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D R I N N E N & D R AU S S E N V 7
FRANKFURTER ALLGEMEINE SONNTAGSZEITUNG, 22. JUNI 2014, NR. 25
Der Trend geht zur Drittküche
Was leisten sich vermögende Bauherren? Anna Philipp weiß es. Sie hat an die 400 Villen geplant.
Frau Philipp, Sie haben in den
vergangenen 20 Jahren unzählige
Villen und Einfamilienhäuser geplant. Haben sich die Häuser in
diesem Zeitraum verändert, oder
bleiben die Grundbedürfnisse der
Menschen gleich?
Ganz klar, der Lebensmittelpunkt
hat sich vom Wohnzimmer zum
Esszimmer hin verschoben. Aktuell ist deutlich ein neuer Umbruch
spürbar: vom gemeinsamen Essen
zum gemeinsamen Kochen. Das
drückt sich in den Grundrissen
und der ganzen Anlage der Küche
aus. Viele Menschen wollen wieder eine Wohnküche, ein Konzept,
wie man es früher auf dem Bauernhof kannte.
Ist das nicht ein zeitloses Konzept,
von dem man vermuten könnte,
dass es schon immer beliebt war?
Richtig ist, dass die Küche schon
immer der Raum war, in dem sich
die Familie trifft, und auch wenn
ein Fest gefeiert wird, versammeln
sich die Gäste am liebsten dort. Es
ist ein Raum des Zusammenseins
und der Kommunikation. Neu ist,
dass viele Bauherren die Küchen
nun so anlegen, dass man nicht
nur zusammen isst, sondern auch
zusammen kocht. Die Wohnküche
ist oft auch vom angrenzenden
Wohnzimmer durch eine Tür abgetrennt, also ein anderes Konzept
als die völlig freie Zone vom Herd
bis zur Couch. Das ist auch immer
noch beliebt, aber die Wohnküche
ist stark im Kommen.
Was sieht darin anders aus als in
den Küchen der vorangegangenen
Generation?
Auch wenn die Häuser pur und
klar gestaltet sind, will man hier
warme Materialien, Hölzer und
teilweise auch historische Kacheln.
An diesem Ort sucht man Behaglichkeit, und das drückt sich über
Materialität aus. An diesem zentralen Ort im Haus findet ganz viel
Leben statt. Da kommen die
Freunde nicht nur zum Essen, sondern sie kommen an den Herd.
Die Freunde sind eine erweiterte
Familie geworden. Je näher jemand an der Kernfamilie dran ist,
desto näher darf er an den Herd
vordringen. Direkt daneben gibt es
immer große Tafeln für viele Personen. Die Küchen werden dafür
deutlich größer und haben bis zu
dreißig Quadratmeter Wohnfläche.
Viele von Ihnen entworfene Häuser haben zusätzlich eine sogenannte Back-up-Küche. Was muss
Wird in dieser Küche gekocht? Ja, aber nur ein bisschen. Die Vorbereitungen finden in einer Back-up-Küche statt, dort bleibt auch das dreckige Geschirr zurück.
man sich darunter vorstellen?
Das ist eine Küche hinter der Küche. Die Back-up-Küche ist in der
Regel voll ausgestattet und entlastet die Hauptküche, die man schön
und aufgeräumt haben will. Gegenstände, die herumstehen, stören
hier nur. Ich kann das schmutzige
Anna Philipp
Geschirr also in der Back-up-Küche abstellen und dort die Spülmaschine laden, was auch akustisch angenehmer ist. Auch durchdringende Gerüche, wie sie beispielsweise
beim Anbraten von Fisch entstehen, breiten sich nicht im gesamten Haus aus, wenn man den Herd
der Back-up-Küche benutzt.
Sind nicht die Abzugshauben heute sehr leistungsfähig und der
Grund, warum überhaupt offene
Küchen gebaut werden können?
So ähnlich, wie erst der Fahrstuhl
das Hochhaus ermöglichte?
Ja, die sind heute sehr gut. Es ist
eher eine Sache der Mentalität bei
den Bewohnern. Manche sind etwas empfindlicher, und die wollen
dann die Sachen lieber in einem anderen Raum braten, dort natürlich
auch mit Dunstabzugshaube. Das
betrifft aber eher die offenen Kü-
chen. Die, die eine Wohnküche haben, die haben keine Back-up-Küche. Für die ist es richtig, wenn
sich alles in einem Raum abspielt.
Wie wichtig das Thema Kochen
geworden ist, kann man auch daran erkennen, dass wir immer mehr
Outdoor-Küchen planen. Das ist
sehr stark nachgefragt.
Das heißt, es gibt dann Häuser
mit drei Küchen?
Ja, für den Sommer wird noch einmal eine komplette Küche mit
Wasseranschlüssen und allen Geräten außen auf der Terrasse angelegt. Da wird dann bei gutem Wetter gemeinsam gekocht, und man
lebt draußen. Das wird zelebriert.
Kann man sagen, dass die Backup-Küche die frühere Vorratskammer ersetzt?
Ja, die Vorratshaltung ist heute ja
eine ganz andere geworden. Man
hat die großen Kühlschränke, die
gefüllt werden, aber nicht wie früher Einmachgläser oder große Regale für Mehl, Zucker und Konserven. Das macht kein Mensch
mehr.
Vor 20 Jahren haben Sie solche
Räume noch erlebt?
Ja, absolut. Da gab es Küchen mit
angegliederter
Vorratskammer
und den Wunsch, die Küche mit einer Schiebetür vom Esszimmer abzugrenzen.
Wenn Geselligkeit sich vor allem
in der Küche abspielt, wozu dient
dann das Wohnzimmer?
Es konzentriert sich auf das Thema Familie, Zweisamkeit und
Rückzug. Da kommen keine Freunde hin, das ist wirklich innerfamiliär.
Also ist die gute Stube tot?
Fotos Philipp Architekten
Das gibt es so nicht mehr. Das
Wohnzimmer ist der Ort, an dem
ich ein Buch oder eine Zeitung
lese und mit dem iPad im Internet
surfe. In den großen Villen hat
man da auch keinen Fernseher
mehr. Dafür gibt es ein separates
Zimmer.
Das heißt, Fernseher gelten als
unattraktiv?
Ja, bei etwa 80 Prozent ist das so.
20 Prozent stehen dazu und inszenieren den Fernseher sehr sichtbar
mitten im Raum oder an der
Wand. Die Mehrheit aber sucht dafür einen anderen Raum oder versteckt ihn in Einbaumöbeln.
Das Wohnzimmer hat eine Funktion bekommen wie früher eine Bibliothek?
Ja, es ist ein privater Rückzugsort
zur Entspannung, Unterhaltung
und Bildung geworden. Alle wol-
len sehr reduziert, pur und minimalistisch leben.
Wobei sich die Reduktion wohl
eher auf die Ästhetik bezieht als
auf den Raumverbrauch?
Absolut. Der Staubedarf ist da.
Der wird über neue Räume wie
große Garderoben, Back-up-Küche, Hauswirtschaftraum oder
Fernsehzimmer abgedeckt. Dieses
Ausgliedern kann man sich bei großen Villen erlauben. Auf diese Weise bekommen die Räume, in denen
man lebt, Klarheit.
Vor ein paar Jahren ist ja das Bad
mal ein großes Thema gewesen.
Da sah man in den Magazinen
plötzlich große Wellness-Bereiche
in Privathäusern. Kommt das bei
Ihrer Arbeit auch vor?
Ja, das Bad ist ein Wohnbad geworden, geräumig und oft mit Dampfbad oder Sauna ausgestattet. Den
Bauherren ist ein individueller
Rückzugsraum sehr wichtig. Gerade für meine Klienten, die beruflich sehr engagiert und viel unterwegs sind.
Zuweilen sah man vor allem in
Luxushotels sogar Badewannen
im Schlafzimmer neben dem Bett
plaziert, das scheint genau das Gegenteil von Rückzug.
Das hatten wir auch mal in privaten Häusern, ist aber rückläufig,
auch wegen der Luftfeuchtigkeit.
Natürlich ist das Bad oft ans Schlafzimmer angegliedert, es ist ein
Wohnbad, da läuft der Parkettboden durch, da hat man nicht mehr
diese typische Bad-Atmosphäre
mit den Kacheln.
Bei so viel Luxus: Welche Rolle
spielt die Funktionalität für Ihre
Klienten?
Eine sehr große. Ein Haus muss ja
für die Familie praktikabel sein,
die Bauherren gleichen ihre Lebensumstände präzise mit unseren
Entwürfen ab. Viele achten sehr
auf die Laufwege. Sie wollen, ohne
von den Nachbarn gesehen zu werden, von der Garage ins Haus und
dann möglichst direkt in die Küche gelangen. Da kann der Entwurf noch so schön aussehen,
wenn der Bauherr seine Einkäufe
einmal ums Haus herumtragen
muss, ist es eben kein guter Entwurf. Wir müssen also den
Wunsch nach tollem Design ausbalancieren mit der Funktionalität.
Beidem gerecht zu werden, darum
geht es jedes Mal.
Die Fragen stellte Christian Tröster.
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