Bericht des Expertenbeirats, Langfassung

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Bericht des Expertenbeirats, Langfassung
ÖSTERREICH-TOURISMUS –
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Wachstumskurs
Chancen und Herausforderungen
Bericht des Expertenbeirats "Tourismusstrategie"
Martin Lohmann, Hansruedi Müller, Harald Pechlaner,
Egon Smeral (Koordination), Karl Wöber
Wien, März 2011
Inhaltsverzeichnis
Executive Summary
1.
Einleitung
10
2
Zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten im internationalen und österreichischen Tourismus
bis 2015
12
3
2.1
Makroökonomische Rahmenbedingungen
12
2.2
Mögliche Wachstumspfade für den österreichischen Tourismus
15
Zukunftsaufgaben für die Tourismuspolitik
19
3.1
Tourismuspolitische Herausforderungen
19
3.2
Mögliche strategische Ansätze und deren Umsetzung
20
3.2.1
Aufwertung des Angebots
20
3.2.2
Identifikation neuer Märkte
22
3.2.2.1
Internationalisierung und Wachstumsorientierung
22
3.2.2.2
Zukunftsmarkt Kurzreisen
23
3.2.2.3
Sozio-demografische Entwicklungstendenzen
24
3.2.2.4
Anpassung an neue Lebensstile in Arbeit und Freizeit
25
3.2.2.5
Trends im touristischen Nachfrageverhalten
27
3.2.3
Anpassung der Markt-, Organisations- und Vertriebsstrukturen
29
3.2.3.1
Bildung von Destinationen und Netzwerkallianzen
29
3.2.3.2
Informations- und Kommunikationstechnologie:
Suchmaschinenoptimierung bringt Wettbewerbsvorteile
33
3.2.4
Verstärkte Qualitätsorientierung, Differenzierung und Positionierung
37
3.2.4.1
Begründung einer zunehmenden Qualitätsorientierung
37
3.2.4.2
Dimensionen einer umfassenden Qualitätsorientierung
37
3.2.4.3
Qualitätsanforderungen an die gesamte Dienstleistungskette
39
3.2.4.4
Qualität als Voraussetzung für erhöhte Markt- und Positionierungschancen
40
3.2.4.5
Inhalt und Instrumente einer umfassenden Qualitätsstrategie
40
3.2.5
Koordinierte und fokussierte Tourismuspolitik
Literaturhinweise
Mitglieder des Expertenbeirates
I
42
Abbildungen
Abbildung 1: Österreichs Marktanteil am internationalen Tourismus
Abbildung 2: Entwicklung der realen Tourismusexporte Österreichs seit 1995 und
mögliches Wachstumspotenzial 2010 bis 2015
Abbildung 3: Qualitätsdimensionen im Tourismus
Abbildung 4: Dienstleistungskette einer touristischen Destination
Abbildung 5: Entwurf eines möglichen "Qualitätshauses Tourismus Österreich"
13
17
39
40
42
Übersichten
Übersicht 1: Wirtschaftswachstum nach Ländergruppen
Übersicht 2: Entwicklungsmöglichkeiten des österreichischen Tourismus bis 2015
II
14
17
Executive Summary
Makroökonomische Rahmenbedingungen
Die Weltwirtschaft rutschte 2008/2009 durch die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise in
eine schwere Rezession, die kräftigste seit dem 2. Weltkrieg. Der deutliche Einbruch im Außenhandel
und in der Industrieproduktion, die rasch steigende Arbeitslosigkeit sowie das schwindende Konsumentenvertrauen in den wichtigen touristischen Herkunftsmärkten wirkten sich negativ auf die internationale Tourismuswirtschaft aus. Auch der Österreich-Tourismus konnte sich den Auswirkungen
der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht entziehen und musste 2009 empfindliche Einbußen hinnehmen: So sanken die realen Einnahmen aus dem internationalen Reiseverkehr im Jahr 2009 um 7,9%
und die realen Einnahmen im Binnenreiseverkehr um 0,9%. Insgesamt gingen die realen Einnahmen
damit um 6,0% zurück, 2010 dürften diese in etwa stagnieren.
Die Belebung der Weltwirtschaft – auch stark beeinflusst durch die Dynamik der Schwellenländer in
Asien und Südamerika – hatte positive Auswirkungen auf den Welttourismus, der sich 2010 deutlich
erholte. Mit Ausnahme von Europa konnten in jeder Weltregion mehr oder weniger kräftige touristische Zuwachsraten verzeichnet werden.
Real – nach Ausschaltung der Preis- und Wechselkursverschiebungen – stagnierten 2010 in Europa
und auch in Österreich die Einnahmen aus dem internationalen Reiseverkehr in etwa. In Bezug auf
die EU-15 konnte Österreich – gemessen an den europäischen Tourismusexporten – 2010 seine
Marktanteile knapp halten, nachdem diese im Rezessionsjahr 2009 leicht angehoben werden
konnten. Gegenwärtig liegt der österreichische Marktanteil (gemessen an der EU-15) mit 6,4% um 1
Prozentpunkt über seinem Tiefpunkt im Jahr 2000.
Das mittelfristige Wachstumspotenzial der Tourismusnachfrage von Wirtschaftsräumen oder einzelnen Quellmärkten hängt auf Basis der Ausgaben für Auslands- und Inlandsreisen (Tourismusimporte,
Binnenreiseverkehr) entscheidend von den möglichen gesamtwirtschaftlichen Zuwachsraten ab.
Die meisten gesamtwirtschaftlichen Prognosen gehen davon aus, dass die Unsicherheit über die
Bewältigung der Zinsen- und Schuldenkrise in verschiedenen Euro-Ländern noch einige Zeit bestehen
bleiben wird. Weitere Unsicherheitsfaktoren bilden neben der Rohstoffverteuerung die erheblichen
Leistungsbilanzungleichgewichte zwischen den USA und China oder zwischen Nord- und Südeuropa.
Triebfedern der mittelfristigen weltwirtschaftlichen Entwicklung sind die Schwellenländer in Asien
und Lateinamerika. Die Industrieländer bleiben im Wachstum deutlich hinter diesen Ländern zurück,
wobei die 6 neuen EU-Länder (Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Polen, Rumänien, Slowakei), die USA
und Großbritannien überdurchschnittlich wachsen. Der gesamte Euro-Raum bleibt deutlich hinter
den USA zurück. Innerhalb des Euro-Raums verzeichnen Österreich, Deutschland und Frankreich die
relativ stärksten Wachstumsraten.
Die wirtschaftlichen Konsequenzen der dramatischen Unglücksfälle in Japan lassen sich zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht absehen. Wahrscheinlich ist, dass die Industrieproduktion und der
Außenhandel deutlich einbrechen werden und Rückgänge im privaten Konsum zu erwarten sind.
Zumindest kurzfristig erscheint damit ein deutlicher Rückgang der Wirtschaftsleistung unvermeidbar
zu sein. Der Wiederaufbau und die Beseitigung der Schäden dürften jedoch über eine längere
1
Periode betrachtet zu wirtschaftlichen Impulsen führen und damit eine Belebung der japanischen
Wirtschaft bewirken.
Mögliche Wachstumspfade für den österreichischen Tourismus
Basis für die Prognose des Wachstums der Tourismusmärkte für Auslandsreisen – verstanden als
mittelfristiges Wachstum der realen Tourismusimporte der wichtigen Quellmärkte – ist hier die gesamtwirtschaftliche Einkommensentwicklung (reales BIP), die entscheidend die Tourismusnachfrage
bestimmt. Der Einfluss der relativen Preise in einheitlicher Währung wird hier mittelfristig als konstant angenommen. Die möglichen Auswirkungen von veränderten Transport- und Energiekosten,
Terror- und Kriegsgefahren, Naturkatastrophen oder der globalen Erwärmung werden bei der
Prognose nicht berücksichtigt bzw. als nicht vorhersagbare exogene Einflüsse angesehen.
Unter den angeführten Bedingungen kann die Entwicklung der realen Tourismusnachfrage weitgehend vom prognostizierten Wirtschaftswachstum abgeleitet werden, wobei die Annahme über die
implizite Größenordnung der Elastizität der Tourismusnachfrage in Bezug auf das BIP (= Einkommenselastizität der Tourismusnachfrage) eine wichtige Rolle spielt. Im Zentrum der Untersuchung steht
die Nachfrage nach Auslandsreisen (reale Tourismusimporte) der 37 erfassten Quellmärkte 1. Die
ermittelten Tourismusimporte bilden dann eine Basis zur Ableitung der möglichen realen Einnahmen
Österreichs aus dem internationalen Reiseverkehr (Tourismusexporte).
Auf Basis des Prognosemodells und der Prognoseannahmen für die gesamtwirtschaftliche Einkommensentwicklung lassen sich Wachstumsraten für die realen Tourismusimporte der erfassten 37
Quellmärkte ableiten (= Nachfrage nach Auslandsreisen je Herkunftsmarkt, bereinigt um Preis- und
Wechselkursverschiebungen). Demnach ergibt sich für den Zeitraum 2010/2015 eine Steigerungsrate
der realen Importnachfrage der EU-15 von etwa +2¾% pro Jahr.
Auf Basis der internationalen Wachstumsdynamik erscheint in Bezug auf die Entwicklung des internationalen Reiseverkehrs in Österreich zumindest eine durchschnittliche jährliche Expansion der
realen Tourismusexporte von rund 2% pro Jahr bis 2015 möglich 2, vorausgesetzt die Marktanteile in
den erfassten Ländern können auf Grund von Qualitätsverbesserungen nicht erhöht werden und die
Herkunftsstruktur bleibt unverändert. Gemessen an dieser Basiswachstumsrate bleibt damit Österreichs internationaler Reiseverkehr hinter den in der EU-15 gegebenen Entwicklungsmöglichkeiten
zurück. Im globalen Vergleich (reales Exportwachstum etwa 5%-6% p. a.) fallen die strukturbedingten
hypothetischen Wachstumsverluste noch stärker aus.
Die hypothetischen Wachstumsverluste auf Basis der zuvor angestellten Berechnungen kommen im
Wesentlichen dadurch zustande, dass Österreich vorwiegend auf langsam wachsende Märkte wie
Deutschland (trotz verbesserter Wachstumsaussichten), Niederlande, die Schweiz und Italien konzentriert ist. Die Übernachtungen der vier Märkte erreichen insgesamt rund drei Viertel der Übernachtungen ausländischer Gäste in Österreich und verzeichnen ein deutlich unterdurchschnittliches
Entwicklungspotenzial.
Eine Analyse der Herkunftsstruktur im internationalen Reiseverkehr und der potenziellen Entwicklungsmöglichkeiten zeigt klar, dass eine stärkere Forcierung der Märkte in den neuen EU-Mitglieds1)
Folgende Länder wurden erfasst: EU-27, Australien, Brasilien, China, Indien, Kanada, Norwegen, Russland, Schweiz, Türkei, USA.
2)
Bei konstanten länderspezifischen Marktanteilen sind die Steigerungsraten von Exporten und Importen identisch.
2
länder und den BRIC-Ländern das Wachstum der österreichischen Tourismusexporte spürbar erhöhen könnte. In diesem Zusammenhang erscheint realisierbar, dass die realen Einnahmen Österreichs im internationalen Tourismus um zusätzlich bis zu etwa ¾ Prozentpunkte pro Jahr expandieren
könnten, wenn der Nächtigungsanteil der BRIC-Länder und der 12 neuen EU-Mitgliedsländer auf
insgesamt ein Fünftel steigen würde. Bei einer wachstumsorientierten Tourismuspolitik bzw. einer
zügigen Internationalisierung ist es somit möglich, die Basiswachstumsrate der realen österreichischen Tourismusexporte von +2% p. a. um bis zu ¾ Prozentpunkte pro Jahr auf +2¾% p. a. anzuheben. Weiters kann erwartet werden, dass zusätzlich Verbesserungen in der relativen Angebotsqualität angestrebt werden, so dass dadurch das Exportwachstum auf insgesamt etwa +3% p. a.
gesteigert werden könnte.
In Bezug auf die Einschätzung der zukünftigen Entwicklung des Binnenreiseverkehrs muss angesichts
des hohen Niveaus und des hohen Sättigungsgrades davon ausgegangen werden, dass für die
Periode 2010/2015 günstigstenfalls die Trendwachstumsrate der Vergangenheit erreicht werden
kann. Diese liegt für die realen Ausgaben bei etwa +1% pro Jahr.
Insgesamt betrachtet, ergibt sich daraus ein Entwicklungspotenzial für den österreichischen Gesamtreiseverkehr von real rund +2½% pro Jahr, das Gelingen qualitativ bedingter Marktanteilsgewinne auf
den Auslandsmärkten und einer Internationalisierung im oben diskutierten Ausmaß wird jedoch
vorausgesetzt. Werden hingegen keine Fortschritte bei der Internationalisierung und keine weiteren
qualitativ bedingten Marktanteilsgewinne erzielt, so ist im Zeitraum 2010/2015 nur ein Wachstum
der realen Umsätze von 1¾% im Bereich des Möglichen.
Entwicklungsmöglichkeiten des österreichischen Tourismus bis 2015
Tourismusexporte
Binnenreiseverkehr
Gesamtreiseverkehr
Ø Jährliche Veränderung 2010/2015 in %, real
Keine weitere Internationalisierung und qualitativ
bedingten Marktanteilsgewinne
+2,0
+1,0
+1,8
Erfolgreiche Internationalisierung und qualitativ
bedingte Marktanteilsgewinne
+3,0
+1,0
+2,5
Q: Prognose und eigene Berechnungen.
Für die Nächtigungsentwicklung kann davon ausgegangen werden, dass leichte mengenmäßige
Niveauanhebungen möglich sind. Anders ausgedrückt lässt sich auf Basis des oben skizzierten
Wachstumskorridors eine Steigerung der Zahl der Übernachtungen von höchstens 1% bis 2% pro Jahr
ableiten. D. h. die Nächtigungen könnten von gegenwärtig 124,8 Mio. (2010) auf rund 131 Mio. bzw.
höchstens 138 Mio. im Jahr 2015 ansteigen.
Zukunftsaufgaben für die Tourismuspolitik
Im Hinblick auf die Nutzung der zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten im österreichischen Tourismus sind geeignete Maßnahmen zur Absicherung bzw. Verbesserung der touristischen Position zu
setzen. Mit anderen Worten sollte es ein Hauptziel der Tourismuspolitik sein, den gegenwärtigen
Marktanteil Österreichs im internationalen europäischen Tourismus von 6,4% (gemessen an den
Tourismusexporten der EU-15) nicht nur zu halten, sondern auch weiter auszubauen sowie das
Aufkommen aus dem Binnenreiseverkehr zu optimieren.
3
Des Handlungsbedarfs bewusst, wurde im Rahmen einer Tourismusenquete des Bundesministeriums
für Wirtschaft, Familie und Jugend (BMWFJ) im Februar 2010 für die Formulierung "Neuer Wege im
Tourismus" ein Startschuss gesetzt (BMWFJ, 2010). Mit der vom Bundesminister für Wirtschaft,
Familie und Jugend ins Leben gerufenen (in Zukunft alljährlich stattfindenden) "Tourismuskonferenz"
(31. März – 1. April 2011, Linz) erfolgt die Etablierung des Abstimmungsprozesses zwischen den
wirtschaftspolitischen Entscheidungsträgern in Bezug auf eine koordinierte tourismuspolitische Vorgangsweise.
Mögliche strategische Ansätze und deren Umsetzung
Im Hinblick auf die Nutzung der touristischen Entwicklungsmöglichkeiten bieten drei Segmente
Erfolgschancen:
• Der Kultur- und Städtetourismus,
• der Wintersport sowie
• erlebnisorientierte Kurzurlaube mit Wellness-Komponenten auf Basis der landschaftlichen
Ressourcen wie z. B. Alpen, Flüsse oder Seen.
Dabei sind
• wachstumsorientiertes Marketing,
• die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit,
• die Optimierung der Auslastung und
• die Bildung von regionalen Netzwerkallianzen
wichtige Kernstrategien, die durch
• die Aufwertung des Angebots,
• die Identifikation neuer Märkte,
• die Anpassung der Markt-, Organisations- und Vertriebsstrukturen,
• die Verstärkung der Qualitätsorientierung, Differenzierung und Positionierung sowie
• eine koordinierte und fokussierte Tourismuspolitik
umgesetzt werden sollen.
Durch das Setzen effektiver Maßnahmen, welche die Hauptdeterminanten der Wettbewerbsfähigkeit
einer Tourismusdestination beeinflussen, kann es unter Verfolgung der Kernstrategien gelingen, die
österreichische Position zu verbessern.
Tourismuspolitische Ansatzpunkte – Ein Katalog
Aufwertung des Angebots
• Stimulierung der Produktivitätsentwicklung durch Investitionen in das physische Kapital
(insbesondere in Betriebsvergrößerungen) und das Humankapital sowie das Verfolgen einer
Innovationsstrategie (überbetriebliche Etablierung von Innovationscoaches, Gründung von
Innovationszentren, Erstellung von Innovationsdatenbanken, Verleihung von Innovationspreisen, Gründung von Innovationsfonds, mediale Aufbereitung der Ergebnisse der wissenschaftlichen touristischen Innovationsforschung, Errichtung eines Lehrstuhls für Innovationsforschung sowie Schaffung von informativen Netzwerken "Innovation im Tourismus");
4
• Schaffung saisonunabhängiger Angebote für den Ganzjahrestourismus auf Basis der landschaftlichen Ressourcen (das sind zum Beispiel erlebnisorientierte Produkte mit hohem
Erinnerungswert für kürzere Aufenthalte im Bereich des Wellness-, Kultur-, Unterhaltungs-,
Event-, Sport- und Veranstaltungstourismus sowie zusätzliche innovative Dienstleistungen für
Kongresse sowie für Dienst- und Geschäftsreisen);
• Verfolgung einer innovativen Produkt- und Angebotspolitik mit relativ hohen Erlebnis- und
Qualitätsstandards – vor allem im Hinblick auf eine erhöhte Nachfrage in der Zwischensaison
(internationale Markenveranstaltungen wie z. B. einzigartige Sport- oder Unterhaltungsereignisse, virtuelle Erlebniswelten, moderne Museen, Camps für angewandte und darstellende
Kunst);
• Setzung von Angebotsschwerpunkten für die europäischen Fernmärkte und die Überseenationen (Entwicklung von wettbewerbsfähigen Produkt-Markt-Kombinationen auf Basis der
Empfehlung der Österreich-Werbung);
• Verbesserung der Arbeitsbedingungen im Beherbergungs- und Gaststättenwesen.
Identifikation neuer Märkte
• Zur Forcierung des touristischen Wachstums und der Nutzung der sich ergebenden Beschäftigungschancen müsste das Tourismusmarketing seine Anstrengungen in Bezug auf die Erschließung von Fernmärkten deutlich erhöhen. Als österreichische Zukunfts- bzw. Wachstumsmärkte können die BRIC-Länder und die neuen EU-Mitgliedsstaaten, aber auch der Nahe
und Mittlere Osten, die USA und Australien bezeichnet werden. Die Realisierung relativ
hoher Einnahmen- und Nächtigungszuwächse dürfte in den erwähnten Herkunftsmärkten
nicht allzu schwer fallen, da die betreffenden Länder mittelfristig über überdurchschnittliche
Wachstumschancen verfügen und zusätzlich die Auslandsreiseintensität noch sehr niedrig ist.
• Nutzung der Wachstumschancen bei Kurzreisen und Senioren;
• Forcierung der Kultur- und Bildungsangebote;
• Einstellung auf den konsumerfahrenen, anspruchsvollen und "multi-optionalen" Kunden;
generell: Differenzierung ist gefragt;
• das Interesse am Thema Gesundheit wächst;
• authentische und neue Erlebnisse sind gefragt ("commodified experiences and emotions");
• preisgünstige Angebote (bei entsprechenden Qualitätsstandards) sind erfolgreich;
• die Aufmerksamkeit der Kunden zu erringen wird wettbewerbsentscheidend.
Anpassung der Markt-, Organisations- und Vertriebsstrukturen
Bildung von Destinationen und Netzwerkallianzen
• Entwicklung kooperativer Kompetenzen: Dies bedeutet, dass die Akteure einer Destination
auf der Netzwerkebene kollektive Kompetenzen schaffen und die Destination somit zu einem
im Wettbewerb schwer imitierbaren Kompetenzbündel machen. Entscheidend ist die Beteiligung am Netzwerk, um einen gemeinsamen Ressourcenpool entstehen zu lassen, auf dessen
Basis sich kooperative Kernkompetenzen entwickeln. Entsprechende Anreizsysteme sowie
Aus- und Weiterbildungsinstitutionen sind von staatlicher Seite zu schaffen.
5
• Implementierung des Destinationsmanagements: Hauptaufgabe dabei ist die Prüfung der
Kompatibilität der strategischen Interessen der Akteure mit dem Ziel der Schaffung einer
geeigneten Plattform im Wertschöpfungsnetzwerk. Dabei sind diese nicht von administrativpolitischen Grenzen abhängig, sondern vielmehr von kundenspezifischen Anforderungen und
Bedürfnissen.
• Anstelle von branchen- und sektorspezifischen Sichtweisen müssen zur Sicherstellung der
Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit verstärkt prozess- und kundenorientierte
Sichtweisen in die tourismuspolitische Diskussion Einzug halten. Dies erfordert eine entsprechende Förderung horizontaler, vertikaler und diagonaler Vernetzungen von Produkten,
Dienstleistungen und Angeboten.
• In der vernetzten Entwicklung wettbewerbsfähiger Erlebnisse auf Basis von für Zielgruppen
verständlichen Prozessen geht es eigentlich zuerst darum, die Erlebnisse gemäß den Marktbedingungen zu definieren, um in einem weiteren Schritt darauf aufbauend die Dienstleistungsketten zu bündeln und dann entsprechende Zugänge und Erreichbarkeiten zu planen.
• Erfolgreiche Destinationen sind als "Sinn-Räume" zu konzipieren, in denen der Gast eine
Stimmigkeit von Kernkompetenzen und Markenbotschaften vorfindet. Kernthemen, wie
Gesundheit/Wellness oder Natur, können dabei eine Brückenfunktion für das Erleben von
Sinnräumen erfüllen. Ein Beispiel für eine als "Sinnraum" integrierte Tourismusdestination ist
die Erweiterung der Wertschöpfungsketten mit den Leistungen der "creative industries". Eine
stärkere Vernetzung der touristischen Angebote mit dem ländlichen Raum im Hinblick auf
eine Synergieoptimierung zwischen Tourismus und Landwirtschaft wäre ein weiteres Beispiel
("Leben, arbeiten und genießen im ländlichen Raum"; Kulinarik).
• Die Etablierung von erfolgreichen Marken-Systemen auf der Grundlage von Kompetenznetzwerken ermöglicht/erhöht die Wahrnehmung durch die potenziellen Kunden auf den Märkten. Weiters geben Marken-Systeme den Akteuren in den Kommunen und Regionen die
Sicherheit, nachhaltige betriebliche Strategien zu verfolgen.
Informations- und Kommunikationstechnologie
• Die intelligente Bündelung von betrieblichen Leistungen sowie die elektronische Aufbereitung und Vermarktung sind entscheidende Faktoren für den globalen Wettbewerb zwischen
den Destinationen, wobei natürlich die entsprechende Buchbarkeit der Angebote (bei optimaler Zahlungssicherheit) von hoher Wichtigkeit ist. Die logische und kreative Kombination
von Dienstleistung und Technologie wird damit zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor und
bestimmt die Länge der Wertschöpfungskette.
• Die Qualität des Internetauftritts und der elektronischen Vernetzung (Kooperationsdichte)
sowie die Leichtigkeit der Auffindung beeinflusst im entscheidenden Maß die Marktanteilsentwicklung einer Destination.
• Die Nennung der eigenen Website in Suchmaschinen, Maßnahmen zur Verbesserung des
Suchmaschinenrankings ("Suchmaschinenoptimierung") sowie bezahltes Suchmaschinenmarketing als ein wichtiger Teil des E-Marketings ist/wird für den wirtschaftlichen Erfolg
eines touristischen Betriebes und einer Destination extrem wichtig. Die starke Verteuerung
des Suchmaschinenmarketings erfordert dabei zwecks der Realisierung von
Kostenersparnissen regionale und/oder nationale Koordinationsmaßnahmen und Absprachen zwischen den Anbietern einer Region.
6
• Um generell und nachhaltig weniger in Suchmaschinen-Marketing investieren zu müssen und
allgemein die Online-Präsenz verstärken zu können, sind umfangreiche, online verfügbare
Inhalte von großer Bedeutung. Ein systematischer Austausch dieser Inhalte (Betriebe,
Destinationen, LTOs, Österreich Werbung) erhält zunehmend an Bedeutung und stiftet
Synergien.
• Eine mögliche strategische Maßnahme, die von regionalen und nationalen Tourismusverbänden unterstützt werden könnte, wäre die Förderung der Direktmarketingaktivitäten einzelner
Betriebe (z. B.: Verbesserungen der technischen Voraussetzungen für Direktbuchungen;
gegenwärtig sind nur rund 50% der Betriebe überhaupt buchbar). Um dabei die Auffindbarkeit des Tourismusangebots in Österreich zu verbessern, könnten Tourismusmarketingorganisationen Metabuchungsplattformen einrichten und damit das bestehende Angebot am
Markt aggregiert darstellen sowie bereits bestehende Buchungsplattformen optimal für den
Nutzer zugänglich machen.
• Die zunehmende Notwendigkeit neuer Formen der online Medienanalyse zur Optimierung
der Distributionsstrategien und Steigerung der globalen Konkurrenzfähigkeit österreichischer
Anbieter ist ein weiterer Impulsgeber für den Tourismus in Österreich.
• Das Vorhandensein von Wissen über die sich ständig erneuernden Strategien zur Verbesserung des Suchmaschinenmarketings und der Nutzung der sozialen Medien wird in Zukunft
einen wichtigen Wettbewerbsvorteil einer Destination mit sich bringen. Durch Investitionen
im Bereich der Aus- und Weiterbildung können hier positive volkswirtschaftliche Effekte erzielt werden.
• Reisebüros und Reiseveranstalter werden zu Reiseberatern und "Informationsbrokern".
Verstärkte Qualitätsorientierung, Differenzierung und Positionierung
Im Zentrum einer umfassend verstandenen Qualitätsorientierung stehen die laufende Verbesserung und Sicherung der Qualität der Infrastruktur, der Serviceleistungen, der verantwortungsvolle Umgang mit der Umwelt und den Ressourcen sowie die Pflege der erlebbaren Atmosphäre
mit einem geschickten Einsatz von Inszenierungsinstrumenten.
• Österreich lanciert eine Qualitätsstrategie, die folgende Logik verfolgt:
-
Um Österreich als führende Tourismusregion in Mitteleuropa zu positionieren, sind
qualitativ hochstehende Angebote unerlässlich.
-
Die Gäste sollen entlang der gesamten touristischen Dienstleistungskette professionellen,
kompetenten Service sowie attraktive und differenzierte Angebote und Infrastrukturen
erleben können.
-
Eine Qualitätsverbesserung ist nur durch die Zusammenarbeit aller am Produktionsprozess Beteiligten zu erreichen.
-
Die Qualitätsverantwortung liegt in erster Linie bei den Leistungsträgern der touristischen
Dienstleistungskette. Sie werden unterstützt von den Tourismusorganisationen. Länder
und Bund helfen mit, Instrumente für eine koordinierte Qualitätsentwicklung, Qualitätssicherung und Qualifizierung zu entwickeln.
-
Die Qualitätsstrategie nutzt und fördert die bestehenden und bewährten QualitätsProgramme und evaluiert die Ergebnisse.
-
Darauf aufbauend werden gezielt eigene Schwerpunkte gesetzt.
7
-
Mit Information und Kommunikation sowie mit Aus- und Weiterbildungsmassnahmen zu
den Qualitäts-Schwerpunkten werden die Mitarbeitenden auf allen Stufen des ÖsterreichTourismus unterstützt.
-
Qualitätsmanagement wird als zentrales Positionierungsmerkmal gezielt eingesetzt, um
den Gästen einem Mehrwert zu bieten und damit die Marktchancen besser zu nutzen.
• Gegebene Marktchancen können nur genutzt werden, wenn die Qualität weiterentwickelt
wird; wenn intelligente, typische und feine Konsumgüter und Dienstleistungen angeboten
und der Bildungs- und Wissenssektor (z. B.: Ausbildung-, Forschungs- und ConsultingInstitutionen) markant positioniert werden.
• Zur Konkretisierung der Qualitätsstrategie ist ein "Qualitätshaus" mit den folgenden Elementen zu erarbeiten:
-
Qualitätscredo
-
Qualifikation bzw. Aus- und Weiterbildung
-
Qualitätsentwicklung, d. h. Infrastruktur-, Umwelt-, Erlebnis- und Servicequalität (insbesondere Zuverlässigkeit, Kompetenz, Freundlichkeit und Empathie)
-
Qualitätssicherung, d. h. Messung von Gäste-, Mitarbeiter- und Partnerzufriedenheit
sowie der Nachhaltigkeit in der Tourismusentwicklung
-
Kommunikationsstrategie mit umfassender Orientierung
Koordinierte und fokussierte Tourismuspolitik
Wichtige Eckpunkte für die Formulierung der koordinierten tourismuspolitischen Strategien sind
Maßnahmen, die
• zu einer Verminderung der Saisonalität ("Ganzjahresorientierung"),
• zu einer Fortsetzung der Internationalisierung,
• zu einer Qualitäts-, Produktivitäts- und Innovationsorientierung (letztere inklusive Forschung
und Ausbildung),
• zu einer rascher vor sich gehenden Destinationsbildung (Verlängerung der Wertschöpfungskette sowie Optimierung der Wahrnehmbarkeit durch den Einsatz der Informations- und
Kommunikationstechnologie) sowie
• zu einer Verbesserung der Ausbildungs- und Forschungssituation (inklusive eines Monitorings
des jeweiligen gegenwärtigen Status und der Entwicklungstendenzen)
führen.
Um das Wirkungspotenzial der öffentlichen Maßnahmen zu erhöhen sollen im Einzelnen
• die Förderprogramme von Bund, Ländern, und Gemeinden thematisch abgestimmt bzw.
Doppelgleisigkeiten vermieden (dies gilt auch für die Forschungsvorhaben),
• die Kleinförderungen eingestellt,
• dem Tourismus im Hinblick auf die hohen Wertschöpfungs- und Beschäftigungseffekte
höhere öffentliche Fördermittel für notwendige betriebliche Investitionen und für Marketingmaßnahmen sowie für eine Intensivierung von Ausbildung und Forschung zur Verfügung
gestellt sowie
8
• die Marketingprogramme auf nationaler und regionaler Ebene – auch im Hinblick auf eine
einheitliche Markenführungsstrategie – koordiniert werden.
In Bezug auf die aktivierende Marktbearbeitung wäre es effizient, wenn sich die Österreich Werbung
eher auf die Fernmärkte konzentrieren würde, wogegen die Bearbeitung der benachbarten ausländischen Nahmärkte und des Inlandsmarkts primär die Aufgabe der regionalen Verbände sein sollte.
9
1. Einleitung3
Der Tourismus hat eine zentrale Bedeutung für die österreichische Volkswirtschaft. Mit den im Jahr
2010 erzielten direkten und indirekten Wertschöpfungseffekten in der Höhe von 21 Mrd. € betrug
der BIP-Anteil etwa 7½%. Der österreichische Tourismus besitzt Weltruf und hat einen hohen
Spezialisierungsgrad erreicht: Gemessen an den Reiseverkehrsexporten der EU-15 betrug der
österreichische Markanteil 6,4%. Dieser ist damit fast doppelt so hoch als der vergleichbare Marktanteil der Industriewarenexporte (3,4% im Jahr 2009). Die hohe Wertschöpfungskraft macht die
österreichische Tourismuswirtschaft auch zu einem maßgeblichen Beschäftigungsgenerator, insbesondere für die Bevölkerung in ländlichen Gebieten mit Standortnachteilen in der Produktion von
Industriewaren und nicht-touristischen Dienstleistungen. Nach gegenwärtig vorliegenden Daten beschäftigte der Tourismus nach Einrechnung der direkten und indirekten Effekte rund 360.000
Personen (Basis: Vollzeitäquivalente). Der Beitrag des Sektors zur Gesamtbeschäftigung (Erwerbstätige in VZÄ) beträgt etwa 10%.
Die zukünftigen touristischen Entwicklungsmöglichkeiten werden entscheidend durch die gesamtwirtschaftliche Dynamik sowie durch die Ausrichtung des Tourismus im Hinblick auf die sich im Lauf
befindlichen und zukünftig zu erwartenden strukturellen Veränderungen bestimmt.
Bei der Beurteilung der vorliegenden gesamtwirtschaftlichen Prognosen sind die bestehenden Risikos
und Unsicherheiten zu berücksichtigen. Dabei geht man davon aus, dass die Unsicherheit über die
Bewältigung der Zinsen- und Schuldenkrise in verschiedenen Euro-Ländern noch einige Zeit bestehen
werden. Weitere Unsicherheitsfaktoren bilden neben der Rohstoffverteuerung die erheblichen Leistungsbilanzungleichgewichte zwischen den USA und China oder zwischen Nord- und Südeuropa. Von
Bedeutung ist weiters auch, inwieweit die notwendige Sanierung der Staatshaushalte und die dadurch entstehenden Nachfrageausfälle in Zusammenhang mit der hohen Arbeitslosigkeit die Wirtschaftserwartungen beeinflussen können, so dass eventuell negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung im Bereich des Möglichen liegen.
Im Hinblick auf die Einschätzung der zukünftigen Wachstumsmöglichkeiten ist auch zu bedenken,
dass die Weltwirtschaft die Tendenz zeigt sich in drei Blöcke aufzuteilen ("three-way-split"). Nämlich
in die gemeinsam mit den USA mäßig expandierende Euro-Zone – wobei letztere jedoch im Wachstumstempo deutlich hinter den USA bleibt – und die boomenden Schwellenländer. Anders ausgedrückt verlagern sich die Wachstumspole der Weltwirtschaft in Richtung Brasilien, Russland, Indien
und China (BRIC-Länder), aber auch in Richtung Türkei und Indonesien, wodurch neue bedeutende
touristische Wachstumspotenziale entstehen. In Zusammenhang mit dem geringen Internationalisierungsgrad der österreichischen Tourismuswirtschaft sollten deshalb Investitionen in die Entwicklung
rasch wachsender Märkte in den neuen Wachstumszentren und die Schaffung entsprechender
Angebotsstrukturen nicht versäumt werden.
Die Betriebe müssen sich weiters darauf einstellen, dass auf Grund gestraffter Kreditvergaberichtlinien die Investitionsvolumina limitiert werden könnten. Dieses Problem wird durch den von den
Überkapazitäten ausgehenden Preisdruck und die Produktivitätsschwäche des Beherbergungs- und
Gaststättenwesens zusätzlich verstärkt. Die fortschreitende Globalisierung erhöht den KonkurrenzAn dieser Stelle richtigen wir für die wertvolle Unterstützung bei der Textbearbeitung und der Tabellenerstellung ein herzliches
Dankeschön an Frau Mag. Susanne Markytan.
3
10
druck. Die rasche technische Entwicklung erfordert laufend Innovationen, der Wertewandel erhöht
den Anpassungsdruck und die Klimaänderung ruft nach Diversifizierung. Ferner betonen die demografisch bedingten Engpässe bei jungen Arbeitskräften, der Reformstau bei der Ausbildung, die
unumgänglichen Qualitätsverbesserungen, die relativ starke Saisonabhängigkeit und die erforderliche Koordinierung der tourismuspolitischen Aktivitäten von Bund und Ländern die Notwendigkeit,
Maßnahmen zu setzen.
Auf Grund der Notwendigkeit zur Setzung von Maßnahmen zur Optimierung der touristischen Entwicklung hat der Bundesminister für Wirtschaft, Familie und Jugend einen Expertenbeirat "Tourismusstrategie" ins Leben gerufen. Hauptaufgaben des Expertenbeirats sind, im Rahmen eines Berichts
tourismuspolitisch relevante Entscheidungsgrundlagen aufzubereiten bzw. touristische Entwicklungstrends, Wachstumschancen und Herausforderung aufzuzeigen sowie entsprechende Maßnahmen
vorzuschlagen. Die Vorstellung des Expertenberichts soll alljährlich anlässlich einer bundesweit koordinierenden Tourismuskonferenz erfolgen, die erstmals 2011 in Linz stattfindet. Diesem Beirat
gehören Wissenschaftler bzw. Tourismusexperten aus Deutschland (1), der Schweiz (1), Italien (1)
und Österreich (2) an (zu den einzelnen Personen siehe den Abschnitt "Mitglieder des Expertenbeirats").
Der vorliegende Bericht des Expertenbeirats wurde am 11. März 2011 abgeschlossen. Orientierungsgrundlage für die Abfassung des Berichts bildete dabei eine im Auftrag des Bundesministeriums für
Wirtschaft, Familie und Jugend, im Frühjahr 2010 erstellte WIFO-Studie ("Tourismusstrategische
Aussichten 2015 – Wachstum durch Strukturwandel"; Smeral, 2010B). Im Bericht des Expertenbeirats
wurden die relevanten Entwicklungstrends, Herausforderungen und vorgeschlagenen Maßnahmen
der alten Studie aktualisiert, ergänzt und neu beleuchtet bzw. strukturiert. Ebenso erforderten die
Veränderung der mittelfristigen Wachstumsaussichten sowie die Neu-Evaluierung der möglichen
Auswirkungen der Schuldenkrise eine entsprechende Neubearbeitung.
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2
2.1
Zukünftige Entwicklungsmöglichkeiten im internationalen und
österreichischen Tourismus bis 2015
Makroökonomische Rahmenbedingungen
Die Weltwirtschaft rutschte 2008/2009 durch die Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise in
eine schwere Rezession, die kräftigste seit dem 2. Weltkrieg. Der deutliche Einbruch im Außenhandel
und in der Industrieproduktion, die rasch steigende Arbeitslosigkeit sowie das schwindende Konsumentenvertrauen in den wichtigen touristischen Herkunftsmärkten wirkten sich negativ auf die internationale Tourismuswirtschaft aus (Smeral, 2009, 2010A und 2011). Auch Österreich konnte sich den
Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise nicht entziehen: 2009 sanken die realen Einnahmen
aus dem internationalen Reiseverkehr (Tourismusexporte inklusive Transportaufwendungen) um
7,9% und die realen Einnahmen im Binnenreiseverkehr um 0,9%; insgesamt gingen die realen Einnahmen damit um 6,0% zurück.
Der starke Wirtschaftseinbruch kam etwa Mitte 2009 zum Stillstand. Seither belebte sich die Konjunktur in den Industrieländern – hauptsächlich als Folge einer expansiven Geld- und Fiskalpolitik
(Schulmeister, 2011). Die Belebung der Weltwirtschaft – auch stark beeinflusst durch die Dynamik
der Schwellenländer in Asien und Südamerika – hatte positive Auswirkungen auf den Welttourismus,
der sich 2010 deutlich erholte. Mit Ausnahme von Europa konnten in jeder Weltregion mehr oder
weniger kräftige touristische Zuwachsraten verzeichnet werden. Laut UNWTO dürften laut vorläufigen Schätzergebnissen im Jahr 2010 die internationalen Touristenankünfte um 6,7% angestiegen
sein, nachdem sie 2009 um 4% sanken (UNWTO, 2011). Überdurchschnittlich stiegen 2010 die
internationalen Ankünfte in Asien und im Pazifischen Raum (12,6%), im Mittleren Osten (14,%) sowie
in Nord- und Südamerika (UNWTO, 2011). In Afrika entwickelten sich die internationalen Ankünfte
etwas unter dem Weltdurchschnitt (6,4%; UNWTO 2011). Europa bleibt Nachzügler: Nach einer
Stagnation der internationalen Ankünfte im Jahr 2008, mussten 2009 überdurchschnittliche Rückgänge in Kauf genommen werden, die durch den Anstieg um nur 3,2% im Jahr 2010 nicht ausgeglichen werden konnten.
Typisch für die gegenwärtige konjunkturelle Situation ist, dass die nominelle Einnahmenentwicklung
hinter der Dynamik der Ankünfte zurückbleibt. Hauptgründe sind die sinkende Aufenthaltsdauer, der
Preisdruck sowie Sparmaßnahmen im Allgemeinen.
Real – nach Ausschaltung der Preis- und Wechselkursverschiebungen – stagnierten 2010 in Europa
und auch in Österreich die Einnahmen aus dem internationalen Reiseverkehr in etwa. In Bezug auf
die EU-15 konnte Österreich – gemessen an den europäischen Tourismusexporten – 2010 seine
Marktanteile knapp halten, nachdem diese im Rezessionsjahr 2009 leicht angehoben werden
konnten (Abbildung 1). Gegenwärtig liegt der österreichische Marktanteil (gemessen an der EU-15)
mit 6,4% um einen Prozentpunkt über dem Tiefpunkt im Jahr 2000.
12
Abbildung 1: Österreichs Marktanteil am internationalen Tourismus
Gemessen an den nominellen Tourismusexporten der EU-15
8,5
8,12
8,0
7,59
7,5
In %
7,0
6,60
6,5
6,04
6,0
6,02
5,88
5,59
5,70
5,87
6,39
6,37
2009
2010
6,17
6,01
5,74
5,70
2006
2007
5,39
5,5
5,0
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
2003
2004
2005
2008
Q: IMF, OeNB, UNWTO, WIFO, wiiw. Ohne internationalen Personentransport.
Das relativ "günstigere" Abschneiden des österreichischen Tourismus im Jahr 2009 geht zum Teil auf
seine "Nahmarktstärke" bzw. darauf zurück, dass in wirtschaftlich schwierigen Zeiten Destinationen,
die nahe an bevölkerungsreichen Herkunftsmärkten mit hoher Reiseintensität liegen, weniger von
globalen Nachfrageeinbrüchen erfasst werden als Fern- bzw. Flugdestinationen, welche nicht über
diese Attribute verfügen (Smeral, 2010B).
Das mittelfristige Wachstumspotenzial der Tourismusnachfrage von Wirtschaftsräumen oder einzelnen Quellmärkten hängt auf Basis der Ausgaben für Auslands- und Inlandsreisen (Tourismusimporte,
Binnenreiseverkehr) entscheidend von den möglichen gesamtwirtschaftlichen Zuwachsraten ab.
Die meisten gesamtwirtschaftlichen Prognosen gehen davon aus, dass die Unsicherheit über die
Bewältigung der Zinsen- und Schuldenkrise in verschiedenen Euro-Ländern noch einige Zeit bestehen
bleibt. So ist zu bedenken, dass die dramatische Verschlechterung der Staatsfinanzen in einzelnen
Euro-Ländern wie Griechenland und Irland sowie der sprunghafte Anstieg der Anleihezinssätze dieser
Länder den Fortbestand der Europäischen Währungsunion gefährden könnte, sofern es nicht gelingt,
die Ausbreitung der Krise auf die eventuell nächsten Kandidaten wie Portugal und Spanien einzudämmen (Schulmeister, 2011). Weitere Unsicherheitsfaktoren bilden neben den Rohstoffverteuerungen (insbesondere von Erdöl) – und die dadurch ausgelösten spekulativen Finanztransaktionen –
erhebliche Leistungsbilanzungleichgewichte, wobei insbesondere das Defizit der USA und der Überschuss Chinas eine Rolle spielen bzw. handels- und währungspolitische Spannungen erzeugen. Im
Euro-Raum sorgen die Nord-Süd-Leistungsbilanzungleichgewichte für erhebliche Spannungen.
Weiters ist von Bedeutung, dass die konjunkturstützenden Maßnahmen der öffentlichen Haushalte
2011 auslaufen oder nur mehr abgeschwächt wirksam werden, da die meisten Regierungen im
Hinblick auf die Sanierung der Staatsfinanzen einen Konsolidierungskurs eingeschlagen haben. Auf
Grund der überwiegend zeitlich parallelen Sanierungsmaßnahmen entstehen dadurch Nachfrageausfälle. Dies könnte im Zusammenhang mit der hohen Arbeitslosigkeit über resultierende pessimisti13
sche Wirtschaftserwartungen auch zu negativen Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung
führen. Bei der Einschätzung der zukünftigen Rahmenbedingungen muss auch in Betracht gezogen
werden, dass in den Industrieländern durch den Schuldenabbau und die notwendigen massiven Refinanzierungsmaßnahmen der Manöverspielraum für eventuell notwendige wirtschaftspolitische
Maßnahmen nur mehr äußerst beschränkt gegeben ist.
Für den Zeitraum 2010/2015 wird sich gemäß der jüngsten mittelfristigen Prognose des WIFO das
globale Wirtschaftswachstum von 3,3% pro Jahr (2005/2010) auf 4,5% pro Jahr erhöhen (Übersicht 1;
Schulmeister, 2011): Triebfedern der mittelfristigen weltwirtschaftlichen Entwicklung sind vor allem
Russland (4,9% pro Jahr), China (8,9% pro Jahr), Indien (8,6% pro Jahr) sowie Lateinamerika (4,6% pro
Jahr). Die Industrieländer bleiben mit einer durchschnittlichen Wachstumsrate von 2,4% pro Jahr
deutlich hinter der weltwirtschaftlichen Entwicklung zurück, wobei die sechs neuen EU-Länder (Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Polen, Rumänien, Slowakei) mit 3,7% pro Jahr, die USA (2,7% pro Jahr)
und Großbritannien (2,6% pro Jahr) überdurchschnittlich wachsen. Der gesamte Euro-Raum (1,9%
pro Jahr) bleibt deutlich hinter den USA zurück. Innerhalb des Euro-Raumes verzeichnen Österreich
(2,2% pro Jahr), Deutschland (2,1% pro Jahr) und Frankreich (2,0% pro Jahr) überdurchschnittliche
Wachstumsraten (Baumgartner et al., 2011).
Übersicht 1: Wirtschaftswachstum nach Ländergruppen
2000/2005
Weltproduktion (BIP)
2005/2010
Ø Jährliche Veränderung in %
2010/2015
6 neue EU-Länder2 )
Polen
Tschechien
Slowakei
Ungarn
Russland
China
Indien
OPEC
Afrika
+3,5
+2,0
+2,4
+1,3
+1,8
+0,6
+1,6
+0,9
+2,5
+1,5
+4,0
+3,1
+3,7
+7,7
+4,3
+6,1
+9,8
+6,6
+4,8
+4,3
+3,3
+0,9
+0,9
+0,1
+0,8
+1,1
+0,8
–0,4
+0,4
+0,8
+3,2
+4,6
+2,7
+0,9
–0,2
+3,5
+11,1
+8,3
+5,4
+4,6
+4,5
+2,4
+2,7
.
+2,2
+2,1
+2,0
+1,3
+2,6
+1,9
+3,7
+3,4
+2,9
+6,7
+3,0
+4,9
+8,9
+8,6
+5,0
+5,5
Lateinamerika
+2,9
+3,9
+4,6
Industrieländer1 )
USA
Japan
EU 27
Deutschland
Frankreich
Italien
Großbritannien
Euro-Raum
1
2
Q: Oxford Economic Forecasting, WIFO. ) 29 OECD-Länder. – ) Bulgarien, Tschechien, Ungarn, Polen, Rumänien, Slowakei.
Die wirtschaftlichen Konsequenzen der dramatischen Unglücksfälle in Japan lassen sich zum
gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht absehen. Wahrscheinlich ist, dass die Industrieproduktion und
der Außenhandel deutlich einbrechen werden und Rückgänge im privaten Konsum zu erwarten sind.
Zumindest kurzfristig erscheint damit ein deutlicher Rückgang der Wirtschaftsleistung unvermeidbar
zu sein. Der Wiederaufbau und die Beseitigung der Schäden dürften jedoch über eine längere
Periode betrachtet zu wirtschaftlichen Impulsen führen und damit eine Belebung der japanischen
Wirtschaft bewirken.
14
2.2
Mögliche Wachstumspfade für den österreichischen Tourismus
Die gegenwärtige mittelfristige Tourismusprognose stellt eine Neu-Evaluierung der etwa vor einem
Jahr durchgeführten Prognose dar (Smeral, 2010B). Unterschiede liegen im Prinzip in der Einschätzung des internationalen Wirtschaftswachstums, wobei österreichbezogen (wegen des hohen
Gästeanteils) insbesondere die günstigeren Wirtschaftsaussichten für Deutschland ins Gewicht fallen.
Die vorliegende mittelfristige Prognose bis 2015 geht vom Gelingen der Konsolidierung der öffentlichen Haushalte ohne Gefährdung einer wirtschaftlichen Erholung aus. Staatsbankrotte der EU-Problemländer Irland, Portugal, Spanien, Italien, Griechenland und Ungarn sowie ein Zerfall des EuroRaums und eine drastische Abwertung des Euro werden ausgeschlossen.
Basis für die Prognose des Wachstums der Tourismusmärkte für Auslandsreisen – verstanden als
mittelfristiges Wachstum der realen Tourismusimporte der wichtigen Quellmärkte – ist hier die gesamtwirtschaftliche Einkommensentwicklung (reales BIP), die entscheidend die Tourismusnachfrage
bestimmt (Lim, 1997B; Smeral, 2010B). Da ein wesentlicher Teil der Tourismusnachfrage auch Dienstund Geschäftsreisen betrifft, stellt das BIP einen aussagekräftigeren Indikator dar als das persönlich
verfügbare Einkommen. Der Einfluss der relativen Preise in einheitlicher Währung wird hier mittelfristig als konstant angenommen. Die möglichen Auswirkungen von veränderten Transport- und
Energiekosten, Terror- und Kriegsgefahren, Naturkatastrophen oder der globalen Erwärmung werden
bei der Prognose nicht berücksichtigt bzw. als nicht vorhersagbare exogene Einflüsse angesehen.
Unter den angeführten Bedingungen kann die Entwicklung der realen Tourismusnachfrage weitgehend vom prognostizierten Wirtschaftswachstum abgeleitet werden, wobei die Annahme über die
implizite Größenordnung der Elastizität der Tourismusnachfrage in Bezug auf das BIP (= Einkommenselastizität der Tourismusnachfrage) eine wichtige Rolle spielt. Im Zentrum der Untersuchung steht
die Nachfrage nach Auslandsreisen (reale Tourismusimporte) der 37 erfassten Quellmärkte 4. Die ermittelten Tourismusimporte bilden dann eine Basis zur Ableitung der möglichen realen Einnahmen
Österreichs aus dem internationalen Reiseverkehr (Tourismusexporte).
Für die spezifischen Annahmen über die Einkommenselastizität der Tourismusimporte wurde auf
Erfahrungswerte aus der Vergangenheit und internationale Untersuchungen zurückgegriffen, teilweise wurden eigene Annahmen getroffen (Crouch, 1992, 1994 und 1995; Lim, 1997B und 1999;
Smeral, 2003A, 2009, 2010A und 2010B).
Auf Basis des angewandten Prognosemodells und der Prognoseannahmen lassen sich Wachstumsraten für die realen Tourismusimporte der 37 Quellmärkte ableiten (= Nachfrage nach Auslandsreisen
je Herkunftsmarkt, bereinigt um Preis- und Wechselkursverschiebungen). Demnach ergibt sich für
den Zeitraum 2010/2015 eine Steigerungsrate der realen Importnachfrage der EU-15 von etwa
+2¾% p. a.
Auf Grund der internationalen Wachstumsdynamik erscheint in Bezug auf die Entwicklung des internationalen Reiseverkehrs in Österreich zumindest eine durchschnittliche jährliche Expansion der
realen Tourismusexporte von rund 2% bis 2015 möglich 5, vorausgesetzt die Marktanteile in den
erfassten Ländern können nicht auf Basis von Qualitätsverbesserungen erhöht werden und die Herkunftsstruktur bleibt unverändert. Anders ausgedrückt heißt das, dass sich die realen Tourismus4)
Folgende Länder wurden erfasst: EU-27, Australien, Brasilien, China, Indien, Kanada, Norwegen, Russland, Schweiz, Türkei, USA.
5
) Bei konstanten länderspezifischen Marktanteilen sind die Steigerungsraten von Exporten und Importen identisch.
15
exporte Österreichs mit dem gleichen Wachstumstempo entwickeln wie die mit den österreichischen
Nächtigungsanteilen gewichteten realen Tourismusimporte der 36 internationalen Herkunftsmärkte
(die Tourismusimporte Österreichs erhalten hier ein Gewicht von Null). Gemessen an dieser Basiswachstumsrate bleibt damit Österreichs internationaler Reiseverkehr hinter den in der EU-15 (+2¾%
p. a.) gegebenen Entwicklungsmöglichkeiten zurück. Im globalen Vergleich (etwa 5%-6% p. a.) fallen
die länderstrukturbedingten hypothetischen Wachstumsverluste noch stärker aus.
Die hypothetischen zukünftigen Wachstumsverluste auf Basis der zuvor angestellten Berechnungen
kommen im Wesentlichen dadurch zustande, dass Österreich vorwiegend auf langsam wachsende
Märkte wie Deutschland (trotz verbesserter Wachstumsaussichten), Niederlande, Schweiz und Italien
konzentriert ist. Die Übernachtungen der vier Märkte erreichen insgesamt rund drei Viertel der Übernachtungen ausländischer Gäste in Österreich und verzeichnen ein deutlich unterdurchschnittliches
Entwicklungspotenzial. Dennoch muss gesagt werden, dass sich gegenüber der Prognose des
Vorjahres die mittelfristige Basiswachstumsrate der realen Tourismusexporte um etwa ¼ bis
½ Prozentpunkt erhöhte (großteils wegen den günstigeren Wachstumsaussichten für Deutschland)
und diese um 1¼ Prozentpunkte über der Trendwachstumsrate 1995/2010 liegt.
Eine Analyse der Herkunftsstruktur im internationalen Reiseverkehr und der potenziellen Entwicklungsmöglichkeiten zeigt klar, dass eine stärkere Forcierung auf die neuen EU-Mitgliedsländer und
die BRIC-Länder das Wachstum der österreichischen Tourismusexporte spürbar erhöhen könnte
(Abbildung 2). In diesem Zusammenhang erscheint realisierbar, dass die realen Einnahmen
Österreichs im internationalen Tourismus um zusätzlich bis zu etwa zu ¾ Prozentpunkte pro Jahr
expandieren könnten, wenn der Nächtigungsanteil der BRIC-Länder und der 12 neuen EUMitgliedsländer auf insgesamt ein Fünftel stiege. Bei einer wachstumsorientierten Tourismuspolitik
bzw. einer zügigen Internationalisierung ist es somit möglich, die Basiswachstumsrate der realen
österreichischen Tourismusexporte von +2% p. a. um bis zu ¾ Prozentpunkte pro Jahr auf +2¾% p. a.
anzuheben. Weiters kann erwartet werden, dass zusätzlich Verbesserungen in der relativen
Angebotsqualität angestrebt werden bzw. möglich sind, so dass dadurch das Exportwachstum auf
insgesamt etwa +3% p. a. gesteigert werden könnte.
Für die Anhebung des Wachstums müsste ein tourismuspolitischer Paradigmenwechsel in Bezug auf
eine Neuorientierung der herkunftsspezifischen Schwerpunktsetzungen eingeleitet werden. In diesem Zusammenhang ist es auch offensichtlich, dass ein Fuß fassen auf neuen Märkten gleichbedeutend mit einer Neuorientierung in der Angebotspolitik ist, wovon wichtige Impulse für die Verbesserung der Angebotsqualität ausgehen könnten.
16
Abbildung 2: Entwicklung der realen Tourismusexporte Österreichs seit 1995 und mögliches
Wachstumspotenzial 2010 bis 2015
Bisherige Entwicklung (1995/2010 +0,6% p. a.)
12,5
Wachstumskorridor
Mrd. USD, zu Preisen und Wechselkusen 2000
13,0
Konstante Marktanteile des Jahres 2010
(2010/2015 +2,0% p. a.)
12,0
Erfolgreiche Internationalisierung und qualitativ bedingte
Marktanteilsgewinne
(2009/2015 +3,0% p. a.)
11,5
11,0
10,5
10,0
9,5
9,0
1995
1997
1999
2001
2003
2005
2007
2009
2011
2013
2015
Q: OECD, OeNB, Statistik Austria, UNWTO, WIFO, wiiw. 2011 bis 2015: Prognose, eigene Berechnungen.
Die reale Nachfrage der Österreicher nach Inlandsaufenthalten wird gesondert aus der mittelfristigen
Entwicklung der gesamtwirtschaftlichen Nachfrage Österreichs (reales BIP) abgeleitet, wobei eine
Elastizität von rund 0,5 angenommen wurde.
In Bezug auf die Einschätzung der zukünftigen Entwicklung des Binnenreiseverkehrs muss angesichts
des hohen Niveaus und des hohen Sättigungsgrades davon ausgegangen werden, dass für die
Periode 2010/2015 günstigstenfalls die Trendwachstumsrate der Vergangenheit erreicht werden
kann. Diese liegt für die realen Ausgaben bei etwa +1% pro Jahr. Die Nachfrageelastizität in Bezug auf
die Entwicklung des österreichischen BIP erreicht damit eine ähnliche Größenordnung (rund knapp
0,5) wie für die Periode 2000/2010 errechnet wurde.
Insgesamt betrachtet ergibt sich daraus ein Entwicklungspotenzial für den österreichischen Gesamtreiseverkehr von real rund +2½% pro Jahr; das Gelingen qualitativ bedingter Marktanteilsgewinne auf
den Auslandsmärkten und einer Internationalisierung im oben diskutierten Ausmaß wird jedoch vorausgesetzt (Übersicht 2). Werden hingegen keine Fortschritte bei der Internationalisierung und keine
qualitativ bedingten Marktanteilsgewinne erzielt, so ist im Zeitraum 2010/2015 nur ein Wachstum
der realen Umsätze von 1¾% pro Jahr im Bereich des Möglichen.
Übersicht 2: Entwicklungsmöglichkeiten des österreichischen Tourismus bis 2015
Tourismusexporte
Binnenreiseverkehr
Gesamtreiseverkehr
Ø Jährliche Veränderung 2010/2015 in %, real
Keine weitere Internationalisierung und qualitativ
bedingten Marktanteilsgewinne
+2,0
+1,0
+1,8
+3,0
+1,0
+2,5
Erfolgreiche Internationalisierung und qualitativ bedingte
Marktanteilsgewinne1 )
1
Q: Prognose, eigene Berechnungen. – ) Wie oben angenommen.
17
Für die Nächtigungsentwicklung kann davon ausgegangen werden, dass leichte mengenmäßige
Niveauanhebungen möglich sind. Anders ausgedrückt lässt sich auf Basis des oben skizzierten Wachstumskorridors eine Steigerung der Zahl der Übernachtungen von höchstens 1% bis 2% pro Jahr ableiten. D. h. die Nächtigungen könnten von gegenwärtig 124,8 Mio. (2010) auf rund 131 Mio. bzw.
höchstens 138 Mio. im Jahr 2015 ansteigen.
18
3
3.1
Zukunftsaufgaben für die Tourismuspolitik
Tourismuspolitische Herausforderungen
Die jüngste Rezession hat sich deutlich auf den österreichischen Tourismus ausgewirkt. Nach
empfindlichen Nachfragerückgängen im Jahr 2009 sind im Vorjahr die Einbußen zum Stillstand gekommen. Gegenwärtig kann der österreichische Tourismus das Wachstum seiner Tourismusmärkte
nur suboptimal nutzen.
Auf Grund der existierenden Überkapazitäten besteht ein erheblicher Druck auf die Preise. Letzteres
wird zusammen mit gestrafften Kreditvergaberichtlinien die Investitionsvolumina limitieren, so dass
die für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit notwendigen Investitionen von den Klein- und Mittelbetrieben mit beschränktem Zugang zum Kapitalmarkt nicht oder nur zum Teil durchgeführt werden
können. Verstärkt wird dieses Problem durch die Produktivitätsschwäche des Beherbergungs- und
Gaststättenwesen und der anderen personengebundenen Produktionsformen in der touristischen
Dienstleitungskette. Neben dem Preis-, Finanzierungs- und Rentabilitätsdruck hat auch die voranschreitende Globalisierung den Konkurrenzdruck erhöht. Die rasche technische Entwicklung steigert
den Innovationsdruck, der Wertewandel erhöht den Anpassungsdruck und die Klimaänderung verstärkt den Diversifikationsdruck.
Die zu erwartenden, demografisch bedingten Engpässe bei jungen Arbeitskräften, der Reformstau bei
der Ausbildung, die unumgänglichen Qualitätsverbesserungen, die relativ starke Saisonabhängigkeit
und die notwendige Koordinierung der tourismuspolitischen Aktivitäten von Bund und Ländern im
Sinne eines kooperativen Föderalismus in Verbindung mit der Abstimmung der regionalen und nationalen Marketingpläne bzw. -aktivitäten sind weitere Symptome des tourismuspolitischen Handlungsbedarfs. Ferner ist auch zu bedenken, dass der geringe Internationalisierungsgrad der österreichischen Tourismuswirtschaft und die Verlagerung der Wachstumspole der Weltwirtschaft in Richtung
Brasilien, Russland, Indien und China (BRIC-Länder) neue bedeutende touristische Wachstumspotenziale entstehen lässt, so dass Investitionen in die Entwicklung neuer Märkte und die Schaffung
entsprechender Angebotsstrukturen nicht außer Acht gelassen werden sollten.
Diese einleitende Skizzierung wichtiger Problemfelder zeigt klar die Notwendigkeit zum Setzen entsprechender tourismuspolitischer Handlungen. Hierbei gilt es, die zukünftigen Entwicklungsmöglichkeiten sorgfältig zu durchleuchten, um geeignete Maßnahmen zur Festigung bzw. Verbesserung der
touristischen Position Österreichs durchführen zu können. Mit anderen Worten sollte es ein
Hauptziel der Tourismuspolitik sein, den gegenwärtigen Marktanteil Österreichs im internationalen
europäischen Tourismus von 6,4% (gemessen an den Tourismusexporten der EU-15) nicht nur zu
halten, sondern auch weiter auszubauen sowie das Aufkommen aus dem Binnenreiseverkehr zu
optimieren.
Für die Bewältigung der Herausforderungen müsste der Tourismus maßgeblich von der Wirtschaftspolitik unterstützt werden, wobei es hier vor allem um den politischen Willen zur Betrachtung des
Tourismus als Schlüsselsektor für das Beschäftigungswachstum und die Einkommenssicherung breiter Bevölkerungskreise (vor allem im ländlichen Raum) ginge. Eine koordinierte Vorgangsweise von
Bund und Ländern bei der Ausübung ihrer tourismuspolitischen Kompetenzen auf der Basis eines
kooperativen Föderalismus würde dabei eine entscheidende Basis darstellen.
19
Des Handlungsbedarfs bewusst, wurde im Rahmen einer Tourismusenquete des Bundesministeriums
für Wirtschaft, Familie und Jugend (BMWFJ) im Februar 2010 für die Formulierung "Neuer Wege im
Tourismus" ein Startschuss gesetzt (BMWFJ, 2010). Mit der vom zuständigen Bundesminister ins
Leben gerufenen (in Zukunft alljährlich stattfindenden) "Tourismuskonferenz" (Linz, 31. März –
1. April 2011) erfolgt die Etablierung des Abstimmungsprozesses zwischen den wirtschaftspolitischen
Entscheidungsträgern in Bezug auf eine koordinierte tourismuspolitische Vorgangsweise.
3.2
Mögliche strategische Ansätze und deren Umsetzung
Im Hinblick auf die Nutzung der touristischen Entwicklungsmöglichkeiten bieten drei Segmente
Erfolgschancen:
• Der Kultur- und Städtetourismus,
• der Wintersport sowie
• erlebnisorientierte Kurzurlaube mit Wellness-Komponenten auf Basis der landschaftlichen
Ressourcen wie z. B. Alpen, Flüsse oder Seen.
Dabei sind
• ein wachstumsorientiertes Marketing,
• die Erhöhung der Wettbewerbsfähigkeit,
• die Optimierung der Auslastung und
• die Bildung von regionalen Netzwerkallianzen
wichtige Kernstrategien, die durch
• die Aufwertung des Angebots,
• die Identifikation neuer Märkte,
• die Anpassung der Markt-, Organisations- und Vertriebsstrukturen,
• die Verstärkung der Qualitätsorientierung, Differenzierung und Positionierung sowie
• eine koordinierte und fokussierte Tourismuspolitik
umgesetzt werden sollen.
Durch das Setzen effektiver Maßnahmen, welche die Hauptdeterminanten der Wettbewerbsfähigkeit
einer Tourismusdestination beeinflussen, kann es unter Verfolgung der Kernstrategien gelingen, die
österreichische Position zu verbessern.
3.2.1
Aufwertung des Angebots
Für die Durchführung von Erneuerungsinvestitionen und Innovationen, das Angebot an konkurrenzfähigen Arbeitsplätzen, die Verbesserung der Service- und Angebotsqualität sowie die Sicherung der
preislichen Wettbewerbsfähigkeit werden ausreichende Produktivitätssteigerungen benötigt. In diesem Sinne ist die Produktivität ein Schlüsselindikator für die Wettbewerbsfähigkeit eines Sektors
oder auch der gesamten Volkswirtschaft.
Ein sektoraler Vergleich der Produktivität fällt für die österreichischen Tourismusbetriebe ungünstig
aus, da die reale Wertschöpfung je Erwerbstätigem (hier als Maßzahl der Produktivität verstanden) in
der Hotellerie und Gastronomie – den Kernbereichen des Tourismus - niveau- und
20
entwicklungsmäßig deutlich unter dem Durchschnitt der Gesamtwirtschaft liegt sowie einen der
geringsten Werte im Branchenvergleich aufweist (Smeral, 2003A, 2003B, 2007 und 2010B).
Untersuchungen für Österreich ergaben, dass Investitionen in das physische Kapital (insbesondere
die Firmengröße betreffend), die Wettbewerbsintensität sowie die jeweilige Größe der Destination
den stärksten Einfluss auf das Produktivitätsniveau haben (Smeral, 2007).
Die Wettbewerbsintensität ist ein wichtiger Faktor für die Produktivitätsentwicklung. Ein intensiver
Wettbewerb führt zu mehr Innovationen, erhöht die Effizienz und senkt ferner die Kosten. Die Wettbewerbsintensität wird entscheidend durch die Marktstruktur bedingt: Ein wenig konzentrierter
Markt wird eher eine erhöhte Wettbewerbsintensität aufweisen als ein stark konzentrierter Markt
mit hohen Eingangs- und Ausgangsbeschränkungen. Ein wichtiges Ziel der Wirtschaftspolitik ist es
daher, die Eingangs- und Ausgangsbeschränkungen ("barriers to entry and to exit") möglichst niedrig
zu halten bzw. zur Gänze zu beseitigen. Erleichterungen bei der Unternehmensgründung (Minimierung der Gründungsdauer, Ausbildungsmodule "entrepreneurship" in allen Bildungsstufen, Bereitstellung von Risiko- und Venturekapital, liberale Befähigungsbestimmungen) und -veräußerung
(Gewährung von Steuererleichterungen bei der Notwendigkeit von Strukturbereinigungen) sind in
diesem Zusammenhang relevante Beispiele.
Faktoren wie Investitionen in das Humankapital und die Forcierung von Innovationen und des
Technologieeinsatzes sind "Folgemaßnahmen" und wirken zusätzlich produktivitätsstimulierend.
Anders ausgedrückt kommt es zu Aktionen in den anderen Bereichen, nachdem der physische Kapitalstock durch investive Maßnahmen erweitert und verbessert wurde (wodurch auch die Einführung
neuer Technologien sowie Innovationen und Qualitätsverbesserungen erleichtert werden) und durch
den Wettbewerbsdruck zusätzlich produktivitätssteigernde Wirkungen erzielt werden konnten.
Der Prozess der Produktivitätsverbesserung kann ferner durch die überbetriebliche Etablierung von
Innovationscoaches und -assistenten, forcierte Innovationsforschung, die Erstellung von Innovationsdatenbanken, Innovationspreise und -fonds, die mediale Aufbereitung der Ergebnisse der wissenschaftlichen touristischen Innovationsforschung, die Gründung eines Lehrstuhls für Innovationsforschung sowie die Schaffung von informativen Netzwerken "Innovation im Tourismus" maßgeblich
unterstützt werden.
Zur Optimierung der Auslastung müssten auf der Angebotsseite verstärkt Anstrengungen unternommen werden, saisonunabhängige Produkte für den Ganzjahresbetrieb zu schaffen bzw. die
touristischen Kernbereiche wie Hotellerie und Gastronomie mit entsprechenden Zusatzangeboten
anzureichern. Solche Zusatzangebote sollten überwiegend für Kurzaufenthalte auf Basis der landschaftlichen Ressourcen gebildet werden und können dem Wellness-, Kultur-, Unterhaltungs-, Event-,
Sport und Veranstaltungsbereich entstammen. Wichtige Beispiele in diesem Zusammenhang stellen
Wellnesshotels und die mittelfristigen Erfolge der neuen Thermenorte sowie die Expansion im Kulturund Städtetourismus dar. Weitere Maßnahmen sind die Errichtung von Kultur- und Freizeitparks mit
regionsspezifischen, authentischen Themen sowie die Profilierung im Bereich von Veranstaltungen
oder Events und erlebnisorientierten Kurzurlauben ("commodified experiences").
Saisonunabhängige Angebotsformen tragen nicht nur zur Steigerung der durchschnittlichen Arbeitsproduktivität und der Reduktion der touristischen Arbeitslosigkeit bei, sondern bedeuten auch eine
Verbesserung der Arbeitsbedingungen bzw. setzen insbesondere für qualifizierte inländische Arbeitskräfte durch stabilere Karrieremöglichkeiten Anreize, im Tourismussektor zu arbeiten. Weitere
21
Vorteile von Ganzjahresbetrieben ergeben sich durch eine geringere Spitzenbelastung wegen der
gleichmäßigeren Auslastungssituation sowie durch höhere Durchschnittseinkommen im Vergleich zu
Saisonbetrieben.
Das Bieten vorteilhafter Arbeitsbedingungen wird in Zukunft an Bedeutung gewinnen, da durch den
demografischen Wandel eine Knappheit bei jüngeren (insbesondere inländischen) Arbeitskräften zu
erwarten ist und sich die Beschäftigungsstruktur des Beherbergungs- und Gaststättenwesens auf
Grund häufiger, physischer Spitzenbelastungen überwiegend auf jüngere Arbeitskräfte konzentriert
(drei Viertel der im österreichischen Beherbergungs- und Gaststättenwesen unselbständig Beschäftigten waren 2009 unter 45 Jahre alt).
Österreich verfügt mit Ausnahme der gegebenen einzigartigen Landschaftskulisse (Alpen, Flüsse,
Seen), welche Möglichkeiten zur Durchführung hochwertiger erholungs-, sport- und gesundheitsorientierter Aufenthalte bietet, der traditionellen Kulturgüter und Veranstaltungen sowie einiger
innovativ inszenierter Erlebnisse (Kristallwelten, Life-Ball) noch zu wenig über moderne Angebotskomponenten und Attraktionen (Themen- und Freizeitparks, moderne Museen, virtuelle Erlebniswelten) oder internationale Markenveranstaltungen (einzigartige Sport-, Gesellschafts- und Unterhaltungsereignisse, Ausstellungen, Festivals).
Die Schaffung innovativer Angebote trägt auch dazu bei, vermehrt jüngere Gäste anzulocken, die
direkt angesprochen werden müssten (z. B. Einführung von günstigen Produkten mit relativ hohen
Qualitäts- und Erlebnisstandards). Innovative Angebote bilden auch die Voraussetzung, neue, urbane
Schichten mit hohem Einkommen und kreativen Konsum- und Freizeitgewohnheiten als Gäste zu
gewinnen (z. B. Camps für angewandte und darstellende Kunst wie Malen, instrumentale Musik,
Gesang usw.).
Im Bereich der Produktpolitik müssten weiters deutliche, spezifische Angebotsschwerpunkte für die
europäischen Fernmärkte und die Überseenationen zur Unterstützung der Internationalisierung gesetzt werden. Weiters müssten diesbezüglich auch die entsprechenden Angebotsstrukturen (Öffnungszeiten, Servicebereitschaft, Zimmerausstattung, gastronomisches Angebot, Sprachkenntnisse
bzw. geeignete Fremdenführer) geschaffen werden.
3.2.2
3.2.2.1
Identifikation neuer Märkte
Internationalisierung und Wachstumsorientierung
Zur Forcierung des touristischen Wachstums und der Nutzung der sich ergebenden Beschäftigungschancen müsste das Tourismusmarketing seine Anstrengungen in Bezug auf die Erschließung von
Fernmärkten deutlich erhöhen. Dabei sollten mit Hilfe einer überzeugenden Internationalisierungsstrategie relativ rasch wachsende Märkte mit hohen Einkommenselastizitäten erschlossen werden.
Dabei muss eine Optimierung der Gewichte unterschiedlicher Nachfragequellmärkte angestrebt
werden, bei der sowohl die Chancen der neuen (Fern-)Märkte genutzt werden, als auch die damit
verbundenen Risiken mit deutlichen Nachfrageausfällen, welche z. B. in der globalen Wirtschaftskrise
2009 deutlich wurden, nicht zu groß werden. Eine starke Präsenz auf den Nahmärkten ist wegen
ihrer stabilisierenden Funktion in Krisenzeiten und ihrer quantitativ hohen Bedeutung unverzichtbar.
Ein Großteil der Nächtigungen von ausländischen Gästen in Österreich (gut zwei Drittel) stammt von
nur drei Märkten (Deutschland, Niederlande, Italien) mit mittelfristig eher mäßigen Wachstumsaussichten. Da Österreichs Tourismuswirtschaft damit stark von diesen Quellmärkten abhängig ist, die
22
Präsenz auf Nahmärkten in Krisenzeiten "Versicherungscharakter" hat und die Konkurrenzdestinationen einen hohen Wettbewerbsdruck ausüben, dürfen diese Märkte nicht vernachlässigt werden,
so dass eine fortgesetzte Internationalisierung nur im Zuge einer Doppelstrategie möglich ist, die
zugleich Wachstumsmärkte forciert. Als österreichische Zukunfts- bzw. Wachstumsmärkte können
die BRIC-Länder und die neuen EU-Mitgliedsstaaten, aber auch der Nahe und Mittlere Osten, die USA
und Australien bezeichnet werden.
Die Realisierung relativ hoher Einnahmen- und Nächtigungszuwächse dürfte in den oben erwähnten
Zukunftsmärkten nicht allzu schwer fallen, da die betreffenden Länder mittelfristig über überdurchschnittliche Wachstumschancen verfügen und zusätzlich die Auslandsreiseintensität noch sehr
niedrig ist. Eine größere Streuung der Herkunftsmärkte würde außerdem die konjunkturellen Risiken
deutlich vermindern. Weiters erhalten die Anbieter durch die rasch steigende Zahl der Erstbesucher
wertvolle Marktinformationen, so dass deren Berücksichtigung zu einer Anreicherung des Angebotes
führt, wodurch sich die Wettbewerbsfähigkeit erhöht.
Die Forcierung der Internationalisierung – auch verstanden als die Erschließung neuer Gästeschichten
aus verschiedenen Klimazonen bzw. mit unterschiedlichen Arbeits- und Freizeitstrukturen ("cross
cultural marketing") – ist nicht nur eine spezifische Strategie des wachstumsorientierten Marketings,
sondern auch eine wichtige Maßnahme zur Verringerung der Saisonabhängigkeit und zur Verbesserung der durchschnittlichen Auslastung bzw. der Reduktion der Saisonarbeitslosigkeit.
In Bezug auf die Doppelstrategie – Forcierung der Fernmärkte bei gleichzeitiger Bearbeitung der Nahmärkte – muss jedoch bedacht werden, dass sich auch die Anzahl der Zielgruppen und die Heterogenität der Nachfrage erhöht. Obwohl eine größere Heterogenität zwar z. B. im Hinblick auf konjunkturelle Abhängigkeiten von Vorteil ist, ergeben sich jedoch Nachteile bzw. Schwierigkeiten bei der
Image- und Produktgestaltung (z. B.: ein potenzieller Städtetourist aus Indien, der Wien besucht, verbindet andere Vorstellungen mit Österreich, als eine deutsche Familie, die als Gast für einen Urlaub
am Bauernhof in Frage kommt). Um beide Zielgruppen anzulocken, müsste man in der Kommunikation über Österreich in Abhängigkeit vom Quellmarkt unterschiedliche Imageaspekte nutzen. Dabei
entsteht das Risiko, dass die Kommunikation über Österreich insgesamt an Prägnanz verliert.
3.2.2.2
Zukunftsmarkt Kurzreisen
Es hat sich bewährt, bei den (privaten) Reisen grundsätzlich verschiedene Segmente zu unterscheiden, nämlich solche mit Übernachtung (Tourismus i. S. der UNWTO-Definition) und solche ohne
Übernachtung (Tagesreisen bzw. Tagesbesucher). Im Urlaubstourismus trennt man außerdem zwischen Urlaubsreisen (ab vier Übernachtungen) und Kurzurlaubsreisen (max. drei Übernachtungen).
Die Bestimmung erfolgt hier nachfrageseitig. Auf der Angebotsseite kann auch ein Urlaubsreisender,
der z. B. drei Wochen in Österreich verbringt, in einer Stadt als Tagesbesucher auftreten – oder ein
Tourist macht eine Rundreise durch verschiedene Regionen, wobei er eine lange Reise macht, an
einzelnen Orten aber nur jeweils einen kurzen Aufenthalte verbringt.
Die drei nachfrageseitig definierten Segmente (Urlaubs-, Kurzurlaubs- und Tagesreisen) verlangen im
Marketing völlig unterschiedliche Behandlung. Sie differieren i. d. R. schon in ihrer Herkunft (je kürzer
die Reisedauer, umso näher der Herkunftsmarkt), aber auch in Motiven und Aktivitäten (z. B.
Shopping beim Tagestrip, Tapetenwechsel bei der Kurzreise und entspannte Erholung beim längeren
Urlaub).
23
Insbesondere Kurzreisen sind für Österreich wichtig geworden, sowohl aus dem Inland als auch aus
den nahegelegenen Quellmärkten wie Deutschland. Der Kurzurlaub eröffnet nicht nur die Möglichkeit, in den Hauptsaisonen noch offene Bettenkapazitäten zu belegen und einen höheren Aufwand je
Nacht zu realisieren, sondern auch in den Nebensaisonen eine Erhöhung des Cashflows zu verzeichnen. Für Deutschland zeigt sich beispielhaft (FUR, 2001, 2010 und 2011), dass
•
das Gesamtvolumen der Kurzurlaubsreisen stark gestiegen ist;
•
der auf sie zurückzuführende Anteil an den Gesamtnächtigungen der deutschen Urlauber gegenwärtig etwa 20% beträgt;
•
im vergangenen Jahrzehnt bei einem Wachstum der Zahl der Urlaubsreisen insgesamt um 4%
die Zahl der Nächtigungen um knapp 10% gesunken ist (Grund: kürzere Reisedauer bei Urlaubsreisen);
•
in Österreich die steigende Zahl von durch Kurzurlaubsreisen generierten Nächtigungen
(+1,4 Mio. von 2000 bis 2010) die rückläufige Zahl von durch Urlaubsreisen generierten Nächtigungen (–9 Mio. von 2000 bis 2009) nicht aufwiegen konnte.
Kurzreisen bieten zwar in der Zukunft Wachstumspotenziale, andererseits sind sie ein "unzuverlässiges" Segment mit von Jahr zu Jahr großen Schwankungen. Die Gründe für die Schwankungen stammen einerseits aus der jährlich unterschiedlichen Lage von Feiertagen, andererseits aus der wahrgenommenen persönlichen wirtschaftlichen Lage. Da Kurzreisen in den Konsumprioritäten eine viel
niedrigere Bedeutung haben als längere Urlaubsreisen, ist man recht leicht bereit z. B. in Rezessionen, auf einen Kurzurlaub zu verzichten.
Destinationsseitig ist aus beiden Entwicklungen (stagnierendes Volumen von Urlaubsreisen, steigendes Volumen von Kurzreisen) mit einer weiter sinkenden durchschnittlichen Aufenthaltsdauer pro
Gast am Ort zu rechnen. Maßnahmen zur Verlängerung der Aufenthaltsdauer können dieser Tendenz
zwar entgegenwirken, diese jedoch kaum umkehren.
3.2.2.3
Sozio-demografische Entwicklungstendenzen
Die Gesellschaften in den für Österreich wichtigen Quellmärkten zeigen einen kontinuierlichen demografischen Wandel. Er umfasst:
•
•
•
•
Verschiebungen im Altersaufbau der Gesellschaft (mehr Alte, weniger Kinder)
"buntere" Gesellschaft (mehr Mitbürger mit Migrationshintergrund durch internationale
Wanderungsbewegungen)
geänderte Lebenssituationen und Haushaltsstrukturen (z. B. mehr Kleinhaushalte, dynamische Lebensformen im individuellen Lebensverlauf)
steigendes Bildungsniveau
Diese Prozesse führen auch zu einem Strukturwandel der Touristen insgesamt bzw. der Nutzer des
touristischen Angebotes. Dies bewirkt, dass neue Zielgruppen und deren Ansprüche und Erwartungen identifiziert und diese Entwicklungen in ihren Auswirkungen jeweils im Einzelfall geprüft werden
müssen. In keinem Fall wirkt ein Faktor des sozio-demografischen Wandels isoliert auf den Reisemarkt, sondern immer zusammen mit anderen Einflussgrößen.
Senioren zeigen ein deutlich anderes Urlaubsreiseverhalten als jüngere Menschen: Gegenüber
früheren Seniorenkohorten bevorzugen die gegenwärtigen Senioren nun verstärkt Auslandsziele,
Flugreisen, Hotelübernachtungen und Kreuzfahrten. Die Senioren werden auch in der Zukunft die
24
Rolle eines Wachstumsmotors im Tourismus haben. Das liegt nicht allein in ihrer steigenden Bedeutung in der Bevölkerung (relativ und absolut), sondern ist auch die Folge des Festhaltens an im
Lebensverlauf erworbenen Reisegewohnheiten (einschließlich der Beibehaltung der hohen Urlaubsreiseintensität). Dadurch ergibt sich auch ein gegenüber früheren Seniorengenerationen geändertes
Reiseverhalten mit anderen Zielpräferenzen, Urlaubsformen etc. Das Schlagwort von den "jungen
Alten" wird aber der Entwicklung alleine nicht gerecht: Es geht nicht nur um den vorzeitig in den
Ruhestand getretenen Endfünfziger, sondern auch um die Dynamik im Segment der über 70-Jährigen
oder der Hochbetagten. Innerhalb der breiten Gruppe der Senioren ist also eine weitere Segmentierung unabdingbar.
Hinsichtlich der Entwicklung des Anteils der älteren Menschen in der Gesellschaft gibt es ähnliche
Entwicklungstendenzen nicht nur in Österreich und Deutschland sondern in vielen Quellmärkten.
Folgt man einer Studie aus Deutschland (Grimm et al., 2009), so ist der Effekt der veränderten
Altersstruktur aus anderen ausländischen Quellmärkten nicht automatisch positiv für den ÖsterreichTourismus. Chancen zeigen sich bei Kultur- und Städtereisen, wobei hier die immer stärker werdende
Konkurrenz durch Destinationen in Ostmittel- und Südosteuropa großen Zuwächsen entgegenwirken
könnte.
Das durchschnittliche Bildungsniveau ist in der jüngeren Vergangenheit deutlich angestiegen. Auch
in Zukunft ist mit einem Anhalten dieser Tendenz zu rechnen. Die rasante Entwicklung neuer Technologien sowie von Informations- und Kommunikationssystemen setzt einen Prozess des lebenslangen
Lernens in Gang, um auf dem Arbeitsmarkt mithalten zu können. Der Anstieg des allgemeinen
Bildungsniveaus (auch Fremdsprachenkenntnisse) – und der damit verbundene höhere kulturelle Anspruch an die Reise (letzteres gilt insbesondere für Frauen, deren Erwerbsbeteiligung und Kaufkraft
zunimmt) – ist für die touristische Entwicklung ein bedeutender Einflussfaktor. Es ist daher damit zu
rechnen, dass in Zukunft nicht nur die Reisetätigkeit wegen des höheren Bildungsniveaus im Allgemeinen, sondern auch spezifischeres Reisen mit kulturellen Schwerpunkten bzw. Hintergründen
sowie Bildungsinhalten überproportional zunehmen wird.
Die zunehmende Migration führt in der westlichen Welt zu einer "bunteren" Gesellschaft, deren Mitglieder sich auch im Reiseverhalten unterscheiden werden (Lohmann – Aderhold, 2009). In Zukunft
ergeben sich dadurch vor allem Zielgebietsverschiebungen zugunsten der Heimatländer der Migranten (Verwandtenbesuche – "roots travel"). Grundsätzlich wirkt diese Entwicklung stimulierend auf
den Tourismus, dürfte jedoch die "alten" europäischen Tourismusdestinationen benachteiligen.
Trotz der absehbaren Änderungen in der Alters- und Haushaltsstruktur wird sich am Anteil der alleinreisenden Urlaubssingles in den nächsten Jahren nicht viel ändern. Leicht wachsende Bedeutung hat
das Segment der nicht allein und ohne Kinder reisenden Erwachsenen. Dabei wird die Gruppe von
Personen bedeutender, die zwar zusammen reisen, aber nicht unbedingt ein Paar sind. Hier besteht
Anpassungsbedarf beim Angebot, z. B. in den Unterkünften. Weiters an Bedeutung gewinnt die Zielgruppe der Patchwork-Familien sowie die 3-Generationen Urlauber.
3.2.2.4
Anpassung an neue Lebensstile in Arbeit und Freizeit
Für die strategische Ausrichtung der Tourismuspolitik ist von Bedeutung, wie sich die Alltagssituation
(Gesellschaft, Arbeit, Familie) auf das touristische Verhalten potenzieller Kunden auswirkt. Die Veränderung der Produktionsstrukturen durch Globalisierung, Outsourcing und das zunehmende Gewicht der Dienstleistungsproduktion wird sich deutlich auf die Arbeitsmärkte, die Beschäftigungs25
verhältnisse, die Lebensstile und auf die Freizeitmärkte auswirken. Durch die touristische Nutzung
der daraus resultierenden neuen Nachfragestrukturen können erhebliche Wachstumschancen entstehen. Allerdings werden diese neuen Strukturen nicht durch eine klare Richtung gekennzeichnet
sein, an der man sich leicht orientieren kann, sondern eher durch eine verwirrende Vielfalt.
Flexiblere Arbeitszeitstrukturen lösen die bisherigen Standards bezüglich der Tages-, Wochen-,
Jahres- und Lebensarbeitszeit auf. Hinzu kommt, dass sich der Arbeitsmarkt zu Gunsten von Dienstleistungen de-industrialisiert. Ein Teil der Bevölkerung wird z. B. ein Erwerbsleben führen, das sich
aus Projekten zusammensetzt oder durch eher kurzfristige, abhängige Beschäftigungsverhältnisse
charakterisiert ist. Eine klare Trennung von Freizeit und Arbeitszeit wird für manche Berufstätige
kaum mehr möglich sein. Solche Strukturen beeinflussen auch das Reiseverhalten. Das wird sich nicht
unbedingt auf die Menge der Reisen auswirken, wohl aber auf ihre Gestaltung (Reiserhythmus,
Reisezeitpunkt, Zielwahl, kombinierte Geschäfts- und Privatreisen etc.). Weiter werden sich Wirkungen vor allem im Bereich der Differenzierung (mehr unterschiedliche Nachfragegruppen) ergeben.
Hierbei spielen die geänderten Arbeitszeitstrukturen und die stärkere Teilung der Gesellschaft in
Personen mit viel Zeit und wenig Geld und solche mit wenig Zeit und viel Geld, in Gelangweilte und
Gehetzte, eine wichtige Rolle. Schließlich können sich die stetig wachsenden Anforderungen des
Arbeitslebens auch in den Urlaubsmotiven niederschlagen: Eine Gesellschaft unter (Zeit-)Druck
erwartet auch im Urlaub hohe Effektivität bzw. führt tendenziell zu einem noch größeren Bedürfnis
nach Erholung im psychischen Sinne.
Der "Kunde der Zukunft" ergibt sich durch gesellschaftliche Entwicklungen und Marktprozesse einerseits (Strukturwandel, Differenzierung, gelegentlich auch Polarisierung), andererseits durch den
jeweils individuellen Zuwachs an Kompetenz und als befriedigend wahrgenommenen Wahlmöglichkeiten (Multi-Optionalität). Es kann davon ausgegangen werden, dass der potenzielle Reisende ein
erfahrener und sehr bewusster Kunde sein wird, dem auf Grund seiner persönlichen Erfahrungen
sehr viele Möglichkeiten offen stehen (multioptionaler Verbraucher), von denen er kenntnisreich Gebrauch macht ("smart shopper").
Für das zukünftige Freizeit- und Reiseverhalten sind persönlichkeitsbezogene Selbstentfaltungswerte
hedonistischer und individualistischer Prägung von besonderer Bedeutung, also z. B. Genuss, Abenteuer, Spannung, Abwechslung, Kreativität, Spontaneität und Ungebundenheit.
Die Ausprägungen der modernen Gesellschaft – Stress, Hektik, Sorge um den Arbeitsplatz – lassen
den alltäglichen Druck auf die Individuen anwachsen. Im Reiseverhalten kann es dazu sowohl eine
Entsprechung (Beschleunigung des Reisens; schneller, weiter, mehr) wie auch einen Gegenpol (Ruhe,
Besinnung) geben, wie er z. B. im Ansteigen der Bedeutungswerte für die psychische Erholung im
Urlaub zum Ausdruck kommt. Auffällig ist, dass der Wunsch nach selbstbestimmten Freizeit- und Erholungsmöglichkeiten in vielen gesellschaftlichen Gruppen größer wird. Dies gilt nicht nur für
Berufstätige, sondern insbesondere für diejenigen, denen durch die Doppelbelastung "Beruf und
Familie" (also meistens den Frauen) zu wenig Eigenzeit bleibt. Denkbar ist sowohl, dass die Sehnsucht
nach freier Zeit zu einer bewussten Entschleunigung führt, als auch, dass die reine Freizeit nach und
nach verdrängt wird von der Zeit, die für Ausbildung, Arbeit und Regeneration benötigt wird.
Auch das allgemeine Interesse am Thema Gesundheit wächst. Diese Veränderung lässt sich sowohl
aus einer Umorientierung in der Medizin, als auch aus der chronischen Misere des Krankenversicherungswesens ableiten, für deren Lösung regelmäßig auf eine wachsende Eigenverantwortung der
26
Patienten hingewiesen wird. Für den Tourismus stellt das steigende Gesundheitsbewusstsein ein
großes Potenzial dar.
Die Verbraucher werden konsumerfahrener und -bewusster. Der alltägliche Umgang mit unterschiedlichen Dienstleistungen und Produkten, verbunden mit breit gestreuten und durch das Internet
(zumindest potenziell) jedermann zugänglichen Informationen, führt zu einer höheren Kompetenz
der Konsumenten. Diese wiederum schlägt sich in einer ausgeprägten Anspruchshaltung nieder, die
immer mehr Konsumenten an den Tag legen. Interessant ist dabei, dass zunehmend nicht nur hochwertige Ware und/oder niedrige Preise, sondern Markenartikel zu günstigen Preisen erwartet
werden. Dies gilt nicht zuletzt für das Konsumgut Urlaubsreise: Die Touristen sind in den letzten 30
Jahren auf Grund ihrer individuell umfangreichen Reiseerfahrung zu sehr bewussten Urlaubskonsumenten geworden, die wissen, was sie wollen (und wie viel sie dafür bezahlen wollen).
Viele Studien zur Entwicklung der Urlaubsmotive und -erwartungen zeigen einen anspruchsvoller
gewordenen Kunden. Die grundsätzlichen Motive für Urlaubsreisen werden sich auch in den kommenden zehn Jahren nicht ändern: Entspannung, kein Stress, über sich selbst frei verfügen, Abstand
zum Alltag finden und gleichzeitig frische Kraft zu dessen Bewältigung tanken. Zu erwarten ist aber
eine weitere Differenzierung in den Erwartungen, wie diese grundlegenden Motive in der konkreten
Reise realisiert werden sollen.
Hinter den Grundmotiven gibt es beachtenswerte Entwicklungen, die sich eher auf das "Wie?" der
Urlaubsreise als auf das "Warum?" beziehen. Mehr Erlebnis, mehr Genuss – das kennzeichnet den
Wandel der Urlaubswünsche, der Urlaub ist der "Eindrucks-Lieferant". Reine Dienstleistung reicht
nicht aus, "einzigartige" Erlebnisse mit persönlicher Beteiligung sind gefragt.
Das Urlaubsleben der Zukunft wird geprägt durch mehr Intensität und Geschwindigkeit (mehr Urlaubsinhalt pro Zeiteinheit) und die Suche sowohl nach "Authentischem" wie nach "neuem Erleben".
In den Daten zeigt sich eine Tendenz, "mehr in einen Urlaub zu packen", d. h. eine Reise soll mehrere
Funktionen erfüllen.
3.2.2.5
Trends im touristischen Nachfrageverhalten
Im Tourismus gibt es eine Reihe von länderübergreifenden Entwicklungen, die das Zusammenspiel
von Angebot und Nachfrage charakterisieren:
Die Differenzierung kann als aktueller Megatrend im Tourismus aufgefasst werden. Alles wird
differenzierter, fragmentierter: Zielgruppen, Motive, Reiseverhaltensmuster etc., aber auch die Angebote. Wenn im Tourismus etwas Neues hinzukommt, dann löst es in der Regel das Alte nicht völlig
ab, sondern ergänzt die Palette der Möglichkeiten. Das gilt z. B. für Informations- und Buchungswege
(+ Internet), Reiseziele (Karibik kommt dazu, Tirol bleibt), Urlaubsformen (Wellness kommt dazu, Kur
bleibt) und Sportaktivitäten (Mountainbiken kommt dazu, Wandern bleibt). Natürlich verschieben
sich die Marktanteile durch diese Entwicklung: Die herkömmlichen Produkte ziehen relativ weniger
Nachfrage auf sich. Aber sie verschwinden deswegen nicht vollständig vom Markt, meistens bleiben
sie bedeutend. Analog finden wir Differenzierungsprozesse auch auf der Nachfrageseite, eine Entwicklung in immer mehr und immer kleinere Segmente mit immer höheren Anforderungen. Ein
Beispiel dafür sind Winterferien im Schnee, für die immer mehr Möglichkeiten angeboten werden,
wie man einen verschneiten Hang hinunter kommen kann. Ähnliche Wandlungsprozesse gibt es in
anderen touristischen Segmenten, z. B. beim Gesundheitsurlaub.
27
Die Preise werden im Tourismus auch in den nächsten Jahren eine die Entwicklung bestimmende
Rolle spielen. Der schärfere Wettbewerb und unausgelastete Kapazitäten lassen viele Anbieter im
Marketing zum Mittel der Preisreduktion greifen (man denke z. B. an das Verschleudern von Restplätzen). Wer als Anbieter ganz knapp am Limit kalkuliert, hat kaum Spielraum, unerwartete Kostensteigerungen aufzufangen, und in der Regel nicht die Möglichkeit, Rücklagen für schlechte Zeiten
oder Investitionen zu bilden. Die Kunden werden währenddessen preisbewusster und haben wenig
Neigung, mehr zu bezahlen als offensichtlich nötig.
Die wachsende Kompetenz der erfahrenen Kunden ist eine Voraussetzung, der die Tourismusanbieter im Marketing gerecht werden müssen. Einfach gesagt: Diesen Kunden kann man nichts vormachen, sie kennen sich aus. Die Kompetenz äußert sich in einer kritischen Preis-Leistungs-Orientierung
ebenso wie in langfristig wachsenden Ansprüchen. In diesem Zusammenhang muss sorgfältig auf die
Qualität der angebotenen Serviceleistungen geachtet werden. Eine ausgezeichnete Leistung wird
aber andererseits von den Gästen hoch geschätzt und ist im Nachhinein der beste Werbeträger.
Multi-Optionalität reflektiert den Trend, dass der Kunde selbst zunehmend Wahlmöglichkeiten sieht,
mit denen er einen für ihn positiven Urlaub gestalten kann. Natürlich ist dafür eine wichtige Voraussetzung, dass es ein entsprechend breites Angebot gibt. Das spannende auf der Kundenseite ist, dass
die potenziellen Urlauber so breit gestreute Interessen und Motive haben, dass sie mit ganz verschiedenen Angeboten glücklich werden können. Konkret bedeutet dies, dass für einen einzelnen
Urlauber die Palette der von ihm als interessant eingestuften Urlaubsziele und Urlaubsformen immer
breiter wird. Diese Breite erlaubt ihm eine Flexibilität in seinen Entscheidungen. Der wandelbare
Konsument tritt auf dem Tourismusmarkt einmal in der einen, einmal in der anderen Rolle auf.
Die Urlaubsentscheidungen werden auch durch die neuen Marktbedingungen im Tourismus beeinflusst. Das Verhalten der Konsumenten in westlichen Industriegesellschaften ("Überflussgesellschaft") wird hauptsächlich beeinflusst durch:
•
Informationsüberflutung mit dem Risiko von Informationsüberlastung und Konsumentenverwirrtheit als deren Folge,
•
einen hohen Sättigungsgrad und
•
austauschbare Produkte.
Diese Aspekte gelten auch für die Verhältnisse auf dem Tourismusmarkt, unter marktpsychologischer
Perspektive führen sie zu einem geringen "Involvement" der Kunden bei ihren Konsumentscheidungen. Das bedeutet, dass sie für rationale Argumente bei der Produktauswahl nur begrenzt zugänglich
sind und viele Entscheidungen mehr aus dem Bauch heraus treffen. Es handelt sich im strengen Sinn
nicht um Entscheidungen, sondern um Entschlüsse. Hierzu gehören auch die so genannten hybriden
Kaufentscheidungen, die u. a. auf dem Wunsch nach Abwechslung ("variety seeking") basieren. Um
Wünsche zu wecken, die zu neuem Konsum führen, werden Aspekte thematisiert, die über den
Hauptnutzen der Produkte und Dienstleistungen hinausgehen.
Im Konsumverhalten werden deshalb u. a. zwei Entwicklungen relevant, nämlich Erlebnisorientierung und Convenience-Orientierung. Natürlich sind "Erlebnisse" nichts Neues. Entscheidend ist, dass
Erlebnisse und die zugehörigen Emotionen käuflich sind ("commodified experiences and emotions").
Das bezieht sich aber nicht nur auf die Produkte und Dienstleistungen, sondern auch auf den Einkauf
selbst (Erlebniseinkauf).
28
In dieser Situation gewinnen die Informationen vor der Urlaubsreise angesichts der zunehmenden
Zahl von Reiseangeboten eine immer größere Bedeutung. Besonders schnell wächst die Nutzung
elektronischer Medien, vor allem die des Internets. Die neuen Medien ersetzen aber nicht die alten
Informationswege, sie ergänzen sie. Die immer zahlreicher zur Verfügung stehenden Informationen
führen zu einer potenziellen Überlastung der Kunden. Dem Informationsverhalten der Verbraucher
kommt im zukünftigen touristischen Wettbewerb eine Schlüsselrolle zu. Nur Produkte, denen es
gelingt, im Laufe des Entscheidungsprozesses überhaupt bedacht zu werden (die im "relevant set"
des Konsumenten sind), haben eine Chance, in die nähere Auswahl zu kommen.
3.2.3
3.2.3.1
Anpassung der Markt-, Organisations- und Vertriebsstrukturen
Bildung von Destinationen und Netzwerkallianzen
Der Wettbewerb von Regionen, Standorten und touristischen Destinationen gewinnt durch die
Globalisierung von Wertschöpfungsketten sowie die sich entsprechend verändernden Kundenbedürfnisse an Intensität. Destinationen buhlen um Gäste und Besucher mittels spezieller Attraktionspunkte, professionellen Dienstleistungen sowie nachhaltigen Strategien. Für die Destinationsentwicklung stellen standortspezifische Aspekte wie beispielsweise die geografische Lage, die naturräumlichen Ressourcen oder die Infrastruktur relevante Rahmenbedingungen dar. Um der Globalisierung entgegenzuwirken, geht es in der Diskussion vor allem darum, die Wettbewerbsfähigkeit von
Destinationen über die betriebliche und netzwerkspezifische Ebene zu sichern. Die Globalisierung
benachteiligt gewissermaßen kleine und mittlere Betriebe, weil – bedingt durch die Größennachteile
und die entsprechenden Anpassungsschwierigkeiten bei Management und Unternehmertum –
Kooperations- und Koordinationsmaßnahmen zu wenig schnell und flexibel angewandt werden.
Unternehmen werden von Menschen geführt, welche die zentralen Ressourcen des Tourismus zur
Verfügung stellen – Gastlichkeit und Gastfreundschaft. Hier geht es um verschiedene Aspekte:
•
Es geht um Dienstleistungen auf betrieblicher Ebene, welche jedoch – und das ist ein zentraler Aspekt – nur unter entsprechendem Marktdruck mit Dienstleistungen anderer touristischer und nicht-touristischer Unternehmen integriert werden, um den potenziellen Gästen
eine entsprechende Auswahl bei den Dienstleistungsketten zu ermöglichen. Diese Integrationsleistungen haben ihre Grundlage in spezifischen interorganisationalen Beziehungen
zwischen den Akteuren einer Destination. Diese sind regionale Wertschöpfungsnetzwerke, zu
welchen die Betriebe bzw. Unternehmer am Standort mit ihren Kompetenzen, Fähigkeiten
und ihrem Wissen beitragen.
•
Es geht um kooperative Spezialisierung der einzelnen Akteure, welche sich beispielsweise in
sogenannten Angebotsgruppen zusammenschließen, um besondere Kundenbedürfnisse
eben durch Spezialisierung besser zu lösen. Diesbezüglich hat Österreich auf Grund einer
frühzeitig begonnenen Initiative durchaus Erfolge aufzuweisen. Auf diesem Wege entsteht
durch die Kombination und Organisation der vielfach komplementären Leistungen der
Anbieter ein schwer imitierbares Produkt.
•
Es geht auch darum, dass zukünftig Wettbewerbsvorteile zusätzlich über die Entwicklung
sogenannter kooperativer Kompetenzen ermöglicht werden können. Dies bedeutet, dass die
Akteure einer Destination auf der Netzwerkebene kollektive Kompetenzen schaffen, und die
Destination somit zu einem im Wettbewerb schwer imitierbaren Kompetenzbündel machen.
Entscheidend ist die Beteiligung am Netzwerk, um einen gemeinsamen Ressourcenpool
29
entstehen zu lassen, auf dessen Basis sich kooperative Kernkompetenzen entwickeln. Entsprechende Anreizsysteme sind von staatlicher Seite zu ermöglichen. Eine spezifische Ausund Weiterbildung für die Akteure ermöglicht die spezielle Fähigkeit bei Unternehmern und
Vertretern von tourismusrelevanten Institutionen, die Bildung von Netzwerken als Strategie
zur Stärkung der betrieblichen und destinationsspezifischen Wettbewerbsfähigkeit zu verstehen.
In Bezug auf die Destinationsbildung ergeben sich zwei zentrale Fragestellungen:
•
Welchen Beitrag können die Unternehmer leisten, damit neben dem Unternehmen vor allem
das Destinationsnetzwerk profitiert und damit die Produktivität aller Netzwerkteilnehmer
gesteigert wird?
•
Was kann das Destinationsnetzwerk leisten, damit die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen gesteigert werden kann?
Eine Aufgabe des Destinationsmanagements ist die Prüfung der Kompatibilität der strategischen
Interessen der Akteure mit dem Ziel der Schaffung einer geeigneten Plattform im Wertschöpfungsnetzwerk. Dabei sind diese nicht von administrativ-politischen Grenzen abhängig, sondern vielmehr
von kundenspezifischen Anforderungen und Bedürfnissen. Mehr als bisher geht es darum, zukünftig
jene Rahmenbedingungen zu schaffen, welche dem Destinationsmanagement noch mehr als bisher
die Möglichkeit eröffnen, Wertschöpfungsnetzwerke jenseits der politisch-administrativen Grenzen
zu entwickeln.
Kooperative Kernkompetenzen von unternehmerisch geprägten Netzwerken stellen eine Grundlage
dar, um die Mitglieder zu befähigen, sich einerseits auf Kundenbedürfnisse einzustellen, aber andererseits auch mit jenen Ressourcen zu arbeiten, welche die Grundlage für die Produkte und Angebote
darstellen. Dies bedeutet, dass als ein weiterer zentraler Aspekt von staatlicher Seite zukünftig ein
besonderer Schwerpunkt auf die Produktentwicklung und weniger auf das Marketing zu legen ist,
zumal die Schaffung – auf der Grundlage von (kooperativen) Kernkompetenzen – eines schwer
imitierbaren Produkts erst die Basis für seine erfolgreiche Vermarktung darstellt (Pechlaner et al.,
2011).
Eine umfangreiche Konzeption und Definition von Kernkompetenzen hat obendrein den Vorteil, dass
diese sowohl als Grundlage für die Entwicklung von tourismus- als auch standortspezifischen Kernprodukten dienen kann. Innovation (z. B. durch Clusterbildung und Innovationsförderung auf betrieblicher Ebene), Internationalisierung (z. B. durch Exportförderung, aber auch durch die Ansprache
neuer touristischer Märkte), Positionierung (durch Alleinstellungsmerkmale), Aufbau eines Destinationsimages, Branding und standortspezifische Fragen der Lebensqualität (z. B. Kultur oder kreative
Bereiche) sind die Grundlage für eine erfolgversprechende Produktentwicklung im Tourismus.
Anstelle von branchen- und sektorenspezifischen Sichtweisen müssen zur Sicherstellung der Voraussetzungen für die Wettbewerbsfähigkeit verstärkt prozess- und kundenorientierte Sichtweisen in die
tourismuspolitische Diskussion Einzug halten. Dies erfordert vor allem eine Reduktion geografischer
und politisch-administrativer Abgrenzungen in Tourismuspolitik und -management und eine entsprechende Förderung horizontaler, vertikaler und diagonaler Vernetzungen von Produkten, Dienstleistungen und Angeboten. Mit anderen Worten: Kompetenz-, Erfahrungs- und Wissens-Systeme
machen selten an politisch-administrativen Grenzen Halt. Eine konsequente Prüfung und entsprechende Umsetzung "grenzüberschreitender" Potenziale der Vernetzung auf Produkt- und Markenebene
30
von Orten, Regionen und Ländern sollten mittelfristig Standards bilden, und zwar nicht nur, um neue
Bewegungsräume für spezifische Gästesegmente zu schaffen, sondern vor allem auch, um der
Erlebnisorientierung auf der Grundlage neuer Produkte und Angebote verstärkt Rechnung zu tragen.
Vom räumlichen Gesichtspunkt aus betrachtet stellen Destinationen Mobilitäts-, Attraktions- und Erlebnisräume dar:
•
Destinationen sind Mobilitätsräume, um auf Basis von modernen Verkehrs- und Transportsystemen den Zugang und die notwendige Erreichbarkeit mit dem Ziel einer hohen Bewegungsqualität zu regeln.
•
Destinationen sind natürlich auch auf der Grundlage von Dienstleistungsketten und den entsprechenden Attraktionspunkten als Attraktionsräume aufzufassen.
•
Destinationen sind Erlebnisräume, wobei Erfahrungen, Stimmungen und Atmosphäre den
Aufenthalt für die Gäste und Besucher zu einem unverwechselbaren Ereignis werden lassen.
In der vernetzten Entwicklung wettbewerbsfähiger Erlebnisse auf Basis von für Zielgruppen verständlichen Prozessen geht es eigentlich zuerst darum, die Erlebnisse gemäß den Marktbedingungen zu
definieren, um in einem weiteren Schritt darauf aufbauend die Dienstleistungsketten zu bündeln und
dann die entsprechenden Zugänge und Erreichbarkeiten zu planen. Zumindest in übergreifenden
Planungsprozessen kann diese Vorgehensweise dazu führen, dass zukünftig bei der touristischen
Produkt- und Angebotsentwicklung stärker die Erlebnisorientierung im Vordergrund steht und
weniger die politisch-administrative Infrastrukturpolitik als Ausgangspunkt für die Destinationsbildung gilt. Orte und Regionen sind häufig Kristallisationsebenen von Identität und gesellschaftlicher
Verbundenheit. Diese gilt es auch in größere Räume einzubetten, und zwar im Sinne von potenziellen
Produkten, welche sowohl für die Gäste als auch für die Einwohner eine zukunftsorientierte Perspektive beinhalten, zumal sie beispielsweise auf Innovation oder Qualität ausgerichtet sind. Diese sind
dann auch die Grundlagen für die Markensysteme, welche dann eine Chance haben, von Zielgruppen
auch erkannt zu werden. Die Identifikation jener Werte, welche die regionalen Stärken widerspiegeln, sind dann auch das stabile Fundament für innovative Produkte und eine nachhaltige
Wertsteigerung. Dabei gilt es zu kommunizieren, wofür eine Region steht, welche zentralen Werte
verfolgt werden, worin die Einzigartigkeit besteht und ob eine gemeinsame Überzeugung bezüglich
der gesellschaftlichen und regionalen Verantwortung besteht.
Im Zusammenhang mit den Markenbildungsprozessen muss bedacht werden, dass sich erfolgreiche
Marken weniger über die dafür zur Verfügung stehenden Budgets, sondern über die Glaubwürdigkeit
der Aussagen und entsprechende Botschaften zur Nachhaltigkeit im Sinne eines Beitrages zur Lösung
regionaler und globaler Herausforderungen definieren. Erfolgreiche Destinationen sind zukünftig als
"Sinn-Räume" zu konzipieren, in denen der Gast eine Stimmigkeit von Kernkompetenzen und Markenbotschaften vorfindet.
Gäste interessieren sich für Kommunal- und Bundesländergrenzen nur eingeschränkt. Kernthemen
wie Gesundheit/Wellness oder Natur können dabei eine Brückenfunktion für das Erleben von Sinnräumen erfüllen.
Ein Beispiel für eine als "Sinnraum" integrierte Tourismusdestination ist die Durchdringung der Wertschöpfungsketten mit den Leistungen der "creative industries" (CIs; siehe auch Ratzenböck et al.,
2006; Pechlaner et al., 2009). Die CIs erzeugen nicht nur gesellschaftliche und kulturelle Werte,
sondern steigern durch ihre Anreicherung des Angebotes insbesondere die Attraktivität von Städten,
31
erhöhen den Freizeitwert der Einwohner und produzieren Attraktionspotenziale für auswärtige
Besucher, Betriebsansiedlungen und deren Beschäftigte. Hauptsächlicher Produktionsfaktor der
"creative industries" ist Kreativität, welche die Schaffung von Angeboten in den Bereichen bildende
und darstellende Kunst, Musik, Museen, Mode, Design, Unterhaltung, Architektur usw. ermöglicht.
Auch eine stärkere Vernetzung der touristischen Angebote mit dem ländlichen Raum im Hinblick auf
eine Synergieoptimierung zwischen Tourismus und Landwirtschaft wäre denkbar ("Leben, arbeiten
und genießen im ländlichen Raum"). Dabei würden z. B. der Wein- und Radtourismus, aber auch die
Kulinarik mögliche Angelpunkte darstellen. Weiters könnten bäuerliche Leistungsringe dazu beitragen, ein regionales Image aufzubauen, das z. B. Wellnesskompetenzen mit einem informationsangereicherten Angebot von Bio- und Naturprodukten verbindet.
Für die Schaffung von Alleinstellungsmerkmalen, die über Marken-Systeme transportiert werden
können, ist die Herausbildung von kooperativen Kernkompetenzen eine wichtige Grundvoraussetzung. Bundesländerübergreifende sowie tourismusübergreifende Kompetenznetzwerke können
die Grundlage für die produktspezifische Weiterentwicklung der Österreich-Botschaften sein. Insofern sind die Bundesländer selbst zunehmend aufgefordert, einerseits in Kooperation mit anderen
Bundesländern Kernthemen zu etablieren, welche zum Teil über die Vertriebsschiene der Österreich
Werbung die Erschließung neuer Märkte ermöglichen, andererseits sollen sie innerhalb der Länder zu
stark orts- und regionsspezifische Abgrenzungen durch die Bildung von Destinations- bzw. Erlebnisnetzwerken auflösen und weiters diese Netzwerke auch jenseits der Bundesländergrenzen sowie
gegebenenfalls jenseits nationaler Grenzen stärker verankern. In einer produkt- und marktspezifischen Abgrenzung käme den Bundesländern dabei noch stärker die Aufgabe zu, die Inlands- und
Auslandsnahmärkte zu bearbeiten, während die Österreich Werbung ihre Energien noch stärker in
die sich äußerst dynamisch entwickelnden Fernmärkte investieren soll.
Die Etablierung von erfolgreichen Markensystemen auf der Basis von Kompetenznetzwerken ermöglicht/erhöht die Wahrnehmung durch die potenziellen Kunden auf den Märkten. Weiters geben
Markensysteme den Akteuren in den Kommunen und Regionen die Sicherheit, nachhaltige betriebliche Strategien zu verfolgen. Die konsequente Überprüfung von möglichen Synergien auf der Grundlage der Kooperation von Kleinbetrieben wird dabei zu einem notwendigen Handlungsmuster des
strategischen Denkens und Handelns. Gerade weil in der Vergangenheit die vielfach marketingspezifischen Kooperationen von Betrieben nicht immer erfolgreich waren, weil entweder die Produkte zu
wenig klar herausgearbeitet wurden oder die Kooperationen auf Grund von zu kleinen Budgets sich
am Markt nicht durchsetzen konnten, sind stärker integrierte Kooperationssysteme zwischen
Unternehmungen auf dem Vormarsch und bedürfen daher auch entsprechender Regelungen in der
Raumordnung sowie in der Förder- und Kooperationspolitik: Ressorts sind zum Beispiel integrierte
Destinationseinheiten, welche neben den Kernleistungen Beherbergung und Verpflegung zumeist
einen spezifischen Produkt- und Erlebnisfokus aufweisen. Hybride Formen von kooperativen Ressorts
stellen eine weitere Möglichkeit dar, die Nachteile von Kleinbetrieben zu überwinden, indem
mehrere Beherbergungsbetriebe – häufig in denselben Regionen – im Produktentwicklungs- und
Marketingbereich eng zusammenarbeiten und in einer weiteren Integrationsstufe bei rechtlicher
Selbstständigkeit der Betriebe die Personalpolitik und Bereiche des Managements zusammenlegen.
Diese betrieblichen Entwicklungen benötigen neben den räumlich definierten Produkten ebenso ein
starkes Markensystem, innerhalb welchem sie sich entfalten können.
32
3.2.3.2
Informations- und Kommunikationstechnologie: Suchmaschinenoptimierung bringt Wettbewerbsvorteile
Immer mehr Menschen benutzen das Internet für Information und Buchung; das Internet ist aus dem
Tourismus heute nicht mehr wegzudenken. Eine auf Deutschland bezogene Untersuchung ergab für
die Zahl der Personen mit Internetzugang einen Anstieg von 2001 bis 2009 um 20 Mio. auf 41 Mio.
(Lohmann – Aderhold, 2009). Fast die Hälfte der deutschen Bevölkerung – das sind rund drei Viertel
der Deutschen mit Zugang zum Internet – hat diese Quelle schon einmal zu Informationszwecken für
Urlaubsreisen genutzt. Befragungen ergaben, dass rund 90% der Personen mit Internetzugang dieses
Medium bei der Urlaubsplanung in Betracht ziehen (Lohmann – Aderhold, 2009). Lohmann und
Aderhold gehen davon aus, dass bis zum Jahr 2020 etwa 85% der Deutschen Zugang zum Internet
haben werden und die Nutzungsintensität in Bezug auf die Informationsbeschaffung und Buchung
noch merklich ansteigen wird. Im Rahmen einer von der Österreichischen Hoteliervereinigung (ÖHV)
beauftragten und vom Consultingunternehmen Roland und Berger durchgeführten Studie wurde
festgestellt, dass mittlerweile bereits 38% aller Hotelbuchungen weltweit über das Internet abgewickelt werden und ein weiteres Drittel der Buchungen über das Internet beeinflusst werden. In den
USA verwenden bereits 73% der Internetnutzer online Reiseinformationen (TIA, 2010), und laut
einem Bericht der Welttourismusorganisation der Vereinten Nationen (UNWTO) spielt das Internet in
den touristischen Hauptmärkten der EU bereits eine bedeutsamere Rolle als persönliche Empfehlungen. Dies zeigt deutlich, dass sich das Internet zu einem zentralen touristischen Informationsmedium entwickelt hat.
Der Stellenwert von elektronischen Medien als Kommunikationsplattform und Buchungskanal zwischen Anbietern und Kunden wird im Tourismus aber noch weiter steigen. Das zukünftige Wachstum
in der Internetnutzung wird vor allem von Personenkreisen mit geringerem Einkommen, niedrigerer
Bildung und höherem Alter generiert werden. Zu erwarten ist außerdem nicht nur ein kräftiger
Anstieg an Online-Angeboten und entsprechenden Vernetzungen (z. B. Verkehrsinformationen,
Unterhaltungs- und Kulturangebote, usw.), sondern auch eine stärkere Differenzierung in den Angeboten. Touristische Angebote werden noch rascher und näher an den Konsumenten herangebracht
werden. Spezielle mobile Dienste mit touristischem Schwerpunkt werden sich zunächst als Kommunikationsinstrument, später auch als Entscheidungsunterstützungs-, Reservierungs- und Buchungsinstrument entwickeln (Stock et al., 2006). Die aktuell schon vorhandenen technischen Möglichkeiten,
Informationen in Abhängigkeit vom jeweiligen Standort eines Reisenden zu filtern und zu
präsentieren, wird die Entwicklung dieser intelligenten Systeme zusätzlich positiv beeinflussen.
Im Hinblick auf die Informationsüberlastung des Kunden bezüglich austauschbarer Produkte und die
Produktauswahl spielen soziale Medien, die den Austausch von Reiseerfahrungen sowie die persönliche Bewertung von Angebotselementen ermöglichen, eine zunehmend wichtige Rolle (McCarthy
et al., 2010). Reiseentscheidungen von Erstbuchern werden in Zukunft kaum mehr ohne Konsultation
einer oder mehrerer Reisebewertungsplattformen getroffen werden. In jedem Fall wird die Produktentscheidung nicht Resultat eines möglichst kompletten Vergleichs aller zur Verfügung stehenden
Möglichkeiten sein, sondern immer nur ein Teilprozess, der dann beendet wird, wenn eine angemessen gute Lösung gefunden wurde. Um den gestiegenen Ansprüchen der zunehmend heterogenen
Masse an Benutzern gerecht zu werden und um das Problem der Informationsüberlastung zu bewältigen, werden zudem intelligentere, personalisierte Entscheidungsunterstützungssysteme entstehen.
Vor diesem Hintergrund ist zu erwarten, dass der Marktanteil der klassischen "Laden-Reisebüros"
weiter zurückgehen wird (Lohmann – Aderhold, 2009). Allerdings ergeben sich auf Grund der auf die
33
Konsumenten zukommenden Informationsflut auch Chancen für die Reiseveranstalter und Reisebüros. Durch ein professionelles Handling der Informations- und Suchprozesse können sie neue
Dienstleistungen entwickeln, die den Konsumenten durch das nur schwer überschaubare Informationsangebot führen. Eine radikale Änderung der traditionellen Geschäftsmodelle wird wohl dafür
notwendig sein.
Die intelligente Bündelung von betrieblichen Leistungen sowie die elektronische Aufbereitung und
Vermarktung sind entscheidende Faktoren für den globalen Wettbewerb zwischen den Destinationen, wobei natürlich die entsprechende Buchbarkeit der Angebote (bei optimaler Zahlungssicherheit)
von hoher Wichtigkeit ist. Die logische und kreative Kombination von Dienstleistung und Technologie
wird so zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor und bestimmt die Länge der Wertschöpfungskette.
Die Qualität des Internetauftritts und der elektronischen Vernetzung (Kooperationsdichte) sowie die
Leichtigkeit der Auffindung beeinflusst im entscheidenden Maß die Marktanteilsentwicklung einer
Destination. Ein Drittel jener amerikanischen Konsumenten, die das Internet zur Planung ihrer
Urlaubsreise nutzen, hat sich vor Beginn der Suche noch nicht auf ein bestimmtes Reiseziel festgelegt
(TIA, 2010). In Zukunft wird ein optimales Erscheinungsbild im Internet für Tourismusdestinationen
zur notwendigen Voraussetzung für das wirtschaftliche Überleben, unprofessionelle Websites werden zu Marktanteilsverlusten und Ertragseinbußen führen. Der Wettbewerb um die Aufmerksamkeit
des Konsumenten wird sich markant verschärfen.
Ausgangspunkt von knapp mehr als der Hälfte aller Reiseplanungsprozesse im Internet sind laut einer
aktuellen Studie in den Vereinigten Staaten die allgemeinen Suchmaschinen, wie Google, Yahoo, Live
Search, Ask, Kayak, etc. Studien zum Nutzungsverhalten der Suchmaschinen belegen, dass sich die
Aufmerksamkeit des Konsumenten auf die ersten Suchergebnisse beschränkt. Bei der Optimierung
des Internetauftritts einer Tourismusdestination geht es daher nicht nur um eine möglichst tiefgehende und weitreichende Aufbereitung des Tourismusangebots, sondern insbesondere auch um
eine Forcierung des Webmarketings. Folglich werden die Nennung der eigenen Website in diesen
Suchmaschinen, Maßnahmen zur Verbesserung des Suchmaschinenrankings ("Suchmaschinenoptimierung") sowie bezahltes Suchmaschinenmarketing eine zentrale Bedeutung für den wirtschaftlichen Erfolg eines touristischen Betriebes und einer Destination einnehmen. Ähnliches gilt für die im
Internet verfügbaren Reservierungs- und Buchungssysteme im Hinblick auf Transport- und
Beherbergung. Insbesondere im Städtetourismus stellt dies für viele Betriebe bereits die wichtigste
Vertriebsschiene dar. Da in diesem Segment die produktpolitische Standardisierung sehr stark
ausgeprägt ist, kann der wirtschaftliche Erfolg oft nur über den Preis oder eine besonders effektive
Vertriebsstrategie beeinflusst werden. Insgesamt betrachtet kommt es somit zu einer zunehmenden
Abhängigkeit der Unternehmen von den Betreibern der Reservierungs- und Buchungssysteme.
Die sozialen Medien veränderten neuerlich die Spielregeln des touristischen Marketings. Empfehlungen von Verwandten oder Bekannten waren bei der Urlaubswahl immer sehr wichtig. Grundsätzlich ist die Meinung Anderer von großer Bedeutung. Wenn Meinungen in einem erkennbaren Kontext
stehen, ist ihre Relevanz noch besser einschätzbar. Heute kann jeder Kunde über das Internet via
Blogs oder soziale Netzwerke Informationen einholen und gleichzeitig Empfänger und Sender sein.
Dies führt zur Notwendigkeit eines Umdenkens in touristischen Unternehmen, da Kunden deutlich
aktiver am Kommunikationsprozess teilhaben als noch vor wenigen Jahren. Auf Grund dieser Tatsache sind soziale Medien im Tourismusmarketing bereits unverzichtbare Werkzeuge. Eine geschickte Anwendung bietet der Hotellerie, den Destinationen und anderen Tourismusunternehmen
34
ein enormes Potenzial, sich im Web überzeugend und authentisch zu präsentieren sowie Neukunden
zu gewinnen. Destinationen, die zukünftig Marketing in diesen neuen Medien ignorieren, riskieren
den fehlenden Aufbau eines positiven Images und weiters, bei negativer Resonanz korrigierend
eingreifen zu können.
Der Einfluss der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien auf die Tourismuswirtschaft
führt zu einer nachhaltigen Verlagerung der Marketingressourcen. Waren bisher überwiegend nationale oder europäische Marketingagenturen sowie Betreiber von Reservierungssystemen Empfänger
der Marketingmittel österreichischer Tourismusverbände und Leistungsträger im Tourismus, so sind
es nun zunehmend Anbieter amerikanischer Buchungs- und Reservierungssysteme, Betreiber von
Suchmaschinen und von sozialen Medien.
Auch immer mehr Klein- und Mittelbetriebe im Tourismus nutzen die scheinbar einfache und kostengünstige Möglichkeit, weltweit Aufmerksamkeit für das eigene Angebot zu erzielen. Provisionszahlungen für Kommunikations- und Reservierungsleistungen, Ausgaben für Suchmaschinenmarketing
und Werbeeinschaltungen in sozialen Medien reduzieren aber zunehmend die positiven ökonomischen Auswirkungen der Tourismuswirtschaft auf die österreichische Volkswirtschaft (dieser Effekt
ist natürlich auch in anderen Branchen zu beobachten). Wegen der klein- und mittelbetrieblichen
Struktur der Tourismuswirtschaft ist das Ausmaß der tatsächlich durchgeführten Marketinginvestitionen, die in diese neuen Kommunikations- und Vertriebskanäle fließen, nur schwer zu ermitteln.
Ein weiteres Problem für den Tourismus ergibt sich auf Grund des Geschäftsmodells von Google, der
weltweit führenden Suchmaschine und beliebtesten Plattform für Suchmaschinenmarketing. Die von
Google implementierte Preisstrategie für Werbeeinschaltungen richtet sich nicht, wie in traditionellen Medien, nach der Größe und Häufigkeit der Einschaltungen, sondern nach den tatsächlich
hergestellten Kontakten und der Wertigkeit der Suchwörter, die zum Auffinden des Web-Angebots
geführt haben. Die Preise der Suchwörter definieren sich, ähnlich wie auf einem Aktienmarkt, nach
der Zahlungsbereitschaft der Unternehmer. Da im Tourismus die Anzahl der Anbieter besonders groß
ist, gehören typische Suchwörter, die zu touristischen Angeboten führen, zu den teuersten Begriffen
im Suchmaschinenmarketing. Je mehr österreichische Betriebe also die Möglichkeiten des kommerziellen Suchmaschinenmarketing nutzen, umso teurer wird dieser Bereich, ohne die erzielbare
Werbewirkung für Österreich zu erhöhen. Nur durch regionale und/oder nationale Koordinationsmaßnahmen und Absprachen zwischen den Anbietern einer Region könnte dieser negative Effekt
erhöhter Kosten für das Suchmaschinenmarketing vermieden bzw. gemildert werden. Auch wenn
diese Koordinationsaufgabe im ersten Moment aufwendig erscheint, so ist an diesem Beispiel gut
erkennbar, wie stark sich der Aufgabenbereich einer Tourismusorganisation im Zeitalter des online
Marketings verändert hat.
Auch in Zukunft wird es technologische Entwicklungen geben die – bei Akzeptanz und Annahme
durch die heimischen Wirtschaft – zusätzliche Möglichkeiten für den Tourismus in Österreich bringen. Obwohl die Entwicklung eines global agierenden und in Österreich ansässigen Buchungs- und
Reservierungssystems nicht mehr zu erwarten ist, wird es auch weiterhin wichtige Forschungs- und
Entwicklungsfelder im Bereich der Informations- und Kommunikationstechnologien im Tourismus
geben. Ziel einer Technologieförderung sollten daher Programme sein, die zu einer Reduktion der
Abhängigkeit der Betriebe von den Vertriebskanälen ausländischer Anbieter führen.
Eine mögliche strategische Maßnahme, die von regionalen und nationalen Tourismusverbänden
unterstützt werden könnte, wäre die Förderung der Direktmarketingaktivitäten einzelner Betriebe
35
(z. B.: Verbesserungen der technischen Voraussetzungen für Direktbuchungen; gegenwärtig sind nur
rund 50% der Betriebe überhaupt buchbar). Um dabei die Auffindbarkeit des Tourismusangebots in
Österreich zu verbessern, könnten Tourismusmarketingorganisationen Metabuchungsplattformen
einrichten. Damit könnte das bestehende Angebot von verschiedenen Anbietern am Markt
aggregiert dargestellt werden, wodurch bereits bestehende Buchungsplattformen für den Nutzer
optimal zugänglich wären.
Die zunehmende Notwendigkeit neuer Formen der Online-Medienanalyse zur Optimierung der Distributionsstrategien und Steigerung der globalen Konkurrenzfähigkeit österreichischer Anbieter ist eine
weitere Entwicklungschance für den Tourismus in Österreich. Die Verschiebung der Marketingdominanz vom Unternehmen zum Kunden, der seine persönliche Meinung öffentlich und dauerhaft
publizieren kann, führt zu einer gezielteren Auseinandersetzung des Unternehmens mit dem Kunden
und mit den durch Kunden und Interessenten geschaffenen Inhalten. Neue Instrumente der OnlineMedienanalyse können hier wichtige Grundlagen für Entscheidungsträger liefern. Destinationen, die
in die Entwicklung dieser innovativen Technologien investieren, werden in Zukunft Wettbewerbsvorteile erzielen können.
Der Online-Werbetreibende im Tourismus steht vor ähnlich komplexen Fragestellungen wie damals
die Anbieter in der Offline-Welt. Die allgemein steigenden Online-Werbeausgaben erfordern vom
Management ein Verständnis für die Wirksamkeit der einzelnen Werbekanäle. Da einige Werbekanäle neben den internen Ressourcen auch direkte Kosten für die Schaltung verursachen, ist ein
präzises Verständnis für den Wirkungsmechanismus der einzelnen Kanäle notwendig, um Fehlallokationen von Werbeaufwendungen zu vermeiden. Die Metrik der neuen Erfolgsfaktoren des Vertriebs,
die Zusammenhänge sowie die Analysemethoden müssen für die Akteure der Tourismuswirtschaft
nachvollziehbar sein. Konsequenterweise dürfen die Methoden der traditionellen Werbewirkungsmessung, die Orientierung an angepeilten Zielgruppen, die Erforschung ihrer Einstellungen, Werte,
Motive und Bedürfnisse, nicht vernachlässigt werden.
Das Vorhandensein von Wissen über die sich ständig reformierenden Strategien zur Verbesserung
des Suchmaschinenmarketings und der Nutzung der sozialen Medien, wird in Zukunft einen wichtigen Wettbewerbsvorteil einer Destination mit sich bringen. Durch Investitionen im Bereich der Ausund Weiterbildung können hier vermutlich die besten volkswirtschaftlichen Effekte erzielt werden.
Bei der Wahl von touristischen Berufen wurde oft die Freude am Kontakt mit Gästen aus anderen
Kulturen als das zentrale Motiv für eine Berufswahl im Tourismus beobachtet. Präsentations- und
Kommunikationsfähigkeit, Sprachkenntnisse und Kulturinteresse waren folglich wünschenswerte
Attribute eines Touristikers. Dem Aus- und Weiterbildungsbedarf im Bereich der Informations- und
Kommunikationstechnologien sowie der Förderung von Know-how für die Entwicklung von technologischen Anwendungen für den Tourismus wurde bisher deutlich zu wenig Aufmerksamkeit
geschenkt. Der Bildungsbedarf im Tourismus wird sich in Zukunft mehr an die tatsächlichen Anforderungen der Branche orientieren müssen. Der Informations- und KommunikationstechnologieBildungsstandard kann im Tourismus nur kontinuierlich und langfristig aufgebaut werden; dieser wird
aber schließlich auch zu einer Erweiterung des Aufgabengebiets im Tourismus allgemein und zu einer
Imageverbesserung der Branche insgesamt führen.
36
3.2.4
3.2.4.1
Verstärkte Qualitätsorientierung, Differenzierung und Positionierung
Begründung einer zunehmenden Qualitätsorientierung
Die Qualitätsorientierung gründet einerseits in der schleichenden Krise, in der sich der Tourismus in
vielen Regionen befindet oder befand, andererseits in der hoffnungsvollen Chance, die dieser Ansatz
bietet, nämlich sich zu differenzieren, Angebote zu "branden" und zu positionieren und sich so von
der Konkurrenz abzusetzen, aber auch, um effizienter zu werden und damit Kosten zu sparen. Die
hauptsächlichsten Ursachen für die Qualitätsoffensive sind:
•
Zunehmende Konkurrenzierung: Der Preisverfall, vor allem im Luftverkehr, hat die Ferne
immer attraktiver gemacht. Entwicklungsregionen haben den Tourismus zunehmend als Rettungsanker entdeckt. Dies führte weltweit zu riesigen Überkapazitäten in allen touristischen
Teilbereichen.
•
Zunehmender Zwang zur Rationalisierung: Der Kostendruck zwang auch die Betriebe der
touristischen Dienstleistungskette, Aufgaben möglichst effizient zu lösen. Qualität soll in
vielen auch persönlich erbrachten Serviceprozessen durch die Gestaltung von Abläufen und
Umfeld der Mitarbeitenden vermehrt direkt und indirekt beeinflusst werden.
•
Zunehmende Vermassung: Kaufkraftstarke Individualgäste werden immer mehr durch den
Massencharakter touristischer Angebote verdrängt. Im Zeitalter der Individualisierung führt
dies zu Umsatz- und Rentabilitätsverlusten.
• Neue Betriebsgrößen: Mit zunehmenden Betriebsgrößen ist es schwieriger geworden, das
Qualitätsverständnis persönlich zu prägen, zu vermitteln und zu kontrollieren. Daher ist es
wichtiger geworden, Qualität auch personenunabhängig zu definieren.
•
Abnehmende Attraktivität: Im Zuge des schnellen touristischen Wachstums wurden viele
(ästhetische) Sünden begangen. Natur und Kultur wurden freizeitgerecht zugerichtet, die
Authentizität wurde vernachlässigt, Landschaften verunstaltet und möbliert. Vieles geschah
schleichend und beinahe unbemerkt.
•
Abnehmende Gastlichkeit: Wohlstandserscheinungen machen sich immer mehr bemerkbar.
Über eine "Wir-haben-es-nicht-nötig-Mentalität" verbreitet sich da und dort eine Abwehrhaltung, Überheblichkeit, ja Arroganz den Gästen gegenüber. Servicebereitschaft, Zuvorkommenheit, Freundlichkeit oder gar Gastfreundschaft laufen Gefahr, verdrängt zu werden.
•
Veränderte Gästebedürfnisse: Die Alltagssituation mit weitverbreiteten Merkmalen wie
Stress, Individualisierung, Vereinsamung, Denaturierung etc. haben zu einer verstärkenden
Sehnsucht nach Stimmigem, Schönem und Authentischem geführt. Die zunehmende Reiseerfahrung verstärkte die Möglichkeit, Vergleiche unter Ferienangeboten anstellen zu können.
3.2.4.2
Dimensionen einer umfassenden Qualitätsorientierung
Der facettenreiche Begriff "Qualität" wird sehr unterschiedlich beschrieben. Man ist sich jedoch
einig, dass die Sicht bzw. das Urteil des Gastes einen zentralen Maßstab darstellt. Damit wird der Anspruch einer objektiven Messbarkeit relativiert und die subjektive Bewertung durch den Gast akzeptiert. So verstanden, kann Qualität umschrieben werden als die wahrgenommene oder erlebte
Beschaffenheit eines Produktes, einer Leistung oder einer organisatorischen Einheit, gemessen an
den Erwartungen der anvisierten Zielgruppen (Müller, 2004, S. 21).
37
Im Zentrum der Qualitätsorientierung steht heute sehr oft die Servicequalität. Sie hat sehr viele Ausprägungen, wie Parasuraman, Zeithaml und Berry, (1992) in verschiedenen Untersuchungen offen
gelegt haben. Im Hinblick auf die Relevanz für touristische Dienstleistungsbündel werden sie häufig
auf fünf Dimensionen verdichtet:
•
Zuverlässigkeit und Sicherheit: Die Zuverlässigkeit von Betrieben oder Organisationen, die
versprochenen Leistungen zeitlich und qualitativ erfüllen zu können.
•
Freundlichkeit und Entgegenkommen: Die Fähigkeit von Betrieben oder Organisationen, auf
Kundenwünsche einzugehen und diese rasch erfüllen zu können.
•
Leistungs- und Fachkompetenz: Die Versicherung, dass die in Aussicht gestellte Leistungen
kompetent und fachgerecht erbracht werden können.
•
Einfühlungsvermögen: Die Fähigkeit der Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, sich in die Kunden
einzufühlen und die Erwartungen und Bedürfnisse zu erkennen.
•
Annehmlichkeit des materiellen Umfeldes: Das Erscheinungsbild, die Atmosphäre und die
Ausstattung eines Betriebes oder einer Organisation.
Eine umfassend verstandene Qualitätsstrategie ist vielschichtig. Einerseits sind folgende Aspekte
zu berücksichtigen:
•
Qualitätsanspruch: das selbst festgelegte Leistungsniveau, um segmentspezifische Gästeund Mitarbeiterwünsche zu befriedigen;
•
Qualitätsentwicklung: die aktive Pflege dieses Leistungsniveaus und dessen kontinuierliche
Verbesserung;
•
Qualitätssicherung: die bewusste Überprüfung des Leistungsniveaus sowie die Reaktionen
bei festgestellten Abweichungen;
•
Qualifizierung des Managements sowie der Mitarbeitenden.
Im Zentrum einer umfassend verstandenen Qualitätsorientierung steht somit die laufende Verbesserung und Sicherung der Qualität der Infrastruktur, der Serviceleistungen, der verantwortungsvolle Umgang mit der Umwelt und den Ressourcen sowie die Pflege der erlebbaren Atmosphäre mit einem geschickten Einsatz von Inszenierungsinstrumenten ("Erlebnisqualität"; Müller –
Scheurer, 2007).
38
Abbildung 3: Qualitätsdimensionen im Tourismus
Qualität im Tourismus
Infrastrukturqualität
(Hardware)
Umweltqualität
(Ökologie / Kultur)
Servicequalität
(Software)
Erlebnisqualität
(Atmosphäre)
Infrastruktur /
Ausstattung
Kultur / Brauchtum
Service
Attraktionen /
Aktivitäten
Funktionalität
Landschaftsbild /
Ortsbild
Information
Szenerie /
Umgebungsgestaltung
Ästhetik / Design
Beeinträchtigung /
Verschmutzung /
Ressourcenverbrauch
Gastfreundlichkeit /
Mentalität
Besucherlenkung /
Wohlbefinden
Q: Eigene Darstellung und Erweiterung in Anlehnung an Romeiss-Stracke (1995).
3.2.4.3
Qualitätsanforderungen an die gesamte Dienstleistungskette
Im Zentrum der Qualitätsanstrengungen steht der Gast. Voraussetzungen einer hohen Gästezufriedenheit sind das starke Engagement der obersten Führung – Qualitätsmanagement heißt Führungsverantwortung – sowie eine stark ausgeprägte Mitarbeiterorientierung. Nur wenn alle Mitarbeitenden in einen Qualitätsentwicklungsprozess involviert sind, können sowohl eine höhere Gästezufriedenheit wie auch eine höhere Effizienz erreicht werden, denn Tourismus ist zu einem großen Teil
"people business". Aus all diesen Gründen spielt im Qualitätsmanagement die Prozessorientierung
eine zentrale Rolle: Jedes Produkt oder jede Dienstleistung ist ein Ergebnis eines Leistungsprozesses,
in dessen Verlauf ein Arbeitsvorgang mit dem folgenden verknüpft ist. Qualitätsprogramme müssen
also das Prozessdenken in den Vordergrund stellen.
Da sich die touristische Dienstleistung, von den Gästen betrachtet, aus einem ganzen, von verschiedenen Akteuren angebotenen, Leistungsbündel zusammensetzt, müssen die Prozesse der gesamten Dienstleistungskette miteinander verknüpft werden. Dabei ist den Schnittstellen besondere
Aufmerksamkeit zu schenken. Das macht das Qualitätsmanagement ganzer Destinationen so anspruchsvoll. Allerdings, nur wenn die Qualität der gesamten Dienstleistungskette stimmt, ist der Gast
zufrieden, spricht gut über das Erlebte und kommt wieder.
39
Abbildung 4: Dienstleistungskette einer touristischen Destination
Vor Ort
Vorher
Information/
Reservation
• Tourismusinformation
• Andere
Betriebe
Reise
• Bus
• Bahn
• Flugzeug
• Privatauto
Örtliche
Information
Verpflegung
Beherbergung
• Tourismus- • Restaurants • Hotel
information • Hotels
• Ferien• Andere
• Snack-Bars
wohnung
Betriebe
• Jugendherberge
• Ferienheim
• Camping
Nachher
Aktivität/
AnimaTransport
tion/
Unterhaltung
• Bergbahnen
• Schifffahrt
• Bus
• Skilift
• Sportcenter
• Bars
• Discos
• Theater
• Kino
Landschaft/
Umwelt
• Gemeinde
• Kanton
• Bund
Abreise
• Bus
• Bahn
• Flugzeug
• Privatauto
Nachbetreuung
• Alle
Betriebe
Q: Müller (2008), 140.
Wird Qualitätsmanagement umfassend verstanden, so spricht man auch von Total Quality Management (TQM). TQM steht für den Einbezug aller Bereiche und Mitarbeitenden, die Orientierung aller
Aktivitäten an den Qualitätsanforderungen der Gäste sowie für die Verantwortung der obersten
Leitung für die systematische Qualitätssicherung.
3.2.4.4
Qualität als Voraussetzung für erhöhte Markt- und Positionierungschancen
Zur Verbesserung der Marktchancen ist es notwendig, touristische Angebote klarer zu positionieren.
Positioniert werden kann aber nur, was sowohl eine hohe Qualität wie auch eine hohe Unverwechselbarkeit aufweist ("monopolistic competition"; Chamberlin, 1933; Robinson, 1933). Vier
Kriterien machen eine gute Positionierbarkeit aus (Barney 1991, 106):
•
Eignung, um Kundennutzen zu stiften, also hohe Qualität
•
Einzigartigkeit, Knappheit
•
keine/beschränkte Imitierbarkeit
•
keine/beschränkte Substituierbarkeit
Langfristig sind gegebene Marktchancen aber nur zu nutzen, wenn die Qualität weiterentwickelt
wird. Dabei sind die Gestaltung intelligenter, typischer und feiner Konsumgüter und Dienstleistungen
(Produkte der "creative industries"; feine Nahrungsmittel) sowie die Positionierung des Bildungs- und
Wissenssektors (z. B. Ausbildung-, Forschungs- und Consulting-Institutionen in Tourismus- und Freizeitwirtschaft) von Wichtigkeit.
3.2.4.5
Inhalt und Instrumente einer umfassenden Qualitätsstrategie
Eine fokussierte Qualitätsstrategie hat folgender Logik zu folgen:
•
Um Österreich als führende Tourismusregion in Mitteleuropa zu positionieren, sind qualitativ
hochstehenden Angebote unerlässlich.
•
Die Gäste sollen entlang der gesamten touristischen Dienstleistungskette professionellen,
kompetenten Service sowie attraktive Angebote und Infrastrukturen erleben können.
40
•
Qualität ist die zentrale, aber übergreifende Thematik. Eine Qualitätsverbesserung ist nur
durch alle am Produktionsprozess beteiligten Personen zu erreichen.
•
Die Qualitätsverantwortung liegt in erster Linie bei den Leistungsträgern der touristischen
Dienstleistungskette. Sie werden unterstützt von den Tourismusorganisationen. Länder und
Bund helfen mit, Instrumente für eine koordinierte Qualitätsentwicklung, Qualitätssicherung
und Qualifizierung zu entwickeln.
•
Mit Hilfe der Qualitätsstrategie wird die Bereitschaft bei allen Akteuren gestärkt, sich ständig
zu verbessern und die Kooperationen zu intensivieren.
•
Die Qualitätsstrategie nutzt und fördert die bestehenden und bewährten Qualitäts-Programme und evaluiert die Ergebnisse.
•
Darauf aufbauend werden gezielt eigene Schwerpunkte (z. B. in den Bereichen Erlebnis- und
Umweltqualität) gesetzt.
•
Mit Information und Kommunikation sowie mit Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen zu den
Qualitäts-Schwerpunkten werden die Mitarbeitenden auf allen Stufen des Österreich-Tourismus unterstützt.
•
Qualitätsmanagement wird als zentrales Positionierungsmerkmal gezielt eingesetzt, um den
Gästen einem Mehrwert zu bieten und damit die Marktchancen besser zu nutzen.
Um die Qualitätsstrategie zu konkretisieren, ist ein "Qualitätshaus" mit den folgenden Elementen
bzw. thematischen Säulen zu erarbeiten:
•
Qualitätscredo
•
Qualifikation bzw. Aus- und Weiterbildung
•
Qualitätsentwicklung, d. h. Infrastruktur-, Umwelt-, Erlebnis- und Servicequalität (insbesondere Zuverlässigkeit, Kompetenz, Freundlichkeit und Empathie)
•
Qualitätssicherung, d. h. Messung von Gäste-, Mitarbeiter- und Partnerzufriedenheit sowie
der Nachhaltigkeit in der Tourismusentwicklung
•
Kommunikationsstrategie mit umfassender Orientierung
41
Abbildung 5: Entwurf eines möglichen "Qualitätshauses Tourismus Österreich"
Q: Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus (FIF), Universität Bern, 2011.
3.2.5
Koordinierte und fokussierte Tourismuspolitik
Wichtige Eckpunkte für die Formulierung der koordinierten tourismuspolitischen Hauptstrategien
sind Maßnahmen, die zu einer
•
•
•
•
•
Verminderung der Saisonalität ("Ganzjahresorientierung"),
Fortsetzung der Internationalisierung,
Qualitäts-, Produktivitäts- und Innovationsorientierung (inklusive Forschung und Ausbildung),
Erhöhung der Dynamik im Destinationsbildungsprozess (wobei eine Verlängerung der Wertschöpfungskette sowie die Optimierung der Wahrnehmbarkeit durch den Einsatz der Informations- und Kommunikationstechnologie anzustreben ist) und
Verbesserung der Ausbildungs- und Forschungssituation (inklusive eines Monitorings des jeweiligen gegenwärtigen Status und der Entwicklungstendenzen)
führen.
Im Produktbereich bilden dabei der Kultur- und Städtetourismus, der Wintersport sowie erlebnisorientierte Kurzaufenthalte bzw. Aktivitäten auf Basis der landschaftlichen Ressourcen wie z. B.
Alpen, Flüsse oder Seen thematische Schwerpunkte.
Um das Wirkungspotenzial der öffentlichen Maßnahmen zu erhöhen, sollten im Einzelnen die Förderprogramme von Bund, Ländern und Gemeinden thematisch abgestimmt bzw. Doppelgleisigkeiten
vermieden (dies gilt auch für Forschungsvorhaben) sowie die Kleinförderungen eingestellt werden.
Weiter wäre es wünschenswert, dass dem Tourismus im Hinblick auf die hohen Wertschöpfungs- und
Beschäftigungseffekte höhere öffentliche Fördermittel für notwendige betriebliche Investitionen und
für Marketingmaßnahmen sowie für eine Intensivierung von Ausbildung und Forschung zur Verfügung stünden. Ferner sollten die Marketingprogramme auf nationaler und regionaler Ebene – auch
42
im Hinblick auf eine einheitliche Markenführungsstrategie – koordiniert werden. In Bezug auf die
aktivierende Marktbearbeitung wäre es damit effizient, wenn sich die Österreich Werbung eher auf
die Fernmärkte konzentrieren würde, wogegen die Bearbeitung der benachbarten ausländischen
Märkte und des Inlandsmarkts primär die Aufgabe der regionalen Verbände sein sollte.
Für die Marktbearbeitung gelten folgende Prämissen:
Im Wege einer gemeinsamen Internationalisierungsstrategie müssten rasch wachsende Märkte
durch gezielte Marketingaktivitäten erschlossen und Segmente mit hohen Einkommenselastizitäten
entwickelt werden. Wachstumsmärkte für den österreichischen Tourismus sind die BRIC-Länder, die
neuen Mitgliedsstaaten der EU, aber auch der Nahe und Mittlere Osten sowie die USA und Australien. Für die genannten Märkte müssten auf Basis der Empfehlungen der Österreich Werbung spezifische Produkt-Markt-Kombinationen erstellt werden, wobei deren gezielte Förderung die Angebotsund Nachfragestrukturen in die gewünschte Richtung lenken soll.
Die Fakten zeigen aber auch die Notwendigkeit, eine Doppelstrategie zu verfolgen: Einerseits darf die
Bearbeitungsintensität der etablierten Herkunftsmärkte (Deutschland, Österreich, Niederlande, Italien), von denen Österreichs Tourismuswirtschaft in hohem Maße abhängig ist, auf Grund des starken
Wettbewerbsdrucks der Konkurrenzdestinationen nicht reduziert werden. Hier ist zu beachten, dass
die Nahmarktstärke Österreichs in der Rezession 2009 den Rückgang im Gesamtergebnis deutlich
milderte, da in wirtschaftlich schwierigen Zeiten die Nähe zu bevölkerungsreichen Herkunftsmärkten
mit hoher Reiseintensität einen entscheidenden Vorteil darstellt. Unbestritten der Vorteile, in Krisenzeiten auf Nahmärkten präsent zu sein, müssen dennoch aus Gründen der Optimierung der Wachstumschancen spürbare Maßnahmen zur Forcierung der Fernmärkte gesetzt werden. Da es sich bei
diesen neuen, entfernter gelegenen Märkten um Regionen mit unterschiedlichen klimatischen
Bedingungen bzw. Arbeits- und Freizeitstrukturen handelt, kann hier durch eine verstärkte Bewerbung auch der starken Saisonabhängigkeit und den damit verknüpften Problembereichen, wie z. B.
der Saisonarbeitslosigkeit, entgegengewirkt werden.
Die Erschließung neuer Märkte hat nicht nur eine erhöhte Tourismusnachfrage zur Folge, sondern
trägt auch zur Steigerung der Produktivität und der Wettbewerbsfähigkeit des Angebotes bei, da
Erstbesucher neue Marktinformationen generieren bzw. neue Kunden auch Impulse für die Angebotsverbesserung geben. Die von einer Internationalisierung ausgehende Stimulierung der Nachfrage
erhöht nicht nur die Auslastung und die Ertragslage, sondern die Implementierung der neuen Marktinformationen löst auch Investitionen aus, wodurch die gesamtwirtschaftliche Aktivität belebt wird.
In diesem Sinne kann Internationalisierung auch als Innovationsform aufgefasst werden (Williams –
Shaw, 2011).
In Bezug auf die Doppelstrategie – Forcierung der Fernmärkte bei gleichzeitiger Beibehaltung der
Bearbeitungsintensität auf den Nahmärkten – muss jedoch bedacht werden, dass sich auch die
Anzahl der Zielgruppen und die Heterogenität der Nachfrage erhöht. Dabei entsteht das Risiko, dass
bei der Orientierung an einer höheren Anzahl von deutlich differenzierten Zielgruppen Unschärfen in
der Kommunikation über Österreich entstehen können.
43
Literaturhinweise
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Mitglieder des Expertenbeirats
Martin Lohmann
Prof. Dr., Diplom-Psychologe, ist Leiter des N.I.T. (Institut für Tourismusund Bäderforschung in Nordeuropa), in Kiel und wissenschaftlicher
Berater der deutschen "Reiseanalyse". Er lehrt am Departement
Wirtschaftspsychologie der Leuphana Universität Lüneburg Markt- und
Konsumforschung und Tourismuspsychologie; seit 2010 hat er eine
Gastprofessur an der WU Wien.
Nach dem Studium zunächst Tätigkeit als Studien-Reiseleiter (Klinger-Reisen); 1981 bis 1984
Assistent am Psychologischen Institut der Universität Würzburg; 1984 bis 1991 Referent für Forschung beim Studienkreis für Tourismus in Starnberg; seit 1991 Leiter des N.I.T.
Seine Arbeitsfelder liegen in der touristischen Grundlagenforschung (Themenbeispiele: Trends,
Impactforschung, Erholung), der touristischen Marktforschung (z. B. Gästebefragungen, Imageanalysen; Reiseanalyse im Auftrag der Forschungsgemeinschaft Urlaub und Reisen, FUR) und in der
anwendungsbezogenen Forschung und Beratung (z. B. für touristische Unternehmen und Verbände,
Urlaubsregionen und -orte, für nationale und supranationale Institutionen).
Mehr Informationen unter www.NIT-Kiel.de, www.fur.de und www.leuphana.de
Hansruedi Müller
Hansruedi Müller, Prof. Dr. rer. pol., 1947 in Buchs (SG) geboren, lehrt
Freizeit und Tourismus an der Universität Bern und leitet das
Forschungsinstitut für Freizeit und Tourismus (FIF) seit 1989.
Seine wissenschaftliche Laufbahn begann er dort 1982 als Assistent. Er
befasste sich in seinen Forschungsarbeiten mit allen Belangen von Freizeit
und Tourismus. In den letzten Jahren hat er die Gebiete der Erlebnisökonomie, der touristischen Wertschöpfung, der Umweltökonomie sowie
des Qualitätsmanagements vertieft.
Ursprünglich absolvierte er eine Lehre als Betriebsdisponent bei den SBB, arbeitete sieben Jahre in
der SBB-Generaldirektion, betreute die Güterverkehrswerbung und studierte auf dem zweiten Bildungsweg.
Seit 2006 ist Hansruedi Müller zudem Präsident von Swiss Athletics, dem Schweizerischen Leichtathletik-Verband und präsidiert den VR der Leichtathletik-Europameisterschaften 2014 in Zürich.
Mehr Informationen unter hansruedi.mueller@fif.unibe.ch, http://www.fif.unibe.ch
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Harald Pechlaner
Univ.-Prof. Dr. Harald Pechlaner ist Inhaber des Lehrstuhls für Tourismus
sowie Leiter des Zentrums für Entrepreneurship der Katholischen Universität
Eichstätt-Ingolstadt. Wissenschaftlicher Leiter des Instituts für Regionalentwicklung und Standortmanagement der Europäischen Akademie Bozen
(EURAC research). Univ.-Prof. Dr. Harald Pechlaner studierte Wirtschaftsund Handelswissenschaften an den Universitäten Verona und Innsbruck. Bis
1993 wirkte Harald Pechlaner als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut
für Unternehmensführung der Universität Innsbruck und promovierte dort
zum Doktor der Sozial- und Wirtschaftswissenschaften. Von 1993 bis 1998 war Harald Pechlaner als
Leiter der Abteilung Tourismus der Südtiroler Landesregierung und Direktor der Südtirol Tourismus
Werbung in Bozen tätig. Nach diesen Praxisjahren kam er an das Institut für Unternehmensführung,
Tourismus und Dienstleistungswirtschaft der Universität Innsbruck zurück und konzentrierte sich in
seiner wissenschaftlichen Arbeit auf das touristische Destinationsmanagement. Es folgte 2002 die
Habilitation an der Universität Innsbruck im Fach "Betriebswirtschaftslehre". Forschungsaufenthalte
und eine Gastprofessur führten ihn 1999 an die University of Wisconsin-Stout und 2001 an die
University of Colorado at Boulder. Von Oktober 2002 bis Ende September 2003 war er an der Freien
Universität Bozen als Gastprofessor für Tourismus tätig. 2009 war er an der University of Surrey
(School of Management) sowie an der School of Tourism der University of Queensland. Er ist Mitglied
des Vorstandes der AIEST (Association Internationale d'Experts Scientifiques du Tourisme) und
Präsident der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft (DGT e.V.). Seine derzeitigen
Forschungsschwerpunkte liegen vor allem in der Verknüpfung des Regional- und Standortmanagements mit dem Tourismus
E gon Smeral
Universitätsprofessor Dr. Egon Smeral ist Ökonom, Forschungsbereichskoordinator für Strukturwandel und Regionalentwicklung und
Experte für Tourismus und Freizeitwirtschaft am Österreichischen
Institut für Wirtschaftsforschung (WIFO) und unterrichtet an verschiedenen in- und ausländischen Universitäten. Seine Forschungstätigkeit
erstreckt sich über die Bereiche angewandte Wirtschaftstheorie und
-politik (insbesondere im Bezug auf die Tourismus-, Freizeit- und
Dienstleistungswirtschaft), Prognosen und Modelle zum Tourismus, Impact-Analysen, TourismusSatellitenkonten und die Erstellung und Evaluierung von Programmen über Tourismuspolitik und
Marketingstrategien. Er ist Vize-Präsident der International Association of Scientific Experts in
Tourism (AIEST), Mitglied der Travel and Tourism Research Association (TTRA), des Tourist Research
Center (TRC), der Deutschen Gesellschaft für Tourismuswissenschaft (DGT), der Österreichischen
Gesellschaft für Angewandte Forschung in der Tourismus- und Freizeitwirtschaft (ÖGAF), der
International Academy for the Study of Tourism (IAST) und des International Institute of Forecasters
(IIF). Weiters ist Egon Smeral als koordinierender Herausgeber des Journals Annals of Tourism
Research tätig. Ferner ist er Mitglied des Herausgeberbeirates des Journal of Travel Research und der
Tourism Review sowie der Zeitschriften Tourism Analysis, Tourism Economics und Anatolia.
Mehr Informationen unter Egon.Smeral@wifo.ac.at, http://egon.smeral.wifo.ac.at/
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Karl Wöber
Universitätsprofessor Dr. Karl Wöber ist Gründungsrektor der MODUL
University Vienna. Nach dem Besuch des Fremdenverkehrskollegs MODUL
begann er 1986 mit dem Studium der Betriebswirtschaft an der Wirtschaftsuniversität Wien. Von 1988 bis 2007 wirkte Karl Wöber als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Tourismus und Freizeitwirtschaft
an der Wirtschaftsuniversität Wien, wo er im Jahr 1993 sein Doktoratsstudium mit Auszeichnung abschloss. Nach mehreren Forschungsaufenthalten in den USA erfolgte im Jahr 2000 die Habilitation und die
Verleihung der venia docendi für das Fach Betriebswirtschaftslehre. Seit
2007 ist Karl Wöber Rektor der MODUL University Vienna und leitet die Masterlehrgänge für Internationale Tourismuswirtschaft.
Die Entwicklung interaktiver Werkzeuge zur Unterstützung von Managemententscheidungen,
insbesondere in der Tourismuswirtschaft, stellen neben der Auseinandersetzung mit Fragen der
Tourismusstatistik seine wissenschaftlichen Hauptarbeitsgebiete dar. Referenzarbeiten inkludieren
die Entwicklung eines intelligenten Reiseberatungssystems im Auftrag der Europäischen Union (in
Zusammenarbeit mit TISCover), die Konzeption und Umsetzung einer domain-spezifischen Suchmaschine für den Europäischen Städtetourismusverband und die kontinuierliche Entwicklung der
weltweit größten Plattform für internationale Tourismusstatistik mit mehr als 16.000 registrierten
Benutzern (ausgezeichnet durch die UN Welttourismusorganisation im Jahr 2010). Seit 1994 fungiert
Karl Wöber als Technischer Berater der beiden in Europa führenden Interessensvertretungen im
Bereich Destinationsmanagement (European Cities Marketing und European Travel Commission).
Karl Wöber ist Visiting Senior Fellow an der School of Management der Universität Surrey (UK) und
an der School of Tourism and Hospitality Management der Temple Universität in Philadelphia (USA).
Er ist Mitglied der International Association of Scientific Experts in Tourism (AIEST), der Travel and
Tourism Research Association (TTRA), des Tourist Research Center (TRC), der International Federation
of Information Technology and Tourism (IFITT) und Mitglied des Vorstands der Österreichischen
Gesellschaft für Angewandte Tourismuswirtschaft (ÖGAF). Ferner ist er Mitglied des Herausgeberbeirats des Journal of Travel Research, Journal of Information Technology and Tourism und des
Journal of Modelling in Management.
Mehr Informationen unter Karl.Woeber@modul.ac.at, http://www.modul.ac.at/woeber
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