Gott - ein verborgener Schatz
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Gott - ein verborgener Schatz
Gott - ein verborgener Schatz Sr. Adelheid Scheloske SAC Bereits auf den ersten Seiten von Vinzenz Pallottis Tagebuch finden wir einen Abschnitt, der mir wie ein Schlüssel zu seinem Leben zu sein scheint. Der 21-Jährige schreibt dort: „Alles, was Gott betrifft, will ich als einen verborgenen Schatz betrachten. So will ich mich bemühen, alles zu verkaufen, das heißt von mir zu entfernen, was mich daran hindert, einen solch großen Schatz zu erwerben. Und ich will ihn kaufen, das heißt ich will mich bemühen, ihn zu besitzen. Und wenn ich diesen Schatz auch besitze, werde ich ihn doch immer als mir verborgen betrachten, weil ich niemals dahin gelangen kann, den Wert all dessen, was Gott betrifft, zu erfassen. Ich will all das als die Drachme und die kostbare Perle des Evangeliums betrachten... Und wenn ich es, wie die Drachme, verlieren werde, will ich mit aller Sorgfalt wieder danach suchen, so wie es die Frau im Evangelium machte.“ Vinzenz Pallotti verbindet in diesem Text drei Gleichnisse miteinander, die so im Evangelium nicht miteinander verbunden sind. Die beiden ersten Gleichnisse finden wir im Matthäus-Evangelium, im 13. Kapitel (Verse 44-46): das Gleichnis vom Schatz, der im Acker vergraben ist, und das von der kostbaren Perle, die der Kaufmann findet. In beiden Gleichnissen geht es darum, dass ein Mensch auf einen Schatz stößt: der erste eher zufällig, als er einen im Acker vergrabenen Schatz entdeckt, den Acker kauft und somit den Schatz erwirbt. Der zweite ist ein Kaufmann, der in seiner alltäglichen Arbeit schöne Perlen sucht. Dabei findet er eine besonders wertvolle; und so verkauft er alles, was er hat, um diese eine Perle zu kaufen. In beiden Gleichnissen setzt der Finder also alles daran, etwas besonders Kostbares zu erwerben. Doch im dritten Gleichnis, das Pallotti damit verbindet, geht es um etwas ganz anderes. Wir finden dieses Gleichnis im 15. Kapitel des Lukas-Evangeliums (Verse 8-10). In einer Reihe von drei Gleichnissen veranschaulicht Jesus, dass Gott - und mit ihm Jesus selbst – das Verlorene, den Verlorenen, den Sünder sucht; dass es Gottes Anliegen ist, Verlorene wiederzufinden; und dass die Freude Gottes über den Sünder, der umkehrt, groß ist. Pallotti wählt daraus das Gleichnis von der Drachme, die eine Frau verloren hat. Und er verbindet es mit den beiden Gleichnissen vom Schatz und der Perle. Allen drei Gleichnissen ist etwas gemeinsam, nämlich: dass es um etwas Kostbares geht, das uns nicht einfach in den Schoß fällt. Schatz, Perle und Drachme sind für Pallotti Symbole für Kostbares, das wir nur besitzen können, wenn wir uns darum bemühen. Nur mit ganzem Einsatz können sie erworben und in Besitz gebracht werden. Zwanzig Jahre später kommt Pallotti in einem Brief auf diesen Einsatz, dieses Bemühen zu sprechen, wenn er schreibt: „Suche Gott, und du wirst ihn finden. Suche ihn in allen Dingen, und du wirst ihn in allem finden. Suche ihn immer, und du wirst ihn immer finden.“ Zu Pallottis Vorstellung von Gott gehört es, dass er ein verborgener Schatz ist, den es mit ganzem Einsatz zu suchen gilt; und den wir finden und erwerben können, wenn wir uns darum bemühen und alles dafür einsetzen. Pallotti sagt damit nichts Neues. Die Gleichnisse Jesu vom Schatz und der Perle wurden von vielen so verstanden, dass es darum geht, Gott mit ganzem Einsatz zu suchen. Doch neu und ungewöhnlich klingt, dass für Pallotti der Weg mit dem Finden noch nicht zu Ende ist. Deshalb nimmt er das Gleichnis von der verlorenen Drachme dazu, in dem es neben dem Suchen und Finden auch um das Verlieren geht. Pallotti will sich nicht nur bemühen, etwas in seinen Besitz zu bringen, sondern er will sich bemühen zu besitzen. Und zwar in dem Sinne „besitzen“, dass er nie endgültig „hat“, sondern sich weiter bemühen muss, weil der Schatz, den er sucht, größer ist als alles, was er sich vorstellen kann. „Wenn ich diesen Schatz auch besitze“, so schreibt er, „werde ich ihn doch immer als mir verborgen betrachten, weil ich niemals dahin gelangen kann, den Wert all dessen, was Gott betrifft, zu erfassen.“ Das heißt: für Pallotti bleibt Gott immer größer als alles, was er von ihm wissen oder erfahren kann. Gott ist für ihn der Unendliche, der es immer wert bleibt, gesucht zu werden; der immer noch mehr zu bieten hat. Sich mit dem zufrieden zu geben, was er gefunden hat, zu sagen: „ich habe gefunden, was ich suchte; ich habe erreicht, wonach ich verlangte, jetzt ist es genug, es reicht mir“, – eine solche Haltung würde für Pallotti bedeuten, dass er den Schatz schon wieder verloren hätte. Für ihn ist die Geschichte also nicht damit abgeschlossen, dass er das Kostbare, den Schatz findet, erwirbt und in seinen Besitz bringt. Für ihn beginnt vielmehr dort – im Finden und Erwerben – die Geschichte wieder von Neuem, – mit dem Suchen nach dem immer noch größeren Gott. Deshalb ist für ihn ein Behalten, ein Besitzen nur möglich, wenn er sich immer wieder neu aufmacht zu suchen. Er möchte das, was er erreicht hat, wieder lassen, weil er von Gott noch mehr erwartet. Ja, Pallotti scheint darüber hinaus sogar damit zu rechnen, dass er den mit großem Einsatz erworbenen Schatz tatsächlich wieder verlieren kann, wie die Frau die Drachme im Evangelium verliert. Denn er nimmt sich die Frau aus dem Gleichnis zum Vorbild, indem er schreibt: „Wenn ich es, wie die Drachme, verlieren werde, will ich mit aller Sorgfalt wieder danach suchen, so wie es die Frau im Evangelium machte.“ Das klingt nach einer Sisyphus-Aufgabe. Doch für Pallotti liegt in solch einer Haltung überhaupt nichts Frustrierendes oder Vergebliches. Vielmehr lässt er sich davon begeistern und faszinieren. Für ihn hat Gott eine alles übertreffende Faszination, die ihn immer wieder sagen lässt: das, was ich bin oder erreicht habe, ist nichts; ich will mehr, ich will alles. Vinzenz Pallotti schürt in sich eine Sehnsucht nach dem Unendlichen. Und wenn wir eine ähnliche Sehnsucht in uns spüren, würde er uns vielleicht sagen: „Es ist klar, dass du immer nach mehr suchen wirst. Denn du bist ein Bild des unendlichen Gottes und du trägst die Sehnsucht nach dem Unendlichen in dir. Deshalb suche da, wo du Antwort finden kannst. Das, wonach deine Seele sucht, kannst du nur in der Begegnung mit Gott finden. Deshalb: Suche Gott – in allem und immer – und du wirst ihn finden.“ Pallotti lädt uns ein, uns von dem immer größeren Gott faszinieren zu lassen. Er lädt uns ein, die Sehnsucht nach dem verborgenen Schatz in uns so lebendig zu erhalten, dass wir alles Gefundene immer wieder lassen können, weil wir von Gott noch mehr erwarten. Er lädt uns ein, daran zu glauben, dass es sich lohnt, immer wieder als Schatzsucher aufzubrechen. Und er vermittelt uns die Verheißung, dass wir „finden“ – nicht dass wir „haben“ – werden, wenn wir immer wieder neu bereit sind, bereits Gefundenes zu lassen.