Biosimilars (Prof. Dr. M. Ranke)

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Biosimilars (Prof. Dr. M. Ranke)
APE
SPED
ARBEITSGEMEINSCHAFT
PÄDIATRISCHE
SEKTION
ENDOKRINOLOGIE
UND
DIABETOLOGIE
Neue Präparate mit rekombinantem humanen Wachstumshormon (rhGH) –
Zur Diskussion über Biosimilars
Michael B. Ranke im Namen des Vorstandes der Arbeitsgemeinschaft Pädiatrische
Endokrinologie (APE) der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin
und Sektion Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie der Deutschen
Gesellschaft für Endokrinologie
Prof. Dr. Michael B. Ranke, FRCP (Edin)
Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin
Hoppe-Seyler-Str. 1
72076 Tübingen
e-mail: Michael.Ranke@med.uni-tuebingen.de
Einleitung
Die Herstellung von Eiweißmolekülen durch genetische Verfahren ist - obschon auch
schon mehr als 25 Jahre alt - noch eine vergleichsweise junge Technologie. Nach dem
Insulin war Wachstumshormon das zweite synthetisch hergestellte Peptidhormon,
welches zur Marktreife gelangte. Inzwischen ist Wachstumshormon (GH) von
unterschiedlichen Herstellern für die Ersatztherapie des GH-Mangels beim Kind und
Erwachsenen und bei einer Reihe von anderen Kleinwuchsformen im Kindesalter
zugelassen. Die Zulassung erfolgte jeweils nach oft langjährigen Studien (z.T. bis zum
Erreichen der Erwachsenengröße der behandelten kleinwüchsiger Kinder), in denen die
Wirksamkeit und Sicherheit des jeweiligen Präparats evaluiert wurde. Nach der
Zulassung wurde den Herstellern auferlegt, die Wirksamkeit und Sicherheit ihres
Produkts durch Anwendungsbeobachtungen über einen längeren Zeitraum zu
dokumentieren. Durch diese aufwendige Vorgehensweise wissen wir heute, dass
einige rekombinante Wachstumshormonpräparate bemerkenswert sicher sind. Die
europäische Zulassungsbehörde für Medikamente (EMEA, European Medicines
Agency) hat ihre restriktive Haltung hinsichtlich der Zulassung von Präparaten aus
rekombinanter Technologie nunmehr aufgegeben. Das bedeutet, dass neue rhGH
Präparate jetzt für bereits bestehende Indikationen zugelassen werden, auch wenn
keine der bisher üblichen klinischen Studien zum Nachweis der Wirksamkeit und
Sicherheit durchgeführt wurden.
Sprecher: Prof. Dr. med. O. Hiort , Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck, Klinik für Kinderund Jugendmedizin, Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck , Tel.: 0451/500-2191, Fax: 0451/500-6867,
E-Mail: hiort@paedia.ukl.mu-luebeck.de
Vorstandsmitglieder: Prof. Dr. med. N. Albers (Osnabrück); Dr. med. C. Brack (Celle ); PD Dr. med. C. Roth
(Bonn); Prof. Dr. med. M. Wabitsch (Ulm); Prof. Dr. med. S. Wudy (Gießen)
Diese behördliche Umorientierung beruht offenbar darauf, dass die Überzeugung
gewonnen wurde, dass rekombinant hergestelltes Wachstumshormon, sofern
bestimmte Spezifikationen erfüllt sind, den bereits früher geprüften and langfristig
angewendeten Präparaten weitestgehend entspricht. Der Begriff „Biosimilars“, der die
Ähnlichkeit zwischen den Produkten, nicht aber ihre Gleichheit - wie bei den Generika zum Ausdruck bringt, wurde hier geprägt. Die Komplexität dieser zu diskutierenden
Problematik ist nur im Zusammenhang mit der komplexen Physiologie der GH Systems
und der historischen Entwicklung zu verstehen, weshalb diese in die Betrachtung mit
einbezogen wurde.
1. Physiologie des Wachstumshormons
Menschliches (humanes) Wachstumshormon (Syn. Somatropin = STH, human growth
hormone = hGH) ist ein einkettiges Peptidhormon aufgebaut aus 191 AS ohne
Zuckerreste, welches über zwei Di-Sulfidbrücken (Cys53-Cys165; Cys182-Cys189) in
seine Tertiärstruktur gefaltet ist. Diese besteht aus vier alpha-Helices, die antiparallel
angeordnet sind. Wachstumshormon ist das Produkt des GH-1 (GH-N) Gens, welches
zusammen mit dem GH-2 (GH-V) Gen, das nur in der Plazenta exprimiert wird, auf dem
langen Arm des Chromosoms 17 lokalisiert ist. Neben dem hGH mit einem
Molekulargewicht von 22 kD (ca. 90%) entsteht durch alternatives Splicing eine
Proteinvariante (20 kD, ca. 10%), dem die AS 32-46 der 22 kD Form fehlen. Darüber
hinaus existieren im Blut in geringeren Konzentrationen, jedoch individuell variierend,
weitere GH-Varianten und Oligomere (z.B. "big" GH) mit unterschiedlicher biologischer
Aktivität. (Baumann, 1991; Moseley und Phillips, 2000).
Die Synthese und Sekretion von GH wird vordringlich durch die Balance zwischen GHReleasing-Hormon (GHRH) und GH-Release-Inhibiting-Hormon (GHRIH) reguliert
(Smith et al., 1997). Die spontane GH-Sekretion ist pulsatil. Die Sekretionsepisoden
erfolgen ca. alle 3 Stunden. Die GH-Sekretion ist im Säuglingsalter und in der Pubertät
am höchsten. Im Erwachsenenalter sinkt die GH-Sekretion bis ins Senium hin ab. In der
Adoleszenz beträgt sie etwa 60 µg/kg KG/24 Std., im jungen Erwachsenenalter etwa 17
µg/kg KG/24 Stunden. Die zelluläre Signaltransduktion erfolgt in mehreren Schritten
(Kelly et al., 2001). Der erste Schritt der GH-Wirkung ist die spezifische Bindung an
einen Membranrezeptor (GH-R). Der GH-Rezeptor besteht aus einer extrazellulären,
einer transmembranen sowie einer intrazellulären Domaine, welche mit der
intrazellulären Signalkaskade gekoppelt ist. Die Rezeptorstruktur beeinflußt die GH
Wirkung. Die extrazelluläre Domaine des GH Rezeptors kann beim Menschen
abgespalten werden und zirkuliert dann als hochaffines Bindungsprotein für GH (GHBP).
Die Wirkungen des Wachstumshormons sind entweder direkt oder werden indirekt
durch Insulin-like Growth Factor-I (IGF-I) vermittelt (Ranke und Elmlinger, 1997).
Während GH eine hohe Speziesspezifizität aufweist (nur hGH wirkt beim Menschen),
ist IGF-I verschiedener Spezies sehr homolog. Das GH-abhängige IGF-I der Zirkulation
stammt überwiegend aus der Leber, aber auch aus anderen Geweben.
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IGFs zirkulieren an Bindungsproteine (IGFBP-1 bis -6) assoziiert. Die funktionelle Rolle
der IGFBPs ist, dass sie die Halbwertzeit der IGFs, die in "freier" Form nur wenige
Minuten beträgt, verlängert (ca. 12 Stunden) und für die Präsentation von IGFs an ihre
Rezeptoren in verschiedenen Geweben eine zentrale Rolle spielen.
Die metabolischen Effekte des GH können schematisch in direkte und indirekte (IGF
vermittelt), sowie in sofortige und mit Verzögerung auftretende eingeteilt werden
(Moeller, 1993; Joergensen et al., 2005). Die morphologischen und funktionellen
Wirkungen von GH (IGF) auf einzelne Organsysteme - Skelettmuskulatur,
Herzmuskulatur, Knochen, Bindegewebe, Darm, Gonaden, Immunzellen - sind
vielfältig, wie experimentelle Studien sowie Beobachtungen beim GH-Mangel und GHExzess belegen. Sie leiten sich aus metabolischen, zelltrophischen und in den
Apoptoseprozess eingreifenden Wirkungen von GH ab.
Der GH-Mangel stellt ein Spektrum von Störungen dar, die teils angeboren, teils
erworben sind (Zabransky und Ranke, 2002). Im Kindesalter stellt der idiopathische
GH-Mangel, der isoliert oder in Kombination mit anderen hypophysären Ausfällen
auftritt (Inzidenz ca. 1:4.000) die häufigste Form dar. Erworben kann der GH-Mangel
bei Tumoren in der Region der Hypophyse werden. Im Kindesalter sind dies
Kraniopharyngiome und Dysgerminome, während im Erwachsenenalter hormonell
inaktive Hypophysenadenome die häufigste Ursache darstellen. Die Diagnostik des
GH-Mangels bei Kindern, Jugendlichen und Erwachsenen ist auch heute noch ein nicht
in jeder Hinsicht gelöstes Problem (Ranke, 1994; Wüster et al., 1994; Rosenfeld et al.,
1995; Thorner et al., 1995; Ranke 2003).
Bei der Behandlung des GH-Mangels handelt es sich um eine Substitutionstherapie. Im
Kindesalter war das Wachstum der bisher einzige Effektivitätsparameter. Die Ziele der
Therapie bezüglich des Wachstums sind grundsätzlich: 1. möglichst physiologisches
Aufholwachstum, 2. normale Körperhöhe während des Kindesalters, 3. zeitgerechtes,
normales Pubertätswachstum, und 4. normale Körperhöhe im Erwachsenenalter. Die
injizierte GH Dosis muss sich aber darüber hinaus an Sicherheits- und Kostenaspekten
orientieren. Beim Erwachsenen führt die Ersatzbehandlung mit GH zu einer Reihe von
anabolen Wirkungen in verschiedenen Organen, z.B. Muskeln und Knochen. Die GHDosis wird individuell nach dem IGF-I Spiegel im Blut titriert. Die Dosen für Erwachsene
sind um das 3-4fache niedriger als im Kindesalter (de Boer und van de Veen, 1997).
Darüber hinaus ist GH heute im Kindesalter zur Behandlung des Kleinwuchses bei
Ullrich-Turner-Syndrom [UTS], chronischer Niereninsuffizienz, Kleinwuchs nach intrauteriner Wachstumsretardierung [SGA], und Prader-Willi-Syndrom [PWS] meist mit
supraphysiologischen Dosen zugelassen (Zabransky und Ranke, 2002). Es handelt
sich in aller Regel um eine mehrjährige Therapie.
Die Therapie mit GH wird seit 50 Jahren praktiziert und hat sich insgesamt als
außerordentlich sicher erwiesen (Thorner, 2001; Bowlby und Rapaport, 2006).
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Nach Behandlung mit extraktiv gewonnenem, hypophysärem GH ist über Fälle mit
Creutzfeld-Jakob-Erkrankung berichtet worden (s.u..), eine Gefahr die bei Verwendung
von rekombinantem GH nicht gegeben ist. Es gibt keine gesicherten Hinweise dafür,
dass GH maligne Erkrankungen verursacht. Der Glukosestoffwechsel wird durch die
GH-Ersatztherapie nicht negativ beeinträchtigt (Cutfield et al., 2000). Das
Risikopotential einer GH-Therapie hängt im Einzelfall nicht nur von der GH-Dosis
sondern auch von der Grunderkrankung ab.
2. GH Präparate
2.1 Extraktives (hypophysäres) Wachstumshormon
Die Geschichte bis hin zur Entwicklung einer Ersatztherapie bei
Wachstumshormonmangel mit einem Hypophysenextrakt durch Raben (1958) ist an
die bahnbrechenden Arbeiten von Li, Wilhelmi, Evans und Knobil (Übersicht siehe
Tattersall, 1996; Lindholm, 2006) geknüpft. Allein die Speziesspezifizität des
menschlichen Wachstumshormons und das Fehlen einer einfachen Methode zur
Bestimmung von GH in vitro (Hunter und Greenwood (1962)) mag die Probleme jene
Pionierjahre veranschaulichen. Neben der Gewinnung der Wirksubstanz galt es,
andere Hormone aus dem Extrakt der Hypophyse zu entfernen und gefährdende
Komponenten wie Bakterien, Viren und pyrogene Substanzen zu eliminieren. Auch
hochreines hypophysäres GH war nicht monomer, sondern bestand aus einer Reihe
verschiedene Komponenten und Aggregatformen (Stein , 1982; Holmström unf
Fhölenhag, 1975; Bristow, 1999). Um dem Bedarf an Hormon für die klinische
Versorgung und die wissenschaftliche Entwicklung zu entsprechen, wurden in den
USA, UK und Frankreich nationale Institutionen gegründet, welche die Logistik der
Produktion und der Verteilung von hGH in die Hand nahmen (Raiti, 1986). Vom Ende
der 1960iger Jahre an und nach Entwicklung neuer Reinigungsverfahren (Trygstad und
Voss, 1971; Jones, 1979) wurde dieser Prozess auch durch kommerzielle
Unternehmen organisiert. 1985 wurde entdeckt, dass das infektiöse Agens, welches die
tödliche Creutzfeldt-Jakob´sche Erkrankung verursacht, durch hypophysäres hGH auf
Patienten übertragen wurde (Powell-Jackson et al., 1985; Frazier, 1997; Goujard et al.,
1989, Swerdlow et al., 2003). Es ist bemerkenswert und spricht für die Bedeutung ganz
bestimmter Herstellungsprozesse und ihrer Kontrolle (Trygstad and Foss, 1971;
Holmström und Fhölenhag, 1975), dass derartige Ereignisse bisher nicht von Patienten
berichtet wurden, die mit kommerziell hergestellten hGH-Präparaten behandelt wurden.
Hypophysäres hGH wurde nach 1985 weitestgehend aus dem Handel genommen.
2.2. Rekombinant hergestelltes Wachstumshormon (rhGH)
Die Entwicklung eines Peptidhormons mittels rekombinanter DNA Technologie ist ein
komplexer Prozess.
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Goeddel und Mitarbeiter (1979 ) haben als erste die Verfahren beschrieben, mittels
derer humane DNA in die genetische Struktur von E. coli Bakterien eingebracht werden
kann und in den Bakterien zur Synthese von hGH führt. Dies ist Grundlage für die
industrielle Herstellung von rhGH (Flohd, 1986; Ross et al., 1986). Die Genstruktur
eines solchen Expressionsplasmids muss so gestaltet sein, dass es zum Start, zur
Kontrolle und zur Beendigung des Prozesses kommen kann, welcher die
Proteinsynthese initiiert. Dies schließt die Utilisierung einer Promotorregion,
Selektionsmarker, und eine Bildungsstelle von RNA von mRNA an Ribosomen ein. Aus
methodischen Gründen war dem ersten rekombinanten hGH zunächst ein Methionin
vor die erste originäre Aminosäure (Phenylananin) vorgeschaltet. Im Gegensatz zu
Bakterien vermögen es eukaryote Zellen, das von ihnen gebildete Hormon in Granula
„verpackt“ im Zytoplasma zu transportieren und dann nach außen zu sezernieren
(Hizuka 1982, Catzel 2003). Die Fähigkeit zur Sekretion von rhGH in den
periplasmatischen Raum konnte in Bakterienkulturen schließlich auch erreicht werden
(Gellerfors et al., 1989). Authentisches rhGH entspricht dem Hauptprodukt (der 22 kD
Variante) der Hypophyse (Gellerfors et al., 1989). Neben der Vermehrung
(Fermentierung) der das rhGH produzierenden Zellen besteht der Produktionsprozess
natürlich auch noch in der Aufreinigung, d.h. der Entfernung aller nicht hormoneller
Anteile (Ribela et al.,2003) im industriellen Maßstab. Strukturanalysen mittels
Chromatographie (z.B. SDS-PAGE, HI-HPLC), Laserdensitometrie und
Proteinsequenzanalyse u.a.m. (Ribela et al., 2003) sowie Immuno-, Radiorezeptor- und
Biosassays dienen dem Nachweis der chemischen und biologischen Identität mit dem
hypophysären 22- kD hGH. Und schließlich entsteht ein fertiges Präparat erst durch die
Formulierung (Puffer, Konservierungsmittel, etc.) und die Verpackung - und kann sich
schließlich während Lagerung wieder verändern.
3. Pharmazeutika, Biosimilars und Zulassungsverfahren
Die Herstellung und Zulassung von arzneilichen Wirkstoffen unterliegt komplexen
Regeln und in Europa der Kontrolle der EMEA (European Medicines Agency). Die
Prinzipien der Kontrollverfahren können hier nur sehr kurz zusammengefasst werden.
Voraussetzung für die Zulassung eines Arzneimittels ist der Nachweis der Wirksamkeit
und Sicherheit. Das Zulassungsverfahren gliedert sich in einen präklinischen und einen
klinischen Teil. Im präklinischen werden Aspekte der Herstellung und Reinheit der
Substanz, sowie ihres pharmakologischen und toxikologischen Verhaltens in vitro und
im Tierversuch überprüft. Im klinischen Teil erfolgt nach der Testung an Probanden die
Untersuchung bei Patienten nach vorgegeben Zielkriterien (z.B. Wachstum bei
Kleinwuchs). Neben den „klassischen“, im wesentlichen durch chemische Synthese
hergestellten Arzneimittel existieren seit den 1980iger Jahren eine Reihe von
Biopharmazeutika (z.B. Insulin, hGH, Erythropoetin, u.a.), die durch gentechnisch
veränderte Zellen produziert werden (Crommelin, 2003). Dem Erstanbieter einer
Wirksubstanz werden Schutzrechte (Patent) für einen bestimmten Zeitraum gewährt, in
welchem er sein Produkt auf dem Markt exklusiv gewerblich nutzen kann.
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Nach Ablauf solcher Schutzrechte/-fristen können Zweitanbieter Arzneimittel in den
Handel bringen, nachdem der Nachweis erbracht wurde, dass diese den gleichen
Wirkstoff in der geforderten pharmazeutischen Qualität enthalten und gleiche
pharmakokinetische Eigenschaften (Bioäquivalenz) aufweisen, sog. Generika.
Die Generika werden in typischer Weise mit einem niedrigeren Preis als die
Erstanbieterprodukte (Original) am Markt angeboten. Die Entscheidung über die
Gleichheit bzw. Vergleichbarkeit zweier Substanzen hat somit zwangsläufig erhebliche
wirtschaftliche Implikationen, weshalb die beteiligten Parteien oft unterschiedliche
Argumentationslinien vertreten. Die Zulassungsbehörden, die Pharmaindustrie und die
Wissenschaftler teilen die Auffassung, dass Biopharmazeutika nach etwas anderen
Regeln bewertet werden müssen als die übrigen Arzneimittel. Die höhere Komplexität
der Biopharmazeutika betrifft hierbei sowohl die Herstellungsprozesse als auch die
Substanzen selbst. So wird davon ausgegangen, dass Modifikationen im
Herstellungsprozess, wie sie durch Verwendung unterschiedlicher Zelllinien,
Geräteschaften, Materialen, Jonenstärken, pHs, ect., - welche bei unterschiedlichen
Herstellern schon durch die patentrechtliche Situation zu einzelnen Schritten der
Herstellung zwangsläufig gegeben sein müssen - , auch zu Modifikationen der
Wirksubstanz und/oder ihrer Stabilität (z.B. Fragmentbildung, Diaminierungen,
Aggregatbildungen) führen können. Und es gibt die Ansicht, dass auch kleine
strukturelle Modifikationen, insbesondere bei langjähriger Anwendung (wie bei rhGH),
zu unterschiedlichen Wirkungen führen können (De Palo et al., 2006). Antikörper gegen
die Wirksubstanz selbst oder deren Modifikationen können deren Wirksamkeitsprofil
ebenfalls verändern (Frost, 2005). Zudem können Verunreinigungen mit Proteinen der
das Hormon produzierenden Zellen (sog. HCPs = Host Cell Proteins) zu einer
Antikörperbildung sowohl gegen diese Fremdproteine als auch wohl indirekt zu einer
vermehrten Antikörperbildung gegen die Wirksubstanz selbst führen (Fryklund et al.,
1986; Bierich et al., 1986; EBE EuropaBio Comments, 2006).
Unter der Annahme der Unterschiedlichkeit der Biopharmazeutika wurden neue rhGH
Präparate bezüglich ihrer Zulassung bisher ebenso wie die ursprünglichen Produkte der
jeweiligen Wirksubstanz behandelt. Dies bedeutete nicht nur, dass sie sich den für
Biopharmaka geltenden umfangreichen präklinischen Untersuchungen zu unterziehen
hatten, sondern dass Wirksamkeit und Sicherheit für die jeweilige Indikation durch
klinische Studien nachzuweisen waren. Für rhGH bedeutete dies zum Beispiel für ein
neues Produkt, dass jahrelange Studien zum Nachweis der Wachstumsförderung beim
Kind durchzuführen waren.
Ob Unterschiede zwischen den derzeit im Handel befindlichen rhGH Präparaten in der
Tat zu Unterschieden in Wirkung geführt haben, ist unklar. Der direkte Vergleich der
Wirksamkeit zweier rhGH Präparate bei einer definierten Diagnose über einen längeren
Zeitraum ist bisher nicht durchgeführt worden. Ob die zugelassenen Präparate in Bezug
auf ihre langfristige Sicherheit gleich zu bewerten sind, ist ebenfalls letztlich nicht klar.
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Zugängliche Daten zur langfristigen Sicherheit von rhGH gibt es bisher fast
ausschließlich durch Publikationen aus den Anwendungsbeobachtungen zweier
Hersteller (NCGS, KIGS/KIMS) (Blethen et al., 1996; Wilton, 1999; Thorner, 2001;
Wyatt, 2004; Kemp et al., 2005), deren Produkte bezüglich Sicherheit als
„Leitsubstanzen“ gelten können. Die anderen Hersteller von rhGH haben bisher keine
vergleichbar umfängliche Ergebnisse veröffentlicht. Es ist bemerkenswert, dass viele
Verschreiber von Wachstumshormon (wenigstens in der Pädiatrie) ihre Patienten in der
Regel langfristig nur mit einem bestimmten Präparat zu behandeln pflegen und die
verschiedenen Produkte somit nicht wie austauschbare Generika behandeln.
Vor dem Hintergrund der fast 20jährigen Erfahrung mit verschiedenen zugelassenen
rhGH Präparaten und der Entwicklung dieses Wirkstoffs durch weitere Hersteller stellte
sich für die Zulassungsbehörde offenbar die Frage, ob neue rhGH Präparate weiterhin
als „neue“ Substanzen oder als Generika zu betrachten seien (EMEA, 2002). Als
Antwort auf diese Konfliktsituation wurde der Begriff „Biosimilar“ geprägt, und es
wurden Regelwerke für sie entwickelt. Arzneimittelrechtlich ist ein Biosimilar „ein
biologisches Arzneimittel, das sich auf ein bereits existierendes bezieht und für das
nach Ablauf des Patentschutzes des Originalpräparates in einem unabhängigen Antrag
die Zulassung … beantragt wurde“ (EMEA). Dies bedeutet, dass neue
Biopharmazeutika einerseits nicht eigentlich als Generika betrachtet werden aber
anderseits doch als den originären Produkten weitgehend ähnliche („similar“)
Präparate. Für den präklinischen Teil der Zulassung bedeutet dies, dass die neuen
rhGH Präparate prinzipiell alle Voraussetzungen erfüllen müssen wie die nach bisher
geltendem Verfahren zugelassenen Produkte auch. Für den klinischen Teil der
Zulassung folgt jedoch, dass ein neues Produkt sich auf ein zugelassenes Produkt
bezieht, seine Vergleichbarkeit mit diesem durch eine vergleichende klinische Studie
(teilweise) nachweisen muss und bei Erfolg das gesamte Zulassungsspektrum des
bereits zugelassenen Referenzprodukts zugewiesen bekommen kann. Zum Beispiel:
Das neue Produkt „N“ wird wie das alte Produkt „P“ für die Indikationen „A, B, C und D“
zugelassen, nachdem es aber nur die klinische Vergleichbarkeit für der Indikation „A“
erbracht hat.
Die Zulassung des rhGH Präparats der Fa. Sandoz (Substanz „N“) für alle Indikationen
des rhGH Vergleichspräparats der Fa. Pfizer (Substanz „P“) nach den neuen Regeln
der Biosimilars erfolgte auf der Basis folgender klinischer Studien (Details s. European
Public Assessment Report (EPAR) der EMEA zur Zulassung von Omnitrope;
www:EMEA.eu.int (2006)):
(A) Von N=89 präpubertären, bisher unbehandelten Kindern mit GH-Mangel
erhielten nach Randomisierung rhGH (Dosis: 30 µg/kg/Tag): N=44 der Substanz „N“
(Pulverform, in Fabrik USA hergestellt) und N=45 der Substanz „P“ (Pulverform) für
9 Monate. Die Wirksamkeit auf das Wachstum und andere Erfolgskriterien war im
Vergleich der Produkte nicht unterschiedlich. Allerdings ließen sich bei Kindern, die
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mit Substanz „N“ (in Fabrik USA hergestellt) behandelt wurden, in hoher Frequenz
anti-hGH- und anti-HCP Antikörper nachweisen. Vom 9. bis 15. Monat erhielten
N=42 der Patienten die Substanz „N“ (Pulverform, in Fabrik Österreich hergestellt)
und N=44 der Patienten die Substanz „N“ (Flüssigform, in Fabrik Österreich
hergestellt). Ab dem 15. Monat erfolgte die Behandlung von N=82 Patienten mit
Substanz „N“ (Flüssigform, in Fabrik Österreich hergestellt).
(B) N=51 präpubertäre, bisher unbehandelten Kindern mit GH-Mangel erhielten
rhGH (30 µg/kg/Tag) der Substanz „N“ (Pulverform nach überarbeitetem
Herstellungsprozess, in Fabrik Österreich hergestellt). Nach 12 Monaten der Studie
(nicht vergleichend zu Substanz „P“ durchgeführt) erfüllten die Patienten die
Wirksamkeitskriterien ohne Antikörpernachweis. Nunmehr ist Substanz „N“
(Pulverform, in Fabrik Österreich hergestellt) für alle Indikationen wie das
Bezugspräparat der Fa. Pfizer (GH-Mangel, Ullrich-Turner-Syndrom, Prader-WilliSyndrom, SGA und CRI) zugelassen.
4. Schlussfolgerungen
Die Zulassung von gentechnisch hergestellten Substanzen nach den Regeln von
„Biosimilars“ wird von einigen Fachleuten mit Sorge und Skepsis begleitet (Lu, 1998;
Van Rijkom et al., 1999; Ronco, 2005; Schellekens, 2005, Combe et al., 2005;
Crommelin et al., 2005). Ob die von den Experten vorgetragenen Risiken durch
Unterschiedlichkeiten in Herstellung, Wirksamkeit und Sicherheit in jeder Hinsicht auch
für rhGH Biosimilars gelten, lässt sich auch vor dem Hintergrund des geschilderten
Studienbeispiels nicht endgültig beurteilen. Es ist für den Kliniker auch nicht eindeutig
nachzuvollziehen, welche sachlichen Argumente letztlich dazu geführt haben, dass die
Zulassungsbehörde ihre bisherige strikte Linie, nämlich die Zulassung eines neuen
rhGH Präparats nur nach klinischer Prüfung für jeweils nur eine Indikation, verlassen
hat. Allerdings gilt es wohl, das Vorsichtsprinzip in der Medizin („primum nihil nocere“)
mit Augenmaß auch auf den „allgemein anerkannten Stand der medizinischen
[wissenschaftlichen] Erkenntnis“ und unter Berücksichtigung neuer Entwicklungen
(„medizinischer Fortschritt“) hin anzuwenden. Für neue rhGH Produkte gilt im Prinzip
auch heute, dass sie den Nachweis der gleichen klinischen Wirksamkeit und Sicherheit
vor und nach der Zulassung (Anwendung) in einem bestimmten Rahmen zu erbringen
haben wie die bereits jahrelang zugelassenen, wirksamen und sicheren Produkte. Vor
der Zulassung mögen dabei vieljährige Studien - bezüglich Wachstum etwa bis zum
Erreichen der Erwachsenengröße - in der Tat nicht mehr angemessen sein. Nach einer
Zulassung sollten aber Wirksamkeit und insbesondere Sicherheit längerfristig weiter
dokumentiert werden. Vor dem Hintergrund eines solchen Erfordernisses scheint es
angemessen, dass für derartige Anwendungsbeobachtungen von den
Zulassungsbehörden - zusammen mit den Verschreibern/ Fachgesellschaften entwickelte, verbindliche Regeln der Dokumentation, Erfassung und Auswertung erstellt
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werden. Das Prinzip der „Präparatekontinuität“, welches Grundlage für die bestehenden
Informationen zur individuellen Wirksamkeit und Sicherheit von rhGH Präparaten ist,
würde durchbrochen, wenn der Behandelnde nunmehr aufgrund einer sich
abzeichnenden neuen Preisstruktur dazu gezwungen würde, das „Biosimilar-Produkt“
primär zu präferieren oder seine Patienten daraufhin umzustellen. Dies hieße nichts
anderes als rhGH Präparate wie Generika betrachten zu sollen. Wäre das der Fall, so
wäre der Begriff „Biosimilars“ nur ein Wort im „Newspeak“ von Interessengruppen. Man
sollte bei der Diskussion in jedem Fall erkennen, dass mit dem Begriff „Biosimilars“
vordringlich eine bestimmte Form der Arzneimittelzulassung definiert wurde, und keine
absolute Grundsatzentscheidung darüber getroffen wurde, wie die Gleichheit von
Biopharmazeutika in jeder Hinsicht zu definieren sei. Auch wird weder durch den Begriff
„Biosimilar“ noch durch eine Zulassung festgestellt, dass komplexe Biopharmazeutika
derselben Substanz völlig identisch sind. Der APE-Vorstand weist mit dieser
Zusammenfassung darauf hin, dass die Datenlage bezüglich der Sicherheitslage von
Biosimilars nicht den Erkenntnissen gleichwertig ist, die bisher bei
Zulassungsverfahren gewonnen wurden. Die vorgenannten sachlichen Informationen
sollen dazu dienen, Unsicherheiten und Fragen zum Thema Biosimilars zu klären.
Die letzte Entscheidung zur Therapie verbleibt wie bisher beim informierten
Behandler.
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