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Sarah-Katharina Andres-Acevedo Invention Vollendung Meisterwerke des 18. Jahrhunderts – Porzellane, Möbel, Bronzen, Silbergerät und Gemälde – formen ein Panorama der Innovation und der meisterlichen Umsetzung. Röbbig München Brienner Straße 9 80333 München 089 29 97 58 info@roebbig.de www. roebbig.de arnoldsche Art Publishers Olgastraße 137 70180 Stuttgart 0711 64 56 18 0 art@arnoldsche.com www.arnoldsche.com ISBN 978-3-89790-441-5 Invention & Vollendung Glanzvoll präsentiert und im Detail von Experten interpretiert erwecken die Arbeiten von André-Charles Boulle, Jacques Dubois, Jakob Philipp Hackert, Johann Gregorius Höroldt, Johann Joachim Kaendler, Nicolas Lancret und anderen das farbige Bild einer großen Epoche. & Hans Ottomeyer Kunstwerke des 18. Jahrhunderts Mit Beiträgen von: Sarah-Katharina Andres-Acevedo (SKAA) Christine Cornet (CC) Monika Kopplin Melitta Kunze-Köllensperger (MKK) Claudia Lehner-Jobst (CLJ) René Millet (RM) Stéphane Molinier (SM) Claudia Nordhoff (CN) Hans Ottomeyer Ulrich Pietsch (UP) Christina Pucher (CP) David Johannes Ranftl (DJR) Michael Röbbig (MR) Max Tillmann (MT) Alfred Ziffer (AZ) Inhalt Zum Geleit Alfredo Reyes 5 Invention und Vollendung Hans Ottomeyer 9 GOÛT MODERNE Spätbarock oder goût moderne Hans Ottomeyer 18 Deckelhumpen aus Böttgersteinzeug Sarah-Katharina Andres-Acevedo 28 Aus fernen Welten: Kakao, Tee, Kaffee Hans Ottomeyer 44 GOÛT PITTORESQUE Rokoko oder goût pittoresque Hans Ottomeyer 124 Wunderbar sonderbar – Die Chinamode in der europäischen Kunst des 17. und 18. Jahrhunderts Sarah-Katharina Andres-Acevedo 135 Höroldt und Kaendler – Zwei geniale Künstler der Meissener Porzellanmanufaktur im Wettstreit auf dem Weg zu höchster Vollendung Ulrich Pietsch 220 Lack im 18. Jahrhundert – eine asiatisch geprägte Kunst wird europäisch Monika Kopplin »Sinne sind ein Vermögen der Seele, von den Objecten afficiret zu werden.« Gedanken zur Tafelkunst des Barock Claudia Lehner-Jobst 263 292 GOÛT GREC Frühklassizismus oder goût grec Hans Ottomeyer 338 Literaturverzeichnis 380 Register 398 Bildnachweis 410 GOÛT MODERNE Invention und Vollendung 20 Kat.-Nr. 1 Bureau Mazarin Entwurf und Ausführung Alexandre-Jean Oppenordt (Groningen 1639−1715 Paris) zugeschrieben Paris, um 1685 Restaurierung durch Jacques Dubois (Pontoise 1694–1763 Paris, Meister 1742) um 1750, gestempelt „I DUBOIS“ Blindholz: Fichte Marketerie in première partie: graviertes Messing, Zinn, rot unterlegtes Schildpatt, Ebenholz, Obstholz, Amaranth Schubladen: Nussholz Beschläge: Messing Höhe 84 cm, Breite 121 cm, Tiefe 70 cm Provenienz Nach dem Inventar von Warwick Castle, Warwickshire, aus dem Jahr 1853 wurde das Bureau Mazarin, durch George Greville, den zweiten Earl of Warwick (1746−1816), oder seinen Sohn Henry Richard, dritter Earl of Warwick (1779−1853), für Warwick Castle erworben; im Besitz der Earls of Warwick bis zum Verkauf durch die Trustees of the Warwick Castle Settlement, Christie’s, London, 20. Mai 1968, Los 81, beschrieben als ein „Louis XIV bureau Mazarin […] in the manner of A.C. Boulle and stamped I. Dubois […] who probably restored this piece during the 18th century“; Privatsammlung London Das Bureau Mazarin ist ein Meisterwerk unter den französischen Boulle-Möbeln im Louis XIV-Stil. Aufgrund der charakteristischen Handschrift seiner Schildpatt-Metall-Marketerien und der handwerklich außergewöhnlich qualitätvollen Verarbeitung lässt sich das Möbel Alexandre-Jean Oppenordt (Groningen 1639−1715 Paris), dem angesehenen und talentierten ébéniste du Roi am Versailler Königshof zuschreiben. Außerdem kann die besondere Bedeutung dieses Boulle-Schreibtischs an einer für die europäische Möbelkunst äußerst interessanten Neuentdeckung festgemacht werden: Der Entwurf des Marketerietableaus seiner Tischplatte diente als Vorlage für die Boulle-Marketerie einer bedeutenden, um 1700 in Wien wahrscheinlich im Auftrag Kaiser Leopolds I. (Wien 1640–1705 Wien) angefertigten Tischplatte1 (Wien, Hofburg; Abb. 3). Die Existenz des vorliegenden Bureau Mazarins belegt somit erstmals den direkten Einfluss einer Pariser Boulle-Werkstatt auf die Möbelkunst am Wiener Hof um 1700. Der seit dem 19. Jahrhundert als bureau Mazarin bekannte Möbeltypus ist charakterisiert durch einen von zumeist acht S-förmigen oder geraden Beinen getragenen Schubladenkasten mit planer Schreibfläche.2 Das vorliegende Exemplar auf vier geschweiften Beinen, die der Ebenist Jacques Dubois (Pontoise 1694–1763 Paris, Meister 1742) bei einer Restaurierung Mitte des 18. Jahrhunderts in die Rehbeinform des Rokoko abänderte, gehörte aber wohl bereits ursprünglich zu der seltene- 1 Abgebildet in Ausst.-Kat. München 2011, S. 34. 2 Der Möbeltypus wird seit dem 19. Jahrhundert bureau Mazarin genannt, obwohl es keinen sicheren Beleg dafür gibt, dass die Form bereits zu Lebzeiten von Kardinal Mazarin (gest. 1661) entwickelt war. Die prägnante Gestalt wurde aber eventuell vom Ebenisten Pierre Gole (1620−1685) zuerst konzipiert, der insbesondere von Kardinal Mazarin Aufträge erhielt, und im Jahr 1669 ein derartiges Schreibmöbel an den Hof von Versailles lieferte. Gegen Ende des 17. Jahrhunderts war dieser Typus, häufig mit SchildpattMessing-Einlagen geschmückt, äußerst beliebt und wurde von verschiedenen Pariser Meistern angefertigt. Spätbarock oder goût moderne 21 30 Invention und Vollendung Spätbarock oder goût moderne 31 Kat.-Nr. 2 Walzenkrug mit eingeschnittenem Wappen der Familie Pfannenstiel Böttgersteinzeug, poliert, Meissen, um 1710−1715 Zeitgenössische vergoldete Silbermontierung, Nürnberger Stadtmarke, Meisterzeichen „HN“ (siehe Rosenberg 1922–1928, Bd. 3, Nr. 4289) und bisher unbekanntes Wappen Höhe 22,5 cm Vergleichsstücke Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Porzellansammlung, Inv.-Nr. P.E. 2367 (publiziert in: Syndram/Weinhold 2009, S. 45, Abb. 14); Leipzig, Grassi Museum für Angewandte Kunst, Inv.-Nr. V 1516 [I. C. 547] (mit gleichem Schnittmuster, abgebildet in: Gielke 2003, S. 84, Nr. 8); Nürnberg, Germanisches NationalmuseAbb. 10 Radierung „3“ aus der Serie Groteschgen Werk von Mahler Goldschmidte Stucato inventirt durch Paulus Decker Architectum von Lorenz Beger (Heidelberg 1663–1735 Frankfurt/ Main) nach einem Entwurf von Paul Decker d. Ä. (Nürnberg 1677–1713 Bayreuth), verlegt von Johann Christoph Weigel d. J. (Redwitz 1661–1726 Nürnberg), Nürnberg zwischen 1701 und 1735, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, Sign. LBeger AB 3.15 um Inv.-Nr. 545 und 3236 in; (publiziert Ausst.Kat. Nürnberg 1982 S. 83, Abb. 76 und 77) Der polierte zylindrische BöttgersteinzeugKrug mit angesetztem breitem Bandhenkel zeigt ein eingeschnittenes Wappenelement in ovaler Rahmung, überdacht von einem Baldachin, der sich in ähnlicher Art auch in Darstellungen so- Invention und Vollendung 78 Kat.-Nr. 19 Ein Paar Guéridons, sogenannte porte-torchères (Leuchterständer) Frankreich, um 1700 Holz, geschnitzt und vergoldet Höhe 161 cm, Durchmesser (Fuß) 58 cm, Durchmesser (Platte) 40 cm Vergleichsstücke Amsterdam, Rijksmuseum, Inv.-Nr. BK-NM14302-A, B (publiziert in: Baarsen 2013, S. 62 f., Kat.-Nr. 10); New York, Metropolitan Museum of Art, Inv.-Nr. 07.225.190a, b; Paris, Musée des Arts décoratif, Inv.-Nr. 4325 A Das hier präsentierte Leuchterständerpaar weist alle klassischen Elemente der Formensprache des späten Louis XIV-Stils auf. Den Sockel bilden drei zu Voluten gerollte Konsolbeine, die auf kugeligen Füßchen ruhen. Die S-förmigen, akanthusblattbesetzten Volutenbeine münden in einen Baldachin mit Lambrequin-Umsäumung. Dieser trägt eine große Knospe, der Akanthusblätter entspringen. Aus der Blatttülle heraus entwickelt sich ein sich nach oben hin verbreiternder, sechskantiger, kannelierter Schaft. Den oberen Abschluss bildet ein Baluster mit verschiedenen Varietäten von Akanthusblattwerk, auf dem eine tellerförmige Platte mit einem nach außen gewölbten, mit Eierstabfries verzierten Rand ruht. Bei Guéridons handelt es sich um Tischchen mit hohem Schaft, die der Aufstellung von Leuchtern, zumeist Girandolen mit Kristallbehang, dienten. Guéridons standen in der Regel in den Ecken eines Paradezimmers und erhellten das Dunkel mit niedrigen, aufgesetzten Leuchtern, die viele Kerzen trugen. Der Name geht auf Leuchter tragende Mohrenknaben zu- rück, die auch als Schnitzfiguren in dieser Funktion vorkamen. Eine genaue Definition der Form erfolgte im ausgehenden 17. Jahrhundert: dreibeiniger Sockel, hoher Schaft und abschließende tellerförmige Platte.1 Leuchterständer wurden paarweise gefertigt und gehörten zu einem Tisch, zu dessen rechter und linker Flanke zwei Leuchter zur Aufstellung kamen. Darüber hing ein raumhoher Spiegel. Derartige Ensembles sind charakteristisch für das Zeitalter Louis XIV und die époque Régence. Sie spiegeln dezidiert die höchste Form der Prachtentfaltung am französischen Hof zu jener Zeit wider. In den ersten Jahrzehnten der Herrschaft Ludwigs XIV. gewannen Möbel aus vergoldetem Holz zunehmend an Bedeutung, besonders für die kostbaren Raumausstattungen von Paris und Versailles. Erwähnenswert sind in diesem Zusammenhang 60 große Leuchtertische, die 1690 nach Versailles zur Aufstellung in der Grande Galerie geliefert wurden. Eben diese Stücke aus geschnitztem und vergoldetem Holz dürften große Ähnlichkeit mit dem hier vorgestellten Paar gehabt haben, allerdings hat sich keines dieser Exemplare bis heute erhalten.2 Besonders effektvoll hat man sich die Aufstellung der porte-torchères vor großen Spiegeln vorzustellen, die den Schein der Kerzen sowie das geschliffene Kristallglas der Leuchter reflektierten und multiplizierten. Im Laufe des Spätbarock oder goût moderne 79 18. Jahrhunderts fand eine Veränderung der Begrifflichkeit „Guéridon“ vom Leuchterständer hin zum kleinen leichten Beistelltischchen statt. Leuchterständer gerieten zunehmend aus der Mode und wurden vermehrt durch hohe einteilige Kandelaber mit langem Schaft erDJR setzt. 1 Vgl. Hojer/Ottomeyer 1996 a, S. 124. 2 Vgl. Baarsen 2013, S. 63. Invention und Vollendung 84 Kat.-Nr. 21 Pendule mit Saturn und Kybele Atelier André-Charles Boulle (Paris 1642−1732 Paris) Paris, um 1700−1720 Gehäuse: furniert mit Ebenholz, Messing, Schildpatt in première partie, Bronze ziselierte und vergoldet, Glas Uhrwerk mit Signatur auf der Platine und der emaillierten Kartusche des Zifferblatts „MOISY à Paris n°490“ für Jean Moisy (1714−1782) Höhe 115,5 cm, Breite 59,5 cm, Tiefe 24 cm Vergleichsstücke Brüssel, Musée royal d’Art et d’Histoire (Uhrwerk von Gaudron); Cleveland, Museum of Art, Inv.Nr. 1967.153 (Uhrwerk von Balthazard Martinot, Rouen 1636–1714 Saint-Germain-en-Laye); Genf, Fondation Gandur pour l’Art, Inv.-Nr. FGA-AD-HORLO-36 (Uhrwerk von Niclas Gribelin, Blois 1637–1719); Mailand, Privatsammlung (wohl identisch mit dem bei Augarde abgebildeten Exemplar: Augarde 1996, S. 248, Abb. 196); New York, Frick Collection (publiziert in: Ausst.-Kat. New York 1982, S. 41– 44); Versailles, Châteaux de Versailles et de Trianon (abgebildet in: Verlet 1987, S. 107, Abb. 123) Abb. 22 Entwürfe zu Uhren und Kaminböcken von AndréCharles Boulle (Paris 1642–1732 Paris), Tafel 2, Kupferstich aus der Serie Nouveaux Desseins de Meubles et Ouvrages de Bronze et de Marqueterie Hercules rue St. Jacques, Paris, um 1725–30, 210 x 300 mm, Paris, Bibliothèque des Arts décoratifs, Collection Maciet, Inv.-Nr. ORN/1/107 Spätbarock oder goût moderne 115 Kat.-Nr. 29 Ein Paar Prunkvasen mit Allegorien des Sieges und des Friedens Manufaktur Du Paquier, Wien, um 1739 Hartporzellan, polychrome Aufglasurfarben, Vergoldung Höhe 46,5 cm (beide Vasen) Vergleichsstücke Flasche mit plastischem Dekor, Sammlung Melinda and Paul Sullivan, West Hartford, Inv.-Nr. Du-P 102 (publiziert in: Chilton/Lehner-Jobst 2009, Bd. 3, S. 1250, Kat.-Nr. 129); Vasenpaar, Privatsammlung (publiziert in: Chilton/Lehner-Jobst 2009, Bd. 3, S. 1341, Kat.-Nr. 497) 1 Vgl. Röbbig 2013a, Kat.-Nr. 36, S. 76–79, 146. 2 Chilton/Lehner-Jobst 2009, S. 1250, Kat.-Nr. 129 und S. 1341, Kat.-Nr. 497. Das besagtes Vasenpaar wurde am 30. Mai 2009 mit der Losnummer 256 bei Thomaston Place Auction Galleries, Maine abgegeben. Auf ornamental reichem Sockel mit Rosetten und Akanthusblättern in Relief, Gitterwerk und Festons erhebt sich ein nahezu zylindrischer Vasenkörper, dessen Basis mit plastischen Godrons geschmückt ist. Um die Mitte der Wandung schlingen sich blaue Bänder um vollplastische Knaben, die Enden der Bänder öffnen sich gleich Füllhörnern und geben üppigen Blumenschmuck, ebenfalls reliefiert, frei. Über den Blumen fliegen aufgemalte Fantasievögel, wie sie von früheren Du Paquier Dekoren mit Chinoiserie-Motiven bekannt sind. Den oberen Rand des Vasenkörpers umlaufen reliefierte Lambrequins. Diese Ornamente en relief, spiegeln die Dekore zeitgenössischer Silberarbeiten wieder. Die Deckel der beiden Vasen sind mit einer Randbordüre aus vergoldeten Godrons und Kartuschen en relief dekoriert, auf den Seiten der Deckel sitzen gefesselte, vollplastische Figuren, darüber thront jeweils eine allegorische Frauengestalt in Begleitung eines Tiers.1 Die Farbigkeit der Bemalung entspricht ganz der Farbpalette Du Paquiers, wie sie bereits seit der Zeit um 1725 entwickelt war. Besonders auffallend ist das charakteristische leuchtende Kobaltblau und das Eisenrot in Kombination mit hellem Purpur. In der Spätphase der Manufaktur, die zwischen 1718 und 1744 mit kaiserlichem Privileg in der Wiener Vorstadt Rossau arbeitete, schien eine kurze Phase der monumental wirkenden Objekte mit stark plastischem Dekor Porzellane wie das hier vorgestellte Vasenpaar hervorgebracht zu haben. Einige Vergleichsobjekte, wie eine Flasche mit plastischem Dekor der Sammlung Melinda and Paul Sullivan, West Hartford oder ein weiteres Vasenpaar unbekannten Verbleibs2 sprechen eine ähnliche ästhetische Sprache. Spätbarock oder goût moderne 119 Kat.-Nr. 30 Franz Christoph Janneck (Graz 1703–1761 Wien) Zwei Gesellschaften im Freien – Die erste Begegnung und Die Lesestunde Um 1740 Öl auf Kupfer (beide Tafeln) Höhe 25 cm, Breite 31,5 cm (beide Tafeln) Provenienz Sammlung Mauboussin; deutscher Kunsthandel Literatur Ausst.-Kat. Salzburg 1996, Pucher 1996 Vergleichsstück Franz Christoph Janneck, Picknick im Park, Öl auf Kupfer, Höhe 26 cm, Breite 34,7 cm, Lotherton Hall, Leeds Museums and Galleries Die Tafeln zeigen zwei gefällige Landschaften mit eleganten Gesellschaften von jeweils vier Figuren. Es sind sogenannte Kabinettstücke im Sujet des fête champêtre, die sich zu ihrer Entstehungszeit großer Beliebtheit erfreuten. Janneck fertigte sie nach den Wünschen seiner höfischen Kunden in Variationen mit mehr oder weniger Staffage. Im ersten Bild lagert ein junger Herr an einem Bach. Er hat sich gerade aus einer Korbflasche, die er zur Kühlung ins Wasser zurück stellt, Wein eingeschenkt. Sein verklärter Blick, der wohl auch dem Wein geschuldet ist, richtet sich auf die elegant gekleidete Dame, die ihm von einem feisten Galan mit Federhut vorgestellt wird. Am linken Bildrand ist ein Mädchen zu sehen, das die Szene neugierig betrachtet. Nach rechts öffnet sich die Waldlandschaft zu einem weiten Ausblick auf eine hügelige Ebene in der Abenddämmerung. Auf der zweiten Tafel lagern alle Figuren auf einer Lichtung. Ein Kavalier in Rückenansicht lauscht angetan den Ausführungen der ihm gegenüber sitzenden Dame, die wohl aus einem geöffneten Buch vorträgt. Zwischen den beiden ist eine weitere Dame platziert, die einen Fächer hält und zu deren Füßen ein Hündchen sitzt. Ein kleiner Junge zwischen den beiden Frauen schmiegt sich an die Lesende und schaut zu ihr auf.1 Wieder teilt sich die Landschaft in einen Fond aus dicht stehenden Bäumen und einen Landschaftsausblick, diesmal links. Dieser zeigt ebenfalls eine weite Ebene im Abendrot, die zum Bildrand hin von einem angeschnittenen, höheren Baumstrunk gerahmt wird. Wieder unterstreichen Weinflasche und Gläser den vergnüglichen Charakter der Zusammenkunft. Im Gesamtwerk Franz Christoph Jannecks (Graz 1703–1761 Wien) nimmt die Gruppe der Gesellschafts- und Genreszenen einen beträchtlichen Raum ein. Verschiedene Darstellungen der höfischen Gesellschaft bei GOÛT PITTORESQUE Rokoko oder goût pittoresque 131 Kat.-Nr. 32 Geschnitzter und vergoldeter Trumeauspiegel à parecloses Nach einer Stichvorlage von Jean-Bernard-Honoré Turreau, genannt Toro (Toulon 1672–1731 Toulon) Italien, um 1730 Pappelholz geschnitzt, graviert, punziert und vergoldet; altes Spiegelglas Höhe 240 cm, Breite 134 cm Provenienz Der Spiegel gehörte ehemals zur Ausstattung des Gran Salone im römischen Renaissancepalazzo Pecci Blunt, wo er zentral über einer Wandkonsole an der freien Wandfläche zwischen zwei Fenstern angebracht war (vgl. Benzi/Vincenti Montanaro 1997, S. 126; Abb. 34) Vergleichsstücke Der figürliche Schmuck eines im Palazzo Pitti in Florenz befindlichen Spiegels geht ebenfalls auf eine Stichvorlage Toros zurück (vgl. Colle 1992, S. 148, Kat.-Nr. 76) Abb. 34 Rom, Palazzo Pecci Blunt, Gran Salone mit Trumeauspiegel in situ, Benzi/ Vincenti Montanaro 1997, S. 126 Der monumentale Prunkspiegel wird durch einen streng achsensymmetrischen Aufbau bestimmt, dessen Untergliederung in einen inneren und einen äußeren Rahmen durch mehrere Verbindungsstege, sogenannte „Traversen“, erfolgt. Während der innere Rahmen bogenförmig angelegt ist, zeigt sich die Außenrahmung vielfach kunstvoll geschweift mit weit ausgreifender Ornamentik. Die profilierte Rahmenleiste ist fein punziert und gleichmäßig von Blattranken umwunden. An zahlreichen Stellen ist ausladendes Akanthusblattwerk aufgelegt, welches C- und S-Schwünge ausbildet. Akanthusmotive bilden neben Lam- brequins auch die verbindenden Elemente zwischen innerer und äußerer Spiegelrahmung. Als zentrale Bekrönung dient ein giebelartig aufschwingender Sockel, auf dem ein stehender Adler mit weit ausgebreiteten Schwingen und nach unten geneigtem Hals aufsitzt. Er scheint den darunter befindlichen grotesken Maskaron zu attackieren. Der weit aufgerissene Mund des geflügelten Maskarons mit fratzenhaften, schmerzverzerrten Gesichtszügen bildet eine ovale Wappenkartusche aus. Zur Linken und Rechten befinden sich auf Schweifgiebeln zwei gegengleich gestaltete, aufrecht schreitende Adler im Seitenprofil. Sie tragen Fruchtgirlanden im Schnabel, welche gleichmäßig U-förmig ausschwingen. Zwei S-förmige Ausbuchtungen an beiden Rahmenseiten tragen aufgesetzte weibliche Büsten mit orientalisierenden Kopfbedeckungen. Im unteren Drittel winden sich rechts und links fauchende Drachen, deren vordere Pranken auf Konsolen ruhen, um die Randleiste. Ihre volutenartig eingerollten Schwänze ragen in die äußeren Spiegelflächen hinein und stoßen an die innere Rahmung an. Den unteren Abschluss bildet ein zentrales Agraffenmotiv mit eingeschriebenem, blütenbekränztem Maskaron. Die Unterkanten sind schwungvoll nach 156 Invention und Vollendung Rokoko oder goût pittoresque 157 Kat.-Nr. 36 Kaffee- und Teeservice in einem Lederkoffer Bestehend aus sechs Koppchen und Unterschalen, Kaffeekanne, Teekanne, Spülkumme, Teedose, Zuckerdose und sechs originalen Augsburger Régence-Silberlöffeln Meissen, um 1722/23 Bemalung mit polychromen Chinoiserien von Johann Gregorius Höroldt (Jena 1696–1775 Meißen), um 1724/24 Unterglasurblaue „K.P.M.“ Marke auf der Zuckerdose und Teekanne, alle Stücke mit Goldmalernummer „61“ Vergoldete Silbermontierung (Kaffeekanne), Meisterzeichen „EA“ für Elias Adam (Züllichau 1669–1745 Augsburg) und Augsburger Beschauzeichen, Augsburg 1723–1735 Höhe 23,5 cm, Länge 55 cm, Tiefe 35 cm (Koffer); Koppchen: Höhe 4, 5 cm, Durchmesser 7,2 cm; Untertassen: Durchmesser 12,5 cm; Kaffeekanne: Höhe 19,5 cm (mit Montierung); Teekanne: Höhe 11,5 cm; Kumme: Höhe 8 cm, Durchmesser 17 cm; Teedose: Durchmesser 10 cm; Zuckerdose: Höhe 8,15 cm, Länge 11 cm Johann Melchior Dinglinger (Biberach/Riß 1664–1731 Dresden) setzte mit seinem „Goldenen Kaffeezeug“, heute im Grünen Gewölbe zu Dresden, 1701 für August den Starken (Dresden 1670–1733 Warschau) die Maßstäbe zur Herstellung von Trinkgefäßen für den Genuss von Kaffee und Tee. Das luxuriöse Ensemble aufwändig dekorierter Schank- und Trinkgefäße, die aus den edelsten Materialien wie Gold und Silber geschaffen wurden und mit Edelsteinen und Elfenbeinfiguren geschmückt sind, vermittelte den fürstlichen Benutzern dieser Gerätschaften stets das Gefühl, an einer außergewöhnlichen Zeremonie teilhaben zu dürfen, die nur einem erlesenen Personenkreis höchsten Ranges vorbehalten war. Die Emailmalereien von Georg Friedrich Dinglinger (Biberach/Riß 1666–1720 Dresden) auf den Deckeltassen und Koppchen mit Chinoiserien sowie mythologischen Szenen und Landschaftsansichten taten ein übriges, um den exotischen Charakter der Geist und Körper gleichermaßen anregenden Getränke zu unterstreichen. Die Form der Trinkgefäße und ihr gemalter Dekor dürften stilbildend auch die Meissener Manufakturisten bei der Gestaltung von Tassen und Koppchen beeinflusst haben, wenn auch letztere sich ursprünglich vom chinesischen Porzellan herleiten lassen, dessen Aussehen man in Dresden aus den zahlreichen Beispielen der umfangreichen Sammlung Augusts des Starken kannte. Mit dem Eintritt Johann Gregorius Höroldts (Jena 1696–1775 Meißen) in die Manufaktur 1720, war man in Meißen schließlich in der Lage, das Porzellan mit Email- Invention und Vollendung 176 Kat.-Nr. 42 Vasenpaar mit Türkisfond und Batailleszenen Meissen, um 1735 Bemalung wohl von Adam Friedrich von Löwenfinck (Biala 1714–1754 Hagenau) Unterglasurblaue „AR“-Monogramme, Dreherzeichen „X“ für Johann Daniel Rehschuh (Dresden 1688–1752 Meißen) Höhe 28 cm (beide) Vergleichsstücke Amsterdam, Rijksmuseum, Inv.-Nr. BK-17401A/B (publiziert in: Den Blaauwen 2000, S. 303, Kat.-Nr. 219 und 220; Ausst.-Kat. Dresden 2014, S. 218, Kat.-Nr. 135 und 136) Die Bechervasen mit ausladender Mündung stehen jeweils auf einem abgesetzten Wulstfuß, ihre Böden tragen beide das unterglasurblaue Augustus Rex-Monogramm „AR“. Diese Marke erhielten ausschließlich Stücke, die für den sächsischen Kurfürsten und polnischen König August II., den Starken (Dresden 1670–1733 Warschau) und dessen Sohn August III. (Dresden 1696–1763 Dresden) gefertigt wurden und welche entweder für die persönliche Sammlung oder zum Geschenk bestimmt waren. Der untere Teil der Wandung wurde mit üppigen Arrangements aus indianischen Blumen vor weiß belassenem Hintergrund dekoriert und setzt sich durch eine goldene Linie und eine Einschnürung vom obere Teil der Abb. 50 Gruppe von Reitern vor einem Zelt, Radierung von Georg Conrad Bodenehr (Augsburg 1666–1742 Augsburg) nach einer Zeichnung von Georg Philipp Rugendas d. Ä. (Augsburg 1666–1742 Augsburg), aus der Serie Reiterstudien und Reitergefechte, Augsburg, zwischen 1693 und 1719, 123 x 162 mm, Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, Sign. GCBodenehr AB 3.15 Rokoko oder goût pittoresque 177 Invention und Vollendung 184 Kat.-Nr. 45 Architektentisch Abraham Roentgen (Mülheim am Rhein 1711–1793 Herrnhut bei Löbau) Neuwied, um 1765 Blindholz: Birnbaum (Beine), Eiche, Nadelholz Furnier: Mahagoni, Ahorn, Kirschbaum Beschläge: Bronze oder Messing feuervergoldet Bespannung: Leder Höhe 80 cm, Breite 102 cm, Tiefe 68 cm Literatur Röntgen 1845; Huth 1928; Huth 1974; Greber 1980; Brachert 1986; Fabian 1986; Fabian 1996; Himmelheber 1998; Cornet 1998; Cornet 2011 Der leicht gebauchte Korpus des Tisches steht auf vier schlanken Beinen mit naturalistisch geschnitzten, über Eck ausgerichteten Hufenfüßen. Das Mahagonifurnier auf den Zargenund Schubladenflächen besteht durchgängig aus einem Blatt und verläuft vertikal über die Vorderseite des Möbels von der Zarge über die Schubladenfugen bis zum oberen Travers. In lebhaftem Kontrast zu diesem Furnier stehen die geschnitzten Möbelbeine aus dem helleren Birnbaumholz. Am Übergang von Zargen und Bein werden die Konstruktionsfugen durch gerundete Überlappungen des Zargenfurniers überspielt. Auf der Schublade und an den Seiten befinden sich schöne Klappziehgriffe, die aus der Werkstatt der Witwe des Koblenzer Gürtlermeisters Anton Kern stammen.1 Zusätzlich sind noch ein Schlüsselschild und Zierbeschläge im oberen Bereich der Beinstollen angebracht. Auf dem Blatt ist ein Rocaillen- und Blumenarrangement in den dunklen Mahagonigrund eingelegt. Das Motiv wird von einem schmalen querfurnierten Band gerahmt, in welches ein mechanisches Element integriert ist, eine Buchleiste, die sich beim Aufstellen der Platte aus ihr heraushebt und beim Schließen wieder bündig in sie zurücksinkt. Der Tisch ist als Mehrzweckmöbel angelegt; sein Blatt ist zweifach hochstellbar, so dass man an diesem Tisch sitzend oder stehend arbeiten kann. Der große Schubkasten birgt das Schreibfach mit einer zurückschiebbaren lederbezogenen Schreibfläche. Darunter befinden sich weitere kleine Schubladen an der Rückwand und zu beiden Seiten noch zwei Fächer mit kleinen Schüben; einer davon ist verschiebbar, um den Zugang zu einem weiteren Schubfach zu ermöglichen. Die Schublade des anderen Faches ist nach außen zu öffnen und für Schreibutensilien gedacht. Abraham Roentgen (Mülheim am Rhein 1711–1793 Herrnhut bei Löbau), der Schöpfer dieses Tisches, hatte einen Teil seiner Gesellenzeit in London zugebracht, wo er zum einen die dortigen handwerklichen Gepflogenheiten und landestypischen gestalterischen Besonderheiten kennenlernte und sich zum anderen dort der Herrnhuter Brüdergemeine, einer pietistischen Gemeinschaft, zuwandte. Die Zugehörigkeit zu den Herrnhutern war in 1 Himmelheber 1998, S. 338 f. und 343 ff. Rokoko oder goût pittoresque 185 Rokoko oder goût pittoresque 199 Kat.-Nr. 47 Ein Paar Sakeflaschen mit türkisfarbenem Fond und Kakiemon-Dekor Meissen, um 1728–30 Kobaltblaue Schwertermarken und eingeschnittene, geschwärzte Inventarnummer des Japanischen Palais zu Dresden „N=291w“ (jeweils beide) Höhe 22 cm (beide) Provenienz Königliche Porzellansammlung Augusts des Starken (Dresden 1670–1733 Warschau) im Japanischen Palais zu Dresden Vergleichsstücke Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Porzellansammlung; Oberschleißheim, Bayerisches Nationalmuseum, Schloss Lustheim, Stiftung Ernst Schneider, Inv.-Nr. ES 26 Die viereckigen gebauchten Flaschen mit schlankem Hals stehen jeweils auf einer quadratischen Grundplatte. Sie entsprechen in ihrer Form den Vorbildern aus chinesischem Yixing-Steinzeug und japanischem Porzellan des 17. Jahrhunderts, wie sie in der Königlichen Sammlung Augusts des Starken (Dresden 1670–1733 Warschau) im Japanischen Palais zahlreich vorhanden waren und um 1728 als Vorbilder zum Kopieren in die Meissener Manufaktur gegeben wurden. Mit diesen Nachahmungen wollte der Kurfürst von Sachsen und König von Polen seine gigantische Sammlung komplettieren, die bei seinem Tod rund 35.000 Porzellane aus China, Japan und Meissen umfasste. Neben exakten Kopien fertigten die Meissener Manufakturisten jedoch auch zahlreiche Eigenschöpfungen unter Verwendung von Versatzstücken aus den Dekoren der ostasiatischen Porzellanmalerei. So wurden – anders als die japanischen Vorbilder – insgesamt 59 Sakeflaschen in Meissen nicht nur mit einem türkisfarbenen Fond, sondern auch mit „indianischen“ Blumen (Päonien, Chrysanthemen, OminaeshiStauden, Pflaumenbaumblüten) und Vögeln (Kranichen, Phönixen) in den vierpassigen, goldgerahmten weißen Reserven in bunten Schmelzfarben bemalt. Dabei folgen die verwendeten Motive denen der japanischen Manufaktur von Sakaida Kakiemon, die anderen Porzellanen der Königlichen Sammlung entnommen sind. Auf diese Weise gelang es der Meissener Manufaktur, sich zwar dem ostasiatischen Stil anzupassen und exotische Muster hervorzubringen, ein direktes Kopieren jedoch zu vermeiden. Auf die Bemalung in Meissen deutet neben der Manufakturmarke auch die goldene Laubwerkbordüre am oberen, weiß belassenen Ende des Halses hin. Im Inventar der Königlichen Sammlung von 1779, Vol. II, Das Sächsisch Porcellain, fol. 17b, sind „Neun und Fünfzig Stück diverse Aufsaz= Bouteillen Celadon-Couleur, mit weißen Feldern darein kleine Blümgen und Zierathen gemahlt, auch vergoldten Rändgen, No. 291“ verzeichnet. Viele Exemplare wurden im späten 19. Jahrhundert aus dem Bestand verkauft, so dass sich gegenwärtig nur noch 26 in der Dresdner Porzellansammlung im Zwinger befinden, davon sechs in gleicher Form und mit identischem DeUP kor wie die vorliegenden Exemplare. Rokoko oder goût pittoresque 207 Kat.-Nr. 51 Garnitur von drei bedeutenden Augustus Rex-Vasen Meissen, 1733/34 „AR“-Monogramme in Unterglasurblau Höhe 55 cm bzw. 46,5 cm Provenienz Marquise de Parabère (Paris 1693–1750 Paris), Mätresse von Philippe II. de Bourbon, Duc d’Orléans (Saint-Cloud 1674–1723 Versailles) Ausstellung Porcelaines de Saxe, Sèvres, Musée National de Céramique, 4. Juli 1952–1. September 1952, Kat.-Nr. 64 Vergleichsstücke Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Porzellansammlung, Inv.-Nr. PE 663 und PE 664; New York, Metropolitan Museum, Lesley and Emma Sheafer Collection, Inv.-Nr. 1974.356. 504 und 1974.356.505; ehemals Wrightsman Collection; Oberschleißheim, Bayerisches Nationalmuseum, Schloss Lustheim, Stiftung Ernst Schneider, Inv.-Nr. ES 640 a–b bis ES 646 (publiziert in: Eikelmann 2004, S. 411, Kat.Nr. 50); Stockholm, Nationalmuseum (publiziert in: Cassidy-Geiger 2007, S. 256, Fig. 11–9) 1 Zitiert nach: Schommers 2004, S. 156 ff. 2 Ausst.-Kat. Dresden 2014, Kat.-Nr. 36–39. 3 Vgl. Jedding 1990. Drei-, fünf- oder siebenteilige Ensembles von Vasen verschiedener Größe und Form gehörten zur repräsentativen Ausstattung barocker Prunkräume und werden in den Inventaren als „Aufsätze“ bezeichnet. Der Preiscourant der Meissener Manufaktur von 1730 vermerkt, dass „Camin Auffsätze [...] meistens vor Ihro Majt. geliefert worden als von 5 und 7 Stücken“,1 um über Türstür- zen oder auf Kaminsimsen platziert zu werden. Die „AR“-Monogramme auf den Vasen bezeugen, dass die Garnitur exklusiv für den König angefertigt bzw. von ihm selbst in Auftrag gegeben worden ist. Auch die Entscheidung hinsichtlich ihrer Verwendung unterlag demzufolge Seiner Majestät, nämlich ob die Vasen nun in einem seiner Schlösser aufgestellt oder als diplomatisches Geschenk überreicht werden sollten. Die Vasenformen folgen Vorbildern aus der chinesischen Porzellanmetropole Jingdezhen und dem japanischen Porzellanzentrum Arita. Der Typus der bauchigen Deckelvase geht auf chinesische Deckelschultertöpfe zurück, die ihrerseits wieder auf Prototypen aus Bronze basieren. Die Stangenvasen mit balusterförmiger Bauchung sind archaischen Ritualgefäßen aus Bronze vom Typ GU nachgebildet. Interessant ist in diesem Zusammenhang der Vergleich mit einem fünfteiligen Vasensatz mit gelbem Fond, dessen Bemalung mit Adam Friedrich von Löwenfinck (Biala 1714–1754 Hagenau) assoziiert wird.2 Der Form nach handelt es sich um dieselben Modelle, deren Entstehung Jedding zwischen 1730 und 1733/34 datiert,3 bevor die Silhouetten und Proportionen marginal variiert beziehungsweise weiter entwickelt wurden. Auch gelang es Johann Gregorius Höroldt (Jena 1696–1775 Meißen) den zarten Gelbton der Fondfarbe erst 1733 herzustellen. Invention und Vollendung 232 Kat.-Nr. 55 Harlekin mit Mädchen, „polnisch tanzend“ Modell von Johann Joachim Kaendler (Fischbach 1706–1775 Meißen), um 1743 Ausformung und Staffierung, Meissen, um 1743–45 Höhe 15,3 cm Vergleichsstücke Basel, Historisches Museum, Stiftung PaulsEisenbeiss (publiziert in: Menzhausen 1993, S. 137); Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Porzellansammlung, Inv.-Nr. PE 253 (publiziert in: Pietsch 2006, S. 71); New York, Metropolitan Museum of Art, Irwin Untermyer Collection (publiziert in: Hackenbroch 1956, S. 93 f.) Die häufig auch als „Tanzende Tiroler“ oder „Tanzende Holländer“ bezeichnete Gruppe stellt in Wirklichkeit eine Szene aus der Commedia dell’Arte dar, in der das Paar polnisch tanzt, so wie es auch in der Taxa derer vom H. Modell-Meister Kaendlern, zur Königl. Porcelaine-Manufactur in Meiszen seit AO 1740 gelieferten und gefertigten neuen Modelle verzeichnet ist: „1. Groupgen, wie ein Arlequin mit einem dergl. Weibel miteinander Pohlnisch tanzen.“ Zweifellos weisen die beiden Figuren mit ihren dynamischen Bewegungsmotiven die typischen Stilmerkmale Johann Joachim Kaendlers (Fischbach 1706–1775 Meißen) auf und sind nicht etwa ein Werk seines Gehilfen Johann Friedrich Eberleins (Dresden 1695–1749 Meißen), der schon im September 1735 „Zwey kleine Figuren einen Tyroler und eine Tyrolerin tantzend vorstellent“ und „Zwey dergleichen Hollender“1 geschaffen hat. Bei dem Tanz handelt es sich nicht um die erst 1830 von einem böhmischen Landmädchen erfundene Polka, sondern um die aus dem polnischen Masowien stammende und am Hof König Augusts III. von Polen und Kurfürsten von Sachsen (Dresden 1696–1763 Dresden) äußerst beliebte Mazurka. Das schwungvolle und wilde Herumdrehen der beiden Tanzpartner, die einander anschauen und bei den Händen fassen, wird durch ihre kontrapostierende Haltung besonders wirkungsvoll zur Anschauung gebracht. Gegenübergestellt, heben sie jeweils das rechte Tanzbein, während sie das linke mit der Fußspitze auf den Boden setzen. Dabei wird der weiße, mit bunten indianischen Blumen geschmückte Rock des Mädchens hinten durch den Schwung nach oben gewirbelt, so dass seine Beine zu sehen sind. Durch den vorn bis auf den Boden herabreichenden Rock erhält die 1 Staatliche Porzellanmanufaktur Meissen, Archiv, AA I Aa 24, fol. 302. Rokoko oder goût pittoresque 233 2 Dresden, Kupferstich-Kabinett, Inv.-Nr. A 69526 (publiziert in: Pietsch 2006, S. 71). Gruppe ihre nötige Stabilität, denn das sonst übliche Anlehnen der Figuren an einen Baumstumpf musste hier entfallen, damit die Mobilität der Szene nicht beeinträchtigt wird. Am Oberkörper ist die Dame mit einer weißen Bluse und einer purpurnen, goldbordierten und ornamentierten Weste bekleidet, über die hinten die beiden Zöpfe ihres schwarzen Haars herabhängen. Der Harlekin mit schwarzen Haaren trägt einen flachen braunen Hut mit roter Schleife in der Mitte der Frontkrempe, orangefarbene Schuhe mit gelben Schleifen, weiße Strümpfe, schwarze Kniehosen mit gelben Schleifen, eine grüne Jacke mit stilisiertem, goldenem Blütenmuster und eine weiße, goldbordierte Halskrause. Das Motiv der beiden Tänzer entnahm Kaendler möglicherweise einem Kupferstich2 von Pierre Filloeul (Abbeville 1696–nach 1754 Paris) nach einem Gemälde von JeanBaptiste Pater (Valenciennes 1695–1736 Paris) mit dem Titel La danse von 1738. UP Invention und Vollendung 242 Kat.-Nr. 60 Bronzemontierte Tischuhr Maus: Modell von Peter Reinicke (Danzig wohl 1711–1768 Meißen), 1743 Ausformung und Staffierung, Meissen, 1743/45; Harlekin mit Dudelsack: Modell von Johann Joachim Kaendler (Fischbach 1706–1775 Meißen), 1736, Ausformung und Staffierung, Meissen, um 1736/38; Fasanenhenne: Modell wohl von Johann Joachim Kaendler, um 1745, Ausformung und Staffierung, um 1745; Blüten: Weichporzellan, Frankreich, um 1750 Uhrgehäuse: China, Jingdezhen, Qing-Dynastie (1644–1911), Ära Kangxi (1662–1722), um 1700 Uhrwerk, bezeichnet „TERRIER A PARIS“ für David Terrier, Paris, um 1750 Bronze, gegossen, feuervergoldet und ziseliert, Frankreich, um 1750 Höhe 28,2 cm Diese zierliche Tischuhr vereint qualitätvolle Einzelobjekte des deutschen, chinesischen, und französischen Kunsthandwerks zu einer in Form und Stil harmonischen Verbindung. Sie wurde in Paris durch einen marchand mercier zusammengefügt und ist der Ästhetik der Epoche Louis XV. verpflichtet. Aus dem fünffüßigen, stark bewegten Rocaillen-Sockel aus feuervergoldeter Bronze erwächst ein knorriger, von Efeu umrankter Baumstamm, welcher drei Arme ausbildet, die mit Blättern bewachsen sind und mit polychrom staffierten Blüten aus französischem Weichporzellan versehen wurden. Die Bronzemontierung, deren Oberfläche durch unterschiedliche Behandlung zwischen glänzenden und matten Partien changiert, ist ausgesprochen fein ausgearbeitet. Der Stamm trägt eine durchbrochene Kugel aus chinesischem Porzellan, in die ein französisches Uhrwerk mit der Signatur „Terrier à Paris“ für den Uhrmacher David Terrier eingelassen wurde. Kugeln dieser Art – ein vergleichbares Paar1 findet sich auch in der Porzellansammlung in Dresden – wurden in ihrem Herkunftsland ver- mutlich als Parfümbehälter oder Grillenkäfig genutzt. Das Uhrgehäuse wird bekrönt von einer kauernden grauen Meissener Porzellanmaus, die von Peter Reinicke (Danzing wohl 1711–1768 Meißen) wohl nach einem Kupferstich von Jacob Hoefnagel (Antwerpen 1573–1632/35 Hamburg) im September 1743 modelliert wurde, der wiederum nach Zeichnungen von Joris Hoefnagel (Antwerpen 1542–1601 Wien) entstand (Abb. 67). In seinen Arbeitsberichten ist sie folgendermaßen verzeichnet: „13) 1 klein Mauß in Thon rein bossirt.“ (Staatliche Porzellan-Manufaktur Meissen, Archiv: Iab 20 Blatt 233). Zwei Abb. 67: Insekten, Pflanzen, Früchte und eine Maus, Kupferstich von Jacob Hoefnagel (Antwerpen 1573–1632/35 Hamburg) nach einer Zeichnung von Joris Hoefnagel (Antwerpen 1542–1601 Wien), 153 x 214 mm, Amsterdam, Rijksmuseum, Inv.-Nr. RP-P-1887-A-11853 Rokoko oder goût pittoresque 243 weitere Porzellanfiguren der sächsischen Manufaktur wurden zu beiden Seiten des Bronzestammes in die Montierung eingebracht und mittels Schrauben fixiert: rechts eine Fasanenhenne mit zwei Küken, links ein sitzender Harlekin mit einem Dudelsack. Während das Modell des Vogels nirgends verzeichnet ist, schreibt Johann Joachim Kaendler (Fischbach 1706–1775 Meißen) zur Figur des Harlekins in seinen Arbeitsberichten des Monats Juli im Jahre 1736: „Einen Arlequin mit dem Tutel Sack aufs Lager, geändert und abformen tüchtig gemacht“2. Alle Figuren dürften in zeitlicher Nähe zum Entstehungszeitpunkt ihres Modells ausgeformt und staffiert worden sein. Die Bedeutung der präsentierten Tischuhr geht weit über die Funktion eines ästhetisch gestalteten Gebrauchsobjekts hinaus. Sie ist Ausdruck einer bis aufs Äußerste verfeinerten Lebensart, die das europäische Kunsthandwerk auf die gleiche Weise schätzte wie die aus Ostasien importierten Güter. Diese wurden nebeneinander gesammelt und ganz selbstverständlich gemeinsam in einem Raum ausgestellt. SKAA 1 Dresden, Staatliche Kunstsammlungen, Porzellansammlung, Inv.-Nr. PO 4296 (publiziert in: Pietsch/Loesch/Würmell 2012, S. 33, Kat.-Nr. 26). 2 Zitiert nach Pietsch 2002, S. 40. Invention und Vollendung 254 Kat.-Nr. 64 Jean-Baptiste Pater (Valenciennes 1695–1736 Paris) Das Blindekuhspiel Öl auf Leinwand 62,5 x 75,5 cm Provenienz A. Febvre, Paris, Auktion 17.–20. April 1882 (Maître Chevallier), Los 28 (verkauft für 21.000 Francs); Sammlung E. Keyser, Paris, 1892; Sammlung Michel Ephrussi, Paris; Sedelmeyer, Paris, 1911; Christie’s London, Auktion, 18. April 1980, Los 104; Harari and Johns, London Ausstellung Cent Chefs-d’Œuvres des Collections françaises et étrangères, Paris 1892 Publiziert Sedelmeyer 1911, Nr. 85; Ingersoll-Smouse 1921, S. 60, Nr. 294 (als Replik oder Kopie der Fassung in Potsdam, S. 59, Nr. 292); Ausst.Kat. Tokyo 1988, Nr. 10 (als eigenhändige Fassung) Jean-Baptiste Pater (Valenciennes 1695–1736 Paris), ein getreuer und talentierter Nachfolger des zehn Jahre älteren Jean-Antoine Watteau (Valenciennes 1684–1721 Nogent-sur-Marne), hatte bereits zu Lebzeiten beachtlichen Erfolg. Er stammte wie Watteau aus Valenciennes und wurde als zweites von fünf Kindern geboren. Sein Vater war Stuckbildhauer, der Onkel Maler. Jean-Baptiste begann seine Laufbahn als Maler in Valenciennes, ging jedoch nach dem Tod seines ersten Lehrmeisters Jean Baptiste Guidé im Jahr 1711 nach Paris und wurde Schüler seines berühmten Landsmanns Watteau. Der Vater von Jean-Baptiste Pater „war der Meinung, dass Watteau als Landsmann Fähigkeiten habe, die seinem Sohn helfen könnten, sich zu vervollkommnen. Er schickte ihn daher zu ihm, damit der ihn ausbilde“. JeanBaptiste Pater ist damit der einzige Künstler, der nachweislich bei Watteau in die Lehre gegangen ist. Doch der Meister hatte einen „allzu schwierigen Charakter und war zu ungeduldig, um sich der Schwächen und dem Fortkommen eines Schülers annehmen zu können […] und so musste sich der junge Pater diesem Umstand fügen und sich bemühen, allein zu arbeiten und sich weiterzubilden“, wie uns Edme-François Gersaint (Paris 1694–1750 Paris) berichtet, der als Händler tätig und Auftraggeber des Gemäldes L’Enseigne de Gersaint (Das Ladenschild des Kunsthändlers Gersaint)1 von JeanAntoine Watteau war, das sich heute in Berlin befindet. Von ungefähr 1715 bis ins Jahr 1718 ging Jean-Baptiste Pater wieder nach Valenciennes zurück. Schriftliche Zeugnisse deuten auf Schwierigkeiten zwischen ihm, seinem Vater und der Sankt Lukas-Gilde hin, einer Zunft, der die Maler angehören mussten, um ihren Beruf ausüben und Handel mit Bildern treiben zu können. Rokoko oder goût pittoresque 255 GOÛT GREC Invention und Vollendung 346 Kat.-Nr. 80 Christian Wilhelm Ernst Dietrich, genannt Dietricy (Weimar 1712–1774 Dresden), zugeschrieben1 Galante Gesellschaft im Park (um 1753/54) Öl auf Leinwand Höhe 132 cm, Breite 162 cm Christian Wilhelm Ernst Dietrich (Weimar 1712–1774 Dresden) wurde am 30. Oktober 1712 als Sohn von Johann Georg Dietrich (1684–1752) und dessen Frau Johanna Dorothea (1690–1723) in Weimar geboren. Schon früh realisierte sein Vater, selbst Maler und Radierer, das Talent seines Sohnes und lies ihm eine erste künstlerische Ausbildung durch Abzeichnen von grafischen Vorlagen und Kopieren verfügbaren Bildmaterials angedeihen. Zudem besuchte er das Gymnasium seiner Heimatstadt. Im Alter von zwölf Jahren sandte ihn sein Vater nach Dresden zu Johann Alexander Thiele (Erfurt 1685–1752 Dresden), einem der bedeutendsten Landschaftsmaler des 18. Jahrhunderts, bei dem Christian Wilhelm Ernst Dietrich bis zum Jahre 1731 sein Können weiter schulen und vervollkommnen sollte. Zeitgleich besuchte er die Dresdner Malerakademie, die seit 1725 unter der Leitung des aus Paris stammenden sächsischen Hofmalers Louis de Silvestre (Sceaux 1675–1760 Paris) stand. 1728 begleitete Dietrich seinen Lehrmeister Thiele nach Arnstadt, wo dieser als Kämmerer, Hofmaler und Galerie-Inspektor im Dienste Fürst Günthers I. von Schwarzburg-Sondershausen (1678–1740) stand.2 Dort erhielt er die Möglichkeit Thieles Landschaften mit Figuren auszustaffieren. Im Jahr 1731 wurde Dietrich schließlich am Dresdner Hof vorgestellt, wo er vor den Augen August des Starken (Dresden 1670–1733 Warschau) ein kleines Gemälde in der Art Adriaen van Ostades (Haarlem 1610–1685 Haarlem) und eine mythologische Szene, das Bad der Diana im Stil Cornelis van Poelenburghs (Utrecht 1594/95–1667 Utrecht) anfertigte.3 Am 30. April des selben Jahres wurde er zum Hofmaler ernannt und zur weiteren Protektion Heinrich Graf von Brühl (Gangloffsömmern 1700–1763 Dresden) anvertraut. Seiner Lehrzeit schloss sich ein längerer Aufenthalt in Weimar an, während dem sich Dietrich vornehmlich dem Zeichnen und Radieren nach holländischen Vorbildern widmete. Nach dem Tod August des Starken überlies sein Sohn, Kurfürst Friedrich August II von Sachsen und König August III von Polen (Dresden 1696–1763 Dresden) die Regierungsgeschäfte weitgehend dem Grafen von Brühl, der 1747 in Folge zahlreicher Ämter und Ehren zum Premierminister ernannt wurde. Aufgrund des angewachsenen Repräsentationsbedürfnis von Brühl erhielt Dietrich den Auftrag für eine große Anzahl dekorativer Malereien für Palais und Residenz des Grafen mit einer Besoldung von 400 Talern. Der junge Maler ließ sich im 1 Das Gemälde wurde von Dr. Petra Schniewind Michel begutachtet und ausdrücklich als ein Werk Christian Wilhelm Ernst Dietrichs, genannt Dietricy ausgewiesen. 2 Vgl. Kat.-Nr. 79. 3 Heinecken 1768, S. 11 ff. Frühklassizismus oder goût grec 4 Heinecken 1768; Heinecken, enger Vertrauter des Grafen von Brühl, wurde 1746 von Kurfürst Friedrich August II. zum Direktor des Kupferstichkabinetts ernannt und war entscheidend für den Aufbau der Dresdner Sammlung verantwortlich. 347 Anschluss daran beurlauben und trat nach einem Aufenthalt in Weimar eine längere Reise an, über deren Destinationen, obgleich man Holland annimmt, kaum etwas gesichert ist. Einzig sein Aufenthalt in Braunschweig 1737 bleibt belegt. 1741 wurde Dietrich, der seit den Jahren 1736/37 auch mit „Dietricy“ signierte, als Hofmaler bestätigt. Diese Würdigung bedeutete für den Künstler eine deutliche Verbesserung seines Status. Seine Werke wurden in die Sammlung der Königlichen Gemäldegalerie aufgenommen und der Kreis seiner Auftraggeber und Bewunderer wuchs. Auf Wunsch des Königs trat Dietrich nur widerwillig eine Reise nach Italien an, die, entsprechend einer Aufzeichnung Carl Heinrich von Heineckens (Lübeck 1707–1791 Altdöbern),4 seiner Weiterbildung dienen sollte. Obgleich sie nur recht kurz ausfiel, hatte Dietrichs Ausdrucksfähigkeit auf dieser Reise an Frische und Lebendigkeit gewonnen und sich sein Motivschatz besonders hinsichtlich der Landschaftsmalerei deutlich Invention und Vollendung 352 Kat.-Nr. 81 Ein Paar Papageien montiert als zweiarmige Leuchter Modell von Johann Joachim Kaendler (Fischbach 1706–1775 Meißen), wohl 1740 Ausformung und Staffierung, Meissen um 1740 Unterglasurblaue Schwertermarken Feuervergoldete Bronzemontierung, Paris, um 1765 Höhe 28,5 cm (beide) Nach der entbehrungsreichen Zeit des Dreißigjährigen Krieges (1618–1648) breitete sich während der zweiten Hälfte des 17. und in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts in ganz Europa die Chinamode aus, die besonders im Kurfürstentum Sachsen unter August dem Starken (Dresden 1670–1733 Warschau) ihre Blütezeit erlebte. Alle kuriosen und exotischen Kulturzeugnisse, gleich welcher fremdländischen Provenienz, erkor der Kurfürst, der 1697 zum polnischen König gewählt wurde, zu seinen Favoriten und trug im Laufe seines Lebens die größte und bedeutendste Sammlung ostasiatischen Porzellans zusammen, die er in seinem Porzellanschloss, dem Japanischen Palais zu Dresden präsentierte. Doch damit nicht genug, auch ein Türkisches Palais, das umfangreiche Schätze des Vorderen Orients beherbergte und eine Menagerie mit vielen nichteuropäischen Tierarten ergänzten die Leidenschaft des Kurfürst-Königs, der obendrein der sogenannten Ägyptomanie erlag. In diesem Zusammenhang spielt Zacharias Wagner, auch „Wagener“ oder „Wagenaer“ (Dresden 1614–1668 Amsterdam), der Sohn eines Dresdner Richters und Religionsverwesers, eine bedeutsame Rolle. Er hatte noch während des Dreißigjährigen Krieges seine Heimat verlassen und trat zunächst in die Dienste der niederländischen Westindischen und 1642 der Vereinigten Ostindischen Kompanie (VOC) in Amsterdam ein, über die auch August der Starke im Wesentlichen seine Porzellanbestände ankaufte. In Brasilien verfasste er eine umfangreiche Beschreibung der Tiere und Menschen des unter niederländischer Herrschaft stehenden Landes, das Thier Buch / darinnen / viel unterschiedlicher Arter der Fische vögel vierfüssigen Thiere Gewürm, Erd= und / Baumfrüchte, so hin undt wieder in Brasilischen bezirck, und gebiethe, Der Westindischen Com / pagnie zu schauwen undt anzutreffen und daher in den Teutschen landen fremde und unbekant / Alles selbst […] bezeiget / In / Brasilien / Unter hochlöblicher Regierung des hochgebornen / Herren Johand Moritz Graffen von Nassau / Gubernator Capitain, und Admiral General / von / Zacharias Wagenern / von Dresden.1 Nach einer der darin enthaltenen Zeichnungen schuf der Meissener Modellmeister Johann Joachim Kaendler 1731 einen AraPapagei in Lebensgröße für August den Starken,2 denn die Haltung von Papageien hatte sich in Europa allmählich zu einem Statussymbol entwickelt. 1731 schickte der Monarch eine Expedition nach Afrika, die von dort unter anderem zahlreiche Tiere mitbrachte, welche als lebendige Exemplare in die Menagerie und 1 Dresden, Staatliche Kuntsammlungen, Kupferstich-Kabinett. 2 Amsterdam Rijksmuseum, Inv.-Nr. BK-17496 (publiziert in: Den Blaauwen 2000, S. 398f., Kat.-Nr. 290). Frühklassizismus oder goût grec 353 Zwar daß solche gegeneinander sehen“ 4, im August, September und Oktober „Zwey Pappagoyen Von ziemlicher Größe aufs Waaren Laager in Thon poußiret und Sauberes Belege Zu deßen postamente gefertiget. Von zweyerlei Arth“ 5 . Mit hoher Wahrscheinlichkeit handelt es sich bei den beiden vorliegenden Exemplaren um eines der Papageienpaare, die als Gegenstücke konzipiert sind, indem sie die Köpfe einander zuwenden. Auch die Angabe des Auftraggebers, Mons[ieur Jean-Charles] Huet, legt diesen Schluss nahe, denn die gegeneinander sehenden Paare wurden häufig von Pariser Goldschmieden im Auftrag der marchands merciers, zu denen Huet gehörte, zu bronzevergoldeten Kandelabern verarbeitet. Zwar entstand die Montierung der beiden Papageien mit Mäanderband und Lorbeerkranz am Sockel sowie Akanthusblättern an den Tüllen erst um 1765, aber ihre Weiterverarbeitung und Veredelung in der französischen Hauptstadt ist damit bewiesen. 3 Zitiert in: Pietsch 2002, S. 70. 4 Zitiert in: Pietsch 2002, S. 70. 5 Zitiert in: Pietsch 2002, S. 72. als Präparate in die sogenannte „Animaliengalerie“ des Zwingers integriert wurden. Einige der letzteren – besonders ausgestopfte Vögel – dienten Kaendler später, nach dem Tod Augusts des Starken, als Vorbilder für seine Porzellanplastiken. So verzeichnet er in seinen Arbeitsberichten des Jahres 1740 schließlich mehrere Papageien: Im Mai „Einen Pappagoy in Thon poußiret große Sorte Vor Mons. Huet. Daß solcher gegen den ehemals Von mir gefertigten Papagoy siehet“ 3, im Juni „Zwey Pappagoyen Von Ziemlicher Größe auf einem großen Ast sietzend in Thon poußiret Vor Mons. Huet. Die Papageien sitzen, den Kopf rückwärtsgewandt, mit angelegten Flügeln jeweils auf einem mit plastischen Blättern, Beeren und kleinen Pilzen bewachsenen Baumstumpf. Das grüne Gefieder mit schwarzer Binnenzeichnung steht in schönem Gegensatz zu den roten Flügelspitzen und den roten beziehungsweise blauen Schwanzfedern. Zusammen mit den dunklen Augen und dem leicht geöffneten blauen Schnabel verkörpern die Porzellanvögel ein lebendiges und natürliches Erscheinungsbild, das jedem aristokratischen Kabinett zu glanzvoller Zierde gereicht und den hohen gesellschaftlichen Rang ihres Besitzers dokumentiert haben dürfte. UP Invention und Vollendung 354 Kat.-Nr. 82 Kommode, sog. commode à la grecque André Louis Gilbert (Paris 1746–1809 Paris, Meister 1774) und Antoine Gosselin (Sarton 1731–1794 Paris, Meister 1752) Paris, um 1770 Gestempelt „A·L·GILBERT“, „A·GOSSELIN“ und „JME“ (zweifach) Blindholz: Eiche Furnier: Rosenholz, Amaranth, Ahorn und Obstholz, grün gefärbt Beschläge: Bronze, gegossen, ziseliert, vergoldet Platte: Brèche d’Alep-Marmor Höhe 87 cm, Breite 126 cm, Tiefe 57 cm Provenienz Frankfurt, ehemals Sammlung Baronesse Mathilde von Rothschild und Erich von Goldschmidt-Rothschild, Inv.-Nr. 493 Publiziert Aukt.-Kat. Ball/Graupe, Berlin 1931, S. 39, Los-Nr. 167 Die imposante Kommode vertritt die in Frankreich als style Transition bezeichnete Übergangsperiode vom Rokoko zum Frühklassizismus. Während die geschweiften Beine stilistisch noch im Rokoko verhaftet sind, verweist die Dreiteilung der Front mit den aufwändigen geometrischen Marketeriebildern als Elemente des goût grec bereits auf den nachfolgenden Stil Louis XVI. Der langgestreckte, querrechteckige Korpus der kastenförmigen Kommode ruht auf vier über Eck gestellten, geschweiften Beinen mit abgefasten Außenkanten. Diese gehen nahtlos in die gerundeten Stollen über. Die Kommodenfront weist eine abgesetzte, leicht vorgewölbte Mittelpartie auf, während die Sei- tenflächen gerade verlaufen. Das Möbel ist horizontal wie vertikal dreigeteilt: Der untere Teil des Kommodenkastens enthält zwei über die ganze Breite reichende Schubladen sans traverse, im oberen Drittel sind drei schmale, durch eine vorkragende Traverse abgesetzte Schubladen eingelassen. Zwei vertikale Lisenen betonen zusätzlich die Dreiteiligkeit der Front. Eine symmetrische, mehrfach geschwungene Schürze dient als Akzentuierung der unteren Kante. Die schwere abschließende Platte aus Brèche d’Alep-Marmor nimmt die Kontur des Korpus auf. Der Marketeriefond ist mit stehend furniertem Rosenholz ausgeführt, welches die Kommode in unterschiedlich große Rechteckfelder unterteilt. Die rahmenden Partien von dunklem Amaranthholz in Kombination mit kontrastierenden hellen Fadenintarsien im Bereich der Beine, Lisenen und Stollen setzen dabei optische Akzente. Die beiden großen Schubladen sans traverse im unteren Teil sind an der Front auf Rahmen und Füllung gearbeitet. Es erfolgt eine Unterteilung in ein nahezu Invention und Vollendung 372 Kat.-Nr. 85 Tabatiere mit Venus und Minerva Kaiserliche Porzellanmanufaktur Wien, um 1780–1785 Dekor Philipp Ernst Schindler (Dresden 1723–1793 Wien) Hartporzellan, Aufglasurfarben, Unterglasurblau, mehrfarbige Vergoldung, Versilberung, mehrfarbige Goldmontierung Länge 8,2 cm Vergleichsstück London, Victoria & Albert Museum, Rosalinde and Arthur Gilbert Collection, mit mythologischer Darstellung nach gleicher Vorlage, dort als „Antonius und Cleopatra“, Inv.-Nr. Loan: Gilbert 507:1–2008, (publiziert in: Röbbig 2013b, S. 93, Abb. IV.23) sichtbar. Die Reserven der Seiten zieren dekorative Malereien mit polychromen Blumenfestons und antikisierenden Philosophenbüsten in Grisaille auf lichtgelbem Grund, die Unterseite zeigt einen Frauenkopf auf Strahlenkranz, ebenfalls in Grisaillemalerei auf dem gleichen lichtgelben Grund ausgeführt. Diese Tabatiere, von gleicher Form und ähnlichem Reliefdekor wie Kat.-Nr. 86, ist in einer ovalen Reserve mit Venus in Begleitung von zwei Amoretten bemalt. Eine der beiden hält einen Spiegel, das Attribut der Göttin der Schönheit, die zweite begleitet Venus mit einer Fackel, der Flamme der Liebe. Venus entfernt sich im Laufschritt von Minerva, der Göttin der Weisheit, diese ermahnt mit erhobenem Zeigefinger zur Wahrung der Tugend und versucht, Venus aufzuhalten, während die Fackel tragende Amorette die Göttin der Liebe zum Aufbruch drängt. Venus ging als Siegerin aus dem Urteil des Paris hervor, in dem Minerva mit Juno unterlag. Die mythologische Darstellung ist von einem Rahmen mit Perlschnurdekor, Bändern und Blüten sowie einem Ornament aus Goldrelief umgeben, das sich netzartig über den unterglasurblauen Fond, über den Deckel sowie die Seiten und Unterseite der Dose zieht und an typische Golddekore auf Emailobjekten erinnert. Unter dem Gold wird an manchen Stellen eine Polimentauflage mit rotem Bolus Aufgrund der Stilistik der Miniaturmalerei des Deckels mit ihrer modellierenden Punktiertechnik und den charakteristisch lockeren Konturen kann die Handschrift der Bemalung Philipp Ernst Schindler (Dresden 1723–1785 Wien) zugeschrieben werden. Schindler war nicht nur einer der besten Dekorateure, sondern auch ein vielfach gelobter Figurenmaler der Kaiserlichen Porzellanmanufaktur in Wien. Seiner Flucht aus Meißen im Jahr 1750 war sein Ruf als Gestalter und Maler von Tabatieren sowie als Porträtist vorausgeeilt.1 Eine stattliche Anzahl Wiener Emailtabatieren sind von Schindler signiert und belegen seinen Erfolg in diesem Metier, auch in seiner Wahlheimat. Eine Tabatiere ähnlicher Form mit gleicher mythologischer Szene zeigt auf der Innenseite des Deckels eine Ansicht der Albrechtsburg in Meißen.2 Da für gewöhnlich die in der Wiener Porzellanmanufaktur entstandenen Tabatieren im Gegensatz zu den wohl in unabhängiger Produktion gefertigten Emaildosen nicht signiert waren, stellt sich die Frage der Provenienz der 1 Zur Geschichte seines Werdegangs vgl. Kat.-Nr. 86. 2 Siehe Röbbig 2013b, S. 93. 3 Publiziert in: Folnesics/Braun 1907, Taf. XXV, Abb. 2 und 3. Frühklassizismus oder goût grec 373 Tabatieren dieses Stils. Die stilistisch begründete Datierung ins späte 18. Jahrhundert schließt aus, dass Schindler die Tabatiere mit der Ansicht der Albrechtsburg an einem anderen Ort als in Wien gemalt haben könnte. Dass er aufgrund seiner Herkunft und familiären Verbundenheit weiterhin Auftraggeber aus Sachsen belieferte, ist jedenfalls denkbar. Die Form der vorliegenden Dose findet sich mit anderen antikisierenden Dekoren aus Wiener Porzellan.3 Auch die erwähnte Dose des Victoria & Albert Museum, wenngleich nicht mit reichem Reliefgold dekoriert, folgt dieser Form. Eine weitere Dose identischer Form mit Blumenfestons und antikisierenden Grisaillefiguren an den Seiten, die mit dem Beispiel aus London vergleichbar ist, wird im Kunstgewerbemuseum in Kopenhagen aufbe- wahrt (Inv.-Nr. B274/1939). Ein dieser Form proportional exakt entsprechender Dekorentwurf aus dem Nachlass der kaiserlichen Porzellanmanufaktur findet sich in der Kunstblättersammlung des MAK in Wien (Inv.Nr. 771/62). Die hier präsentierte klassizistische Dose ist von gemäßigter Farbigkeit, wie es dem Zeitgeschmack um 1780/90 entsprach. Auch das vielfache Auftreten mythologischer Szenen in Schindlers Spätwerk lässt auf eine Datierung der Tabatiere in diese Zeit schließen. Eine neue Technik des Goldreliefs, das in Schichten aus Gold mit dem Pinsel aufgebaut wurde, sollte sich in Wien erst um 1790 durchsetzen. Der Arkanistenadjunkt Joseph Leithner (nachweisbar 1770 bis 1829) adaptierte zu diesem Zweck 1793 noch einmal die Goldrezeptur. CLJ