Das Mysterium von Perleberg

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Das Mysterium von Perleberg
Franz Bätz
Das Mysterium von Perleberg
Ein Diplomat löst sich in Luft auf
Ancient Booklets – eBook
Ancient Mail Verlag Werner Betz
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ISBN 978-3-95652-168-3
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I
Perleberg
Gut zwei Jahrhunderte ist es her, als es in Perleberg – heute Kreisstadt
in der Landschaft Westprignitz, nordwestlich von Berlin – zu einem der
wohl geheimnisvollsten Kriminalfälle der deutschen Geschichte kam, einer
Affäre, die seinerzeit die Gemüter auf das Höchste erregte und für europaweite Schlagzeilen sorgte. Mehr noch: Weit über hundert Jahre blieb die
Kleinstadt aufgrund jenes mysteriösen Vorfalls mit einem Nimbus des Geheimnisvollen, ja Unheimlichen umgeben. Kriminalisten, Schriftsteller,
Hobbydetektive, aber auch bedeutende Historiker haben sich seitdem mit
dem rätselhaften Fall auseinandergesetzt; ihre Spekulationen reichten von
politisch motivierter Entführung bis hin zu Raubmord; sogar an einer übernatürlichen Erklärung des Rätsels mangelte es nicht.
Auf einer annähernd ovalen Insel des Flusses Stepenitz zwängt sich die
Altstadt von Perleberg mit ihren engen verwinkelten Gassen und dem urigen Kopfsteinpflaster dicht zusammen. Die Stepenitz gilt als das sauberste
Gewässer Brandenburgs. Früher bestimmten Fachwerkhäuser das Stadtbild; davon sind nur noch wenige erhalten geblieben. Die Rolandfigur aber
steht noch immer am Rande des Markts und blickt – das Schwert im Präsentiergriff – auf das Rathaus norddeutschen Backsteinstils mit Turm. Die
Figur stammt aus dem Jahre 1546. Doch bereits 1498 wird erstmals ein Perleberger Roland erwähnt. Ein solches Standbild verkörperte, wie wir wissen, besondere Rechte; was dies allerdings speziell für Perleberg bedeutete,
können wir heute nicht mehr sagen. Obwohl schon seit dem Jahre 1239
durch Stadtrecht privilegiert und von 1300 an unter dem Wohlwollen des
brandenburgischen Landesherrn Mitglied der Hanse, blieb Perleberg bis
ins 20. Jahrhundert Verwaltungsmittelpunkt einer eher ländlich geprägten
Region, welche die Industrialisierung höchstens am Rande miterlebte.
Genau 225 Jahre lang war Perleberg Garnisonstadt. Die große Kaserne,
die einst vor dem Mauerring errichtet wurde, ist längst in die Stadt eingewachsen. Anfang des 19. Jahrhunderts verlief die große Verkehrsstraße von
Berlin nach Hamburg durch Perleberg, und in der Stadt war eine Schwadron Kürassiere kaserniert, welche einem gewissen Rittmeister Friedrich
von Klitzing unterstand, der einem alteingesessenen Adelsgeschlecht Preußens entstammte.
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Die allgemeine Stimmung unter den Bürgern von Perleberg damals war
allerdings nicht die Beste. Zwar waren sie 1808 durch die so genannten
Stein-Hardenbergschen Reformen der Segnung preußischer Städteordnung teilhaft geworden, jedoch hatten sie allen Grund, mit getrübten Blicken in die Zukunft zu schauen. Vor wenigen Jahren waren die preußischen Armeen bei Jena durch das Heer Napoleons vernichtend geschlagen
worden; der Staat Friedrich des Großen war in Stücke zerbrochen, und der
Tilsiter Frieden hatte Preußen um beinahe die Hälfte seiner einstigen Ausdehnung verkleinert. In Berlin paradierten Napoleons Regimenter, und im
Land wimmelte es von französischen Spionen. Napoleon hatte befohlen,
dass seine Grande Armée von den besetzten Ländern zu unterhalten sei; so
kostete sein Krieg dem französischen Steuerzahler nur sehr wenig. Auf den
preußischen Städten aber lagen harte Kontributionen. Wer die Feindschaft
des allmächtigen Franzosenkaisers erregte, musste um Leib und Leben
bangen. Preußens Gloria schien für immer der Vergangenheit anzugehören. Scheinbar noch das Beste, was dem alten Preußen blühen konnte, waren die Aussichten, ein Vasallenstaat Frankreichs zu werden.
Zu dieser Zeit geriet die kleine Stadt in der Westprignitz durch die besagte mysteriöse Affäre in die Schlagzeilen der internationalen Presse. Lassen wir die geheimnisvollen Ereignisse Revue passieren.
Eine merkwürdige Reisegesellschaft
Es geschah an einem trüben Herbsttag, dem 25. November 1809, einem
Samstag. Um die Mittagszeit hält vor dem Königlich-Preußischen Posthaus
in Perleberg ein Vierspänner aus Berlin mit zwei Reisenden und einem Bediensteten. Sie steigen aus, betreten das Posthaus und bestellen frische
Pferde, da sie unverzüglich nach Lenzen, der nächsten Poststation, weiterzureisen beabsichtigen. Die beiden Herren geben an, Kaufleute zu sein, ihr
Ziel sei Hamburg. Der offensichtlich Vornehmere der Beiden wird mit Namen Jean Koch vorgestellt; er trägt einen kostbaren Zobelpelz; jedoch wird
gleich deutlich, dass er der deutschen Sprache nicht vollends mächtig ist.
Sein Gefährte, ein gewisser Herr Fischer, kommt seinem Akzent nach aus
einer österreichischen Gegend. Ihr Bediensteter ist ein Mann im gesetzten
Alter, bäuerlich gekleidet.
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Nicht lange nach ihrer Ankunft scheinen die Herren ihre Pläne abrupt
zu ändern. Sie bestellen die Pferde wieder ab; ihr Gepäck wird entladen.
Danach begeben sie sich zum Mittagessen in den Gasthof nebenan: „Zum
Weißen Schwan“.
Zu erwähnen ist, dass kurz zuvor bereits eine Postkutsche mit zwei angeblich jüdischen Kaufleuten in Perleberg eingetroffen ist. Sie befinden sich
auf der gleichen Route nach Lenzen und sitzen schon im „Weißen Schwan“
als Koch, Fischer und ihr Bediensteter eintreten. Die beiden Reisegesellschaften werfen sich argwöhnische Blicke zu.
Schließlich ist es kurz vor 15 Uhr. Die Kaufleute haben ihr Mahl beendet, und Jean Koch eilt plötzlich in seinem teuren Zobelpelz zur Wohnung
des Rittmeisters von Klitzing. Der Rittmeister hat sich erkältet und fühlt
sich unpässlich; aus dem Grund ist er auch zu dieser Zeit im Hause anzutreffen.
Etwa eine Stunde darauf bringt Rittmeister von Klitzing den Fremden,
bewacht von zwei bewaffneten Kürassieren, zum Posthaus zurück. Koch
begibt sich in den Passagierraum des Posthauses, die Kürassiere beziehen
davor Posten. Zahlreiche Passanten haben dieses Schauspiel beobachtet,
und sie fragen sich, was hat das zu bedeuten: Fühlt sich der vornehme Herr
bedroht?
Frau Schmidt, die Gemahlin des Postwagenmeisters, ist in der Zwischenzeit beordert worden, die Postkutsche der Herren zu bewachen. Doch
allmählich wird sie dieser Aufgabe überdrüssig. Sie übergibt die Bewachung ihrem Sohn August. Später übernimmt das Dienstmädchen des
Hauses, Fräulein Nagel, die Bewachung der Kutsche.
Für 17 Uhr fordert Kaufmann Koch noch einmal frische Pferde an, bestellt diese jedoch sogleich wieder ab. Postsekretär Francke, dem die ganze
Angelegenheit allmählich suspekt vorkommt, betritt zwischen 17 und 18
Uhr die Passagierstube und macht die Fremden darauf aufmerksam, dass
sie hier nicht logieren können; falls sie in der Stadt zu bleiben beabsichtigen, gäbe es vor Ort gute Gasthöfe.
Koch sitzt am Tisch; Papiere sind vor ihm ausgebreitet. Er antwortet
dem Postsekretär, er könne das Haus im Moment nicht verlassen, da er mit
seinen Schriften beschäftigt sei. Auch sein Gefährte Herr Fischer ist im
Raum zugegen; er dient als Dolmetscher während der Unterredung. Kurz
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darauf kehrt Francke in die Passagierstube zurück und teilt den Herren mit,
dass im Haus nur ein Zimmer zur Übernachtung zur Verfügung stehe.
Koch erklärt sich damit einverstanden und bestellt ein Abendbrot.
Doch um 19 Uhr entlässt er plötzlich die Leibwache. Eine Stunde später
wird Dienstmädchen Fräulein Nagel Zeugin eines sonderbaren Vorgangs:
Der Deutsch sprechende Herr Fischer verbrennt im Herd des Posthauses
sämtliche Papiere seines Reisegefährten Koch, darunter auch Schriften, die
jener erst kurz zuvor angefertigt hat; auch Briefe und sogar versiegelte
Schreiben befinden sich unter den Papieren, die Fischer dem Feuer überantwortet. Etwa zur selben Zeit bittet Koch Frau Schmidt um Schießpulver
– welches man auch zufällig im Posthaus vorrätig hat – und lädt daraufhin
mit Sorgfalt seine beiden Pistolen.
Und von einem Moment zum anderen scheinen die Herren anderen Sinnes zu werden. Sie planen nun doch nach Hamburg aufzubrechen – und
zwar unmittelbar. Sie bestellen frische Pferde.
Um 21 Uhr ist die Kutsche beladen; vier Pferde sind angespannt. Der
Abreise steht nun nichts mehr im Wege. Fischer hat schon im Wagen Platz
genommen. Die Leute des Posthauses sind recht froh darüber, diese ihnen
nicht ganz geheuer erscheinende Reisegesellschaft endlich loszuwerden.
Frau Schmidt steht mit einer Laterne vor der Kutsche und wartet auf Kaufmann Koch. Vor dem Eingang des Posthauses brennen zusätzlich noch
zwei Laternen, sodass die Kutsche einen dunklen Schatten legt, auf das
Eckhaus gegenüber in der Heiliggeist-Straße 1.
Da erscheint Kaufmann Koch. Er trägt nicht seinen Zobelpelz. Das ist
sonderbar – denn er leidet offensichtlich unter dem feuchtkalten Klima.
Aber seine beiden Pistolen hat er bei sich. Er läuft auf die Kutsche zu. Jedoch steigt er nicht ein. Er geht um das Gefährt herum in den Schatten, den
die Postkutsche wirft – und verschwindet von einer Sekunde auf die andere, geradeso als hätte ihn der Erdboden verschluckt oder als hätte er sich
in Luft aufgelöst.
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Wo ist Kaufmann Koch abgeblieben?
Da man ja im Begriff war aufzubrechen, wird sein Verschwinden sofort
bemerkt. Man glaubt, Koch hätte eine dunkle Ecke aufgesucht, um ein Bedürfnis zu befriedigen, sei dabei vielleicht hingestürzt und liege hilflos auf
dem Pflaster. Die Leute aus dem Posthaus, der Expedient, der Stallknecht,
der Diener und auch Herr Fischer beginnen, nach dem plötzlich Verschwundenen zu suchen. Mit Laternen in der Hand und rufend suchen sie
die Straßen um das Posthaus ab. Aber man findet Koch nicht.
Schließlich betritt Frau Schmidt das Haus in der Heiliggeiststraße 1;
vielleicht ist ja Koch dort hineingegangen.
Dieses Haus hat in Perleberg keinen besonders guten Ruf. Dort wohnt
Menicke, der ehemalige zweite Bürgermeister der Stadt; er gilt als Franzosenfreund. Mehr noch. Man sieht in ihm einen französischen Spion, einen
Zuträger, und man hält ihn zu allem fähig. In der Stadt kann man sich
nichts Arges denken, was nicht zu diesem Haus passen könnte. Neben seinem Amt ist er ein sogenannter Bauernadvokat, der das Landvolk zu Prozessen und zur Opposition gegen die Obrigkeit aufreizt. Seine Wirtschaft
betrachtet man als liederlich, sein Leben als ausschweifend. Seine Töchter
sind nicht gerade hässlich; vielleicht ist das der Grund, weshalb Franzosen
gerne bei ihm verkehren.
Zu ihrer Verwunderung trifft Frau Schmidt hier im Haus Postsekretär
Francke. Er hat gegen 20 Uhr seinen Feierabend begonnen und das Posthaus verlassen.
„Der Fremde wird gesucht“, beginnt Frau Schmidt. „Hält er sich vielleicht
im Hause auf?“
„Nein“, antwortet der Postsekretär. Das Aufsuchen des Fremden in dem
Haus wirkt auf ihn geradezu lächerlich. „Gehen Sie doch zu dem Herrn Rittmeister von Klitzing, wo Sie ihn vielleicht treffen werden.“
Doch das hält Frau Schmidt für unwahrscheinlich. Während sie das
Haus verlässt, ruft der Postsekretär ihr noch hinterher: „Falls Sie wegen des
Fremden etwas erfahren, dann bringen Sie mir doch bitte gleich Nachricht.“
Herr Francke wartet vergeblich auf Nachricht. Nach 22 Uhr verlässt er
das Haus Heiliggeiststraße 1 und geht ins Posthaus zurück, um sich zu erkundigen, wie es um den Fremden steht. Man unterrichtet ihn, dass noch
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immer nach ihm gesucht werde; Boten seien zu seiner Auskundschaftung
in alle Gegenden der Stadt und selbst ins umgebende Land gesandt worden.
Endlich – es ist nun 23 Uhr – wird der Diener zu Herrn Rittmeister von
Klitzing geschickt, um den Vorfall anzuzeigen. Dieser meldet dem Offizier,
dass sein Herr sich seit zwei Stunden weggeschlichen habe und nicht aufzufinden sei. Seltsamerweise scheint von Klitzing bereits über den Vorfall
Bescheid zu wissen.
Der Rittmeister zögert nicht lange. Er requiriert die vier Bezirksvorsteher von Perleberg und trägt ihnen auf, die nötigen Nachforschungen anzustellen. Sämtliche Ecken, Straßen und Gassen sowie alle Herbergen und
Gasthäuser der Stadt werden daraufhin durchkämmt. Selbst der Fluss
Stepenitz wird abgesucht. Die Aktion zieht sich hin bis in die frühen Morgenstunden – ergebnislos.
Rittmeister von Klitzing gilt als ein in jeder Beziehung umsichtiger und
gebildeter Herr; er erscheint weniger wie ein Frontoffizier, eher als erfahrener Verwaltungsbeamter. Gleich nachdem die Nachforschungen nach
dem Verschwundenen begonnen haben, veranlasst er, dass dessen Gepäck
konfisziert wird. Darunter befindet sich auch eine verschlossene Schatulle,
zu welcher der Schlüssel fehlt. Das Kästchen bekommt zunächst ein Siegel
aufgedrückt.
Nachdem man im Gepäck des Verschwundenen keinen Schlüssel zu
dieser Schatulle gefunden hat, lässt man sie, zur Feststellung des Inhalts,
von einem Schlosser öffnen. Doch der Inhalt hilft nicht weiter; unter anderem finden sich: drei goldene Schnupftabaksdosen, eine kleine gelbe Dose
mit Spielmarken, vier unkenntliche Silberstücke in einem gelben Beutel,
Schreibutensilien, darunter ein silberner Bleistift, ferner Siegellack, eine
Schere und ein Rasiermesser. Keine Anhaltspunkte über die Identität des
Verschwundenen. Doch es scheint geradeso, als wüsste der Rittmeister ohnehin bereits bestens Bescheid über die Identität des Fremden.
Herrn Fischer und den Diener lässt von Klitzing ins Gasthaus „Zur Goldenen Krone“ am anderen Ende der Stadt einlogieren und beordert Kürassiere zu ihrer Bewachung. Die Herren haben sich als Staatsgefangene zu
betrachten, bis sich die Angelegenheit um das Verschwinden ihres Mitrei-
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senden aufgeklärt hat. Es soll jedoch alles zu ihrer Bequemlichkeit veranlasst werden. Fischer bleibt diszipliniert die meiste Zeit auf seinem Zimmer. Der Diener dagegen hält sich häufig in der Gaststube des Hauses auf,
und er wird nicht daran gehindert.
Am anderen Tag ist der Rittmeister selbst verschwunden. Trotz seiner
Erkältung hat er mit guten Pferden und offiziell unbekanntem Ziel die
Stadt verlassen.
In der Zwischenzeit läuft die Suche nach dem geheimnisvollen Fremden
auf Hochtouren; der unerhörte Vorfall der letzten Nacht hat auch längst
die Runde in Perleberg gemacht. Niemand in der Stadt kann sich einen
Reim darauf machen, wie jener Herr von einer Sekunde auf die andere
spurlos verschwinden konnte. Aber einen schwerwiegenden Verdacht hat
man bereits.
Leute haben beobachtet, wie der Fremde mit Wachen ins Posthaus gebracht worden ist. Das kann unmöglich ein gewöhnlicher Reisender gewesen sein. Wie auch immer, wenn an ihm tatsächlich ein Verbrechen verübt
worden ist – ob nun Entführung oder gar Mord –, so ist es sehr wahrscheinlich politischen Motiven entsprungen. Und wenn sich dieser Verdacht
wirklich erhärten sollte, so können nur die Schergen des Franzosenkaisers
als moralische Urheber für dieses Verbrechen verantwortlich gemacht werden. Wer weiß, wer dieser Fremde in Wirklichkeit war und welch gefährliches Geheimnis ihn belastete!
Gegen Abend des nächsten Tages kehrt Rittmeister von Klitzing zurück.
Wo ist er gewesen? Die Bürger können diesbezüglich nur Vermutungen
anstellen. Vielleicht war er im nahen Kyritz, um bei seinem Regimentskommandeur, Herrn Oberstleutnant von Bismarck, Meldung über den Vorfall
in der Nacht vom 25. zum 26. November zu erstatten.
Oder war der Rittmeister gar bis nach Berlin gereist, um sich Verhaltensmaßregeln bezüglich dieses mysteriösen Falls einzuholen? Mit guten
Pferden wäre eine solche Reise durchaus in eineinhalb Tagen zu schaffen
gewesen.
Letzteres erscheint den Bürgern schließlich auch als am wahrscheinlichsten. Zumal am 1. Dezember, also vier Tage nach der Reise des Rittmeisters an denselben seitens des Landesdirektors der Prignitz, Herrn von
Rohr, der Befehl ergeht, dass, „wie es höheren Orts gewünscht werde“, sich
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alleine der Rittmeister und das Militär um das Verschwinden des Kaufmanns Koch zu kümmern haben; dabei müsse jegliche Publizität vermieden werden. Warum?
Die Öffentlichkeit jedenfalls fühlte sich durch diese Geheimniskrämerei
in ihrem Verdacht, hinter der ganzen Angelegenheit verberge sich eine politische Intrige, nur bestätigt. Über Wochen wurde jede Erwähnung des
Vorfalls von Perleberg, wo immer auch eine solche Meldung in einer Zeitung erscheinen sollte, von der preußischen Zensur gestrichen. Dem Magistrat in Perleberg waren weitgehend die Hände gebunden; seine Aktivität, was die Nachforschung nach dem Verschwundenen betraf, beschränkte sich auf das städtische Territorium und das unmittelbare Umland. Alles Weitere blieb der militärischen Behörde vorbehalten.
Die Vernehmungen
Es war in der Zwischenzeit nur zu offensichtlich, dass Rittmeister von
Klitzing tatsächlich mehr über die wahre Identität des Kaufmanns Koch
wusste als er zugab – oder zugeben durfte. Die Stadtbehörden empfanden
es als unerträglich, dass sie in dieser Affäre derart eingeschränkt waren.
Obwohl ihnen bewusst war, dass man höheren Orts Vorsicht in dieser Angelegenheit wünschte, ersuchten sie den Rittmeister, ihnen den wahren Namen des Fremden anzugeben und Näheres über dessen Person mitzuteilen.
Am 8. Dezember schrieb ihnen von Klitzing, er werde über den Kaufmann
Koch Mitteilungen geben, wenn die Ermächtigung dazu seitens der Oberbehörden vorliege.
Endlich, am 9. Dezember, kam es in Gegenwart des Rittmeisters am
Stadtgericht zur Vernehmung des Kaufmanns Fischer, des Dieners und einiger Zeugen. Über den verschwundenen Kaufmann Koch wurde folgende
Beschreibung zu Protokoll gegeben: „Groß, schlank, kurz geschnittene Haare,
glattes Gesicht, regelmäßige Nase, kleiner Mund, kleiner Stutzbart, gesunde Gesichtsfarbe, äußerst freundliches Aussehen, hübscher Mann“.
Fischer sagte aus, er werde zu Weihnachten 30 Jahre alt, er sei katholisch, gebürtig in Prag, von Beruf Kaufmann, seine Eltern seien Handelsleute. Seinen Freund und Reisegenossen Koch habe er bei Handelsgeschäften in Wien in dem bekannten Hause Arnstein & Co. kennengelernt. Andere kaufmännische Geschäfte hätten ihn nach Ungarn geführt und dort
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habe er die Bekanntschaft mit Koch erneuert. Sie hätten beide vorgehabt,
nach Hamburg zu reisen, und Koch sei geneigt gewesen, ihn in seinem Wagen mitzunehmen.
Kaufmann Koch hätte verhältnismäßig wenig Geld mit sich geführt.
Doch in Hamburg erwartete er, nach eigenen Angaben, eine größere
Summe. Mit Fischer hätte er vereinbart, dass dieser ihm, wenn es nötig werden würde, unterwegs finanziell aushelfen sollte. Während der Reise hätten Fischer und Koch sich lediglich über kaufmännische Sachen unterhalten. Über ihre beiderseitigen Pläne in Hamburg sei nicht gesprochen worden. Weiter sagte Fischer aus, dass nach ihrer Ankunft in Perleberg Herr
Koch schwankend geworden sei, ob er weiterreisen solle. Er selbst sei zwar
gleichberechtigter und gleich zahlender Reisegefährte gewesen und habe
weiterreisen wollen, habe sich aber zu den Plänen des Herrn Koch, an dem
er früher nichts Auffallendes bemerken konnte, ruhig verhalten.
Der Diener wurde als nächster Zeuge vernommen. Als Namen gab er
Nikolaus Hilbert an, Alter 42 Jahre, katholisch, aus dem Luxemburgischen
stammend, Eltern Bauersleute. Hilbert unterzeichnete das Protokoll mit
drei Kreuzen.
Darauf gab es keinen Grund, Kaufmann Fischer länger festzuhalten.
Am Tag danach verließ er Perleberg. Diener Hilbert blieb, um bei der Aufklärung des Falls mitzuhelfen. Später soll er von Perleberg zur rund 15 Kilometer entfernten Elbe gewandert sein und den Fluss überquert haben.
Von da an verliert sich seine Spur.
Auch die erste Verhaftung hatte es bereits gegeben: August Schmidt,
der Sohn des Postwagenmeisters. Er wurde des Diebstahls jenes kostbaren
Zobelpelzes von Kaufmann Koch verdächtigt.
Als man das Gepäck des verschwundenen Fremden konfisziert hatte,
musste man feststellen, dass jener Pelz fehlte. Kurz bevor Rittmeister von
Klitzing am 26. November die Stadt verließ, beauftragte er die vier Bezirksvorsteher, die Herrn Pfützenreuter, Wendt, Schulze und Teltow, die gemäß
der neuen Städteordnung von 1808 in Zusammenarbeit mit dem Bürgermeister die städtische Polizei ausübten, nach dem Pelz zu forschen. Die Bezirksvorsteher vernahmen in dieser Angelegenheit den Diener Nikolaus
Hilbert. Als aber von Klitzing am 27. November zurückkehrte, brauste er
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