Böse Buben?!?
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Böse Buben?!?
KUNST UND KULTUR stellen, mit ihm über das Dichten, die Musik und die Weltlage sprechen, über die der Künstler, Zitat: „…immer nur das Schlechteste zu sagen wusste – und damit Recht behielt.“ Von Kehlmann, der wie ein Komet am Autorenhimmel aufgestiegen ist, hat man in den letzten Jahren viel gehört. Im Jänner ist sein neuestes Werk „Ruhm“, ein Roman in neun Geschichten mit gehörigem Medienrummel vorgestellt worden. Der in Wien und Berlin lebende Schriftsteller wurde 1975 in München geboren. Sein Großvater war der expressionistische Schriftsteller Eduard Kehlmann, sein Vater Michael war als Regisseur tätig, die Mutter Dagmar Mettler war Schauspielerin. Kehlmanns zogen 1981 zum Großvater nach Wien, wo der Junge die Schule besuchte und am Kollegium Kalksburg Philosophie und Literaturwissenschaften studierte. Nach drei erfolglosen Romanen gelang ihm mit „Ich und Kaminski“ der internationale Durchbruch und sein nächster Roman „Die Vermessung der Welt“ kam 2007 auf der Liste der New York Times der international bestverkauften Bücher auf Platz zwei. Der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller schreibt Rezensionen und Essays für verschiedene Zeitungen und lehrt an einigen Universitäten. *** Kehlmann und Kreisler in Salzburg Böse Buben?!? Daniel Kehlmann wird als „Dichter zu Gast“ bei den diesjährigen Salzburger Festspielen mit Georg Kreisler, dem Meister des schwarzen Humors, über das Dichten, die Musik und die Weltlage sprechen und eine Auswahl seiner liebsten Lieder vorstellen. Vo n E VA V O N S C H I L G E N D aniel Kehlmann, der 34jährige deutsch-österreichische Erfolgsautor ist dieses Jahr „Dichter zu Gast“ bei den Salzburger Festspielen und wird sieben sehr unterschiedliche Abende gestalten. Die letzte Vorstellung ist Georg Kreisler gewidmet, der Vorankündigung nach 102 | SOCIETY 2_09 „der dunkelste, geheimnisvollste, vielleicht beste lyrische Dichter in deutscher Sprache, der nur deshalb nicht mit Literaturpreisen überhäuft wurde, weil seine schwarzen Meisterwerke zu Musik gesetzt sind.“ Daniel Kehlmann wird Kreisler mit einer Auswahl seiner liebsten Lieder vor- Von Wien in die USA Aber was verbindet den zwar kritischen aber durchaus verbindlich erzählenden Autor mit dem Urgestein des hintergründig bösen Humors, mit der Legende der tiefschwarzen Satire, mit dem Übervater des makabren Wortspieles, dem schonungslosen und kompromisslosen Gesellschaftskritiker, dem Meister der Sprache, Mimik und Gestik Georg Kreisler? Um Georg Kreislers Werke zu verstehen, muss man seine Biographie kennen. 1922 in Wien als Sohn einer assimilierten, gutbürgerlichen jüdischen Familie geboren, ist seine Kindheit geprägt vom strengen Vater, der angesehener Rechtsanwalt ist, und der nicht minder strengen Mutter. Das Familienleben findet fast nur in den aufgeklärten jüdischen Kreisen statt. Zwar erkennen die Eltern früh das musikalische Talent ihres Sohnes, doch ihre Freude darüber hält sich in Grenzen, denn der Junge soll studieren. Trotzdem wird er neben dem Besuch des Gymnasiums in Klavier, Geige und Musiktheorie unterrichtet. Die seit 1933 auch in Wien einsetzenden Repressalien gegen Juden entsetzen die Eltern und verstören den Sohn. Man ist der Meinung, dass die politischen Zustände sich wieder zum Besseren ändern werden, FOTO: FOTOS MIT FREUNDLICHER GENEHMIGUNG „ARCHIV DER SALZBURGER FESTSPIELE / FOTO ELLINGER, EORG KREISLER PRIVATARCHIV, FOTO VON DANIEL KEHLMANN: HTTP://WWW.SALZBURGERFESTSPIELE.AT/INTERPRETEN/L/K/ DICHTER ZU GAST auch wenn aus Deutschland anreisende Freunde vom Gegenteil dort berichten. Nach vielen behördlichen Schikanen gelingt der Familie 1938 die Ausreise nach Amerika. Ein Vetter, der als erfolgreicher Drehbuchautor in Hollywood lebt, hatte für ihren Lebensunterhalt garantiert. Schmerzlich müssen die Neuankömmlinge erfahren, dass ihre Fähigkeiten in Amerika nicht gefragt sind. Während der Vater Parfums erzeugt und die Mutter einen Partyservice aufzieht, macht sich Georg Kreislers Musikstudium nun bezahlt. Als Korrepetitor, Probenpianist, Dirigent, Entertainer und Komponist trägt er neben seinem Studium in den nächsten Jahren maßgebend zum Unterhalt der Familie bei. Im Hause des deutschen Kabarettisten, Revue- und Tonfilmkomponisten Friedrich Hollaender, u. a. Komponist des Liedes „Von Kopf bis Fuß“ aus dem Film „Der blaue Engel“, trifft er unter vielen anderen deutsch-österreichischen Emigranten Marlene Dietrich, die er als „gute Köchin“ in Erinnerung behält, den UFA-Star und „das süßeste Mädel der Welt“ Lilian Harvey oder die Diva der 20er-Jahre, die österreichische Operetten- und Revuesängerin und Schauspielerin Fritzi Massary, auch bekannt geworden mit den Liedern wie „Warum soll eine Frau kein Verhältnis haben“ oder „Josef, ach Josef, was bist du so keusch“. Kreisler verliebt sich in Hollaenders Tochter Philine. Er ist gerade 19 Jahre alt und sie 17, als sie auf ihr Drängen in Las Vegas heiraten. Ein Jahr später wird sein Sohn geboren. *** Zurück nach Europa 1943 wird Kreisler amerikanischer Staatsbürger und 1944 als US-Soldat in Europa eingesetzt. Er lernt Marcel Prawy, den späteren Dramaturgen, Opernkenner und Opernkritiker, kennen. Mit ihm entstehen erste Revuen, die in Großbritannien und Frankreich für die Soldaten aufgeführt werden. Ausgebildet zum Verhör deutscher Kriegsgefangener trifft er Julius Streicher, den Herausgeber der Hetzzeitschrift „Der Stürmer“, den ehemaligen Reichsmarschall Hermann Göring und Ernst Kaltenbrunner, SS-Chef der berüchtigten Gestapo. Nach Kriegsende kehrt er wieder nach Amerika zurück und findet in Hollywood in der Filmindustrie Beschäftigung. Unter anderen arbeitet er mit Charlie Chaplin zusammen. Später tritt er in New York als Entertainer in Nachtklubs auf und tourt als Interpret seiner Lieder durch die Staaten. Es sind seine Hungerjahre, denn trotz guter Kritiken halten die Plattenproduktionsfirmen seine Lieder für zu „unamerikanisch“. Seine Frau verlässt ihn und den Sohn, um den sich sein Vater nun kümmern wird. 1949 lernt er das bildschöne kanadische Model Mary Greenwood kennen. Als Marys Aufenthaltsgenehmigung abläuft und die Abschiebung droht, heiratet er sie. Nachdem sich die finanzielle Lage nicht zum Besseren wendet, will das junge Ehepaar einen Neuanfang in Wien wagen. Während Kreisler erste berufliche Erfolge in der Marietta Bar in Wien zusammen mit Hans Weigel, Gerhard Bronner, Peter Wehle und Helmut Qualtinger feiert, geht auch die zweite Ehe in Brüche. Man trennt sich in Freundschaft. Indessen hat Kreisler die deutsche Schauspielerin Topsy Küppers kennen gelernt, die ihn überredet, mit ihr nach München zu gehen, wo ihm endlich der berufliche Durchbruch zum großen Erfolg gelingt. 1962 zieht die Familie, indessen sind Sohn Alexander und Tochter Sandra geboren, wieder nach Wien. Kreisler wird eingeladen, in Salzburg anlässlich der Sommerfestspiele Nestroys Lumpazivagabundus neu zu bearbeiten und zu dirigieren. Obwohl vom Publikum und deutschen Kritikern überschwänglich gelobt, verreißen die österreichischen Kritiker die Bearbeitung. Dies trifft Kreisler doppelt hart, da er eine Karriere als Dirigent, Dramaturg und Regisseur anstrebt. *** Im Dezember 2009 erscheint Kehlmanns neues Buch „Leo Richters Porträt“ Kurz nach Israel Die Generation der 68er proben den Aufstand gegen das Establishment und Georg Kreisler kann sich mit diesen Ideen identifizieren. In der Folge entstehen sehr politi- WERKE (mit dem ausdrücklichen Vermerk der Nichtvollständigkeit) Zahlreiche Singles, EPs, LPs, CDs darunter: Als der Zirkus in Flammen stand · Anders als die andern · Das gibt es nur bei uns in Gelsenkirchen · Das Kabinett des Dr. Kreisler · Der Aufstand der Schmetterlinge · Die alten, bösen Lieder · Die heiße Viertelstunde · Eine Musterpackung guter Laune · Elefantenhochzeit · Hurra, wir sterben · Kreisler Meets Love Meets Jazz · Liebeslieder am Ultimo · Lieder eines jüdischen Gesellen · Lieder zum Fürchten · Max auf der Rax · Mit dem Rücken gegen die Wand · „Nichtarische“ Arien · Please Shoot Your Husband · Rette sich wer kann · Seltsame Liebeslieder · Sieben Galgenlieder · Taubenvergiften für Fortgeschrittene · Unheilbar gesund · Vienna Midnight · Vorletzte Lieder · Wenn die schwarzen Lieder wieder blüh'n · Wenn ihr lachen wollt... · Wo der Pfeffer wächst Fürchten wir das Beste · Zyankali Rock’n‘Roll Aufgeführte Bühnenwerke 1965 Polterabend, uraufgeführt in Zürich 1969 Hölle auf Erden – Operette, Uraufgeführt im Opernhaus Nürnberg 1971 Heute Abend: Lola Blau – Musical, raufgeführt im Theater in der Josefstadt in Wien 1975 Der tote Playboy – Komödie mit Musik, aufgeführt im Landestheater Salzburg 1981 Elefantenhochzeit –aufgeführt im Opernhaus Graz 1983 Maskerade – Operette, uraufgeführt im Rahmen der Wiener Festwochen im Theater in der Josefstadt 1989 Oben – musikalische Komödie, aufgeführt im Landestheater Salzburg und im Landestheater Linz 1991 Das deutsche Kind – satirisches Theaterstück mit Musik, uraufgeführt in der Komödie Dresden 1996 Ein Tag im Leben des Propheten Nostradamus – musikalische Komödie, uraufgeführt im Anhaltischen Theater Dessau, 1997 Der Klezmer – Libretto für ein Musical ohne Lieder, uraufgeführt vom Rocktheater Dresden (1997) 1999 Du sollst nicht lieben – Zwei-Personen-Musical in 17 Bildern mit Musik von Beethoven, J.S.Bach, Liszt, Verdi u. a., uraufgeführt in der Schlosserei des Schauspielhauses Köln 2000 Der Aufstand der Schmetterlinge – satirische Oper, uraufgeführt 11. November 2000 in den Sofiensälen Wien, 2002 Adam Schaf hat Angst oder: Das Lied vom Ende – Ein-Mann-Musical, uraufgeführt im Berliner Ensemble mit Tim Fischer Bearbeitungen 1957 Die Fee von Ferenc Molnár. Bearbeitung für das Deutsche Fernsehen 1962 Lumpazivagabundus – Lustspiel von Johann Nestroy. Neu bearbeitet und mit Liedern versehen für die Salzburger Festspiele 1967 Das Glas Wasser oder: Ursache und Wirkungen – Komödie von Eugène Scribe. Neu übersetzt und mit Liedern versehen. Aufgeführt am Burgtheater Wien SOCIETY 2_09 | 103 KUNST UND KULTUR DICHTER ZU GAST WERKE FORTSETZUNG 1968 Der Vogelhändler – Operette von Carl Zeller. Neu getextet. Aufgeführt im Fernsehen und an einigen Theatern 1985 Das Orchester – Einakter von Jean Anouilh. Fünf Monate auf Tournee gespielt 1985 Bonifácio und die Billionen – Lustspiel von João Bethencourt. Neu übersetzt und bearbeitet. 1985 Jacobi und Leidental – Musical von Hanoch Levin. Neu bearbeitet und mit Liedern versehen. Gespielt im K&K Theater Wien 1993 Tirili – Lustspiel von Otto Grünmandl. Neu bearbeitet und mit Liedern versehen. Aufgeführt bei den Tiroler Volksschauspielen in Telfs und im Theater Münster Zahlreiche Bücher Alles hat kein Ende · Der guate, alte Franz · Der Schattenspringer · Die alten bösen Lieder · Ein Prophet ohne Zukunft · Heute leider Konzert · Ich hab ka Lust · Ich weiß nicht, was soll ich bedeuten · Ist Wien überflüssig · Leise flehen meine Tauben · Lieder zum Fürchten · Lola Blau und Nichtarische Arien · Lola und das Blaue vom Himmel · Mein Heldentod · Mutter kocht Vater und andere Gemälde der Weltliteratur · Nichtarische Arien · Sodom und Andorra · Taubenvergiften für Fortgeschrittene · Wenn ihr lachen wollt... · Worte ohne Lieder · Zwei alte Tanten tanzen Tango AKTUELLE INFORMATION RUHM – Lesung mit Daniel Kehlmann Salzburger Landestheater 27. Juli 2009 LIEBSTE UND VORLETZTE LIEDER mit Georg Kreisler und Daniel Kehlmann Stiftung Mozarteum, Großer Saal 10. August 2009 sche Lieder. Er wird für die Sendung „Die heiße Viertelstunde“ zusammen mit Topsy Küppers im österreichischen Fernsehen engagiert. 1971 geht das Ehepaar bereits getrennte Wege und Kreisler spielt mit dem Gedanken, nach Israel auszuwandern. Er, der nie ein gläubiger Jude war, sucht seine Wurzeln jetzt im Judentum. Aber Kreisler ist zu sehr Europäer und Amerikaner, als dass ihm ein Leben in Israel gefallen würde. Schon nach fünf Monaten Aufenthalt in Israel kehrt er nach Wien zurück. Nachdem der Versuch, dort ein kleines Theater aufzumachen an den bürokratischen Vorschriften scheitert, seine Stücke überall in Europa aufgeführt werden, nur nicht in Wien, fühlt er sich hier nicht mehr zu Hause. 1976 geht er nach Berlin und trifft dort endlich seinen Lebensmenschen, die attraktive und hochbegabte Schauspielerin Barbara Peters, von der er sich nie mehr – auch nicht nur für einen Tag lang – trennen wird. Beide touren höchst erfolgreich durch Deutschland und die Schweiz, bevor man sich 1988 in Hof bei Salzburg für vier Jahre niederlässt. Kreislers Wunsch, sich hier anzukaufen, scheitert an seiner amerikanischen Staatsbürgerschaft. Es verletzt ihn, der vor den Nazis fliehen musste, dass er nun als Bittsteller beim österreichischen Staat um eine Staatsbürgerschaft ansuchen soll. 1992 erfolgt der Umzug nach Basel. 2001 beendet er seine Bühnenlaufbahn und kehrt 2007 nach Salzburg zurück. Nun widmet er sich ganz dem Komponieren und Schreiben von Romanen, Kurzgeschichten und Essays. Derzeit arbeitet er an seiner zweiten Oper. *** Info@salzburgfestival.at www.salzburgfestival.at BUCHTIPP „Georg Kreisler gibt es gar nicht“ – Die Biographie Von Hans-Jürgen Fink und Michael Seufert ISBN 978-3-596-176893-4 Kreislers Lebenswerk Kreislers Lebenswerk ist gekennzeichnet von Empfindsamkeit und Melancholie, von erfahrener Ablehnung und Ausgrenzung, vom Unverständnis über den latenten Antisemitismus, vom Protest gegen die bestehende kapitalistische Gesellschaft und von seiner Suche nach einer Heimat, Szenenfoto aus „Lumpazivagabundus“ Walter Reyer, Bruno Dallansky, Attila Hörbiger 104 | SOCIETY 2_09 „Der Tod, das muss ein Wiener sein.“ die er nun hoffentlich zusammen mit seiner Frau in Salzburg gefunden hat. Der junge deutsche Schauspieler Tim Fischer wurde in den letzten Jahren als exzellenter, moderner Interpret seiner Chansons und Musicals bekannt. Fischer spielte 2002 und 2006 unter der Regie von Georg Kreisler in dessen Stück „Adam Schaf hat Angst“ und wurde 2007 für seine außergewöhnliche Leistung mit dem Rolf-MaresPreis der Hamburger Theater ausgezeichnet. Und so werden wir weiterhin Kreislers Klassiker live hören können wie „Zwei alte Tanten tanzen Tango“, „Wir sind alle Terroristen“, „Als der Zirkus in Flammen stand“, „Der Musikkritiker“, „Meine Freiheit, Deine Freiheit“ und last but not least – denn Georg Kreisler ist noch lange nicht am Ende seiner Schaffenskraft – das Lied, dass die Wiener bis heute am meisten verstörte, denn in keinem anderen wurde jemals die angebliche „Wiener Scheinheiligkeit“ so treffend formuliert wie in seinem Chanson „Geh'n ma Tauben vergiften im Park“. Regiebesprechung mit Regisseur Leopold Lindtberg