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Rechtsfreies Libyen? Ein letztes Mal Scientology Sandinistisches Erbe Ein Verfassungskonvent wird gewählt, doch ob er Demokratie bringt, ist offen. Seite 3 Sektenexpertin Ursula Caberta im Gespräch über ihr neues Buch. Seite 6 Janett Castillo zum Feminismus in Nicaragua. Seite 10 Foto: Imago/Schöning Foto: AFP/Elmer Martinez Dienstag, 25. Februar 2014 69. Jahrgang/Nr. 47 Berlinausgabe 1,70 € www.neues-deutschland.de * STANDPUNKT Moralkeule Uwe Kalbe über den Wunsch der SPD, sich Edathys zu entledigen Die SPD wäre Sebastian Edathy zu gern los. Na gut, welcher Koalitionär freut sich schon über eine Regierungskrise. Allein: Der Wunsch der Parteispitze erzeugt nicht das Bild einer reifen, 150 Jahre alten, sondern das einer pubertären Partei, die glaubt, missliebige Geschichte(n) per Beschluss ungeschehen machen zu können. Das Parteiordnungsverfahren ist ein zweifelhafter Versuch, sich eines Problems zu entledigen, das man zwar dank Edathy hat, ihm aber dennoch nicht recht anlasten kann. An der Edathy-Affäre ist Edathy nur bedingt schuld. Selbst wenn die Begründung gelten sollte, die Generalsekretärin Fahimi bemüht: moralisch unkorrektes Verhalten. Was wohl bedeuten soll, dass irgendein Grund her muss, da strafrechtliche Vorwürfe bisher nicht zur Verfügung stehen. Auch wenn sie nachgewiesen wären: Für sexuelle Interessen, die von der Norm abweichen, wäre der Katechismus, nicht aber das Parteistatut einer sozialdemokratischen Partei opportuner Bewertungsmaßstab. Wenn nur noch das Ziel, Edathy loszuwerden, das Parteiordnungsverfahren begründet, nicht die Verfehlung, die man ihm vorwerfen kann, dann ist eher das moralisch unkorrektes Verhalten. Im Dilemma, dem Koalitionspartner ein Opfer bringen zu müssen und zugleich keine weiteren Zugeständnisse machen zu wollen, verliert die SPD-Spitze jede Souveränität. Eine Partei, die sich nicht von Thilo Sarrazin trennen konnte, obwohl der Werte der Partei mit Füßen tritt, gibt sich plötzlich unversöhnlich. Moral wird so zur Keule. UNTEN LINKS Ihrem Wortsinne nach bezeichnet eine Tugend eine Tauglichkeit. Der deutsche Begriff entspricht dem lateinischen »virtus«, von dem sich der Virtuose herleitet. Thilo Sarrazin beispielsweise, der als Solist im Politikerorchester nicht mehr mitspielen darf, ist jetzt weltbekannt als Virtuose der Selbstvermarktung. Seine Tugend ist die Fähigkeit, mit steilem Stift stenografierte Stanzen derart zwischen zwei Buchdeckel zu klemmen, dass sie die Euro-Zeichen in den Augen von Verlagskaufleuten leuchten lassen – und sich anschließend darüber zu beschweren, dass es keine D-MarkZeichen sind. Weil das eine seltene Tugend ist, freut sich nicht nur Sarrazins Verlag, freuen sich auch Medien und Stammtische über jedes neue Buch des Virtuosen. Das jüngste, gestern erschienen, heißt »Der neue Tugendterror«. Wir haben es noch nicht gelesen und wissen deshalb nicht, was es taugt. Dem Titel nach handelt es aber davon, wie der tugendhafte Thilo die Titelseiten terrorisiert. Schlicht virtuos! mha ISSN 0323-4940 Die Gesundexperten bauen ab Zweitgrößte gesetzliche Krankenkasse schließt Servicestellen und wirft Leute raus Edathy beschwert sich erneut über Staatsanwaltschaft SPD-Vorstand leitete angekündigtes Parteiordnungsverfahren ein Foto: dpa/Christoph Schmidt Berlin. Heimlich, still und leise werden in vielen Krankenkassen seit Jahren Geschäftsstellen geschlossen, um Verwaltungskosten zu sparen. Der Barmer GEK gelang das nicht. Über den geplanten Abbau von 3500 Beschäftigten und die Schließung von 400 Geschäftsstellen berichteten am Montagmorgen Radio und Fernsehen – noch ehe die Betroffenen selbst davon erfahren hatten. Trotz weniger Beratungsstellen soll der Service besser werden, behauptet die Barmer GEK trotzig und kündigt die Besetzung ihrer Auskunftstelefone mit fachkundigem Personal, verlängerte Öffnungszeiten der verbleibenden Geschäftsstellen und mobile Mitarbeitereinsätze an. Wer’s glaubt, wird gesund. Wer nicht, kann nur hoffen, dass er bei einem Problem zu den Glücklichen gehört, die noch eine Dependance der selbst ernannten Gesundexperten um die Ecke haben. Doch was dem einen die Barmer GEK, ist dem anderen die DAK. Seit 2010 hat sie jährlich rund 1000 »Mitarbeiterkapazitäten abgebaut«, wie sie Rauschmiss und Serviceverlust mit einer gestelzten Wortkombination aus Wissenschaft und Kohlegrube ummäntelt. Derzeit hat die DAK gut 11 000 Mitarbeiter in 671 Service-Zentren. 100 davon sollen dieses Jahr schließen. Und die Techniker Krankenkasse, die der Barmer GEK im Januar 2014 den Spitzenplatz als größte gesetzliche Krankenkasse abluchste, hat ihre Geschäftszentren nach eigenen Angaben schon vor Jahren »spezialisiert«. Allen Kassen gemeinsam ist die Angst, im nächsten Jahr Zusatzbeiträge erheben zu müssen, weil sich steigende Ausgaben abzeichnen. nd Seiten 4 und 9 Berlin. Der ehemalige SPD-Bundestagsabgeordnete Sebastian Edathy hat seine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen den Leiter der Staatsanwaltschaft Hannover erweitert. »Die Ermittlungsbehörden haben bei ihrem Umgang mit Sebastian Edathy jedes Maß verloren. Zu der Missachtung der Unschuldsvermutung und der Benennung von Details aus seiner Privatsphäre kommt nunmehr die Verletzung von Dienstgeheimnissen hinzu«, erklärte Edathys Rechtsanwalt Christian Noll. Die Staatsanwaltschaft Hannover ermittelt gegen Edathy, der sein Bundestagsmandat am 7. Februar zurückgegeben hatte, wegen des Verdachts auf Besitz kinderpornografischen Materials. Anlass für die neue Beschwerde war ein Bericht der »Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung« (FAS). Darin war detailliert über Foto- und Videobestellungen Edathys bei einer kanadischen Porno-Versandfirma berichtet worden. Die »FAS« zitierte wörtlich aus einem Vermerk des Bundeskriminalamtes und nannte die Titel der Bestellungen. »Herr Edathy muss davon ausgehen, dass die Ermittlungsbehörden die vollständige Ermittlungsakte der ›Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung‹ zugänglich gemacht haben«, meinte Rechtsbeistand Noll und betonte: »Hierbei handelt es sich um eine Straftat.« Die SPD-Spitze hat unterdessen am Montag das angekündigte Parteiordnungsverfahren für einen möglichen Rauswurf ihres langjährigen Mitgliedes eingeleitet. Das Gymnasium Adolfinum in Niedersachsen teilte mit, dass Edathy nicht länger als Schulpate erwünscht sei. Während der Fall sich im politischen Berlin langsam abzukühlen beginnt, will die CSU ihn vorerst am Kochen halten. »Die Reumütigkeit, die bei internen Gesprächen von Seiten der SPD zum Ausdruck kommt, die wünsche ich mir auch in der Öffentlichkeit«, sagte Bundestags-Landesgruppenchefin Gerda Hasselfeldt. Als bislang einziger Politiker war Hans-Peter Friedrich (CSU), einst Innenund zuletzt Agrarminister, über die sogenannte Edathy-Affäre gestürzt. hei Seite 6 KURZ Troika startet Kontrollen in Athen Westen hofft auf Russlands Milliarden Ukraine beziffert Nothilfe zur Abwendung eines Staatsbankrotts auf 25,5 Milliarden Euro Nach der mit einem Umsturz erzwungenen Zuwendung der Ukraine zur EU rechnen Brüssel und Kiew die Kosten durch. Von Klaus Joachim Herrmann Die Kampagne zu den vorgezogenen Präsidentenwahlen beginnt am heutigen Dienstag, wie die Nationale Wahlkommission der Ukraine mitteilte. Doch vorerst herrschen andere Sorgen. So verwiesen ukrainische Spitzenpolitiker am Montag auf eine höchst kritische Wirtschafts- und Finanzlage – benötigt werden rasch 25,5 Milliarden Euro. Einen ersten Versuch, Russland deshalb wieder ins Boot zu bekommen, unternahm Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier. Gemeinsam mit seinem spanischen Amtskollegen José Manuel García-Margallo forderte er, dass die EU und Russland »für eine Weile außer Acht lassen, ob die Ukraine sich westlich oder östlich orientiert«. Ge- meinsam solle ein wirtschaftlicher Zusammenbruch der Ukraine verhindert werden: »Für die EU oder für Russland allein wäre die finanzielle Belastung zu groß«, gestand Steinmeier. Die Reaktion Moskaus, das die Auszahlung seines Kredites von 15 Milliarden US-Dollar angesichts des Umsturzes in Kiew auf Eis gelegt hatte, fiel abweisend aus. »Falls sich Leute, die in schwarzen Masken und mit Kalaschnikow-Sturmgewehren durch Kiew schlendern, als Regierung bezeichnen, so wird die Arbeit mit einem solchen Kabinett sehr schwierig sein«, gab Regierungschef Dmitri Medwedjew zu bedenken. Er versicherte, rechtsverbindliche Abkommen würden erfüllt. Das Verhältnis ist keines oder höchstens ein sehr schlechtes. So wurde auch der russische Botschafter in Kiew zu Konsultationen nach Moskau zurückgerufen. Keine Verbesserung ist auch von Oleg Tjagnibok zu erwarten. Der Chef der rechten Nationalistenpartei »Swoboda« schlug demonstrativ vor, die Übertragung »einiger russischer TV-Sender« in der Ukraine zeitweilig auszusetzen. Die Europäische Union zeigte sich bereit, mit der Ukraine erneut über die Unterzeichnung des »Es gibt niemanden, mit dem wir dort sprechen können.« Dmitri Medwedjew, Premier Russlands blockierten Assoziierungsabkommens zu verhandeln. Ein Sprecher der EU-Kommission schränkte jedoch ebenfalls ein, die Gespräche sollten erst mit einer neu gewählten und von der Bevölkerung legitimierten Führung aufgenommen werden. Zu Krisengesprächen mit der neuen Führung traf am Nachmit- tag die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton in Kiew ein. Die EU sei grundsätzlich zu Finanzhilfen bereit, wenn es ein Reformprogramm gebe, sagte ein Kommissionssprecher in Brüssel. IWFChefin Christine Lagarde kündigte Unterstützung unter der Bedingung an, dass es zu Wirtschaftsreformen komme. Der Osteuropa-Beauftragte der Bundesregierung, Gernot Erler (SPD), nannte als Hauptproblem, dass es noch keine handlungsfähige Regierung in Kiew gebe, mit der man über Bedingungen für Finanzhilfen reden könne: »Denn keiner wird Geld geben zum Nulltarif.« Nach dem gestürzten Präsidenten Viktor Janukowitsch lässt die neue Führung inzwischen wegen »Massenmordes« fahnden. Auch nach anderen ranghohen Amtsträgern werde unter dieser Anschuldigung gesucht. Zuletzt soll sich Janukowitsch auf einer Militärbasis auf der Halbinsel Krim aufgehalten haben. Mit Agenturen Seiten 2 und 4 Athen. Die Troika der internationalen Geldgeber hat mit neuen Kontrollen in Griechenland begonnen. Im Mittelpunkt der Überprüfungen durch die Vertreter des Internationalen Währungsfonds, der EU und der Europäischen Zentralbank stehen unter anderem die Privatisierungen und die Verwaltungsreformen. dpa/nd Mehdorn fürchtet Verspätung Potsdam. Der neue Hauptstadtflughafen kann möglicherweise erst 2016 in Betrieb gehen. Das sei bei weiteren unvorhergesehenen Ereignissen zu befürchten, schrieb Flughafenchef Hartmut Mehdorn in einem Brief an die brandenburgische Landesregierung, der dpa vorliegt. dpa/nd Seite 13 Flüchtlinge überwinden Grenze Madrid. Bei einem Ansturm auf die spanische Exklave Melilla sind am Montag etwa hundert afrikanische Flüchtlinge von Marokko aus in das EU-Gebiet gelangt. Etwa 500 Menschen hätten gemeinsam versucht, die Grenzanlagen zu überwinden, teilte die Verwaltung der Küstenstadt mit. AFP/nd Jährliches Militärmanöver Seoul. Trotz Protesten aus Nordkorea hat Südkorea am Montag seine alljährliche Militärübung mit den US-Streitkräften begonnen. An dem Manöver, das bis zum 18. April dauern soll, sind rund 12 700 Soldaten beider Länder beteiligt. AFP/nd