumöbel< entstanden. 92 Die Wiener Schule der Zwischenkriegszeit Die große Zeit der Wiener Schule, geprägt von Otto Wagner, Adolf Loos und der Wiener Werkstätte, war eine Zeit positiver Uberlegungen und fruchtbarer Auseinandersetzungen gewesen. Sie wurde mit Beginn des Ersten Weltkrieges abrupt unterbrochen. Otto Wagner starb 1918, Adolf Loos ging zeitweise nach Paris, die Wiener Werkstätte hatte mit den Schwierigkeiten der Inflation nach dem Ende der Österreichisch-Ungarischen Monarchie zu kämpfen und sollte schließlich der Krise der Zwischenkriegszeit zum Opfer fallen. Die bedeutenden Möbelfirmen Wiens, die auch Bürgertum und Geldadel des Balkans mit handwerklich hervorragenden Möbeln versorgt hatten, sahen sich plötzlich von ihren Auftraggebern abgeschnitten. Jedoch stand die Zeit nach dem Ersten Weltkrieg immer noch unter dem Einfluß der Lehre Otto Wagners und der Leistungen von Josef Hoffmann, Josef Frank (1885-1967) und Oskar Strnad (1879-1935), die an der Kunstgewerbeschule in Wien lehrten. Die Architekten der Nachkriegszeit, unter ihnen die hervorragend ausgebildeten Schüler Otto Wagners, mußten sich auf das Einrichten von Wohnungen und den Ausbau von Geschäften konzentrieren, soweit sie nicht für das umfangreiche soziale Wohnbauprogramm der Stadt Wien tätig waren. Das Luxusmöbel des Fin de siecle mußte nun in Ubereinstimmung mit einer weniger begüterten Umwelt gebracht werden. In den Mietshäusern der vergangenen 201. Oskar Strnad. Sekretär im Wohnraum des Architekten, um 1930. Großer Wert wurde hier auf die sorgfältige Modellierung des leichten Möbels gelegt. 202. Einrichtungshaus >Haus und Garten<. Verschiedene Beispiele von Abstelltischen, in Grundform und Aufbau vielfältig gestaltet, um 1930. Erich Boltenstern schreibt im Vorwort des von ihm herausgegebenen Buches Wiener Möbel 29: »Das heutige Wiener Möbel, so wie wir es in unseren Bildern vorführen, ist ohne die hohe Tradition im österreichischen Möbelhandwerk nicht denkbar und erst voll verständlich, wenn man erkennt, an welche Epochen der Vergangenheit es anknüpft.« Epochen, vor allem der Ringstraßenzeit, entstanden stille Wohnungen in der Tradition des Biedermeier. Hier wie dort waren die Möbel einfach gehalten, aber gut proportioniert und im Einklang mit dem Raum. Die Architekten der bis 1932 bestehenden Wiener Werkstätte, die Gruppe um Oskar Strnad, und auch das hervorragende Einrichtungshaus >Haus und Garten<, für das Josef Frank und Oscar Wlach tätig waren, gestalteten Wohnungen, die bald bekannt und geschätzt wurden (Abb. 201, 202). An eine Serienproduktion der Möbel war jedoch angesichts der wirtschaftlichen Depression nicht zu denken. Sogar das Haus Thonet mußte sich zum Zusammenschluß >Thonet-Mundus< unter einem branchenfremden Generaldirektor entschließen. Die Möbel der Zwischenkriegszeit entstanden im engen Einvernehmen zwischen den Architekten und den immer noch gut geschulten Schreinerwerkstätten, jedes Detail trug den Stempel liebevoller Entwurfsarbeit. Eine Sonderstellung unter den Wiener Architekten nahm damals der Behrens-Schüler Ernst Anton Plischke (geb. 1903) ein. In ihm, der Mitte der dreißiger Jahre nach Neuseeland auswanderte, nach dem Zweiten Weltkrieg aber an die Akademie der bildenden Künste in Wien berufen wurde, hatte Österreich einen Vertreter der neuen puristischen Richtung. Seine Arbeiten gingen eher auf das Bauhaus und vielleicht auf japanische Formvor- 205. Ernst Anton Plischke. Wohnschlafraum, 1933. Möbel aus Nußholz, Bodenbespannung grau, Bettbezüge aprikosenfarben, Polster sandfarben und braun. Die kleine Stadtwohnung entstand durch Teilung einer städtischen Großwohnung. Die Klarheit, aber auch Kargheit der Formen und Möbel sind eher atypisch für eine Wohnungseinrichtung dieser Zeit in Wien. 206. Ernst Anton Plischke. Sommerhaus eines Künstlers am Attersee, 1933/34. Möbel im Atelierraum. Der Atelierraum, dessen Fensterband einen Rundblick auf den See gewährt, betont durch seinen Charakter die >Sommerwohnung<. Die sparsame Möblierung sowie die sichtbaren Säulen der Holzskelettbauweise erinnern an das Grundkonzept des japanischen Hauses. 93 203. Josef Frank. Schreibtisch aus Pyramiden-Mahagoni, furniert und massiv verarbeitet, Tischblatt mit Lederbelag, vor 1926. Ein Möbel, das durch die Qualität der präzisen Durchbildung seiner Details Absetzen der oberen Schreibtischplatte, die Furniere werden über die massiven Kanten der Schubladenfronten gezogen - beste Wiener Handwerkstradition darstellt. 204. Josef Frank. Teesalon, errichtet im Österreichischen Museum für Kunst und Industrie zur Werkbund-Ausstellung in Wien, 1930. Josef Frank, verantwortlich auch für die Werkbund-Siedlung 1932 in Wien (die im wesentlichen dem Konzept der Stuttgarter Weißenhofsiedlung folgen sollte - etwa sechzig Häuser wurden von inund ausländischen Architekten gebaut und eingerichtet), versucht hier, durch schwungvolle Gestaltung und Lackierung dem Bugholzmöbel neue Aspekte zu verleihen. Das Schleiflack-Möbel war typisch für die dreißiger Jahre in Wien. stellungen zurück als auf traditionelle Quellen (Abb. 205, 206). Mit seinen strengen Möbeln näherte er sich am weitesten dem Internationalen Stil der dreißiger Jahre. Vergleicht man die Wiener Möbel dieser Zeit mit den frühen modernen Formen in Schweden oder Dänemark, so wird eine erstaunliche Parallele sichtbar. Liebe zum Detail und großes handwerkliches Können führten zu ähnlichen Ergebnissen: Möbel aus handwerklicher Fertigung, die leicht, beschwingt und undogmatisch wirkten. Dies könnte der Grund dafür sein, daß Josef Frank (Abb. 203, 204), einer der bedeutendsten Wiener Architekten, gerade nach Schweden emigrierte, wo er in Zusammenarbeit mit der Firma >Svenska Tenn< seine in Wien gesammelten Erfahrungen weitergab. Mit dem Beginn des Zweiten Weltkrieges ging auch die Zusammenarbeit zwischen den Architekten, die gleichzeitig Möbelentwerfer waren, und den hervorragenden Handwerkern und Fabrikationsbetrieben mit ihren geschulten Fachkräften und damit ein bedeutender Abschnitt der Möbelgeschichte zu Ende. 94 Vom Stijl zum Internationalen Stil Die Möbel des Stijl: gebaute Theorie, gebautes Manifest Um 1917 schloß sich in der holländischen Stadt Leiden eine Gruppe von Malern, Architekten und Schriftstellern zusammen, die sich >De Stijl< nannte und sich eine »radikale Erneuerung der Kunst« zum Ziel gesetzt hatte. Der in der Malerei von Piet Mondrian und Theo van Doesburg entwickelte >Neoplastizismus<, von einer klaren geometrischen Ordnung bestimmt und auf dem Kubismus aufbauend, wurde auf andere Gebiete der Kunst und auf die Architektur übertragen. Die sogenannte >Neue Gestaltung< wurde zum Leitbegriff des Stijl. Ausgangspunkt der Stijl-Architektur war der Kubus. Die Begrenzung der Räume durch autonome Flächen, die im rechten Winkel zueinander standen, wurde jedoch nicht statisch aufgefaßt, sondern als Teil eines ins Unendliche erweiterbaren Prinzips verstanden (Abb. 207). So war das Gebäude zumindest theoretisch ein Teil des gedachten Umraumes. Vom Vorbild Mondrians ausgehend, setzte man ausschließlich die Primärfarben Rot, Blau und Gelb ein; Weiß, Schwarz und Grau kamen nur als Kontrastfarben in Frage. Die wenigen realisierten Innenräume, wie Theo van Doesburgs Cafe und Kino >Aubette< in Straßburg (Abb.208) oder Gerrit Thomas Rietvelds Wohnhaus Schröder in Utrecht (Abb. 209, 210), waren konsequent nach diesen Grundsätzen gestaltet. Theo van Doesburg (1883-1931) schrieb 1929 in einem retrospektiven Artikel: »Anstatt das einmal Gefundene zu wiederholen, wollten wir Architektur und Malerei zu einer vorher noch kaum geahnten Höhe und in engsten gestaltenden Zusammenhang bringen. Das Haus wurde zergliedert, in seine plastischen Elemente zerlegt. Die statische Achse der alten Konstruktion wurde zerstört; das Haus wurde ein Gegenstand, den man von allen Seiten umkreisen kann. Diese analytische Methode führte zu neuen Konstruktionsmöglichkeiten und zum neuen Grundriß. Das Haus kam frei vom Boden, und das Dach wurde zur Dachterrasse, sozusagen zu einer >offengelegten< Etage. Damals waren diese Probleme vollständig neu, und keiner hat sich so ernsthaft wie die jungen holländischen Architekten und Maler damit befaßt.30« Die Möbel von Gerrit Thomas Rietveld (1888-1964) sind technisch neue Konstruktionen, die mit überlieferten tischlermäßigen Ausführungen kaum mehr etwas zu tun haben und in ihrem Aufbau wie in ihrer Farbgebung als Manifest verstanden werden müssen (Abb. 209-215). Sie sind, ebensowenig wie die Innenräume, >begrenzt< oder >stabil<. Viele Uberlegungen, die den Stijl-Möbeln zugrunde liegen, scheinen von der japanischen Raumauffassung und der von Godwin in den europäischen Bereich übersetzten fernöstlichen Möbelform beeinflußt zu sein. Rietvelds Möbel wurden von Theo van Doesburg analysiert: »Dieses Möbel beantwortet durch seine neue Form die Frage, inwieweit Bildhauerei im modernen Interieur eine Rolle spielen wird. Unsere Stühle, Tische und Schränke und andere zweckgebundene Gegenstände sind die >abstrakt-realen< Skulpturen unserer zukünftigen Einrichtung. Bezüglich ihrer Konstruktion schrieb uns Rietveld die folgenden Zeilen: >Man hat mit diesem Stuhl den Versuch unternommen, jeden 207. Theo van Doesburg und Cor van Eesteren. Studien für ein Wohnhaus, 1923. Konstruktion und Raumprinzipien als Grundlage der Architekturtheorie des Stijl sind ebenso vom Kubismus beeinflußt wie von den Bauten Frank Lloyd Wrights. Die Zeichnung unten zeigt den Versuch, die Verbindung mit dem Außenraum herzustellen. Die Ubersetzung in die Praxis (Zeichnung oben) gelingt allerdings nicht vollständig, lediglich vorgezogene Dächer und farblich abgesetzte Wände weisen auf die theoretischen Prinzipien hin. 208. Theo van Doesburg. Cafe und Kino >Aubette<, Straßburg, 1927 (zerstört). 95 209. Gerrit Thomas Rietveld. Obergeschoß im Haus Schröder, Utrecht, 1924 Mit dem Entwurf des Hauses Schröder gelang es Rietveld, den ersten tatsächlich variablen Raum zu schaffen: das obere Geschoß, nach allen Seiten offen und den Garten optisch mit einbeziehend, kann durch Schiebewände in vier individuell benützbare Räume geteilt werden. 210. Gerrit Thomas Rietveld. Sitzecke im Obergeschoß des Hauses Schröder mit den >Zickzack<-Stühlen von 1934. Aufnahme aus dem Jahr 1964. Auch in ihrem zeitlichen Ablauf (durch mehr als 45 Jahre) wurde die Einrichtung, aber auch die Raumnutzung gemäß der Veränderung der Familienverhältnisse der Bewohner verändert, ohne daß die Grundlagen der StijlTheorien aufgegeben werden mußten. Der >Zickzack<-Stuhl von 1934 war das einzige Möbel Rietvelds, das in Serien von jeweils zwanzig Stück erzeugt wurde. 96 Teil sehr einfach zu lassen, das heißt eine primäre Form zu wählen, die übereinstimmt mit der Art der Funktion und dem Material, in einer Form also, die am geeignetsten ist, Harmonie hervorzurufen. Die Konstruktion hilft mit, die einzelnen Teile ohne die geringste Verstümmelung miteinander zu verbinden, und zwar derart, daß kein Teil den anderen überwiegend überdeckt oder daß der eine sich dem anderen unterordnet. Auf diese Weise steht das Ganze frei im Raum. Die Form ist durch das Material entstanden 31<« Grundlage für die Möbel des Stijl waren zwar kunsttheoretische Überlegungen; viele Entwürfe hätten jedoch ohne weiteres eine maschinelle Produktion zugelassen. Manche in späteren Jahren entstandene Möbel Rietvelds wurden in kleineren Serien hergestellt, so zum Beispiel die >Crate Furniture< aus dem Jahre 1934 (Abb. 211, 212), zerlegbare Möbel, die der Käufer selbst zusammensetzte. Der >Zickzack<Stuhl (Abb. 210), Rietvelds Serienstuhl, fand zahlreiche Nachahmer und wird heute wieder gebaut. Die intensive theoretische und journalistische Tätigkeit Theo van Doesburgs, der zahlreiche Vorträge hielt und Ausstellungen veranstaltete, beeinflußte ebenso wie die wenigen ausgeführten Arbeiten die für theoretische Uberlegungen besonders aufgeschlossenen Architekten der Kriegsgeneration. Vor allem sind die frühen Bauhausjahre ohne die >Neue Gestaltung< des Stijl, ohne Mondrian und van Doesburg, der junge Marcel Breuer ohne die Arbeiten Rietvelds nicht denkbar. Stark von den Ideen des Stijl bestimmte Möbel mit hohem Gebrauchswert entwarf der aus Wien stammende Rudolf M. Schindler (1897-1953) für seine kalifornischen Häuser der dreißiger Jahre: einfache, schlichte, billige Wohnungseinrichtungen, die eine größere Beachtung verdient hätten. Die Raumidee des Stijl - der kubische Raum, dessen Wände keine trennende, sondern nur eine gliedernde Funktion hatten - wurde zur elementaren Grundlage des Raumkonzeptes des Internationalen Stils. Hierbei erweist sich die Stärke einer ideellen Konzeption und eines Manifestes, das, obwohl aus der Theorie nur wenige praktische Anwendungsbeispiele geschaffen werden konnten, bis in die heutige Zeit wirksam blieb. 211, 212. Gerrit Thomas Rietveld. >Crate Furniture<: Sessel und Tisch aus OregonPine, 1934. Stedelijk Museum, Amsterdam. Die 1934 entworfenen >Crate Furniture~ konnten von den Käufern zusammengebaut werden, eine frühe, äußerst praktische und sicherlich auch billige Form des Cash-andCarry-Möbels. 213. Gerrit Thomas Rietveld, auf der ersten Version des >Rot-Blau<-Stuhls sitzend, zusammen mit den Schreinern seiner Möbel, um 1918. Rietveld, wie sein Vater Schreiner, hatte zwischen 1911 und 1915 Abendkurse für Architektur besucht. Als er den >RotBlau<-Stuh! entwarf - wohl sein berühmtester Möbelentwurf -, war er noch nicht Mitglied der StijlGruppe. 97 214. Gerrit Thomas Rietveld. Anrichte, um 1919. Stedelijk Museum, Amsterdam. Die 1919 entstandene Anrichte, von Godwins Möbeln stark beeinflußt, versucht von überlieferten geschlossenen Holzkonstruktionen abzugehen. Der Gesamtkubus des Möbels wird in einzelne Teile zerlegt. 215. Gerrit Thomas Rietveld. >RotBlau<Stuhl, 1918. Die Neue Sammlung, München. Frau Schröder (in einem Brief an Rietveld) über diesen Stuhl: »Aber ein Stuhl als Möbelstück hat noch andere Aufgaben als bequem oder >nicht unbequem< auszusehen oder zu sein. Er wie andere Möbel sollen dazu beitragen, den Raum eines Zimmers spürbar zu machen, um Innenraum zu schaffen: Innenarchitektur als sinnliche Perzeption von Raum, Farbe, etc. . .32« 98 Das Bauhaus: Synthese von Kunst, Handwerk und Industrie Aus der Großherzoglich-Sächsischen Kunstgewerbeschule, die Henry van de Velde 1906 gegründet hatte und die noch stark den Ideen von William Morris und John Ruskin verpflichtet gewesen war, und der Großherzoglich-Sächsischen Hochschule für bildende Kunst entstand 1919 unter der Leitung von Walter Gropius das >Staatliche Bauhaus Weimar<, die für die Entwicklung der Architektur und des Design im zwanzigsten Jahrhundert wichtigste Schule Um die Anfänge des Bauhauses richtig verstehen zu können, muß man sich die Situation in Weimar nach dem Ende des Ersten Weltkrieges vorstellen. Henry van de Veldes Kunstgewerbeschule war 1916 aufgelöst und als Lazarett benützt worden, ihre Einrichtungen waren nicht mehr vorhanden. Das Baubaus mußte also ohne Maschinen und Werkzeuge den Werkstättenbetrieb aufnehmen; er begann zögernd um 1921/22. Bei allen Fragen der Gestaltung stand deshalb zwangsläufig in den ersten Jahren die theoretische Arbeit im Vordergrund, da nicht genügend Möglichkeiten existierten, sie in die Praxis umzusetzen. Zunächst zeigten sich verschiedene, teilweise recht widersprüchliche Stiltendenzen: neben expressionistischen Einflüssen, denen als Folge der politischen Ereignisse nach dem Krieg fast alle 99 218. Marcel Breuer. Sessel in Holzkonstruktion, Sitzfläche und Rückenlehne mit Roßhaargurten bespannt. Lehrlingsarbeit, 1922. Die ersten Entwürfe Breuers zeigen noch den Einfluß der Theorie der Stijl-Bewegung und der Arbeiten Rietvelds. 219. Marcel Breuer. Bett aus Zitronenholz mit Nußbaum für das Zimmer der Dame im >Musterhaus< der Bauhaus-Ausstellung, Weimar, 1923 (vgl. Abb.221-223). 220. Josef Albers. Sitzungstisch aus heller und dunkler Eiche für die Einrichtung des Direktions-Warteraums, Bauhaus Weimar, 1923. Auch bei Albers, der sich in den ersten Bauhausjahren viel mit Sitzmöbeln beschäftigt hat, tritt das Konstruktive im Möbelbau stark hervor. 216. Walter Gropius. Zimmer des Direktors im Weimarer Bauhaus, 1923. Schreibtisch aus Kirschbaum, mit Glasregal. Die Möbel und die konstruktivistische Lampe, von Gropius entworfen, wurden ebenso wie die Teppiche in den Bauhaus-Werkstätten von den Studierenden hergestellt. 217. Photomontage mit Stühlen Marcel Breuers von 1921-25, veröffentlicht in der Zeitschrift Bauhaus, Heft 1, 1926. Unter dem Titel »Es geht uns mit jedem Tag besser« erschienen. Unterschrift zur letzten Abbildung: »Am Ende sitzt man auf einer elastischen Luftsäule.« bedeutenden Architekten zumindest für kurze Zeit ausgesetzt waren, neigte man stark fernöstlichem Gedankengut zu. Vor allem aber wurden Züge des durch die Revolution in Rußland entstandenen Konstruktivismus und der holländischen StijlBewegung zu einer Lehre verschmolzen, die deutlich politischen Charakter trug. Das Bauhaus verdankte seine Stellung und seine erstaunliche Standfestigkeit gegenüber den Angriffen konservativer Kreise in erster Linie dem diplomatischen Geschick seines großen Lehrers Walter Gropius (1883-1969, Abb.216), der es verstand, aus einer großen Zahl von Künstlern und Individualisten eine Schule und schließlich eine Bewegung zu formen. Sein Hauptziel, das schon in der Zusammenlegung der beiden Weimarer Schulen zum Ausdruck gekommen war, lag darin, die Trennung zwischen Künstler und Handwerker aufzuheben. Der von Gropius geforderte Künstler-Handwerker sollte Erfahrung im Umgang mit den Materialien ebenso besitzen wie Kenntnisse in der Theorie der Formgebung, um dadurch Gesamtzusammenhänge erkennen und den Gegenständen eine den Materialien entsprechende Form gehen zu können. So sah der Lehrplan des Bauhauses zwei parallele Kurse vor, die >Werklehre< und die >Formlehre<. 1925 schrieb Gropius in seinen »Grundsätzen der Bauhausproduktion«: »Das Bauhaus will der zeitgemäßen Entwicklung der Behausung dienen, vom einfachen 100 Hausgerät bis zum fertigen Wohnhaus. In der Uberzeugung, daß Haus und Wohngerät untereinander in sinnvoller Beziehung stehen müssen, sucht das Bauhaus durch systematische Versuchsarbeit in Theorie und Praxis - auf formalem, technischem und wirtschaftlichem Gebiet - die Gestalt jedes Gegenstandes aus seinen natürlichen Funktionen und Bedingtheiten heraus zu finden ... Ein Ding ist bestimmt durch sein Wesen. Um es so zu gestalten, daß es richtig funktioniert - ein Gefäß, ein Stuhl, ein Haus -, muß sein Wesen zuerst erforscht werden; denn es soll seinem Zwecke vollendet dienen, das heißt, seine Funktionen praktisch erfüllen, haltbar, billig und >schön< sein. Diese Wesensforschung führt zu dem Ergebnis, daß durch die entschlossene Berücksichtigung aller modernen Herstellungsmethoden, Konstruktionen und Materialien Formen entstehen, die, von der Überlieferung abweichend, oft ungewohnt und überraschend wirken ... Das Bauhaus will ... einen neuen, bisher nicht vorhandenen Typ von Mitarbeitern für Industrie und Handwerk heranbilden, der Technik und Form in gleichem Maße beherrscht ... Das Bauhaus vertritt die Ansicht, daß der Gegensatz zwischen Industrie und Handwerk weniger durch den Unterschied des Werkzeuges gekennzeichnet wird, als vielmehr durch die Arbeitsstellung dort und die Arbeitseinheit hier ... Das Handwerk der Vergangenheit hat sich verändert, das zukünftige Handwerk wird in einer neuen Werkeinheit aufgehen, in der es Träger der Versuchsarbeit für die industrielle Produktion sein wird.« Ende 1920 kam Marcel Breuer (geb. 1902), der von Anfang an entscheidend an der Entwicklung des Bauhausmöbels beteiligt war, als Schüler an das Bauhaus. Seine Entwürfe zeigten zunächst noch deutliche Einflüsse des Expressionismus, des Stijl und des Konstruktivismus; sein Hauptinteresse galt jedoch bald den Fragen der Standardisierung im Möbelbau, dann auch in der Architektur (Abb. 217-219). Schon 1922 stellte er eine modulare Anbauküche vor, eine für die damalige Zeit revolutionäre Neuheit. 1924 übernahm Breuer die Leitung der Möbelabteilung, und mit der Errichtung des Bauhauses in Dessau (1925-26, Abb. 226-228), wohin die Schule aus politischen Gründen verlegt werden mußte, bot sich für ihn die erste große Möglichkeit, seine theoretischen und praktischen Erkenntnisse anzuwenden. Experimente, wie die neuartige Konstruktion der Stühle in der Aula (Abb. 231) und der Hocker in der Kantine aus nahtlos gezogenen Mannesmann-Stahlrohren, waren mit der Ausgangspunkt. 221-223. Räume aus dem >Musterhaus< der Baubaus-Ausstellung in Weimar, 1923. 221. Blick vom Kinderzimmer durch den Eßraum in die Küche. 222. Die Küche. 223. Das Zimmer der Dame. Das Haus wurde nach einem Entwurf von Georg Muche errichtet. Die relativ kleinen Räume um das zentrale hohe Wohnzimmer waren auch in der Höhe niedriger gehalten. Versuch einer Raumdifferenzierung wie bei Adolf Loos. Die Möblierung, kubisch und manchmal massiv, wirkt noch uneinheitlich. Die Kuben im Kinderzimmer sind als Sitzmöbel, aber auch als >Bausteine< zu verwenden. Der Wandschrank kann zum Kasperltheater verwandelt werden. Das Zimmer der Dame mit Möbeln nach Entwürfen von Marcel Breuer (vgl. Abb. 219). 101 224. Alma Buscher und Marcel Breuer. Kinderzimmer in Dresden. Entwurf 1923, Ausführung 1927. Die kubischen Möbelformen führen zwangsläufig zu einem strengen Raumaufbau, der nur durch die unterschiedliche Farbigkeit gemildert wird. Der >Wassily<-Stuhl (Abb. 229), Breuers erster Stahlrohrstuhl aus dem Jahre 1925, ist heute wieder auf den Markt gekommen. Er war aus vernickelten, kaltgezogenen Mannesmann-Rohren hergestellt, deren Verbindungspunkte verschweißt wurden, und hatte Gleitkofen. Sein erstes Fahrrad gab Breuer die Anregung, Stahlrohr auch für den Möbelbau zu verwenden. Er schrieb dazu: »Es schwebte mir damals schon vor, die dicke Polsterung des Sitzes durch eine Stoffbespannung zu ersetzen. Ebenso wollte ich einen elastischen und federnden Rahmen. Durch das Zusammenwirken des gespannten Stoffes mit den elastischen Rahmenelementen sollten die Möbel mehr Sitzkomfort bieten und doch nicht plump wirken. Auch versuchte ich, eine gewisse Transparenz der Form zu erreichen und damit eine sowohl optische als auch physikalische Leichtigkeit. Bei meinen Bemühungen um Serienanfertigung und Standardisierung stieß ich sehr bald auf poliertes Metall, auf strahlende, reine Linien im Raum als neue Bestandteile unserer Wohnungseinrichtungen. In diesen glän- 225. Alma Buscher. Spielschrank, 1923. Bewegliche Kästchen sind als Tisch, Stuhl und Wagen verwendbar, Schranktüren werden zum Kasperltheater. Die Idee der vielseitigen Verwendbarkeit von Kinderzimmermöbeln wird später immer wieder aufgegriffen 102 zenden und geschwungenen Linien sah ich nicht nur Symbole der modernen Technik, sondern die Technik überhaupt. 33« Allerdings war die Erfindung des Stahlrohrmöbels keine ausschließliche Angelegenheit Breuers oder des Bauhauses. Die Entwicklung lag in der Luft - vielleicht durch die Suche nach einer dem Bugholzstuhl ebenbürtigen Konstruktion aus Stahl. Sehr bald kamen Mart Stam und Mies van der Rohe, beide zwar dem Bauhaus nahestehend, aber zu dieser Zeit nicht angehörend, mit ähnlichen Modellen heraus. Mart Stam (geb. 1899) nahm 1926 an einer Vorbereitungskonferenz zur WerkbundAusstellung in Stuttgart teil. Bei dieser Gelegenheit beschrieb er einen Prototyp für einen Stahlrohrstuhl ohne Hinterbeine - das erste Möbel dieser Art, das dann unter der Bezeichnung >S34< in Serie ging (Abb. 234). Um der Ermüdung des Materials vorzubeugen, wurden die Metallrohre durch ein zweites, eingeschobenes Rohr verstärkt. Einige Monate später stellte Mies van der Rohe seinen >MR<-Stuhl, einen 226. Walter Gropius. Veranda mit Eßplatz im Wohnhaus Gropins, Baubaus Dessau, 1925-26. Ausblick auf den Garten und die Doppelhäuser der Bauhausmeister. Stahlrohrmöbel und farbige Raumgestaltung nach Entwürfen von Marcol Breuer. 227. Wohnhaus Gropius. Toiletten-Nische im Gästezimmer. Stahlrohrmöbel von Marcel Breuer. Neben der Abteilung für Wandmalerei und der Metall-Werkstatt (Beleuchtungskörper) war vor allem die Tischlerei des Bauhauses mit der Ausstattung der Räume beschäftigt, um die Ideen Walter Gropius' und seiner Mitarbeiter für die Gestaltung der Meisterhäuser und der Wohnateliers für die Studierenden zu realisieren. »Reibungsloses, sinnvolles Funktionieren des täglichen Lebens ist kein Endziel, sondern bildet nur die Voraussetzung, um zu einem Maximum an persönlicher Freiheit und Unabhängigkeit zu gelangen« (Walter Gropius34) 228. Walter Gropius und BauhausWerkstätten. Wohnatelier eines Studierenden im Atelierhaus, Bauhaus Dessau, 1926. Einfachste Grundausstattung des persönlichen Bereiches der Studierenden vermittelt den Charakter einer >Studierzelle<. 103 229. Marcel Breuer. Stahlrohrsessel, 1925. Beim ursprünglichen Modell Bespannung des Sitzes und der Lehnen mit Stoff, ab 1965 von Gavina unter der Bezeichnung >Wassily< auch mit Lederbespannung produziert. Der erste von Marcel Breuer entworfene Stahlrohrsessel wurde außerhalb der Bauhaus-Werkstätten entwickelt und von der Berliner Firma Standard-Möbel, Lengyel & Co., hergestellt. 230. Josef Albers. Armlehnstuhl, Modell >ti 244<, 1929, aus Bugholz, Federpolster und Stahlrohr, auseinandergenommen. 231. Walter Gropius. Aula des Bauhauses Dessau, 1926. Stahlrohrstühle nach Entwurf von Marcel Breuer; Beleuchtungskörper aus der Metall-Werkstatt, die von Laszlo Moholy-Nagy geleitet wurde. Die Aula wurde auch für Versammlungen, Vorträge und Bühnenveranstaltungen benutzt. Die Idee des multifunktionalen Raumes wird durch das optisch.leicht wirkende Stahlrohrgestühl unterstrichen. 232. Walter Gropius. Gesellschaftsraum mit Cafe-Bar in der deutschen Abteilung der Internationalen Ausstellung in Paris, 1930, im Auftrag des Deutschen WerkBundes. Der deutsche Beitrag (Büchergalerie mit Lesenischen, Schreibplatz, Gymnastikraum) wurde von Walter Gropins unter Mitarbeit von Marcel Breuer, Herbert Bayer und Laszlo Moholy-Nagy gestaltet. Die durchgehende Verwendung von Stahl und Glas prägt die kühle, sachliche Atmosphäre des Bauhausstiles, der mit den ersten Auslandsausstellungen eine weltweite Wirkung erreichte. 104 wippenden, elastischen Stahlrohrstuhl, auf der Werkbund-Ausstellung vor. Die Stahlrohrmöbel entsprachen dem Grundgedanken des Funktionalismus, daß die Form der Funktion folgen solle, ebenso wie den Anforderungen der Serienproduktion. Selbstverständlich suchte das Bauhaus die Zusammenarbeit mit der Industrie, und es war für die Verbreitung der Stahlrohrmöbel von großer Bedeutung, daß nach anfänglichen, von Breuer außerhalb des Bauhauses mit der Firma Lengyel in Berlin getätigten Versuchen (Abb. 229) das Weltunternehmen Thonet die Serienfertigung übernahm und den Verkaufserfolg bis in die Zeit des Hitlerregimes sicherstellte. Breuer verließ 1928 das Bauhaus und arbeitete zunächst als Architekt und Innenraumgestalter in Berlin. Sein Interesse verlagerte sich mehr und mehr auf die Architektur, wobei er jedoch auch immer wieder Möbel entwarf, die in ihrer Verwendung von Aluminium und gebogenem Schichtholz neue Wege wiesen (Abb. 236, 237). Unter der Leitung von Josef Albers (1888-1976) entstanden in der >Ausbauwerkstatt< des Bauhauses Möbeltypen, die konstruktiv klar und für jedermann erschwinglich sein sollten (Abb. 230). Im Vordergrund standen Experimente mit Bugholz und zusammenklappbaren Stahlrohrmodellen. Unter Alfred Arndt (geb. 1898), bis 1931 Leiter der Werkstatt, gingen die Versuche noch weiter in Richtung der Anonymität. Arndt hielt, angesichts der schwierigen Wirtschaftslage dieser Jahre, die Entwicklung eines preiswerten, mit rationellen Methoden gebauten Möbels für vordringlich. So wurden normierte Bauteile entwickelt und Studien über die Möglichkeiten der Serienproduktion angestellt; der oft ins Sensationelle strebende Möbelbau für Ausstellungen spielte kaum noch eine Rolle. In den Jahren des Höhepunkts am Bauhaus war die Innenwerkstatt eine jener Einrichtungen, deren Zusammenarbeit mit der Industrie am besten funktionierte. Vom Entwerfer, dem ästhetisch wie gesellschaftskritisch geschulten Designer, führte der Weg über eine schulische Versuchswerkstatt zur Industrie, die ihrerseits mit Hilfe modernster, ebenfalls am Bauhaus entwickelter Werbegraphik diese Produkte bekannt machte. Unterstützt wurde die Entwicklung durch die um 1927 einsetzende weltweite Tätigkeit auf dem Feld der Ausstellungen. Die Werkbund-Ausstellung in Stuttgart (1927), die Internationale Ausstellung in Paris (1930, Abb. 232), die Bauhaus-Ausstellung in New York (1931) verbreiteten die kühle, sachliche und vielleicht etwas sterile Bauhausatmosphäre über die ganze Welt. Fast überall wurde die vom Bauhaus kreierte Form des Wohnens von der Avantgarde begrüßt und nachge- 233. Marcel Breuer. Hinterbeinloser Stuhl mit verchromtem Stahlrohrgestell, Sitz und Rückenlehne mit Rohrgeflecht auf lackiertem Bugholzrahmen, 1928. Wieder hergestellt seit 1965 von Gavina. 234. Mart Stam. Hinterbeinloser Stuhl >S34< mit verchromtem Stahlrohrgestell, 1926. Bei der frühen Ausführung sind Sitz und Rückenlehne mit Leinen bespannt. Ursprünglich von Thonet hergestellt. 235. Mies van der Rohe. Hinterbeinloser Sessel >MR< mit verchromtem Stahlrohrgestell, 1926. Ursprünglich hergestellt von Thonet mit Leinenbespannung, seit 1953 von Knoll International in Leder. Hans Wingler, der Direktor des BauhausArchivs in Berlin, schreibt dem Autor zur Frage der Urheberschaft: »Marcel Breuer hat im Jahr 1925 in Dessau als erster Stahlrohrstühle konstruiert. Dieses neue Material ermöglichte eine Reduktion der Masse. In statischer Hinsicht waren diese ersten Stahlrohrstühle den herkömmlichen hölzernen Stühlen aber insofern noch nah, als sie auf dem Boden punktuell aufruhten. Um 1927 hatte Mart Stam, soweit ich sehe als erster, den Gedanken, für die Konstruktion des Stuhles ein dem Durchmesser eines marktüblichen Gasrohres entsprechendes Stahlrohr zu verwenden und dieses so zu biegen, daß ein endloses Rohr entstand. Dadurch wurde ein Stuhl mit freischwingendem Sitz ermöglicht, und das Gestell ruhte auf dem Boden nun nicht mehr- punktuell auf, sondern liegend (drei Seiten eines Vierecks). Der Prototvp des Stuhles von Mart Stam wurde, soviel ich feststellen kann, erstmals in der Weißen Hofsiedlung 1927 gezeigt. Der zur Diskussion stehende Stuhl bzw. Sessel aus dem 105 Jahr 1928, den heute Thonet unter dem Urhebernamen Mart Stam und Knoll International unter dem Namen Marcel Breuer produziert, geht strukturell, also in der Form des Gestells, offenbar auf die Idee von Mart Stam zurück, während die Form und Montage des Sitzes und der Lehne (Bugholz und Rohrgeflecht) von Breuer stammen. 236. Marcel Breuer mit Alfred und Emil Roth. Mehrfamilienhäuser im Doldertal, Zürich, 1934. Wohnraum mit Blick auf die Terrasse. Die Verbindung von Holz- und Stahlrohrmöbeln, die Öffnung des Wohnraumes auf eine spitzwinklige Terrasse, die sich aus der Gesamtorientierung der Mehrfamilienhäuser ergibt, sind ein Beispiel für die Abwandlung der strengen Bauhaus-Ästhetik in den dreißiger Jahren. 237. Marcel Breuer. Eßzimmer im Haus Piscator, Berlin, 1927. Konsequente Anwendung der BauhausÄsthetik für eine Wohnungseinrichtung. Sparsamer Gebrauch von Möbeln, klare Wirkung des kubischen Raumes. ahmt. 1933 wurde das Bauhaus, das im Jahr zuvor nach Berlin verlegt worden war, von den Nationalsozialisten geschlossen. Seine Ideen und Methoden blieben jedoch wirksam: Viele Bauhauslehrer und -schüler gingen an Kunst- und Architekturschulen in Europa und Amerika, wo sie das fortschrittliche Gedankengut weiterentwickelten. Der soziale Hintergrund, den Weimar und Dessau boten, war jedoch zum größten Teil verloren. Als Idee blieb Walter Gropins' Vorstellung einer Architektengemeinschaft, wie er sie mit der TAC (The Architects Collaborative) verwirklicht hat. 106 Die Möbel des Internationalen Stils: Mies van der Rohe und Le Corbusier In der Architektur der späten zwanziger Jahre und der frühen dreißiger Jahre erreichte eine neue Form des Bauens ihren Höhepunkt und klassischen Ausdruck, die sich schon bei Sullivan und Loos angekündigt hatte und die in der Arbeit des Stijl und des Bauhauses unmittelbar vorbereitet worden war: der Internationale Stil. Dieser Begriff wurde 1932 von Henry-Russell Hitchcock und Philip Johnson in ihrem Buch The International Style, Architecture since 192235 geprägt. Sie schrieben: »An die Stelle der planlosen und unsicheren Tendenzen des neunzehnten Jahrhunderts, der konfusen und widersprüchlichen Experimente zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts ist eine sinnvolle Entfaltung getreten. Es gibt jetzt ein einziges Zentrum der Disziplin, straff genug, den zeitgenössischen Stil als Realität einzubeziehen, und doch elastisch genug, individuelle Interpretation zu ermöglichen und eine allgemeine Entwicklung zu fördern.« Die Grundzüge des Internationalen Stils definierten sie folgendermaßen: ». . . Erstens wird die Architektur als Volumen konzipiert, nicht als Masse. Zweitens dient nicht die axiale Symmetrie, sondern die Ordnung als wichtigstes Mittel, dem architektonischen Entwurf Klarheit zu verleihen. Diese beiden Grundsätze, zu denen als dritter die Verurteilung willkürlich angewandter Dekoration kommt, charakterisieren die Werke des Internationalen Stils.« Die sozialen, ästhetischen und technischen Grundlagen des Internationalen Stils hatten selbstverständlich auch für die Innenraumgestaltung Gültigkeit. So waren die neuen Raumkonzeptionen und die Prototypen von Walter Gropius, Marcel Breuer, Le Corbusier, Mies van der Rohe und Alvar Aalto für die Entwicklung des Möbels von gleicher Bedeutung wie ihre Bauten für die Architektur. 238. Ludwig Mies van der Rohe. Entwurf für das Haus Gericke, Berlin, 1930. Blick vom Eßplatz zum Wohnraum und Wohngarten. In dieser Skizze wird deutlich sichtbar, wie Mies van der Rohe mit Möbeln und Raum eine spannungsreiche Verbindung schafft. Die wohlproportionierte Kargheit stim;mt mit seinem Bekenntnis »weniger ist mehr« völlig überein. 107 239. Hans Scharoun. Haus Schminke, Löbau/Schlesien, 1932. Blick vom Wohnraum in den Wintergarten. Mies van der Rohes >MR<-Stühle passen auch in das bewegtere Raumkonzept von Hans Scharoun, einem der wenigen Architekten, die in der Zeit des Internationalen Stils durch expressive Gestaltung die strenge Form kubischer Räume vermieden. Die hier verwendeten >MR<-Stühle sind die ersten von Mies van der Rohe entworfenen Stahlrohrmöbel. Bereits der erste Möbelentwurf von Mies van der Rohe (1886-1969), der 1926 vorgestellte >MR< -Stuhl aus Stahlrohr (Abb. 235), zeichnete sich durch grazile Eleganz und eine vollendete, klare Form aus. Beim Bau des deutschen Pavillons (Abb. 240) auf der Weltausstellung 1929 in Barcelona hatte Mies die Möglichkeit, seine Raumkonzeption ohne Rücksicht auf praktische Erfordernisse exemplarisch darzulegen. Es entstand ein architektonisches Kunstwerk von großer Harmonie, das, obwohl es nach Schluß der Ausstellung abgebrochen wurde, zu den wichtigsten Bauwerken des zwanzigsten Jahrhunderts zählt. Ganz im Sinne des Stijl war der Raum fließend gestaltet. Der für die Ausstellung geschaffene >Barcelona<-Sessel (Abb. 241) hat, zusammen mit den 1930 für das Haus Tugendhat in Brünn entworfenen Möbeln (Abb. 242, 243), Weltruhm erlangt. Hier vereinigten sich Klarheit, Harmonie, Perfektion in der Wahl der Materialien und in der Verarbeitung auf ideale Weise. Die Möbel Mies van der Rohes wurden nach dem Zweiten Weltkrieg in Serie aufgelegt und vielfach kopiert. Mit ihrer monumentalen Eleganz und Rationalität wurden sie zum Standard der Managerarchitektur und sind kaum noch aus den Räumen der Generaldirektoren großer Konzerne wegzudenken - ein Statussymbol unserer Zeit. Le Corbusier (1887-1965) hat nur wenige Möbel entwoffen (Abb. 249-252). Für seine frühen Villen bevorzugte er, nicht zuletzt aus 108 240. Ludwig Mies van der Rohe. Deutscher Pavillon, Internationale Ausstellung, Barcelona, 1929. Das klare Raumkonzept Mies van der Rohes, der >fließende< Raum, wird durch frei stehende Wände erreicht. Außen und Innen gehen ineinander über, die konstruktive Struktur erreicht Mies durch die Trennung von tragenden und nichttragenden Elementen. 241. Ludwig Mies van der Rohe. Von links nach rechts: Sessel in der Art des >MR<Stuhls, jedoch mit Korbgeflecht (vgl. Abb.235), 1926 von Thonet hergestellt; >Brünn<-Stuhl, 1930; >Barcelona<-Sessel, 1929; beide mit Gestell aus verchromtem Bandstahl und lederbezogenen Sitz- und Rückenkissen. Wieder hergestellt von Knoll International. Die Ausgewogenheit und die Präzision im Detail in Verbindung mit kostbarem Material sind charakteristisch für die >Klassiker< des Möbelbaus der dreißiger Jahre. Die Originale werden seit den fünfziger Jahren wieder fabriziert. Diese anspruchsvollen Möbel werden - in ihrer Grundform - immer wieder nachgeahmt. 109 242. Ludwig Mies van der Rohe. Wohnraum im Haus Tugendhat, Brünn, 1930. Der 15 x 24 m große Wohnraum wird durch eine Onyx-Fläche und eine halbkreisförmige Wand aus Ebenholz in vier Bereiche gegliedert (Eingangsbereich, Wohnen, Arbeiten und Essen). Die abends durch Vorhänge geschlossenen großen Glasscheiben mit Sicht auf den Garten waren versenkbar konstruiert. 243. Ludwig Mies van der Rohe. Hinterbeinloser Sessel, 1930 für das Haus Tugendhat entworfen, mit Gestell aus verchromtem Bandstahl, Ledergurten und mit Leder bezogenen losen Kissen. Wieder hergestellt von Knoll International. Mies van der Rohe erreicht durch die >schwebende< Konstruktion aus Stahl auch ohne Mechanismus große Elastizität und Beweglichkeit. 110 244. Le Corbusier und Pierre Jeanneret. Halle des >Pavillon de l'Esprit Nouveau<, Paris, 1925. »Programm: das Kunstgewerbe verleugnen. Dafür aber bekräftigen, daß >Architektur< sich vom kleinsten Gebrauchsgegenstand im Hause bis auf die Straße, auf die Stadt, ja noch darüber hinaus erstreckt; zeigen, daß die Industrie durch ein Auswahlprinzip (Serie und Standard) reine Gegenstände erzeugen kann; den absoluten Wert des reinen Kunstwerks erhärten; die radikalen Veränderungen und die neuen Freiheiten aufweisen, die der Eisenbeton und der Stahl für den Entwurf und den Bau unserer Stadtwohnungen gebracht haben; zeigen, daß eine Wohnung standardisiert werden kann, um den >Serien<-Menschen zu befriedigen« (Le Corbusier 36). 245, 246. Le Corbusier und Pierre Jeanneret. Villa Savoye in Poissy, 1929-31. Außenansicht und Wohnraum im ersten Obergeschoß mit Dachterrasse. Der klare Kubus des Hauses (>Wohnmaschine< - ein oft mißverstandenes Wort) setzt sich von der umgebenden Grünfläche ab, der Garten wird sowohl im Erdgeschoß wie auch im obersten Geschoß durch die Dachterrasse weitergeführt. 111 247. Le Corbusier. Ein Haus in Karthago, Zeichnung, 1928. Wohnraum mit Galerie zur Terrasse. Verbindung von ein- und zweigeschossigen Räumen mit verschiedener Höhe als Weiterführung des >Raumkonzepts< von Adolf Loos. Die Möblierung bleibt sparsam: Die gepolsterten Lehnsessel sowie die Liege - im Raum eher zufällig hingestellt erscheinen lediglich als Abwandlungen bestehender Möbel. Rechts im Vordergrund skizzenhafte Darstellung eines Sessels mit beweglicher Rückenlehne, wie er von Le Corbusier später entworfen wurde. finanziellen Gründen, den Thonet-Stuhl B9, manchmal den anonymen geflochtenen Korbstuhl, aber auch den einfachen Gartenstuhl oder -tisch aus Eisen. Theoretische Arbeiten aus der Zeit um 1922, die Entwürfe für die sogenannten >ImmoublesVillas< - Villenblocks, bei denen die Vorzüge des Einzelhauses in Hochhausblocks ermöglicht werden sollten-, zeigten weite Räume, deren Möblierung eher zufällig wirkt. Die dort skizzierten Möbel stellen eine sonderbare Mischung aus vorausgeahnten, sehr bequemen Sitzmöbeln und kubischen Kastenmöbeln dar. 1925 wurde im >Pavillon de l'Esprit Nouveau< (Abb. 244), dem Modell einer Wohnzelle aus den >Immeubles-Villas<, eine derartige Lösung realisiert. Die Einrichtung war auf ein Minimum beschränkt; die Kastenmöbel als modulare Elemente eingebaut: der Mensch sollte >im Raum< und nicht >zwischen Möbeln< leben. Beim 1928 entworfenen Liegestuhl (Abb. 250), der wie die Möbel von Mies van der Rohe in den späten fünfziger Jahren in Serie ging, fand Le Corbusier eine dem menschlichen Körper ideal angeglichene und formal vollkommen gelöste Form. Der entscheidende Beitrag Le Corbusiers liegt in seinem neuen Raumkonzept, das, von Loos ausgehend, zunächst in den großen Villenbauten verwirklicht wurde. Als Beispiel kann die 1929-31 erbaute Villa Savoye in Poissy (Abb. 245, 246) stehen: Das kubische Haus ist vom Boden abgehoben, Räume und Bereiche sind durch Rampen erschlossen. Der Dachgarten verbindet Haus und Natur, aber der strenge weiße Baukörper steht im Gegensatz zum umgebenden Grün. Auch in diesen Bauten wirken die Möbel manchmal als Fremdkörper, als etwas Hineingestelltes - eben mobil, zum Menschen und nicht zum Bau gehörend. 112 248. Le Corbusier. Bibliothek im Haus Chorch, Ville d'Avray, 1928/29. Mit Stahlrohrstühlen nach Entwürfen von Le Corbusier, Pierre Jeanneret und Charlotte Perriand. Noch im >Pavillon de l'Esprit Nouveau< der >Exposition Internationale des Arts Decoratifs< in Paris, 1925 - für die weitere Entwicklung des Internationalen Stils ebenso entscheidend wie Mies van der Rohes Barcelona-Pavillon - hatte Le Corbusier für die Sitzmöbel Thonet-Stühle verwendet. Sicherlich waren es die in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung 1927 gezeigten Stahlrohrstühle, die Le Corbusier und Charlotte Perriand zu ihren Stahlrohrmöbeln inspirierten. 249. Le Corbusier, Pierre Jeanneret, Charlotte Perriand. Tisch, 1928. Seit 1965 wieder hergestellt von Cassina. Platte und Untergestell sind optisch und konstruktiv voneinander abgesetzt - die Übertragung von Architekturvorstellungen des Internationalen Stils auf die Möbelkonstruktion. 113 250. Le Corbusier, Pierre Jeanneret, Charlotte Perriand. Stufenlos verstellbare Liege, 1928. Gestell aus Eisen und vernikkeltem Stahlrohr, Bespannung mit Fohlenfell oder Stoff. Seit 1966 von Cassina wieder hergestellt. Die durch die Krümmung des Stahlrohres gegebene Form des Oberteils (der Form des liegenden Menschen angepaßt) ist, da meist fest mit dem Untergestell verbunden, verstellbar. Allerdings muß sich der Benützer erheben, wenn er die Neigung verändern will. 252. Le Corbusier, Pierre Jeanneret, Charlotte Perriand. >Fauteuil grand confort<, 1928. Gestell aus vernickeltem Stahlrohr und Federkissen mit Lederbezug. 1929 von Thonet hergestellt, seit 1965 von Cassina. Optisch kompakt wirkendes kubisches Möbel, das in seiner Formensprache der Architektur Le Corbusiers am nächsten kommt. 251. Le Corbusier, Pierre Jeanneret, Charlotte Perriand. Sessel mit drehbarer Rückenlehne,1928. Gestell aus verchromtem Stahlrohr, Armlehnen schwarze Ledergurte, Sitz und Rückenlehne mit Kalbfell bespannt. 1929 von Thonet hergestellt, seit 1965 von Cassina. Die Beweglichkeit der Rückenlehne ergibt sich auf einfache Weise durch Drehung (Befestigung an zwei Punkten). Diese Konstruktion steht - mit ihrer kubischen Grundform und ihren vier Beinen - im Gegensatz zu den federnden Kufensesseln Mart Stams oder Marcel Breuers. 114 Die Möbel für den sozialen Wohnungsbau der Zwischenkriegszeit Nach dem Ersten Weltkrieg liefen angesichts der wirtschaftlichen Notlage in Deutschland und Österreich Programme staatlicher und kommunaler Behörden an, Wohnbauten für breite Bevölkerungsschichten zu finanzieren. Derartige Volkswohnungen wurden mit städtischer Unterstützung sowohl in Wien erstellt, wo die sozialdemokratische Gemeindeverwaltung einen Ersatz für den privaten Wohnungsbau der Vorkriegszeit schaffen wollte, als auch in Frankfurt am Main durch den von Oberbürgermeister Dr. Ludwig Landmann zum Stadtbaurat ernannten Architekten Ernst May (Abb. 253). In ihrer Architektur stark von den holländischen Bauten um 1917 beeinflußt, waren die Wohnungen wohl nach den neuesten Gesichtspunkten geplant, jedoch auf ein Minimum an Wohnfläche beschränkt. Die schmalen Treppenhäuser, die geringen Raumhöhen und die bescheidenen Ausmaße der Wohn- und Schlafzimmer gestatteten kaum eine Einrichtung mit den auf dem Markt befindlichen Möbeln, so sehr sich auch die Architekten um wirtschaftliche und menschliche Lösungen bemühten. Die damals von der Industrie angebotenen Möbel waren für bürgerliche Verhältnisse bemessen, sie verstellten den ohnehin knappen Raum in den Sozialwohnungen. Lediglich die Dessauer Werkstatt des Bauhauses hatte bisher Versuche unternommen, Möbelsysteme mit begrenztem Raumbedarf zu entwickeln. In Frankfurt begann man zunächst, altes Mobiliar zu zerlegen und unter Anleitung von Architekten umzubauen. Später ließ die Stadtverwaltung in einer leerstehenden Kaserne Maschinen aufstellen und arbeitslose Schreiner nach einem Wettbewerbsentwurf des Architekten Ferdinand Kramer kombinierbare Möbel aus Sperrholz fertigen (Abb. 255-258). Der Serienproduktion von Sperrholzmöbeln standen keine technischen Hindernisse mehr im Weg, da die im Flugzeugbau während des Ersten Weltkrieges gewonnenen Erfahrungen in der Holzverarbeitung auf den Möbelbau übertragen werden konnten. Die Möbel wurden von der städtischen gemeinnützigen Gesellschaft angeboten, und ihr Verkaufserfolg war außerordentlich groß. 1927 wurde Franz Schuster (1892-1976) von Ernst May nach Frankfurt am Main berufen und übernahm 1928 die Leitung der Fachklasse für Wohnungsbau und Innenausstattung an der Kunstgewerbeschule der Stadt Frankfurt. Er war Schüler 254 253 253. Ernst May und E. Kaufmann. Wohnraum in der Siedlung Praunheim, Frankfurt am Main, 1928. Thonet-Stuhl von Ferdinand Kramer für Schulen und Kindergärten der Stadt Frankfurt 1927 entworfen. Ernst May konnte 1925-30 ein vorbildliches Modell sozialdemokratischer Planungs- und Sozialpolitik realisieren. Bekannt wurde es unter dem Namen >Das Neue Frankfurt<. Für den knappen Raum in den Wohnungen, die auf das Existenzminimum konzipiert waren, mußten sowohl preislich als auch größenmäßig bescheidene Möbel konzipiert werden. 254. Ausstellung der württembergischen Arbeitsgemeinschaft in der städtischen Siedlung Stuttgart-Wangen. Möbel aus der Serie >Anbaumöbel< nach Entwurf von Walter Gropius, 1929, Stühle und Sessel von Thonet, Ruhebett und Klapptischchen Handelsware. Ein bemerkenswerter Versuch, die neuen einfachen Kastenmöbel mit bereits auf dem Markt befindlichen Produkten zu kombinieren, um eine preiswerte, aber formal befriedigende Einrichtung zu schaffen. 257. Ferdinand Kramer. Anrichte, 1926. Seit 1928 durch das Kaufhaus Obernzenner in Frankfurt verkauft. 1928 erscheint in Heft 1 der Zeitschrift Das neue Frankfurt Kramers Artikel »Individuelle oder typisierte Möbel«, in dem er als Voraussetzung für den sozialen Wohnbau die Serienherstellung typisierter Produkte fordert. 115 256. Ferdinand Kramer. Ausziehbare und aufklappbare Beistelltische aus Holz, 1925. Einfache Möbelformen, die eine Verwandtschaft mit den Möbeln der Wiener Schule zeigen. 255 256 255. Ferdinand Kramer. Schreibtisch mit zwei Schubladen, Hocker mit Sitz aus Rohrgeflecht, 1925. des an der Wiener Kunstgewerbeschule lehrenden Heinrich Tessenow gewesen und hatte sich in Wien um die Errichtung der >Gartenvorstadt< am Laaer Berg, einer Reihe kleiner Siedlungshäuser, verdient gemacht. Im Zusammenhang mit der Einrichtung der von Ernst May gebauten Siedlungen (Abb. 259, 260) wurde von Schuster die Frankfurter Stelle der >Deutschen Hausratgesellschaften< künstlerisch betreut, die satzungsgemäß den Auftrag hatten, »alle diejenigen mit preiswerten, gediegenen und geschmacklich einwandfreien Wohnungseinrichtungen und Einzelmöbeln im Wege des sozialen Teilzahlungsverkaufes zu versorgen, denen es schwerfällt oder unmöglich ist, auf andere Weise ihren Bedarf an Hausrat zu decken«. Um mit wenigen Grundelementen möglichst rationell vielfältige Möbelformen anbieten zu können, entwickelte Schuster die >Aufbaumöbel< (Abb. 23). Sie wurden erst in der städtischen Tischlerwerkstätte hergestellt und über die Hausratgesellschaft auch in Möbelgeschäften verkauft, später übernahm die Firma Erwin Behr in Württemberg den Vertrieb. Schuster gab genaue Richtlinien für die Präsentation seiner Aufbaumöbel in Ausstellungen heraus, die sich über den Grundriß hinaus auch intensiv 258. Ferdinand Kramer. Eßraum im Reihenhaus von J.J.P. Oud. WerkbundAusstellung >Die Wohnung<, Weißenhofsiedlung, Stuttgart, 1927. In der Weißenhofsiedlung standen Kramers Einrichtungen in den Häusern von Mies van der Rohe und J.J.P. Oud. »Diese Bauten sollten nicht auf jeden Fall neuartig wirken, sie verwenden das Glas nur bis zur Grenze, wo die Wohltat Plage wird, sie haben genau die Wohnmasse, wie sie für Proletarierfamilien denkbar und wünschenswert sind ... Daß auch Inneneinrichtungen gezeigt werden, sei nebenher erwähnt. Für billige Massenherstellung ist nur die Einrichtung des Dessauer Bauhauses, vielleicht auch die von Ferdinand Kramer, Frankfurt a. M., zu empfehlen. 37« 257 258 116 259. Franz Schuster. Wohnraum eines Siedlungshauses in Frankfurt am Main, 1928 mit der gesamten Raumgestaltung, der Farbgebung, mit Textilien und Beleuchtungskörpern befaßten. Für die ungeschulten Bewohner der Kleinstwohnungen wurden damit diese Ausstellungen zum Vorbild für ein neues Wohnen.Franz Schuster schrieb 1932 über seine Möbel: »Die Idee der Aufbaumöbel hat sich in allen Ländern, die Möbel für die neuen Wohnungen des sozialen Wohnungsbaues auf den Markt bringen, seit vielen Jahren durchgesetzt. Sie bieten dem Käufer die Möglichkeit, die verschiedensten Wohnanforderungen mit wenigen Grundmöbeln zu befriedigen, mit denen er sich die günstigste Einrichtung seiner Räume wunschgemäß zusammenstellen und ergänzen kann. Er wird dadurch vom Zwang der Garnitur frei und auch das Einzelmöbel findet so für verschiedene Zwecke abwechslungsreiche 260. Franz Schuster. Eckplatz im Wohnzimmer eines Siedlungshauses in Frankfurt am Main, 1928. »Auch bewegliche Möbel lassen sich durch Zusammenschluß straffer organisieren. Iu einer solchen, ihn nicht bedrängenden Umgebung lebt der Mensch auch geistig freier und gewinnt den Dingen gegenüber Haltung« (Walter Müller-Wulckow38). 117 261. Grete Schütte-Lihotzky. >Frankfurter Küche<, 1926. Grete Schütte-Lihotzky versucht, den Aufbau der Küche vom Arbeitsablauf her zu organisieren: größte Leistungsfähigkeit bei geringstem Kraftaufwand. 262. Grete Schütte-Lihotzky. Einzimmerwohnung einer berufstätigen Frau, Frankfurt am Main, 1926/27. Uber einen abgetrennten Vorplatz gelangt man in einen Wohn-Schlafraum. Eingebauter Wandschrank (rechts), Koch- und Waschnische an der Rückwand. und praktische Verwendung. Der genügend breite Nachtkasten wird Schuhschrank, im Kinderzimmer Spielzeugkastel und im Flur kleine Kommode mit Spiegel. Der Abstelltisch mit und ohne Lade oder Vorhang findet ebenfalls mannigfache Verwendung und wird zum Klapptisch ergänzt, der leicht bewegliche, den Raum nicht verstellende Eßtisch. Aus Kommode, Schreib- und Bücherregal und Kasten kann man die verschiedensten Möbelgruppen für das Wohn- und Schlafzimmer zusammenbauen, und so wird der Bewohner selbstschöpferischer Mitgestalter seiner Wohnung. Die Untersuchungen, die später in Dänemark und Schweden über Möbelmaße und -normen durchgeführt wurden, stützten sich weitgehend auf die Idee des Schusterschen Aufbaumöbels. Auch die frühe Nachkriegsproduktion an einfachen Möbeln in Deutschland und Österreich läßt sich auf die Möbel Schusters zurükkführen. Ernst May holte 1925 die Architektin Grete Schütte-Lihotzky aus Wien als seine Mitarbeiterin in das Frankfurter Hochbauamt, wo sie sich vor allem um die Entwicklung von standardisierten Küchen bemühte. Ihr erster Küchentyp wurde etwa ein Jahr später im Frankfurter Rathaus der Öffentlichkeit vorgestellt und in einer Etagenwohnung in Frankfurt-Niederrad eingebaut (Abb. 261). Nach Aufnahme der Serienfertigung konnten jährlich 4000 bis 5000 >Frankfurter Küchen< den Bewohnern übergeben werden, wobei es gelang, den Preis pro Küche von 400 auf 280 Mark herunterzudrükken. Diese Kosten wurden den Baukosten zugeschlagen und auf die Miete umgelegt, die sich nur um eine Mark gegenüber den Wohnungen ohne Kücheneinrichtung erhöhte. Die >Frankfurter Küche< trat als Vorbild für ein preisgünstiges Fertigteilmöbel den Siegeszug in all jenen Ländern und Städten an, die der Entwicklung des sozialen Wohnungsbaues ihre Aufmerksamkeit schenkten. Die sehr einfach gehaltenen, kombinierbaren Aufbaumöbel Franz Schusters, die Sperrholzmöbel Ferdinand Kramers und die Küchen Grete Schütte-Lihotzkys gaben ebenso wie die Anbaumöbel von Walter Gropius (Abb. 254) und die am Bauhaus unter Arndt entwickelten Möbeltypen breiten Bevölkerungsschichten die Möglichkeit, für wenig Geld ein formal ausgezeichnetes Wohngerät zu kaufen, das sie nach ihren Wünschen aufstellen konnten. Die Konsumgesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg ist von diesem Weg zum sozialen Möbel abgegangen - daran war zu wenig zu verdienen. Das Prinzip des Anbaumöbels wurde allerdings konsequent fortgeführt: Variabilität ist heute bei Einbauküchen und Schrankwänden eine Selbstverständlichkeit. 118 Das skandinavische Möbel auf dem Weg von der Anonymität zur Weltgeltung In der Entwicklung des skandinavischen Möbels zeigen sich deutliche Parallelen zur gesellschaftlichen Entwicklung dieser Länder. Im neunzehnten und frühen zwanzigsten Jahrhundert erfreuten sich Schweden und Norwegen langer Friedensperioden, die Auseinandersetzungen Dänemarks mit seinen Nachbarstaaten berührten kaum die Gesellschaftsstruktur. Finnland wurde nach fast fünfhundertjähriger Zugehörigkeit zu Schweden 1809 autonomes Großfürstentum innerhalb des russischen Reiches. Der Kampf um politische Selbständigkeit und die Suche nach nationaler Identität ließen Kunst und Künstler relativ früh einen eigenen, neuen Weg gehen, der sich an der Wende vom neunzehnten zum zwanzigsten Jahrhundert in der finnischen Nationalromantik artikulierte. Allen vier Ländern war eine Wohnkultur gemeinsam, die sich auf bäuerliche Tradition und bürgerliche Repräsentation stützte. So basierten die behäbigen Möbel einerseits auf solidem bäuerlichem Wohngerät; andererseits wurden die englischen Möbel des achtzehnten Jahrhunderts ebenso kopiert wie später die Interieurs des Klassizismus. Die vergleichsweise späte Industrialisierung und die geringe Bevölkerungsdichte trugen sicher zur gesellschaftlichen Stabilität bei und schufen, anders als zum Beispiel in Deutschland, von Anbeginn keinen dringenden Anlaß zur Suche nach neuen Wohnund Möbelformen. Als jedoch nach dem Ersten Weltkrieg ein gemäßigter Sozialismus Hand in Hand mit der Industrialisierung die Gesellschaftsstruktur zu verändern begann, wandelten sich auch die seit Jahrzehnten fixierten Wohnvorstellungen. Wenn auch in den zwanziger und dreißiger Jahren die >technischen< Wohnideen des Bauhauses weltweit ausstrahlten, so war doch das Wiener Möbel der Zwischenkriegszeit das wesentlichste Vorbild für das neue skandinavische Möbel. Allerdings war das Wiener Möbel unter ganz anderen Voraussetzungen entstanden: Der Reichtum des Fin de siecle war der Armut der Nachkriegsrezession gewichen, die Wiener Werkstätte mußte aus Kapitalmangel schließen. Bedeutende Entwerfer und qualifizierte Handwerker, einer großen Vergangenheit verpflichtet, gaben den nun bescheideneren Möbeln den stillen Reiz später Formfindung. Eine Tradition, die sich bis ins Biedermeier zurückverfolgen läßt, verneinte das Revolutionäre des Bauhausmöbels und hielt sich an die Beschwingtheit einer heiteren, reifen Kultur. Die Möbel der Wiener Schule fanden, trotz der eher bescheidenen Erfolge im eigenen Land, vor allem durch Veröffentlichungen in deutschen Fachzeitschriften ihren Weg in den Norden. Auch die industriellen Formen des Thonet-Möbels, in Skandinavien heute noch >Wiener Stuhl< genannt, und die aus sozialen Notwendigkeiten entstandenen theoretischen und praktischen Arbeiten Franz Schusters waren für den Beginn des neuzeitlichen Möbelbaues in Nordeuropa maßgebend. Alvar Aalto, der große finnische Architekt und Möbelentwerfer, betonte häufig, welche Bedeutung den Vorlesungen über die Arbeit der Wiener Werkstätte und Josef Hoffmann, die er während seines Studiums in Helsinki gehört hatte, für sein Werk zukam. Eines ist den skandinavischen Möbeln bis in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg und den Wiener Möbeln der Zwischenkriegszeit gemeinsam: ihr Zustandekommen resultierte unmittelbar aus der engen Zusammenarbeit zwischen Entwerfern, Handwerkern und Herstellerbetrieben mittlerer Größe. In den kleinen skandinavischen Ländern ohne allzu große Industrie war noch die handwerkliche 263. Carl Malmsten. Schrank in Birke mit Glasaufsatz, 1953. Form, aber auch Funktion dieses Möbels wurden - wie bei vielen anderen Entwürfen Malmstens - von bürgerlichen Wohnvorstellungen des späten achtzehnten oder frühen neunzehnten Jahrhunderts übernommen. Seine Entwürfe wurden zum Teil in einer eigenen Werkstätte gefertigt, er unterhielt später sogar einen eigenen Verkaufsladen mit großen Ausstellungsräumen. 119 265. Zeichnung aus dem Handbuch Möbelråd der >Svenska Slöjdföreningen<, 1961. Neben Hinweisen auf Funktion, aber auch auf übliche Prüfmethoden über Qualität gibt das Handbuch, das laufend erneuert wurde, Hinweise auf etwa 450 qualitätsgeprüfte Möbel mit einer Einteilung in Preisgruppen. Die Prüfmethoden für die technische Qualität der Möbel haben sowohl in Schweden als auch in Dänemark einen hohen Standard erreicht. 266. Erik Gunnar Asplund. WerkbundAusstellung in Stockholm, 1930. Durch das Vorbild dieser Bauten fand die Formensprache des Internationalen Stils auch in Schweden ihre Verbreitung. Die starken Impulse, die von dieser Ausstellung ausgingen, wurden ebenso für die Architektur wie für den Möbelbau bestimmend 264. Josef Frank. Sekretär in grünem Schleiflack, Inneneinrichtung des Schreibfaches aus Makassar-Ebenholz und Kirschbaumholz, vor 1935. Frank, der wie Malmsten aus der Tradition des Bürgertums kam, brachte nicht nur die eleganten Proportionen der Möbel aus der Wiener Schule nach Schweden, sondern - mit der Farbgebung der Möbelbezüge und Vorhänge - auch viel von der freundlichen >Haus und Garten<-Atmosphäre. Wie Malmsten verwendete er auch Intarsien, um die einfachen Kuben der Möbel zu beleben. Uberarbeitung . In den kleinen skandinavischen Ländern ohne allzu große Industrie war noch die handwerkliche Uberarbeitung industrieller Produkte möglich , die den Möbeln und damit den Räumen ihre persönliche Atmosphäre gab und so zum Beispiel dem Teakholzstil Dänemarks nach dem Zweiten Weltkrieg zum Erfolg verhalf. Die Gefahr der Existenzvernichtung durch eine technisch perfekte Kriegsmaschinerie war besonders in Europa jedem vor Augen geführt worden; als Reaktion darauf wandte man sich wieder handwerklicher Arbeit und der Wärme eines natürlichen Materials zu. Man war aber auch der theoretischen und revolutionären Überlegungen müde geworden. Ein neuer Regionalismus, der sich in einer ganzen Reihe von Heimatstilen äußerte, zeichnete sich vorerst in Architektur und Wohnform ab. 120 Die Entwicklung in Schweden Carl Malmsten (1888-1972), der Wegbereiter des modernen schwedischen Möbels, stammte aus einer bürgerlichen Familie; trotzdem beschloß er, Handwerker zu werden. Als seine Lehrmeister bezeichnete er die freie Natur und die alte schwedische Wohnkultur, die er in Museen ausführlich studierte. Beeinflußt von der >Arts and Crafts<-Bewegung, sah er sein Ziel darin, abseits aller modernen Strömungen den Menschen ihre Wohnung schön und praktisch einzurichten. Wie William Morris war Malmsten Pädagoge, Philosoph und Künstler. Er versuchte, eine Fachhochschule für Handwerk und Volkskunst zu gründen, und noch in seinen letzten Lebensjahren konzipierte er Schulen, die abseits der Städte künstlerische und handwerkliche Kräfte vereinigen sollten. Im Grunde zeichnete er den charakteristischen Weg des nordischen Möbels vor: eine kultivierte Handwerkskunst, funktionsgebunden, die sich jedoch der positiven Möglichkeiten der industriellen Produktion auch in stilistischer Hinsicht bediente. Malmsten verzichtete keineswegs auf die Tradition, er übernahm sie aber auch nicht kritiklos; vielmehr bemühte er sich um die Übersetzung alter Formen in die Welt des zwanzigsten Jahrhunderts. Für die Entwicklung in Schweden sind nicht so sehr seine ausgewogenen, rein handwerklich-konservativen Intarsienarbeiten bestimmend, sondern seine schlichten Möbel aus einheimischem Föhrenoder Birkenholz sowie seine Entwürfe für die Serienproduktion. Malmsten modifizierte die >Neue Sachlichkeit<. Die von ihm entworfenen Möbel, durch Jahrzehnte gleichbleibend, werden heute noch gekauft (Abb. 263) Gunnar Asplunds großartige Hallenbauten aus Stahl und Glas für die Stockholmer Werkbund-Ausstellung von 1930 (Abb. 266), an der allerdings Carl Malmsten aus prinzipiellen Gründen nicht teilnahm, übten auf junge Entwerfer wie zum Beispiel Bruno Mathsson (geb. 1907) einen starken Einfluß aus (Abb. 267). Mathssons auf gründlichen Studien beruhende Entwürfe für körpergerechte Stühle (Abb. 268-272), im Konzept zwischen 1933 und 1934 entstanden, werden bis heute gebaut. Das Prinzip blieb immer gleich: Der gesondert hergestellte Sitz mit Rahmen aus Formholz ruht auf einem federnden Gestell aus Schichtholz. Josef Frank (18851967), der 1934 aus Wien nach Stockholm ging, arbeitete dort bis an sein Lebensende mit der Firma >Svenska Tenn< zusammen. Aus der >Haus und Garten<-Atmosphäre seiner Wiener Tätigkeit brachte er die spielerische Leichtigkeit, die Sinnenfreudigkeit, den Charme des Wiener Möbels mit, aber auch jene Disziplin, die nach dem Krieg für die Serienproduktion notwendig war (Abb. 264). Die starken theoretischen Hintergründe seiner Arbeit gingen sicherlich auf die Ideen des Deutschen und Österreichischen Werkbundes zurück. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Schweden beispielgebend für einen gemäßigten Sozialismus. Der hohe Lebensstandard zeigte sich in den Wohnungen der Satellitenstädte, in den Schul- und Fürsorgezentren. Durch breit angelegte Auflklärungs- und Erziehungsarbeit versuchte man, die gesamte Bevölkerung für zeitgemäßes Wohnen 267. Bruno Mathsson. Eigenes Sommerhaus in Frösakull, Halland, 1961. Mathsson entwarf zwischen 1945 und 1958 Ferienhäuser in einfachster Konstruktion mit Holzrahmen oder Betonscheiben -, ohne Unterkellerung und mit großen Glasfenstern. 268-272. Bruno Mathsson. Entwürfe für Stühle. 268. Klubsessel mit Gurtenbespannung, 1934, Fußteil und Leseplatte 1935 entworfen. 269. Die drei Grundformen des MathssonStuhls. Sitz und Rückenlehne mit einem Rahmen aus Massivholz und Gurtenbespannung, Untergestell aus Schichtholz, 1933-35. 270. Armstuhl aus Massivholz mit Gurtenbespannung für ein Spital, 1931. 271. Sessel mit Armlehnen, 1942. 272. Arbeitsstuhl Rückenlehne, 1948. mit erhöhter »Der entscheidende Wendepunkt in der Entwicklung von Bruno Mathsson trat in den Jahren 1933 und 1934 ein. In diesen Jahren führte er seinen ersten Leitgedanken aus und stellte ihn (der Öffentlichkeit) vor. Dieser entstammte einer Untersuchung der Beziehungen zwischen Stuhlsitz, Rückenlehne und Fußboden. Außerdem löste er sich von der allgemeinen Vereinfachung des Funktionalismus. Er unterteilte den Stuhl in einen oberen Teil, bestehend aus Sitz und Rückenlehne, und einen unteren Teil, bestehend aus den Beinen« (Elias Cornell39). 121 122 zu engagieren. Gemeinnützige Vereinigungen übernahmen es, gute Möbel preiswert herzustellen und unter Ausschaltung des Möbelhandels zu vertreiben. Der schwedische Konsumentenverein KF gründete ein eigenes Architekturbüro, eine Einrichtungsberatung und eigene Möbelwerkstätten, außerdem richtete er Schulen, Laboratorien und Bibliotheken ein. Das Möbelhandbuch Möbelrad (Möbelberatung des schwedischen Werkbundes), von einer Jury bekannter Architekten und Designer redigiert, weist nicht nur auf preiswerte und formschöne Produkte hin, sondern gibt Hinweise über Funktion, Maße, Größe und einfache Einrichtungsbeispiele (Abb.265). Diese >Bibel des Wohnens<, voll Verantwortung gestaltet, kann in der Hand des Konsumenten eine hervorragende Rolle spielen. Darüber hinaus werden in den Schulen Probleme der Einrichtung an die Kinder herangetragen und damit schon der Jugend Verständnis für vernünftiges Wohnen nahegebracht. Der Teakholzstil Dänemarks Der Architekt Kaare Klint (1888-1954), der noch aus der neoklassizistischen Tradition kam, begründete die Entwicklung zum modernen dänischen Möbel. 1924 übernahm er die neu eingerichtete Möbelklasse der Architekturschule an der Kopenhagener Kunstakademie. Neben seinem Studium des englischen Möbels aus dem achtzehnten Jahrhundert, dessen Formen ihn begeisterten, betrieb er systematisch Untersuchungen über theoretische Grundlagen, physiologische Richtigkeit und Zweckmäßigkeit von Möbeln. In diesen Jahren entstanden bereits erste 123 275. Kaare Klint. Stuhl, 1936. Hergestellt von Fritz Hansens Eft. Klint gelang es, überlieferte Typen mit wenigen Änderungen den ästhetischen Forderungen der Gegenwart anzupassen. 276. Eßzimmer mit Möbeln von Kaare Klint. Die schlichten, handwerklich hervorragend gearbeiteten Möbel fügen sich durchaus in Räume ein, deren Konzeption noch überlieferten Gesetzen folgt. Klint versuchte, >zeitlose< Gebrauchsstücke zu schaffen. 273. Knud Friis und Elmar Moltke Nielsen. Wohnraum eines dänischen Einfamilienhauses, 1958. In der Mitte die >Safari<Sessel von Kaare Klint, 1933, aus massivem Holz mit Leinen- oder Lederbespannung. Hergestellt von Rud. Rasmussens Snedkerier. Zweckmäßigkeit und Bequemlichkeit in den nun kleinen Wohnräumen treten an Stelle der repräsentativen Wohnvorstellungen der Jahrhundertwende. Das praktische Einzelmöbel, in freier Aufstellung, verdrängt oftmals die komplette Zimmereinrichtung. 274. Kaare Klint. Anrichte, 1933. Hergestellt von Rud. Rasmussens Snedkerier. Einen ähnlichen Geschirrschrank hatte Klint schon 1926 auf einer Ausstellung gezeigt. Der Entwurf basiert auf gründlichen Untersuchungen über den Raumbedarf für Geschirr und Besteck in einem Schrank. Klint konnte in seinem Möbel etwa doppelt so viel unterbringen wie in einem herkömmlichen Schrank. Zeichnungen von Kastenmöbel-Bausystemen. Kaare Klint war kein Revolutionär. An der Kunstakademie bemühte er sich, gute und bewährte Möbelformen vergangener Epochen als Grundlage für zeitgemäße Möbel zu übernehmen, wenn deren Schlichtheit und Zweckmäßigkeit modernen Auffassungen nahe kamen. Er und seine Schule sahen im Möbel kein ideologisches Manifest. Tradition und Funktionsgebundenheit waren die Ausgangspunkte seiner Lehre. Kaare Klint wollte ein zeitloses Gebrauchsstück, ein >Werkzeug zum Wohnen< schaffen (Abb.273276). Wichtige Anregungen bezogen die dänischen Möbelentwerfer auch von der jährlichen Ausstellung der Kopenhagener Tischlergilde, die 1927 zum ersten Mal stattfand. Mit dieser Veranstaltung wollten die Handwerker eine Auseinandersetzung mit der rasch wachsenden, in der Gestaltung ihrer Produkte sehr konservativen Möbelindustrie aufnehmen. Allerdings riefen die ersten ausgestellten Möbel, Stilmöbel und Phantasieprodukte, scharfe Kritik der Presse und jener Architekten hervor, die die Entwicklung praktischer und einfacher Möbel als ihre Hauptaufgabe ansahen. Von 1930 an wurden vor jeder Ausstellung Preise für die besten Vorschläge für neue Möbeltypen ausgeschrieben. Die prämierten Möbelskizzen wurden dann in Zusammenarbeit mit den Entwerfern realisiert- damit begann die für das dänische Möbel so entscheidende enge Zusammenarbeit von Designern und Architekten mit Handwerkern. Eine große Zahl der heute bereits als klassisch geltenden dänischen Möbel, die in allen Kunstgewerbemuseen der Welt zu sehen sind, erlebte auf diese Weise ihre Premiere; viele Entwürfe bildeten außerdem die Grundlage für eine spä- 124 277. MagnusStephensen.Sessel, 1931.Fritz Schlegel. Aufbaumöbel, 1932. Hergestellt von Fritz Hansens Eft. Erste Versuche in Dänemark, die überlieferte Form des Stuhles zu verändern: Konstruktivistische Formen verbinden sich mit dem bewährten Bugholzverfahren. Die kubischen Kastenmöbelals Aufbaumöbel geplant - zeigen bereits in der Detaillierung die spätere Gestaltungskraft dänischer Möbelentwerfer. 278. Fritz Schlegel. Bugholzstuhl, 1930. Hergestellt von Fritz Hansens Eft. Wie die Architekten des Internationalen Stils griffen auch die Pioniere des dänischen Möbels vorerst auf das bewährte, durch die Serienfabrikation formal vereinfachte Bugholzverfahren zurück. Der Stuhl ähnelt stark dem von Ferdinand Kramer für ThonetMundus entworfenen Schul- und Kindergartenstuhl (1927). 281. AX-Stühle und Tisch in der Halle einer Volksschule bei Kopenhagen. Die AX-Stühle wurden nach dem Verfahren, das zur Herstellung von Tennisschlägern gebräuchlich ist, erzeugt: Buchenholzlamellen um einen Mahagonikern geleimt. Beine und Armlehnen wurden durch Rundstäbe mit der Rückenlehne verbunden. Sitz und Rückenlehne bestehen aus einer mit Stoff oder Leder bezogenen Polsterung. 277 278 279 125 280 279. Sören Hansen. Bugholzstuhl, 1930. Hergestellt von Fritz Hansens Eft. Eine der wenigen tatsächlich neuen Ideen für das - in der Weiterentwicklung von Formen - stagnierende Bugholzverfahren. 280. Peter Hvidt und O. Molgaard Nielsen. AX-Stuhl aus Buche und Mahagoni, mit Stoff- oder Lederbezug, 1950. Hergestellt von Fritz Hansens Eft. tere Serienproduktion. Vom Erfolg der Tischlergilde angeregt, trat Ende der dreißiger Jahre die Möbelindustrie ebenfalls mit Ausstellungen an die Öffentlichkeit. Die ersten von ihr gezeigten Zimmereinrichtungen im >Pseudostil< stießen dabei auf harte Kritik. Dennoch lernte auch die Industrie aus der Auseinandersetzung mit den Architekten und der Fachpresse. Die Entwicklung der dänischen Möbelindustrie ist vielleicht am deutlichsten am Beispiel der Firma Fritz Hansen nachzuvollziehen.1872 vom Schreiner Fritz Hansen gegründet, spezialisierte sie sich auf Holzdeckenarbeiten und die Herstellung von Rahmen aus Holz oder Eisen für Polstermöbel. Es handelte sich um eine für diese Zeit typische Fabrikproduktion: Möbel, die handwerkliche Fertigung imitierten, teuer aussahen, aber relativ billig angeboten werden konnten. Ch. E. Hansen, der Sohn des Firmengründers, versuchte sich zwischen den beiden Weltkriegen in der Herstellung von gebogenen Holzteilen für Stühle nach dem Vorbild des ThonetVerfahrens. Fritz Schlegel (1896-1965) und S0ren Hansen (geb. 1905) brachten hierfür brauchbare Entwürfe heraus, die nach einigen Fehlschlägen realisiert werden konnten (Abb. 278, 279). 1934 erwarb Hansen die alleinigen Rechte für die von Thonet produzierten Stahlrohrmöbel, doch ein dänisches Gericht stellte fest, daß die betreffenden Modelle nicht genügend >künstlerische Eigenschaften< besäßen, um urheberrechtlich geschützt zu werden. Ein weiterer Schritt war die Entwicklung von Aufbaumöbeln, wie sie Franz Schuster und das Bauhaus propagiert hatten. Fritz Schlegel brachte zusammen mit Hansen ein Aufbaumöbel auf den Markt, das in der Ausstellung >Den Permanente< 1932 gezeigt wurde (Abb. 277). Es ist deutlich zu sehen, wie sehr sich die junge Industrie in Dänemark damals noch an ausländische Vorbilder anlehnte. 281 126 282. Arne Jacobsen. Dreibeiniger Stapelstuhl aus verformtem Schichtholz in Buche, natur oder lackiert, 1952. Hergestellt von Fritz Hansens Eft. Wohl der erste dänische Stuhl, dessen konstruktive Durchbildung der Massenproduktion entgegenkam. Der Einschnitt in der Rückenlehne ermöglicht die volle Ausnützung der Elastizität des Sperrholzes. Gummipuffer zwischen den Stahlrohrfüßen und der Sitzfläche gewähren auch der festen Verbindung von Fußteil und Sitzfläche die notwendige Elastizität. Das laminierte Oberteil besteht aus neun Schichten (die sieben inneren aus Buchenholz, die beiden äußeren aus Teak-, Eichen- oder Wengeholz). Die Schichten werden unter Druck und bei hohen Temperaturen mit Wasser und tropenbeständigem Leim verformt. 283. Arne Jacobsen. Sitzgruppe, 1957. Hergestellt von Fritz Hansens Eft. Weiterentwicklung der bereits bewährten Form mit Unterteil aus Holz; die Stabilität wird durch den kreuzförrnigen Querschnitt der Stuhlbeine erreicht. 1950 präsentierte Hansen eine völlig neue Stuhlkonstruktion, das Produkt einer mehrjährigen Zusammenarbeit mit den Architekten Peter Hvidt (geb. 1916) und O. Molgaard Nielsen (geb.1907). Der sogenannte >AX-Stuhl< (Abb. 280,281) wurde aus um einen Mahagonikern geleimten Buchenholzlamellen hergestellt - ein Verfahren, das aus der Produktion von Tennisschlägern stammte. 1952 kam Arne Jacobsens (1902-71, Abb. 282-285) dreibeiniger Stuhl heraus, bei dem Sitz und Rückenlehne aus Schichtholz in einem Stück gepreßt wurden und auf drei Stahlrohrbeinen ruhten. Dieser Stuhl war eine der erfolgreichsten Neuentwicklungen der Nachkriegsjahre. Wesentlich für den Aufstieg der Firma Hansen war die konsequente Designpolitik, die sich auf eine enge Zusammenarbeit von Entwerfern und Technikern stützte. Der Architekt B0rge Mogensen (geb. 1914) leitete mehrere Jahre lang die Möbelfabrik der dänischen Verbrauchergenossenschaft, FDB M0bler. Hier konnte er billige Gebrauchsmöbel entwickeln, die auf einem von ihm selbst geschaffenen Maßsystem basierten. Sicherlich standen auch bei Mogensens Arbeit die Bemühungen des Frankfurter Kreises um Franz Schuster und des Bauhauses Pate. Mogensens formale Disziplin und Materialbeherrschung stellten die konsequente Fortführung des von Kaare Klint eingeschlagenen Weges dar (Abb. 286-289). Daneben gab es jedoch noch eine zweite Strömung, die gleichermaßen zum großen Erfolg des dänischen Möbels beitrug. 127 284, 285. Arne Jacobsen. Sessel >Das Ei< (Abb.284) und >Der Schwan<, mit Fußteil (Abb.285), 1959. Drehfuß aus Stahl, Schale aus Kunststoff und Schaumgummipolsterung mit Stoff- oder Lederbezug, 1958. Hergestellt von Fritz Hansens Eft. Arne Jacobsen entwarf für seine Großbauten Möbel, Geräte und Textilien, die häufig in die Serienproduktion übernommen wurden. Er verstand es, auch bei neuen Werkstoffen alle technischen und formalen Möglichkeiten auszuschöpfen. Die Schwierigkeit bei diesen Sitzmöbeln liegt in der präzisen Verarbeitung durch den Tapezierer, der Stoff oder Leder an die vom Sitzkomfort bedingte Form genau anpassen muß. 128 286 287 288 289 288 286. Borge Mogensen und Grethe Meyer. Schrankelemente >Boligens Byggeskabe<, erstmalig gezeigt auf der Ausstellung der Kopenhagener Tischlergilde, 1954. Dieser Entwurf beruht auf Überlegungen, alle im Haushalt benötigten Geräte in einer Schrankwand unterzubringen. 1956 wurde, ausgehend von den üblichen Raumhöhen dänischer Wohnungen, ein Maßsystem geschaffen, das sowohl den Aufbau einzelner Teile als auch die Integration der Schrankwand als Raumabschluß ermöglichte. 287. Borge Mogensen. Sofa für zwei Personen, 1945. In Produktion seit 1962. Borge Mogensen, der aus dem Tischlerhandwerk kommt, entwarf neben den Serienmöbeln für die Industrie auch rein handwerklich gefertigte Möbel. 129 288. Borge Mogensen. Detail eines Schrankes aus der Möbelserie >Øresund< in Oregon-Pine, Eiche oder Teak, 1955-67. Weitere Überlegungen führten zu diesem System, das auf den Elementbreiten von 134,7 cm und den Tiefen von 36,7 und 54 cm beruht. Die Höhen ergeben sich aus dem Grundmaß von 19,6 cm. Die auf diesem Maßsystem basierenden Elemente sind vielseitig verwendbar. 289. Borge Mogensen. Möbel für ein Schlafzimmer, 1945. Ein Beispiel der frühen Arbeiten Mogensens, die seine Liebe zur einfachen und klaren Konstruktion zeigen. 290. Finn Juhl. Sitzgruppe mit Sessel >136< aus Teakholz mit Schaumgummipolsterung, 1958. Hergestellt von France & Son. Typisch für die Möbel Finn Juhls ist der >schwebende Sitz<, der zumeist nur auf zwei Zargen ruht. Dadurch wird die - sehr plastisch ausgebildete - Einzelform betont, die Konstruktion tritt zurück. In Gegenposition zu den mehr vom Internationalen Stil beeinflußten Entwürfen schufen die Vertreter dieser Richtung kräftig durchmodellierte, plastische Möbel, die lange Zeit als typisch für den dänischen Stil galten. Finn Juhl (geb. 1912), ursprünglich Architekt, konnte seine organischen Sitzmöbelformen erst nach Erfolgen im Ausland auch im Lande Kaare Klints durchsetzen. Charakteristisch für seine Entwürfe aus der Zeit zwischen 1945 und 1955 ist die Auflösung des gewöhnlichen Polstersessels mit unsichtbarem Rahmen in eine Konstruktion, bei der Holzgestell und Sitzfläche bewußt getrennt und formal gegeneinander ausgespielt wurden (Abb. 290). Finn Juhls >Möbelplastiken<, Yon der Tischlergilde in der jährlichen Ausstellung immer wieder gezeigt, wurden bald in aller Welt berühmt. Hans J. Wegner (geb. 1914) kam dagegen aus dem Handwerk. In Zusammenarbeit mit dem Tischlermeister Johannes Hansen entstanden zahlreiche hervorragende Möbel, stilistisch etwa in der Mitte zwischen der Disziplin Kaare Klints und dem Temperament Finn Juhls angesiedelt. Seine Entwürfe eigneten sich ausgezeichnet für die Serienproduktion, so daß sich bald fünf Fabriken zusammenschlossen (Salesco), um gemeinsam Wegners Möbel zu produzieren (Abb. 291294). Die Eigenart des dänischen Möbels war also wesentlich von der Arbeitsmethode her gekennzeichnet: industrielle Vorfertigung, in Verbindung mit handwerklichem Finish, gaben ihm seinen Gebrauchswert, zugleich aber eine kunsthandwerkliche Note. Dabei werden die technischen Voraussetzungen - ähnlich wie in Schweden - ständig kontrolliert: Nach strengen Untersuchungen und Tests ver 290 130 leiht eine Jury Möbelgütezeichen, um den Qualitätsstandard zu erhalten. Auch für Werbung und Vertrieb werden rigorose Maßstäbe angelegt: Bei Gemeinschaftsausstellungen dürfen nur Firmen ausstellen, die dem hohen Anspruch des dänischen Möbels gerecht werden. In den frühen fünfziger Jahren setzte der große Exporterfolg dänischer Möbel ein. Mehr als die Hälfte der Produktion ging ins Ausland - ein Land ohne Holz wurde führend in der Möbelerzeugung. Eine Reihe angesehener Designer - B0rge Mogensen, Ole Wanscher, Hans J. Wegner, Grete Jalk (Abb. 295), Arne Jacobsen und viele andere - setzten sich immer wieder mit Form und Material auseinander und schufen so jene seltene Synthese von konstruktiver Exaktheit, Phantasie und Materialgerechtigkeit, der das dänische Möbel seinen internationalen Ruf verdankt. Dabei muß betont werden, daß die dänischen Entwerfer gerade auf dem Gebiet des einfachen, preiswerten Möbels Vorbildliches geleistet haben. In letzter Zeit ist es allerdings stiller um jene Möbelform geworden, die man als >typisch dänisch< bezeichnet. Schon Arne Jacobsen, Poul Kjaerholm und Jorn Utzon standen eher dem Internationalen Stil nahe, und die junge Generation der Möbelentwerfer versucht sich heute in neuen Materialien und bewegter Formensprache - die Entwicklung in Italien wird, zumindest vorübergehend, augenscheinlich kopiert. 291, 292. Hans J. Wegner. Armstuhl aus Teakholz mit spanischem Rohrgeflecht, 1949; Klappstuhl aus Eiche mit spanischem Rohrgeflecht, 1949. Hergestellt von Johannes Hansen. Beide Stühle zeichnen sich durch äußerste Vereinfachung und konsequente formale und konstruktive Durchbildung im Sinne der Uberlegungen Kaare Klints aus. 293. Hans J. Wegner. Tisch und dreibeinige Stühle aus Eiche und Teakholz, 1953. Hergestellt von Fritz Hansens Eft. Ein Stapelstuhl, der sich durch seine äußerst vereinfachte Form besonders für Versammlungsräume und durch seine Mindestausmaße für Eßtische in kleinen Wohnungen eignet. 131 294. Hans J. Wegner. Sitzgruppe in einem Ferienhaus mit > Y-Stuhl< (aus Eiche natur oder mit farbigem Lack behandelt), 1950. Hergestellt vorr Fritz Hansens Eft. Weiterentwicklung eines Stuhltyps, der auf chinesische Vorbilder des achtzehnten Jahrhunderts zurückgeht. 295. Grete Jalk. Stuhl aus verformtem Schichtholz (Eiche), 1963. Hergestellt von P. Jeppesen. Diese Möbelserie besteht aus Hockern, Stühlen, Tischen und Satztischen. Die Möglichkeiten des Schichtholzes werden konstruktiv konsequent genutzt. Die plastische Durchbildung führt aus dem >Dänischen Stil< zu Möbelformen, die in verformbaren Kunststoffen einfacb herzustellen sind. 132 Alvar Aalto - Romantik und Konstruktion in Holz Die Auseinandersetzung des neuen finnischen Kunsthandwerks mit dem Historismus um die Jahrhundertwende fiel zeitlich mit den Kämpfen um ein modernes, unabhängiges Finnland zusammen. Wie oft in der Geschichte wurde auch in Finnland der Versuch, nationale Bewegungen zu unterdrücken, in der Kunst mit dem Zurückgreifen auf bodenständige Entwicklungen beantwortet. So übte die bäuerliche Kultur des Landes, das fast ein halbes Jahrtausend mit Schweden verbunden war, eine große Faszination auf die jungen Kunsthandwerker aus. Auf dieser Grundlage formte sich, beeinflußt von europäischen Strömungen wie der >Arts and Crafts<-Bewegung und dem Jugendstil, ein eigenständiger finnischer Stil, die sogenannte Nationalromantik, die ihre Blütezeit zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts erlebte. Der Maler Akseli Gallen-Kallela (1865-1931, Abb. 296) gehörte mit seinem Zyklus von Werken zum finnischen Nationalepos Kalevala zu den wichtigsten Vertretern der Nationalromantik. Sein schwedischer Freund Louis Sparre (18661964), mit dem zusammen er um 1890 auf der Suche nach Beispielen der einfachen finnischen Lebensart weite Gebiete Kareliens durchwandert hatte, gründete 1897 im finnischen Porvoo die Firma Iris, die bis 1902 bestand und mit der die Entwicklung zum modernen finnischen Möbel ihren Anfang nahm. Sparre, der schon zuvor Möbel in nationalromantischem Stil entworfen hatte, war von William Morris' Ideen beeinflußt und durch weite Reisen mit den meisten europäischen Tendenzen vertraut. Bei der Gründung seiner Firma betonte Sparre, daß nicht das »merkantile Gewinninteresse« für die Produktion maßgeblich sein sollte. Seine Formvorstellungen stützten sich in erster Linie auf Vorbilder aus England und Österreich (Abb. 297, 298). 1896 schlossen sich die jungen Architekten Herman Gesellius (1874-1916), Armas Eliel Lindgren (1874-1929) und Eliel Saarinen (1873- 1950) zu einer Arbeitsgemeinschaft zusammen. Wettbewerbserfolge und der Auftrag zur Gestaltung des finnischen Pavillons auf der Pariser Weltausstellung von 1900 ermöglichten es ihnen, etwas außerhalb von Helsinki ein großes, gemeinsames Atelier mit Wohnungen zu bauen, ein mächtiges Gebilde aus Granit und Holz in nationalromantischem Stil. Das Haus >Hvitträsk< (Abb. 299), dessen Räume um 296. Akseli Gallen-Kallela. Stuhl aus Birkenholz mit handgewebten Wollbezügen (Tannenmotiv Grün auf Blau), um 1900. Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg. Die einfache Form des Stuhles geht auf den biedermeierlichen Einfluß zurück und betont die Verbindung von Handwerk und Volkskunst. 297. Louis Sparre. Stuhl mit lederbezogenem Sitz und Tisch aus Mahagoni, aus dem Arbeitszimmer von Louis Sparre, 1902-03. Louis Sparre, der bereits 1894 Entwürfe für Eßzimmermöbel im finnischen Stil fertigte, war besonders von den Möbeln und Textilien des Londoner Warenhauses Liberty & Co. begeistert, das er 1896 besuchte. Die strenge und kraftvolle Form seiner Möbel setzt sich deutlich vom kontinentalen Jugendstil ab. 298. Louis Sparre. Sofa aus dunkel gebeiztem Kiefernholz, 1906. Bei diesem einfachen Möbel kommt Louis Sparres Vorliebe für kraftvolle Möbelformen besonders stark zum Ausdruck. 133 299. Herman Gesellins, Armas Eliel Lindgren, Eliel Saarinen. Wohnraum im Atelierund Wohngebäude >Hvitträsk< in Kirkkonummi, 1902. >Hvitträsk<, von den Architekten als Atelierund Wohnhaus für sie selbst entworfen, entstand in der unberührten finnischen Landschaft. Obwohl im Detail vom Jugendstil beeinflußt, ist es durcK seinen fast mittelalterlichen Blockhauscharakter ein typisches Werk der finnischen Nationalromantik. 300. Eliel Saarinen. Schreibtisch mit drehbarem Schreibtischstuhl in Eiche, intarsiert (rötliche Blumen auf grünlicher Holzfläche), um 1907. Nationalromantik und internationaler Einfluß, etwa der Wiener Werkstätte, halten sich bei dem Entwurf dieser Möbel und ihren schweren kubisphen Formen die Waage. 134 eine tennenartige Halle angelegt waren, wurde zum Beispiel einer Einrichtung aus der Zeit um die Jahrhundertwende, die dem Kunsthandwerk alle Möglichkeiten zur freien Entfaltung gab. Alvar Aalto (1898-1976) arbeitete mit einer Gruppe junger Architekten im Atelier Hvitträsk für Saarinen. An der Hochschule war er noch im Sinne des Klassizismus ausgebildet worden, er hatte aber auch Vorlesungen über Josef Hoffmann und die Wiener Werkstätte gehört. Aalto setzte sich grundlegend mit den Ideen des Neuen Bauens nach dem Ersten Weltkrieg auseinander und trug selbst entscheidend zur Ausformung des Internationalen Stils bei, doch griff er auch immer wieder auf geläuterte Elemente der finnischen Tradition zurück. 1928 gewannen Aalto und seine Frau Aino den Wettbewerb für das Tuberkulosesanatorium in Paimio, für dessen Einrichtung auch die ersten Möbelentwürfe entstanden (Abb.308). Aalto wollte stets nur gewachsenes Material mit dem Körper in Berührung bringen und gründete deshalb zusammen mit einer lokalen Holzbearbeitungsfirma eine Versuchswerkstatt, in der er mit verschiedenen Verfahren der Holzverformung experimentierte (Abb. 303, 304). Sein entscheidender Gedanke war, das Holz im Gegensatz zum Thonet-Verfahren nicht nur unter Dampf zu biegen, sondern sich die natürliche Feuchtigkeit des vorzugsweise verwendeten finnischen Birkenholzes 301. Alvar Aalto. Wohnraum für die Ausstellung >Die Kleinstwohnung<, 1930. Die seit fünfzig Jahren bestehende Kunstgewerbeausstellung in Helsinki zeigte erstmals 1930 eine Sonderschau, die sich mit Problemen des sozialen Wohnungsbaus und der Einrichtung von Musterwohnungen befaßte. 302. Alvar Aalto. Stapelbare Stühle, 1930. Ausgangspunkt für Aalto war der international erfolgreiche frei schwebende Sessel mit seinem Stahlrohrgestell. Die gebogene Schichtholzplatte, das neue Element, wurde mit einem Rahmen verbunden, der an die Entwürfe von Marcel Breuer und Mart Stam erinnert. Die Rückenlehne hat keine Unterstützung. 303, 304. Alvar Aalto. Holzexperimente. »Um praktische Ziele und haltbare ästhetische Formen im Zusammenhang mit der Architektur zu erreichen, kann man nicht immer von einem rationellen und technischen Standpunkt ausgehen - vielleicht sogar nie. Die Phantasie des Menschen muß freien Spielraum haben. So war es meistens mit meinen Holzexperimenten. Rein spielerische Formen, ohne jeden Zweck, haben in einigen Fällen erst zehn Jahre später zu Gebrauchsformen geführt« (Aino und Alvar Aalto40). 135 305. Alvar Aalto. Diskussions- und Vortragssaal der Bibliothek in Viipuri, 1930-35. In dieser Bibliothek löste Aalto zwei entscheidende Probleme: Die Lesesäle erhalten genügend Licht durch neu entwickelte runde Oberlichter (»In einer Bibliothek ist das Licht das Primäre«), im Vortragssaal sorgt eine wellenförmige Decke aus dünnen Holzstäben für eine hervorragende Akustik. 306. Alvar Aalto. Hocker und Stühle, 192935 für die Bibliothek in Viipuri entwickelt. Hergestellt von Artek. Das Grundprinzip dieser Möbel stammt aus den Jahren 1929-35. Das Massivholz der Beine wurde in der Biegung eingeschnitten, es wird so zu Schichtholz und dadurch erst biegbar. Die Verbindung mit den Sitzflächen aus Holz erfolgt durch Schrauben. zunutze zu machen. Die ersten Sessel mit gebogenem Schichtholzsitz (Abb. 302), der elastisch federte und bequemes Sitzen erlaubte, hatten noch Stahlrohrgestelle, die später durch Schichtholzrahmen ersetzt werden konnten. Fast gleichzeitig mit seinen Experimenten in Paimio, im Jahre 1930, zeigte Aalto in der Ausstellung >Die Kleinstwohnung< (Abb. 301) im Rahmen der Kunstgewerbeausstellung in Helsinki die ersten Stapelstühle. Aalto wird wohl kaum zu dieser Zeit die amerikanischen Patente aus dem Jahr 1878 für Schichtholzmöbel gekannt haben, auf die Sigfried Giedion in seinem Buch Mechanizution takes Command hinweist. Auch die Versuche Thonets mit Schichtholz (Abb. 85) konnten ihm nicht geläufig sein, waren sie doch nur in weni- 136 gen Exemplaren im Firmenmuseum vorhanden und nirgends veröffentlicht worden. Eher ist ein Rückgriff auf die Konstruktion des im Norden seit Jahrzehnten gebräuchlichen Schichtholzskis möglich. Für die Bibliothek inViipuri (1930-35), deren wellenförmige Akustikdecke als erstes Beispiel >organischer Architektur< Aaltos interpretiert wird, entstanden in Weiterführung der Experimente, von Paimio Sitzmöbel, bei denen ganz auf Stahlrohr verzichtet werden konnte (Abb. 305, 306). Die damals entworfenen Hocker aus Holz sind heute noch in Produktion. Auf Initiative von Alvar und Aino Aalto, zusammen mit Mairea Gullichsen, wurde 1935 die Firma Artek als >Zentrum für zeitgenössische Möbel, Einrichtung, Kunst und industrielle Kunst< gegründet. Hauptzweck war es allerdings, Aalto-Möbel herzustellen. Aalto bezeichnete Möbel als »Accessoires zur Architektur« und sagte über seine Experimente: »Die ersten Experimente bestanden darin, Lamellenkonstruktionen in einer Richtung zu biegen. Es war mein Traum, vieldimensionale, skulpturartige Holzformen schaffen zu können, die vielleicht einmal zu freieren und stabileren Formen führen könnten. Die ersten Versuche, organische Volumenformen aus Holz zu konstruieren, ohne Anwendung der Schnitztechnik, führten später, nach fast zehn Jahren, zu triangulären Lösungen, unter Berücksichtigung der Faserrichtung des Holzes. Der vertikale, tragende Teil der Möbelformen ist gewissermaßen die kleine Schwester der Säule in der Architektur 40. Sigfried Giedion schreibt darüber: »Durch ein spezielles Zugverfahren ist es nun möglich, dem Holz solche Biegsamkeit und Flexibilität zu verleihen, daß der Architekt es drehen und biegen kann, wie er es wünscht. Zuvor schon hatten Chemiker eine Methode gefunden, eine drahtartige Struktur aus einer Anzahl stäbchenförmiger Holzstücke, die sich an beiden Enden verjüngen, zu bilden: >HolzMakkaroni< nennt sie Aalto41.« Um 1937 wagte es Aalto, den geschlossenen Schichtholzrahmen bei seinen Sesseln wegzulassen - der frei stehende Holzstuhl erhielt eine ähnliche, federnde Konstruktion wie der Stahlrohrsessel (Abb. 310). Die Möbel Alvar Aaltos sind, auch in der Serienherstellung, ebenso wie seine Lampen und Türgriffe ein ganz persönlicher Teil seiner Architektur. Sie entsprechen seiner Auffassung vom Material und Bau wie seiner humanen Einstellung zum Leben. Die junge Generation in Finnland, allzu lange durch Aaltos beherrschende Persönlichkeit der organischen Architektur verhaftet, drängt nun sehr spät zum Internationalen Stil. Im Möbeldesign sind dies Ilmari Tapiovaara (geb. 1914), Antti Nurmesniemi (geb. 1927) oder die Firma Asko, die sich damit aber zugleich vom spezifischen Stil des finnischen Möbels entfernen. 307. Alvar Aalto. Hocker, Konstruktion mit gefächerter Biegung, 1954. Hergestellt von Artek. Gebogenes Massivholz, das nun ebenfalls - dreidimensional- in Schichtholz und ohne Verschraubung in die Sitzfläche übergeht. Aaltos schönste und ausgereifteste Konstruktion, die letzte Phase einer umfassenden Möbelentwicklung. 308. Alvar Aalto. Armsessel, 1929-33 für das Sanatorium in Paimio entwickelt. Hergestellt von Artek. Gleichzeitig mit der ersten Phase (192933), in der Aalto mit Schichtholz experimentierte, entstanden Stuhlformen, bei denen gebogene Sitzflächen in geschlossene oder fedemde Schichtholzrahmen einge- lassen wurden. Für das Sanatorium in Paimio entwarf Aalto leichte Tvpenstühle aus Holz, einem Material, das nach Aaltos Vorstellung dem menschlichen Körper bes ser >angepaßt< ist als das Stahlrohrmöbel. 309. Karl und Eva Mang. Wohnraum des Hauses im Waldviertel, Niederösterreich. Sessel und Tisch von Alvar Aalto: Sessel 406 mit roten Stoffgurten, Tisch 48()5 mit Glasplatte, hergestellt von Artek. 310. Alvar Aalto. Sessel aus gebogenem Birkenholz, 1935-39. Sitz aus verschiedenen Materialien, hier mit Stoffgurten bespannt. Hergestellt von Artek. Zwischen 1935 und 1939 entstanden neben Stühlen auch einfache Serienmöbel wie Garderoben und Bücherregale, bei denen die - meist federnden- Untergestelle aus Schichtholz mit Rahmen aus dem gleichen Material verbunden werden. 137 311. Alvar Aalto, Skizze 138 Die Entwicklung nach dem Zweiten Weltkrieg Neue Technologien: USA Während in Skandinavien die Entwicklung von neuen Formen und Techniken durch den Zweiten Weltkrieg nur zum Teil unterbrochen wurde, verlor die von Deutschland ausgehende, entscheidende internationale Bewegung bereits nach der Machtübernahme Adolf Hitlers ihre bedeutendsten Exponenten. Nach der zwangsweisen Schließung des Bauhauses Dessau im Jahre 1932 und einem kurzen Intermezzo dieser Schule in Berlin emigrierten Walter Gropius, Marcel Breuer, Ludwig Mies van der Rohe und andere in die Vereinigten Staaten. Die führenden Architekten des Internationalen Stils fanden hier eine neue Wirkungsstätte, vor allem aber standen ihnen die wichtigsten Hochschulen der Neuen Welt offen. Der Pseudoklassizismus der Diktaturen blieb auf das übrige Europa nicht ohne Einfluß; lediglich in Italien zeigten sich zumindest auf dem Sektor der industriellen Formgebung Ansätze, Elemente des Internationalen Stils der faschistischen Ideologie einzuordnen. Mit dem Ende des Zweiten Weltkrieges war wohl im Westen Europas der >völkische< Einfluß der Diktatoren vorbei, aber in den meisten Ländern mußte wegen der Zerstörungen des Krieges völlig neu angefangen werden. Zunächst war die vordringlichste Aufgabe, die zerstörten Wohnungen wiederaufzubauen. Die Möbelindustrie Europas, soweit sie der Vernichtung entgangen war, hatte unter den Fesseln der faschistischen Ideologie und dem Vorrang der Kriegsproduktion weder neue Ideen entwickeln noch sich mit neuen Materialien auseinandersetzen können. Sie stand einer intakten und dynamischen Industrie in Nordamerika gegenüber, die sich nun bald, vor allem unter dem Einfluß bedeutender europäischer Architekten und Lehrer, auch im Möbelbau eine Führungsrolle aufbaute. Dazu kam, daß die amerikanische Technologie durch die Rüstungsforschung einen gewaltigen Schritt nach vorne gemacht hatte und sich nach dem Kriege sofort auf den Friedensbedarf umstellen konnte. Die Erfahrungen, zum Beispiel beim Einsatz von Kunststoffen im Flugzeugbau, fanden dabei rasch auf friedlichem Gebiet Anwendung. Den unmittelbaren Anstoß gab allerdings schon im Jahre 1941 der vom Museum of Modern Art auf Anregung des Bloomingdale Department Store in New York veranstaltete Möbelwettbewerb >Organic Design in Home Furnishings< (Abb. 312, 313). Die ersten Preise für Sitzmöbel gingen an das Team Charles Eames (geb. 1907) und Eero Saarinen (1910-61). Die von den beiden Architekten vorgeschlagenen Sitzformen - dreidimensionale Schalen - führten unter Aufhebung des rechten Winkels aus der Formenwelt der zweidimensional gebogenen Stühle von Breuer und Aalto in eine neue Sphäre von >Möbelskulpturen<, deren Technologie auf neuesten Erkenntnissen basierte. Die meisten der von der Firma Herman Miller in Zusammenarbeit mit Charles Eames bis in die sechziger Jahre gebauten Möbel können auf das Ergebnis dieses Wettbewerbs zurückgeführt werden (Abb. 314-320). Ohne das Engagement dieser damals noch recht unbedeutenden Firma wäre die konsequente Entwicklung, die Amerika in kurzer Zeit zum führenden Land des moder- 312, 313. Charles Eames und Eero Saarinen. Stuhl und Schrankeinheiten, 1940. Zeichnungen für den Wettbewerb >Organic Design in Home Furnishings<, The Museum of Modern Art, New York,1941. Die ersten nach den Zeichnungen von Eames und Saarinen gefertigten Stühle und Kastenmöbel wurden 1941 in der Ausstellung der Wettbewerbsergebnisse im Museum of Modern Art gezeigt. Die Produktion war vorerst durch den Krieg, aber auch durch die Schwierigkeit, die Entwürfe technisch zu realisieren, gehemmt. Nach jahrelangen Versuchen in kleinen Werkstätten und in Eames' Studio wurden die ab 1946 verbesserten Modelle von Herman Miller übernommen. »Offiziell halte ich mich für einen Architekten. Ich kann einfach nicht anders, als die Probleme um uns herum als Probleme der Struktur aufzufassen - und Struktur ist gleich Architektur« (Charles Eames42). 314. Charles Eames. Stuhl mit Sitz und Lehne aus geformtem Sperrholz und verchromtem Stahlrohrgestell, 1946. Hergestellt von Herman Miller AG. Prototypen dieses Stuhles, bei dem nun zur Vereinfachung der Produktion Sitz und Rükkenlehne getrennt wurden, bestanden schon 1944. Neben Eames und seiner Frau Ray arbeiteten Künstler und Techniker an den Versuchen. Die Formen der Sperrholzteile wurden mit einem Gipsmodell in Originalgröße entwickelt und direkt auf die experimentelle Verformungspresse übertragen. 315. Charles Eames. Armstuhl mit Gestell aus Metallgestänge und geformtem Kunststoffsitz, 1950. Hergestellt von Herman Miller AG. 1948 erteilte das Museum of Modem Art in New York Eames einen Forschungsauftrag für neue Möbelentwürfe. Die Schalenform von 1940 entstand nun in Metall mit aufgespritzter Neoprenunterlage. Das Modell erhielt den zweiten Preis des vom Museum of Modern Art durchgeführten Möbelwettbewerbes >International Competition for Lowcost Furniture-Design<. Da die Werkzeugkosten zu hoch waren, machte Eames Versuche mit durch Glasfasern verstärktem Polyester, die dann in die Produktion übernommen wurden. 316. Charles Eames. Stuhl mit Gestell aus Metallgestänge und Sitz aus geformtem Draht, zum Teil mit Stoff bezogen, 1951. Hergestellt von Herman Miller AG. Ein Versuch, Gestell und Sitz ähnlich in Material und Struktur zu gestalten. 139 140 317. Charles Eames. Tisch und Stühle aus geformtem Sperrholz, Gestelle zum Teil aus Metallrohr, 1944-46. Hergestellt von Herman Miller AG. »Ein Möbelstück, das mit einem schönen Raum oder einer schönen Umgebung harmonisiert, tritt mehr oder weniger zurück. Es erfüllt seinen Zweck am besten, wenn es nicht zum primären Gegenstand der Aufmerksamkeit wird« (Charles Eames 43). 318. Charles Eames. Stühle und Sessel mit Aluminiumgestell, Sitz gepolstert und mit Stoff bezogen, 1958. Hergestellt von Herman Miller AG. »Charles Eames hat mindestens drei der wichtigsten Stuhlentwürfe des zwanzigsten Jahrhunderts geschaffen . . . Seine Arbeiten haben das Möbeldesign in praktisch jedem Land beeinflußt, und seine Beherrschung der modernen Technologie hat sowohl dem Design als auch der Produktion neue Maßstäbe gesetzt« (Arthur Drexler 44). 141 319. Charles Eames. Sessel und Hocker mit Aluminiumgestell, Sitzschalen und Rückenlehnen aus geformtem PalisanderSperrholz, Lederkissen mit SchaumgummiPolsterung, 1957. Hergestellt von Herman Miller AG. Aus vielen Einzelteilen und mehreren Materialien komponiert, gleicht der >LoungeChair< einer modernen Skulptur. »Fragen Sie mich nicht nach neuen Linien und Silhonetten. Mich interessiert mehr die Zweckmäßigkeit und die Art und Weise, wie Dinge sich in einem Raum präsentieren« (Charles Eames 45). 320. Charles Eames. Sessel mit Aluminiumgestell und gepolsterter Sitzschale aus formgepreßtem Polyester und losen Kissen, 1971. Hergestellt von Herman Miller AG. »Technisch gesehen ist dieser Stuhl eines der raffiniertesten und bis zum äußersten entwickelten Modelle von Charles Eames. Seine Plastikschale ist mit einer nach dem Stuhl geformten Urethanschaumpolsterung ausgelegt . . . « (Arthur Drexler 46). 142 322. George Nelson. >CoconutChair<, 1956. Hergestellt von Herman Miller AG. George Nelson, Architekt, Schriftsteller, Designer, wurde 1946 der erste DesignDirektor von Herman Miller. Diese Firma, eine unter 4000 anderen Möbelfabriken und in einer kleinen Stadt nahe von Grand Rapids, Michigan, gelegen, wurde 1905 gegründet und zählte schon um 1931 zu den Pionieren des modernen Design in Amerika. 143 321. George Nelson and Company. Büromöbelprogramm >Action office<, 1964. Gestelle aus poliertem Gußaluminium und verchromter Fußleiste, Seitenteile aus verformtem Kunststoff, Schreibfläche aus Vinyl. Hergestellt von Herman Miller AG. 323, 324. Harry Bertoia. Sessel aus verchromtem oder kunststoffbeschichtetem Rundstahl, Polsterung mit Baumwolle oder elastischem Kunstleder bezogen, 1952. Hergestellt von Knoll International. Harry Bertoia, der für Malerei und Metallskulptur Unterricht gab, wurde von Hans und Florence Knoll aufgefordert, »zu tun, wozu er Lust hatte«. So entstanden seine Drahtsessel: »Bei den Skulpturen geht es mir hauptsächlich um Raum, Farbe und die charakteristischen Eigenschaften von Metallen. Bei einem Stuhl müssen zuerst viele funktionelle Probleme gelöst werden ..., aber wenn man die Sache genau betrachtet, dann sind auch die Stühle Studien in Raum, Form und Metall« (Harry Bertoia 47). nen Möbels machte, kaum möglich gewesen. George Nelson (geb. 1907), der ebenfalls eng mit Herman Miller zusammenarbeitete (Abb. 321, 322) schrieb in einem Katalog über dieses Unternehmen: »Es ist eine kleine Firma, die in einer kleinen Stadt von den Besitzern selbst geführt wird. Was sie von anderen unterscheidet, sind die folgenden Prinzipien: 1. Was du machst, ist wichtig. 2. Design ist ein wesentlicher Bestandteil des Geschäfts. 3. Das Produkt muß ehrlich sein. 4. Du entscheidest, was du produzieren willst. 5. Es gibt einen Markt für gutes Design. Das Programm zielt darauf, eine ständige Kollektion einzurichten; das heißt, jedes Stück wird so lange hergestellt, bis es nicht mehr der Situation entspricht oder verbessert werden kann.« Neben dem Verfahren, Sperrholz dreidimensional zu biegen, wurden die Probleme der Verbindung von dünnen Metallrohrgestellen mit Sperrholzsitzen sowie der Sperrholzformen untereinander gründlich studiert. Daneben galt besonderes 144 Augenmerk der Anwendung neuer Kunststoffe aus dem Flugzeugbau und der Entwicklung einer industriellen Punktschweißtechnik für die Herstellung von Sitzschalen aus Metalldrähten. Zum ersten Mal seit der Produktion der ThonetStühle machte hier die Industrie von der Möglichkeit, aus einer großen Menge von Versuchsstühlen die erfolgreichsten in Serie zu nehmen, Gebrauch. Nur ein Teil der Prototypen von Charles Eames gingen bei Miller in Serienproduktion, doch diese Modelle waren für das Möbeldesign der nächsten zwanzig Jahre von entscheidender Bedeutung. Die Entwicklung im amerikanischen Bürohochhausbau durch die Verbreitung der Ideen Mies van der Rohes bot einer anderen Firma, Knoll Associates, die Möglichkeit, den Bauhausfunktionalismus in die Realität amerikanischer Architektur zu integrieren. Die technische Perfektion in der Architektur verlangte nach einer ebenso hohen Perfektion im Möbelbau und in der Innenraumgestaltung, die nur durch die immer intensivere Zusammenarbeit fortschrittlicher Möbelfirmen mit jungen Designern realisiert werden konnte. 325. Eero Saarinen. Wannen-Sessel, 1970 (Entwurf 1948), Fußbank, 1972. Gestelle aus seidenmatt verchromtem Stahlrohr, Sitz aus geformtem Kunststoff und Schaumgummipolsterung, mit Wollstoff bezogen. Hergestellt von Knoll International. Dieses Sitzmöbel erinnert an den 1940 mit Charles Eames zusammen durchgeführten Wettbewerb für das Museum of Modern Art. Saarinen wollte »einen großen, breiten Sessel, in den man sich kuscheln kann«, entwerfen. Grundelement ist eine vorgefer tigte Kunststoffschale, die mit Fiberglas verstärkt wurde. 326. Eero Saarinen. Polstersessel und Hokker, 1948. Rahmen aus verleimtem Schichtholz in Birke natur, Federpolsterung mit Schaumgummi-Auflage und Stoffbezug. Hergestellt von Knoll International. Das Grundprinzip ähnelt den Entwürfen Aaltos und Breuers aus der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg, in seiner Struktur ist es eher für die Entwicklung in Europa typisch. 145 327, 328. Eero Saarinen. Stühle und Tisch, 1956. Leichtmetallguß mit weißem Kunststoff beschichtet, Sitze aus formgepreßter weißer Polyesterschale mit stoffbezogener Polsterung. Tischplatte aus italienischem Marmor. Hergestellt von Knoll International. Die ersten Ideen für die >Einbein-Modelle< wurden 1953 geboren. Nach Zeichnungen und Skizzen wurden maßstabgerechte Möbelmodelle (1:4) angefertigt und in einem Modellzimmer in Puppenhausgröße aufgestellt. »Was die Einbein-Modelle anbelangt, so schafft der Unterbau von Tisch und Stühlen bei einer typischen Innenausstattung ein unansehnliches, verwirrendes und unruhiges Durcheinander. Ich wollte mit dem Wirrwarr der Beine aufräumen; ich wollte aus einem Sessel wieder eine Einheit machen« (Eero Saarinen 48). 146 Eero Saarinen begann schon 1943 für Hans (1914-55) und Florence Knoll (geb. 1917), die selbst Designer waren (Abb. 329), zu entwerfen (Abb. 325-328). 1951 gründete Knoll Niederlassungen in Deutschland und Frankreich, 1955 wurden die Möbel von Mies van der Rohe aus der Vorkriegszeit in das Programm aufgenommen (Abb. 330). In der Folge konnten eine Reihe bedeutender Designer gewonnen werden: Harry Bertoia (geb. 1915, Abb. 323, 324) und später, nach der Erwerbung der 329. Florence Knoll. Einrichtung für den Empfangsraum im Bürogebäude der Connecticut General Life Insurance Company in Bloomfield, Connecticut. Architekten Skidmore, Owings & Merrill, erbaut 1954-57. Möbel für Büros und Empfangsräume wurden in den sechziger Jahren immer eleganter und luxuriöser. Teak, Palisander, Marmor und polierter Stahl waren typisch für den >Knoll-Look<. 330. Eßzimmer, eingerichtet mit >Brünn<Stühlen von Mies van der Rohe und Tisch von Eero Saarinen. Hergestellt von Knoll International. Die Einrichtung aus don sechzigcr Jallrcn entspricht in Raumkonzept und Möblierung den Vorstellungen des Internationalen Stils. 332. Tobia Scarpa. >Bastiano<-Sofa aus fein mattiertem Palisander und lederbezogener Polsterung, 1969. Vico Magistretti. >Caori<Tisch aus eloxiertem Aluminium, Gestell schwarz matt lackiert, 1969. Hergestellt von Knoll International. Die Sitzgruppe wie auch die Kaminwand aus schalungsrauhem Beton kündigen in ihrer formalen Gestaltung das Entie dcs lntcrnationalen Stiles an: Durch die UberÜct`,nung von Konstruktion und Material wird in Architektur und Möbeldesign ein vorder gründiger Manierismus zur Mode. 147 italienischen Firma Gavina, Vico Magistretti, Tobia Scarpa und andere (Abb.332). Auch Marcel Breuers Möbelentwürfe aus den zwanziger und dreißiger Jahren gingen über Gavina bei Knoll in Serie. Die Firmen Knoll und Herman Miller nehmen noch heute einen bedeutenden Rang im internationalen Möbelbau ein und bestimmten oftmals in den vergangenen Jahren die Richtung, die das Möbeldesign nehmen sollte (Abb. 331). Allerdings, billig waren die perfekten Stühle aus Chromstahl und Leder nie. Der verhältnismäßig breite Markt des teuren, repräsentativen Möbels für das Management der sechziger Jahre ließ jedoch zu, daß Designer und Industrie zusammen kühne Entwürfe realisieren und laufend perfektionieren konnten. Die Weiterentwicklung des Internationalen Stils 331. Robert Haussmann. Zerlegbarer Sessel mit Gestell aus federndem Flachstahl, Ledergurtbespannung und losen Lederpolstern, 1955. Hergestellt von Haussmann & Haussmann. Ein auf den Vorstellungen Mies van der Rohes weiterentwickelter Sessel. Obwohl die Entwürfe Mies' bis in die letzten Detailpunkte durchdacht waren, ließen sie durchaus positiv zu wertende Abwandlungen zu. Der Internationale Stil, im Möbelbau ebenso wie in der Architektur schon zur Zeit des Bauhauses vor allem durch die Arbeiten von Mies van der Rohe, Marcel Breuer und Le Corbusier begründet, wurde im Amerika der Nachkriegsjahre perfektioniert und kam nun in ein Europa zurück, das sich in den fünfziger Jahren nach den verheerenden Vernichtungen des Weltkrieges langsam erholte. Das Vorbild der Glashaus-Architektur und der große Einfluß Amerikas auf die gesamte westliche Welt verhalfen der Renaissance des Internationalen Stils auch in Europa rasch zum Durchbruch. Neben der Wärme des dänischen Teakholzmöbels gehörte die strenge Kühle des Neofunktiona l ismus zum Image der sich rasch ausbreitenden Konsumgesellschaft. In aller Welt wurden die >Starmöbel< kopiert und abgewan- 148 333 334 333. Arne Jacobsen. Büro des Stadtingenieurs im Rathaus von Glostrup, 1958. Sessel und Sofa mit Gestellen aus verchromtem Stahlrohr, fest gepolstert. Hergestellt von Fritz Hansens Eft. Jacobsens Bauten und Möbel zeichnen sich durch wohlüberlegte Detaillösungen aus. Die für Verwaltungsbauten oder Hotels entworfenen Möbel wurden zumeist als Serienmöbel für den Wohnbereich übernommen. 334. Arne Jacobsen und Niels Jorgen Haugesen. Büromöbelprogramm >Djob<, 1969/70. Tischgestelle aus Aluminiumprofilen zusammengesteckt; Tischplatten, Unterschränke und Kastenmöbel aus dunkelblau oder ocker beschichtetem Holz. Hergestellt von Scandinavian Office Organisation Ltd. 335. Poul Kjaerholm. Sitzbank mit verchromtem Metallgestell, Sitz, Lehnen sowie lose Daunenkissen mit Leder bezogen, 1958. Hergestellt von Kold Christensen. 149 335 336. Poul Kjaerholm. Sessel mit Gestell aus verchromtem Bandstahl und Korbgeflecht, 1956. Hergestellt von Kold Christensen. »Die Sitzmöbel von Kjaerholm sind charakteristisch für eine großartige formale Einfachheit, die vollkommen mit den verwendeten Materialien in Einklang steht. 49« 336 delt: So gibt es wohl Hunderte von Variationen der Sitzmöbel Mies van der Rohes. Sicher ist, daß nun der Internationale Stil, als Mode hochgespielt, sich aus den Bereichen der reinen Büromöblierung löste und auch zum Vorbild für die Einrichtung von Wohnungen wurde. Besonders in Deutschland, Italien und in den nordischen Ländern fand diese Entwicklung breiten Anklang, wobei mit dem wachsenden Wohlstand der Nachkriegsjahre die Ansprüche ständig stiegen. Büromöbel und Wohnmöbel wurden teilweise identisch. In Deutschland brauchte es allerdings nach der totalen Niederlage, nach der Zerstörung aller großen Städte, noch seine Zeit, bis über die Befriedigung elementarer Bedürfnisse hinaus der Wille zum modernen Wohnen geweckt wurde. Trotz aller - politisch beeinflußten- Versuche wie dem >WK<-(Wohnkultur) Programm in Deutschland oder dem >SW<-(Soziales Wohnen) Programm in Österreich, die auf den Überlegungen für ein preiswertes, funktionelles Möbel der dreißiger Jahre aufbauten, waren Möbel und Raumgestaltung des wohlhabend gewordenen Bürgertums und der von der Hochkonjunktur profitierenden Arbeiterschaft durch einen neuen Historismus gekennzeichnet, der zum Teil seine Ursache darin hatte, daß breite Schichten in einer kleiner gewordenen Welt Möbel und Gerät fremder Länder zu Gesicht bekamen und unkritisch nachahmten. Das Resultat war jener Kitsch, der, ohne Sinn für die Anforderungen der neuen Zeit, durch Illustrierte und Fernsehen verbreitet wurde. 150 337. Hans Gugelot. Modulargruppe ,M 125<, 1953. Hergestellt von Wilhelm Bofinger. Anund Aufbauprogramm aus Metallstäben und Brettern mit hellgrauem Kunststoffbelag und Kanten in Afromosia. Die Bauteile eignen sich für den Aufbau von vielfältigen Wohn-, Schlafzimmer- und Studiokombinationen wie Kommoden, Schränke, Bücherregale, Regalwände und Raumteiler. Gugelots An- und Aufbauprogramm ist typisch für die Entwicklung der Möbelformen des Neofunktionalismus, der Versuch, einfache Systeme wandbildend und raumtrennend einzusetzen - von der Möbelindustrie oftmals variiert Bezeichnenderweise schloß man sich meist nicht an die Grundsätze des Bauhauses, die Erkenntnisse der Weißenhofsiedlung oder das soziale Denken der Frankfurter Siedlungen an, sondern übernahm den Kleinhäuschencharakter der Adolf-HitlerZeit, der letztlich nichts anderes war als die Verniedlichung des Gedankens vom englischen Landhaus, der seit Muthesius' Zeiten die Villenvororte der deutschen Städte bestimmte. Der große Nachholbedarf an Möbeln war zwar die Grundlage für eine gesteigerte Produktion, deren Ziele waren aber keineswegs soziale, funktionelle oder formale Vorstellungen, sondern darauf gerichtet, die Erzeugnisse des vergangenen Jahres möglichst rasch veralten zu lassen. Ideen für neue Wohnformen wurden erst nach Befriedigung der Wohnungsnot spürbar. Anders verlief die Entwicklung in Dänemark, wo Arne Jacobsens Überlegungen des »to do it a little better«, der Architektur der kleinen Schritte, Möbel des Internationalen Stils einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich machten und damit dem Teakstil eine entscheidende Variante zur Seite stellten (Abb.333, 334). Im gleichen Sinne kann die Arbeit von Poul Kjaerholm (geb. 1929) und J0rn Utzon (geb. 1918) gewertet werden (Abb. 335, 336, 338, 339). In Deutschland fand das Möbeldesign des Internationalen Stils in der Ulmer Hochschule für Gestaltung, besonders durch Hans Gugelot (1920-65, Abb. 337), seine theoretische Fundierung. Fragen der Ästhetik und Auseinandersetzungen mit den sozialen Problemen der Zeit standen im Vordergrund. In den frühen sechziger Jahren war allerdings die Dynamik des Internationalen Stils zum Stillstand gekommen. Die zunehmende Kritik an der rigiden Architektur Mies van der Rohes griff auch auf das Möbeldesign über. Seine Ideen der konstruktiven Ehrlichkeit wurden vom Brutalismus ins Extrem weitergeführt, bald jedoch von manieristischen und formalistischen Spielarten abgelöst. Dieser Trend wirkte sich nachteilig auf die Möbelentwicklung aus. Grundsätzlich neue Formvorstellungen, die über den Internationalen Stil hinauswiesen, gab es nicht. So versuchte man, wie oft am Ende einer großen Stilepoche, durch Rückgriffe auf die Vergangenheit eine spürbare Leere zu überdecken. Nach den Erfolgsmodellen Mies van der Rohes, 338. Jorn Utzon. Zerlegbares Möbelsystem mit Gestellen aus U-Bügeln (AluminiumDreieckrohr in neun verschiedenen Größen), 196S,. Hergestellt von Fritz Hansens Eft. Die Serie umfaßt Sessel, Liegesessel, Hokker, Tische sowie zweiund dreisitzige Sofas, die auch zu Reihen verbunden werden können. Schaumgummipolsterung mit Lederoder Stoffbezug, Tischplatten kunststoffbeschichtet. 339. Jorn Utzon. Sessel und Hocker aus verformtem Schichtholz und verchromtem Stahlrohrgestell mit Schaumgummipolsterung und Stoffbezug, 1969. Hergestellt von Fritz Hansens Eft. Jorn Utzons Sitzmöbel, am Ende der Entwicklung stehend, versuchen neue, plastisch-phantasievolle Formelemente einzuführen. 151 Marcel Breuers und Le Corbusiers aus den zwanziger und dreißiger Jahren kamen nun sogar Möbel wieder ans Tageslicht, die zur Zeit ihrer Entstehung nie Serienprodukte sein konnten: die Stühle von Mackintosh oder Gaudi und die Einzelmöbel von Hoffmann und Strnad - ein neuer Historismus, der einer zukunftsgerichteten Entwicklung nur schadete. Im Grunde war dieser Prozeß eine in allen Bereichen des Design erkennbare Reaktion auf die kühlen, strengen Formen des Funktionalismus, die dann verständlich wird, wenn man bedenkt, daß im Internationalen Stil der Nachkriegszeit dieser Funktionalismus zur bloßen Mode geworden war. 152 Neue Impulse aus Italien Anfang der sechziger Jahre hatte in Europa die Phase des Wiederaufbaus ihren Abschluß erreicht. Die Industrie, von den Folgen des Krieges erholt, strebte wirtschaftlichen Höhepunkten zu; auch war eine leistungsfähige Möbelproduktion entstanden. Damit waren die Voraussetzungen für eine eigenständige europäische Entwicklung gegeben, die zunächst an die perfekte Technologie und das ausgefeilte Design der wenigen avantgardistischen amerikanischen Möbelfirmen sowie an die Wohnvorstellungen des soliden Teakholzstils aus Skandinavien anknüpfte. Hinzu kamen bald selbständige Leistungen europäischer Firmen, in Zusammenarbeit mit Designern, die an Hochschulen wie dem Royal College of Art in London oder der Hochschule für Gestaltung in Ulm nicht nur eine gründliche künstlerische Ausbildung erhalten hatten, sondern auch ein fundiertes theoretisches Wissen, das relevante andere Disziplinen, wie zum Beispiel die Soziologie, mit einschloß. Nach dem Niedergang des Internationalen Stils und dem allmählichen Abflauen der Teakwelle übernahm nun Italien die Führungsrolle im Möbelbau. Der italienische Möbelstil war zugleich der bisher letzte nationale Stil im engeren Sinne; der fast unbeschränkte Welthandel führte parallel mit der Ausweitung der Exportmärkte zu einer gegenseitigen Abhängigkeit und Durchdringung nationaler Entwicklungen. Das italienische Möbel verdankt seine Entstehung einer erstaunlich großzügigen Zusammenarbeit von Unternehrnern, kleineren Werkstätten und fortschrittlichen Designern, wobei der Umschwung im gesamten Bereich industrieller Formgebung zunächst ein Nebenprodukt der Arbeit engagierter Architekten war. Zentrum der dynamischen Entwicklung waren Mailand und seine Region mit einer seit längerer Zeit typischen Konzentration kleinerer Möbelfirmen. Der Ausgangspunkt des italienischen Erfolges war der Versuch italienischer Architekten der Zwischenkriegszeit, Anschluß an die mitteleuropäische Entwicklung zu finden. Während in der Sowjetunion die hoffnungsvollen Ansätze des Konstruktivismus zur Gestaltung aller Lebensbereiche schon in den zwanziger Jahren in einen fast bürgerlichen Konservativismus mündeten und sich die deutsche Architektur unter Adolf Hitler einem ins Gigantische übersteigerten Klassizismus zuwandte, wurden die jungen Architekten der modernen Bewegung in Italien zwar ebenfalls nahezu vom Baumarkt verdrängt, hatten jedoch in dem weniger lückenlosen System des italienischen Faschismus noch die Möglichkeit, ihre schöpferischen Energien auf andere Bereiche wie den der Einrichtung, des >Arredamento<, umzu- 340. Franco Albini. Schaukelstuhl aus Eisen, 1940. Im Besitz des Entwerfers. 341. Agnoldomenico Pica. Stahlrohrstuhl, 1933. Im Besitz des Entwerfers. 342. Giuseppe Terragni. Stuhl aus Stahl und Holz, um 1935/36. Sammlung Terragni, Como. 345. Giovanni Pintori. Plakat für OlivettiSchreibmaschinen, 1940. Im Besitz des Entwerfers. Der Graphiker Giovanni Pintori, seit 1936 für Olivetti tätig, prägte mit der Kampagne für die Studio 42< den neuen Stil der Olivetti-Werbung. Marcello Nizzoli wurde von Camillo Olivetti schon 1931 beauftragt, eine neue Form für die Schreibmaschine >Summa< zu finden. Mit den Entwürfen fur >Lexicon 80< (1948) und >Lettera 22< (1950) beeinflußte erdurch das ausgewogene Verhältnis von Mechanismus und Gehäuse - die weitere Entwicklung der Büroschreibmaschine entscheidend. 153 343. Franco Albini. Radioapparat zwischen zwei Kristallglasplatten, 1936. Im Besitz des Entwerfers. »Die von Architekten entworfenen Einrichtungen . . . hatten eine wichtige Funktion: einerseits bei der Geschmacksbildung des Publikums und andererseits bei der Umstellung der handwerklichen auf die industrielle Produktion. Diese Einrichtungen wurden im allgemeinen nicht als Einzelstücke entworfen, auch nicht als Zusammenstellung von Unikaten, sondern jedes Möbelstück, das hergestellt werden sollte . . ., trug bereits den Charakter des Industrieproduktes. Die Berücksichtigung von Zweckmäßigkeit und Gebrauchsfähigkeit, intensives Studium der Wirtschaftlichkeit des Materials und der Verarbeitung, die Absicht, >Freude an der Serie< zu schaffen, all dies nimmt jene Begriffe vorweg, die das heutige >Industrial Design< kennzeichnen« (Franco Albini50). 344. Luigi Figini und Gino Pollini. Entwurf eines Radios und Plattenspielers, hergestellt 1933 für die >Societä nazionale del Grammofono<. lenken. Die ersten italienischen Entwürfe für Stahlrohrmöbel, die Erneuerung des Chiavari-Stuhles 1933 durch Emanuele Rambaldi (Abb.59) und die ausgezeichneten Prototypen von Industrieprodukten aller Art setzten Marksteine, die die faschistische Epoche und damit den Krieg überdauerten (Abb.340-344). Der ständige Gedankenaustausch mit progressiven Architekten und Designern aus aller Welt, die bei den Mailänder Triennalen vor und nach dem Krieg zusammenkamen, machte sich ebenso bemerkbar wie die konsequente Modernität der Zeitschriften Domus und Casabella. Nach dem Kriege konzentrierten die Architekten ihre Anstrengungen auf den Wiederaufbau von Wohnvierteln, vor allem aber auf die Hebung des Qualitätsstandards der Wohnungen. Im Bereich der industriellen Formgebung glückten jedoch sehr bald Experimente, die in einem Lande, das bis vor kurzem keine wissenschaftliche Designerausbildung gekannt hatte, große Bedeutung erlangten: die von Marcollo Nizzoli entworfenen Olivetti-Schreibmaschinen (Abb.345) sowie die Konstruktion und formale Durchbildung der Motorroller von Vespa und Lambretta, 1948 und 1949. Diese Vorbilder konsequenten Designs wirkten sich auch auf die Gestaltung der Wohnungseinrichtungen aus. In den fünfziger Jahren, zur Zeit, als die bisher von den Künstlern dominierten Mailänder Triennalen mehr und mehr im Zeichen der Designer standen und der Mailänder Kaufhauskonzern La Rinascente mit der Verleihung des Preises >Compasso d'oro< viel für das zweckmäßige moderne Möbel tat, wurde der eigentliche Grundstock für eine breite Entwicklung gelegt. Aus der Fülle von großartigen Entwürfen, die oft durch die Fachpresse weltweite Verbreitung fanden, wurden jedoch nur wenige tatsächlich in Produktion genommen (Abb. 346-349). Trotz der Tatsache, daß das anspruchsvolle, durch kleine Serien teure Design nur wenigen zugute kommen konnte, waren die schöpferischen Ideen so durchschlagskräftig, daß bald überall von den Erfolgen der italienischen Erzeugnisse gesprochen wurde. Die Designer gingen meist von ästhetischen Lösungen aus, von einer plastischen Auffassung, die in direktem Gegensatz zum strengen Konstruktivismus des Internationalen Stils stand. Ihre Serienprodukte waren formal durchdacht, manchmal etwas verspielt, aber immer überzeugend in der Aussage und von starkem 154 346. Luisa Castiglioni und Margherita Mori. Wohnraum mit Bücherregal, Arbeitstisch und Lehnsessel, um 1950. Hergestellt von Ettore Canali. 347. Angelo Mangiarotti. Bücherregal, aus einzelnen Holzelementen zusammengefügt, 1955. Hergestellt von Fratelli Frigerio. 348. Franco Albini, Luigi Colombini und Enzio Sgrelli. Armstuhl mit beweglichem Sitz und Rückenteil, Schaumgummipolsterung, um 1950. Hergestellt von La Rinascente. 349. Angelo Mangiarotti. Kleiderschrank, aus verschiedenen Elementen zusammengesetzt, um 1950. »Wir müssen mit der Tatsache beginnen, daß bis zum Jahre 1946 die Tradition des italienischen Design vollständig nach den Richtlinien einer mit der Architektur eng verbundenen Kultur geformt und entwikkelt wurde. Dies war natürlich rationalistische Architektur, die nach 1945 auf einer ideologischen Ebene mit den politisch antifaschistischen und nationalen Befreiungsbewegungen in Verbindung gebracht wurde und die sich, auf eine starke Tradition stützend, vor allem in Mailand konzentrierte. Sie war immer noch internationalistisch und elitär und befaßte sich zu jener Zeit mit den Problemen der Standardelemente und Vorfertigung« (Vittorio Gregotti 51). 155 350. Franco Albini und Franca Helg. Sessel mit Stahlrohrgestell und Schaumgummipolsterung, 1960. Hergestellt von Poggi. 351. Osvaldo Borsani. Sessel mit federndem Metallgestell, Schaumgummipolsterung und Bezug aus Stoff, Kunststoff oder Leder, 1961. Hergestellt von Tecno 352. Marco Zanuso und Richard Sapper. Sessel mit Metallgestell, 1964. Hergestellt von Arflex s.p.a. Sitzfläche und Rückenlehne aus Stoff oder Leder sind durch ein Scharnier verbunden. Die verstellbare Aufllängung des Sitzes erlaubt vier verschiedene Sitzpositionen. »Während die besten englischen Produkte über eine unmittelbare Ausgewogenheit zwischen Nachfrage und Lösung, zwischen Ergebnis und Ausführung verfügen, während die amerikanischen Produkte vor allem jenen engen Raum, den ihnen das Gefüge einer perfektionierten Technologie und eines perfektionierten Produktionssystems läßt, auszufüllen wissen, zeichnet sich das italienische Design, generell gesagt, vor allem durch eine formal geglückte Lösung aus. Es ist imstande, ganz plötzlich durch eine brillante ästhetische Lösung die Lücken einer Produktion zu schließen, in der Entwicklungsstand und Produktion weitgehend unausgeglichen sind, die, was Technologie und Organisation betrifft, im wesentlichen noch im Reifeprozeß steht und . . . oft auf Improvisation zurückgreift« (Vittorio Gregotti52). Individualismus geprägt. Als jedoch zunehmend soziale Uberlegungen in den Vordergrund traten und man versuchte, stärker die Bedürfnisse breiter Schichten im Entwurfsprozeß zu berücksichtigen, mußte man den bisher verfolgten Weg des originellen, individuellen Möbels für begrenzte Käuferzahlen verlassen. In diese Zeit fallen die ersten Experimente mit Kunststoffmöbeln, 1960 von Joe Colombo und Angelo Mangiarotti, 1964 von Marco Zanuso, mit denen man sich erhoffte, gute Möbel zu erschwinglichem Preis herstellen zu können und damit einer breiteren Käuferschicht modernes Design nahezubringen. Das technologisch sehr interessante und preisgünstige Kunststoffmöbel verhalf dem italienischen Design endgültig zum weltweiten Durchbruch. Eine Fülle von Talenten, zumeist als Architekten und Designer tätig, wie Gae Aulenti, Rodolfo Bonetto, Achille und Pier Giacomo Castiglioni, Angelo Mangiarotti, Enzio Mari, Giancarlo Piretti, Alberto Rosselli, Tobia und Afra Scarpa - neben den in den Bildtexten genannten Entwerfern - haben 156 353. Marco Zanuso und Richard Sapper. Kinderstuhl aus Niederdruck-Polyäthylen, 1964. Hergestellt von Kartell. Der Stuhl besteht aus drei Elementen (Sitz, Beine, Gleiter), die durch Druck zusammengefügt werden. Er wurde für Kindergärten und Grundschulklassen entwickelt und läßt sich auch zum Bauen verwenden. 354. Vico Magistretti. Stapelstuhl >Selene aus glasfaserverstärktem Polyester, 196E Hergestellt von Studio Artemide. 355. Joe Colombo. Stapelbarer Stuhl au >Moplen<-Kunststoff, 1965. Hergestellt vo Kartell. 356. Carlo Vigano. Modulare Kastenmöbel serie aus lackiertem Holz, 1968. Hergestell von Cesare Augusto Nava. Die einzelnen Behälter können aus sech Grundelementen zusammengesetzt, hori zontal oder vertikal kombiniert und mit ver schiedener Inneneinteilung je nach Bedar ausgestattet werden. 157 357. Anna Castelli Ferrieri. Runde, vielfach kombinierbare Kunststoffbehälter mit oder ohne Schiebetüren und Laufrollen, 1970. Hergestellt von Kartell. 358, 359. Pierluigi Molinari. >BoxSystem<, 1970. Hergestellt von Asnaghi Rinaldo & Figli. Schränkchen mit Rolljalousien in zwei Höhen aus Kunststoff, die beliebig verbunden werden können. Die Inneneinrichtung ist variabel, neben Fachböden, Schubladen und Kleiderstangen ist auch ein KlapptischEinsatz erhältlich. Mit Metallbügeln lassen sich außerdem Tischplatten zwischen den Kästen einhängen. »Diese Möbelstücke, die zu bloßen ausstaffierten Behältern wurden - gewöhnlichen Kästen- enthalten all die anderen Elemente, deren Schaffung dazu diente, die übliche Zusammenstellung der Bedürfnisse, die unsere von Industrie und Produktivität bestimmte Gesellschaft nach und nach gemacht hat, so zweckmäßig wie möglich zu ergänzen« (Ettore Sottsass 53). eine Entwicklung vorangetrieben, vielfältig und schillernd, wie es dem individuellen Denken des Südens entspricht (Abb. 350-359). Am Höhepunkt dieser Entwicklung, vielleicht durch die Ausstellung >Italy, The New Domestic Landscape< im Museum of Modern Art, New York, gekennzeichnet, steht allerdings der Versuch, auch im Möbeldesign den augenscheinlich bestehenden Bruch zwischen Produktion und Gesellschaft in Italien, einem Land voll sozialer Gegensätze, durch sozialkritische, radikale oder utopische Projekte zu ändern - AntiDesign anstelle des Design zu setzen. Das Kunststoffmöbel Die ersten Skizzen für preßverformte Stühle in Schalenform, die ganz aus Kunststoff gefertigt werden sollten, stammen bereits aus dem Jahre 1946, und zwar von der Hand Mies van der Rohes (Abb.360), der damals in Chicago arbeitete und lehrte. Bei den von den Firmen Knoll und Miller entwickelten Möbeln der Nachkriegsjahre wurde jedoch Kunststoff zumeist nur für die Sitzschalen verwendet, die Gestelle waren aus Metall. Die ersten Versuche italienischer Firmen und Designer, die technischen und formalen Probleme des Kunststoffmöbels zu lösen, 158 reichen bei Kleingeräten bis in die späten Experimentierstadium die Phantasie der Designer und der Wagemut der Unternehmer engagiert eine Entwicklung vorantrieben, deren Erfolg oder Mißerfolg noch überhaupt nicht abzusehen war.Wenn auch zunächst manches noch handwerklich anmutete, so betrachtete man doch grundsätzlich das Möbel als formale Einheit und wollte es folglich möglichst in einem industriellen Arbeitsgang ganz aus Kunststoff herstellen. Form und Technik mußten aus dem neuen Material gewonnen werden. Eine neue Ästhetik entstand aus der weitgehend freien Verformbarkeit der Kunststoffe, die von der chemischen Industrie zugleich immer weiter verbessert und den Erfordernissen des Möbelbaus angepaßt wurden. Die Designer hatten nun ein Material zur Verfügung, mit dem sie ihre Sitzmöbel in einem relativ einfachen Produktionsprozeß dem menschlichen Körper genau anpassen konnten. Sie modellierten das Möbel, es entstand eine Plastik, deren Grenzwerte nur durch die Anforderungen der maschinellen Fertigung und die Materialeigenschaften gegeben waren. Vor allem Kunststoffstühle und kleinere, oft stapelbare Tischchen (Abb. 353355, 361, 363) wurden durch ihr geringes Gewicht und den zumeist recht niedrigen Preis für ein breites Publikum interessant, wobei der Preis bei weiterer technischer Perfektion und größeren Serien sicherlich noch merklich sinken könnte. Weitere wesentliche Vorzüge des Kunststoffmöbels, wie die Schlag- und Kratzfestigkeit der Oberfläche und seine leuchtende Farbigkeit, wurden immer mehr vervollkommnet. Die des überholten Teakholzstils überdrüssig gewordenen Designer im Norden versuchten sich, wie auch die Designer in anderen Ländern, ab der Mitte der sechziger Jahre ebenfalls in Entwürfen für Kunststoffmöbel, so daß bald von einem >internationalen Trend< gesprochen werden konnte. Jedoch blieb Italien immer, dank der Vielfalt der gebotenen Modelle, ihrer präzisen Durchbildung und ihrer überzeugenden formalen Aussage, das einzigartige, oft kopierte Vorbild. Bei der Konstruktion von Kastenmöbeln aus Kunststoff kam man bisher produktionstechnisch über bestimmte, begrenzte Größenordnungen nicht hinaus (Abb. 357). Das Material, dessen hervorragende plastische Eigenschaften bei Sitzmöbeln ideal zur Geltung kamen, war Holz und Metall beim Bau streng kubischer Formen, wie sie Kastenmöbel funktionsbedingt aufweisen müssen, unterlegen. Erfolge zeigten sich allenfalls dort, wo kleine Einzelelemente zu größeren Einheiten zusammengeschlossen werden, zum Beispiel bei Regalen (Abb. 361, 362). 360. Mies van der Rohe. Entwurf eines Schalenstuhles zur Ausführung in Kunststoff, 1946. Die visionäre Skizze Mies van der Rohes läßt Plastizität, technische Möglichkeiten vor allem durch Verstärkumg des Materials an kritischen Punkten -, aber auch die Grenzen technischer Realisierbarkeit erkennen. 361. Vico Magistretti. Zerlegbarer Tisch und Stühle aus verstärktem Kunstharz, 1969 und 1971. Hergestellt von Artemide. Ernesto Gismondi. Regalsystem >Dodona 300< aus ABS-Kunstharz, 1971. Seitenteile und Fachböden sind durch Metallwinkel unsichtbar verbunden. Hergestellt von Artemide. 159 362. Corrado Cocconi und Fabio Lenci. Regalsystem mit Würfeln aus Plexiglas, 1970. Die Beschläge und Verbindungsstücke sind aus verchromtem Metall, die Sockel aus poliertem Aluminium und schwarzem Plexiglas. Hergestellt von Ilform. 363. Jürgen Lange. Anbauwand >behr 1600<, 1969, zusammengesetzt aus flachen Einzelteilen nach einem Modulsystem, das in Höhe, Breite und Tiefe variabel ist. Die Seitenwangen sind mit Bohrungen zum Einhängen von Fachböden und Kastenelementen versehen. Klappbetten und tische, Durchgangstüren und Rückwände sind für die Verwendung als Raumteiler lieferbar. Hergestellt von Behr Produktion KG. Im Vordergrund: Mario Bellini. Stapeltisch >Amanta< aus Kunststoff, 1967. Hergestellt von C & B Italia. Verner Panton. Stapelstuhl aus Fiberglas und Polyester, bruchsicher und witterungsbeständig, l 960/1968. Hergestellt von Herman Miller AG. »Wenn mit dem Ziel der Gewinnvermehrung Produktionsanlagen Massenprodukte ausstoßen, muß der Massenkonsum gesichert sein. Dadurch entsteht heute für den Unternehmer der Zwang, Märkte zu machen 54.« Das Kunststoffmöbel bedarf schon aus technischen, noch mehr aber aus ökonomischen Gründen einer durchgängig industriellen Fertigung, um sich vom Preis her als Massenartikel durchsetzen zu können. So mußte neben der technischen und formalen Entwicklung auch eine präzise Marktforschung vorgenommen werden. Entwurf, Herstellung und Absatz des Kunststoffmöbels gehorchen den Gesetzen der Industriegesellschaft, und es besteht gerade beim Kunststoffmöbel die Chance, durch funktionelle Entwürfe, ausgezeichnetes Design und Preiswürdigkeit weitaus breitere Käuferschichten für das moderne Möbel zu gewinnen als je zuvor. 160 Vom Einzelmöbel zur Wohnlandschaft Seit dem Barock war es in der begüterten Oberschicht üblich, den Architekten nicht nur mit dem Bau selbst zu beauftragen, sondern auch häufig die dem Charakter der Räume entsprechende Einrichtung entweder von ihm entwerfen zu lassen oder bei Handwerkern zu bestellen, die imstande waren, die dem >Stil< der Bauten entsprechenden Möbel zu liefern. Seit der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts, der Zeit der beginnenden Mietwohnungsarchitektur, suchten nun zunehmend größere Bevölkerungskreise in ihrem Streben nach gesellschaftlicher Anerkennung die Wohnformen des Adels und gehobenen Bürgertums zu imitieren. Die zwar arbeitsteilig vorgehenden, aber noch nicht voll industrialisierten Möbelfirmen boten hierzu bald eine große Auswahl stilistisch einheitlich konzipierter und gefertigter Möbel zur Einrichtung von vorgegebenen Räumen an; ihre Größe richtete sich nach den Proportionen der neu entstandenen Mietwohnungen. Nachgebaute Stilmöbel, später auch für die Kleinserie entsprechend angepaßte Entwürfe des Jugendstils, erschienen mit zunehmender Industrialisierung mehr und mehr in den Katalogen der Möbelproduzenten. Als >Garnitur< hat sich diese Möbelform bis heute einen festen Platz erhalten. Unter vermeintlicher Vorspiegelung eines gehobenen gesellschaftlichen Status verstellen diese für heutige Etagenwohnungen viel zu groß und schwer geratenen Möbel wertvollen Wohnraum und beherrschen immer noch einen großen 364. Die stilistisch und historisch aus verschiedenen Vorstellungen und Epochen stammenden Möbel bilden hier ein gutes Beispiel für die unorthodoxen Einrichtungen der siebziger Jahre - keine stilistische Prinzipienreiterei, sondern freie Wahl sind bei sicherem Geschmack die beste Voraussetzung für Wohnlichkeit. 161 365. Jürgen Lange. Programm >behr 1600 paneol<, 1970/71. Hergestellt von Behr Produktion KG. Regalböden, Kastenelemente, Spiegel und Tische können bei dieser Aufbau-Wand an beliebiger Stelle in die Fugen eingehängt werden. Der >Fauteuil grand confort< von Le Corbusier (vgl. Abb. 252), fünfzig Jahre früher entworfen, fügt sich selbstverständlich in dieses Ambiente. Teil des Möbelmarktes Die Spezialisierung der Möbelindustrie in bestimmten Produktsparten, wie zum Beispiel Schrankwänden, Sitzmöbeln oder Küchen, brachte unter dem Zwang zur Rationalisierung und Vergrößerung der Serien in den letzten Jahrzehnten eine gegenläufige Tendenz, die zur Auflösung der Einrichtung in Einzelmöbel führte. So wurde etwa der Schrank im Zuge seiner Umwandlung zur Schrankwand mehr und mehr anonymes, fast architektonisches Element im Raum, vor dem die anderen Möbel, besonders die Sitzmöbel, umso stärker in Erscheinung traten (Abb.365). Die hieraus entstandene, noch immer weit verbreitete Neigung, die verschiedensten Möbel in einer Wohnung nebeneinander zu verwenden, wird heute bereits wieder in Frage gestellt. Suchte mantis weit in das zwanzigste Jahrhundert hinein durch eine formal aufeinander abgestimmte Möblierung eine Anpassung an die - tatsächlich oft gar nicht mehr vorhandenen - Normen der jeweiligen Oberschicht zu erreichen, so steht heute beim Versuch der Gesamtgestaltung des >Environments< eine neue Idee im Vordergrund: Durch größere Variabilität will man die durch die starre Möblierung bisher fest vorgegebene Beschränkung der Räume auf einen bestimmten, speziellen Zweck wie Wohnen oder Schlafen aufheben und damit Möglichkeiten für neue Lebensformen und informelles Verhalten, bei Ablehnung leerer Repräsentation, schaffen. Man sitzt heute nicht mehr auf seinem Stuhl oder im Sessel, man liegt, macht es sich bequem und genießt die Freiheit von der Norm. 162 Dem entsprechen die über einen ganzen Raum verteilten Polster, die geschwungenen Schaumstoffsitze, das Liegen und Sitzen auf dem teppichbespannten Boden (Abb.366-370). Dieser Trend zur freien, variablen Nutzung des ganzen Wohnraumes enthält sicher ein großes Maß an Kritik an den perfekt geplanten Einrichtungen, die nach Fertigstellung jede Veränderung ausschließen. Vorschläge, wie sie die Firma Bayer bei den Möbelmessen in Köln von Designern wie Verner Panton (geb. 1926), Joe C. Colombo (1930-1971) und Olivier Mourgue (geb. 1939) im Rahmen ihrer Visiona-Ausstellungen realisieren ließ, entstanden zunächst aus dem Versuch, Produkte wie die für den Möbelbau geeigneten Kunststoffe besonders auffällig zu präsentieren. Die dort als Messeneuheit und zur Werbung präsentierte >Wohnlandschaft< (Abb.371-373) wurde bald, zumindest in Form von leicht zu realisierenden, kleineren Einheiten, von Designern weiterentwickelt und von Möbelfirmen in ihre Programme aufgenommen. Vor allem Sitzmöbel dieser Art, oft in Verbindung mit kleinen Kastenmöbeln, fanden in erster Linie bei jüngeren Käuferschichten Anklang. Grundvoraussetzung für die Wohnlandschaft ist allerdings ein möglichst freier Grundriß der Wohnungen. 368-370. Joe Colombo, Sitzmöbelprogramm >Additional System<, 1969. Hergestellt von Sormani. Scheibenförmige Schaumstoffteile in sechs verschiedenen Größen, die mit elastischem Stoff überzogen und so an einer Metallschiene befestigt werden, daß Sessel oder Liegen von beliebiger Form und Länge entstehen. Dazu passender kleiner Mehrzwecktisch aus Kunststoff. »Heute besteht das Problem gerade darin, Einrichtungen anzubieten, die letztlich autonom sind, das heißt unabhängig von dem architektonischen Gehäuse, so koordinierbar und programmierbar, daß sie sich jeder heutigen und künftigen Raumsituation anpassen können« (Joe Colombo 55). 163 366. Ein weitläufiger Wohnraum in einem amerikanischen Einfamilienhaus. Mit der >Sitzgrube< wird auf bewegliches Mobiliar fast ganz verzichtet 367. Wohnraum mit frei gruppierbaren Sitzelementen. Unterschiedliche Lösungen zur >Wohnlandschaft<. Bei der Sitzgrube vor dem Kamin dominiert zwar der Raum; ein flexibler Raum im Sinne des japanischen Hauses kann durch die fixierte Sitzgruppe dennoch nicht entstehen. Joe Colombos Lösung setzt die Veränderbarkeit im völlig freien Grundriß voraus. Gruppierung, aber auch Art des Sitzens oder Liegens bleiben der Phantasie des Benutzers überlassen. 164 371. Joe Colombo. Kitchenbox-Block, eine volleingerichtete und vollklimatisierte Küche für das >Wohnmodell 1969< auf der >Visiona 69<, einer Ausstellung der Bayer AG, Leverkusen, auf der Internationalen Möbelmesse Köln, 1969. 372. Joe Colombo. >Central living-Block< für das >Wohnmodell 1969<. Der quadratische Sitz- und Liegeteil mit Bar in der Mitte, darüber ein rundes, drehbares, an der Decke befestigtes Bücherregal mit ebenfalls drehbarem Fernsehapparat. Im Hintergrund die Schlafzelle (>Night cellBlock<) zum Ruhen und Schlafen, verbunden mit Bad und Schränken. Der >Block< ist verschließbar und vollklimatisiert. »Es ist ein halbfunktionierender Prototyp, der diesen neuen Vorschlag zu leben demonstrieren will; es handelt sich um eine Struktur, die aus drei Maschinen zusammengesetzt ist, die unter sich koordiniert sind und dazu dienen, in einer neuen Welt zu wohnen« (Joe Colombo56). 165 Erziehung als Chance für die Zukunft 373. Olivier Mourgue. >Wohnmodell 1972< auf der >Visiona 72<, einer Ausstellung der Bayer AG, Leverkusen, auf der Internationalen Möbelmesse Köln, 1972. »Eine offene, ungeteilte Wohnfläche, auf der sich das gesamte Familienleben abspielt, ein gemeinschaftlicher Wohnbereich, der sich dem Wandel der Familie (Geburt der Kinder, Auszug erwachsener Kinder etc.) anpaßt . . . Variierbarkeit des Raumes, natürliche Bewegungsfreiheit, Einbeziehung der Natur in den Raum, zum Beispiel durch einen weichen, an Moos und Erde erinnernden...57 Gegen den Zwang der Konsumgesellschaft, die gesamte Produktion einem raschen modischen Wechsel zu unterwerfen, steht heute der Wille einer kleinen, aber stetig wachsenden Käuferschicht, sich diesem Druck zu entziehen und selbst an der Lösung der Einrichtung mitzuarbeiten, um sich eine ganz persönliche Umwelt aufzubauen. Jedoch muß man nur durch die Hallen einer Möbelmesse gehen, sei es in Paris, Köln oder Mailand, um die Situation auf dem Möbelmarkt realistisch zu erkennen. Ein großer Teil der Möbelindustrie und des Möbelhandels, aber auch der meisten Kunden, ziehen nach wie vor die historisierenden Formen der Vergangenheit, etwa den Bauernschrank, als Ersatz für fehlende Wärme im täglichen Leben, oder den billigen Abklatsch seriösen Entwürfen vor. Der Markt wird immer noch überschwemmt von falschen Barockmöbeln, spanischen Rustikalmodellen oder den charakterlosen Formen einer unverbindlichen Moderne. Das gute moderne Möbel ist nur in einen relativ bescheidenen Bereich unserer Zivilisation eingedrungen. Ein Wohnen von morgen müßte zunächst ein Umdenken im Städtebau mit sich bringen - industrialisierter Wohnungsbau mit freien Grundrissen und verdichtetes Wohnen angesichts der immer mehr vom Menschen beanspruchten und verschandelten Landschaft. Möglichst große Variabilität und Mobilität für den einzelnen sind ebenso wichtig wie die Möglichkeit, Grundriß und Gestaltung der eigenen Wohnung mitzubestimmen - Partizipation im Wohnungsbau unter Anleitung von Architekten und Designern. Eine derart konzipierte, bescheiden, aber gut gestaltete Umwelt verlangt nach Möbeln, die nicht Sensation sind, sondern Gebrauchsgegenstände, mit denen sich 166 374, 375. Alberto Rosselli mit Abe Kozo. >Pack 1<, auseinandernehm- und zusammenklappbarer Sessel, 1975. Sitzschale aus Segeltuch, Kissen aus Schaumstoff mit Dacronbezug. Hergestellt von Bonacina. 376, 377. Günter Sulz. Polsterkombination >Canvas< aus luftgefüllten Kunststoffkissen und Segeltuchbezügen in verschiedenen Farben, 1973. Sitzkissen, Rücken- und Seitenteile werden miteinander verschnürt. Hergestellt von Behr + Sulz. 167 378, 379. Maurizio Dallasta und Davide Mercatali. Sessel >Nomade<, 1975. Fünf Kissen werden mit Gurten zu einem Sessel zusammengeschnallt und können auch zu anderen Kombinationen verbunden werden. Die Kissen sind mit Baumwollstoff oder Segeltuch bezogen. Hergestellt von Donchi Formart. 380. Piero Gatti, Cesare Paolini, Franco Teodoro. Sitzsack aus Leder, 1969. Der Sack ist mit Kunststoffperlen gefüllt, die sich jeder Sitzposition anpassen, und leicht zu tragen. Hergestellt von Zanotta. Unsere Zeit verlangt von Sitzmöbeln Variabilität und Leichtigkeit, Übereinstimmung etwa mit der legeren Kleidung von heute, der >Blue-Jeans-Mode<. Leichte Fauteuils oder tragbare Kissen ermöglichen bequemes Sitzen und formloses >Liegen<. jeder seinen persönlichen Lebensraum selbst gestalten kann. Es sollten Möbel sein, einfach und menschlich in der Form, die durch industrielle Fertigung preiswert hergestellt werden können. Möbel sind im Grunde immer zeitgebunden, denn im natürlichen Ablauf eines Menschenlebens ändern sich die Ansprüche an die Wohnungseinrichtung. Dieser Vorgang sollte aber nicht rein modischen Tendenzen unterworfen sein, gesteuert von den Erfordernissen der Konsumgesellschaft. Darüber hinaus gründen immer mehr junge Menschen oft mit geringen Mitteln einen Hausstand. Aus der Erfahrung einer nun klein gewordenen Welt sind sie gewohnt, >mobil< zu leben. Starre Traditionen müssen einem neuen Lebensgefühl weichen, das wohl dem Prinzip der sozialen Gleichberechtigung entspricht, aber auch durch eine sehr persönliche Auffassung über die Gestaltung der Wohnung als bestimmende Umwelt charakterisiert ist. Leichte, oft veränderliche Möbel ermöglichen es, auch die aus finanziellen Gründen klein gewordenen Wohnungen erträglich einzurichten. Die industrielle Fertigung variabler Systeme oder Programme, die von den Bewohnern selbst montiert, aber auch verändert werden können, und neuartige, kostensparende Verkaufsmethoden (>cash and carry< - das Abholen von verpackten 168 381. Rolf Heide. >Rollschränke<, 1971. Seiten- und Rückwände aus Stahlblech, Türen, Fachböden, Abdeckund Bodenplatten aus Holz. Die Schränke sind auf Rollen montiert und können durch Kupplungslaschen miteinander verbunden werden. Hergestellt von Wohnbedarf. 382. Jonathan De Pas, Donato D'Urbino, Paolo Lomazzi. Möbelsystem >Dado & Vite<, 1970. Verschieden große Platten aus Sperrholz können mit Schrauben und Würfelmuttern aus farbigem ABS zu beliebigen Möbelstücken verbunden werden, dazu verschiedene Ergänzungen wie Schubladen, runde Tischplatten und Polster. Hergestellt von Bonacina. Möbel aus Elementen, die von den Bewohnern selbst zusammengestellt, nach ihren Bedürfnissen verändert oder ergänzt werden können. Nicht mehr das Material ist entscheidend - Holz, Stahlblech oder Kunststoff -, sondern neben dem Preis die Möglichkeit zur Veränderung, zu einer den Bewohnern entsprechenden Einrichtung. Diese Auffassung entspricht nicht nur der >mobilen< Gesellschaft unserer Zeit, sondern ebenso dem Willen zur Gestaltung eben dieser persönlichen Umwelt in einer technisierten und uniformen Welt. und zum Selbstbau bestimmten Einrichtungsgegenständen) ermöglichen erschwingliche Preise für das breite Publikum. Sie stellen eine vorzügliche Ergänzung bewährter Einzelmöbel dar, die auf Grund ihrer formalen Wertigkeit und ihrer Qualität immer noch den Schwerpunkt einer Einrichtung bilden könnten. Eine derartige Einrichtung setzt zuerst eine >Schulung< der Bewohner voraus. Solange die meisten Menschen von einem Formbewußtsein geleitet werden, das zwischen Historismus und Kitsch pendelt, bleibt eine menschliche, allgemeingültige Formfindung im Bereich des Wohnens ebenso die Traumvorstellung einiger weniger wie in der Architektur. Es besteht die Hoffnung, daß durch intensivierte Erziehung auch auf dem Gebiet des Wohnens schon in der Schule durch den Abbau 169 383. Günter Renkel. >Robinson<Programm aus massivem Kiefernholz, 1976. Grundelement sind Sprossenleitern, in die Betten, Bücherborde, Schreibplatten oder Schubladen eingebaut werden können. Hergestellt von ZE Möbel, Einrichtungsbedarf GmbM & Co KG eines falschen Repräsentationsbedürfnisses, durch Einflußnahme der Massenmedien, aber auch durch vernünftige Preise des einfachen, guten Möbels ein Wandel geschaffen. werden kann. Die Architektur der Stille, die dem Formen- und Materialchaos der Konsumgesellschaft unserer Zeit folgen muß, wollen wir in der uns umgebenden technisierten Welt - Wohnung, Straße, Stadt - vernünftig existieren, verlangt ebenso nach einfachen Räumen wie auch nach schlichten, aber gut gestalteten Möbeln, die den Menschen wieder in den Mittelpunkt seiner persönlichen Umwelt stellen. 170 Das Möbel als Ausdruck seiner Zeit ? Gedanken zur zweiten Ausgabe des Buches »Ein Raum hat ein Wesen, genauso wie ein bestimmter Fleck Erde ein Wesen hat. Wenn man in diesen Hafen einläuft, so weiß man, daß man hier ist. Wenn man dieses Zimmer betritt, so weiß man, daß man da ist.« Louis Kahn58 Als 1978 die erste Ausgabe dieses Buches erschien, war der Höhepunkt der >Modernen Architektur< längst überschritten, die Ausstrahlung versiegt, waren die »kühlen, strengen Formen des Funktionalismus . . . zur bloßen Mode geworden«, wie es am Ende des Kapitels über die Weiterentwicklung des Internationalen Stils heißt. Zu dieser Zeit äußerte sich die Kritik einer neuen Avantgarde gegen eine mißverstandene Anwendung der >Lehre< eines Mies van der Rohe oder Le Corbusier durch die allgewaltigen Baumanager, gegen die Fehlinterpretationen formaler Prinzipien, durch die Epigonen unter den Städtebauern, Architekten und Designern, darüber hinaus auch gegen die verantwortlichen Politiker. Es erscheint wichtig, die damals bereits sichtbaren Tendenzen zu wiederholen und zu präzisieren: Die Wunden des Krieges in Europa und Asien schienen geheilt, der Bedarf an Wohnraum in den westlichen Industriestaaten quantitativ halbwegs gedeckt - nicht so sehr durch sorgsame Pflege und Weiterentwicklung menschenwürdiger Architektur, einfühlsames Erneuern oder Berücksichtigung sozialen Gedankengutes im Planungsprozeß, sondern durch gedankenlose Anwendung industrialisierter Methoden in Städtebau und Architektur. Die Folge war eine lediglich mengenmäßige Deckung des Wohnraumbedarfs, ohne das Eingehen auf persönliche Wünsche der Bewohner, ohne räumliche Beziehung zum umgebenden Straßenraum, ohne echte Lösung der Verkehrsprobleme. All dies schuf monotone Wohnghettos, trostlose Behausungen als Brutstätte neuer Zivilisationskrankheiten. Unübersehbar manifestierten sich diese seelenlosen Wohngehäuse, ebenso wie die auf engstem Raum zusammengepreßten stilpluralistischen und gestaltlosen Einfamilienhäuser (die sich über weite Gebiete um den Kern gewachsener Städte der Industrienationen erstrecken), als Zeichen des Formen- und Materialchaos eines weltweiten Diktates der westlichen Konsumgesellschaft. Das schrankenlose Auswuchern in eine nicht mehr zu beherrschende Megalopolis zeigte die Grenzen der persönlichen Freiheit innerhalb eben dieser Konsumgesellschaft, in der sich der Bürger zwar alle`Wünsche erfüllen konnte, damit aber gegen jede wie immer zu benennende Ordnung verstieß, ohne die sich eine Gemeinschaft kaum positiv entwickeln kann. Das Auto hatte zwar den alten Menschheitstraum nach der Freiheit von Zeit und Raum erfüllt, zerstörte aber durch seinen Anspruch auf Straßenfläche überlieferte Raumvorstellungen, städtebauliche Ordnungen und veränderte nachhaltig die Lebens- und Wohngewohnheiten ganzer Länder. Der im Westen immer stärker sichtbar werdende Amerikanismus ist nicht zuletzt auf die Begleiterscheinungen dieser >mobilen Welt< zurückzuführen. Die Wohnungen der großteils sterilen, man möchte fast meinen, technisch >aseptischen< Vorstadtbehausungen wurden, nehmen wir die Bezugsländer Deutschland und Österreich, zumeist mit Möbeln eines lediglich auf Gewinn orientierten Möbelhandels eingerichtet - besser >angefüllt<. Voraussetzung dafür war zumeist das Bestrehben der Bewohner, sich in dieser ungastlichen Welt ohne jedwede Bezugshinweise ein > Nest< zu bauen, dessen Einrichtung mangels besseren 384. Die Veranda einer Pariser Wohnung. Möbel und Designobjekte aus der Zeit der fünfziger Jahre bis zur Gegenwart, sachkundig und liebevoll zusammengestellt, bilden eine sehr eigenwillige Einrichtung, deren musealer Charakter kaum spürbar wird. Im Hintergrund links das Regal >Factotum< von Ettore Sottsass, davor der Tisch >Infinito< von Alessandro Mendini und Denis Santachiara, die Lampe >Paramount< der Gruppe Ufo - alles für das Studio Alchimia. In kaum zwei Dezennien haben sich Architektur, Design und Möbelkunst grundlegend gewandelt. Aus international anerkannten Stilkriterien entwickelten sich sehr persönliche Auffassungen, geprägt durch völlige Freiheit der Form und des Inhaltes. Sogar ernstzunehmende Kritiker haben es schwer, zwischen den postmodernen oder eklektizistischen und neo-modernen Formensprachen zu unterscheiden. Spätmodernismus, High-Tech und Dekonstruktivismus stehen diesen Tendenzen manchmal gegenüber, Mischformen entstehen. Ein Pluralismus sondergleichen wird sichtbar, der die Zuordnung zu den einzelnen >Stilen< kaum mehr möglich erscheinen läßt. Offensichtlich führt der Terror des schnellen Konsums und ein scheinbar berechtigter Wunsch der Medien nach Novitäten zu einem sich immer schneller drehenden Formenkarussell, in dem etwa Wolkenkratzer unendlich vergrößerte Möbel darstellen und Möbel zu Skulpturen werden, zu Objekten, deren Platz nicht mehr in die Wohnung, sondern im Museum, in der Sammlung ist. Zeitspanne des Konsumismus, Kultur der Medien. Trotzdem: Auch in dieser, unserer Zeit, entstehen Möbel hoher ästhetischer Qualität, sollten sie auch nur sündhaft teure Unikate darstellen, die doch eine weitere Entwicklung positiv zu beeinflussen vermögen. 171 Wissens oder auch aus finanziellen Gründenaus den Katalogen der heilen Scheinwelt des Möbelhandels kommen mußte. Meinungsumfragennoch aus der Zeit aus 1980 sprachen davon, daß etwa in Deutscxhland von 60% der Bevölkerung das >altdeutsche Wohnzimmer< bevorzugt wurde, je etwa 15% wünschten sich eine >modern-bürgerliche< Einrichtung oder wollten >räpresentativ< wohnen (was zumeist einen Rückgriff auf einen historisierenden Möbelstilbedeutet. Hier vereinigen sich der Wunsch und die Vorliebe für Antiquitäten (wenn man das Geld dazu hatte) mit nostalgischen Träumen, die eben mit nachgebauten Stilmöbelnaus den Katalogen auch finanziell erfüllt werden können. Erinnerungsstücke an Ferienreisen, Pflanzen und schwere Vorhänge vervollständigen dieses Bild einer >Gemütlichkeit<, in der die Bewohner zu Statisten einer imaginären 172 385. Karin Mobring. VadstenaAnbausystem der Firma IKEA. Regal, Schrank und Vitrine im Baukastensystem: 90 cm hoch, 90 cm breit und 38 cm tief, weiß lackierte Spanplatten, Türrahmen massive Kiefer. Aus dem Katalog 1988: »Was auf dem Boden steht, bekommt einen Sockel, die anderen Teile stellst Du einfach aufeinander. So kannst Du immer wieder neu kombinieren.« 386. Knut und Marianne Hagber g. Schlafzimmereinrichtung der Firma IKEA. Bett >Kontur< in massiver Kiefer mit kieferfurnierter Spanplatte, mit Klarlack lakkiert, in zwei Größen lieferbar; Kleiderschranksystem >Ken<, melaminbeschichtete Spanplatten, über ein Grundelement ausbaufähig, wahlweise mit vier verschiedenen Türen. Zentrale Planung. Verkauf über eigene Niederlassungen in verschiedenen Ländern und die damit verbundenen großen Stückzahlen garantieren eine preisgünstige Leistung. Mit diesen Beispielen zeigt sich der Vorteil einer industriellen Fertigung, deren Grundprinzip auf der Anerkennung guter formaler Qualität beruht. Diese unserem sozialen Jahrhundert durchaus entsprechende Idee des Angebotes einfacher, qualitätvoller und dem Zeitgeist entsprechender Möbel bedarf der Befruchtung durch das geniale Objekt, den genialen Entwurf, um auch für die breite Masse den Hauch der Avantgarde, also der positiven Novität, spürbar werden zu lassen. 387, 388. Antti Nurmesniemi. Stuhl >Tuoli<, 1983. Hergestellt von Studio Nurmesniemi Oy, Vuokko. Ein Stuhl aus massiver Kiefer, dessen körpergerechte Form die typisch skandinavische Materialbeherrschung zeigt. Möbelszenerie degradiert werden. Lediglich 10% der Befragten bevorzugten einen >avantgardistischen< Wohnstil - was immer das bedeuten mochte. Was einer breiteren, zu bescheidenem Wohlstand gekommenen Bevölkerungsschicht allenthalben fehlte, war die Erfahrung in der Wahl von einfachen und geschmackvollen Möbeln. Das Einrichten von vorgegebenen Räumen, der Umgang mit Raumdimensionen und Raumbeziehungen, mit Farben und Licht setzt einen längeren Lernprozeß voraus. Die Vertrautheit mit dem Begriff >Wohnen< beginnt in jungen Jahren, man wächst mit den Werten auf, die überliefert sind, sich aber notwendigerweise verändern, sucht dann selbst den Weg, sieht, vergleicht. Es schien, als ob die individuelleFreiheit, die Möglichkeit, alles zu sehen, alles zu erwerben, die Menschen überforderte. Das Ergebnis war so etwas wie ein Kollektivbewußtsein des schlechten Geschmacks, das trotz aller Bemühungen engagierter Architekten 389. Antti Nurmesniemi. >Garden Seat<, 1982. Hergestellt von Studio Nurmesniemi Oy, Vuokko. In dieser einfachen Konstruktion liegt der Versuch, mit Form und Proportion dem internationalen Trend formaler Ubersteigerung entgegenzuwirken. 390. Hans Amos Christensen. Liegestuhl und Paravent aus galvanisiertem Stahl mit Teakholzstäben, 1987. Hergestellt von Schreinermeister Niels Roth Andersen. Die Tradition des dänischen Möbels wird auch von den jungen Designern fortgesetzt: Schönheit des Materials, hohe Qualität der Ausführung. 173 und Designer, trotz Ausstellungen, Design-Preisen und einer Fülle von einschlägigen Publikationen im mitteleuropäischen Bereich triumphierte. Nun aber stellt sich dieses kollektive Denken in den einzelnen Ländern verschieden dar, abhängig von vielen Komponenten wie Überlieferung, Erfahrungen, Modeströmungen etc. Sehen wir etwa in Frankreich immer noch eine Sehnsucht, sich - auch mit unzureichenden Mitteln - an der hohen Möbelbaukunst des Lonisquinze und Louis-seize zu orientieren oder die Art Deco der zwanziger Jahre zu imitieren, so scheint es, als ob sich in den nordischen Ländern eine das qualitätsvolle moderne Möbel akzeptierende Wohnungseinrichtung in größerem Maße durchsetzte als anderswo. Gründe dafür mögen sowohl eine aus der Tradition der Jahrhundertwende entstandene bürgerliche, eher bescheidene Wohnkultur sein als als auch das Angebot der Möbelerzeuger, deren Designer bereit waren, hohe 174 Qualität den modischen Tendenzen vorzuziehen, und die mit dieser Verkaufsphilosophie auch heute noch Erfolg haben. Die langjährigen Versuche über Schulen, Gewerkschaftsorganisationen etc. -, das Wissen um den >guten Geschmack< beim Einrichten, die Auswirkungen einer Raumphilosophie der oberen Schichten um die Jahrhundertwende (Adel, Großbürgertum) auf eine neue, breite, im Umgang mit Möbeln noch nicht so erfahrene, nun sozial gleichberechtigte Schicht zeigten sicherlich positive Ergebnisse. Wenn auch der große Einfluß skandinavischer Möbelbaukunst im letzten Jahrzehnt spürbar zurückging, so blieb doch die Bevorzugung natürlicher Materialien (Holz, verschiedene Stoffe) nach wie vor tief verwurzelt, dem traditionellen Bedürfnis nach Naturnähe adäquat. Kunststoffprodukte hatten wenig Chance, erfolgreich zu sein. Die Treue gegenüber den bewährten Möbelklassikern blieb, wie es etwa die Weiterführung des Verkaufsprogramms der Alvar-Aalto-Möbel in Finnland oder die Erzeugnisse eines Hans J. Wegner in Dänemark bezeugen. Aus diesen Ländern kam darüber hinaus verstärkt - und mit großem Einfluß auf den gesamteuropäischen Bereich - der Versuch, einfache, billige und gut gestaltete Möbel über Handelshäuser anzubieten, etwa als zerlegbare Möbel zum Zusammenbau (Ikea). Diese Entwicklung, auf die im vorhergehenden Kapitel hingewiesen wurde, ist als überaus wichtiger Schritt in Richtung einer nach wie vor notwendigen industriellen Produktion einfacher Möbel zu begrüßen. In Italien, dem Land krasser sozialer Gegensätze und einer DesignPhilosophie, die schon in der frühen Nachkriegszeit in starker Verbindung zu den Belangen der Architektur, des Städtebaues, aber auch der Mode (und damit der Filmkunst, des Theaters etc.) stand, wurden die in den sechziger Jahren immer deut- 175 391. Wohnraum mit Möbeln von Vico Magistretti: Sessel >Veranda<, 1983, mit innenliegendem Mechanismus zum Verstellen in individuelle Positionen; Sofa >Cardigan<, 1986, Holzrahmen mit Lederoder Stoffbezug; Beistelltische >Sindbad<, 1981, aus Esche mit verschiedenen Beiztönungen. Hergestellt von Cassina. 392. Pep Bonet. Regal >Albor<, 1986. Holzspanplatte, weißlackiertes Stahlblech und säurebehandeltes Glas, innen beleuchtet. Hergestellt von BD Ediciones de Diseno.Dieses freistehende Regal mit formalen Hinweisen auf die Postmoderne zeichnet sich durch extreme Schlankheit aus. Spanisches Möbeldesign, von dem in den nächsten Jahren starke Impulse zu erwarten sind. 393. Wohnraum mit dem >CAB<-Stuhl von Mario Bellini, 1977, und dem >AEO<Sessel von Archizoom/Paolo Deganello, 1973. Hergestellt von Cassina. Die bis heute so erfolgreiche CAB-Familie entstand 1977 mit dem Stuhl 412 - einer der Klassiker unserer Zeit. Die widerstandsfähige Stahlstruktur ist mit gut gespanntem'vernähtem und mit Reißverschlüssen versehenem Leder überzogen. Eine geniale Konstruktionsidee, gepaart mit Materialbeherrschung in der Tradition besten italienischen Möbeldesigns. 394. DesignimGrenzbereich: Re-Design des Wassily-Sessels (Marcel Breuer, 1925) von Alessandro Mendini, 1978, für Alchimia. »Was Alchimia Ende der siebziger Jahre in Form von jährlichen Kollektionen vorstellt, sind Objekte, deren Funktion wie eine beiläufige Zutat wirkt. Die Analyse von Funktionen ist bei keinem der für Alchimia entwerfenden Künstler ein Ausgangspunkt zur Formgebung 59.« licher sichtbar werdenden Tendenzen des gängigen Produkt-Design, sich den Forderungen einer Konsumdiktatur unterzuordnen, sehr bald zu einem Anstoß für ein politisch motiviertes Denken. Das >Radical-Design<, auch >Konter-Design< genannt, wandte sich also in den Jahren 1969 bis 1975 gegen die Einbeziehung des Möbels in den Prozeß eines raschen Konsumgüteraustausches. Mit Manifesten, utopischen Entwürfen, aber auch mit der Einbeziehung von Ironie und Absurditäten, versuchten die - zumeist jungen - Designer, auf die Mißstände der gesellschaftlichen Entwicklung aufmerksam zu machen, die in diesem lediglich vom Verkauf bestimmten Produkt-Design sichtbar wurden. Nach 1975 versuchte man, Objekte, die in großen Stückzahlen für den Markt erzeugt wurden (wie etwa Stühle von Mies van der Rohe), durch das sogenannte >Re-Design< zu verfremden. Einzelstücke aus den Serien sollten >individualisiert< werden. Die Konsequenz daraus war der Versuch, Objekte und Möbel, die, in großer Masse erzeugt, nach Meinung der >ProduktDesigner< den allgemein schlechten Geschmack ausmachten, als Kunstgegenstände aufzuwerten (>Banal-Design<). Damit sollte gezeigt werden, daß auch aus Zwischenkulturen, die in den Randzonen der Städte, in den Supermärkten, in den Ferienorten heutiger Prägung sichtbar werden, geschöpft werden könne. 1976 entstand aus diesen Erfahrungen das Studio Alchimia, das wieder - unter Einbeziehung von Architektur, Malerei, Graphik - versuchte, stilprägend zu wirken und sich damit vor der Notwendigkeit sah, erneut über eine Möbelproduktion und eine eigene Vertriebsorganisation den Markt zu beeinflussen. Die Spaltung dieser Gruppe (aufgrund verschiedener Auffassungen) führte zur Gründung der Memphis-Gruppe, deren Begründer Ettore Sottsass es zustande brachte, bekannte internationale 176 Designer für eine Mitarbeit zu gewinnen. Der Erfolg in den Medien war - für eine Avantgar de Produktion - erstaunlich. Durch eine große Anzahl publizistisch gut vorbereiteter Ausstellungen gelang es rasch, international Aufmerksamkeit zu erregen, und dies zu einem Zeitpunkt, als die Designer in vielen Ländern sich der Notwendigkeit einer Erneuerung im Möbelbau bewußt waren. Francois Burkhardt sieht folgende gemeinsame Merkmale italienischer AvantgardeBewegungen: - »Die Objekte sind ikonographisch markant gestaltet. - In den jeweils gegebenen geschichtlichen Situationen wirken diese Objekte befreiend. Lust soll der Gestalter bei der Arbeit empfinden, wie der Rezipient beim Gebrauch der Objekte. - Gestalterische Tabus gibt es nicht; alle Gestaltungsformen und Kombinationen mit allen Erscheinungsformen aus den Objektbereich sind möglich geworden. - Den ikonographischen Funktionen sind alle anderen Funktionen untergeordnet. - An Stelle von langfristigen Zielvorstellungen treten kurzfristige, die sich gesellschaftlichen Bedürfnissen entsprechend rasch ändern können. - Design, Architektur und Innenarchitektur sind Experimentierfelder und in ihren Entwurfsmethoden nicht voneinander zu scheiden60.« 395. Gaetano Pesce. Sitzkombination >Cannaregio<, 1987. Hergestellt von Cassina. Kombinierbare Elemente, deren Form und Volumen sich nicht wiederholen. Die Vielfältigkeit wird durch extreme Farbgebung unterstrichen, wobei Sitz, Rücken- und Armlehnen in verschiedenen Stoffarten und Farben bezogen werden. Die tragende Konstruktion besteht aus mehrschichtigem Holz, die Polsterung aus Polyurethanschaum, abnehmbare Bezüge. 396. Gaetano Pesce. Sessel >Feltri<, 1987. Hergestellt von Cassina. Für hohe und niedrige Einheiten entworfen, ausschließlich aus dicker Filzmatte gefertigt. Der untere Teil des Sessels, der als tragender Teil dient, ist mit wärmegehärtetem Kunstharz imprägniert, um die benötigte Festigkeit zu gewährleisten. Der Sitz ist durch Hanfbänder, die auch die weichen Kanten des Sessels umrahmen, an dem tragenden Gestell befestigt. Bezug aus gestepptem, mit Daunen gefülltem Material. 177 397. Paolo Deganello. Sofa >Torso<, 1982. Hergestellt von Cassina. Verbindung von Liege und Fauteuil, kombiniert mit einem Abstelltischchen. Vielfältige Materialzusammenstellungen sind möglich. 398. Toni Cordero mit Francesco De Petris. Inneneinrichtung einer Wohnung in einem Turiner Haus aus dem 19. Jahrhundert. Hier ein Sitzplatz mit Blick zum Vorraum. Die beiden Sofas und das Tischchen von Paolo Deganello, hergestellt von Cassina. 399. Oscar Tusquets und Llufs Clotet. >Suono<, Wagen für Stereoanlage, 1987. Hergestellt von Zanotta. Gestell aus einbrennlackiertem Stahl in Schwarz. Die Breite ist verstellbar, Seitenteile können ausgeklappt werden. Hatte das italienische Möbel, das sich aus dem Internationalen Stil heraus in durchaus eigenständiger Form entwickelte (Italian Style), schon in den siebziger Jahren einen führenden Platz errungen (siehe Abschnitt »Neue Impulse aus Italien«, S. 152), so wurden die Einzelmöbel einer selbsternannten Avantgarde durch ihre Werbewirksamkeit, Fotogenität und den überquellenden Formenreichtum zu einem weltweiten Erfolg für ihre Designer, obwohl ein Großteil dieser >Kunststücke< kaum in Wohnungen verwendet wurde, sondern bestenfalls als Exponate in DesignMuseen landete. Aus der positiven Haltung kämpferischen Denkens wurde erneut eine Modeerscheinung. Allerdings - die Ubernahme von Farbe, Formensprache und formalen Artikulierungen aus dem Bereich der Memphis-Gruppe verlieh nun auch den Erzeugnissen des >ProduktDesign< ein Hauch von Avantgarde. Damit landeten aber vor allem die Produkte der Mitläufer einer unter den hohen Ansprüchen einer Veränderung der Gesellschaft angetretenen Gruppe erneut im Umfeld der Konsumgesellschaft. Zurück zur Entwicklung in der Architektur, die sich seit geraumer Zeit abzeichnete. Politisches Engagement, Sorge um eine bedrohte Umwelt und das Bewußtsein, in einer Welt zu leben, deren natürliche Rohstoffquellen sich als nicht unerschöpflich erwiesen, ließen die Menschen allerorts zu alternativen Maßnahmen greifen. War dies im Städtebau die Kultivierung des Straßen- und Platzraumes, also die Sorge um überlieferte Werte und der damit verbundene Versuch, den eigenen, gewachsenen Lebensraum zu erhalten, so folgte in der Architektur dem Internationalen Stil eine von Amerika ausgehende Bewegung mit dem Versuch, dem Rationalismus eine neue Formenwelt entgegenzusetzen, die unter Heranziehung architekturhistorischer Zitate, aber auch durch ironisierend historisierenden Umgang mit Bauformen eine individuell gefärbte Architektenwelt schuf - 178 allgemein (insbesondere von Charles Jencks) als die >Postmoderne< bezeichnet. Zu den positiven Ergebnissen dieser Entwicklung zählt eine neue Auffassung des >Raumes< an sich, die sich erneut an die großen historischen Beispiele anschließt und so den Menschen in einen für ihn faßbaren Mittelpunkt stellt; zu den negativen Auswirkungen zählt der Versuch der Mitläufer dieser Bewegung, historisierende Realitäten als neue Baukunst darzustellen. Im Möbelbau beeinflußten einander die Verwendung historisierender, aus der postmodernen Architektur abgeleiteter Formen und die Ergebnisse der vielfältigen Versuche der italienischen Avantgarde, so daß man sehr bald von >postmodernen< Möbeln sprechen konnte. Es darf jedoch nicht vergessen werden, daß im letzten Jahrzehnt auch in der Entwicklung aus dem Internationalen Stil heraus im Möbelbau beachtliche Fortschritte erzielt werden konnten. Aus dem politischen Engagement vor allem der jungen Generation im Sinne alternativer Bewegungen, dem Eintreten für eine Änderung der Lebensweise durch Aufgabe des Konsumzwanges, aus Versuchen, die Natur zu erhalten, Bescheidenheit im Materialverbrauch, aber auch einer gewissen Nostalgiewelle wurden in den späten siebziger Jahren die Anforderungen an den Grundriß der Wohnungen anders interpretiert. Die Behausungen wurden familiengerechter, offener, variabel. Daran war eine praktizierte Mitbestimmung imWohnbau ebenso beteiligt wie die Revitalisierung von brauchbaren Altwohnungen, deren Umfeld einer auflkommenden Nostalgie entsprach. Die Möbelindustrie reagierte mit variablen Möbelprogrammen, veränderbaren Möbeln sowie billigen Erzeugnissen und bevorzugte Materialien wie Holz, gute Stoffqualität, manchmal auch Leder. Eine stille Einfachheit war das Ziel vieler Anstrengungen, das Einzelmöbel wurde im allgemeinen vor dem kompletten Möbelprogramm bevorzugt. Nicht mehr das Möbel war Mittelpunkt des Raumes, sondern der Bewohner. Die Qualität der Produkte jener Möbelerzeuger, die sich dem >guten Design< verschrieben hatten, stieg zusehends, etwa im Bereich der Sitzmöbel, wo aus einer Fülle von Angeboten an ästhetisch vollendeten Sitzgruppen gewählt werden kann. Die Küchen werden zu Erlebnisräumen der Familie, Holz hat auch hier den Kunststoff verdrängt. Große Aufmerksamkeit wird dem Schlafzimmer zugewandt, in dem das Bett (in vielfältiger Form) wieder zum Mittelpunkt wird. Möbelbau zwischen Industrie und Handwerk, die einander gegenseitig befruchten. Immer noch erzeugt werden jene zeitlosen Modelle, mit denen sich der moderne 400. Toshiyuki Kita. ~Kick<, Drehtisch auf Rollen, 1983. Hergestellt von Cassina. Untergestell aus dunkelgrau lackiertem Stahl, mittels eines gasgefüllten Federungssystems höhenverstellbar. Ovalplatte aus lackiertem Holz in verschiedenen Farben. Ein überaus praktisches Beistelltischchen. 401. Ettore Sottsass. >Mandarin<-Stuhl und >Spyder<-Tisch, 1986. Hergestellt von Knoll International. Die Armlehnen des Stuhls sind geschwungene Kurven aus Stahlrohr, in verschiedenen Farben lackiert, oder aus Rattan, in natürlicher Buche oder grau gebeizt. Die Beine sind mattschwarz beschichtet. Der Tisch vereinigt Industriematerialien und Präzisionsgußteile: Glasplatte mit abgeschrägten Kanten, starrer Querträger aus Polyurethan und Stahl, beschichtet in Hochglanzsilber oder Mattschwarz. Geschwungene Stahlrohrbeine in Mattschwarz oder verschiedenen Farben. 402. David Palterer. Stuhl >Fauno<, 1987. Hergestellt von Zanotta. Gestell aus verchromtem Stahlrohr und schwarzlackierter Buche. 179 403. Beppe Caturegli. Sessel >Nadia<, 1987. Holzgestell, Bespannung mit Wollstoff. 404. Angelo Micheli. Beistelltisch >William< aus Schiefer, 1987. 405. Ettore Sottsass. Regal >Max<, 1987. Möbel aus lackiertem Holz, Holzfurnier,Terrazzofliesen und Plexiglas. 406. Marco Zanini. Chaiselongue >Juan< aus Kunststoffplatten, Metall und Alcantarabezug, 1987. Diese alle im Jahr 1987 für >Memphis< entstandenen Möbel weisen auf die vielfältigen Versuche hin, nicht nur durch Formenvielfalt, sondern auch durch Verwendung und Kombination verschiedenster Materialien neue Wege zu beschreiten. Als Einzelmöbel - oder Kunstobjekte aufwendig in der Herstellung, haben sie doch der seriellen Fertigung starke Impulse gegeben. 180 407. Borek Sipek. Chaiselongue >Sni<, 1987. Gestell aus Kirschholz, Sitz und Seitenlehne mit schwarzem Leder, die Rückenlehne mit blauem Stoff bezogen. Hergestellt von Driade. Der Einfluß der theoretischen Uberlegungen italienischer Designer wird gerade bei diesem Sitzmöbel deutlich sichtbar. Mut zu formaler Extravaganz, konstruktive Unbekümmertheit und Vielfältigkeit kennzeichnen diese >Chaiselongue<. 410. Hans Hollein. Sofa >Marilyn<, 1983. Gestell mit Wurzelholz furniert, Polsterung aus geschäumtem Polyurethan. Stoffbezüge in verschiedenen Farben möglich. Hergestellt von Poltronova. Mensch über Jahrzehnte identifizieren konnte. Als Beispiel mögen etwa die Stahlrohrstühle der späten Bauhauszeit (Abb. 229-237), die Möbel Le Corbusiers (Abb. 248-252), die perfekten Lösungen eines Charles Eames (Lounge-Chair zum Fernsehen, Abb. 319) dienen, aber auch jene gültigen Modelle der Bugholzmöbel (Abb. 69-98), mit der Patina von hundert Jahren überzogen, die nun zu horrenden Preisen als wahre Antiquitäten gehandelt werden. Wie schon festgestellt: auch heute noch stellen die gut gestalteten Möbel nur einen verschwindend geringen Prozentsatz der Einrichtungen dar, nur von wenigen, fast möchte man sagen >elitär< denkenden Menschen akzeptiert - die große Mehrzahl der Bevölkerung richtet sich weiterhin mit Möbeln ein, deren Spannweite von >stil- 408. Alessandro Mendini. Tisch >Macaone<, 1985. Platte aus schwarzlakkiertem Medium Density, Einlagen aus schwarzem AntiFleck-Leder. Beine aus schwarzlackiertem Buchenholz. Hergestellt von Zanotta. 409. Philippe Starck. Stuhl ~Ed Archer<, 1986. Fuß aus poliertem Gußaluminium, Sitzschale aus Stahlrohr mit gefederter Sitzfläche, Bezug in schwarzem Juchtenleder. Hergestellt von Driade. »Semantisch: Das Modell muß Objekt der Sinne sein, um mit seinem Benutzer gefühlsmäßige Bande zu unterhalten. Das Modell muß aber auch Träger von Zeichen sein, damit der Benutzer es kulturell und so viel repräsentativer einsetzen kann 61.« 181 411. Borek Sipek. Stuhl >Anebo Tak<, 1986. Für die Serie entwickelt aus dem Objekt >Das Ding zum Besitzer<, 1984. Edelstahl und Blech verkupfert. Hergestellt von Driade. »Ich suche nach einem funktionalen Stil, der individuell erlebbar ist. Ich will eine individuelle Funktionalität, die bewußten Umgang mit Objekten fordert. Ich will die Erinnerung an bestimmte Vorgänge und nicht anonym reibungslose Abläufe. Meine Objekte sollen nicht interpretatorisch partizipiert, sondern unmittelbar erfahren, empfunden werden. Ich suche einen emotionalen Umgang mit meinen Objekten. Ich glaube an eine Macht der Form, die den Menschen fesseln kann; ich glaube an die Wirkung von Formen, die stärker sind als der konventionelle Menschenblick62.« 412. Robert Venturi. Stuhl >Queen Anne<, 1984. Hergestellt von Knoll International. Fünf Jahre Entwicklungsarbeit waren notwendig, um Möbel zu entwickeln, deren moderne Technologie gleichrangige Symbolwerte einschließen. Das mehrdeutige Erscheinungsbild spekuliert mit Historismus und Populismus, aber die Postulate des funktionalen Design werden erfüllt (Standardisierung, Systemdenken usw.). Die Frage bleibt, wie weit der Verkaufserfolg den Aufwand rechtfertigt. voll< bis >bürgerlich< reicht und die in immer größerem Maße in den Einrichtungshäusern angeboten werden. Produkte einer Möbelindustrie, von einem Design beherrscht, das die Einkaufsleiter der Einrichtungshäuser bestimmen -oder aber die Redakteure der >volkstümlichen< Zeitschriften über Möbel und Wohnen. Architektur, Form, Gestaltung in unserer Zeit sind vieldeutig, vielschichtig, bunt schillernd wie nie zuvor. Immer schneller verbrauchen sich neue >Stileinrichtungen<, werden zu einer kurzlebigen Mode. Alles ist machbar, alles erklärbar. Die völlige Freiheit in der Kunst, der schnelle Wechsel der Richtungen werden unterstützt von den Massenmedien, vor allem durch die Allgegenwärtigkeit des Fernsehens, das mehr und mehr Tun und Lassen der Menschen bestimmt, 182 413, 414. Kurt Thut. Schrank Nr. 380, 1985, aus feinwelligem Aluminium, Innenteile schwarz lackiert, mit je einem Abteil für Kleider und Wäsche. Hergestellt von W. Thut AG. 415, 416. Hans Eichenberger. Kofferschrank >Wogg 8<, 1985. Hergestellt von Wogg AG. Freistehende Schränke in hoher Qualität, formal noch beeinflußt vom Internationalen Stil. Sie können als Raumteiler gestellt werden und so eine Freizügigkeit des Wohnungsgrundrisses unterstreichen. Als Barschrank (siehe Abbildung), Sekretär, Sammlerschrank, Utensilienschrank zu verwenden. 417. Gerd Lange. Regalsystem >Wogg <, 1985. Hergestellt von Wogg AG. Für alle Regalteile wird eine im PostformingVerfahren mit Kunststoff ummantelte Feinspanplatte in den Farben schwarz oder weiß hochglanz sowie weiß matt verwendet. Die Steckverbindung besteht aus einem Spritzgußteil aus Makralon von hoher Festigkeit in den Farben weiß, schwarz, rot, blau oder gelb. Symbole setzt, Wege weist, Formen schafft oder unterstützt. Die Menschen, die gebannt vor dem Fernsehschirm sitzen, werden aus Akteuren des großen Spiels, das Leben heißt, Zuschauer, leider oft nur zu sehr manipulierbar. Wie auch die Fotografie und der Film beschränkt das Fernsehen die dreidimensionale Wirkung des Raumes auf zwei Dimensionen. >Raum< selbst ist aber nur spürbar, wenn man darin wandelt, ruht, sich zurückzieht. >Raum< wirkt nicht allein durch seine >Dreidimensionalität<, sondern durch die überaus sensiblen Sinne des Menschen, die Bewegung, Empfindung, Uberlieferung mit einschließen. Die zweidimensionale Wiedergabe, reduziert auf bildhafte Momente, wirkt damit spannungslos. >Stille< kann nicht wiedergegeben werden. >Würde<, >Ergriffenheit< ebensowenig, vielleicht manchmal >Proportionen<. Damit werden die Medien Fernsehen und Presse zu rein optischen Sensationen gezwungen, sei es in Form oder Farbe, in Beleuchtung oder in einem gezielten Ablauf von Bewegungen, auch in den Inhalten. Diese Phänomene der Notwendigkeit einer Sensationsbefriedigung sowie einer Berichterstattung, die heute in Sekundenschnelle aus allen Teilen der Welt möglich 183 420. Matteo Thun. Containermöbel aus laserperforiertem Stahlblech, 1985. Hergestellt von Bieffeplast. Ein Versuch, dieses ikonographisch belastete Material (Möbel aus Blech: Krankenhäuser und Büros) in den Privatbereich aufzunehmen. Durch totale Mechanisierung der Herstellung sollen Kosten gesenkt werden und die Zeichensprache des Designers mit den >Schneide-, Biege- und Schweißeinheiten< ersetzen. An der Vorderseite als >Schmuckelement< ein laserperforiertes >elektronisches Pattern<. 418, 419. Oscar Tusquets. Schrank für Stereoanlage und Fernsehgerät, 1987. Hergestellt von Artespana. Zitronenbaumholz in zwei Farben mit eingelegtem Ebenholz: Das Material hebt den Kontrast zwischen der >Hülle< in kunsthandwerklicher Fertigung von hoher Qualität und des >Inhaltes< mit technischen Geräten hervor. ist, schon aus Konkurrenzgründen der Medien untereinander, schufen notwendigerweise eine Atmosphäre, in der ständiger Wechsel zum Gebot wird. Die überlieferten Werte des Wohnens' die auf den Menschen über sein Empfinden für Raum einwirken, bedürfen der Stetigkeit, der Dauer. Dazu bleibt keine Zeit mehr. Anstelle eines ausgewogenen Raumgefühls, Suche nach Geborgenheit oder Ruhe, tritt sehr oft das aufregende Erlebnis ständiger Neuerung. Ebenso erscheint der Fluß der Information heute unbegrenzt. Architektur, Kunst, Kunstgeschichte aus allen Epochen und allen Ländern sind laufend >präsent<, unterliegen aber den Gesetzen der Massenmedien auf der Suche nach raschem Wechsel. Die Konsumgesellschaft westlicher Prägung nutzt diese Entwicklung. Eine freie Wirtschaft, die Freiheit der Erzeugung und die Notwendigkeit des Verkaufens um jeden Preis erzwingen in dieser Gesellschaft einen ständigen Wandel und somit auch die schnellebige Mode auf dem Gebiet der Architektur und des Wohnens. Der >Stararchitekt<, der >Stardesigner<, medienbewußt geschult, hat sich zum allwissenden Gott aufgeschwungen und hat, um den Medien zu dienen (die 184 421. Foster Associates. Möbel-System >Nomos<, 1986. Verstellbare Bürotische: Gestaltungseinheit von Schreibfläche und Beleuchtung - Perfektion im technischen Bereich. Eine von Architekten des HighTech entwikkelte Möbelserie. Hergestellt von Tecno. sich ihm gleichzeitig dienstbar machen), für immer neue Sensationen zu sorgen. Wie weit dies führen kann, zeigt die Entwicklung der Hochhausarchitektur in den USA oder des >sozialen< Wohnbaus in Frankreich. Den öden und genormten amerikanischen Glaspalästen der sechziger Jahre folgten >Bühnenbilder< in der Größenordnung von Wolkenkratzern (es wäre ratsam, auswechselbare Fassaden zu erfinden, um der Mode Genüge zu tun). Im Wohnbau (in der Umgebung von Paris etwa) wird der >soziale< Gedanke in eine Art >Architektur-Geisterbahn< verpackt, die kurzfristig den wollüstigen Schauer der Novität hervorruft und wenige Zeit später einer kaum vorstellbaren banalen Öde weicht - bleiben doch Bauten aufgrund einfacher Rentabilitätsrechnungen über Jahrzehnte bestehen. 422. Stefan Wewerka. Küchenbaum, 1984. Hergestellt von Tecta-Möbel. >Bäume< zum Kochen, Essen, Schreiben, Arbeiten, Ablegen, Besprechen, Hängen. Die Elemente können in der Höhe verstellt und gedreht werden. Visionen technischer Perfektion mit Objektcharakter. 423. Mario Botta. Zweisitziges Sofa >Sesta< (>König und Königin<), 1985. Hergestellt von Alias. Die tragende Struktur besteht aus einem durchgehenden Metallgitter-Rohr, das dieses Möbel transparent erscheinen läßt. Lederbezogene Zylinder, von der Grundstruktur abgesetzt, formen Sitze und Rückenlehnen. 185 424. Helmuth Kuess. Haus Beck in Langen bei Bregenz, 1985. Das konstruktive Holzbausystem sollte beim Ausbau dem Bauherrn die Möglichkeit individueller Gestaltung bieten; die Grundrißkonzeption ist ganz auf die passive Nutzung der Sonnenenergie ausgerichtet. Hinter einer >Wärmefalle< ist der zweigeschossige Wohnraum mit Eßplatz und Küche angeordnet. Die Botschaft dieses Hauses der Vorarlberger Schule bedeutet mehr als gute Proportion des Wohnraums, schlichte Möbel und Wärme des Holzes. Es sollen die einfachen Prinzipien eines alternativen Lebens beachtet werden: Übereinstimmung von Natur und Wohnen, Wirkung eines bescheidenen, den Menschen in den Mittelpunkt stellenden Raumes, Heiterkeit und Stille. Nicht das Modische oder das Unmoderne dominiert, sondern das Wahre. In dieser Welt des Konsums und der Diktatur der Medien steht dennoch jeder Schaffende, sei erArchitekt, Designer, Ingenieur, für sich allein und hat für sich zu entscheiden, welchen Weg er gehen will. Die Freiheit des Denkens und Handelns darf nicht dem Diktat der Mode weichen. Wenn auch der Mensch, dessen offensichtliches Bedürfnis, sich in einen Raum der Stille zurückziehen, um dort für sich und seine Familie, seine Freunde zu agieren, immer mehr von der Allgewalt einer in allen Bereichen laut gewordenen Welt beengt wird, erscheint es immer noch möglich, ihm auf der Suche nach einem würdigen Dasein - und damit dem Wohnen - zu helfen. Der Protest vieler Menschen gegen für sie oft nicht verständliche Entwicklungen der Technik, Protest gegen die Vergewaltigung der Natur durch technische Prozesse, gibt auch einer neuen Einstellung zum Wohnen und damit einer neuen Wertung des Möbels eine Chance. Es ist zu hoffen, daß immer mehr Menschen sich diesemWeg der Suche nach einer >Architektur der Stille< anschließen. 186 Anmerkungen In: Franz Glück (Hrsg.). Adolf Loos Sämtliche Schriften in zwei Bänden, Bd. 1, S. 440f. Verlag Herold, WienMünchen, 1962. 2 Otto Johannsen. Geschichte des Eisens. Verlag Stahleisen GmbH, Düsseldorf, 1953. 3 Sigfried Giedion. Mechanizution Takes Command. Oxford University Press, New York, 1948. 4 Elizabeth Aslin. Nineteenth Century English Furniture. Faber & Faber, London, 1952. 5 Zitiert nach einem Verkaufskatalog der Firma Thonet aus dem Jahre 1911. 6 In: Wilhelm Franz Exner. Das Biegen des Holzes. Verlag B. F. Voigt, Leipzig, 1922. 7 Wend Fischer. »Gestaltungsweise und Lebensform - Zum Funktionalismus der Shaker«, Katalog zur Ausstellung Die Shaker. Die Neue Sammlung, München, 1974. 8 Ibid. 9 In: Leonardo Benevolo. Geschichte der Architektur des 19. und 20. .Jahrhunderts, Bd. I. Verlag Georg D. Callwey, München, 1964. 10 Nikolaus Pevsner. »Hochviktorianisches Kunstgewerbe«, in: Architektur und Design. Prestel-Verlag, München, 1971. 11 Barbara Morris. »Morris und Company«, in: DU (Zürich), 25. Jg., September 1965. 12 In: Nikolaus Pevsner. Wegbereiter der modernen Formgebung. Rowohlt Verlag, Reinbek, 1957. 13 In: Leonardo Benevolo, a.a.O. 14 Nikolaus Pevsner. Architektur und Design, a.a.O. 15 In: Julius Posener. Anfänge des Funktionalismus, von Arts and Crafts zum Deutschen Werkbund. Ullstein Verlag (Bauwelt Fundamente 11), Berlin, 1964. 16 In: Nikolaus Pevsner. Architektur und Design, a.a.O. 17 Ibid. 18 Arthur Heygate Mackmurdo. Wren's City Churches. Orpington, Kent, 1883. 19 In: The Studio (London), Bd. XVI, 1899. 20 Henry van de Velde. Geschichte meines Lebens. R. Piper & Co., München, 1962. 21 Klaus Jürgen Sembach. »Möbel«, in: Jugendstil - Der Weg ins 20. Jahrhundert. Keysersche Verlagsbuchhandlung, München, 1959. 22 Frank Lloyd Wright. »Prairie Architecture«, in: Modern 1 Architecture (The Kahn Lectures). Princeton University Press, Princeton, 1931. 23 Zitate aus: Frank Lloyd WrightSchriften und Bauten. Langen-Müller Verlag, München-Wien, 1963. 24 In: »Prairie Architecture«, a.a.O. 25 In: Adolf Loos - Schriften, a.a.O. 26 Josef Veillich (1929), in: Adolf Loos - Schriften, a.a.O. 27 In: Julius Posener. Anfänge des Funktionalismus, a.a.O. 28 Hermann Muthesius. Wie baue ich mein Haus. F. Bruckmann, München, 1917. 29 Erich Boltenstern. Wiener Möbel. Julius Hoffmann Verlag, Stuttgart, 1934. 30 H.L.C. Jaffe. De Stijl 1917-1931. Der niederländische Beitrag zur modernen Kunst. Ullstein Verlag, Berlin-Frankfurt am MainWien, 1965. 31 Ibid. 32 Paul Overy. De Stijl. Studio Vista / Dutton Vista Pictureback, London, 1969. 33 Marcel Breuer 1921-1962. Verlag Gerd Hatje, Stuttgart, 1962. 34 Walter Gropius. Bauhausbauten Dessau (Bauhausbücher Band 12). Albert LangenVerlag, München, 1930. 35 Erschienen 1932 bei W. W. Norton, New York. 36 In: Le Corbusier und Pierre Jeanneret, Oeurre complete 19101929, hrsg. von W. Boesiger und O. Stonorov. Verlag Girsberger, Zürich, 1960, S. 105. 37 Aus einem Artikel in Rote Fahne (Berlin), 1. Mai 1927. 38 Walter Müller-Wulckow. »Die deutsche Wohnung der Gegenwart«, in: Architektur der Zwanziger Jahre in Deutschland. Langewiesche, Königstein, Neu-Ausgabe 1975. 39 Elias Cornell. »Bruno Mathsson och tiden«, in: Arkitektur (Stockholm), Nr. 3, 1967. 40 In: Alvar Aalto. Verlag für Architektur, Zürich, 1963. 41 Sigfried Giedion. »Alvar Aalto«, in: Architectural Review (London), Februar 1950, S. 77-84. 42 In: Charles Eames, Furniture from the Design Collection. Ausstellungskatalog des Museum of Modern Art, New York, 1973. 43 Aus einem Katalog der Herman Miller International Collection. 44 Aus der Einführung zum Katalog der Ausstellung Charles Eames, Furniture from the Design Collection, a.a.O. 45 Aus einem Katalog der Herman Miller International Collection. Aus dem Katalog Charles Eames, Furniture from the Design Collection, a.a.O. 47 Aus dem Buch zur Ausstellung Knoll International. Museum des 20. Jahrhunderts, Wien, 1973. 48 Ibid. 49 In: Jocolyn de Noblet. Design Introdaction a l'histoire et l'evolution des formes ind ustrielles de 1820 a aujourd'hui. Edition Stock, Paris, 1974. 50 In einem Schreiben an den Autor, 1972, über das italienische Möbeldesign der Zwischenkriegszeit. 51 Vittorio Gregotti. »Italian Design, 1945-1971,« in: Italy: The New Domestic Landscape. Ausstellungskatalog des Museum of Modern Art, New York, 1972. 52 Vittorio Gregotti. »Design in Italien«, in: Design als Postulat am Beispiel Italien. Ausstellungskatalog, IDZ, Berlin, 1973. 53 In: Italy: The New Domestic Landscape, a.a.O. 54 Bildunterschrift zum Produktionsvorgang des >Panton Chair<, in: Bernd Löbach. Industrial Design, Grundlagen der Produkt gestaltung.Verlag Karl Thiemig, München, 1976. 55 In: Design als Postulat am Beispiel Italien, a.a.O 56 In: Farbe und Design. Farbe- und DesignVerlags-GmbH, Gaildorf, Württ. 57 In: Farbe und Design, a.a.O. 58 Heinrich Klotz und John W. Cook. Architektur im Widerspruch, Bauen in den USA von Mies van der Rohe bis Andy Warhol. Verlag für Architektur Artemis, Zürich, 1974. 59 Albrecht Bangert. Italienisches Möbeldesign. München, 1985, S. 61. 60 Fran,cois Burkhardt. »Italienische Design-Avantgarde zwischen Realismus und Neomoderne«, in: >Gefühlscollagen< - Wohnen von Sinnen. DuMont Buchverlag, Köln, 1986. 61 Philippe Starck. »Resume der Philosophie über Arbeit«, in: >Gefühlscollagen< - Wohnen von Sinnen, a. a. O. 62 Borek Sipek, in: >Gefühlscollagen< - Wohnen von Sinnen, a.a.O. 46 187 Index Die Ziffern beziehen sich auf die Seitenzahlen; kursiv gesetzte Ziffern weisen auf Abbildungsnummern hin. Aalto, Aino 134, 136 Aalto, Alvar 21, 43, 45, 106, 118, 132, 134, 135, 136, 138, 144, 174, 301-311 Abeele, J. S. van den 58 AEG,Allgemeine Elektricitätsgesellschaft 16, 19, 20 Albers, Josef 99, 104, 220, 230 Albert, Prinzgemahl 54 Albini, Franco 153, 340, 343, 348, 350 Alchimia s. r.1. 175, 384, 394 Alias s. r.1. 423 Altenberg, Peter 84 Andersen, Niels Roth 390 Archizoom 393 Arflex s. p. a. 352 Arkwright, Sir Richard 8 Arndt, Alfred 104, 117 Arnold, Karl 195 Art Furniture Warehouse 135, 136 Artek Oy AB 21, 136, 306-310 Artemide s. p. a. 354, 361 Artespana 418, 419 Arts and Crafts Exhition Society 58, 59, 60, 64, 70, 75, 80, 86, 120, 132, 123 Ashbee, Charles Robert 58, 122 Asko 136 Aslin, Elizabeth 32 Asnaghi Rinaldo & Figli 358, 359 Asplund, Erik Gunnar 120, 266 Aulenti, Gae 155 Bauhaus, Bauhaus-Werkstätten 14, 17, 19, 21, 22, 24, 35, 63, 76, 92, 96, 98105, 106, 114, 115, 117, 118, 125, 126, 138, 144, 147, 150, 178, 216, 219-223, 228, 231 Bayer AG 162, 371-373 Bayer, Herbert 232 BD Ediciones de Diseno 392 Beardsley, Aubrey 63 Behr, Erwin 19, 115 Behr, Produktion KG 363, 365 Behr + Sulz 376, 377 Behrens, Peter 16, 92 19, 20 Bellini, Mario 363, 393 Bertoia, Harry 143, 146, 323, 324 Bieffeplast s. p. a. 420 Bing, Samuel 66, 71 Blomfield, R. 123 Bloomingdale Department Store 138 Bofinger,Wilhelm 337 Boltenstern, Erich 92 Bonacina s. r. l. 374, 375, 382 Bonaparte, Zenaide 34 Bonet, Pep 392 Bonetto, Rodolfo 155 Borsani, Osvaldo 351 Botta, Mario 423 Boulle, Andre Charles 8, 111 Breitner, Hugo 18 Breuer, Marcel 17, 20, 21, 96, 99, 100, 101, 102, 103, 104, 105, 106, 113, 134, 138, 144, 147,150,175, 25, 217-219, 224, 227, 229, 231-233, 236, 237 Brown, Ford Madox 123 Burkhardt, Fran,cois 176 Burges,William 59, 125 Burne-Jones, Edward 15, 117, 118 Burnett, Micajah 103 Buscher, Alma 224, 225 C & B Italia s. p. a. 363 Campanino siehe Descalzi, Gaetano Canali, Ettore 346 Canepa, G.B. 34 Canova, Antonio 34 Cassina s.p.a. 35, 249-252, 391, 393, 395-398, 400 Castelli s. a. s., Anonima 36 Castelli Ferrieri, Anna 357 Castiglioni, Achille 155 Castiglioni, Luisa 346 Castiglioni, Pier Giacomo 155 Caturegli, Beppe 403 Century Guild 58 Chiavari, Werkstätten von 26, 34, 35, 153, 161 Chippendale, Thomas 10, 54, 80, 83, 84 Christensen A/S, E. Kold 335, 336 Christensen, Hans Amos 390 Clotet, Lluis 399 Coalbrookdale Company 29, 48 Cocconi, Corrado 362 Cole, Henry 54, 55 Collins, Sarah 48 Colombini, Luigi 348 Colombo, Joe C. 155, 162, 163, 164; 35, 355, 368-372 Comfort, Giorgetti Fratelli & Co. 35 Cordero,Toni 398 Cornell, Elias 120 Cowley & James, Walsall 46 Crane,Walter 58 Dallasta, Maurizio 378, 379 Dannhauser 11 Darley, Abraham I. 31 David, Jacques Lonis 8; 3 De Pas, Jonathan 382 De Petris, Francesco 398 Deganello, Paolo 393, 397, 398 Descalzi, Gaetano (gen. Campanino) 34, 35 Design and Industries Association 89 Deutsche Hausratgesellschaften 115 Deutsche Werkstätten 88 Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst 71, 88 Deutscher Werkbund 14, 16, 18, 19, 20, 76, 83, 86, 88, 89, 90, 91, 102, 103, 104, 115, 120; 26, 195, 197-200, 232, 258 Devigny, P. H. 40 Ditzel, Nanna 66 Doesburg, Theo van 94, 96; 207, 208 Donchi Formart s. r. l. 378, 379 Dresdener Werkstätten für Handwerkskunst 71, 87, 88 DrexIer, Arthur 140, 141 Driade 407, 409, 411 D'Urbino, Donato 382 Eames, Charles 20, 21, 138, 140, 141, 144, 180; 31, 312-320 Eames, Ray 138 Eastlake, Charles Lord 59 Eesteren, Cor van 207 Eichenberger, Hans 415, 416 Eiermann, Egon 67 Elli, Luigi 44 Endell, August 71; 166 Exner,Willhelm Franz 43 FDB Mobler 126 Feder, Kauflhaus 19 Fellner d. J., Ferdinand 89 Figini, Luigi 344 Fischer,Wend 49,52 Flagg, Ernst R. 32 188 Fontaine, Pierre F. L. 4 Foster Associates 421 France & Son A/S 290 Frank, Josef 92, 93, 119, 120, 203, 204, 264 Franklin, Benjamin 32 Franz I., Kaiser von Österreich 83 Frigerio, Fratelli 347 Friis, Knud 273 Fröbel, Friedrich 80 Gaillard, Eugene 66, 151 Gall, L. 28 Galle, Emile 66, 70, 152, 153 Gallen-Kallela, Akseli 132, 296 Gandillot 30 Gatti, Piero 380 Gaudi, Antoni 78, 151, 171-175 Gavina 147, 229, 233 Gesellius, Herman 132, 299 Giedion, Sigfried 32, 135, 136 Gimson, Ernest 123 Gismondi, Ernesto 361 Godwin, Edward William 59, 61, 62, 63, 94, 131-133, 135, 136 Goethe, Johann Wolfgang von 90 Gogh,Vincentvan 40 Gregotti,Vittorio 154, 155 Gropius, Walter 18, 20, 63, 98, 99, 102, 103, 105, 106, 117, 138, 24, 197, 198, 216, 226-228, 231, 232, 254 Gugelot, Hans 150, 337 Guild and School of Handicraft 58, 122 Guimard, Hector 66, 69, 149, 150 Gullichsen, Mairea 136 Häring, Hugo 18 Hagberg, Knut und Marianne 386 Hansen, Ch. E. 125 Hansen, Fritz 125 Hansen, Johannes 129; 33, 291, 292 Hansen, S0ren 125; 279 Hansens Eft., Fritz 21, 125, 126; 275285, 293, 294, 333, 338, 339 Haugesen,Niels Jorgen 334 Haus und Garten, Einrichtungshaus 92, 119, 120; 202 Haussmann, Robert 331 Haussmann & Haussmann 33. Heal, Ambrose 58 Heal and Son 58 Heide, Rolf 38, 381 Helg, Franca 350 Henningsen, Poul 46 Henriksen, Bard 34 Hepplewhite, George 10 Hilberseimer, Ludwig 91; 199 Hitchcock, Henry-Russell 106 Hitler, Adolf 20, 21, 104, 138, 150, 152 Hochschule für Gestaltung, Ulm 150, 152 Hoffmann, Josef 26, 44, 69, 71, 75, 82, 84, 86, 87, 118, 134, 151; 163, 164, 185, 187, 188 Hollein, Hans 410 Horta, Victor 64, 65; 17, 140, 141 Hvidt, Peter 125; 280, 281 Knoll, Hans 143, 146 Knoll International GmbH. 21, 105, 144, 146, 147, 157; 235, 241, 243, 323-332, 401, 412 Kohn & Kohn 44, 83 Konsumentenverein KF 122 Kopenhagener Tischlergilde 123, 125, 129; 286 Kornhäusel, Josef 11 Kozo, Abe 374, 375 Kramer, Ferdinand 114, 115, 117, 124; 253, 255-258 Kraus, Karl 87 Krüger, F.A.O. 87 Kuess, Helmuth 424 Kupelwieser, Leopold 5 IKEA 174; 385, 386 Ilform 362 Interlübke, Gebr. Lübke KG 37 Internationaler Stil 18, 93, 94, 96, 106-113, 119, 124, 126, 130, 134, 136, 138, 146, 147, 149, 150, 151, 152, 153, 170, 177, 178 Iris 132 Jacob, Brüder 4 Jacobsen, Arne 126, 127, 130, 148, 150; 34, 282-285, 333, 334 Jagerspacher, Gustav 84 Jalk, Grete 130; 295 Jeanneret, Pierre 244-246, 248-252 Jencks, Charles 177 Jeppesen, P. 295 Johannsen, Otto 28 Johnson, Philip 106 Jones, Owen 54, 55 Jones,Walk C. 68 Juhl, Finn 129; 290 La Rinascente 153; 348 Landmann, Ludwig 114 Lange, Gerd 417 Lange, Jürgen 363, 365 Le Corbusier 18, 26, 30, 36, 44, 45, 106, 107, 110-113, 147, 151, 161, 170, 178; 97, 244-252, 365 Lee, Mutter Ann 48 Leistler, Carl 38, 40; 73 Lenci, Fabio 362 Lengyel siehe Standard-Möbel Lethaby, W. R. 123 Liberty, Arthur Lasenby 58 Liberty & Co. 58, 89, 132;124 Liechtenstein, Fürstenhaus 38, 40 Lindgren, Armas Eliel 132; 299 List,Wilhelm 83 Lomazzi, Paolo 382 Loos, Adolf 12, 26, 27, 36, 44, 82, 83, 84, 86, 87, 90, 92, 106, 111; 181-184 Ludwig XIV. 8, 11 Ludwig XV. 22 Kahn, Louis 1?0 Kartell s.p.a. 353, 355, 357 Kaufmann, E. 253 Kessler, Harry Graf 37, 66 Kita,Toshiyuki 400 Kjaerholm, Poul 130, 149, 150; 335, 336 Klenze, Leo von 11 Klimt, Gustav 86 Klint, Kaare 122, 123, 126, 129, 130; 273- 276 Knize 36 Knoll, Florence 21, 143, 146; 329 MacDonald, Frances 67 MacDonald-Mackintosh, Margaret 67 Mackintosh, Charles Rennie 61, 67, 69, 72, 84, 86, 151; 157-160 Mackmurdo, Arthur Heygate 56, 58, 60, 64; 121, 137, 138 Magistretti, Vico 147; 332, 354, 361 Majorelle, Louis 66, 70;155 Makart, Hans 44 Malmsten, Carl 118, 119, 120; 263 Manet, Edouard 41 Mang, Karl und Eva 309 Mangiarotti, Angelo 155; 347, 349 189 Mannesmann AG 100, 101 Mari, Enzio 155 Mathsson, Bruno 120; 267-272 May,Ernst 18, 114, 115, 117; 253 McNair, Herbert 67 Memphis 175, 177; 403-406 Mendelsohn, Erich 21, 22 Mendini, Alessandro 384, 394, 408 Mercatali, Davide 378, 379 Metternich, Klemens Fürst von 8, 11, 35, 38 Meyer, Grethe 286 Meyer, Hannes 17 Micheli, Angelo 404 Mies van der Rohe, Ludwig 17, 18, 20, 21, 90, 102,104, 106- 109, 111, 112, 115, 138, 144, 146, 147, 149, 150, 157, 158, 170, 175; 26, 30, 238243, 330, 360 Miller KG, Herman 21, 138, 142, 147, 157; 314-322, 363 Mobring, Karin 385 Mogensen, Borge 126, 128, 129, 130; 286-289 Moholy-Nagy, Laszlo 103; 232 Molinari, Pierluigi 358, 359 Mondrian, Piet 94, 96 Mori, Margherita 346 Morris, Barbara 56 Morris,William 14, 15, 25, 29, 46, 48, 54, 55, 56, 57, 58, 59, 64, 66, 74, 77, 80, 86, 98, 120, 132; 114-117 Morris & Co. 56, 58; 15, 118-120 Moser, Koloman 86, 87; 186 Mourgue, Olivier 162; 373 Muche, Georg 100 Müller,Walter 37 Müller-Wulckow, Walter 116 Murmann, Heinrich 67 Museum of Modern Art, New York 20, 22, 138, 144, 157 Muthesius, Hermann 60, 88, 90, 150; 194, 196 Napoleon I. 9 Napoleon III. 35 Nava, Cesare Augusto 356 Nelson, George 21, 138, 142; 321, 322 Neutra, Richard 63, 83 Nielsen, Elmar Moltke 273 Nielsen, O. M01gaard 126; 280, 281 Nizzoli, Marcello 152,153 Nurmesniemi, Antti 136; 387-389 Obernzenner, Kaufhaus 257 Obrist, Hermann 71; 170 Österreichischer Werkbund 89, 93, 120 Olbrich, Joseph Maria 69, 71, 75, 82; 161, 162 Olivetti, Camillo 152 Olivetti & C., S.p.A. 152, 153; 345 Oud, J.J.P. 18, 115; 258 Owen, Robert 55 Owen, William und Separ 9 Palterer, David 402 Pankok, Bernhard 71, 87; 165, 167 Panton,Verner 162; 363 Paolini, Cesare 380 Paul, Bruno 71, 87, 88; 168, 190 Paxton, Joseph 16, 54 Peche, Dagobert 87 Percier, Charles 4 Perriand, Charlotte 248-252 Pesce, Gaetano 395, 396 Pevsner, Nikolaus 55 Pica, Agnoldomenico 341 Pintori,Giovanni 152; 345 Piretti, Giancarlo 155; 36 Plischke, Ernst Anton 92; 205, 206 Poelzig, Hans 91; 200 Poggi 350 Pollini, Gino 344 Poltronova s.r.l. 410 Ponti, Gio 35; 62 Postmoderne 178 Powolny, Michael 86 Poynten, E. J. 125 Pugin, Augustus Welbin 29 Pullman, George M. 13, 32, 33; 57 Rambaldi, Emanuele 35, 153; 59 Rasmussens Snedkerier, Rud. 273, 274 Ravenna, Giovanni Battista 60 Redgrave, Ruhard 55 Renkel, Günter 383 Reumann, Jakob 18 Richardson jr., Henry Hobson 61, 80, 83 Riemerschmid, Richard 71, 87, 88, 89; 169, 191-193 Rietveld, Gerrit Thomas 94, 95, 96, 97, 99; 209-215 Rivarola, Stefano 34 Roentgen, David 11, 38 Rosselli, Alberto 155; 374, 375 Roth. Alfred und Emil 236 Royal College of Art, London 152 Ruskin, John 14, 48, 55, 56, 64, 66, 80, 86, 98 Saarinen, Eero 20, 22, 138, 144, 145, 146; 31, 312, 313, 325-328, 330 Saarinen, Eliel 132, 134; 299, 300 Salesco 129 Santachiara, Denis 384 Sapper, Richard 352, 353 Scandinavian Office Organisation Ltd. 334 Scarpa, Afra 155 Scarpa, Tobia 147, 155; 332 Scharonn, Hans 107; 239 Schindler, Rudolf M. 96 Schinkel,KarlFriedrich 6 Schlegel, Fritz 125; 277, 278 Schmidt, Karl 87, 88 Schmitthenner, Paul 27 Schöttle, Georg 165 Schütte-Lihotzky, Grete 18, 117; 261, 262 Schuster, Franz 18, 114, 115, 116, 117, 118, 125, 126; 23, 259, 260 Schwarzenberg, Fürstenhaus 38, 41 Schwedischer Werkbund siehe Svenska Slöjd-föreningen Schweizerischer Werkbund 89 Seitz, Karl 18 Semper, Gottfried 27, 55 Serrurier-Bovy, Gustave 64, 65; 139 Sgrelli, Enzio 348 Shaker 12, 15, 26, 48-53; 11, 99-113 Shaw, Norman 8 Sheraton, Thomas 10, 80 Sipek, Borek 407, 411 Skidmore, Owings & Merrill 329 Societe Anonyme des HautsFourneaux & Fonderies du Val d'Osne 29; 45, 47 Societe van de Velde 142 Sormani s. p. a 368-370 Sottsass, Ettore 157, 170, 176; 384, 401, 405 Sparre, Louis 132; 297, 298 Speer, Albert 20; 29 Staatliche Fachschule für Korbflechterei, Lichtenfels am Main 65 190 Staatliches Bauhaus Weimar und Dessau siehe Bauhaus Stam, Mart 17, 102, 104, 105, 113, 134; 234 Standard-Möbel, Lengyol & Co. 104; 229 Starck, Philippe 409 Starley,William 31 Stephensen, Magnus 277 Stijl, De 17, 94-97, 99, 100, 106, 107 Strnad, Oskar 92, 151; 201 Sullivan, Louis H. 14, 15, 48, 80, 83, 106; 14 Sulz, Günter 376, 377 Svenska Slöjdföreningen 119, 120, 122; 265 Svenska Tenn 93, 120 TAC (The Architects Collaborative Inc.) 105 Tapiovaara, Ilmari 136 Tecno s.p.a. 351, 421 Tecta-Möbel 422 Teodoro, Franco 380 Terragni, Giuseppe 342 Tessenow, Heinrich 88, 115; 189 Thonet, August 43 Thonet, Michael 8, 11, 12, 14, 26, 35, 38, 40, 43, 44, 46; 2, 12, 69, 72, 74-86 Thonet AG, Gebrüder 28, 30, 38-47, 51, 83, 91, 92, 104, 105, 107, 112, 113, 114, 118, 125, 134, 135, 144; 70, 71, 90-98, 234, 235, 241, 251-254 Thonet-Mundus 92, 124 Thun, Matteo 420 Thut, Kurt 413, 414 Thut, W., AG 413, 414 Tokugawa, Ieyasu 60 Troost, G. 28 Troost, Paul Ludwig 28 Tusquets, Oscar 399, 418, 419 Tutanchamun 36 Ufo (Gruppe) 384 Utzon, Jorn 130, 150; 338, 339 Vallin, Eugene 66, 70; 154 Veillich 27, 83 Velde, Henry van de 14, 16, 37, 46, 64, 65, 66, 67, 68, 71, 74, 75, 76, 87, 90, 98; 18, 143, 148 Venturi, Robert 412 Vereinigte Werkstätten für Kunst im Handwerk 14, 71, 76, 87, 88 Vigano, Carlo 356 Viollet-le-Duc, Eugene Emmanuel 27 Völkel, Rudolf 95 Voysey, Charles Francis Annesley 59, 60, 61, 64, 67; 126-130 Wärndorfer, Josef 86 Waganm, Robert M. 49 Wagner, Otto 26, 44, 46, 82, 83, 86, 92; 96, 179, 180 Wanscher, Ole 130 Watt,William 59; 133 Webb, Philip 56; 114-118 Wegner, Hans J. 129, 130, 174; 33, 291-294 Wengler, R. 66 Werkbund siehe Deutscher, Österreichischer, Schweizerischer Werkbund Werkstätte für Wohnungseinrichtungen 88 Wewerka, Stefan 422 Whistler, James McNeill 61, 63; 132 Wiener Werkstätte 14, 66, 71, 74, 84, 86, 87, 92, 118, 133, 134; 185, 187, 188 Wilde, Oscar 61, 63 Wilhelm Ernst von Sachsen-Weimar 37 Wilson, G. 52, 53 Wingler, Hans 104 Wlach, Oscar 92 Wogg AG 415-417 Wohnbedarf OHG 38, 381 Wright, Frank Lloyd 14, 61, 80, 81, 94; 16, 176-178 Wyatt, James 55 Zanini, Marco 406 Zanotta s.p.a. 380, 399, 402, 408 Zanuso, Marco 155; 352, 353 ZE Möbel, Einrichtungsbedarf GmbH & CoKG 383 191 Abbildungsnachweis Nicht aufgeführte Abbildungen stammen aus den Bildarchiven des Autors oder des Verlages. Die Ziffern beziehen sich auf die Bildnummern. Helene Adant, Paris 45, 47 Andre Adegg, Paris 362 AEG-Telefunken Firmenarchiv, Braunschweig 20 Archivo >Amigos de Gaud< (Foto Aleu), Barcelona 171 Ancillotti Fotografie s.r.l., Mailand 352 The Architects Collaborative Inc., Cambridge, Mass. 197 The Architectural Press Ltd., London 9 Art et Decoration, Paris 244 Artek Oy AB, Helsinki 301-305, 307, 308, 310 James L. Ballard, Collection S.usan Jackson Keig, Chicago, Ill. 103 Aldo Ballo, Mailand 250, 251, 353, 354, 361, 400, 402, 407, 409, 411, 423 Gabriele Basilico, Mailand 397 Bauhaus Archiv, Berlin 25, 216, 217, 221-223, 226-228, 230-232 Behr International, Wendlingen 330, 363, 365, 367, 376, 377 Behr + Sulz, Bietigheim 376, 377 Bella & Ruggeri 395, 396, Arturo Belloni 372 Bibliotheque Royal Albert I, Brüssel 64, 142 Van den Bichelaer, Geldrop 208 Bildarchiv Foto Marburg 10, 18, 19, 143, 147, 148, 161, 165, 187, 188, 192 Walter Binder, Zürich 144 Werner Blaser, Basel 134 Wilhelm Bofinger, Ilsfeld 337 Bonacina s.r.1., Meda 374, 375, 381, 382 Roberto Bossaglia 398 Marcel Breuer, NewYork 218, 229, 233, 237 Santi Caleca 391, 403-406 Carlotto 249 Lluis Casals 392 Valerio Castelli & Carlo Chambry 357 Centrokappa, Noviglio (Mailand) 355 Chicago Architectural Photographing Company 177 Lucca Chmel, Wien 50, 72, 96, 98, 64, 179, 180, 309 Clari, Mailand 368-370 Attilio del Commune, Mailand 374, 375 Country Life, London 117 The Crystal Palace Exhibition, Illustrated Catalogue (1851) 46 Domus, Mailand 59, 62 Donchi Formart s.r.l., Briosco (Mailand) 378, 379 Dotreville, Brüssel 17, 140 Fratelli Fabbri Editori, Mailand 4 Finlands Nationalmuseum, Helsinki 300 Hans Finsler, Zürich 236 Wend Fischer, München 111 Fotorama, Mailand 358, 359 France & Son, Hillerod 290 Frank Leslie's Popular Monthly (Dez. 1885) 99, 101 Jorn Freddie, Kopenhagen 295 Gemeentemusea, Amsterdam 214 Alexandre Georges, Pomona, N.Y. 68 Photo-Atelier Gerlach, Wien 184 Giraudon, Paris 149, 154, 155 Glöck, Karlsruhe 190 S. R. Gnamm, München 11, 39, 43, 49, 60, 105, 107-109, 145, 176, 191, 215, 241, 291, 292, 306 Görlich Editore, Paderno Dugnano (Mailand) 61, 252 Gruppoquatro Studio, Mailand 252 Sören Hallgren, Stockholm 113 Erik Hansen, Kopenhagen 286 Fritz Hansens Eft., Allerod 275-279, 281, 282, 284, 285, 338, 339 Robert Haussmann, Zürich 331 Hedrich-Blessirig, Chicago, Ill. 238 Keld Helmer-Petersen, Kopenhagen 66, 294, 336 Lucien Herve, Paris 245, 246 Jonals Co., Kopenhagen 33 Fas Keuzenkamp, Pijnacker 210 Knoll International GmbH, Murr/Murr 235, 243, 323-328, 332, 364 Mogens S. Koch, H0rsholm 288, 289 Konstflitföreningen i Finland, Helsinki 298 Kunstgewerbemuseum, Zürich 121, 39, 141, 144, 146, 153, 159, 162, 169, 182 Bella C. Landauer Collection, New York Historical Society 13 Landesmuseum, Trier 63 Adolf Lazi, Stuttgart 254 A. Lengauer, München 26 Lichtbildwerkstätte Alpenland, Wien 95, 42, 181, 183 L'Illustration, Paris 24 Dr. Lossen & Co., Stuttgart 258 A. Mangiarotti, Mailand 347, 349 Gilbert Mangin, Nancy 152 MAS, Barcelona 173, 175 Karl Mathsson, Värnamo 267 Norman McGrath, New York 366 Herman Miller AG, Basel 314-322 William Morris, Bath 106 Musee des Arts Decoratifs, Paris 151 Museen der Stadt Wien 5 Museo Poldi-Pezzoli, Mailand 44, 340, 342-345 Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg 296 Museum of Finnish Architecture (Loja Saarinen), Helsinki 299 Museum of Modern Art, New York 31, 53, 150, 312, 313 National Buildings Record, London 114, 116, 132 National Gallery, London 4, 41 National Momlments Record, London 124 Die Neue Sammlung, München 103, 111, 168, 209, 261 Horstheinz Neuendorff, Baden-Baden 67 Toni Nicolini 341 Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv, Wien 42, 95 Österreichisches Museum für ange- 192 wandte Kunst, Wien 185, 186, 203, 264 Ray Pearson, Chicago 112 Thamas Pedersen og Poul Pedersen, Arhus 273 pf-studio, Helsinki 387-390 Pietinen, Helsinki 297 Roland Pletersky 69, 71, 73, 79 Ramazzoti & Stucchi, Lissone 399, 408 Robert, Barcolona 172 Oscar Savio, Rom 58 Deidi von Schaewen, Paris 384 Richard Schenkirz, Leonberg 330 J. Scherb, Wien 204 Ingrid Schindler, Wien 203, 264 H. Schmölz, D. W. B., Köln 353 R. Schmutz 381 Louis Schnakenburg, Kopenhagen 335, 338 Wilhelm Schnöll, Salzburg-Iltzing 424 Service de Documentation Photographique, Reunion des Musees Nationaux, Paris 1, 3 Ph. Simion, Malland 382 Skidmore, Owings & Merrill, New York 329 Staatliche Bildstelle, Berlin 29 Staatliche Fachschule für Korbflechterei, Lichtenfels am Main 65 Städtische Galerie, München 193 Ch. Staub 337 Stedelijk Museum, Amsterdam 40, 211-213 Dr. Franz Stoedtner, Düsseldorf 21, 22 Stone 237 Strüwing, Birkerod 34, 275, 276, 278, 279, 281-283, 285, 333, 334, 339 Atelje Sundahl, Nacka 266 Technisches Museum für Industrie und Gewerbe, Wien 74, 76, 78, 84, 87, 88 Tecno s.p.a., Mailand 351 Tedeschi & Fraquelli, Mailand 356 Gebrüder Thonet AG, FrankenbergEder 2, 69, 71, 73, 79, 86, 234 Underhill Studio, New York 32 University of Glasgow 156, 157 USIS Photo Unit, Bad Godesberg 14 Vereinigte Werkstätten für Kunst im Handwerk, Bildarchiv, München 190 Victoria and Albert Museum, London 7, 8, 15, 48, 118-120, 122, 125, 128, 131, 133, 158, 160 Visiona-Foto (Schuster) 373 Williams & Meyer 30, 240, 242 Dr. P. Wolff, Frankfurt/Main 253, 255257 Für folgende Abbildungen erteilten uns die Genehmigung zur Reproduktion: Birkhäuser Verlag, Basel: Alvar Aalto 311 Verlag F. Bruckmann AG, München: Hermann Muthesius. Wie baue ich mein Haus 194, 196 The Danish Architectural Press, Kopenhagen: Arne Karlsen. Furniture designed by Borge Mogensen 287 Wilhelm Fink Verlag, München: Günther. Interieurs um 1900 167, 190, 193 Jul. Gjellerups Forlag, Kopenhagen: Moderne Danske Mobler 33, 280, 293 Julius Hoffmann Verlag, Stuttgart: Erich Boltenstern. Wiener Möbel 201, 202 Albert Langen Verlag, München: Neue Arbeiten der Bauhaus-Werkstätten (Bauhausbücher 7) 219, 220, 225 Albert Langen-Georg Müller Verlag, München: Frank Lloyd Wright - Ein Testament 16, 178 Karl Robert Langewiesche Nachfolger Hans Köster, Königstein im Taunus: Walter Müller-Wulckow. Architektur der Zwanziger Jahre in Deutschland 199, 200, 224, 253, 259, 260, 262 Oxford University Press, New York: S. Giedion. Mechanizution takes Command 13, 51-57 193 GESCHICHTE DES MODERNEN MÖBELS Wie in Kunst und Architektur, so spiegeln sich auch in der Gestaltung des Möbels die tiefgreifenden technischen und gesellschaftlichen Umwälzungen während der letzten 150 Jahre wider. Die Einführung neuer Materialien und Konstruktionsverfahren sowie das Entstehen neuer Gesellschaftsschichten mit neuen Bedürfnissen sind die zentralen Probleme, mit denen sich seit dem frühen 19. Jahrhundert Möbelbauer und -entwerfer zu beschäftigen hatten. Im Grunde lassen Möbel- und Raumgestaltung über Lebensformen und Stil einer Gesellschaft noch präzisere Schlüsse zu als die Architektur oder die Kunst, da Veränderungen hier viel rascher und deutlicher zum Tragen kommen. Durch ihre Nähe zum Menschen sind Raum und Möbel ein unmittelbarer Ausdruck seines Selbstverständnisses als Individuum und als gesellschaftliches Wesen. Wie ein Möbel von Andre Charles Boulle mit seinen klaren Formen und prachtvollen Intarsien für die absolutistische Machtfülle Ludwigs XIV., so steht ein schlichter Bugholzstuhl aus einer Fabrik von Michael Thonet für das Aufkommen der Massengesellschaft oder ein Stahlrohrstuhl von Mies van der Rohe für das Bemühen, eine neue, allgemeingültige Formensprache zu schaffen. Der Autor zeichnet diese Entwicklung nach und macht deutlich, wie sich nach und nach das moderne Möbel, so wie wir es heute verstehen, herausbildete. Alle Stationen dieses Weges - vom Klassizismus und Biedermeier über die anonymen Strömungen gegen den Historismus, die Bewegung um William Morris, den Jugendstil, den Werkbund, den Stijl, das Bauhaus und die skandinavische Richtung bis hin zur Spätphase des Internationalen Stils nach dem Zweiten Weltkrieg und zum neuen italienischen Design - werden in ihrem künstlerischen und gesellschaftlichen Zusammenhang dargestellt und mit ausführlichem Bildmaterial belegt. In dieser ergänzten und erweiterten Neuauflage sind darüber hinaus auch die jüngsten Tendenzen erfaßt, mit aktuellen Aufnahmen gezeigt und in den gesamtgeschichtlichen Kontext eingeordnet. Verlag Gerd Hatje 194 195