Das Braunschweigische Land in der Kaiserzeit
Transcription
Das Braunschweigische Land in der Kaiserzeit
Regenten des Herzogtums Braunschweig in der Kaiserzeit 1871-1918 Regierungszeit Regent Lebensdaten 1830/31- 1884 1884 - 1885 1885 - 1906 1907 - 1913 1913 - 1918 Herzog Wilhelm Regentschaftsrat Prinz Albrecht von Preußen Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg Herzog Ernst August und Herzogin Victoria Luise 1806 - 1884 Linke Spalte Mitte: Herzog Wilhelm Verlag v. Trackert Braunschweig Rechte Spalte Mitte: Herzog Johann Albrecht Postkarte Linke Spalte unten: Herzog Ernst August und Viktoria Luise Foto: Bildarchiv Bernhard Rechte Spalte unten: Prinz Albrecht von Preußen Radierung aus Gedenkblatt zum Einzug in Braunschweig am 2.11.1885 Text und Archiv: Manfred Gruner Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß 1837 - 1906 1857 - 1920 1887 - 1953 1892 - 1980 Postalisches aus der Kaiserzeit Von Posthaltern und Postillonen Dieses betraf in erster Linie die Postkutschenfahrten und die anderen Postfuhren. Der Posthalter stellte die Pferde und Wagen, soweit sie nicht reichseigen waren, also der Reichspost gehörten. Er war auch zuständig für Einstellung, Bekleidung und Entlohnung der Postillione. In Braunschweig besorgte dieses ab 1878 der Fuhrunternehmer Louis Fricke. Als letzte Postkutschenlinie war nur noch der Kurs von Braunschweig nach Vorsfelde geblieben. Linke Spalte oben: Die Braunschweiger Postillione 1910. Posthalter war Louis Fricke. Er stellte für das Kaiserliche Postamt Braunschweig Pferde, Wagen und die Kutscher (Postillione) Rechte Spalte Mitte: Transport der Postsendungen vom Postamt 2 am Hauptbahnhof zum Hauptpostamt in der Friedrich - Wilhelm Straße. Ein Gespann steht vor dem Postamt 2 am Westausgang des Bahnhofes. Foto: etwa um 1900 In der “Guten Alten Zeit” der Postkutschen waren es die Posthalter, die für die Kaiserliche Reichspost Pferd, Wagen und Kutscher zu stellen hatten. Linke Spalte Mitte: 1904 : Auf dem Posthof in der Friedrich-WilhelmStraße. Abfahrt zur ersten Paketzustellung (Quelle: Posthalterei Louis Fricke) Die Reichspost schloss mit den jeweiligen Fuhrunternehmern vor Ort Verträge ab, in denen alle Leistungen aufgeführt waren, die es zu erledigen gab. Diese Linie bestand bis 1895. Danach erledigte Fricke nur noch die Fahrten zu den Zweigpostanstalten im Stadtgebiet, den Transport der Postsendungen zwischen dem Hauptpostamt in der Friedrich-Wilhelm-Straße und dem Postamt 2 am Bahnhof, die Bahnhofsfahrten zum Nord- und Nordostbahnhof sowie die Paketzustellfahrten. Bei diesen begleitete ein Postschaffner das Fahrzeug. Dieser war für die Bestellung (Zustellung) der Pakete zuständig. Die Postillione wurden von den Posthaltern ausgesucht. Landpostwagen vor der Postagentur Groß-Schwülper Links: Briefträger Heinrich Bührig Mitte: Landbriefträger Weber(Kutscher) Rechts: auf dem Fahrrad Landbriefträger Albert Schaper Text und Bildarchiv: Siegmar Peschke Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Postalisches aus der Kaiserzeit griff. Postillione, die sich gut bewährten oder mindestens fünf Jahre im Dienst waren, übernahm die Reichspost. Zunächst erfolgte ihr Einsatz als fahrender Landbriefträger bei einem kleineren Postamt. Damit begann für sie die Übernahme als Beamter im Dienste der Kaiserlichen Reichspost. Während des Ersten Weltkrieges versahen auch Frauen den Dienst als Postillion in Braunschweig. Linke Spalte oben: Zur Ausstattung der Postillione gehörten Helm mit Federbusch aus schwarzen Hahnenfedern, Posthorn und Peitsche Rechte Spalte oben: Paketzustellung in Braunschweig. Im Ersten Weltkrieg versahen auch Frauen den Dienst als Postillion für die Reichspost (Quelle: Posthaltereien in Braunschweig) Sie wurden von diesen eingekleidet und auch bezahlt, sie waren also keine Postler. Es war selbstverständlich, dass die Postillione auch die Fertigkeit des Posthornblasens besitzen oder erlernen mussten. In regelmäßigen Abständen prüfte und beurteilte die Post diese Postillione. Besonders gute Musiker erhielten ein Ehrenposthorn mit eingravierten Namen des Besitzers. Auszeichnung war auch die Verleihung einer Ehrenpeitsche mit Silber- Das Ende der Postkutschenzeit Rechte Spalte Mitte: 1. Februar 1895- Ankunft der Postkutsche auf dem Hagenmarkt Quelle: 150 Jahre Briefmarke Mit der Eisenbahn kam auch das Ende der Postkutschen. Die Menschen reisten nun bequemer und schneller in den Reisezügen. Auch die Post machte sich diese neue Einrichtung bald zu ihren Diensten und beförderte ihre Sendungen in eigenen Bahnpostwagen in den Personenzügen. Linke Spalte Mitte: 1. Februar 1895: Ankunft der letzten Postkutsche von Vorsfelde kommend vor dem Restaurant Lindenhof in Gliesmarode Quelle: die letzte Postkutsche Rechte Spalte unten: Die letzte Postkutsche von Oker nach Altenau im Jahr 1912 Quelle: 150 Jahre Text und Bildarchiv: Siegmar Peschke Nächste Station war der Hagenmarkt. Viele Braunschweiger begrüßten hier die letzte Postkutsche. Von Oker nach Altenau endete diese Zeit erst im Jahre 1912. Von Harzburg nach Braunlage fuhr die Postkutsche wohl noch bis zur Eröffnung der Postbuslinie 1920. Schon lange waren die meisten von Braunschweig aus verkehrenden Postkutschenkurse weggefallen. Als letzte Linie fuhr bis zum 1.Februar 1895 der Kurs von Braunschweig nach Vorsfelde. Feierlich war der vierspännige Wagen geschmückt, als er von Wendhausen kommend in Gliesmarode eintraf. Die Postillione hatten am Helm den Federbusch, der nur bei besonderen Anlässen getragen werden durfte, so zum Geburtstag des Kaisers oder seiner Gemahlin. Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Ein kaiserzeitliches Stadtviertel in Braunschweig, Tafel 1 Rechte Spalte oben: Bremer Haus: Postkarte (o.J.) Richard Borek Verlag; abgedruckt in: G. Spies: 1000 Grüße aus Braunschweig. Hrsg. vom Städt. Museum Braunschweig, 2002 (Nr. 643) Rechte Spalte Mitte: Neobarockhäuser: Postkartenausschnitt 1905; Sammlung Wittwer (vorm. Roloff) Das östliche Ringgebiet Die Kaiser-Wilhelm-Straße (Jasperallee) Die wachsende Bevölkerungszahl Braunschweigs im Zeitalter der Industrialisierung - die Einwohnerzahl in Braunschweig war von 1875 bis 1889 um 46% gestiegen! - machte die Erschließung neuer Wohngebiete nötig. So dehnte sich auch nach Osten hin die Stadt weiter aus. Der bekannte Stadtbaurat Ludwig Winter (Rathaus, Rekonstruktion der Burg Dankwarderode) plante und baute hier nach dem Vorbild Berliner Prachtboulevards eine Straße, die ihren Namen nach dem Oberhaupt des Deutschen Reiches erhielt: die Kaiser-Wilhelm-Straße (heute: Jasperallee). Mit dieser 30 Meter breiten Straße wurde die Hauptachse für ein neues Stadtquartier geschaffen, das vor allem das Besitz- und Bildungsbürgertum der kaiserzeitlichen Gesellschaft Braunschweigs anziehen sollte. Eine aus Sandstein gemauerte Brücke über die Okerumflut verband die alte Innenstadt mit der neuen Straße. Da die Fahrbahn der Brücke nur halb so breit war wie die folgende Kaiser-Wilhelm-Straße wurde eine besondere Eingangssituation für das neue Viertel geschaffen. Die Pracht dieses „Eingangsportals“ wurde durch den 1902 enthüllten Brückenschmuck noch verstärkt. Vier in Kupfer getriebenen allegorische Frauenfiguren, Löwen auf den Eckpostamenten und je einer Kaiserkrone auf der Mitte der Geländer schmückten die Brücke. Stadtpark und Stadtparkrestaurant Linke Spalte Mitte: Kaiser-Wilhelm-Brücke Postkarte (Kopie); Sammlung Wittwer Text: Georg Wittwer, Braunschweig 2008 Abweichend von der sonstigen Bebauung ein ganzes Stück von der Straßenfront zurückgesetzt, vermittelt die Gesamtfront der Häuser den Eindruck eines großen, in klassizistischem Stil erbauten Palastes. Typisch für das „Bremer Haus“ ist im Unterschied zu Etagenwohnungen in Mehrfamilienhäusern, dass es sich um ein Reihenhaus mit einer sich über mehrere Geschosse erstreckenden Wohneinheit handelt. Die Häuser an der heutigen Jasperallee vermitteln einen Eindruck von der Architektur des Historismus und dem Repräsentationsbedürfnis des wilhelminischen Bürgertums. Bauhistorisch findet man hier nahezu alles, was der Historismus der Kaiserzeit zu bieten hat: sei es Neorenaissance (siehe obige Abb. links und rechts der Brücke), wilhelminisches Barock wie bei den Tillschen Häusern (Jasperallee Nr. 20-26; Abb. rechte Spalte unten: Neobarock; Tillsche Häuser) oder romantisierender Heimatstil (Jasperallee Nr. 41). Bauhistorisch interessant sind die „Bremer Häuser“, die von C. Uhde (1836 - 1905), dem Professor für Antike Baukunst am Collegium Carolinum und Schöpfer des Gebäudes der Technischen Hochschule, der Synagoge mit dem jüdischen Gemeindehaus und bedeutender Privatbauten, entworfen worden sind. Nicht mehr Fürstenparks oder Villengärten in Privatbesitz, sondern allen Bürgern offen stehende Parks entsprachen den neuen gesellschaftlichen Gegebenheiten des Industriezeitalters. Solche Parks in neu entstandenen Wohnvierteln für gehobene Gesellschaftsschichten gehörten zur bürgerlichen Lebenskultur der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. So wurde schon 1884 der Stadtpark in Braunschweig durch den Promenadeninspektor Kreiß geschaffen, der ein ursprünglich als herzogliche Fasanerie genutztes Waldstück in einen Park mit einem strukturierten Wegesystem und einem Schwanenteich umwandelte. Zeitgleich mit der Entstehung des Stadtparks wurde im südlichen Teil nach Plänen des Stadtbaurates Ludwig Winter eine „Wirtschaft für Spaziergänger“ errichtet, ein zweigeschossiger Fachwerkbau mit Ziegelausfachung. Wegen der großen Beliebtheit des Restaurants wurde es 1897 um zwei kurze eingeschossige Seitenflügel erweitert. Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Ein kaiserzeitliches Stadtviertel in Braunschweig, Tafel 2 Linke Spalte oben: Stadtparkrestaurant Baudenkmale in Niedersachsen. Stadt Braunschweig, Teil2 (1.2), S.103 Besonderer Blickfang des Restaurantgebäudes war und ist die lange Holzterrasse mit ihrem durchbrochenen Schnitzwerk in der Verdachung. Von hier aus hatten die damaligen Gäste den Blick auf einen großen, von Bäumen umstandenen Rasenplatz. 1907 wurde dort ein hölzerner Musikpavillon errichtet, der nach seiner Zerstörung im 2. Weltkrieg durch die heute noch vorhandene Stahlkonstruktion ersetzt wurde. Der Stadtpark mit seinem Restaurant entwickelte sich zu einem wichtigen Treffpunkt bürgerlicher Geselligkeit. Der Wasserturm auf dem Giersberg St.-Pauli-Kirche Auf dem etwa 83 m hohen Giersberg südwestlich neben der Jasperallee erhebt sich ein Wasserturm, der nach den Plänen Max Osterlohs, des damaligen Stadtbaumeisters und Stellvertreters Ludwig Winters, 1901 erbaut wurde. Der Turm mit einer Höhe von 58,70 m besitzt den für Wassertürme damals typischen konischen Schaft und einen an mittelalterliche Wehrtürme erinnernden Kopf. Mit dem von zwei Treppentürmen flankierten Vorbau aus rotem Ziegelmauerwerk, das sich von dem in Putzwerk gehaltenem Schaft deutlich abhebt, schaut der Turm nach Westen zur Stadt hin. Das Haupt des Wassergottes Poseidon (Neptun) an der Fassade weist auf die Funktion des Gebäudes hin. Die Aufgabe des Wasserturmes, der im Zusammenhang mit der neuen Wasserversorgung der Stadt durch Grundwasser entstand, lag darin, Druckschwankungen im Rohrnetz und Verbrauchsschwankungen auszugleichen. In seinem Inneren befindet sich bis heute ein Hochbehälter aus genieteten Eisenblechen, der ein Fassungsvermögen von 2000 cbm Wasser hat. Linke Spalte unten: St-Pauli-Kirche: Postkarte 1915 (Verlag Oskar Steude, Braunschweig); Sammlung Wittwer (vorm. Roloff) Rechte Spalte unten: Wasserturm: Abgedruckt in: G. Spies: 1000 Grüße aus Braunschweig. Hrsg. vom Städt. Museum Braunschweig, 2002 (Nr. 619) Text: Georg Wittwer, Braunschweig 2008 Abweichend vom traditionellen Kirchenbau wurde die Kirche nicht in Ost-West-Richtung mit Ausrichtung des Altares nach Osten, sondern in Nord-Süd-Richtung gebaut, sodass das Hauptportal von der Kaiser-Wilhelm-Straße her zugänglich war. Den 68,75m hohen Turm mit quadratischem Grundriss über dem Hauptportal zierte eine polygonale Turmhaube mit kleinen Schmucktürmchen an den vier Ecken. An den Flanken der Südseite erhoben sich Seitentürme, die das mit grün glasierten Ziegeln bedeckte Dach der Kirche ein wenig überragten. Der Anblick der Kirche veranlasste den damaligen Pastor Lagershausen zu der schwärmerischen Beschreibung, die Paulikirche erhebe sich „hoch aufragend in edler Schönheit wie eine Königin inmitten eines adligen Geschlechts“. Das Spitzdach des Glockenturms, das dieser Kirche einst ihr besonderes Gepräge gab, ist nach den Zerstörungen des Weltkrieges nicht wieder erneuert worden. Für das im Osten der Stadt Braunschweig entstandene neue Wohnquartier wurde in den Jahren 1901- 1906 eine Kirche gebaut, die St.-PauliKirche. Der neogotische Entwurf dieser Kirche stammt von Stadtbaurat Ludwig Winter. Obwohl die technische Anlage des Wasserturmes 1988 außer Betrieb genommen worden ist, ist sie grundsätzlich bis heute noch funktionstüchtig und insofern ist der Braunschweiger Wasserturm ein deutschlandweit einzigartiges Industrie-Denkmal. Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Offizier-Gefangenen-Lager Helmstedt 1914-1918 Rechte Spalte oben: Musikkapelle der Offiziere Im Stadtarchiv Helmstedt lagert ein Fotoalbum denkwürdiger Art. Es enthält zwanzig Aufnahmen in Postkartengröße, auf seinem Deckblatt ist der oben genannte Titel zu lesen. Einen erläuternden Text enthält das Bändchen nicht. Erstaunlich, dass die Firma J.G. Huch aus Braunschweig sich die Mühe machte, eine Bilderserie über gefangene Offiziere herzustellen. Für wen? Spalte links oben: Die Baracken des Gefangenenlagers Neben dem Helmstedter Theater und dem Hotel Gesundbrunnen waren 1914 mehrere Baracken aufgestellt worden. Die Einzelunterkünfte sind erstaunlich komfortabel. Weitere Fotos machen deutlich, dass offensichtlich alle Offiziere so untergebracht waren. Sie belegen auch, dass für Freizeitgestaltung gesorgt war. Es gab Billardtische, einen Chor mit Orchester, Theateraufführungen, Lesungen, Vorträge und ausgedehnte Spaziergänge. Ein Offiziers-Chor trug in polnischer Sprache weihevolle mehrstimmige Gesänge vor. Zum Schlusse sang man die polnische Nationalhymne.“ „Polens Schicksalsstunde“ nannte das Kreisblatt die am 5. November 1916 erfolgte Erhebung des russischen Teils des dreigeteilten Polen durch den deutschen und den österreichisch-ungarischen Kaiser zum Königreich. Im Verordnungsblatt für Polen wird folglich der Eintritt von Freiwilligen in die neu gegründete polnische Armee geregelt, die selbstverständlich auf deutscher Seite kämpfen sollte. Die als Angehörige der russischen Armee gefangen genommenen Offiziere wurden also aufgefordert, die Seiten zu wechseln. Offensichtlich folgten die meisten Insassen des Lagers nach und nach diesem Rufe, denn am 3.Juli 1918 berichtet das Kreisblatt: „In dem Gefangenenlager hierselbst sind am Montag 120 französische Offiziere untergebracht.“ Linke Spalte Mitte: Einzelunterkunft für Offiziere Rechte Spalte Mitte: Aufenthaltsraum mit Billardtisch Fotos: Fotobuch OffizierGefangenen-Lager Helmstedt Stadtarchiv Helmstedt Text: Rolf Owczarski Das Helmstedter Kreisblatt berichtet am 11. September 1916: „Eine bemerkenswerte Feier, wie solche selbst die alte, an Erinnerung reiche Klosterkirche in ihren Mauern noch nicht erlebt hat, fand am Mittwoch in der hiesigen Ludgeri-Kirche statt. Im Lichterglanze…zählte sie zu ihren Besuchern über hundert polnische Offiziere und deren Burschen, welche auf Bad Helmstedt interniert sind und die Erlösung ihres Vaterlandes vom russischen Joche und die Erhebung KongreßPolens zum Königreich auch kirchlich besonders feiern wollten. Von der Auflösung des Lagers erfährt man am 26. November 1918 indirekt auf demselben Wege: „BEKANNTMACHUNG! Infolge Abtransport der französischen Kriegsgfangenen in ihre Heimat sind sämtliche noch ausstehenden Rechnungen bis spätestens 28. dieses Monats dem Kommandanten einzureichen. - Putensen - Hauptmann und Kommandant des Offiziers-Gefangenen-Lagers.“ Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Das Wappen vom Haus Westendorf Nr. 13 Schöningen Von 1914 bis 1966 hing dieses Wappenschild der Herzogtümer Mecklenburg Schwerin und Strelitz im Bereich des Hauseingangs des Wohnhauses Westendorf Nr. 13 in Schöningen. Heute ist dieses ungewöhnliche Andenken Schöninger Zeitgeschichte, leider noch unrestauriert, im dortigen Heimatmuseum ausgestellt. Linke Spalte oben: Wappen Foto:Hans Rüdiger Reinecke Quelle: Heimatmuseum Schöningen W i e k a m d i e s e s Wa p p e n s c h i l d n a c h Schöningen? Mit Schreiben vom 2.Februar 1914 wurde dem Damastweber Leonhard Nickel, Westendorf 13 in Schöningen, vom Großherzoglichen MecklenburgSchwerinschen Hof Staats- und Marschall Amt obiges Wappenschild nebst folgendem Patent übersandt. Rechte Spalte Mitte: Urkunde von Johann Albrecht Herzog zu Mecklenburg Quelle:Frau Kölling Enkeltochter von Wir Johann Albrecht Herzog zu Mecklenburg bekennen hiermit, dass wir den Damastweber Leonhard Nickel in Schöningen zu unserem Hoflieferanten in Gnaden ernannt haben. Urkundlich unter unserem Handzeichen und Insiegel gegeben. Wiligrad, d. 31.Januar 1914 Johann Albrecht HzM Patent als Hoflieferant seiner Hoheit des Herzogs Johann Albrecht zu Mecklenburg für den Damastweber Leonhard Nickel in Schöningen Linke Spalte unten: Gedenkblatt Quelle:Frau Kölling Enkeltochter von Leonard Nickel Rechte Spalte unten: Leonhard Nickel Foto/Quelle:Frau Kölling Enkeltochter von Leonard Nickel Text: Hans-Rüdiger Reinecke Herzog Johann Albrecht von Mecklenburg war von 1907-1913 Regent des Herzogtums Braunschweig. Im Rahmen seiner Regentschaft besuchte er am 22.Juni 1908 die damals weit über die Grenzen des Braunschweiger Herzogtums hinaus bekannte Schöninger Damastweberei Nickel. Schon im Jahr 1870 wurden von dort Gedeckwebereien für die Tafel Wilhelms I. geliefert. Viele weitere Arbeiten gingen aus dieser Anstalt kunstgewerblichen Fleißes im Laufe der folgenden Jahre an zahlreiche Herrschafts- und Fürstenhäuser. Aufgegeben wurde der Webereibetrieb im Jahr 1945. Noch heute sind einige wertvolle Damastwebarbeiten im Besitz der Enkeltochter Leonhard Nickels, Frau Annemarie Kölling und im Rahmen einer privaten Ausstellung in ihrem Haus zu besichtigen. Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Braunschweigische Kohlenbergwerke (BKB) Rechte Spalte oben: Foto 3 Der erste Tagebau auf Grube Treue wurde im Jahre 1880 eröffnet Werkfoto BKB Über die Frühgeschichte des Kohleabbaus im Helmstedter Raum liegen nur spärliche Informationen vor. Am östlichen Ortseingang des Brunnentals, gegenüber Beendorf, soll bereits1690 Steinkohle geschürft worden sein. 1725 baute man an der Roten Mühle bei Frellstedt Braunkohle in kleinen Mengen ab. Dass direkt vor den Toren der Helmstedts Kohle liegt, ja dass die ganze Stadt auf Braunkohle steht, wusste bereits der Theologiestudent Johann Moritz Friedrich Koch. Auf der Suche nach Bodenschätzen vernachlässigte er sein Studium. Am Tanzbleek, vor den Mauern der Stadt baute er mehrere Jahre im Tiefbau Braunkohle ab. 120 000 Tonnen Braunkohle gefördert. Die technisch aufwendige Förderung erbrachte keine Gewinne, auch der erste Tagebau Trendelbusch bei Runstedt kam nicht so recht in Gang. Im benachbarten Preußen dagegen entstanden mehrere Unternehmen, die mit moderner Technik die Kohle in großem Stil in Tagebauen förderten. Die Folge war, dass qualifizierte Arbeitskräfte aus Helmstedt abwanderten. Die am 26. Januar 1873 erfolgte Gründung der Braunschweigischen Kohlenbergwerke (BKB), einer Aktiengesellschaft, gab dem Bergbau im Herzogtum die entscheidende Wende. Vor allem mit Mitteln aus den Reparationen, die die Franzosen Linke Spalte Mitte: Foto 1 Der erste Löffelbagger wurde 1911 im Tagebau Treue III in Betrieb genommen Werkfoto BKB Rechte Spalte Mitte: Foto 4 Kippapparat- ein Fortschritt im Tagebau während des 1. Weltkrieges Werkfoto BKB Linke Spalte unten: Foto 2 Brikettfabriken Treue II und IV Text: Rolf Owczarski Ärger mit den Behörden, vor allem aber mangelnde Absatzmöglichkeiten veranlassten ihn, seine Grube zu verkaufen. Man feuerte lieber mit Holz. Auch sein Nachfolger und andere Unternehmen im Bereich der Kohlenflöze zwischen Helmstedt und Oschersleben scheiterten, weil sich keine Abnehmer fanden. Erst der Bau von Eisenbahnen und die zunehmende Industrialisierung, in unserer Gegend vor allem das Entstehen von Zuckerfabriken, weckten den Bedarf an den Brennmaterialien in der Nähe. 1861 erließ die herzogliche Regierung eine Verordnung, nach der neue Fabriken nur genehmigt werden durften, wenn sie Braunkohle aus dem Helmstedter Revier nutzten. Immerhin wurden in diesem Jahr im Tiefbau nach dem verlorenen Krieg 1870/71 zahlen mussten, konnten die nötigen Investitionen vorgenommen werden. Man forcierte die Förderung der Tagebaue, die weit kostengünstiger arbeiteten als die Schächte. 1886 entstand die erste Brikettierungsanlage bei Offleben (Foto 2: Treue II Offleben), Eimerkettenbagger (Foto 3) schafften den Abraum beiseite, der Kohleabbau selbst erfolgte zunächst weiter per Hand, erst 1911 wurde der erste Löffelbagger (Foto1) eingesetzt. Ab 1896 wurde Elektrizität produziert, 1909 arbeitete die erste Dampfturbine. Elektrisch betriebene Kippanlagen (Foto 4) erleichterten die Verladung der Rohkohle. Die BKB wurden bis zum 1. Weltkrieg durch Aufkauf anderer Betriebe zum alleinigen Unternehmen für Kohleabbau im Raum der Helmstedt-Oschersleber Mulde. Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Die Essenwein-Ausmalung im Kaiserdom in Königslutter Stylgemäß Das historistische Ausstattungsprojekt im Kaiserdom zu Königslutter von August Essenwein 18871894.In den 80er Jahren des 19. Jahrhunderts stieß man bei Restaurierungsarbeiten im Kaiserdom zu Königslutter unversehens auf Reste mittelalterlicher Malereien. Aufgrund dieser Funde wurde der Entschluss zu einer umfassenden Neugestaltung des Kirchenraums gefasst. Linke Spalte: Foto: Kaiser Lothar Neubauer Restaurierungswerkstätten GmbH und mit dessen Methoden bestens vertraut war. Nach dem Tod Essenweins im Jahr 1892 übernahm Quensen die Vollendung der Ausmalungen in Querhaus und Chor. Essenweins Ziel war die Schaffung einer »stylgemäßen« Raumfassung. Indem er die Prinzipien mittelalterlicher Malerei nachahmte, wollte er dem verlorenen Original möglichst nahe kommen und deshalb die bewusst schablonenhafte, flächenbetonte und nicht naturalistische Darstellungsweise. Für die Hochwände des Mittelschiffs entwickelte er Verbildlichungen der vier Elemente und Tageszeiten. Eine Steigerung im Hinblick auf Farbigkeit, Figurenund Ornamentreichtum erfuhr das Querschiff, das an den Wänden singende und musizierende Engelschöre zeigt. Den Höhepunkt erreicht der Zyklus im Chorraum mit den Allegorien der Tugenden, dem »Himmlischen Jerusalem« im Deckengewölbe und der »Majestas Domini« in der Apsis. Die Tatsache, dass Darstellungen der beiden Stifterfiguren in das Bildprogramm des Altarraums, des Allerheiligsten, integriert sind, zeugt von der hohen Wertschätzung, die dem Kaiser und seiner Gemahlin entgegengebracht wurde. Essenwein bezog alle Flächen des Innenraums in sein Konzept ein. Wo es keine figürlichen Darstellungen geben sollte, kam eine rein ornamentale Ausschmückung zur Ausführung: die Wände und Pfeiler erhielten aufgemalte Quaderungen, Architekturdetails wie Friese, Säulen und Kapitelle farbige Fassungen. Rechte Spalte: Jesusdarstellung in der Apsis Foto: Dr. Norbert Funke Text: Dr. Norbert Funke Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland Der Auftrag für ein Ausmalungs- und Ausstattungskonzept ging an den Architekten, Bauhistoriker und Museumsdirektor August von Essenwein (18311892), der sich durch zahlreiche bedeutende Restaurierungsprojekte in Deutschland einen Namen gemacht hatte. Auf der Grundlage der freigelegten Malereien im Chor und im Westbau entwickelte Essenwein 1887 ein Ausmalungsprogramm für den gesamten Innenraum der Stiftskirche. Die Ausführung lag in den Händen des Hofmalers Adolf Quensen (1851-1911), der schon zuvor am Braunschweiger Dom unter der Leitung Essenweins tätig Obwohl wahrscheinlich nicht das gesamte Bildprogramm auf Essenwein selbst zurückgeht, lässt sich die historistische Raumfassung des Königslutterschen Kaiserdoms zu der auch die Fensterverglasungen und der Schmuckfußboden gehörten als ein Gesamtkunstwerk im Geiste Essenweins bezeichnen. Zugleich handelt es sich um ein hervorragendes Beispiel »schöpferischer Denkmalpflege« des 19. Jahrhunderts, das auch vor dem Hintergrund der Bestrebungen nach nationaler Selbstvergewisserung in der Kaiserzeit und dem Rückbezug auf das Mittelalter und mittelalterliche Kunst zu bewerten ist. © Layout: Rudolf Zehfuß Des Volkes Schule Bevor Peine zur Industriestadt heranwuchs, befand sich die bislang einzige Volksschule in der Stederdorfer Straße. Das Schulhaus hatte vier Klassenzimmer und war der zunehmenden Bevölkerungs- und Kinderzahl Peines bald nicht mehr gewachsen. 1885 wurde als erster Schulneubau die Volksschule am Windmühlenwall (später: Wallschule) errichtet. Aber auch in dem neuen Gebäude waren die Klassen mit 60-80 Schülern nach heutigen Maßstäben hoffnungslos überfüllt. Drei weitere Schulneubauten wurden in den Jahren 1894, 1901 und 1905 eingeweiht; erst nach 1900 war die Klassenstärke an der Wallschule auf durchschnittlich 43 Kinder gesunken. Linke Spalte Mitte: Wallschule Peine Knabenklasse um 1901 Stadtarchiv Peine Rechte Spalte Mitte: Auszug aus Schreib- und Lesefibel Hannover und Leipzig 1903 Stadtarchiv Peine Stadtarchiv Peine, Text aus: Gerda Valentin, Peiner Alltagsgeschichte(n) 1871-1914 Peine 1992; Auswahl: Michael Utecht; Bildnachweis: Stadtarchiv Peine Lernziel erreicht? Die Schulpflicht dauerte acht Jahre. Unterrichtet wurden Fächer wie Rechnen und Raumlehre, Deutsch, Erdkunde, Geschichte, Naturlehre (= Physik), Naturbeschreibung (= Biologie), Zeichnen, Singen, Turnen, Handarbeit, Religion und Schönschreiben. Mit 32 Wochenstunden waren die Älteren voll ausgelastet. Im Kaiserreich waren Kirche und Schule auf der Verwaltungsebene miteinander verknüpft und der kirchliche Einfluss machte sich deutlich bemerkbar. In den Volksschulen begann jeder Tag mit einem Choral und einem kurzen Gebet. In der Dienstanweisung der Lehrer war das Lernziel festgeschrieben. Sie hatten "mit allen Kräften dahin zu streben, daß die Kinder zu wahrer Gottesfurcht, sittlichem Wandel, vaterländischer Gesinnung erzogen, fleißig und sorgfältig unterrichtet werden". Stillgestanden! Im Unterricht hieß es vor allen Dingen stille sein und sich geradehalten: "Während des Unterrichts haben sich die Kinder vollständig ruhig zu verhalten. […] Das Kind, welches aufgerufen ist, hat sich sofort zu erheben; es antwortet jedoch erst, wenn es völlig gerade steht, und setzt sich erst wieder, nachdem es vollständig ausgesprochen hat. […] Zwischen der Vorder- und Hintersitzlage ist in jeder Unterrichtsstunde auf Kommando regelmäßig zu wechseln. Beim Stehen hängen die Arme ungezwungen am Körper herunter oder sind auf dem Rücken geschlossen." (Schulordnung für die lutherischen Volksschulen in Peine, 1900) Wer nicht gehorchte, musste mit dem Rohrstock rechnen. Einem Urteil des preußischen Oberverwaltungsgerichts vom Juni 1896 zufolge, hatte der Lehrer das Züchtigungsrecht sogar außerhalb der Schule, also gegebenenfalls auf offener Straße. Eine höhere Stadtschule gab es in Peine seit 1873. 1895 entstand eine Realschule für Jungen, die 1898 ein eigenes, neues Gebäude in der Burgstraße bezog. Mit dem Bau des Lyzeums gab es ab 1911 auch für die Töchter des Peiner Bürgertums ein verbessertes Bildungsangebot. Für einheimische Schüler betrug 1909 das Schulgeld in den oberen Klassen 110 Mark jährlich; diese Summe entsprach etwa dem Monatslohn eines gutverdienenden Arbeiters. Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Bürgerzentrum Vechelde mit Schlosspark Alle Fotos: Gemeinde Vechelde Im Bereich des heutigen Bürgerzentrums Vechelde (Foto) befand sich eine Wasserburg, die im 14. Jahrhundert von Herzog Friedrich erbaut wurde. Im Jahre 1695 ließ Herzog Rudolf August diese Burg abreißen und vermutlich auf deren Grundmauern ein barockes Lustschloss für seine zweite Gemahlin „Madame Rudolfine“ erbauen. 1712 erhielt die Erbprinzessin Elisabeth Sophie Marie das Schloss. Angebaut an dem Schloss war eine Kapelle in der am 08. November 1727 die Hochzeit von Johanna Elisabeth von Schleswig-Gottorf und Fürst Christian August von Anhalt-Zerbst stattfand. Diese waren die Eltern der späteren russischen Zarin Katharina die Große. Nach Tode der Herzogin Elisabeth Sophie Marie richtete Herzog Ferdinand zu Braunschweig und Lüneburg seine Sommerresidenz ein. Er war mit Vechelde sehr eng verbunden, sodass er im Braunschweigischen als Gutsherr von Vechelde bezeichnet wurde. Das noch heute erhaltene zweiflügelige Tor mit seinem Initial „F“ ließ Herzog Ferdinand 1770 erstellen. Text: Ingo Goczol Im Jahre 1880 wurde der heutige Backsteinbau einschließlich der Nebengebäude errichtet und bis 1971 als Amtsgericht genutzt. In den nachfolgenden Jahren gelang es der Gemeinde Vechelde, diesen Gebäudekomplex einschließlich. Schlosspark zu erwerben und zu einem Bürgerzentrum umzubauen, der seit 1977 als solches genutzt wird. Der große Vechelder Schlosspark wurde unter großer Sorgfalt von Herzog Ferdinand angelegt und besteht in seiner Grundanlage noch heute. Die Anlage war seinerzeit so sehr berühmt, dass die Gartenbaumeister Europas zu sagen pflegten: „Im Braunschweigischen fragt man nach Vechelde.“ Im Park vorhanden ist noch die steinerne Sonnenuhr im klassizistischen Stile und die überlebensgroße Figurengruppe „Hades raubt Persephone“ aus Sandstein. Außerdem ist im Park ein weiteres Denkmal im klassizistischen Stil zu sehen, Herzog Ferdinand ließ es zum Zeichen seiner engen Freundschaft zu dem christlichen Philosophen und Curator des fürstlichen Collegium Carolinum in Braunschweig (der heutigen Technischen Universität), dem Abt Johann Friedrich Wilhelm Jerusalem, errichten. In dem langen Text wird an den 1789 gestorbenen Abt von Riddagshausen erinnert. Der Park stellt sich heute als Rosengarten mit angrenzender Rasenfläche und Wäldchen dar. Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland Stiftung VR Gefördert durch Text: Oliver Völkening Foto: Gemeindearchiv Panorama-Aufnahme des Ölfeldes von Ölheim im Jahr 1894, nicht Pennsylvanien/USA. Wohnhaus Mohr Verwaltung DPBG Werkstätten © Layout: Rudolf Zehfuß “Germania” Petroleum Werk AG Raffinerie Das Ölfieber hielt jedoch nicht lange an. Nach 5.990 Tonnen im Jahr 1882 fiel die Förderung auf 1.361 Tonnen im Jahr 1883 zurück. Im selben Jahr begannen Gerichtsverfahren wegen Umweltschäden. Das bei der Förderung anfallende Wasser wurde in den Bach Schwarzwasser geleitet und hatte dort im Laufe der Zeit den Fischbestand vernichtet. Zahlreiche Türme, aus dünnen Eisenstangen zusammengefügt, ragten hoch empor. Daneben standen pyramidenförmige Holzbauten. Maschinenschlote sandten ihre schwarzen Rauchwolken zum Himmel. Zwischen niedrigen Holzhäusern, welche als Kontore, Wohnhäuser und Schenken dienten, bewegte sich ein geschäftiges Arbeitervolk in schwarzen, öldurchtränkten Kleidern. Deutsche Petroleum Bohrgesellschaft Bohrung “Mohr 3” Die Fontäne übertraf die Höhe des Bohrturmes. Das unerwartete Ereignis vertrieb die Arbeiter zunächst, dann aber füllten sie das Erdöl in eiligst herbeigeschaffte Fässer, Tonnen und Wannen. Die Förderung aus diesem Bohrloch betrug später etwa 75.000 Liter pro Tag (˜ 60 Tonnen/Tag). Die Berichterstattung über die Entdeckung des hatte eine mächtige Wirkung und es entstand der Ölrausch von Ölheim. Das Gebiet zwischen Braunschweig, Celle und Hannover wurde verglichen mit den Ölfeldern von Pennsylvanien/USA. In Ölheim erschienen viele Arbeitssuchende, Fachleute, Geschäftsleute, Neugierige, Reporter und Spekulanten aus ganz Deutschland. Die Grundstückspreise stiegen, wie auch die Aktienkurse der Ölgesellschaften. Ende des Jahres 1881 hatten sich bereits 47 Firmen angesiedelt, später über 100 mit rund 1.500 Beschäftigten. Oelheimer Petrolium Industrie AG Erdöl ist im Raum Oelheim (2 km westlich Edemissen) bereits seit Jahrhunderten bekannt. Die schwarze, übelriechende Flüssigkeit schwamm auf dem Wasser der „Theerkuhlen“ und wurde abgeschöpft. Bei Menschen diente es als Heilmittel gegen Rheuma und es kam zum Einsatz gegen allerlei Ungeziefer, wie Wanzen und Motten. Als „Wagenschmiere“ eignete es sich für die Radlager der Fuhrwerke. Auch in Öllampen wurde es verwendet, da es nicht so sehr rauchte wie das zuvor verwendete Pflanzenöl. Am 21. Juli 1881, 11 Uhr, traf die dritte Bohrung des Bremer Kaufmannes Adolf Michel Mohr in 66 Meter Tiefe in eine Sandsteinschicht. Dieser Teerkuhlenfels enthielt das gesuchte Erdöl. Nach Einbau einer Pumpe begann die Förderung. Jedoch nach wenigen Minuten strömten Erdöl, Erdgas, vermischt mit Wasser und Sand, von selbst aus dem Bohrloch. Ölrausch in Ölheim United Continental Oil Company Verwaltung ÖPIG Hotel NeuPennsylvanien Neu-Pennsylvanien in der Gemeinde Edemissen Spargelvillen und Rübenburgen Stattliche Wohnhäuser, aus roten Vormauerziegeln zwei Etagen hoch aufgemauert und darüber das Satteldach, beim Vorübergehen fällt unwillkürlich der Blick darauf. Linke Spalte: Wendezeller Ring 8 Wendeburg Rechte Spalte: Wenser Straße 15 Harvesse Mit der Zeit eröffneten sich neue Einkunftsmöglichkeiten durch den Anbau von Spargel und Zuckerrüben. In nur zwanzig Jahren (1894-1914) ließen sich Landwirte erstmalig „richtige“ Wohnhäuser errichten, Gebäude die sie ausschließlich als Wohnung für die Familie nutzten. Das tägliche Leben spielte sich in der Küche ab, der Herd gab dazu auch im Winter genügend Wärme ab. Ansonsten waren die drei Meter hohen Zimmer nur „kalte Pracht“, der Kachelofen in der Stube durfte lediglich zu Weihnachten und anderen seltenen Gelegenheiten befeuert werden. Das Wohnhaus bildete nur mit den direkt neben der Küche angeordneten Seitengebäuden eine funktionsfähige Einheit. Die Waschküche und die Gesinderäume (für Mägde und Knechte) dienten als Zwischentrakt zu den Stallungen. Dort befand sich dann auch die Toilette. Auch in der landwirtschaftlich strukturierten Region nordwestlich von Braunschweig war das niedersächsische Hallenhaus während mehrerer Jahrhunderte die übliche Unterkunft für Mensch und Tier, im Dachraum lagerten Heu und Stroh. Alles lebte und arbeitete unter einem Dach. Die Bauart als Fachwerkhaus führte dann auch zu dem Spruch: „Der Zimmermann hat das Haus gebaut, der Maurer hat geholfen.“ Die Gebäude mit dem Mauerwerk aus sorgfältig vermauerten Steinen - mit Fenstergewänden aus Kunststein und anderem Zierrat - sprechen für den hohen Stand der Handwerkskunst und für den Baumeister als Entwurfsverfasser. Über den Bau dieser Häuser gab es nun den Spruch: „Der Maurer hat das Haus gebaut, der Zimmermann hat geholfen.“ Die Gebäude verdeutlichen auch den Stolz sowie die Entschluss- und Finanzkraft der Bauherren und ihrer Familien. Text und Fotos (Archiv und neu): Rolf Ahlers Die um 1850 durchgeführte Separation - Überführung von Grundbesitz in Grundeigentum und Flurneuordnung - ergab für die Landwirtschaft verbesserte Einkommensmöglichkeiten. Die vermehrte Aufstallung von Vieh führte zum Neubau von Nebengebäuden als Stallung und Scheune. Jedoch mussten zunächst noch die auf Kredit finanzierten Separationskosten aufgebracht werden. Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Militarisierung im Kinderzimmer Militärisches Spielzeug ist keineswegs eine Erfindung des 20. Jahrhunderts. Bereits mit dem Deutsch-Französischen-Krieg 1870/71 gab es eine Vielzahl an Spielwaren, die in erster Linie die Begeisterung der Kinder für Militär und Krieg wecken sollte. So warb beispielsweise der Berliner Zinnfigurenhersteller in seinem Verkaufskatalog des Jahres 1869 neben zahlreichen Zinn- und Bleifiguren unter anderem auch für Kanonen, mit denen Erbsen verschossen werden konnten. Auf den kindlichen Schlachtfeldern traten Spielfiguren mit so treffenden Namen, wie „Hindenburg“, „Mars“, „Kriegsvolk“ oder „Manz-soldaten“ gegeneinander an. Aber nicht nur Spielwaren, sondern auch zahlreiche Druckerzeugnisse für Kinder und Jugendliche propagierten den Einsatz für das Vaterland. Neben Bilderbüchern, wie „Vater ist im Krieg“ aus dem Jahr 1915, und zahllosen Romanen für Jungen wurden mit diesem Medium auch Mädchen angesprochen, so z. B. mit dem Roman „Landwehrmanns Einzige an der Schwelle des Lebens“. Linke Spalte oben: Massefiguren „Preußische Infanterie“, deutscher Hersteller, um 1915 Rechte Spalte Mitte: Kinderportraitaufnahme im Matrosenanzug um 1905 Linke Spalte unten: Vorlage für so genanntes Bildnachweis: Städtisches Museum Schloß Salder Text: Christiansen Für das Spiel im Freien wurden zahlreiche Uniformen und Kinderwaffen angeboten. Sogar große Gartengeschütze aus Holz, mit denen man hölzerne Granaten verschießen konnten, waren um die Jahrhundertwende erhältlich. Spätestens mit der Flottenpolitik des Deutschen Reiches, die seit der Jahrhundertwende in dem Ausbau der Seestreitkräfte ihren Ausdruck fand und mit den alljährlich stattfindenden Flottenmanövern deutliche Zeichen eines erstarkten militärischen Bewusstseins setzte, gab es ein Kleidungsstück, das sich jeder Junge wünschte. Der Matrosenanzug galt in weiten Kreisen der Bevölkerung, so auch in Salzgitter, als das patriotische Kleidungsstück par exellence. Mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges wuchs die Produktion von militärischen Spielwaren deutlich. Mit dem Ausbruch des 1. Weltkrieges setzte auch eine Intensivierung der Bemühungen zahlreicher Pädagogen ein, ihre Schüler für den Krieg zu begeistern und auf das Leben als Soldaten vorzubereiten. Die Schulklassen wurden mit neuen Lesebüchern ausgestattet, deren einzige Aufgabe darin bestand, das Kriegsgeschehen heroisierend in die Klassenzimmer zu bringen: „Pflicht der Schule ist es, unsere Jugend mit diesen herrlichen Erfolgen bekannt zu machen und durch die Kinder auf das Elternhaus einzuwirken. Die Bevölkerung muß durch die Freude über das bisher Erreichte in dem Entschluß bestärkt werden, alle weiteren Opfer geduldig zu ertragen.“ (Radtke, J: Drei Jahre Weltkrieg. Breslau 1916) Die hier abgebildeten Objekte stammen aus der Sammlung des Städtischen Museums Schloß Salder. Dort wird anhand von zahlreichen Beispielen die Geschichte der Militarisierung der Kindheit thematisiert. Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Das Feuerlöschwesen in Salzgitter Rechte Spalte oben: Die Freiwille Feuerwehr Flachstöckheim vor dem Kavaliershaus des Gutes um1908. Am 1. Januar 1875 trat im Herzogtum Braunschweig ein neues Gesetz über das Feuerhilfswesen in Kraft. Das Gesetz räumte mit dem überlieferten „Schlendrian“ bei der Brandbekämpfung gründlich auf. Die ungeschulte und oft auch unwillige Allgemeinheit wurde durch gut ausgebildete Feuerwehren ersetzt. Leitung und Aufsicht des Feuerlöschwesens lagen bei der Ort- und Landespolizei. Kreisbranddirektoren überwachten das Feuerlöschwesen, inspizierten Löschgeräte und Mannschaften. Zur persönlichen Ausrüstung der Mannschaften gehörten ein „lackierter Helm von Blech oder Leder“, eine dunkelgraue wollene Joppe mit rotem Stehkragen und ein 13 cm breiter Gurt. Die Spritzenmeister trugen einen Gürtel mit Tasche und Ring, dazu Axt, Leine und eine kleine Laterne. Die Steiger trugen einen „blanken Helm“, Hauptmann, Kommandeur und Kreisbranddirektor einen blanken Helm mit rotem Rosshaarbusch. Linke Spalte oben: Die Freiwillige Feuerwehr Ringelheim vor dem Spritzenhaus, um 1900. Rechte Spalte Mitte: Lederne Feuerlöscheimer aus Ohlendorf und Kniestedt, 2. Hälfte 18. Jahrhundert. Linke Spalte unten: Handdruckspritze der Freiwilligen Feuerwehr Fotos: Medienzentrum Salzgitter Text: Ursula Wolff Die Gemeinden waren nun grundsätzlich verpflichtet, Feuerwehren aufzustellen. Fanden sich nicht genügend Einwohner für die Gründung einer Freiwilligen Feuerwehr, musste eine Pflichtfeuerwehr aufgestellt werden, die aber nicht uniformiert war. Die örtlichen Wehren teilten sich in die „einexerzierte Feuerwehr“, der die Brandbekämpfung und die Rettung von Mensch und Vieh oblag, und die Ordnungsmannschaft, die für die Absperrung und Bewachung des geretteten Inventars verantwortlich war, aber auch zum Pumpen an der Handdruckspritze eingesetzt werden konnte. In den meisten braunschweigischen Gemeinden Salzgitters gelang es, freiwillige Feuerwehren aufzustellen, die sich in einigen Fällen jedoch wieder auflösten und durch eine Pflichtfeuerwehr ersetzt werden mussten, bis wieder genügend Freiwillige zusammenfanden. Gründe waren z.B. Zerwürfnisse innerhalb der Mannschaften oder Unstimmigkeiten zwischen Gemeinde und Feuerwehr. In den ehemals preußischen Gemeinden der Stadt Salzgitter bildeten sich die Freiwilligen Feuerwehren später, im Gegensatz zu Braunschweig gab es in Preußen noch keine verbindliche gesetzliche Regelung. Es gab jedoch Empfehlungen, die die Gründung freiwilliger Feuerwehren fördern sollten. Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Grüße aus Salzgitter Als Vorläufer der Ansichtskarte gelten künstlerisch ausgestaltete Schmuckbriefe oder Karten (auch Glückwunsch- und Freundschaftskarten), die jedoch nur in verschlossenen Umschlägen von der Post befördert wurden. Im Jahre 1865 wurden von der preußischen Post »Offene Karten« mit gedruckten illustrierten Geschäftsanzeigen zugelassen, aber erst die Einführung der Postkarte im Jahre 1870 für Korrespondenzen aller Art erlaubte, die Rückseite der Adressseite zugleich als Bildträger zu benutzen. Beliebte Objekte waren und sind Lithografien bzw. die farbigen Chromolithografien. Sie wurden in einem aufwändigen Edeldruckverfahren hergestellt. Das zu druckende Bild wurde in bis zu 21 Farben zerlegt und anschließend in ebenso vielen Schritten übereinander gedruckt. Ab 1905 wurde die Adressseite der Ansichtskarte (und Postkarte) in Deutschland geteilt, die linke Seite stand nun für Mitteilungen zur Verfügung. Bis dahin konnten Grüße und Mitteilungen nur im Bildteil der Ansichtskarte erfolgen, weil die Anschriftseite ausschließlich für die Adresse verwendet werden durfte. Ansichtspostkarten fanden schnell massenhafte Verbreitung und wurden zum begehrten Sammlerobjekt. Im Jahrzehnt von 1895 bis 1905 wurden besonders viele Ansichtspostkarten in diesem Verfahren hergestellt. Typisch sind die hier abgebildeten Beispiele so genannter Potpourri-Karten, die verschiedene Motive und Ansichten eines Ortes zeigen. Bildnachweis: Medienzentrum Salgitter Text: Ursula Wolff Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Vereine in Salzgitter Rechte Spalte oben: Turnerriege des Turnvereins "Gut Heil Barum" um 1910. Der Verein wurde imJahre 1896 gegründet. Das Recht, Vereine zu bilden, war schon eine Forderung der Revolution von 1848 und fand Eingang in die „Grundrechte des Volkes“. Nach deren Aufhebung 1851 wurde 1854 durch den Deutschen Bund gesetzlich geregelt, daß nur solche Vereine erlaubt waren, die den Nachweis erbringen konnten, daß ihre Zwecke mit den Bundes- und Reichsgesetzen in Einklang standen und die öffentliche Sicherheit und Ordnung nicht gefährdeten. Linke Spalte Mitte: Der im Jahre 1863 gegründete Männerturnverein Salzgitter löste sich nach einigen Jahren wieder auf. Nach der zweiten Wiedergründung konnte im Jahre 1913 das 30jährige Stiftungsfest gefeiert werden. Rechte Spalte Mitte: Schützenfest in Salzgitter-Bad im Jahre 1888. Erst mit dem Reichsvereinsgesetz von 1908 wurde die Beschränkung auf Männer aufgehoben und auch die bis dahin erforderliche Anzeigepflicht für unpolitische Versammlungen und geschlossene Gesellschaften. Allen Reichsangehörigen war nun erlaubt, sich zu Vereinen zusammenzuschließen, wenn der Zweck den Gesetzen nicht zuwiderlief. In den deutschen Städten gab es schon nach 1815 zahlreiche Gesangvereine und so genannte Gesellschaftsvereine, ab Ende der 1850er Jahre folgten Turn- und Sportvereine. In Salzgitter-Bad wurde bereits 1835 ein Gesangverein gegründet. Der älteste Sportverein im Salzgittergebiet ist der Männerturnverein Salzgitter von 1863. Insgesamt geschahen die Vereinsgründungen im ländlichen Bereich später als in den Städten. Um 1890 wurden im ländlichen Bereich Vereine zahlreich gebildet, Sportvereine, Gesangvereine, Geselligkeitsvereine und andere bestimmten und bestimmen heute noch nachhaltig das gesellschaftliche Leben in der dörflichen Gemeinschaft. In den Jahren nach dem siegreichen Krieg gegen Frankreich gründeten sich zahlreiche Kriegervereine und Landwehrvereine, in denen die Kriegsteilnehmer ihre Kameradschaft pflegten. Im braunschweigischen Teil Salzgitters bildeten sich auch Vereine mit ausgesprochen politischer Zielsetzung. Bedeutendster war die „Vaterländische Vereinigung Brunonia“, die als Reaktion auf die Übernahme der Regentschaft in Braunschweig im Jahre 1885 durch Prinz Albrecht von Preußen entstand. Unten: Der Gesangverein Immendorf, um 1910. Bildnachweis: Medienzentrum Salzgitter Text: Ursula Wolff Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Genossenschaften Rechte Spalte oben: Molkereigenossenschaft Papenteich in Meine Foto: Meyerholz; 65 Jahre ländliche Genossenschaftsarbeit in Hannover-Braunschweig Die Idee von Friedrich Wilhelm Raiffeisen Selbsthilfe durch eine genossenschaftliche Organisation erwies sich auch im Braunschweigischen als erfolgreich. Zunächst gab es für genossenschaftliche Zusammenschlüsse lediglich die „erlaubte Privatgesellschaft“ als Rechtsform. Erst mit dem Gesetz betreffend die Erwerbs- und Wirtschaftsgenossenschaften galt ab 01.05.1889 eine reichs-einheitliche Grundlage. Zu diesem Zeitpunkt waren beispielsweise bereits tätig: Dreschgenossenschaft Fümmelse (1874), Konservenfabrik Watenbüttel (1878), Braunschweiger Molkerei (1880), Landwirtschaftliche Maschinengenossenschaft Beinum (1887) und Centralmolkerei Groß Sisbeck (1888). Kostengünstig wurde ertragversprechendes Saatgut und Dünger (wie Salpeter oder Kainit) beschafft. Weiter ging es mit der Beschaffung von Futtermitteln sowie von Geräten und Maschinen. Einzelne Spezialmaschinen, die jeder Landwirt vielleicht nur wenige Tage im Jahr benötigte, beschaffte die Genossenschaft auf eigene Rechnung und lieh sie gebührenpflichtig an Mitglieder aus. Auch die genossenschaftliche Vermarktung überschüssiger Erzeugnisse ergab höhere Preise. Das Geldgeschäft - Sparen und Kredite - bekam erst später die größere Bedeutung.(siehe Bild unten links) Linke Spalte Mitte: Betriebsgebäude der Molkerei Vorsfelde eGmbH im Jahr 1898. Foto aus: 75 Jahre ländliche Genossenschaftsarbeit in Hannover-Braunschweig. - Hannover, 1964. Rechte Spalte unten: Genossenschaftliche stationäre Kartoffeldämpfanlage Foto: Meyerholz; 65 Jahre ländliche Genossenschaftsarbeit in Hannover-Braunschweig Linke Spalte unten: 1909 erster Stahltresor für die Gewerbebank e.G.m.b.H. Wolfenbüttel; gegründet 1902 als “Allgemeine Spar- und Creditgenossenschaft mbH”; heute Volksbank Foto: aus Wolfenbütteler Album 2002 Text: Rolf Ahlers Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland Die Geschäftstätigkeit der Spar- und Darlehnskassen befasste sich anfangs hauptsächlich mit dem Warengeschäft. In den ländlichen Gebieten des Herzogtums Braunschweig hatte die Landwirtschaft die größte Bedeutung. Als Reichskanzler Georg Leo Graf von Caprivi, seit 1890 im Amt, die Aufhebung der Schutzzölle für Getreide verfügte, erlitt die Landwirtschaft starke Einbußen. Besonders nachdem die landwirtschaftlichen Amtsvereine im Herzogtum Braunschweig im Jahre 1900 einen Aufruf mit der Überschrift "Gründet Spar- und Darlehnskassen!" Veröffentlichten, schlossen sich die Landwirte noch stärker genossenschaftlich zusammen. Die guten Erfahrungen mit Genossenschaften im Bereich der allgemeinen Landwirtschaft gaben auch den Anstoß zur Gründung von Spezial-Genossenschaften (z.B. für Bullenhaltung, Schäferei und Viehverwertung) und Genossenschaften in weiteren Wirtschaftszweigen, unter anderem: Ländliche Wirtschaftsvereine, Bäckerei-, Elektro- und Kalthausgenossenschaften. © Layout: Rudolf Zehfuß Großbürgertum im Wolfenbüttel der Gründerzeit - Villa Seeliger Wolfenbüttel am Ende des 19. Jahrhunderts war eine bürgerliche Stadt mit ca. 18.000 Einwohnern. Zu den reichsten und mächtigsten Familien der einstigen Residenzstadt gehörten zweifelsohne die Seeligers, eine Hugenottenfamilie, die im 17. Jahrhundert nach Deutschland gekommen war. Linke Spalte oben: Villa Seeliger Foto: Museum im Schloss Wolfenbüttel Rechte Spalte Mitte: Musikzimmer Foto: Museum im Schloss Wolfenbüttel Linke Spalte Mitte: Portal Foto: Museum im Schloss Wolfenbüttel Linke Spalte unten: Eingangshalle: Foto: Museum im Schloss Wolfenbüttel Text: S. Donner Aus dem Handelshaus für Korn, Garn und Wolle, das die Seeligers Ende des 18. Jahrhunderts in Wolfenbüttel gegründet hatten, entwickelte sich bald ein erfolgreiches Bankhaus, das seit 1825 seinen Sitz an der Langen Herzogstraße in einem der ältesten steinernen Bürgerhäuser der Stadt hat. Die Seeligers zählten über Generationen hinweg nicht nur zu den wirtschaftlich erfolgreichsten Familien der Stadt, sie waren auch eine der einflussreichsten, stellten Landtagsabgeordnete, Stadtverordnete und Landräte. Das Portal ziert ebenso wie das Renaissanceportal des Bankhauses der Wahlspruch Herzog Augusts d. J. ”Alles mit Bedacht”. Auch die großformatigen Gemälde im Treppenhaus sind ein Hinweis auf die welfische Gesinnung des damaligen Hausherrn. Im Erdgeschoss der Villa befinden sich die Repräsentationsräume, die den Rahmen für gesellschaftliche Ereignisse und Familienfeste bildeten.Die Seeligers waren bekannt für ihre großbürgerliche Gastfreundschaft, der in der Satire ”Aus dem Tagebuch eines Grottenmolchs” Rudolf Huch ein literarisches Denkmal setzte. Der Musik- und Speisesaal, der größte Raum der unteren Etage war Ort dieser zitierten, legendären Feste und weist eine bauliche Besonderheit auf. Hinter der Westwand befindet sich im Zwischenstock ein kleines Zimmer, in dem Musiker für die richtige Untermalung der Anlässe sorgten. Die Künstler waren durch diese architektonische Raffinesse zwar zu hören, aber nicht zu sehen. Die Gesellschaft blieb unter sich. Im Jahr 1869 erwarb Gustav Seeliger für 22.000 Taler das ”Kleine Schloss” samt dem ca. 37.000qm großen Park, den heutigen ”Seeliger-Park”. In der Mitte dieses Parks, auf den alten, geschleiften Festungsanlagen der Bastion Lindenberg, sollte das neue Wohnhaus entstehen. Für das Bauvorhaben wurde der damals namhafteste Architekt des Braunschweiger Landes, Constantin Uhde, gewonnen. Ostern 1900 war die Villa im Stil der Giebel-Renaissance fertiggestellt und konnte von der Familie Louis Seeliger bezogen werden. Die Villa Seeliger zählt schon aufgrund ihrer exponierten Lage auf dem Lindenberg zu den schönsten der Stadt. Der hohe Sockel, die Schmuckelemente und der lebhaft gegliederte Baukörper zeugen nicht nur von finanziellem Wohlstand, sondern sind auch eine Demonstration von Herrschaftlichkeit und bürgerlichem Stolz. Dem Musiksaal schließen sich das Empfangszimmer, der Damensalon und die Bibliothek an, sie diente bei Gesellschaften auch als Herrenzimmer, sonst als Arbeitszimmer des Hausherren. Über das Treppenhaus gelangt man in das Obergeschoss, den privaten Bereich der Familie, zusätzliche Gästezimmer und Kammern für die Dienstboten gab es auf dem Dachboden. Das Souterrain war wie in allen herrschaftlichen Häusern der Gründerzeit das Reich der Dienstboten, hier befanden sich die Küche, Wirtschaftsräume und Aufenthaltsräume für das Personal. Außer der Köchin sorgten zwei Dienstmädchen, ein Kutscher, der in Zeiten des Automobils zum Chauffeur wurde, und ein Gärtner für das leibliche Wohl der vierköpfigen Familie Seeliger. Seit 1974 gehört der Seeliger-Park der Stadt Wolfenbüttel, die Villa ging in den 80er Jahren in kommunalen Besitz über. Bis zu ihrem Tode im Jahr 2000 bewohnte Lonny Seeliger, die Schwiegertochter des Erbauers, die Villa. Im Jahr 2009 wird die Villa Seeliger Sitz der Niedersächsischen Landesmusik-Akademie. Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Bismarcktürme in Salzgitter-Bad und Wittmar Rechte Spalte. Bismarckturm in Wittmar Foto: Sammlung Krämer Denkmäler dienen im Allgemeinen der Erinnerung herausragender Personen oder bedeutender Gegebenheiten. Personendenkmäler erlebten im 19. Jahrhundert bis in den Anfang des 20. Jahrhunderts hinein ihre Blütezeit. Die BismarckDenkmäler dokumentieren die große vom Bürgertum ausgegangene Verehrung Bismarcks und spiegeln die politische und gesellschaftliche Geisteshaltung des wilhelminischen Kaiserreiches wieder. Nach dem Tode des Gründers des Deutschen Reiches 1898 erwuchs Bismarck zu einer Ideal- und Kultfigur. Dies dokumentierten über 230 Bismarcktürme, 100 Standbilder, 55 Büsten und mehr als 270 Gedenksteine in ganz Deutschland sowie in den deutschen Kolonien entstanden. In Niedersachsen gibt es 14 Bismarcktürme- und säulen. Davon stehen drei im Gebiet der Braunschweigischen Landschaft; in Salzgitter-Bad /Hamberg und in Wittmar/Asse und auf dem Lahberg in Lahstedt-Oberg. Die Türme zählen zu den früh erstellten Gedenktürmen. Bismarckturm Wittmar Es war die braunschweiger Studentenschaft der Universität Carola-Wilhelmina, die die Errichtung eines Bismarckdenkmals initiierte. Nachdem der Thieder Lindenberg als Standort letztlich aufgrund der Einflussnahme des Asseburger Verschönerungsvereins ausschied, erfolgte am 17. Juni 1900 mit der Grundsteinlegung der Bau des Bismarckturms in Wittmar. Der Turm nach dem preisgekrönten Entwurf „Götterdämmerung“ von Wilhelm Kreis misst 24 Meter. Vier Ecksäulen zieren den Aussichtsturm mit Feuerschale. Der Turm wurde aus - für Bismarcktürme gefordert - ortsüblichem Muschelkalk und Dolomit erbaut. Bismarckturm Salzgitter-Bad Bereits ein Jahr nach dem Tode Bismarcks initiierte der Bürger- und Harzverein Salzgitter den Bau des Turmes auf der Anhöhe des Hamberges. Am 10. September 1899 wurde der Grundstein des aus Stein und Eisen bestehenden Turms gelegt. Es handelt sich um einen begehbaren Turm ohne Feuerschale. Er misst insgesamt 17 Meter, von denen 12 Meter aus einer Stahlkonstruktion bestehen. Linke Spalte: Bismarckturm in Salzgitter-Bad Foto: Medienzentrum Salzgitter Text: Ralf Hermann Seine Kosten, die aus Spenden finanziert wurden, beliefen sich auf ca. 7000 Mark. Am 12. August 1900 erfolgte schließlich die feierliche Einweihung. Der Turm besitzt einen quadratischen Grundriß; über dem Eingang befindet sich ein Bismarckmedallion aus Bronze. Im Eingangsbereich befand sich bis 1965 eine zwei Meter hohe, 14 Zentner schwere „Siegestrophäe“ mit Bismarckbildnis. 1990/2002 wurde der Turm generalsaniert und bietet dem Besucher einen herrlichen Blick in die ehemals zum Königreich Hannover zugehörige Landschaft. Seine Kosten beliefen sich auf rund 40.000 Mark. Über dem Eingang am Säulenschaft befindet sich ein Reichsadlerrelief. Die innere Steinwendeltreppe mit 123 Stufen führt auf die Aussichtsplattform. Am 20. Oktober 1901 fand unter Teilnahme von nahezu 20.000 Menschen die Einweihung statt. In den Folgejahren wurden anlässlich besonderer Gedenktage durch die Studentenschaft ein Feuer in der dafür vorgesehenen Feuerschale entzündet. Nach seiner Sanierung 1985 bis 1987 steht der Turm unter der Betreuung des Heimat- und Verkehrsvereins Asse. Vom Turm hat der Besucher einen schönen Rundblick auf das braunschweiger Land. Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Bahnhof - Börssum Die Südbahn vermied dies zwar, musste dafür jedoch im Raum Kreiensen eine Trassierung wählen, die auf Grund der vielen Steigungen und des starken Gefälles eine positive Entwicklung des Reisefernverkehrs in Richtung Ruhrgebiet nicht zuließ. Die bis in das Jahr 1945 wichtigere OstWeststrecke bewährte sich im Deutsch-Französischen Krieg 1870/ 1871, als ein Großteil der Militärtransporte über diese Strecke geleitet wurde. Oben links: Gleisplan vom 1914 Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel 127 Neu 1463Ka. Staatsmänner, Schriftsteller und Spartakisten Der Bahnhof Börßum in der Kaiserzeit Der Bahnhof Börßum zählte in seiner Blütezeit 30 parallele Gleise und war bis zum Kriegsende 1945 einer der größten und wichtigsten Eisenbahnknotenpunkten in Deutschland: Er verband Ost und West, Nord und Süd miteinander. Der „Eiserne Vorhang“ als Folge des Zweiten Weltkrieges ließ jedoch den Eisenbahnverkehr in die östliche Richtung versiegen. Rechte Spalte: Börßumer Bahnhof um 1980 Fotoarchiv: Wolfgang Lange Wolfenbüttel Text: Markus Gröchtemeier Der Aufstieg begann bereits drei Jahre vor der Gründung des Deutschen Kaiserreiches, als die Strecke Börßum-Jerxheim am 1. Juli 1868 seiner Bestimmung übergeben wurde. Als erster Abschnitt in Deutschland wurde sie sofort zweigleisig eröffnet. Als Eisenbahnknotenpunkt erhielt Börßum im selben Jahr das erste in Deutschland hergestellte mechanische Stellwerk mit Folgeabhängigkeiten nach „Patent Saxby“. Dieses Stellwerk gestattete es, dass erst in der Folge der richtigen Weichenstellungen mittels einfacher Drahtzüge das dazugehörige Signal die Zugfahrt freigab und war folglich von der Sicherung der Zugfahrten ein weiterer Schritt nach vorn. Zugfahrten konnten sich fortan untereinander nicht mehr gefährden. Der Ost-West-Fernverkehr führte von Berlin in die preußischen Rheinprovinzen und in Richtung Kassel-Frankfurt über Börßum. Alternativ bestand bereits eine Verbindung über Braunschweig-Hannover-Minden, welche jedoch in der Entfernung länger war und zudem über „fremdes Gebiet“ verlief, über das des Königreiches Hannover. Unmittelbar nach der Annexion des Königreiches Hannover durch Preußen (1866) wurden jedoch schon Pläne erarbeitet, die schnellere und leistungsfähigere Eisenbahnlinien zwischen Berlin und dem Ruhrgebiet vorsahen. Mit der Eröffnung dieser Strecken über Stendal (1871) bzw. Helmstedt (1872) wanderte der Personenfernverkehr über Börßum zunächst ab. Im Güterverkehr zählte Börßum weiterhin zu den großen Rangierpunkten, zumal Braunschweig hierfür keine geeigneten Anlagen besaß und einen Teil seines Güteraufkommens über Börßum in die Fernverbindungen einstellen ließ. Auch nach dem Jahr 1872 muss jedoch im Personenverkehr weiterhin so viel Treiben auf dem Bahnhof Börßum geherrscht haben, dass der berühmte Erzähler Wilhelm Raabe im Jahr 1875 feststellte: „Fahre nach dem nächsten Eisenbahnknotenpunkt (Börßum), setze Dich mit einer Tasse Caffee und einer Cigarre vor die Bahnhofsrestauration und sieh in das Getümmel des europäischen Lebens.“ Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Heinrich Büssing: Vom Dorfschmied zum Industriepionier Er strebte nun eine Hochschulausbildung an und besuchte das Collegium Carolinum in Braunschweig für mehrere Semester, die von unterstützendem Privatunterricht, vor allem in Mathematik, begleitet wurden. Seine erste Stelle als Ingenieur erhielt Büssing im Konstruktionsbüro des späteren Eisenbahndirektors Clauß. Erste Versuche eigener Unternehmensgründungen, wie für eine Velocipedfabrik 1869, scheiterten. Erst die Bekanntschaft mit dem jüdischen Kaufmann Max Jüdel, der das erforderliche Unternehmenskapital aufbrachte, ebnete den Weg zur erfolgreichen Gründung der „Eisenbahnsignalanstalt Max Jüdel & Co“ im Jahre 1873. Etwa Mitte der 1880er Jahre war die Firma etabliert und Heinrich Büssing, dem zahlreiche Patente in der Signaltechnik zuerkannt wurden, gründete als erfolgreicher Unternehmer auch Niederlassungen im Ausland. Im Jahre 1903 wechselte Büssing sein Geschäftsfeld und gründete die „H. Büssing Spezialfabrik für Motorlastwagen und Motoromnibusse“. Erfolgreich setzte er Neuentwicklungen und Konstruktionsverbesserungen im Automobil-Nutzfahrzeugbau um. Linke Spalte oben: Heinrich Büssing, Porträt Foto: Historisches Archiv der Fa. MAN Rechte Spalte Mitte: Das Büssinghaus in Nordsteimke Foto: H.G.Koll Linke Spalte unten: Erstes Fabrikgebäude der Büssing-Werke an der Wolfenbütteler Straße in Braunschweig 1902 Foto: Stadtarchiv Braunschweig Text: Werner Strauss Als berühmtester Sohn Nordsteimkes, heute Ortsteil der Stadt Wolfsburg, gilt Heinrich Büssing, der in dem braunschweigischen Dorf am 29. Juni 1843 geboren wurde. Nach dem Besuch der Dorfschule erlernte er in der väterlichen Schmiede das Schmiedehandwerk. Mit sechzehn Jahren fertigte er beim Altmeister Deike in Vorsfelde zum Abschluss seiner Berufsausbildung als Gesellenstück ein Hufeisen. Nach kurzer Gesellenzeit in Braunschweig ging er 1861 mit achtzehn Jahren zu Fuß auf Wanderschaft, die ihn zunächst nach Norddeutschland führte. Weiter führte seine Route im Jahre 1862 in den süddeutschen Raum und schließlich bis Basel in der Schweiz. Um viel Wissen und berufliche Erfahrung bereichert, kehrte er zu Weihnachten desselben Jahres nach Nordsteimke zurück. Bedingt durch den Ausbruch des 1. Weltkrieges stellte das Büssing-Werk Lastwagen für militärische Zwecke her. Von der Leitung seiner Firma trat er nach Übergabe an Familienmitglieder 1920 zurück, war jedoch bis zu seinem Tode Aufsichtsratsvorsitzender. Die TH Braunschweig ehrte Büssing mit der Verleihung des Ehrendoktors und des Titels „Ehrensenator“. Am 27. Oktober 1929 verstarb Büssing in Braunschweig. Im Heinrich-BüssingHaus Nordsteimke hält die MAN AG, die 1971 die Firma Büssing übernommen hat, mit einer Ausstellung und der rekonstruierten Schmiede das Gedenken an Leben und Werk Heinrich Büssings wach. Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Der Männer-Turnverein Vorsfelde von 1862 Nach der Gründung des Kaiserreiches erfuhr der Turnverein einen sichtbaren Aufschwung. 1874 hatte er erstmals über 20 stimmberechtigte Mitglieder und konnte nun in zwei Riegen turnen. Vielfach war der MTV Vorsfelde gesellschaftliche Integrationsmöglichkeit für in örtlichen Handwerksbetrieben beschäftigte Wandergesellen. Um 1880 geriet das Vereinsleben in eine eher ruhende Phase. Erst 1888 vermerken die Vereinsprotokolle eine Aktivierung der Turner, die sich unter anderem aus nennenswerten Neuzugängen von Turnern ergab. Auch das einstmals beliebte Wintervergnügen fand wieder statt. „Wer eine Dame einzuladen wünscht, hat dieselbe innerhalb der nächsten 14 Tage spätestens bis zum 05. Februar dem Vorstand mitzuteilen, der über ihre Zulassung entscheidet“, so rigide lauteten die Bestimmungen. Gesellschaftlich gehörte dieses Fest zu den unbestrittenen Jahreshöhepunkten im Ort. Wenige Jahre vor der Jahrhundertwende begann eine Blütezeit des Vereins. Bis zum anberaumten Sommerfest 1895 sollten dreimal pro Woche Turnübungen durchgeführt werden. Meistens mit Pferdegespannen machten sich die Vereinsmitglieder auf den Weg zu Turnbegegnungen in Brome, Fallersleben und zum Gauturnfest nach Gifhorn. Eine Zäsur in der Vorsfelder Turnerschaft brachte 1908 die Gründung einer Damen-Turnabteilung mit sich, die wenige Jahre später dem Männer-Turnverein angegliedert worden ist. Linke Spalte oben: Gründungsprotokoll des Vereins vom 08. August 1862 Rechte Spalte Mitte: Programm des 50-jährigen Stiftungsfestes 1912 Der im Revolutionsjahr 1848 in Hanau gegründete Deutsche Turner-Bund veranstaltete 1860 das erste Deutsche Turnfest in Coburg. Von diesem Massenereignis gingen Anfang der 60er Jahre des 19. Jahrhunderts entscheidende Impulse zur weiteren Verbreitung der Turnerbewegung aus, die 1862 auch zur Gründung des MTV -Vorsfelde führten. Wilhelm Grete, Angehöriger einer bekannten Vorsfelder Kaufmannsfamilie, lud 12 Männer zu der Gründungsversammlung am 08. August 1862 ein, die ihn zum Vorsitzenden bestimmten. Außerdem beschloss die Versammlung als Aufnahmekriterien in den Verein, dass jeder unbescholtene Mann, der das 17. Lebensjahr erreicht hatte, Mitglied werden konnte. Linke Spalte unten: Musterriege des MTVVorsfelde im Jahre 1912 Alle Abbildungen wurden den Festschriften zum 100. Und 125. Jubiläum des MTV-Vorsfelde entnommen Text: Werner Strauss Mit dem Beginn des neuen Jahrhunderts erweiterte sich das Sportangebot des Vereins um Ballspiele und leichtathletische Übungen. Im Januar 1914 verzeichnete der MTV 97 aktive und zahlreiche weitere passive Mitglieder. Der Erste Weltkrieg führte zu einer weitgehenden Einstellung der Vereinsaktivitäten. Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Der Kalibergbau in Rothenfelde Bild oben: Belegschaft des Kalischachtes Rothenfelde 1914 Foto: Stadtarchiv Wolfsburg Rechte Spalte Mitte: Arbeiter des Kalischachtes mit Abraumlore Foto: W. Naucke Linke Spalte unten: Besichtigung des Stollens Foto: Stadtarchiv Wolfsburg Text Werner Strauss Um 1900 war der Kalibergbau der jüngste Zweig des deutschen Bergbaus und sichtbares Zeichen der frühen Industrialisierung. Fast zeitgleich mit dem Kalibergwerk in Ehmen erfolgte am 16. August 1905 die Gründung der Kalibohrgesellschaft „Werk Rothenfelde“ als zweitem Bergwerk auf dem heutigen Wolfsburger Stadtgebiet. Gutsbesitzer Werner Graf von der Schulenburg räumte der Bergwerks-Gesellschaft das Recht ein, „nach Kalisalz, Steinsalz und den diese begleitenden Salzen und Solen sowie nach Ölen zu schürfen und zu bohren.“ Die bergbaurechtlichen Gerechtsame erstreckten sich über 8.000 hannoversche Morgen in den Gemarkungen Rothenfelde und Sandkamp. Der ab 1911 niedergebrachte Schacht liegt im heutigen Zentrum der Stadt Wolfsburg am Schachtweg. Zu den Betriebsgebäuden des Schachtes gehörten neben dem Schachtturm, zwei Rohsalzmühlen und Angestelltenwohnhäuser. Gefördertes Salz wurde auf einem eigenen Bahngleisanschluss abtransportiert. Teilweise wurde Kali direkt an Bauern verkauft. So kamen Bauern aus der Umgebung bis nach Wittingen, Kloetze und Oebisfelde in der Altmark mit Pferdefuhrwerken, übernachteten bisweilen auf Höfen der Umgebung und fuhren am nächsten Tag mit ihrer Fracht an Düngemitteln zurück in den Herkunftsort. In den Jahren 1916 bis 1918 wurde vorübergehend in größerem Umfang auch Stein- oder Kochsalz gefördert. Dieses Salz mit einem hohen Reinheitsgrad war für den Schachtbetrieb zwischenzeitlich recht profitabel. Zunehmende Konkurrenz aus dem Ausland verschlechterte in den 1920er Jahren die wirtschaftlichen Rahmen-bedingungen des Kalibergbaus. Die Stilllegung und Konzentration von Förderkapazitäten in den heimischen Revieren brachte im April 1924 auch die Betriebsschließung der Schachtanlage in Rothenfelde. Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß Der Anschluss Vorsfeldes an das Eisenbahnnetz Bild oben: Vorsfelder Bahnhof um 1910 Foto: Privatbesitz H. Eckebrecht Rechte Spalte unten: Konservenfabrik Vorsfelde Foto: Privatbesitz H. Eckebrecht Text: Werner Strauss Mitte des 19. Jahrhunderts benötigte die Postkutsche für die Strecke von Vorsfelde nach Braunschweig, wirtschaftliches Zentrum der Region und herzogliche Residenzstadt, etwa 5 Stunden. Eine Eisenbahnfahrt von Braunschweig nach Berlin auf der 1843 eröffneten Strecke dauerte lediglich 4 ¾ Stunden. Diese Relation zeigt die Diskrepanz der alten und modernen Verkehrsmittel der damaligen Zeit. Es sollte noch Jahrzehnte dauern, bis Vorsfelde den Anschluss an eine Eisenbahn-Fernverbindung erhielt. 1867 stimmte Preußen den Plänen der Magdeburger-Halberstädter-Eisenbahngesellschaft zu, eine Verbindung zwischen Berlin und Hannover zu schaffen, die auch über Vorsfelde führen sollte. Das Herzogtum Braunschweig genehmigte im Februar 1870 den Streckenverlauf über braunschweigisches Gebiet im Raum Vorsfelde. Als die Strecke 1871 in Betrieb genommen wurde, waren schon zahlreiche Städte und Flecken des Herzogtums in das Eisenbahnnetz eingebunden worden. Nach der Streckeneröffnung passierten täglich 20 Personen- und 30 Vieh- und Güterzüge Vorsfelde. Bei alledem war Vorsfelde eher ein Durchgangsbahnhof, während im nahegelegenen Oebisfelde auf preußischem Territorium ein Eisenbahnknotenpunkt mit Umsteigefunktionen entstand. Im Personenverkehr nutzten 1900 mehr als 36.000 Fahrgäste den Bahnhof Vorsfelde. Beim Güterumschlag wurden etwa doppelt so viele Waren anals abtransportiert. In der Nachbarschaft des Bahnhofs siedelten sich mit einer Konserven- und einer Kartoffelflockenfabrik Betriebe zur Veredelung und Weiterverarbeitung von Agrarerzeugnissen an. Während der deutschen Teilung nach dem 2. Weltkrieg war Vorsfelde ein wichtiger Grenzbahnhof für den Güterverkehr. Gefördert durch VR Stiftung VR-Stiftung der Volksbanken und Raiffeisenbanken in Norddeutschland © Layout: Rudolf Zehfuß