Rezension einer „personalisierten Kinderbibel“ - RPI
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Rezension einer „personalisierten Kinderbibel“ - RPI
„Der kleine Luis wird ans Kreuz geschlagen ...?“ Rezension einer „personalisierten Kinderbibel“ Von Daniel Schüttlöffel Wie jedes Jahr zur Weihnachtszeit verkauften sich auch im letzten Dezember Kinderbibeln besonders gut, verknüpfen sich doch die christliche Tradition und die Tradition des Schenkens in dieser besonderen Buchgattung. Um auch die jungen Leserinnen und Leser von einem Buch mit Geschichten einer ihnen oft fremd gewordenen Tradition zu begeistern, werden verschiedene Wege gegangen, z.B. die Bibel in Comicform (Rüdiger Pfeffer: „Jesus der König“ u.a.), die Bibel zum Lachen (Christopher Moore: „Die Bibel nach Biff“) – und seit einiger Zeit auch die sogenannte personalisierte Kinderbibel. Die personalisierte Kinderbibel ist eines von 28 Buchprodukten der Pegastar Company, welche sich allesamt durch die Möglichkeit der Personalisierung auszeichnen. Erhältlich sind diese Bücher über das Internet bei Lizenznehmern wie z.B. http://www.daslieblingsbuch.de oder http://www.kinderbuch.at. „Personalisierung“ meint, dass man bei der Bestellung der Kinderbibel den Namen des Kindes (z.B. Luis) angibt, der dann in die Geschichte eingewoben wird. Das bedeutet freilich nicht, dass der kleine Luis zu Weihnachten in einem Stall zur Welt kommt und schließlich ans Kreuz geschlagen wird. Vielmehr werden acht Jesusgeschichten in lockerer Folge durch eine Rahmenerzählung verbunden, in der Jesus den Problemschilderungen des kleinen Luis zuhört und mit Geschichten aus seinem Leben antwortet. Bei der Konzeption einer Kinderbibel durchläuft die Bibel notwendigerweise eine Redaktion, bei der bestimmte Texte ausgewählt und verändert und Bilder hinzugefügt werden, um die Bibel „kindgerecht“ zu machen. Diese Entscheidungen lassen die spezielle Intention des Autors und sein Verständnis der Bibel durchscheinen. Der Autor dieser Kinderbibel tut sein Verständnis in der Einleitung zur ersten Geschichte kund. Danach muss eine kindgerechte Bibel (a) als Reservoir spannender (also unterhaltender) Geschichten und (b) als Lehrbuch gestaltet werden: „Ich werde dir einige spannende und lehrreiche Geschichten aus meinem Leben und Wirken erzählen“, sagt Jesus zu Luis. „Vielleicht können sie auch dir eine Hilfe in deiner jetzigen Situation und auf deinem weiteren Weg sein.“ Luis sieht ihn erwartungsvoll an. Diese Auffassung erscheint mir in dreifacher Hinsicht fragwürdig. Erstens hebt sie an den in existenzieller Hinsicht bedenkenswerten Texten ausgerechnet den Unterhaltungswert hervor, was m.E. ein „schnelles Vergnügen“ suggeriert. Zweitens verbindet sich meine Vorstellung eines belehrenden Jesus mit einer überkommenen Zeigefinger-Pädagogik. Drittens birgt die Einführung Jesu als Erzähler die Gefahr, dass den hier dargestellten Geschichten eine unverdiente Autorität zukommt: Wenn Jesus selbst es erzählt, muss 1 es ja (historisch) war sein. Trotz dieser Bedenken will ich die „spannenden und lehrreichen“ Geschichten in Augenschein nehmen. Es sind (Titel wie abgedruckt): • Der Sturm auf dem See (Mk 4,35–41) • Die Segnung der Kinder (Mk 10,13–16) • Die Hochzeit in Kana als Zeichen (Johannes 2,1–11) • Das Beispiel vom barmherzigen Samariter (Lk 10,25–37) • Die Speisung der Viertausend (Mk 8,1–10) • Das Gleichnis vom verlorenen Sohn (Lk 15,11–32) • Das Gleichnis vom Senfkorn (Mt 13,31–32) Die Auswahl zeigt, dass der Buchtitel „Kinderbibel“ streng genommen irreführend ist, da die Bibel auf einige Jesusgeschichten reduziert wird. Das Alte Testament und mit ihm prophetische und poetische Texte fehlen völlig, und auch für das Neue Testament zentrale Texte wie die von Geburt, Tod und Auferstehung Jesu fehlen. „Jesus erzählt dir seine Geschichten“ wäre vielleicht ein treffenderer Titel. Innerhalb der Jesusgeschichten fiel die Wahl auf die bekanntesten Jesusgeschichten (von der Sturmstillung, dem barmherzigen Samariter, dem barmherzigen Vater (eine Geschichte, die in früheren Kinderbibeln als Gleichnis vom verlorenen Sohn bezeichnet wurde), von der Hochzeit in Kana und von der Speisung der Vier- bzw. Fünftausend). Hinzu tritt die für Kinderbibeln typische Geschichte von der Segnung der Kinder, in der Jesus’ besonderes Verhältnis zu den Kindern dargestellt wird, und das Gleichnis vom Senfkorn, das sich von den anderen Geschichten dadurch abhebt, dass es von sich aus nicht im Gewand einer Geschichte daherkommt sondern eher in Gestalt eines Bildes. Das Buch beginnt mit der Geschichte von der Sturmstillung, zu der Jesus sich selbst ermutigt, indem er angesichts eines idyllischen Sees, an dem er mit Luis steht, ganz unvermittelt nach der Idylle des Lebens fragt: „Jetzt ist alles friedlich und harmonisch. Aber was geschieht, wenn in unserem Leben ein Sturm auftritt?“ (S. 2) Vielversprechend wird ein symbolisches Verständnis der Geschichte vorbereitet. Im weiteren Verlauf der Erzählung wird darauf leider nicht weiter eingegangen. Die abschließende Deutung des Erzähler-Jesus ist: „Selbst in dem heftigen Sturm bestand für meine Jünger kein Grund, sich zu fürchten. Denn ich war ja bei ihnen. Meine Jünger brauchten bloß auf mich zu vertrauen.“ (S. 4) Entsprechend bestätigt Luis: „In deiner Nähe fühle ich mich ruhig und sicher.“ (S. 4) In der Illustration legt Jesus seine Hand auf Luis’ Schulter – so wird Luis’ Antwort verständlich. Zweifelhaft scheint mir, ob das lesende Kind Luis’ Sicherheit nachvollziehen und auf Jesus beziehen kann. Auf den folgenden Seiten ist es Luis, der Jesus zu weiteren Geschichten animiert. In der zweiten Geschichte z.B. beklagt er sich, dass keiner der Erwachsenen sich um ihn kümmert und sich niemand für die Sachen interessiert, die ihm großen Spaß machen. Mit der Geschichte von der Segnung der Kinder stellt Jesus klar, dass er nicht zu dieser Sorte an Kinderschicksalen desinteressierten Erwachsener gehört. (S. 7) Das hilft Luis in seinem Problem zwar nicht direkt weiter, stellt aber Jesus in ein gutes Licht und begründet das vertraut-freundschaftliche Verhältnis, das die beiden in den beiden ersten und den folgenden Geschichten pflegen. Dass sich die beiden trotz des freundschaftlichen Umgangs im wahrsten Sinne des Wortes doch nicht ganz verstehen, scheint in den folgenden Texten immer wieder durch. Kindliche Lebenswirklichkeit und Jesusgeschichte korrelieren oft nicht miteinander: In der dritten Geschichte beispielsweise problematisiert Luis, dass er auf einem Gartenfest gerne mit den anderen Kindern gespielt hätte, sich aber nicht zu fragen traute, weil er sie nicht kannte. Sogleich berichtet er von der Problemlösung: 2 „Aber dann habe ich an dich gedacht. Du hast doch auch mit vielen Menschen gesprochen, die dir zunächst völlig unbekannt waren.“ (S. 8) Diese Erinnerung animierte Luis, die Kinder doch anzusprechen – und siehe da: Er verlebte einen tollen Nachmittag. Dieses realitätsnahe Problem löst Luis für sich durch einen Vergleich mit dem gesprächsoffenen Jesus – der in sich bereits hinkt, da die Kommunikationsvoraussetzungen und -anlässe nicht vergleichbar sind. In seiner Auswahl der „Antwortgeschichte“ zeigt die Jesusfigur dieses Buches, dass er Luis’ Problem nicht wirklich verstanden hat: „Nun möchte ich dir eine Geschichte erzählen, die ebenfalls von einem großen Fest handelt.“ – Die „Hochzeit in Kana“. (S. 9) In der fünften Geschichte bedrückt es Luis, dass seine Mutter vor lauter Telefonieren keine Zeit hatte, das Bild einer Blume anzusehen, das er mühevoll für sie gemalt hatte. Bezeichnenderweise geht der Text nach der Problemschilderung so weiter: „Um Luis auf andere Gedanken zu bringen, erzählt er [Jesus] ihm von seinem Erlebnis bei der Speisung der Viertausend.“ (S. 14) Tatsächlich wird beim Lesen keine Korrelation zu Luis’ Problem erkennbar. Am Ende der Geschichte wird dennoch versucht, einen Bezug zu Luis’ Enttäuschung herzustellen: „Jesus nickt bedächtig. ‚Manchmal reichen sieben Brote für viertausend Menschen. Und manchmal genügt eine einzige schöne Zeichnung für einen Menschen. Ich glaube, dass deine Mutter jetzt Zeit hat, sich die bunte Blume anzuschauen.‘ (S. 15) Besser gelingt die Verbindung von Lebenswirklichkeit und Jesusgeschichte im „Gleichnis vom verlorenen Sohn“. In neueren Kinderbibeln wird die Formulierung „verlorener Sohn“ vermieden und stattdessen der barmherzige Vater in den Mittelpunkt gestellt. Dies geschieht – trotz des Titels – auch hier: Luis ist traurig, weil er sich mit seiner Mutter gestritten hat und dann einfach davongelaufen ist. Am Ende von Jesus’ Schilderung fragt er: „Ist der Sohn denn tatsächlich zu seinem Vater zurückgekehrt?“ (S. 17) Jesus bejaht das und hebt in seiner Antwort hervor, dass der Vater Mitleid mit dem Sohn hatte. Daraufhin läuft auch Luis schnell nach Hause. Da die Anzahl der m.E. weniger gut zusammengestellten Verbindungen zwischen Rahmenhandlung und Jesusgeschichte überwiegt, lautet mein Urteil über die Texte dieser Kinderbibel: „bedingt empfehlenswert“. Was die Illustrationen betrifft, so möchte ich nur ein paar Anmerkungen machen. (1.) Über die Jesusdarstellung kann man streiten. Dass er mit einem Bart dargestellt wird, daran habe ich mich gewöhnt. Dass dieser bis auf den Bauch reicht und in Schulterhöhe mit dem Haupthaar zusammenfällt, das hippi-mäßig bis zur Mitte des Rückens herunterhängt, geht über meine Vorstellungskraft. S. 12 3 (2.) Jede Seite ist eine Bildseite, die einen Textkasten enthält. Dieser nimmt nur einen geringen Teil der Seite ein. Diese Gewichtung bewerte ich im Hinblick auf die Zielgruppe positiv. (vgl. Anhang) (3.) Viele Bilder enthalten mehrere Ebenen: Sichtbar sind (a) die Rahmenhandlung, d.h. Jesus und Luis im Gespräch, (b) Luis’ Problemschilderung und (c) eine Szene der Jesusgeschichte. Diese Verschränkung finde ich sehr anregend, fordert sie doch dazu auf, Gegenwart und biblische Geschichte zusammenzudenken. (vgl. Anhang) (4.) „State of the Art“ ist es, Kinderbibeln so zu illustrieren, dass das Bild mehr zeigt, als das, was der Text ohnehin sagt. Eingewoben werden z.B. eine symbolische Ebene, Aktualisierungen oder Verfremdungen, die zum Nachdenken anregen. Das ist in diesem Buch leider nicht der Fall. Mose am brennenden Dornbusch. Illustration aus: Laubi, Werner/Fuchshuber, Annegret, Kinderbibel, Lahr 19984, S. 64. Auf der Homepage des Lizenznehmers http://www.das-lieblingsbuch.de wird mit folgendem Text für das Buch geworben: „In diesem lehrreichen Kinderbuch erzählt Jesus eindrucksvoll Geschichten aus seinem Leben, um dem Kind Hilfestellungen zu geben. Mit Gleichnissen aus der Bibel gibt er Ratschläge für den Umgang mit Mitmenschen. Glauben, Barmherzigkeit und der Umgang mit schwierigen Lebenssituationen werden dem Kind in leicht verständlicher Form nähergebracht. Fragen wie: Wie finde ich neue Freunde? Warum hat meine Mutter manchmal keine Zeit für mich? Was mache ich, wenn ich mal nicht mehr weiter weiss? werden in kindgerechter Form beantwortet.“ Dass diese Fragen durchaus nicht beantwortet werden, hat der kritische Durchgang durch die „Kinderbibel“ deutlich gemacht. Als Buch zum Selberlesen ist sie daher nicht empfehlenswert. Positiv ist zuletzt aber die grundsätzliche Idee anzumerken, biblische Geschichten mit einer Rahmenhandlung zu versehen, die den Bezug zur Gegenwart, insbesondere zur kindlichen Lebenswelt, erläutert. (Dieser erstmals im Januar 2006 veröffentlichte Text liegt hier in einer inhaltlich leicht überarbeiteten Version vom 6. Juli 2007 vor.) Weiterführende Links • • • Die Pegastar-Company (http://www.pegastar.com/) hat die personalisierte Kinderbibel aufgelegt. Bei den Lizenznehmern http://www.das-lieblingsbuch.de oder http://www.kinderbuch.at ist die personalisierte Kinderbibel erhältlich. Bei Keilis Kinderbücher (http://stores.ebay.de/keilis-kinderbucher) sind weitere personalisierte Kinderbücher erhältlich, darunter auch biblische Geschichten, z.B. o Jesus und die Vermehrung von Fisch und Brot o Noahs Arche 4 Anhang: Typisch illustrierte Doppelseite S. 10 5 S. 11 6