Das Mysterium von Perleberg
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Das Mysterium von Perleberg
Franz Bätz Das Mysterium von Perleberg Ein Diplomat löst sich in Luft auf Ancient Booklets – eBook Ancient Mail Verlag Werner Betz Europaring 57, D-64521 Groß-Gerau Tel.: 00 49 (0) 61 52/5 43 75, Fax: 00 49 (0) 61 52/94 91 82 www.ancientmail.de Email: ancientmail@t-online.de Alle Rechte vorbehalten Coverabbildung: Benjamin Bathurst, Quelle: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Benjamin_Bathurst.jpg (gemeinfrei) ISBN 978-3-95652-168-3 1 I Perleberg Gut zwei Jahrhunderte ist es her, als es in Perleberg – heute Kreisstadt in der Landschaft Westprignitz, nordwestlich von Berlin – zu einem der wohl geheimnisvollsten Kriminalfälle der deutschen Geschichte kam, einer Affäre, die seinerzeit die Gemüter auf das Höchste erregte und für europaweite Schlagzeilen sorgte. Mehr noch: Weit über hundert Jahre blieb die Kleinstadt aufgrund jenes mysteriösen Vorfalls mit einem Nimbus des Geheimnisvollen, ja Unheimlichen umgeben. Kriminalisten, Schriftsteller, Hobbydetektive, aber auch bedeutende Historiker haben sich seitdem mit dem rätselhaften Fall auseinandergesetzt; ihre Spekulationen reichten von politisch motivierter Entführung bis hin zu Raubmord; sogar an einer übernatürlichen Erklärung des Rätsels mangelte es nicht. Auf einer annähernd ovalen Insel des Flusses Stepenitz zwängt sich die Altstadt von Perleberg mit ihren engen verwinkelten Gassen und dem urigen Kopfsteinpflaster dicht zusammen. Die Stepenitz gilt als das sauberste Gewässer Brandenburgs. Früher bestimmten Fachwerkhäuser das Stadtbild; davon sind nur noch wenige erhalten geblieben. Die Rolandfigur aber steht noch immer am Rande des Markts und blickt – das Schwert im Präsentiergriff – auf das Rathaus norddeutschen Backsteinstils mit Turm. Die Figur stammt aus dem Jahre 1546. Doch bereits 1498 wird erstmals ein Perleberger Roland erwähnt. Ein solches Standbild verkörperte, wie wir wissen, besondere Rechte; was dies allerdings speziell für Perleberg bedeutete, können wir heute nicht mehr sagen. Obwohl schon seit dem Jahre 1239 durch Stadtrecht privilegiert und von 1300 an unter dem Wohlwollen des brandenburgischen Landesherrn Mitglied der Hanse, blieb Perleberg bis ins 20. Jahrhundert Verwaltungsmittelpunkt einer eher ländlich geprägten Region, welche die Industrialisierung höchstens am Rande miterlebte. Genau 225 Jahre lang war Perleberg Garnisonstadt. Die große Kaserne, die einst vor dem Mauerring errichtet wurde, ist längst in die Stadt eingewachsen. Anfang des 19. Jahrhunderts verlief die große Verkehrsstraße von Berlin nach Hamburg durch Perleberg, und in der Stadt war eine Schwadron Kürassiere kaserniert, welche einem gewissen Rittmeister Friedrich von Klitzing unterstand, der einem alteingesessenen Adelsgeschlecht Preußens entstammte. 2 Die allgemeine Stimmung unter den Bürgern von Perleberg damals war allerdings nicht die Beste. Zwar waren sie 1808 durch die so genannten Stein-Hardenbergschen Reformen der Segnung preußischer Städteordnung teilhaft geworden, jedoch hatten sie allen Grund, mit getrübten Blicken in die Zukunft zu schauen. Vor wenigen Jahren waren die preußischen Armeen bei Jena durch das Heer Napoleons vernichtend geschlagen worden; der Staat Friedrich des Großen war in Stücke zerbrochen, und der Tilsiter Frieden hatte Preußen um beinahe die Hälfte seiner einstigen Ausdehnung verkleinert. In Berlin paradierten Napoleons Regimenter, und im Land wimmelte es von französischen Spionen. Napoleon hatte befohlen, dass seine Grande Armée von den besetzten Ländern zu unterhalten sei; so kostete sein Krieg dem französischen Steuerzahler nur sehr wenig. Auf den preußischen Städten aber lagen harte Kontributionen. Wer die Feindschaft des allmächtigen Franzosenkaisers erregte, musste um Leib und Leben bangen. Preußens Gloria schien für immer der Vergangenheit anzugehören. Scheinbar noch das Beste, was dem alten Preußen blühen konnte, waren die Aussichten, ein Vasallenstaat Frankreichs zu werden. Zu dieser Zeit geriet die kleine Stadt in der Westprignitz durch die besagte mysteriöse Affäre in die Schlagzeilen der internationalen Presse. Lassen wir die geheimnisvollen Ereignisse Revue passieren. Eine merkwürdige Reisegesellschaft Es geschah an einem trüben Herbsttag, dem 25. November 1809, einem Samstag. Um die Mittagszeit hält vor dem Königlich-Preußischen Posthaus in Perleberg ein Vierspänner aus Berlin mit zwei Reisenden und einem Bediensteten. Sie steigen aus, betreten das Posthaus und bestellen frische Pferde, da sie unverzüglich nach Lenzen, der nächsten Poststation, weiterzureisen beabsichtigen. Die beiden Herren geben an, Kaufleute zu sein, ihr Ziel sei Hamburg. Der offensichtlich Vornehmere der Beiden wird mit Namen Jean Koch vorgestellt; er trägt einen kostbaren Zobelpelz; jedoch wird gleich deutlich, dass er der deutschen Sprache nicht vollends mächtig ist. Sein Gefährte, ein gewisser Herr Fischer, kommt seinem Akzent nach aus einer österreichischen Gegend. Ihr Bediensteter ist ein Mann im gesetzten Alter, bäuerlich gekleidet. 3 Nicht lange nach ihrer Ankunft scheinen die Herren ihre Pläne abrupt zu ändern. Sie bestellen die Pferde wieder ab; ihr Gepäck wird entladen. Danach begeben sie sich zum Mittagessen in den Gasthof nebenan: „Zum Weißen Schwan“. Zu erwähnen ist, dass kurz zuvor bereits eine Postkutsche mit zwei angeblich jüdischen Kaufleuten in Perleberg eingetroffen ist. Sie befinden sich auf der gleichen Route nach Lenzen und sitzen schon im „Weißen Schwan“ als Koch, Fischer und ihr Bediensteter eintreten. Die beiden Reisegesellschaften werfen sich argwöhnische Blicke zu. Schließlich ist es kurz vor 15 Uhr. Die Kaufleute haben ihr Mahl beendet, und Jean Koch eilt plötzlich in seinem teuren Zobelpelz zur Wohnung des Rittmeisters von Klitzing. Der Rittmeister hat sich erkältet und fühlt sich unpässlich; aus dem Grund ist er auch zu dieser Zeit im Hause anzutreffen. Etwa eine Stunde darauf bringt Rittmeister von Klitzing den Fremden, bewacht von zwei bewaffneten Kürassieren, zum Posthaus zurück. Koch begibt sich in den Passagierraum des Posthauses, die Kürassiere beziehen davor Posten. Zahlreiche Passanten haben dieses Schauspiel beobachtet, und sie fragen sich, was hat das zu bedeuten: Fühlt sich der vornehme Herr bedroht? Frau Schmidt, die Gemahlin des Postwagenmeisters, ist in der Zwischenzeit beordert worden, die Postkutsche der Herren zu bewachen. Doch allmählich wird sie dieser Aufgabe überdrüssig. Sie übergibt die Bewachung ihrem Sohn August. Später übernimmt das Dienstmädchen des Hauses, Fräulein Nagel, die Bewachung der Kutsche. Für 17 Uhr fordert Kaufmann Koch noch einmal frische Pferde an, bestellt diese jedoch sogleich wieder ab. Postsekretär Francke, dem die ganze Angelegenheit allmählich suspekt vorkommt, betritt zwischen 17 und 18 Uhr die Passagierstube und macht die Fremden darauf aufmerksam, dass sie hier nicht logieren können; falls sie in der Stadt zu bleiben beabsichtigen, gäbe es vor Ort gute Gasthöfe. Koch sitzt am Tisch; Papiere sind vor ihm ausgebreitet. Er antwortet dem Postsekretär, er könne das Haus im Moment nicht verlassen, da er mit seinen Schriften beschäftigt sei. Auch sein Gefährte Herr Fischer ist im Raum zugegen; er dient als Dolmetscher während der Unterredung. Kurz 4 darauf kehrt Francke in die Passagierstube zurück und teilt den Herren mit, dass im Haus nur ein Zimmer zur Übernachtung zur Verfügung stehe. Koch erklärt sich damit einverstanden und bestellt ein Abendbrot. Doch um 19 Uhr entlässt er plötzlich die Leibwache. Eine Stunde später wird Dienstmädchen Fräulein Nagel Zeugin eines sonderbaren Vorgangs: Der Deutsch sprechende Herr Fischer verbrennt im Herd des Posthauses sämtliche Papiere seines Reisegefährten Koch, darunter auch Schriften, die jener erst kurz zuvor angefertigt hat; auch Briefe und sogar versiegelte Schreiben befinden sich unter den Papieren, die Fischer dem Feuer überantwortet. Etwa zur selben Zeit bittet Koch Frau Schmidt um Schießpulver – welches man auch zufällig im Posthaus vorrätig hat – und lädt daraufhin mit Sorgfalt seine beiden Pistolen. Und von einem Moment zum anderen scheinen die Herren anderen Sinnes zu werden. Sie planen nun doch nach Hamburg aufzubrechen – und zwar unmittelbar. Sie bestellen frische Pferde. Um 21 Uhr ist die Kutsche beladen; vier Pferde sind angespannt. Der Abreise steht nun nichts mehr im Wege. Fischer hat schon im Wagen Platz genommen. Die Leute des Posthauses sind recht froh darüber, diese ihnen nicht ganz geheuer erscheinende Reisegesellschaft endlich loszuwerden. Frau Schmidt steht mit einer Laterne vor der Kutsche und wartet auf Kaufmann Koch. Vor dem Eingang des Posthauses brennen zusätzlich noch zwei Laternen, sodass die Kutsche einen dunklen Schatten legt, auf das Eckhaus gegenüber in der Heiliggeist-Straße 1. Da erscheint Kaufmann Koch. Er trägt nicht seinen Zobelpelz. Das ist sonderbar – denn er leidet offensichtlich unter dem feuchtkalten Klima. Aber seine beiden Pistolen hat er bei sich. Er läuft auf die Kutsche zu. Jedoch steigt er nicht ein. Er geht um das Gefährt herum in den Schatten, den die Postkutsche wirft – und verschwindet von einer Sekunde auf die andere, geradeso als hätte ihn der Erdboden verschluckt oder als hätte er sich in Luft aufgelöst. 5 Wo ist Kaufmann Koch abgeblieben? Da man ja im Begriff war aufzubrechen, wird sein Verschwinden sofort bemerkt. Man glaubt, Koch hätte eine dunkle Ecke aufgesucht, um ein Bedürfnis zu befriedigen, sei dabei vielleicht hingestürzt und liege hilflos auf dem Pflaster. Die Leute aus dem Posthaus, der Expedient, der Stallknecht, der Diener und auch Herr Fischer beginnen, nach dem plötzlich Verschwundenen zu suchen. Mit Laternen in der Hand und rufend suchen sie die Straßen um das Posthaus ab. Aber man findet Koch nicht. Schließlich betritt Frau Schmidt das Haus in der Heiliggeiststraße 1; vielleicht ist ja Koch dort hineingegangen. Dieses Haus hat in Perleberg keinen besonders guten Ruf. Dort wohnt Menicke, der ehemalige zweite Bürgermeister der Stadt; er gilt als Franzosenfreund. Mehr noch. Man sieht in ihm einen französischen Spion, einen Zuträger, und man hält ihn zu allem fähig. In der Stadt kann man sich nichts Arges denken, was nicht zu diesem Haus passen könnte. Neben seinem Amt ist er ein sogenannter Bauernadvokat, der das Landvolk zu Prozessen und zur Opposition gegen die Obrigkeit aufreizt. Seine Wirtschaft betrachtet man als liederlich, sein Leben als ausschweifend. Seine Töchter sind nicht gerade hässlich; vielleicht ist das der Grund, weshalb Franzosen gerne bei ihm verkehren. Zu ihrer Verwunderung trifft Frau Schmidt hier im Haus Postsekretär Francke. Er hat gegen 20 Uhr seinen Feierabend begonnen und das Posthaus verlassen. „Der Fremde wird gesucht“, beginnt Frau Schmidt. „Hält er sich vielleicht im Hause auf?“ „Nein“, antwortet der Postsekretär. Das Aufsuchen des Fremden in dem Haus wirkt auf ihn geradezu lächerlich. „Gehen Sie doch zu dem Herrn Rittmeister von Klitzing, wo Sie ihn vielleicht treffen werden.“ Doch das hält Frau Schmidt für unwahrscheinlich. Während sie das Haus verlässt, ruft der Postsekretär ihr noch hinterher: „Falls Sie wegen des Fremden etwas erfahren, dann bringen Sie mir doch bitte gleich Nachricht.“ Herr Francke wartet vergeblich auf Nachricht. Nach 22 Uhr verlässt er das Haus Heiliggeiststraße 1 und geht ins Posthaus zurück, um sich zu erkundigen, wie es um den Fremden steht. Man unterrichtet ihn, dass noch 6 immer nach ihm gesucht werde; Boten seien zu seiner Auskundschaftung in alle Gegenden der Stadt und selbst ins umgebende Land gesandt worden. Endlich – es ist nun 23 Uhr – wird der Diener zu Herrn Rittmeister von Klitzing geschickt, um den Vorfall anzuzeigen. Dieser meldet dem Offizier, dass sein Herr sich seit zwei Stunden weggeschlichen habe und nicht aufzufinden sei. Seltsamerweise scheint von Klitzing bereits über den Vorfall Bescheid zu wissen. Der Rittmeister zögert nicht lange. Er requiriert die vier Bezirksvorsteher von Perleberg und trägt ihnen auf, die nötigen Nachforschungen anzustellen. Sämtliche Ecken, Straßen und Gassen sowie alle Herbergen und Gasthäuser der Stadt werden daraufhin durchkämmt. Selbst der Fluss Stepenitz wird abgesucht. Die Aktion zieht sich hin bis in die frühen Morgenstunden – ergebnislos. Rittmeister von Klitzing gilt als ein in jeder Beziehung umsichtiger und gebildeter Herr; er erscheint weniger wie ein Frontoffizier, eher als erfahrener Verwaltungsbeamter. Gleich nachdem die Nachforschungen nach dem Verschwundenen begonnen haben, veranlasst er, dass dessen Gepäck konfisziert wird. Darunter befindet sich auch eine verschlossene Schatulle, zu welcher der Schlüssel fehlt. Das Kästchen bekommt zunächst ein Siegel aufgedrückt. Nachdem man im Gepäck des Verschwundenen keinen Schlüssel zu dieser Schatulle gefunden hat, lässt man sie, zur Feststellung des Inhalts, von einem Schlosser öffnen. Doch der Inhalt hilft nicht weiter; unter anderem finden sich: drei goldene Schnupftabaksdosen, eine kleine gelbe Dose mit Spielmarken, vier unkenntliche Silberstücke in einem gelben Beutel, Schreibutensilien, darunter ein silberner Bleistift, ferner Siegellack, eine Schere und ein Rasiermesser. Keine Anhaltspunkte über die Identität des Verschwundenen. Doch es scheint geradeso, als wüsste der Rittmeister ohnehin bereits bestens Bescheid über die Identität des Fremden. Herrn Fischer und den Diener lässt von Klitzing ins Gasthaus „Zur Goldenen Krone“ am anderen Ende der Stadt einlogieren und beordert Kürassiere zu ihrer Bewachung. Die Herren haben sich als Staatsgefangene zu betrachten, bis sich die Angelegenheit um das Verschwinden ihres Mitrei- 7 senden aufgeklärt hat. Es soll jedoch alles zu ihrer Bequemlichkeit veranlasst werden. Fischer bleibt diszipliniert die meiste Zeit auf seinem Zimmer. Der Diener dagegen hält sich häufig in der Gaststube des Hauses auf, und er wird nicht daran gehindert. Am anderen Tag ist der Rittmeister selbst verschwunden. Trotz seiner Erkältung hat er mit guten Pferden und offiziell unbekanntem Ziel die Stadt verlassen. In der Zwischenzeit läuft die Suche nach dem geheimnisvollen Fremden auf Hochtouren; der unerhörte Vorfall der letzten Nacht hat auch längst die Runde in Perleberg gemacht. Niemand in der Stadt kann sich einen Reim darauf machen, wie jener Herr von einer Sekunde auf die andere spurlos verschwinden konnte. Aber einen schwerwiegenden Verdacht hat man bereits. Leute haben beobachtet, wie der Fremde mit Wachen ins Posthaus gebracht worden ist. Das kann unmöglich ein gewöhnlicher Reisender gewesen sein. Wie auch immer, wenn an ihm tatsächlich ein Verbrechen verübt worden ist – ob nun Entführung oder gar Mord –, so ist es sehr wahrscheinlich politischen Motiven entsprungen. Und wenn sich dieser Verdacht wirklich erhärten sollte, so können nur die Schergen des Franzosenkaisers als moralische Urheber für dieses Verbrechen verantwortlich gemacht werden. Wer weiß, wer dieser Fremde in Wirklichkeit war und welch gefährliches Geheimnis ihn belastete! Gegen Abend des nächsten Tages kehrt Rittmeister von Klitzing zurück. Wo ist er gewesen? Die Bürger können diesbezüglich nur Vermutungen anstellen. Vielleicht war er im nahen Kyritz, um bei seinem Regimentskommandeur, Herrn Oberstleutnant von Bismarck, Meldung über den Vorfall in der Nacht vom 25. zum 26. November zu erstatten. Oder war der Rittmeister gar bis nach Berlin gereist, um sich Verhaltensmaßregeln bezüglich dieses mysteriösen Falls einzuholen? Mit guten Pferden wäre eine solche Reise durchaus in eineinhalb Tagen zu schaffen gewesen. Letzteres erscheint den Bürgern schließlich auch als am wahrscheinlichsten. Zumal am 1. Dezember, also vier Tage nach der Reise des Rittmeisters an denselben seitens des Landesdirektors der Prignitz, Herrn von Rohr, der Befehl ergeht, dass, „wie es höheren Orts gewünscht werde“, sich 8 alleine der Rittmeister und das Militär um das Verschwinden des Kaufmanns Koch zu kümmern haben; dabei müsse jegliche Publizität vermieden werden. Warum? Die Öffentlichkeit jedenfalls fühlte sich durch diese Geheimniskrämerei in ihrem Verdacht, hinter der ganzen Angelegenheit verberge sich eine politische Intrige, nur bestätigt. Über Wochen wurde jede Erwähnung des Vorfalls von Perleberg, wo immer auch eine solche Meldung in einer Zeitung erscheinen sollte, von der preußischen Zensur gestrichen. Dem Magistrat in Perleberg waren weitgehend die Hände gebunden; seine Aktivität, was die Nachforschung nach dem Verschwundenen betraf, beschränkte sich auf das städtische Territorium und das unmittelbare Umland. Alles Weitere blieb der militärischen Behörde vorbehalten. Die Vernehmungen Es war in der Zwischenzeit nur zu offensichtlich, dass Rittmeister von Klitzing tatsächlich mehr über die wahre Identität des Kaufmanns Koch wusste als er zugab – oder zugeben durfte. Die Stadtbehörden empfanden es als unerträglich, dass sie in dieser Affäre derart eingeschränkt waren. Obwohl ihnen bewusst war, dass man höheren Orts Vorsicht in dieser Angelegenheit wünschte, ersuchten sie den Rittmeister, ihnen den wahren Namen des Fremden anzugeben und Näheres über dessen Person mitzuteilen. Am 8. Dezember schrieb ihnen von Klitzing, er werde über den Kaufmann Koch Mitteilungen geben, wenn die Ermächtigung dazu seitens der Oberbehörden vorliege. Endlich, am 9. Dezember, kam es in Gegenwart des Rittmeisters am Stadtgericht zur Vernehmung des Kaufmanns Fischer, des Dieners und einiger Zeugen. Über den verschwundenen Kaufmann Koch wurde folgende Beschreibung zu Protokoll gegeben: „Groß, schlank, kurz geschnittene Haare, glattes Gesicht, regelmäßige Nase, kleiner Mund, kleiner Stutzbart, gesunde Gesichtsfarbe, äußerst freundliches Aussehen, hübscher Mann“. Fischer sagte aus, er werde zu Weihnachten 30 Jahre alt, er sei katholisch, gebürtig in Prag, von Beruf Kaufmann, seine Eltern seien Handelsleute. Seinen Freund und Reisegenossen Koch habe er bei Handelsgeschäften in Wien in dem bekannten Hause Arnstein & Co. kennengelernt. Andere kaufmännische Geschäfte hätten ihn nach Ungarn geführt und dort 9 habe er die Bekanntschaft mit Koch erneuert. Sie hätten beide vorgehabt, nach Hamburg zu reisen, und Koch sei geneigt gewesen, ihn in seinem Wagen mitzunehmen. Kaufmann Koch hätte verhältnismäßig wenig Geld mit sich geführt. Doch in Hamburg erwartete er, nach eigenen Angaben, eine größere Summe. Mit Fischer hätte er vereinbart, dass dieser ihm, wenn es nötig werden würde, unterwegs finanziell aushelfen sollte. Während der Reise hätten Fischer und Koch sich lediglich über kaufmännische Sachen unterhalten. Über ihre beiderseitigen Pläne in Hamburg sei nicht gesprochen worden. Weiter sagte Fischer aus, dass nach ihrer Ankunft in Perleberg Herr Koch schwankend geworden sei, ob er weiterreisen solle. Er selbst sei zwar gleichberechtigter und gleich zahlender Reisegefährte gewesen und habe weiterreisen wollen, habe sich aber zu den Plänen des Herrn Koch, an dem er früher nichts Auffallendes bemerken konnte, ruhig verhalten. Der Diener wurde als nächster Zeuge vernommen. Als Namen gab er Nikolaus Hilbert an, Alter 42 Jahre, katholisch, aus dem Luxemburgischen stammend, Eltern Bauersleute. Hilbert unterzeichnete das Protokoll mit drei Kreuzen. Darauf gab es keinen Grund, Kaufmann Fischer länger festzuhalten. Am Tag danach verließ er Perleberg. Diener Hilbert blieb, um bei der Aufklärung des Falls mitzuhelfen. Später soll er von Perleberg zur rund 15 Kilometer entfernten Elbe gewandert sein und den Fluss überquert haben. Von da an verliert sich seine Spur. Auch die erste Verhaftung hatte es bereits gegeben: August Schmidt, der Sohn des Postwagenmeisters. Er wurde des Diebstahls jenes kostbaren Zobelpelzes von Kaufmann Koch verdächtigt. Als man das Gepäck des verschwundenen Fremden konfisziert hatte, musste man feststellen, dass jener Pelz fehlte. Kurz bevor Rittmeister von Klitzing am 26. November die Stadt verließ, beauftragte er die vier Bezirksvorsteher, die Herrn Pfützenreuter, Wendt, Schulze und Teltow, die gemäß der neuen Städteordnung von 1808 in Zusammenarbeit mit dem Bürgermeister die städtische Polizei ausübten, nach dem Pelz zu forschen. Die Bezirksvorsteher vernahmen in dieser Angelegenheit den Diener Nikolaus Hilbert. Als aber von Klitzing am 27. November zurückkehrte, brauste er 10